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FEDERICO DA MONTEFELTRO
©IMAGESELECT/ALAMY/GIORGIO MORARA Doppelporträt von Federico da Montefeltro und seiner zweiten Frau Battista Sforza, gemalt von Piero della Francesca, um 1473.62 ITALIË MAGAZINE
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Krieger und Kunstfreund
Er machte im 15. Jh. ein Vermögen, indem er sich als Feldherr verdingte: Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino. Sein Geld verprasste er nicht, sondern er gab es für Kunst, Literatur und Architektur aus. So ist das in den Marken gelegene Urbino bis heute eines der Juwelen der italienischen Renaissance. Federico, das „Licht Italiens“ kam vor genau 600 Jahren zur Welt.
TEXT RONALD KUIPERS
Madonna mit ihrem Kinde, Heiligen und Engeln. Von Piero della Francesca, 1472-1474, daneben kniend Federico. Rechte Seite: der Palazzo Ducale in Urbino. Federico kann Ritterturniere nicht ausstehen. Angesichts all der Verherrlichung von Mut und Gefahr für Leib und Leben betrachtet er sie als ein überholtes Erbe aus düsterer
Vergangenheit, das die Teilnehmer unversehens über den Jordan schickt. Dabei verdient er sein Geld mit Krieg, aber auf eine modernere Weise. Berechnend, raffiniert und unter dem Einsatz von Artillerie und Psychologie. Vorzugsweise verunsichert er seine Gegner, so dass sie sich ergeben, noch bevor es zum Kampf kommt. Doch als einer seiner wichtigsten Auftraggeber, der Herzog von Mailand, ihn 1450 zu einem
©IMAGESELECT/ALBUM/FINE ART IMAGES Turnier einlädt, kann sich nicht verweigern. Federico nimmt sich vor, seinen vollständigen Harnisch anzulegen und kein unnötiges Risiko einzugehen. Den guten Vorsatz jedoch vergisst er, als er kurz vor dem Turnier einer wunderschönen Dame begegnet. Federico ist ein unverbesserlicher Schürzenjäger, eine seiner wenigen Schwächen. Um Eindruck zu schinden, befestigt er Eichenlaub an seinem Helm und seinem Pferd. Es ist eine Anspielung auf die Eiche, an der er die hübsche Dame getroffen hatte (die schmachtend auf der Tribüne sitzt). Es sieht toll aus, hat aber einen Nachteil: Das Visier lässt sich nicht mehr schließen. Als Federico und sein Gegner ihren Pferden die Sporen geben und sie in voller Rüstung aufeinander zu stürmen, halten alle Zuschauer hörbar den Atem an. Durch seinen geöffneten Helm sieht Federico hunderte Kilo Stahl, Muskeln und Knochen auf sich zu donnern, alle Energie gebündelt in der Spitze der Lanze, die auf seine Brust zielt.
Berufskämpfer
Als die Lanze auf Federico prallt, zersplittert deren Holz, ein Bruchstück schießt in den offenen Helm und sticht ihm das rechte Auge aus. Er hat Glück im Unglück: Mit seinem Auge verliert er auch seinen Nasenrücken, so dass er fortan mit dem verbleibenden linken Auge gut nach rechts gucken kann. Körperlicher Schmerz begleitet Federico ein Leben lang. Als Elfjährigen quält ihn ein Abszess im Kiefer, der erst nach unzähligen Behandlungen verschwindet und eine üble Narbe im Gesicht hinterlässt. Als Erwachsener bricht er durch ein morsches Brett in seinem Palast und verletzt sich den linken Knöchel derart, dass er nur noch mit einem speziell konstruierten Hilfsmittel reiten kann. Zudem leidet er an Gicht. Seine entzündeten Gelenke schmerzen schon beim Kontakt mit Kleidung, die metallene Rüstung muss eine wahre Marter gewesen sein. Das sind insgesamt ziemlich ungünstige Voraussetzungen für jemanden wie
Federico, der als Kriegsherr während der Feldzüge oft tagelang in voller Rüstung reiten muss. Doch er hat keine Wahl, denn mit Kämpfen verdient er seinen Lebensunterhalt. Italien ist im 15. Jh. ein buntes Sammelsurium an kleinen Republiken, Grafschaften und Herzogtümern, die sich immer wieder bekriegen. Während größere Stadtstaaten mit religiösen Spenden (der Kirchenstaat um Rom), Handel (Venedig) oder der Textilproduktion (Florenz) ein Auskommen haben, verdingen sich einige der Kleineren gezwungenermaßen als Lieferanten von Söldnerheeren.
Die Herren von Urbino
Einer dieser Kleinstaaten ist Urbino in den hügeligen Marken. Schon seit Generationen unterzeichnen die Montefeltros, die Herren von Urbino, so genannte Condotte (Verträge) mit mächtigen Stadtstaaten wie Neapel und Mailand. Als Condottieri kämpfen sie – gut bezahlt – an Stelle ihrer größeren Nachbarstaaten. Einer dieser Condottieri ist Federico da Montefeltro, der sich seit 1444 Herr von Urbino nennen darf. Zur Welt gekommen war er 1422 als „Notlösung“. Seinem Vater Guidantonio war es trotz redlicher Bemühungen nicht gelungen, einen
©IMAGESELECT/ALAMY/SUZANNE BOSMAN
Stammhalter zu zeugen. Um die Blutlinie der Montefeltros zu erhalten zeugte er ein uneheliches Kind und tauft es Federico. Böse Zungen behaupten, er sei eigentlich Guidantonios Enkel, also das Kind von Guidantonios Tochter Aura und deren Mann, einem hohen Militär. Als Federico fünf Jahre alt ist, wird alles anders: Sein Vater bekommt völlig unerwartet doch noch einen ehelichen Sohn, Oddantonio. Vom einen Tag auf den anderen mutiert Federico zum „Bastard“ und einer „Schande für die Familie“. Er wird aus dem Palast in Urbino verbannt und verbringt den Rest seiner Jugend in einem kleinen Ort in den Bergen. Es ist eine traumatische Erfahrung, die ihn lehrt, dass er nur einer einzigen Person trauen kann – sich selbst. Seine Vorbilder trifft er in der Stadt Mantua, wo er als Jugendlicher Unterricht erhält in >
klassischen Sprachen, Mathematik und Rhetorik, aber vor allem in der für ein Mitglied der Familie Montefeltro so wichtigen Kunst der Kriegsführung. Federico liest von legendären Feldherren wie Alexander dem Großen, Julius Cäsar und Kaiser Augustus. Allesamt brillante Strategen, aber auch Musterbeispiele von Weisheit und Kultur. Was für ein Unterschied zu den Malatestas, den Herren des nahe gelegenen Rimini, die als grobe Haudegen ihre Untertanen terrorisieren. Federico träumt davon, der „Augustus“ von Urbino zu werden, ein Fels der Kultur und Weisheit in der aufgewühlten Brandung Italiens. Sein Reich soll dieselbe Grandezza erreichen wie Venedig, wo der junge Federico staunend die prächtigen Palazzi bewundert, die die adeligen Familien am Canal Grande erbauen.
Furcht einflößen
Als der alte Guidantonio seinen letzten Atemzug aushaucht, übernimmt dessen Sohn Oddantonio das herzögliche Szepter in Urbino. Es wird ein jämmerliches Schauspiel. Oddantonio interessiert sich kaum für die Kriegsführung und überlässt die militärischen Condotte meistens seinem Halbbruder Federico. Oddantonio ist mit einer überaktiven Libido behaftet und zwingt eine hübsche Dame nach der anderen in seine adelige Bettstatt. Um seine ausufernden, oft tagelangen Feste zu finanzieren, erhöht er immer wieder die Steuern. Nach anderthalb Jahren platzt den Bürgern der Kragen, eine Gruppe Verschwörer wirft Oddantonio des nachts aus dem Fenster des Palastes und beendet so die Herrschaft des feiernden Herzogs in einer Blutlache auf der Piazza. Federico, der meistens auf einem Feldzug ist, befindet sich zu diesem Zeitpunkt „rein zufällig“ mit seinem Söldnerheer aus Hunderten schwer bewaffneten Reitern ganz in der Nähe der Stadtmauern von Urbino. Als Spross des MontefeltroClans bietet er sich an, die Macht zu übernehmen und Ordnung und Wohlfahrt zu garantieren. Die Bürger sind einverstanden, nachdem Federico feierlich versprochen hat, die Steuern zu senken. Diese Abgaben braucht Federico auch gar nicht, denn als erfolgreicher Condottiere hat er Geld wie Heu. Italienische Städte wie Mailand, Venedig und Florenz heuern ihn mit seinem Söldnerheer an, um an ihrer Stelle Konflikte auszufechten. Sie wissen, Federico ist zuverlässig, selbst wenn der Gegner ihm mehr Geld bietet. Federico ist äußerst effizient, er würde seine Männer – im Gegensatz zu anderen Feldherren – nie wie wild gewordene Stiere zum Angriff stürmen lassen. Federico glaubt an die psychologische Kriegsführung, frei nach dem Motto „Lieber ein Fuchs als ein Löwe“. Er schüchtert seine Gegner mit schlauen Manövern ein. Als einer der ersten setzt er auch Kanonen ein. Die sind zwar gefährlich und bleischwer (Wegen der Explosionsanfälligkeit sind sie vor allem für die Kanoniere riskant.), aber ihre Flammen und das ohrenbetäubende Donnern flößt dem Feind Furcht ein. Oft ergeben sich eingeschüchterte Städte kampflos, auch weil sie wissen, dass Federico sie fair behandeln wird und seine Truppen nicht plündern, brandschatzen, vergewaltigen und morden. Das Licht Italiens
Federico versteht, dass sein Ruf als erfolgreicher, aber vor allem gerechter Feldherr mehr Wert ist als die mächtigste Kanone. Doch diesen Ruf gilt es unaufhörlich zu schützen. Zum Beispiel, als Federico offenbar eine unsaubere Rolle spielt bei einem vom Papst inszenierten Mordanschlag auf Lorenzo de‘ Medici (der Prächtige), den Herrscher von Florenz. Oder als Federicos Truppen Volterra plündern und zerstören, trotz aller frommen Versprechen, dass das im Falle einer kampflosen Kapitulation der Stadt nicht geschehen würde. In solchen Fällen greift Federico zu „PR“. Er lädt Dichter, Schriftsteller und Denker an seinen Hof, wo sie äußerst ehrenvoll behandelt werden. Das wirkt. In Lobgedichten und Chroniken wird Federico hochgejubelt als „der gute Herzog“, der sich von christlichen Werten, Mut und Bescheidenheit führen lässt. Selbst vier Jahrzehnte nach seinem Tod nennt ihn Baldassare Castiglione, Autor eines berühmten Buches über die Fürstenhöfe Italiens in der Renaissance, noch bewundernd „das Licht Italiens“. Neben der beflissenen Pflege seiner Reputation kümmert sich Federico vor allem um die Fortsetzung seiner Dynastie. Seine erste Frau, Gentile Brancaleoni, ist unfruchtbar. Zudem schwillt ihr Körper immer mehr an (vermutlich ein Ödem aufgrund von >
©IMAGESELECT/ALAMY/PETER HORREE Porträt von Federico da Montefeltro, neben ihm sein einziger Sohn, Thronfolger Guidobaldo. Gemälde von Joos van Wassenhove oder Pedro Berruguete, um 1475.
©IMAGESELECT/REALYEASYSTAR/ALAMY/CLAUDIO PAGLIARANI Jedes Jahr erinnern die Festa del Duca an die glorreichen Zeiten unter Federico da Montefeltro.
TIPPS
600 Jahre Federico
2022 ist es 600 Jahre her, dass Federico da Montefeltro das Licht der Welt erblickte. Darum erinnert sein Geburtsort Gubbio an das umfangreiche Vermächtnis des Herzogs auf dem Gebiet der Kriegführung, Kunst und Wissenschaft. Anfang Juni 2022 (Federico wurde am 7. Juni 1422 geboren) eröffnen drei Ausstellungen im Palazzo Ducale (Via Cattedrale), dem Palazzo die Consoli (Piazza Grande) und im Museo Diocesano (Via Federico da Montefeltro). Auch ein Besuch in Urbino lohnt sich, um Federicos prächtigsten Palast zu bewundern, den Palazzo Ducale an der Piazza Rinascimento. Herz oder Lymphschwäche), was seine Bemühungen um Nachkommen zusätzlich behindert. Federico zeugt, genau wie sein (vermeintlicher) Vater, eine „Not lösung“, doch der uneheliche Sohn stirbt während einer Pestepidemie. Mit 38 Jahren heiratet er zum zweiten Mal: Battista Sforza, eine Nichte des Herzogs von Mailand. Sie ist zu diesem Zeitpunkt erst 14, aber sehr gebildet. Battista liest Griechisch und Latein, empfängt Gäste mit stilvollen Reden und führt für ihren Gatten die Staatsgeschäfte, wenn er im Feldzug ist. Federico liebt sie. Mit 15 gebärt sie ihr erstes Kind, eine Tochter. In den folgenden Jahren wiederholt sich die Szene bis sie neun Töchter auf die Welt gebracht hat (von denen drei kurz nach der Geburt sterben). Erst 1472 kommt der lang ersehnte Sohn zur Welt, der Retter der Dynastie: Guidobaldo, ein schwächlicher Junge. Ein halbes Jahr später stirbt Battista mit 26 Jahren. Ihr fragiler, von zehn Schwangerschaften ausgezehrter Leib unterliegt im Kampf gegen eine Lungenentzündung. Federico ist tief traurig. Er beschließt, nicht wieder zu heiraten und steckt all seine Energie in seinen Traum. Das Herzogtum soll ein Musterbeispiel für Kunst und Kultur werden, so wie Kaiser Augustus einst das antike Rom veränderte. Mit seinem auf den Feldzügen angehäuftem Reichtum lockt Federico die größten Künstler seiner Zeit an den Hof von Urbino. Maler, Bildhauer und Architekten, aber auch Schriftsteller, Dichter und Musiker. Er initiiert Dutzende Bauvorhaben von Palästen und Kirchen bis zu Brunnen und Burgen. Nicht nur in Urbino, sondern auch in Gubbio und anderen Städtchen des Herzogtums. Sein Flaggschiff ist sein prächtiger Palazzo Ducale in Urbino, den Castiglione wegen seiner ausgewogenen Formen als Blaupause für die „ideale Stadt“ preist. Indem er einen Teil des Palastes für die Bürger öffnet, zeigt Federico sich als wahrer „Vater des Vaterlandes“, der an seine Untertanen denkt.
Malaria
Das intellektuelle und musikalische Leben am Hof ist von höchstem Niveau, was auch der Tausende Werke zählenden Bibliothek zu verdanken ist. Aber dem Hof fehlt es an Aus gelassenheit. Während der bescheidenen Mahlzeiten wird häufiger Fruchtsaft getrunken als Wein und es wird auf Hygiene geachtet, was im Europa des 15. Jh. sehr außergewöhnlich ist. Jeder an Federicos Tisch soll seine Hände waschen, Bedienstete müssen deren Fingernägel reinigen, dürfen sich nicht in der Öffentlichkeit kratzen und sollen sich gründlich waschen. Die erbärmlichen hygienischen Zustände auf den Feldzügen müssen Federico ein Gräuel gewesen sein. Der Gestank nach Schweiß und Urin der Soldaten, die tagelang mit einem schweren Harnisch in der Hitze reiten, muss übel gewesen sein. Während eines Feldzuges im Sommer 1482 quer durch die Sümpfe bei Ferrara, wird der 60jährige Federico von heftigem Fieber niedergestreckt. Er stirbt nur wenige Tage später. Was ungezählte Feldzüge nicht schafften, gelang einer winzig kleinen Malaria mücke: Das „Licht Italiens“zu erlöschen. •
©SHUTTERSTOCK/LORENZACCIUSS Der Antikmarkt auf der Piazza Grande.