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Einsam auf dem Herzogstand

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Es weihnachtet

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EINSAMKEIT IST EIN SELTENES GEFÜHL

Zwischen Jochberg und Herzogstand (1.731 m) hat der Isargletscher ein großes Tor geschliffen. Zur gleichen Zeit als Kolumbus Amerika neu entdeckte, wurde durch dieses Tor die Kesselbergstraße gebaut: Das von Intellektuellen, Künstlern und Musikern geliebte Uferörtchen des Walchensees und der Ort Kochel am gleichnamigen See stehen seither durch diese Straße in Verbindung. Von ihrem höchsten Punkt aus führt der „Königliche Reitweg“ zum Herzogstand hinauf

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TEXT SANDRA FREUDENBERG FOTOS STEFAN ROSENBOOM

Das Haupt des Jochbergs zeigt sich gekrönt von einer Schneefahne. Nachtwasserblau legt sich samten die Winternacht über König Ludwigs einstigen Pavillon auf dem Herzogstand

er Spätwinter schickt noch einmal Schnee und Sturm über die Bayerischen Alpen, als wir uns – sehr spät für eine Bergtour – am Mittag am Einstieg zum Reitweg für die Besteigung des Herzogstands treffen. Dieser wird gerne als „Münchner Hausberg“ bezeichnet, was nichts anderes als „überlaufen und unromantisch“ besagt. Wir werden das Gegenteil erleben in dieser winterlichen Vollmondnacht auf einem der von König Ludwig II. so geliebten Berggipfel.

Von Freundschaft und Liebe Der Reitweg, so bequem er angelegt ist, muss dennoch der Nachtmahr eines jeden Pferdes gewesen sein: Sieben Kilometer bergauf und knapp 900 Höhenmeter sind für ein Reittier viel. Als junger Mann unternahm Ludwig gemeinsam mit seinen Reitknechten ausgedehnte Ritte, weit durchs Gebirge. Die Männer reisten dabei inkognito, übernachteten in einfachen Gasthöfen und sogar gemeinsam in einem Zimmer. Im Oktober 1865 war der König zwei Wochen lang in Begleitung von Reitknecht Joseph Völk unterwegs. Eine tiefe Männerfreundschaft hatte sich zwischen den beiden entwickelt. So konnte sich Ludwig an seinem 20. Geburtstag gleich an zwei innigen Freundschaften erfreuen. „Nachmittags mein lieber Völk bei mir, traute Augenblicke“, so lautet sein Tagebucheintrag. Und am selben Tag hatte Paul Maximilian Lamoral Prinz von Thurn und Taxis sich für Ludwig als Lohengrin verkleidet und, auf einem künstlichen Schwan stehend, sich über den Alpsee bei Hohenschwangau ziehen lassen. Dabei sang er Ausschnitte aus der gleichnamigen Oper, die er mit Richard Wagner eingeübt hatte. Ein Orchester, versteckt hinter Bäumen, begleitete ihn dabei. Die umliegenden Berge wurden mit bengalischen Feuern illuminiert. Diese Zeit vor dem Krieg 1866 muss unbeschwert romantisch für den bildschönen König gewesen sein, eine Ode an die Freundschaft, ein Hoch auf das Leben.

Paul und Ludwig – das war zweifelsfrei eine Liebesgeschichte. 1866 wirft Ludwig ihn jedoch in hohem Bogen aus seinem Hofstaat und versetzt ihn ins Regiment seiner Mutter. Paul hatte eine Liaison mit

einer jungen bürgerlichen Sängerin begonnen. Die Geschichte endet böse: Paul wird dem Adelsstand enthoben, arbeitet als Schauspieler und stirbt verarmt mit 35 Jahren an Tuberkulose.

Bergwald und Bergwild Prachtvolle Ahornbäume, uralte Buchen und Weißtannen säumen unseren Weg. Als sich der Wald zum ersten Mal öffnet und das erste Hochtal sich zeigt, sehen wir von rechts kommend den Pionierweg, der auf den Reitweg stößt – ein schmaler Pfad, der sich zwischen Wald und Wiese mal rechts, mal links windet. Ich mag Pfade, am liebsten jene, die von Wildtieren schmal und unscheinbar angelegt wurden, an die sich Jäger zur Pirsch niederlassen, um den Tieren auf dem Weg zu Wasser und Nahrung aufzulauern.

König Ludwig II. übernahm einen großen Teil seiner Hütten vom jagdversessenen Vater, König Max II. Der hatte die Hütten als Jagdunterkünfte anlegen lassen. König Ludwig untersagte jedoch sofort nach dem Tod des Vaters die Jagd in den Revieren um seine Hütten; solange er dort weilte, wollte er kein Wild in seiner Nähe getötet wissen.

In vielen Windungen, eindeutig mit mehr Mühe als gewöhnlich angelegt, zieht der Weg höher und gibt den Blick auf die weißen Kalkwände des Herzogstandmassivs frei. Wären da nicht die über uns hinwegfegenden Schneewolken, wir würden eine prachtvolle Aussicht genießen: über das Latschengrün hinunter zum lichtblauen Walchensee, auf die Hauptstadt der Bayern in der Ferne, auf den Ortler und das Ötztaler Eismeer. Dort der Starnberger See, dann der Ammersee und darüber auch noch der heilige Berg, Andechs. Auch Riegsee und Staffelsee kämen zum Vorschein – ein prachtvoller Ausblick auf das, was einst ein Königreich war. Wo sich Ludwig als „König vor Gottes

„Dort oben auf freier Bergeshöhe ist die Seele dem Schöpfer näher, schöner und erhabener ist es da als im Qualm der Städte, wo die wahren Freuden ihren Sitz nicht haben.“

(König Ludwig II. 1868 in einem Brief an seine Erzieherin Sybilla von Leonrod)

Gnaden“ als Verbindung zwischen Himmel und Erde sah – als ein Scharnier zwischen Natur und Menschheit. So verstand er sich und seine Aufgabe als König. Heute jedoch könnte man sich auf dem Berg kaum entfernter von anderen Lebewesen fühlen. Das Wild ist längst weit abgestiegen, um in sicheren Mulden auf besseres Wetter zu warten. Der Schneesturm tobt durch die Baumkronen, rüttelt an den steif gefrorenen Ästen und pfeift durch die undichten Stellen meiner Bekleidung. Mir ist kalt, mir ist bang: „Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde“, erinnere ich mich entfernt an die Worte, die Jesus Christus den törichten Jungfrauen einst mahnend zurief.

Irreal und prächtig In diesem Moment des Zauderns und Zögerns reißt die Wolkendecke auf, ein Zauberberg tut sich vor uns auf: Der Jochberg, wild vom Sturm umweht, zeigt sich von einer riesigen Schneefahne gekrönt. Prächtiger und mächtiger habe ich nie einen Berg gesehen! Zu seinen Füßen der silbern schimmernde Walchensee, dessen Ufer sich in Wolken- und Felsspiegelungen

EIN JOSEPH VILSMAIER FILM

HANNAH HERZSPRUNG SEBASTIAN BEZZEL

DEMNÄCHST IM KINO

Der schmale Grat zwischen Herzogstand und Heimgarten trennt Licht vom Schatten an diesem einsamen Abend

schier aufzulösen scheinen. Die Grenze zwischen Irdischem und Himmlischem ist verschwunden, Realität und Fantasie sind verschmolzen. Stefan, im Schneegestöber, versucht den Moment festzuhalten. Er steht da mit seiner Kamera und ist selig.

Durch die dichten Latschenkiefern zieht der schmale Weg an der Hangflanke hinauf, der Schnee ist tief, und wir kämpfen bei jedem Schritt. Nach 40 Minuten erreichen wir den Aussichtspavillon auf dem Gipfel des Herzogstands. Schnell packen wir uns in unsere Daunenjacken, teilen fast andächtig Tee und Käse. Der kleine achteckige Bau hat eine offene Tür, zu der der Sturm Schnee hineinweht. Mir ist klar, dass meine Ausrüstung für eine kalte Nacht hier oben nicht ausreichen wird. Beklommen beschließe ich, allein zurückzugehen, und dies möglichst schnell, denn in etwa zwei Stunden wird es dunkel. Stefan bleibt.

Einsam auf Münchens Hausberg Bereits nach wenigen Schritten rutsche ich, weil ich die Grödel nicht angelegt habe. Ich bin gewarnt und möchte so schnell wie möglich und so sicher wie möglich weiter. Stefan, allein oben im Schneesturm, er fehlt mir. Dass ich ihn so bald schon vermissen würde. Vermissen, das ist ein ganz seltenes Gefühl geworden, weil wir meinen, auf digitale Weise immer in Verbindung zu sein.

Ich passiere das Herzogstandhaus, steige schnell tiefer und blicke nach oben: Etwas blinkt. Ist das ein Signal? Ja, das ist ein Signal, ein Leuchtsignal: Stefan, oben auf dem Gipfel wie ein Leuchtturmwärter, sendet mir einen Gruß aus Licht! Noch ein Signal und noch eines – morst er? Ich will antworten, aber weiß nicht wie. Schließlich jodle ich ihm zu – meine Güte, ich jodle – und lache. Die Dämmerung fängt mich ein, und ich gehe noch langsamer und mit noch mehr Bedacht.

Die Herzogstandhütte und der König der Berge Ludwig war vom Herzogstand sehr angetan und ließ sich neben der Jagdhütte des Vaters sein Königshäuschen mit einer Aussichtsplattform errichten. Den Auftrag übernahm Paul Schwarzenberger, Zimmermeister aus Lenggries. Sein Ururenkel ist heute ein bedeutender Architekt, der in Vorderriß die Restaurierung des Königshauses vornahm; dessen Sohn hat den Anbau der Soiernhäuser übernommen.

Zum ersten Mal übernachtete Ludwig 1867 auf dem Herzogstand, den er bis 1885 alljährlich besuchte. Immer zwischen dem 24. Juni und 3. Juli war er dort, egal bei welchem Wetter. Das Hauptgebäude bestand aus dem Königszimmer, sehr schmuck mit Kassettendecke, und acht weiteren Zimmern. Auf den umliegenden Gipfeln, dem Herzogstand, dem Fahrenberg (1.877 m) und dem Martinskopf (1.882 m), ließ er kleine Belvederes zum Lesen, Verweilen und Speisen errichten. Damit das Essen auch warm auf den Tisch kam, wurde neben einem dieser Pavillons auf dem Martinskopf sogar eine Kochhütte gebaut.

Nach dem Tod des Königs wurden die Herzogstandhäuser, also die königliche Hütte, Jägerhaus mit Stallungen, Remise, Pavillons auf dem Herzogstand und auf dem Fahrenberg, an die Alpenvereinssektion München verpachtet. 1895 schlug der Blitz in die Telefonleitung ein, und das Jagdhaus von Max II. brannte ab. Der Deutsche Alpenverein (DAV) baute es wieder auf und ergänzte das Königshaus um weitere Schlafgelegenheiten. Die Gäste bestürmten den Berg. Der DAV verkaufte schließlich die Häuser, der Grund ist nicht bekannt. 1990 erfassten zwei große Feuersbrünste die Gebäude auf dem Fahrenberg; die Feuerwehr von Walchensee beschreibt es so:

Nach mehreren Bränden wurden die ehemaligen königlichen Häuser erneuert

„Am 06. Januar 1990 löste der Abwurf eines brennenden Feuerwerkskörpers durch einen 16-jährigen Fahrgast aus der damals noch bestehenden Herzogstand-Sesselbahn einen nur schwierig zu bekämpfenden Flächenbrand aus. Begünstigt durch die damals herrschende Trockenheit und eine fehlende Schneedecke breitete sich das Feuer in rasender Geschwindigkeit über den ganzen Fahrenberg aus. Rund 200 Einsatzkräfte stellten sich am Berghang dem vom Aufwind immer wieder neu angefachten Feuer. Sie erhielten Unterstützung von Bundeswehrhubschraubern aus der Luft gegen die übermächtigen Flammen, die aus Glutnestern immer wieder aufflammten. In der Nacht zum 08. Januar kam nach ununterbrochenem zweitägigem Einsatz ein Wetterumschwung der Mannschaft zu Hilfe. In wenigen Stunden fiel rund ein dreiviertel Meter Schnee, der mithalf, den überdimensionalen Flächenbrand schließlich zum Großteil einzudämmen. Aber selbst nach 14 Tagen waren die Feuerwehrler noch damit beschäftigt, immer wieder auflodernde Glutnester unter den Wurzelstöcken der Bäume zu bekämpfen. Noch heute machen sich im Waldbestand am Fahrenberg Spätfolgen dieser Brandkatastrophe bemerkbar.“ (Webseite der Freiwilligen Feuerwehr Walchensee)

Im Herbst des gleichen Jahres folgte dann der Brand der übrigen Herzogstandhäuser. Nachdem die Ausbreitung des Feuers wegen der abseitigen Lage lange unbemerkt blieb, hatten die Einsatzkräfte der Feuerwehr bei ihrem Eintreffen keine Chance mehr, den Brand einzudämmen. Die Häuser brannten bis auf die Grundmauern nieder. Die Neuerrichtung des heutigen Herzogstandhauses ist dem Altbürgermeister von Walchensee, Siegfried Zauner, zu verdanken. Der letzte verbliebene Pavillon auf dem Herzogstandgipfel wird vom Forstbetrieb Bad Tölz gepflegt. ZUM NACHWANDERN Der im Text beschriebene Weg ist der ehemalige Reitweg des Königs, der Klassiker unter den Routen. Das bedeutet: Hier ist man selten allein unterwegs! Der Weg führt von der Kesselbergstraße/Passhöhe (859 m) zum Gipfel (1.731 m), die Gehzeit beträgt etwa 2,5 Stunden einfach. Eine Variante ist der Pionierweg, der ab Schlehdorf auf 18,7 km Länge auf den Herzogstand führt. Dabei sind 1.264 Höhenmeter zu überwinden. Im Winter ist eine Gehzeit von etwa 6,5 Stunden einzuplanen. Tipp: Wer zum Beispiel am Wochenende der Betriebsamkeit auf dem Herzogstand ausweichen möchte, wandert über die Pfundalm auf den Hirschhörnlkopf (1.513 m). Der Gipfel liegt noch hinter dem Jochberg, bietet aber eine großartige Aussicht auf den Herzogstand und das Fünfseenland. Die Tour beginnt in Jachenau, am Parkplatz bei der Kirche hinter dem Gasthof Schützenhaus; Gehzeit ca. 2 bis 2,5 Stunden, 750 Höhenmeter. Nach weniger als zwei Stunden erreicht man das sonnige Plateau der Pfundalm. Über den breiten Grasrücken führt der Weg zum Gipfel des Hirschhörnlkopfs. Von dort hat man den besten Blick auf die königlichen Berge und den Herzogstand, auf die runden Stubaier Buckel sowie das Wettersteingebirge mit der Zugspitze. Auch ein Zipfel des Kochelsees, Staffel- und Riegsee sind zu sehen. Selbst der Ammersee, der Starnberger See und München sind zu erkennen.

Sandra Freudenberg ist über mehr als fünf Jahre auf den Spuren von König Ludwig II. gewandert. Sie hat mit Urahnen von Almbauern gesprochen, mit Architekten, Forschern und Liebhabern. In Zusammenarbeit mit dem Fotografen Stefan Rosenboom ist das Buch In den Bergen lebt die Freiheit – Wanderungen auf den Spuren von König Ludwig II. entstanden. Es ist im Knesebeck Verlag erschienen und kostet 30 Euro.

Wir verlosen 2 Exemplare unter verlosung@dahoam-verlag.de, Stichwort „Sandra Freudenberg“ (Einsendeschluss: 7. 12. 20).

… FAST SO SCHÖN WIE URLAUB IN DER TOSKANA

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