Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Wien die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas. Sie spielte in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft eine wichtige Rolle. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum widmet sich dem jüdischen Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg.
Der Rest ist Österreich TEXT VON MARIE-THERES STREMNITZER DAS KULTURELLE und Intellektuelle der Donaumonarchie hatte in Wien sein Zentrum. Aus allen Teilen des Habsburgerreiches trafen hier Menschen und Meinungen, Visionen und Sehnsüchte aufeinander. Eine explosive Mischung braute sich zusammen, wie in vielen anderen Teilen Europas auch. Sie entzündete sich 1914 an einem Einzelereignis und löste einen Flächenbrand aus, der heute als Zeitenwende von global-historischer Bedeutung und als der eigentliche Beginn der Moderne gilt. Anhänger aller neuen Ideen und Strömungen verfolgten ihre Ziele im festen Glauben an die eigene Sache. Daraus lässt sich nicht zuletzt auch die Kriegsbegeisterung erklären, die so viele, selbst Intellektuelle und Künstler, erfasste. „Judenkaiser“
Auch etwa 300.000 jüdische Soldaten aus allen Teilen der Monarchie zogen voller Euphorie und Patriotismus für Kaiser und Vaterland in den Ersten Weltkrieg. Sie waren bestrebt, ihr Österreichertum, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu einer Heimat unter Beweis zu stellen, deren Übernationalität nur in der Habsburger-Monarchie gelebt werden konnte. Franz Josephs Gerechtigkeit und religiöse Umsicht garantierte ihnen Rechtssicherheit im rundum aufkeimenden Antisemitismus. In der k. u. k. Armee war dieser, dem Beispiel Franz Josephs folgend, verpönt, weshalb viele Juden als treue Diener der Krone an die Front gingen und in der kaiserlichen Armee Karriere mach2014 juni
ten. Prominente Soldaten wie Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Hugo Meisl oder Oskar Kokoschka legten Zeugnis ab über die Gräuel ihrer Kriegserlebnisse. Europas Landkarte neu gezeichnet
Bei der Neuordnung Europas erlebte Österreich den heftigsten Bruch seiner Identität. „Der Rest ist Österreich“, erklärte der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau auf der Friedenskonferenz in St. Germain, nachdem das Habsburgerreich aufgeteilt worden war. Desillusioniert stellte auch die jüdische Jugend den Sinn der Assimilation in Frage und wandte sich in Folge dem Zionismus zu. Die Ausstellung „Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg“ spannt den Bogen der Ereignisse vom Besuch Kaiser Franz Josephs in Jerusalem 1869 bis zur Gründung des Staates Israel 1948. Künstler, Frauen, Soldaten, Politiker, Rabbiner, Revolutionäre und Pazifisten kommen zu Wort und machen so die gewaltigen Umbrüche dieser Zeit nachvollziehbar. /// Bis 14. September 2014 Jüdisches Museum Wien 1., Dorotheergasse 11. So – Fr 10 – 18 Uhr.
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Veranstaltungstipps: „Die Matrosen von Cattaro“ nach dem Drama von Friedrich Wolf. Filmvorführung, 5. Juni, 19 Uhr. Lesung Julya Rabinowich, 12. Juni, 19 Uhr „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque. 16. Juni, 19 Uhr Im Jüdischen Museum Wien, Eintritt frei.
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