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VILLA ADRIANA BEI ROM

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GRANTURISSIMO

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Villa Adriana

Ein Spaziergang durch die Eleganz der Antike

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Wer die Villa Adriana bei Rom besucht, reist in eine andere Welt. Villa und Garten versetzen den Besucher zurück in die Glanzzeiten von Hadrian (76–138 n. Chr.), dem vielleicht kulturaffinsten Kaiser der römischen Antike.

TEXT UND FOTOS JESPER STORGAARD JENSEN

D er Fußweg vom Parkplatz zur Villa Adriana dauert gut fünf Minuten. Zeit, um sich mental darauf vorzubereiten, eine völlig andere Welt zu betreten. Die Reise in die Vergangenheit beginnt bei einer mächtigen Mauer von ungefähr neun Metern Höhe. Hinter ihr verbirgt sich eine Welt die überraschend gut erhalten ist, wenn man bedenkt, dass sie vor rund 2.000 Jahren erbaut wurde. In der Antike erstreckte sich die Villa über 120 Hektar. Heute sind 40 davon zu besichtigen. Besucher sehen zunächst den Lago di Pecile. Allein dieser See besitzt riesige Ausmaße von 232 mal 97 Metern, er wurde mithilfe alter Zeichnungen rekonstruiert. Am Ufer fällt der Blick direkt auf die den See säumenden Bäume, die sich im Wasser spiegeln. Das Gebiet rund um die Villa war sehr wasserreich, weil hier gleich vier Aquädukte verliefen, die Rom versorgten (Anio Vetus, Anio Novus, Aqua Marcia und Aqua Claudia). In der Nähe existiert bis heute der schwefelhaltige Brunnen Acque Albule, der heute als Terme di Tivoli bekannt ist und den der Kaiser seinerzeit häufig besuchte. Das hektische Rom ist hier längst vergessen. Stattdessen öffnen sich Aussichten auf weite Landschaften, die spontane Glücksgefühle hervorrufen. Als Hadrian am 2. August 117 nach Christus an die Macht kam, war das Römische Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht und seiner Ausdehnung. Hadrian war der zweite römische Kaiser. In Spanien geboren und mit seinem Vorgänger Trajan verwandt, galt er als unerschrockener Politiker und war ein hochrangiger Militär. Doch trotz seiner vielen Siege war er das Erobern leid. Seinerzeit brauchte das Reich vor allem Ruhe und Stabilität. Aus diesem Grund unternahm Hadrian einige Reisen, auf denen seine vielseitige Persönlichkeit – vielleicht die bemerkenswerteste und auffallendste aller römischer Kaiser – gut zum Ausdruck kam. Neben seinen politischen und militärischen Talenten nämlich hatte Hadrian auch ein ausgeprägtes Gespür für Kultur und interessierte sich für jede Kunstform. Fantasievoll

Diese Liebe zur Kultur spiegelt sich auch im Baustil der Villa. Hier wollte er Orte und Monumente nachbauen, die ihn während seiner vielen Reisen fasziniert hatten. Bei einigen Gebäuden hat er dabei der Fantasie freien Lauf gelassen. Da wäre etwa der Pecile, ein großflächiger Garten, in dem sich ein Portikus mit Schwimmbad befindet, und wo man das gesamte Jahr über spazieren konnte. Oder aber das

Canopus, ein langgezogenes Wasserbad, das mit Kolonaden und Statuen verziert ist und das in zwei Kuppeltempel übergeht, in denen sich die Relikte von Bädern befinden: die Grandi Terme und die Piccole Termi. Letztere verfügten über ein sogenanntes Frigidarium, also ein kaltes Bad, sowie über ein rundes Zimmer mit einem abgesenkten Kuppeldach mit fünf großen, offenen Fenstern. Die prächtigen Stuckarbeiten verraten, dass die Bauten vorwiegend von der kaiserlichen Familie und ihren Gästen genutzt wurden. Das Domus (lat. für [Land-]haus) und die römischen Villen besaßen meist Zimmer mit eindeutig zugeteilten Funktionen und hatten eine ähnliche Einteilung.

Hadrian wollte sich ein Zuhause schaffen, das den Orten nachempfunden war, die ihn auf seinen vielen Reisen fasziniert hatten.

Seite 88-89 und diese Seite: Aussicht von den Villen auf den Canopus. Links: der weitläufige See Pecile; Relikte aus der Welt der Antike.

Diese wurde zum Beispiel auch bei der Villa dei Misteri in Pompeï verwendet. Doch obwohl die Villa Adriani fast durchgängig in einem identischen Stil erbaut wurde, unterscheidet sich der Entwurf in einigen Punkten. So besteht sie aus einer Vielzahl von Gebäuden, die miteinander verbunden sind und die jeweils einer eigenen Funktion dienen: Der Trakt mit den drei Exedren (halbrunde Nischen, in denen man zu diskutieren pflegte), das Nymphäum Stadium (ein großes Denkmal, das den Nymphen gewidmet war), das Gebäude mit dem Fischteich, das mit dem Quadriporticus (einem Innenhof mit Säulengängen zu allen Seiten) verbunden war, und die kleinen Bäder, die ins Vestibül übergehen. Eine traurige Geschichte

Die So viele Orte der Villa strahlen architektonische Finesse, Atmosphäre und Eleganz aus, hier möchte man gerne länger verweilen. Der erste ist der bereits erwähnte Canopus, der sich auf 119 mal 18 Metern ausbreitet und von Statuen umgeben ist. Der Name Il Canopo bezieht sich auf den gleichnamigen Ort in der Nähe der ägyptischen Stadt Alexandria, die in der Antike für ihren Reichtum bekannt war. Fotos, die man heute hier aufnimmt, scheinen wie Ansichtskarten der Antike. Doch der Canopo erinnert auch an die traurige Geschichte des

So viele Orte der Villa strahlen architektonische Finesse, Atmosphäre und Eleganz aus, hier möchte man gerne länger verweilen

jungen Antinoos, einem teuren Freund von Hadrian, der einst hier im Bad ertrank. Der Kaiser war zutiefst betrübt. Ein Stückchen weiter offenbart sich gleich der nächste Höhepunkt: das Teatro Marittimo, ein beeindruckendes maritimes Theater und zugleich eines der ersten Gebäude, das um 118 n. Chr. fertiggestellt wurde. Es gehörte mutmaßlich zu den Privatgemächern Hadrians. Ein paar Schritte weiter liegt die erwähnte Therme, die aus einem großen und einem kleinen Bad besteht. Letzteres war edel verziert. Es ist davon auszugehen, dass es den Gästen der kaiserlichen Familie vorbehalten war.

Weltkulturerbe

Seit 1999 gilt die Villa als Weltkulturerbe. Vor allem Natur- und Archäologie-Fans können sich hier nicht sattsehen. Die fesselnden Geschichte ergreift den Besucher automatisch, so auch die französischen Autorin Marguerite Yourcenar (1903-1987). Ihr größter Erfolg war „Ich zähmte die Wölfin. Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian“ (1951). Sie hat die Villa mehrmals besucht, weshalb ihr Buch die Atmosphäre präzise abbildet. So schreibt sie: „Gestern in der Villa habe ich an die abertausenden Stillleben gedacht, schreckhaft wie Tiere, unbewusst wie Pflanzen, Vagabunden aus der Zeit der Piranesi, Plünderer von Ruinen, Bettler, Hirten und Bauern, die ihr Bestes gegeben haben, um aus dem unaufgeräumten Anwesen etwas mit hoher Aufenthaltsqualität zu machen. All diese Leben, die sich aneinander gereiht haben von der Zeit Hadrians bis in die Gegenwart.“ Die Villa ist alt, aber nicht verlassen. Noch immer finden Ausgrabungen statt, und wenn der Herbst kommt, ernten Bauern hier Oliven. Wer immer weitergeht, stößt zu guter Letzt auf die Stadt Tivoli, die ein paar Kilometer von der Villa entfernt 235 Meter über dem Meeresspiegel auf einem Hügel liegt. Hier liegt auch die Villa d’Este, ein weiteres Anwesen, das einen Besuch lohnt. 2018 stand die Villa Adriana mit 242.000 Besuchern auf der Liste der 30 meist besuchten Kulturstätten Italiens. Wenn die Welt demnächst wieder so aussieht, wie vor der Pandemie, unternehmen womöglich noch mehr Menschen hier einen Spaziergang durch die Geschichte. •

Villa Adriana Öffnungszeiten: 8.30–18 Uhr (letzter Einlass: 16.30 Uhr). levillae.com/i-luoghi/villa-adriana

Diese Seite: Das erste Denkmal am Canopus. Links: Ein Teich in der Villa Adriana .

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