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Bon Anniversaire
Christine Cazon
Christine Cazon, alias Christiane Dreher, ist Krimiautorin und Wahlfranzösin. Zusammen mit ihrer Romanfigur Kommissar Duval erlebt sie Cannes sowohl vor als auch hinter den Kulissen der südfranzösischen Glitzerwelt.
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Der Weg ist das Ziel
Quietsch, Monsieur tritt auf die Bremse, das Auto bleibt abrupt stehen. Seitdem überall Kameras darüber wachen, dass man kein Verkehrsdelikt begeht, wagt er es nicht mehr, bei Dunkel-Orange über die Kreuzung zu brettern. Die Ladung hinter uns verrutscht genauso abrupt, mir stößt ein Tischbein in den Nacken, gleichzeitig stürzt die noch lauwarme Lauchtarte ab und bleibt verkantet hängen. NEIN! Wir sind auf dem Weg in ein langes Wochenende im Haus in den Bergen, aber ich habe schon jetzt die Faxen dicke. Vielleicht erinnern Sie sich an diesen schönen Pagnol-Film: Der Vater des Erzählers mietete für seine Familie ein Häuschen für die Ferien im Hinterland von Marseille, irgendwo zwischen Aix-enProvence und Aubagne. Mit Sack und Pack reisen sie an und am Ende laufen alle zu Fuß den staubigen, steilen Weg zum Haus hinauf, während der brave Maulesel, die mit Möbeln und Kisten und Körben beladene Kutsche zieht. Die Mutter ist ein Inbegriff der Sanftheit und sie macht sich im Haus sofort daran, alles ein- und herzurichten und bereitet für ihre Lieben ein üppiges Mittagsmahl. Stundenlang sitzen alle vergnügt am Tisch und schwelgen in den Genüssen. Hach! Ich bin bedauerlicherweise nicht ganz so sanft, ich schimpfe unterwegs ordentlich über die nonchalante Art, wie Monsieur die Serpentinen nimmt und fluche über die Hitze und die defekte Klimaanlage im Auto. Immerhin muss ich das letzte Stück bergauf nicht laufen. Und ich habe bereits ein Dessert und eine Lauchtarte im Gepäck, damit ist doch ein Teil des Mittagsmahls schon fertig. Vorausgesetzt, ich muss sie nicht mit einem Löffelchen aus dem Auto kratzen. Denn im Augenblick hängt die Tarte in einem Winkel von 90° hinter meinem Sitz. „HALT AN!“, schreie ich. Monsieur gehorcht augenblicklich und ich befreie vorsichtig die Tarte, die ich für den Rest der Fahrt behutsam auf meinen Knien balanciere. Bei jeder Bodenwelle, in der die mittlerweile fragile Lauchtarte aus ihrer Form hüpft, sehe ich Monsieur streng an. Kurz verlangsamt er, aber dann gibt er wieder Gas. Denn, nein, der Weg ist heute nicht das Ziel. Das Ziel ist, den Weg so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Das ist höchst ungewöhnlich. Meistens kommt man mit Monsieur und mit Franzosen nicht sehr weit, weil man, kaum ist man losgefahren, darüber diskutiert, wann und wo man essen wird. Kommt man aufgrund logistischer Widrigkeiten erst gegen 9 Uhr los, hält man trotzdem drei Stunden später schon
wieder an: Um 12 Uhr mittags wird gegessen, da gibt es nichts! Schön ist, wenn sich dafür ein Restaurant finden lässt. Beliebt ist auch das Picknick am Wegesrand; Sie haben sicherlich schon Menschen mit ausgebreiteter Tischdecke am Campingtisch, manchmal sogar auf einem Stück Wiese am Boden sitzend, gemütlich essen sehen. Seien Sie gewiss, es sind Franzosen. Sie sind in Urlaub, es ist Mittagszeit und der Weg ist das Ziel. Nicht so heute, wir haben einen Nachbarn im entfernten Sommerhaus zum Essen eingeladen, seine Frau ist krank, er ist allein, und wir haben es eilig, dorthin zu kommen, um alles vorzubereiten. Kaum angekommen, sause ich in die Küche. Monsieur baut im Gärtchen den mitgebrachten Tisch und die Stühle auf, alles steht etwas wackelig, aber immerhin. Ich hingegen versuche vergeblich den Gasherd CRÈME CARAMEL SCHMECKT AUCH anzuwerfen. „Chéri“, rufe ich, „kannst du mal nach dem Gas schauen?“ Monsieur verschwindet im Keller und hantiert an DURCHGERÜTTELT der Flasche. „Geht es?“ ruft er. „Nein!“ AM WACKELNDEN Rufe ich zurück. „Bist du sicher, dass noch Gas in der Flasche ist?“ Misstrauisch gehe
TISCH. NICHTS ich nun selbst schauen. Die Flasche ist IST PERFEKT, ABER schwer, das Zeichen, dass sie voll ist. Ich drehe das Ventil zu und wieder auf, aber
ALLES IST GUT. das Gas strömt weiterhin nicht aus den Brennern am Herd. Wir drücken abwechselnd alle Knöpfe. Nichts tut sich. „WIE soll ich kochen?“ zetere ich. „Gleich kommt der Nachbar! Es ist so peinlich!“ Ich bin außer mir. Monsieur verlässt seufzend die Küche. Ich starre noch eine Weile wütend auf den kalten Herd, dann beschließe ich, wenigstens den Tisch zu decken. Draußen trinkt Monsieur mit dem Nachbarn bereits plaudernd ein Bier vor dem Grill, den er alternativ angeworfen hat. „Plan B“, zwinkert er mir zu. „Wir haben kein Gas“, erkläre ich. „Jo“, nickt der Nachbar ungerührt und prostet mir zu. Ich atme aus und entspanne mich endlich. Sicher, die frischen Nudeln werden dieses Mal nicht gegessen, dafür essen wir mehr von der Tarte. Das improvisierte Fleisch vom Grill ist köstlich, das Brot frisch, der Schafskäse aromatisch und die Crème Caramel schmeckt auch im durchgerüttelten Zustand am wackelnden Tisch. Nichts ist perfekt, aber alles ist gut. Wir essen ausgiebig, ich krame alte Hüte hervor, die uns gegen die Sonne schützen, wir erzählen und lachen, es wird Rotwein nachgeschenkt. Ich schicke der kranken Nachbarin ein Foto. „Ich wünschte ich wäre da“, schreibt sie zurück. „Es sieht aus wie in einem Film von Pagnol.“