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Die mei Dahoam-Kolumne

Freiheit im Kopf

Seit vor zwei Jahren diese vermaledeite Corona-Pandemie begonnen hat, wurde nicht nur gestritten über Maßnahmen, mit denen die Politik die Verbreitung des Virus einzudämmen versuchte, sondern leidenschaftlich auch über Wörter und ihre Bedeutung. „Solidarität“ etwa wurde als Begriff überstrapaziert und bisweilen auch ins Gegenteil verkehrt, weil sich Solidarität im Wortsinn eigentlich nicht einfordern lässt. Und darüber, was wirklich solidarisch gewesen wäre in der Corona-Pandemie, ließe sich wohl länger streiten. Wenn Sie mich fragen, hätte Solidarität in Pandemiezeiten auch bedeuten müssen, Minderheiten nicht aus dem Alltagsleben zu drängen. Die Älteren nicht wegzusperren. Angehörigen die Möglichkeit zu geben, weiterhin würdevoll Abschied zu nehmen. Und Kindern nicht die Maske aufzuzwingen, wenn sie darunter nicht richtig atmen können. Denn obgleich viele Maßnahmen von der Politik als alternativlos beschrieben wurden in den vergangenen zwei Jahren, zeigt ein Blick in andere Länder doch, dass es sehr wohl Alternativen gegeben hätte. „Die eigene Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“, war in den vergangenen zwei Jahren häufi ger zu lesen, wenn es darum ging, den Einschränkungen einen, sagen wir, moralischen Unterbau zu verschaff en. Dabei ließe sich diese Geschichte auch andersherum erzählen. Nämlich so, dass auch die Freiheit der Impfbefürworter enden müsste, wo die Freiheit der Impfskeptiker beginnt. Oder die Freiheit der vulnerablen Gruppen enden müsste, wo die Freiheit der Kinder beginnt. Spätestens, seitdem sich jeder nach seiner Façon vor Covid-19 schützen kann. Ab Mitte März 2022 sind, vorerst jedenfalls, einige Maßnahmen gefallen. Ein Öff nungsschritt in die richtige Richtung. Ich befürchte gleichwohl, dass sich viele Menschen schwertun werden, auch gedanklich den Schritt herauszuwagen aus der Unfreiheit. Manche, weil sie inzwischen ihre Mitmenschen nicht mehr als potenziell gesund, sondern als potenziell ansteckend betrachten. Andere, weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt, durch das Einhalten von Regeln einen Beitrag zu leisten. Und wieder andere, weil sie sich im Frühjahr vor dem Herbst fürchten, obwohl niemand sagen kann, was da kommen wird. Auch Karl Lauterbach nicht. Ich glaube jedenfalls, dass viele von uns erst wieder lernen müssen, was Freiheit bedeutet. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es ein großes Privileg ist, in einer freien Gesellschaft zu leben. Und dazu gehört auch das Wissen, dass das Leben immer gefährlich war, auch vor Corona schon, und Freiheit immer auch Risiko bedeutet. Ich habe mich übrigens impfen lassen, um im Sommer 2021 halbwegs sorgenfrei über die Alpen radeln zu können. Einer meiner besten Freunde hat sich nicht impfen lassen und dafür etwa in Kauf genommen, monatelang nicht mit mir ins Wirtshaus zu dürfen. So hat, fi nde ich, jeder auch irgendwie seinen Beitrag geleistet. Jetzt ist es an der Zeit, Freiheit wieder ganz oben auf die Agenda zu setzen. Und die beginnt bekanntlich im Kopf.

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FOTO: SOPHIE WANNINGER

ÜBER DEN AUTOR:

Ben Krischke ist Redakteur beim Politikmagazin Cicero. Er hat Journalistik in München studiert und arbeitete für verschiedene Zeitungen und Magazine. An dieser Stelle schreibt er kün ig regelmäßig über Themen aus Politik und Gesellscha . Der gebürtige Memminger lebt in München.

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