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Station 2: Das grosse Umdenken
Station 2
Das grosse Umdenken
Im sog. «langen 16. Jahrhundert», das weit ins 17. Jahrhundert reichte, fand ein Wandel des Weltbildes statt. An was erkannte man, dass Geld, unser modernes Geld, entstanden war? Wir schauen uns das Volksbuch Fortunatus vom 16. Jahrhundert an, die Jesuitenschule von Salamanca, die Aussagen des Ökonomen Misselden 1622 und die Beschreibung des Rhythmus als Taktrhythmus durch Descartes 1618.
Von win-loose to win-win Aldo Haesler, Professor der Soziologie an der Universität Caen in Frankreich, hat sich jahrelang mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit beschäftigt. Was genau hatte sich damals verändert? Nach seiner Meinung war es vor allem der Wechsel von der win-loose Gedankenwelt, in der der Gewinn des Einen der
Verlust des Andern sein muss, zur win-win Welt. Von der geschlossenen Ordnung, die hierarchisch gegliedert war, mit einem endlichen Raum, hin zur offenen Weltordnung. Die bisherige Vorstellung zerschellte an der Unmöglichkeit, gewisse Dogmen gegen eindeutige Berechnungen und Beobachtungen aufrecht zu erhalten. Es trat ein Wandel des Weltbildes ein.
Aldo Haesler nennt es den Übergang vom Nullsummenspiel zum Positivsummensiel. Neu ist, dass der Mensch mit dem Er folg ebenso verfährt – er schuldet ihn niemanden, nur sich selbst. Diese Formel der modernen Emanzipation war in traditionellen Gesellschaften undenkbar; undenkbar, weil alle Verhältnisse un ter den Dingen und den Menschen gegenseitige Schuldverhältnisse waren. Zu beginn des 17. Jahrhunderts sprach man z. B. vom Händler noch wie von einem Parasisten; Mitte des Jahrhun derts ist aus ihm ein Agent der Vorsehung geworden. Geld ist nicht mehr nur ein Werkzeug, es ist zu einem Medium geworden, zu einer Sprache mit Zahlen, die universell verfügbar ist.
Die Jesuiten von Salamanca Bedeutung erlangte die Schule von Salamanca durch die Ent wicklung eines «internationalen Naturrechts». Vor dem Hintergrund der Eroberung in Süd- und Mittelamerika durch Spanier und Portugiesen, des Humanismus und der Reformation gerie ten die traditionellen Konzeptionen der römisch-katholischen Kirche im 16. Jahrhundert zunehmend unter Druck. Die Schule von Salamanca nahm die sich daraus ergebenden Probleme in Angriff. Ihr Ziel war die Harmonisierung der Lehren Thomas von Aquins mit der neuen ökonomisch-politischen Ordnung der Zeit. Die Theorien der Schule von Salamanca läuteten das Ende des mittelalterlichen Rechtskonzepts ein. In einem für das Euro -
Jesuitenschule von Salamanca, Luis de Molina, De Iustitia at Iure, 1733
Fortunatus, London 1740
pa der damaligen Zeit unüblichem Masse fordern sie mehr Freiheitlichkeit. Die natürlichen Rechte des Menschen (Recht auf Leben, Recht auf Privateigentum, Meinungsfreiheit, menschli che Würde) wurden zum Mittelpunkt des Interesses der Schule von Salamanca. Diego de Covarrubias y Leiva (1512–1577) zu folge haben Menschen nicht nur das Recht auf Privateigentum, sondern auch das Recht, exklusiv aus den Vorteilen des Eigen tums zu profitieren.
Fortunatus Anfangs des 16. Jahrhunderts beginnt die Verbreitung des Fortu natus als eines jener «Volksbücher», wie die Romantiker sie später getauft haben, da kein Verfasser angegeben war. Zu diesen «Volksbüchern» zählen auch Berühmtheiten wie der Eulenspie gel und das Buch von Doktor Faustus. In ganz Europa ist der Fortunatus präsent und über 200 Jahre lang findet dort die Geschichte vom nie versiegenden Portemonnaie viele Leser. Erstausgabe war 1509.
Fortunatus erhielt einen Säckel mit nie versiegenden Mün zen drin. Mich erinnert das an die Bitcoin-Millionäre 2017, junge Tech Freaks ohne Leistungsausweis, die plötzlich über grossen Reichtum verfügten. Was macht nun Fortunatus mit seinem neuen Reichtum? Fortunatus ruht sich nicht auf seinem Säckel aus, sondern macht sich auf, um als Handelsfahrer die Welt zu durchkreuzen und auf diese Weise erst noch reich zu werden. Denn vorstellen konnte man sich nur das Kaufmannskapital. Was ihm seine Münzen zu Hause einbringen, ist zwar bedeu tend, es macht ihn zum adeligen Herrn über Land und Leute und sichert ihm die Versorgung auf die beste damals mögliche Weise, aber es bleibt beschränkt, es hat sein Ende. Im Inneren
des Gemeinwesens bekommt Fortunatus für seine Münzen nur begrenzt etwas zu kaufen.
Edward Misselden: Free Trade 1622 Misselden ist der Autor von «Free Trade, Or the means to make trade flourish», 1622. Als Merkantilist erbrachte er eine wichtige Leistung zur Idee der Handelsbilanz als analytisches und mess bares Konzept.
«Geld ist jetzt zum Preis für alle Dinge geworden», schreibt Misselden 1622. Zum ersten Mal ist diese Aussage nachweisbar, Geld ist jetzt feststellbar. Sein Satz «Was seine Natur und was die zeitliche Abfolge betrifft, kommt Geld erst nach der Ware, doch so, wie es heute in Gebrauch ist, wurde es die Hauptsache», ent spricht der modernen Auffassung von Geld.
Descartes: Musicae Compendium 1618 verfasst der junge Descartes ein Buch über Musik, be schreibt die Noten, den Rhythmus. Zum ersten Mal benutzt er die Bezeichnung «Taktrhythmus» zur Beschreibung des Rhyth mus. Das ist erstaunlich. Etwas muss sich im Kopf der Menschen von damals verändert haben, fühlten sie doch nur 50 Jahre vor her einen andern Rhythmus. Woher kommt dieser Wandel?
Jahrhunderte musste die Antwort warten, bis Eske Bockel mann den Faden aufnahm und akribisch genau nachweist, woher dieser Wandel, dieser unbewusste Reflex in der Rhythmuswahrnehmung herkommt. Er verfasst das Werk «Im Takt des Geldes».
«Faust», der das bestehende Wissen hinterfragt und nach Weisheit strebt, ist keine Erfindung von Goethe, sondern war ein Volksbuch des 16. Jahrhunderts. Nicolaus Winkler, ein Arzt in
Edward Misselden: Free Trade, 1622
Descartes: Musicae Compendium, 1618
Eske Bockelmann, Im Takt des Geldes, 2004
Winckler, Nicolaus, Bedencken Von Künfftiger verenderung Weltlicher Policey vnd Ende der Welt, Augsburg 1582
Augsburg, hat es 1582 publiziert. Das Ende der Geschichte: Faust stirbt. Das Volksempfinden damals sah im Hinterfragen der bestehenden Ordnung ein Frevel, deshalb musste Faust ster ben – ganz im Gegensatz zur Version 200 Jahre später. Goethe hatte «das grosse Umdenken» und den Kapitalismus erkannt und führte die Wette zwischen Faust und Mephisto ein mit dem Verbot des Verweilens. Goethe ist heute ein hochangesehener Autor, aber die meisten Leser verstehen diese Passage der Kapi talfunktion nicht; wir hangen alten Vorstellungen an, genau wie die Leute im 16. Jahrhundert. Schon damals scheint dies Goethe vorausgeahnt zu haben und gab sein Werk erst posthum zur Veröffentlichung frei.