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Wie gemalt
Tour de Vincent
Mit dem Rad durch van Goghs Provence
Vincent van Gogh verbrachte zwei Jahre in Arles und Umgebung. Hier schuf er, berührt von den Farben und dem Licht, einige seiner berühmtesten Werke. Mit dem Fahrrad geht es direkt durch seine Landschaften mit Sonnenblumen, Zypressen und Olivenbäumen.
TEXT & FOTOS JESSICA DE KORTE
ARLES
Ein junges Mädchen mit Jeans und Pferdeschwanz fegt die Terrasse des Café La Nuit in Arles. In den Vasen leuchten Sonnenblumen. Die Wand ist in demselben Gelbton gehalten, den Vincent van Gogh für sein weltberühmtes Gemälde Caféterrasse bei Nacht verwendete. Er malte es hier, auf der Place du Forum. Für die Sterne verwendete er Gelb und Orange, wie die Flammen einer Kerze. „Es ist schön, dieses Café kurz zu sehen, aber das Essen lohnt sich nicht“, raunt Nina Seffusati, eine Vincent van Gogh-Expertin, die die Stellen der Stadt zeigt, an denen der weltberühmte Künstler gemalt hat. Van Gogh lebte über ein Jahr lang in Arles, von Februar 1888 bis Mai 1889. Hier entwickelt er seinen eigenen Malstil mit kräftigen Farben und Pinselstrichen, erleidet aber auch einen psychischen Zusammenbruch. Wir gehen durch die engen Gassen mit ihren glatten Fassaden und Fensterläden in Pastelltönen. Französisches Stimmengemurmel erklingt über den Terrassen, wo Markisen und Sonnenschirme Schutz vor der Sonne bieten. Es war dieses klare Licht, das die Stadt für van Gogh so attraktiv machte. Nach zwei Jahren in Paris hatte er genug von der Hektik und sehnte sich nach den leuchtenden Farben des Südens.
Zypressen als Obelisken
Eingekeilt zwischen Häusern, Boutiquen und Restaurants liegt das römische Amphitheater. Van Gogh sah dort mehrerer Stierkämpfe und malte die Menschenmenge. Das „gelbe Haus“, in das er Künstler einladen wollte, wurde leider im Zweiten Weltkrieg bombardiert. Auch die Kulisse der Sternennacht über der Rhone hat sich verändert: Jetzt liegen hier Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Der grüne Innenhof des Krankenhauses, in dem der Künstler landete, nachdem er sich während einer Psychose das Ohr abschnitt, sieht dem auf den Gemälden und Zeichnungen sehr ähnlich. „Das ist
ungefähr die Stelle, an der seine Staffelei stand“, zeigt Seffusati und betrachtet die Blumen vom Balkon aus. „Obwohl es nicht ganz richtig ist. Der Blickpunkt ist etwas weiter oben. Aber er hat sich gewisse Freiheiten genommen.“ Van Gogh liebte es, mit Staffelei und Pinsel unter dem Arm spazieren zu gehen, auf der Suche nach provenzalischen Motiven. Ich hingegen streife auf dem Fahrrad umher. Es ist schneller, aber langsam genug, um die Details wahrzunehmen. Von Arles aus fahre ich in Richtung Tarascon auf der Petite Route d'Arles, einer alten Landstraße durch Sonnenblumenfelder und Acker, auf denen sich Zypressen wie dunkelgrüne Säulen in den Himmel recken. Ende Juni 1889 schrieb van Gogh seinem Bruder Theo über die schönen Linien und Proportionen der Zypressen, die er mit ägyptischen Obelisken verglich. „Das Grün ist so außergewöhnlich. Sie ist der dunkle Fleck in einer sonnigen Landschaft.“ Die Gegend ist wunderschön. Van Gogh liebte ihre Einfachheit. Die ruhige Straße schlängelt sich an Bauernhöfen mit roten Dachziegeln und hellblauen Fensterläden vorbei, hier und da ein Weinberg oder ein Reisfeld. Ich erkenne die Farbfelder aus den Gemälden wieder: Grüntöne, das helle Blau des Himmels, das Gelb der Kornfelder und der Sonnenblumen. Über einem Radweg auf einer alten Bahnstrecke erreiche ich Saint-Rémyde-Provence, eine charmante Stadt mit Kalksteinfassaden. Einige Kilometer weiter südlich, in einem alten Kloster, liegt die psychiatrische Klinik Saint-Paul-de-Mausole, in die sich van Gogh freiwillig einweisen ließ. Im Garten des Krankenhauses von Arles stand ich noch zwischen Gruppen von Touristen, die sich ›
Wie in den Gemälden: Grüntöne, das helle Blau des Himmels, das Gelb der Kornfelder und Sonnenblumen.
Aufschlagseiten: Statue von Van Gogh bei Saint-Paul-de-Mausole, der psychiatrischen Einrichtung in einem ehemaligen Kloster, wo der Maler war. Links: in der Nähe von SaintRémy-de-Provence. Oben: Van Goghs Zimmer in der Klinik Saint-Paul-deMausole.
Im Uhrzeigersinn: archäologische Fundstätte Galnum; die Autorin an einem Olivenhain bei Saint-Paul-de-Mausole; Fenster in Arles.
Die brütende Hitze Südfrankreichs ist in van Goghs Werken zu spüren.
ungeduldig um ihren Führer scharten. Aber in Saint-Paul-de-Mausole ist es auffallend ruhig. Kurz vor dem Eingang fallen die Olivenhaine ins Auge, dahinter die Alpilles, eine Gebirgskette aus Kalksteinhügeln. Die Natur rund um diesen Zufluchtsort spendete van Gogh Trost. An Tagen, an denen er sich nicht gut genug fühlte für einen Spaziergang, saß er im Garten. Er starrte auf die bizarren Formen der Olivenbäume mit ihrem knorrigen Wuchs. Jedes Blatt hat ein anderes Grün.
Van Goghs Zimmer
Im Klostergebäude herrscht eine beruhigende Atmosphäre. Das sanfte Licht dringt vom Hofgarten in die Gewölbe des Korridors und zeichnet Schatten auf den Boden. Im Garten hinterm Haus gedeiht Lavendel. Zwei Besucher spazieren andächtig umher, die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Plötzlich ertönt ein gellender Schrei. „Auf der anderen Seite des Geländes leben bis heute Psychiatriepatienten“, sagt Katharina de la Comble, eine Kunstliebhaberin, die seit fast 20 Jahren in Saint-Rémy-de-Provence wohnt und ebenso lange van Goghs Geschichte studiert. Sie führt mich durch das Gebäude. Gemeinsam gehen wir zu dem Zimmer, das so eingerichtet ist, wie es van Gogh 1889 hatte. Die Wände sind armeegrün, neben dem Metallbett steht natürlich eine Staffelei. Als ich ans Fenster trete, um die Aussicht zu betrachten, die sicher auf einem Gemälde zu sehen sein wird, unterbricht De la Comble meine Gedanken: „Van Gogh hatte in Wirklichkeit ein Zimmer auf der anderen Seite des Gebäudes. Aber der Teil wird von der psychiatrischen Klinik genutzt.“ Malen ist nun ein fester Bestandteil der Therapien. Van Gogh schuf in dem Kloster eines seiner berühmtesten Werke: Die Sternennacht. Eine Nachtszene mit gelben Sternen über einer kleinen Stadt mit Hügeln. De la Comble: „Saint-Rémy-de-Provence war wahrscheinlich seine Inspirationsquelle, aber es könnte auch eine Kirche aus seiner niederländischen Heimat sein. Van Gogh verband häufig verschiedene Motive miteinander.“ Am folgenden Tag fahre ich zur Abtei Montmajour. Eine schmale asphaltierte Straße ohne Verkehr zwängt sich zwischen Pinien und Büschen hindurch, dahinter verstecken sich Olivenbäume. Später öffnet sich die Vegetation und ich erspähe weiße Häuser, die an van Goghs Werke erinnern. Zikaden lärmen. Kurz nach dem Dorf SaintÉtienne-du-Grès biegt die Route in einen unbefestigten Weg ein, der durch eine karge Landschaft führt. Das Gras ist gelb. Ohne jeglichen Schatten greife ich immer öfter zu meiner Wasserflasche. So muss es ausgesehen haben, als van Gogh hier malte. In seinen Werken ist die brütende Hitze Südfrankreichs zu spüren. Er saß tagelang in der brennenden Sonne. Leider muss ich für das letzte Stück bis zur Abtei eine verkehrsreichere Straße benutzen. Der Verkehr rauscht vorbei. Plötzlich sehe ich über den Bäumen die Silhouette des Klosters, das 948 von Benediktinermönchen gegründet wurde. Auf meinem Handy betrachte ich das Gemälde Sonnenuntergang am Montmajour, von dem die Forschung erst vor ein paar Jahren erwiesen hat, dass es ein echter van Gogh ist. „Gestern, bei Sonnenuntergang, war ich auf einer steinigen Heide mit kleinen Eichen“, schrieb der Künstler an seinen Bruder Theo. „Im Hintergrund eine Ruine auf dem Hügel und Weizenfelder im Tal. Es war romantisch, à la Monticelli. Die gelben Strahlen der Sonne leuchten über die Büsche und den Boden, wie ein Goldregen“. Ich versuche, die › Das ehemals „gelbe“ Café La Nuit in Arles (heute Café van Gogh), das van Gogh häufig malte.
Stelle zu finden, an der er mit seiner Staffelei saß. Die Umgebung ist, wie auf dem Gemälde, wild. Aber jedes Mal, wenn ich eine Seitenstraße nehmen will, steht dort ein Tor oder ein Schild mit der Aufschrift Entrée interdite (Zutritt verboten). Seltsam, in Saint-Rémy-de-Provence habe ich viele Hinweisschilder mit den Bildern gesehen, die van Gogh genau an den Stellen gemalt hat. Aber alles Weitere muss ich selbst herausfinden. Auf der Suche nach Orientierungspunkten beginne ich, die Kompositionen in den Gemälden genauer zu betrachten.
Die Farbe von Makrelen
Die Abtei Montmajour thront auf einem Felsen. Ich stelle mein Fahrrad auf der gegenüberliegenden Terrasse ab und beginne zu klettern. Meine Fahrradbeine haben es nicht besonders eilig, aber das riesige Bauwerk ist zu beeindruckend, um es ›
sich entgehen zu lassen. Eine Stunde lang schlendere ich durch ein Labyrinth von Gängen, Kapellen und Türmen. Am folgenden Tag fahre ich von Arles aus nach Süden in Richtung Saintes-Maries-de-la-Mer. Einst machte van Gogh einen Ausflug in den Badeort. Er verließ Arles frühmorgens und fuhr in einer Postkutsche 50 Kilometer durch die Sümpfe der Camargue. Bald sind die Straßen leer. Der Himmel ist blau, ohne einen einzigen Wolkenstreifen. Über dem Wasser hängen kleine rosa Punkte. Flamingos. Reiher ruhen sich auf dem Rücken eines Bullen aus, zwei Biber huschen weg; im orangefarbenen Licht der untergehenden Sonne traben weiße Wildpferde vorbei. Saintes-Maries-de-la-Mer hat sich stark verändert, seit van Gogh hier gemalt hat. Es ist kein kleines Fischerdorf mehr, sondern ein lebendiger Badeort. Als ich mich auf die Suche nach der heutigen Version der Aussicht von Saintes-Mariesde-la-Mer mache, stoße ich immerzu auf Wohngebäude. Aber immerhin entdecke ich ein weißes Haus mit einem Strohdach, das ich von einem Gemälde her kenne. Was sich nie ändern wird, ist das Mittelmeer. Der Künstler beschrieb dessen Farbe „wie die einer Makrele“. Immer im Wandel. Mal grün, dann blau, violett, oder mit einem rosa Farbton. Nach dieser besonderen Radtour werde ich mich wohl intensiver mit Farben beschäftigen, als bisher.
Oben: Der Hofgarten der psychiatrischen Einrichtung Saint-Paul-de Mausole, rechts: Alyscamps in Arles, wo Vincent van Gogh häufig malte.
Terrasse mit kühlem Sprühnebel in Arles; Gericht im Bistro Chapeau de Paille in Saint-Rémy-de-Provence.
Tipps & Adressen
ANREISE
Arles ist 975 Kilometer von Frankfurt a.M. entfernt. Der TGV nach Arles fährt in Paris vom Bahnhof Gare de Lyon. Leider darf das Fahrrad nur zerlegt in einer Hülle transportiert werden. Andere Möglichkeiten: Lassen Sie das Fahrrad separat transportieren (Camino Fietstransport), nehmen Sie einen Fahrradbus (Cycletours) oder mieten Sie ein Fahrrad in Arles.
RADROUTEN
Unsere Autorin Jessica hat mehrere Routen zusammengestellt (siehe komoot.nl/ tour/696070309). Zwischen Arles und Tarascon verlaufen die Straßen Petite Route de Tarascon und Petit Chemin d'Arles. Zwischen Tarascon und Saint-Rémy-de-Provence verkehrt der EuroVelo 8 (Mittelmeer, francevelotorisme.com). Les Boucles du 13 Alpilles (departement13.fr) verbindet SaintRémy-de-Provence und Fontvieille. D'Arles à l'étang du Vaccarès ist eine wunderschöne Route durch die Camargue, über die Sie entlang des Salzwassersees Saintes-Maries-dela-Mer erreichen.
AKTIVITÄTEN
Fondation van Gogh Da es in Arles keine Werke von Vincent van Gogh gibt, hat sich die Kuratorin Yolande Clergue eine kreative Lösung einfallen lassen. In Wechselausstellungen werden mehrere Leihgaben (u. a. aus dem van Gogh Museum in Amsterdam) zusammen mit Werken zeitgenössischer Künstler gezeigt, die sich von van Gogh inspirieren ließen. Das Ergebnis ist ein schönes Zusammenspiel. fondation-vincentvangogh-arles.org
ESSEN & DRINKEN
Le Plaza-La Paillotte Gleich um die Ecke der VanGogh-Stiftung in Arles befindet sich das Le Plaza-La Paillotte, ein freundliches Restaurant mit einem guten Koch. Nicht umsonst steht es hoch im Kurs, deshalb ist eine Reservierung unbedingt erforderlich. le-plaza-la-paillotte.business.site
L’Oriel Küchenchef Quentin und seine Frau Océane Lepilliet haben vergangenes Jahr in Arles das Restaurant L'Oriel eröffnet: Es wird frisch und saisonal gekocht. restaurantoriel.com
Chapeau de Paille Am Rande des Stadtzentrums von Saint-Rémy-de-Provence liegt dieses Bistro mit lokalen Gerichten. Tolle Atmosphäre! bistrot-chapeaudepaille.com
SCHLAFEN
Hôtel La Muette Charmantes Hotel im Zentrum von Arles wo man sich um alles bis ins kleinste Detail kümmert. Das Frühstück kommt aus der Region. Fahrräder können in der Garage um die Ecke parken. hotel-muette.com
Camping La Brise de Camargue Nur wenige Meter vom Strand in Saintes-Maries-de-la-Mer entfernt liegt ein großer Campingplatz mit Schwimmbad. Von der Rückseite kann man zum Meer laufen. Es gibt moderne Bungalows, einfach aber praktisch eingerichtet. camping-labrise.fr
Casa Marina Der direkt an der Küste gelegene Badeort SaintesMaries-de-la-Mer bietet ein intimes Hotel mit frischem Dekor und vielen natürlichen Elementen wie Treibholz und Schilf. Fast alle Zimmer haben einen Balkon oder eine Terrasse mit herrlichem Blick aufs Meer. casa-marina.fr
WEITERE INFO
provence-alpes-cotedazur.com provence-toerisme.com