Ausgabe Nr. 45/2013
magazin Kompetenz. Und Gottvertrauen.
Der getriebene Mensch Sehnsucht, Gier und Selbstfindung
Ungestillte Sehnsucht, Träume die sich nicht erfüllen – was dann? Seite
Die Lähmung moderner Männer
6
Verwöhnte Jungs statt Verantwortungsträger?
Therapieentwicklung Seite
22
Boreout – Auch Unterforderung ist Stress
Seite
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Kompetenz. Und Gottvertrauen.
Psychotherapie, Psychiatrie, Psychosomatik. Auf christlicher Basis.
In der de’ignis-Fachklinik behandeln wir psychische und psychosomatische Erkrankungen, z. B. Depressionen, Ängste und Zwänge – sowohl stationär als auch ambulant. Grundsätzlich können die Kosten für eine Behandlung in unserer Klinik von allen Kostenträgern übernommen werden.
Zudem gehören ein Assessement-Center bei depressiven Erkrankungen, PAkT (Psychotherapeutische-Akut-Tagesklinik) und Nachsorge (IRENA, ASP) zu unserem Angebot. Nutzen Sie auch unsere Präventionsangebote, bei denen die gesundheitliche Vorsorge im Mittelpunkt steht. Das Angebot reicht von individuellen Gesundheitswochen bis hin zu Kursen zur Stressbewältigung.
de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik 2 Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen · Telefon 07453 9391- 0 · info@deignis.de
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EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser, ich blicke zum Fenster hinaus. Eine verschneite Landschaft zeigt sich mir. Tage lang hat es geschneit. Es ist kalt, feucht, der Nebel scheint sich nicht verflüchtigen zu wollen, geschweige denn ein Aufbrechen der Wolken ist über Tage gar Wochen sehr rar geworden und die Sonne scheint nicht durchzukommen. Trotz eines faszinierenden Anblicks der schneebedeckten Natur sehnt man sich nach Sonnenstrahlen. Die Sehnsucht nach dem Frühling erwacht in mir. Jeder kennt diese Momente, in denen man Sehnsüchte für etwas hegt. Diese sind oft geprägt von Menschen, Dingen, Verhältnissen, Situationen, Gefühlen und vieles mehr, das man sich wünscht, vermisst, herbeisehnt und liebt. Gerade in Zeiten der Herausforderungen oder wie in diesen Tagen der wirtschaftlichen und politischen Krisen auf dieser Welt, sehnen sich die Menschen entweder nach früheren Tagen, wo die Herausforderungen nicht in dem momentan vorzufindenden Maße bestanden, oder nach einer Zukunft, die Besseres in Aussicht stellt. Wie oft lassen wir uns von Sehnsüchten, Gier und Selbstfindung treiben, ohne dass es uns bewusst ist. Die Sehnsucht des Menschen ist vielfältig. Dennoch enthält wahre Sehnsucht immer auch den Aspekt der Liebe bzw. stellt diese die größte Sehnsucht dar. Durch etwas das oder jemanden den man liebgewonnen hat, ergreift man erst die Fülle der Sehnsucht. Ein Sprichwort sagt „Mit dem Abschied wird die Erinnerung geboren“. So kann man dies aller Voraussicht nach auf die Sehnsucht und die damit verbundene Liebe übertragen. Die Gier jedoch vernachlässigt das Liebgewonnene. Bei der Gier geht es vielmehr darum, etwas nicht
mehr hergeben zu wollen, sondern für sich zu behalten, auf sich selbst zu schauen, andere dabei zu vernachlässigen und ggf. auch geblendet zu sein. Denn Gier nach Erfolg, Selbstverwirklichung, materiellem Wohlstand und nach mehr nimmt keine Rücksicht auf Verluste. Die Gier stellt damit vor allem das Ich in den Vordergrund. Wie es auch heißt „ich, meiner, mir“. Die Gier nach dem „Ich muss es haben!“. Alles andere wäre eine Niederlage, ein Eingestehen der eigenen Unfähigkeit, die Gefahr zurückgeworfen zu werden. Eine gesunde Sehnsucht hingegen nimmt die Position „ich wünsche mir, es zu haben!“ ein. Mit der Sehnsucht ist es wie mit der Vorfreude. Vorfreude ist die schönste Freude. Sehnsucht zeigt die Liebe für etwas, Gier und Selbstfindung die Machtergreifung. Die Realisierung der Sehnsucht nach z. B. dem Frühling verdeutlicht mir erneut, wie wichtig auch der Schnee ist, um unter anderem zu zeigen, was mir der Frühling bedeutet. So wächst meine Hoffnung aus der Sehnsucht nach Sein! In dieser Magazinausgabe beleuchten Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln die unterschiedlichsten Aspekte der Sehnsucht. Angefangen mit dem Umgang mit Sehnsüchten, den Einflüssen darauf sowie den Arten der Sehnsüchte. Darüber hinaus erhalten Sie aktuelle Informationen zur Entwicklung von de’ignis. Wir wünschen Ihnen mit diesem Magazin inspirierende Gedankenanstöße. Im Namen der Herausgeber Claus J. Hartmann
Die Herausgeber:
Claus Jürgen Hartmann Geschäftsführer, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut
Winfried Hahn Geschäftsführender Heimleiter, de’ignis-Wohnheim Vorstandsvorsitzender Christliche Stiftung de’ignis-Polen 3
INHALTSVERZEICHNIS
S. 6
S. 15
Titelthema: Der getriebene Mensch Sehnsucht, Gier und Selbstfindung S. 6 S. 13 S. 15
Prof. Dr. J. Rainer Wallerius
Ungestillte Sehnsucht, Träume die sich nicht erfüllen – was dann? Papst Benedikt XVI./Peter Seewald
Über die Diktatur des Relativismus und die neue Intoleranz Günther Stengel
Gebraucht werden bis ins hohe Alter Maike Prolingheuer
S. 19
Was bewegt Joachim Gauck, welche Gedanken und Ziele verfolgt er? Von der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Pflicht zur Verantwortung Albert Frey
S. 22
Die Lähmung moderner Männer – Verwöhnte Jungs statt Verantwortungsträger? Winfried Hahn
S. 26 4
Gottesbegegnung als Schlüssel zur Selbstfindung Gedanken zur Religionspsychologie C. G. Jungs
IMPRESSUM
Redaktion: Rainer Oberbillig, Winfried Hahn, Claus J. Hartmann Layout, Gestaltung & Druckvorstufe: AD Dipl.-Ing. Rainer Haas Tel. 07 11 48 23 31 · info@artdesign-stuttgart.de
S. 22
S. 43
Irmela Abrell
Sehnsucht nach Versöhnung
S. 30
Opfer- und Täter im Gespräch – ein Bericht aus dem Seehaus Leonberg THERAPIEENTWICKLUNG
S. 34
Prof. Ulrich Giesekus
Boreout – Auch Unterforderung ist Stress Alexander Müller
Essstörungen
S. 38
Anorexie – Bulimie – Essattacken bei anderen psychischen Störungen – Adipositas per magna
Herausgeber: de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23 72227 Egenhausen Telefon: 07453 9391-0 Telefax: 07453 9391-193 E-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 62 168 002 · BLZ 642 618 53 de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575 92507-0 Telefax: 07575 92507-30 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pfullendorf-Meßkirch Konto 105 338 · BLZ 690 516 20 de’ignis-Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Markgrafenweg 17 72213 Altensteig Telefon: 07453 9494-0 Telefax: 07453 9494-396 E-Mail: institut@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 66 624 002 · BLZ 642 618 53
Entstehen von Burnout, Depression und anderen Stresserkrankungen – im Gespräch mit Frank, einem Betroffenen DE’IGNIS AKTUELL
Alle de’ignis Einrichtungen sind gemeinnützig und arbeiten überkonfessionell. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch gerne ausgestellt.
Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen
Titelbild: Timm Hartmann
Die Ohnmacht der Getriebenen
S. 50
Auflage 16.000
Christliche Stiftung de’ignis-Polen Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575 92507-0 Telefax: 07575 92507-30 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pforzheim Konto 7 26 05 12 · BLZ 666 500 85
Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig
S. 43
Druck: Gedruckt auf LuxoArt Samt New von Henkel GmbH Druckerei, Stuttgart
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TITELTHEMA
Ungestillte Sehnsucht, Träume die sich nicht erfüllen – was dann? VON PROFESSOR DR . RAINER J. WALLERIUS
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Die Stoa: Lebenshilfe aus der Philosophie? Die Stoa, um etwa 300 v. C. in Athen von Zenon von Kition begründet, verstand sich in der antiken Philosophie als eine Art Ratgeberin für praktische Lebenskunst, die zeigen wollte, wie der Mensch dauerhaft glücklich werden kann und was er tun muss, um sich das zu bewahren. Das Glück, so sagte die Stoa, wäre ja eigentlich dann
foto: thinkstockphotos.de/jupiterimages
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ürde man den Ratschlägen der Philosophie der Stoa folgen, so wäre es, vereinfacht gesagt, am besten, man würde von vorneherein auf Sehnsüchte und Träume verzichten. Denn oft genug beziehen sich diese ja auf etwas, was man aus eigener Kraft gar nicht erreichen kann. Und das würde dann fast automatisch dazu führen, dass man unglücklich ist.
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
gegeben, wenn man alles erreicht hat, was man will und alles vermieden, was man nicht will. Nur – und da hatte sie schon früh eine richtige Erkenntnis – geht das meistens nicht. Erreicht der Mensch die Ziele seiner Sehnsüchte und Träume, seines Begehrens, nicht, dann ist er unglücklich und glaubt, gescheitert zu sein. Also am besten seine Einstellung ändern, sagt die Stoa: um alles zu können oder zu erreichen, was wir wollen, müssen wir nur das wollen, was wir auch (erreichen) können. Alles andere bringt nur Leid und Unglück. Nur das also sollte uns wichtig sein und als Ziel dienen, was wir auch erreichen können, was sozusagen in unserer Macht steht. Die stoische Philosophie erlebte in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten eine zweite Blüte, hat ihren Einfluss auf das Denken aber bis heute nicht verloren. Besonders zwei Stoiker aus dem ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. sind zu nennen, die Herren Epiktet und Seneca, die auch heute mit ihren Maximen noch oft zitiert werden. Der römische Kaiser Marc Aurel war ebenfalls ein Vertreter dieser Philosophie; seine Gedanken dazu schrieb er in seinen berühmten „Selbstbetrachtungen“ für die Nachwelt auf. Reichtum etwa, aber auch Gesundheit oder Familienglück seien Dinge, über die wir nicht aus eigener Kraft gebieten können, deshalb sei es falsch, sich danach in Sehnsucht zu verzehren; umgekehrt sei es genauso falsch, Dinge um jeden Preis vermeiden oder fürchten zu wollen, wie Armut, Krankheit oder Schmerz. Denn, ganz gleich, ob wir etwas herbeisehnen oder vermeiden wollen, es geschieht oder es geschieht nicht, ob wir es nun wünschen oder fürchten. Nun ist es durchaus logisch, Sehnsüchte nach etwas, was wir mit Sicherheit nicht erlangen können, gar nicht erst entstehen zu lassen. Aber woher wissen wir, ob es wirklich so ist, dass wir ein Wolkenkuckucksheim anstreben; vielleicht führt unser Sehnen ja doch zu dem erwünschten Ziel, wer will das schon wissen? Im Prinzip müsste man der Stoa vielleicht Recht geben, aber so radikal, wie sie es dann umsetzt, zumal, wenn sie fordert, sich von all dem zu lösen, was einem bisher als begehrenswert erschien und all die schönen Dinge, die
Zenon von Kition, Begründer der Stoa (Foto: wikimedia/shakko)
um me und un Sehnsüchte bbeflügeln, ef unsere Träume als unwichtig en, ja alles Äußere als gleichgültig gl zu betrachten, zu sehen – wide geht denn das überhaupt? Oder widerspricht das nicht der klichkeit des Menschen, seinen s Lebenswirklichkeit Grundkonstanten, in denen anzustrebende Ziele eine Rolle spielen, ohne die das Leben nicht nur langweilig wäre, sondern es auch keinen Fortschritt gäbe? Wir würden spontan sagen, das geht nicht; ohne Sehnsüchte würden wir uns keine Ziele setzen und dementsprechend auch keine erreichen können. Die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft würde stagnieren. Nichts ginge voran. Hätten die Menschen von Anbeginn an auf alle Wünsche verzichtet, würden wir heute vielleicht noch in Fellen herumlaufen. Gut, es muss nicht gleich ein Modell von Dior oder von Prada sein, aber warum sollten wir nicht davon träumen? Sind Sehnsüchte nicht der Motor der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft?
Richtiges und falsches Denken Doch, sagt die Stoa, das geht. Und sie hat dazu ihre eigene Theorie, von der sogar die Psychologie unserer Tage noch profitiert. Epiktet zum Beispiel spricht davon, dass die Dinge als solche, denen unsere Sehnsucht oder Furcht gilt, gar nicht per se schlecht sind und deswegen nicht begehrt oder vermieden werden sollten, sondern etwas, was wir übersetzt „Einbildung“ nennen, sei das Problem. Damit meint er, wenn wir die Meinung („Einbildung“) haben, dieses und jenes sei so wichtig, dass wir es für unser Glück unbedingt haben oder erreichen müssten oder umgekehrt, etwas sei so schlimm, so unerträglich, dass wir es unbedingt vermeiden müssten, weil wir sonst unglücklich würden, erzeugen wir erst Probleme für uns. Mit anderen 7
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Worten: nicht die Dinge selbst sind es, die uns beunruhigen, krank oder unglücklich machen, sondern die Art, wie wir darüber denken, also die Meinung, diese besitzen oder vermeiden zu müssen. Die Dinge selbst sind weder schlecht noch gut, sie sind „gleich gültig“, sozusagen neutral. In Psychologie und Psychotherapie ist vor allem dieser Aspekt angekommen, wobei unter „Dinge“ auch Ereignisse verstanden werden. Pointiert ausgedrückt: Wenn etwas einen unglücklich macht, man depressiv wird, so kann dieses Etwas zwar der äußere Auslöser des Verhaltens, der Stimmung sein, wirklich unglücklich fühlt man sich aber, wenn und weil man meint, dass es ganz schrecklich ist, dass so ist, wie es ist, und dass das eigentlich nicht sein dürfe.
Kognitive Therapie: „Spruchbänder“ und „Tonbänder“ im Hintergrund In der kognitiven Verhaltenstherapie kennt man die sogenannten „Selbstkommentare“, in der Rational-Emotiven Therapie nach Albert Ellis die „irrationalen Ideen“, die wie Spruchbänder oder Tonbänder im Hintergrund hinter jeder Handlung, jedem (unerwünschten) Ereignis laufen und Sätze formulieren, wie „ … ich bin ein schlechter Teamleiter“, „ … ich habe einfach keine Führungsbegabung“, „ … ich bin technisch unbegabt“, oder „ … es darf nicht sein, dass jemand sich so mir gegenüber verhält“, … es ist unerträglich, dass mir dies widerfährt“, „ … dass ich mich so verhalten habe“, „ … dass ich dieses Ziel verfehlt habe“… etc. Diese Selbstkommentare oder irrationalen Ideen, die man für überzeitlich gültig hält, generieren das innere 8
Erleben und die Reaktionen auf das Ereignis. Dabei sind sie in aller Regel nicht von einem selbst „besprochen“, sondern von Eltern, Lehrern oder sonstigen Autoritätspersonen aus der Kindheit. Mit anderen Worten: es sind die (meist fremdverursachten) Bewertungen, die man den Ereignissen für sich gibt, nicht die Ereignisse selbst, die leiden machen – oder anders ausgedrückt: die Art, wie ich über die Dinge denke, die sich ereignet haben, machen aus, ob ich daran leide oder krank werde. Das erinnert schon sehr an die Stoiker Epiktet oder Seneca und ist in der Tat eine Fortentwicklung ihrer Philosophie und die Übertragung auf praktisch-psychologische Fragen unserer Zeit. In der hypnosystemischen Therapie und Beratung wurde dieser Zusammenhang noch weiter erforscht und wird zunehmend praktisch genutzt. Jeder sprachlich formulierte Gedanke löst im Gehirn eine konkrete Vorstellung aus, die sich direkt abbildet. Problemzentrierte Gespräche konstituieren in der Vorstellung negative Szenarien und entsprechende Gefühle. Deshalb werden im Beratungsgespräch zielführende positive Bilder vermittelt, um dem Klienten zu einer lösungsorientierten Haltung zu verhelfen, statt ihn wieder hinein zu hypnotisieren in sein Leid, wenn sich das Gespräch auf sein Problem zentriert. In den computergesteuerten bildgebenden Verfahren, wie sie die Hirnforschung seit mehreren Jahren anwendet, kann man entsprechende Veränderungen im Gehirn sichtbar machen. Positives zeigt sich in einer Stärkung im linken Frontallappen des Gehirns, ein Bereich, den man über dem linken Auge lokalisieren kann, Negatives im rechten Frontallappen, weswegen der von einigen Medizinern auch „Jammerlappen“ genannt wird. Später Beifall für die Stoa, sozusagen.
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
Seine innere Unabhängigkeit bewahren: „vernünftig“ denken? Vertritt die Stoa damit nun ein Konzept der Bedürfnislosigkeit, ähnlich wie die mönchische Tradition der Franziskaner und anderer christlicher Orden? Oder sagt sie etwas Ähnliches wie der Buddhismus mit seiner Annahme, dass das Anhaften an den irdischen Bedürfnissen der Grund für das Leid in der Welt sei und der Mensch davon loskommen müsse?
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Ähnlichkeiten gibt es. Aber der Stoiker muss kein Asket sein, er muss auch nicht arm sein – Seneca etwa war ein schwerreicher Mann –; der Stoiker kann hohe Ämter bekleiden und durchaus intensive Gefühle haben und Genuss erleben. Er will auch nicht durch Verzicht zu mehr Gottesnähe kommen. Und an periodische Wiedergeburten mit fortschreitend weniger Anhaftung von Wiedergeburt zu Wiedergeburt denkt er auch nicht. Der Unterschied besteht für den Stoiker einzig darin, dass er innerlich unabhängig bleibt von all diesen Dingen; er nimmt sie zur Kenntnis, aber hängt sein Herz nicht daran. Das ist sicher sehr „vernünftig“, und die Vernunft ist es auch, die nach der Stoa Grundlage solcher Lebenseinstellung sein soll. Sein Herz an ein Bedürfnis zu hängen, zu meinen, nur dann glücklich sein zu können, wenn man Vorstandsvorsitzender geworden ist, eine Villa am Starnberger See hat, die schönste Frau oder den attraktivsten Mann erobert, einen Rolls Royce in der Garage und zwei Reitpferde im Stall hat, ist in diesem Sinne nicht vernünftig, denn bei Nichterreichen macht es unglücklich. Paul Watzlawick, der große österreichisch-amerikanische Psychologe, erzählte des öfteren Beispiele wie das
folgende: Ein Politiker hatte sich vorgenommen, bis zum dreißigsten Lebensjahr Minister geworden zu sein, spätestens in zwei weiteren Jahren ein Haus am See zu haben und dort mit einer von ihm schon in der Jugend verehrten berühmten Schauspielerin in glücklicher Ehe mit drei Kindern, zwei Töchtern und einem Sohn, zu leben. So plante er zielstrebig sein Leben und seine Karriere. Als er Jahre später einen Therapeuten aufsuchte, war er unglücklich und beklagte, er sei unzufrieden mit sich und der Welt und zweifelte an seiner Person: er sei erfolglos und habe sein Leben nicht gemeistert. Denn er war mit dreißig „erst“ Staatssekretär, besaß drei Jahre später eine Villa in der Stadt und nicht am See, hatte erst ein weiteres Jahr danach eine wundervolle Ehefrau geheiratet, aber eben nicht die berühmte Schauspielerin, und war Vater von nur zwei Söhnen… Er litt tatsächlich und, wie das so ist, verhielt er sich entsprechend, sodass seine Ehe bald einen Knacks bekam und seine Leistungen objektiv zurückgingen. Für Watzlawick ein klassisches Beispiel von selbst gemachtem Unglücklichsein und schließlich „Sich-selbst-erfüllenderProphezeiung“; denn nachdem er sich selbst des Versagens bezichtigt hatte, gingen, wie gesagt, seine Leistungen tatsächlich in den Keller. Der Mensch soll sich nach der stoischen Philosophie also „vernünftig“ verhalten, die richtige Einstellung haben, dass alles Äußere ihm nicht wichtig ist und er sich nicht davon abhängig macht. Von dieser Einstellung, man könnte auch sagen, dieser Gesinnung, nicht von seinen Handlungen, hänge es ab, ob ein Mensch Zufriedenheit im Leben erlangt. Der Mensch beugt sich sozusagen dem, was er nicht vermeiden kann und akzeptiert das, was er er9
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reichen kann, ohne nach mehr zu verlangen. Gelingt ihm das, so lebt er letztlich auch in Einklang mit der Natur: „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es mit sich“, drückt es Seneca aus. Und Epiktet vergleicht das Leben mit einem Gastmahl: „Wenn die Reihe an dir ist“, sagt er sinngemäß‚ „nimm deine Portion, dann reiche die Tafel weiter und gedulde dich, bis die Reihe wieder an dir ist“. Schön und gut. Das ist leichter gesagt als getan, und irgendwie bleibt eine Ungereimtheit. Haben wir nicht auch im Coaching und in der Beratung gelernt, wir müssten unseren Klienten vermitteln, dass sie ein Ziel brauchen, ohne ein solches kämen sie nicht weiter. Und wenn man ein Ziel hat, ist die Gefahr doch groß, das man es mit Herzblut verfolgt und erreichen will, sonst sind die Aussichten, es zu erreichen, gering. Sind wir da nicht unversehens schon in die Falle von Sehnsucht und Begehren getappt, vor der die Stoa uns bewahren will? Und wie ist es mit einer tieferen Begründung dafür, warum uns denn alles „gleich gültig“ sein soll; gibt es kein höheres Ziel, geht es nur darum, seine Tage ohne Aufregung in Gelassenheit zu verbringen?
Transzendenz und Weisheit Vor allem der religiöse Mensch meint hier etwas zu vermissen: Die Stoa scheint auf den ersten Blick keinen Bezug zur Transzendenz zu haben. Dies ist aber nur dem ersten Augenschein nach so. Zumindest bei Seneca ist es anders. Er war kein Christ; aber er spricht von Gott, vom Göttlichen. An seinen Korrespondenz-Partner Lucilius schreibt er: „Es wohnt in uns ein heiliger Geist, der unsere schlechten und guten Eigenschaften beobachtet … . Niemand ist ein wirklich guter Mensch ohne Gott.“ Es scheint Lebenswirklichkeiten zu geben, für die die Stoa nicht durchgängig die adäquaten Lehren bereitstellt. In bestimmten Lebenszusammenhängen ist es durchaus sinnvoll, für sich Ziele zu definieren und mit Engagement auf ihre Realisierung hinzustreben, auch wenn es keine Sicherheit gibt, sie zu erreichen. Wenn es aber dann so gekommen ist, dass man das Ziel nicht erreicht hat, taugt die Stoa wieder, indem sie einem hilft, vom Misserfolg loszulassen, und das vermeintliche Scheitern nicht so hoch aufzuhängen, dass man deswegen unglücklich wird. 10
Diesem erweiterten Verständnis der stoischen Lebensphilosophie ist durchaus zuzustimmen: Einem Menschen, der meint, seinen Lebenstraum verfehlt zu haben, dazu zu verhelfen, sich nicht aufzugeben und zu lernen, seine Wichtigkeiten zu relativieren und grundsätzlich an sich selbst zu glauben, kann rettend sein. Dies wäre für die Stoa ein Akt der Vernunft, einer Vernunft, die Seneca „Teil des göttlichen Geistes, versenkt in den menschlichen Körper“ nennt. Und dies auch, wenn der jeweilige Mensch das Ideal der Stoa noch lange nicht erreicht hat: ein Weiser zu sein. Der Weise ist letztlich das Ziel der stoischen Philosophie. Da liegt im Übrigen das Problem der Stoa: Sie strebt den Weisen als Ideal an, im Grunde aber setzt sie ihn schon voraus. Wir sind aber bestenfalls auf dem Weg dahin. Psychologisch wird der Mensch es kaum vermeiden können, im Verlaufe seines Lebens Gefühle des Scheiterns und des Misserfolgs zu erleben, die ihn in die Nähe der Verzweiflung bringen können, so sehr er sich auch um eine stoische Lebenseinstellung bemüht; er ist eben nur selten schon der Weise, der Seneca am Ende war. (Seneca beugte sich nämlich der Aufforderung Neros, sich selbst aus dem Leben zu nehmen, nachdem dieser ihn bezichtigt hatte, an einer Verschwörung beteiligt zu sein. Seneca beugte sich dem Unvermeidbaren und behielt seine Würde.) Warum soll der Mensch sich nicht aufgeben, warum soll er weiter an sich selbst glauben, wenn er – Stoa hin oder her – doch gerade sein vermeintliches Scheitern erlebt hat? Wie kann er das schaffen; ist es die Plackerei überhaupt wert? Für einen Christen sollte die Frage anders lauten, nicht: „ist es das wert“, sondern „ist er das wert“? Kein Stoiker wird grundsätzlich den Wert des Lebens und auch seinen eigenen infrage stellen, aber er wird empfehlen, sich nicht zu sehr davon abhängig zu machen. So weit, so gut. Aber der Christ hat noch einen anderen Trumpf in der Hand, den Seneca trotz seiner Rede von Gott und dem Göttlichen so nicht hatte: er weiß sich als Mensch von Gott geliebt, auch wenn in seinem Leben noch so viel daneben ging. Seine Beziehung zu Gott ist dadurch bestimmt, dass Christus ihn stellvertretend für alle erlöst hat. Wie ein Kind kann er sich an den Vater wenden, egal, wie oft er gescheitert ist oder wie oft seine Träume enttäuscht wurden, oder die Menschen oder er sich selbst enttäuscht haben. Darin liegt eine höhere Qualität – man könnte sie psychologisch eine Beziehungsqualität nennen – die an-
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
ders Trost spendet, als die Vernunftlehre der Stoa, und die seinen Wert ausmacht. Die Stoa kann dann auch für den Christen eine Hilfe und nicht lediglich eine Spielart antiker Lebensratgeber sein, wenn er sie in Bezug zu dem ihn liebenden Gott setzt. Sie kann seine Fähigkeit zur Resilienz fördern, mit den Enttäuschungen des Lebens so umzugehen, wie es der deutsche Barockphilosoph Friedrich Oetinger in dem berühmten kleinen Gebet ausdrückte: „Gott, gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.“
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„Glücksforschung“: Das Glück wird vermessen Im Unterschied zur Stoa, die sich als Lebenslehre auf philosophischer Grundlage versteht, will die „Glücksforschung“, die in den achtziger Jahren eine enorme Popularität erlangte, als wissenschaftliche Disziplin auf der Basis eines empirischen Wissenschaftsverständnisses die Bedingungen erforschen, unter denen die Menschen „glücklich“ sind oder glücklich werden. Würde ihr dies gelingen, könnte sie umgekehrt auch sagen, wie Unglücklichsein vermieden werden kann. Sie will also messen, unter welchen Bedingungen von Glück gesprochen werden kann, und wie man Glück maximiert. Auch eine solche Disziplin kommt nicht um eine Theorie des Glücks herum, sie muss also erst einmal definieren, was sie unter „Glück“ versteht. Dazu muss sie praktisch alle Wissenschaften einbeziehen,
die sich mit Einstellungen, Verhalten, Befindlichkeiten, biologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen des Lebens, beschäftigen. Im Grunde bleibt keine Forschungsrichtung draußen vor. Auch Ergebnisse der Hirnforschung bindet sie ein. Diese hat dazu tatsächlich einiges zu sagen: So konnte sie zum Beispiel zeigen, dass das Erleben von Glücksgefühlen eng mit dem sogenannten „Belohnungssystem“ im Gehirn verbunden ist.
Großes Glück und Gehirn: Belohnungssystem und „Dopamindusche“ Bei bestimmen Ereignissen belohnt sich das Gehirn sozusagen mit einer Dopamindusche, also einem verstärkten Ausschütten des Botenstoffes Dopamin, und mit weiteren „Endorphinen“, die für solche Gefühle unerlässlich sind. Dies können Erfolgserlebnisse sein – man hat eine Aufgabe gelöst, ein Projekt erfolgreich gemanagt, ein Ziel erreicht, einen Wettbewerb gewonnen, einen Traum verwirklicht – oder äußere Ereignisse, wie ein Lottogewinn, eine unerwartete Begegnung, ein schönes Konzert etc. „Immer, wenn etwas unerwartet Positives geschieht, reagiert unser Gehirn automatisch mit einem Glückserlebnis“, drückt der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer es in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks aus. Das stimmt; nur hat man auch festgestellt, dass das Ereignis, das dazu führt, von Mal zu Mal einen höheren Reiz haben muss, um dieses Gefühlserlebnis zu bewirken. Das hat zur Folge, dass nach und nach Ereignisse mit immer 11
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reicht, steigert die Zufriedenheit dann, wenn es so bemessen ist, dass man sich ab und an etwas Besonderes leisten kann, wie gut essen gehen, eine Reise machen oder ein kulturelles Highlight erleben. Ab einer bestimmten Höhe des Pro-Kopf-Einkommens bewegt sich der Glücks- oder Zufriedenheitsgrad nicht weiter nach oben. Dieser Betrag liegt bei etwa 20.000 Dollar pro Jahr. Danach spielt Geld nicht mehr die große Rolle.
„Weniger ist mehr“
stärkerem Reiz gesucht werden müssen, weil sich sonst der Glücks-Kick nicht mehr einstellt. So etwas kann zur Sucht führen, im Sport ebenso wie im Glücksspiel, aber auch im Aktienhandel. Diese Süchte sind nicht substanzgebunden, wie Alkohol- oder Drogensucht, können aber die gleichen verheerenden Folgen haben, wenn der Kontrollverlust, der hierbei ebenso einrasten kann wie beim Alkoholiker, dazu führt, dass ganze Familien zugrunde gehen, weil das süchtige Familienmitglied sein ganzes Vermögen im Casino oder am Automaten verspielt. Der gleiche Mechanismus ist beim Spekulieren an der Börse am Werk. Unter dieser Rücksicht finden die Finanzkrisen der letzten Jahre eine weit über ökonomische Erklärungsversuche hinausgehende Begründung im menschlichen Verhalten und der Funktionsweise des Gehirns. Wirtschaftswissenschaftler sprechen von der „Hedonistischen Tretmühle“: Wer dieselbe Wirkung nochmals erleben will, muss dafür sorgen, dass die Reize ständig erhöht werden; die erstiegenen Berge müssen höher werden, die beim Laufen gemessene Zeit für die gleiche Strecke kürzer, das Abendkleid immer teurer und das Auto immer PS-stärker – und am Ende wird das Glücksgefühl trotzdem immer schaler. Lottomillionäre wurden einige Jahre nach ihrem Gewinn befragt; sie berichteten, dass sie sich nach der anfänglichen Euphorie immer weniger gut fühlten, am Ende sogar von Furcht zerfressen wurden, mit ihrem Geld nicht richtig umzugehen, es falsch anzulegen, oder es gestohlen zu bekommen – kein eben glückliches Ergebnis ihres „Glücks“. Was die Rolle von Geld für Glück oder Zufriedenheit anbelangt, so kam Stefan Poppelreuter 2007 in einer Studie zu einem überraschenden Ergebnis: ein Einkommen, das über die Sicherung der Existenzgrundlage hinaus12
Man kann über die Glücksforscher lächeln, Spötter nennen sie deshalb auch „Happyologen“, aber Ergebnisse, wie die gerade angeführten, sind durchaus hilfreich. Denn sie weisen deutlich auf die Begrenztheit des Glückes hin und auf die Gefahren, die sich ergeben, wenn man mit seiner ganzen Sehnsucht dem großen Glück nachläuft. „Weniger ist mehr“, lautet eine alte Redensart. Hier schließt sich der Kreis der Überlegungen. Es ist nicht verkehrt, sich von der Stoa einiges abzugucken: Zu viel Herzblut in seine Sehnsüchte nach dem großen Glück zu geben, sei es die Karriere, sei es die Partnerin, der Partner, die Familie, das Aktienpaket, das eigene Haus oder die sportliche Leistung, kann zum Gegenteil von Glück führen. „Du bist nur Gast auf dieser Erde“, sagt die Stoa. Und wenn du etwas verloren hast, meint sie, so sage nie „ich habe es verloren“, sondern „ich habe es zurückgegeben“. Das ist nun wirklich weise.
ÜBER DEN AUTOR Prof. Dr. Rainer Johannes Wallerius, M.A. ist Präsident des Europäischen Netzwerks für Beratung, Psychologie und Therapie. Studium der Psychologie, Theologie, Pädagogik in Saarbrücken und Regensburg. Therapiefortbildung am Institut für Therapieforschung. Langjährige Tätigkeit in der Erwachsenenbildung. Seit 1994 Professor im Psychology department einer US-Fernuniversität. Eigene Praxis für Beratung und Coaching in München und Berlin. Wissenschaftlicher Beirat für die Fortbildung in christlich-integrativer Psychotherapie von de‘ignis und für die Ausbildung zum Personal Coach von xpand.
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
Über die Diktatur des Relativismus und die neue Intoleranz Mit dem Rücktritt Papst Benedikt XVI. hat einer der größten Theologen und Denker dieses Jahrhunderts die öffentliche Bühne verlassen. Mit seinen von tiefem Glauben geprägten und in der Bibel verwurzelten Aussagen erntete er auch im konservativen evangelischen Lager und bei den Freikirchen sehr viel Zustimmung und Wertschätzung. Auch mit seinen kritischen Äußerungen gegenüber dem Zeitgeist machte er Aussagen, die nicht nur Gültigkeit für Katholiken haben. Das nachfolgende Interview mit Peter Seewald ist ein mutiges Beispiel dafür. VON PETER SEEWALD
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Frage: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus“, erklärten Sie in Ihrer Rede zur Eröffnung des Konklaves, „die nichts als endgültig anerkannt und als letzten Maßstab nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.“ Antwort: Deshalb müssen wir den Wagemut haben, zu sagen: „Ja, der Mensch muss nach der Wahrheit ausschauen; er ist wahrheitsfähig. Dass die Wahrheit Kriterien der Verifizierbarkeit und der Falsifizierbarkeit braucht, ist selbstverständlich. Sie muss immer auch mit Toleranz einhergehen. Die Wahrheit zeigt uns dann aber auch jene konstanten Werte auf, die die Menschheit groß gemacht haben. Deshalb muss die Demut, Wahrheit anzuerkennen und maßstäblich werden zu lassen, wieder neu gelernt und eingeübt werden. Dass die Wahrheit nicht durch Gewalt zur Herrschaft gebracht wird, sondern durch ihre eigene Macht, ist der zentrale Inhalt des Johannes-Evangeliums: Jesus bekennt sich vor Pilatus als „Die Wahrheit“ und als den „Zeugen der Wahrheit“. Er verteidigt die Wahrheit nicht durch Legionen, sondern macht sie durch seine Passion sichtbar und setzt sie dadurch auch in Kraft. Frage: In der relativistisch gewordenen Welt hat ein neues Heidentum mehr und mehr die Herrschaft über das Denken und Handeln des Menschen übernommen. Längst wurde dabei deutlich, dass neben der Kirche nicht
nur ein freier Raum, ein Vakuum ist, sondern sich so etwas wie eine Antikirche etabliert hat. Der Papst in Rom sei allein schon deshalb zu verurteilen, schrieb eine deutsche Zeitung, weil er mit seinen Positionen „gegen die Religion verstoßen hat“, die heute „in diesem Land gilt“, nämlich die „Zivilreligion“. Ist da ein neuer Kulturkampf entstanden, wie Marcello Pera analysierte? Der frühere italienische Senatspräsident spricht von einem „groß angelegten Kampf des Laizismus gegen das Christentum“. Antwort: Es breitet sich eine neue Intoleranz aus, das ist ganz offenkundig. Es gibt eingespielte Maßstäbe des Denkens, die allen auferlegt werden sollen. Diese werden dann in der sogenannten negativen Toleranz verkündet. Also etwa, wenn man sagt, der negativen Toleranz wegen darf es kein Kreuz in öffentlichen Gebäuden geben. Im Grunde erleben wir damit die Aufhebung der Toleranz, denn das heißt ja, dass die Religion, dass der christliche Glauben sich nicht mehr sichtbar ausdrücken darf. Wenn man beispielsweise im Namen der Nichtdiskriminierung die katholische Kirche zwingen will, ihre Position zur Homosexualität oder zur Frauenordination zu ändern, dann heißt das, dass sie nicht mehr ihre eigene Identität leben darf, und dass man stattdessen eine abstrakte Negativreligion zu einem tyrannischen Maßstab macht, dem jeder folgen muss. Das ist dann anscheinend die Freiheit – allein schon deshalb, weil es die Befreiung vom Bisherigen ist. 13
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In Wirklichkeit jedoch führt diese Entwicklung mehr und mehr zu einem intoleranten Anspruch einer neuen Religion, die vorgibt, allgemein gültig zu sein, weil sie vernünftig ist, ja, weil sie die Vernunft an sich ist, die alles weiß und deshalb auch den Raum vorgibt, der nun für alle maßgeblich werden soll. Dass im Namen der Toleranz die Toleranz abgeschafft wird, ist eine wirkliche Bedrohung, vor der wir stehen. Die Gefahr ist, dass die Vernunft – die sogenannte westliche Vernunft – behauptet, sie habe nun wirklich das Richtige erkannt, und damit einen Totalitätsanspruch erhebt, der freiheitsfeindlich ist. Ich glaube, diese Gefahr müssen wir sehr nachdrücklich darstellen. Niemand wird gezwungen, Christ zu sein. Aber niemand darf gezwungen werden, die „neue Religion“ als die allein bestimmende und die ganze Menschheit verpflichtende leben zu müssen.
Antwort: Wahr bleibt umso mehr auch die große Kraft des Guten, die durch die Religion entbunden worden ist und über große Namen – Franz von Assisi, Vinzenz von Paul, Mutter Teresa usw. – die ganze Geschichte hindurch gegenwärtig ist und aufleuchtet. Umgekehrt haben die neuen Ideologien zu einer Art von Grausamkeit und Menschenverachtung geführt, die vorher undenkbar war, weil immer noch der Respekt vor dem Ebenbild Gottes da war, während ohne diesen Respekt der Mensch sich selbst als absolut setzt und alles darf – und dann wirklich zum Zerstörer wird.
Frage: Die Aggressivität, mit der diese neue Religion auftritt, beschrieb der „Spiegel“ als „Kreuzzug der Atheisten“. Es ist ein Kreuzzug, der Christentum als „Gotteswahn“ verhöhnt und die Religion als Fluch einordnet, dem auch alle Kriege zuzuschreiben seien. Sie selbst sprachen bereits von einer „subtilen oder auch weniger subtilen Aggression gegen die Kirche“. Auch ohne ein totalitäres Regime herrsche heute ein Druck, so zu denken, wie alle denken. Die Angriffe gegen die Kirche zeigten, „wie dieser Konformismus wirklich eine echte Diktatur sein kann“. Harte Worte.
Antwort: Hier ist erstens die Frage zu stellen: Warum muss er es verbannen? Wenn das Kreuz eine Aussage beinhalten würde, die für andere nicht nachvollziehbar und unzumutbar ist, wäre das schon eher bedenkenswert. Aber das Kreuz beinhaltet, dass Gott selbst ein Leidender ist, dass er uns durch Leiden lieb hat, dass er uns liebt. Das ist eine Aussage, die niemanden angreift. Das ist das eine. Zum anderen gibt es natürlich auch eine kulturelle Identität, auf der unsere Länder beruhen. Eine Identität, die unsere Länder positiv formt und von innen her trägt – und die immer noch die positiven Werte und die Grundform der Gesellschaft bildet, durch die der Egoismus in seine Grenzen gewiesen wird und eine Kultur der Menschlichkeit möglich ist. Ich würde sagen, ein solcher kultureller Selbstausdruck einer Gesellschaft, die davon positiv lebt, kann niemanden, der die Überzeugung nicht teilt, beleidigen, und er darf auch nicht verbannt werden.
Antwort: Aber die Wirklichkeit ist in der Tat so, dass bestimmte Formen des Verhaltens und des Denkens als die allein vernünftigen und daher allein menschengemäß dargestellt werden. Das Christentum sieht sich dann einem Intoleranzdruck ausgesetzt, der es zunächst einmal lächerlich macht – als einem verkehrten, einem falschen Denken zugehörig – und ihm dann im Namen einer scheinbaren Vernünftigkeit den Atemraum wegnehmen will. Es ist sehr wichtig, dass wir uns einer solchen Absolutheitsforderung einer bestimmten Art von „Vernünftigkeit“ widersetzen. Diese ist eben nicht die reine Vernunft selber, sondern die Beschränkung der Vernunft auf das, was man naturwissenschaftlich erkennen kann – und zugleich die Ausgrenzung all dessen, was darüber hinausführt. Natürlich ist es wahr, dass es in der Geschichte auch Kriege der Religion wegen gegeben hat, dass Religion auch zu Gewalt führt … Frage: …Aber weder Napoleon noch Hitler oder die US-Army in Vietnam hatten mit Glaubenskämpfen zu tun. Es ist umgekehrt gerade einmal 70 Jahre her, dass atheistische Systeme in West und Ost die Welt in den Ruin trieben; in einer gottfremden Epoche, die der amerikanische Schriftsteller Louis Begley „ein satanisches Requiem“ nannte. 14
Frage: Andererseits könnte man sagen: Ein Staat muss im Hinblick auf die Gleichheit aller auch das Recht haben, religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, auch das Kreuz Christi. Ist das nachvollziehbar?
Genehmigter Abdruck aus dem Buch Benedikt XVI. „Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit“. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Verlag Herder, 2. Auflage 2010, S. 70 – 74
Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit Peter Seewald (Foto: L‘Osservatore Romano, Pressemappe)
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Fotolia.com/Jörn Buchheim
Mutter Teresa, albanisch-indische Nonne, Wohltäterin, erhielt viele Auszeichnungen und Ehrungen unter anderem den Friedensnobelpreis (1979) und die Freiheitsmedaille (USA 1985). (Foto: Zoonar/Peter Probst)
John D. Rockefeller, einer der reichsten Männer in der Geschichte, gilt als der größte amerikanische Philanthrop überhaupt. (Foto: The Rockefeller Archive Center)
Gebraucht werden bis ins hohe Alter VON GÜNTHER STENGEL
S
o heißt das Thema, das mir für das de’ignis-Magazin gestellt wurde. Inzwischen liegt mein 85. Geburtstag schon wieder drei Monate hinter mir. Alt werden und gesund alt werden ist nicht unser Verdienst. Einer meiner leiblichen Brüder legte viel Wert auf Sport und gesunde Ernährung neben seinem Glauben. Es ist nicht alles, was wir zum alt Werden benötigen. Inzwischen ist mein Bruder im 92. Lebensjahr in Gottes Herrlichkeit eingegangen. Der älteste von uns fünf Geschwistern lebt heute noch in guter Verfassung im 94. Lebensjahr. Zwei Schwestern leben noch im 91. und 89. Lebensjahr. Das heißt, wir haben in unserer Familie gute Gene geerbt. Das ist ein
großartiges Geschenk unseres Schöpfers. Doch zeigt uns die heilige Schrift noch eine andere Seite vom Altwerden. Schon Mose spricht bei seinem Abschied mit 120 Jahren folgende Worte im Auftrag Gottes an sein Volk (5. Mose 32,46 – 47): „Nehmt zu Herzen alle Worte, die ich euch heute bezeuge, dass ihr euren Kindern befehlt, alle Worte dieser Weisungen zu halten und zu tun. Denn es ist nicht ein leeres Wort an euch, sondern es ist euer Leben. Durch dieses Wort werdet ihr lange leben.“
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Schon in 5. Mose 30,19 – 20 legt uns Gott die Wahl vor von Leben und Tod, Segen und Fluch, „damit ihr das Leben erwählt und am Leben bleibt… indem ihr den Herrn, euren Gott, liebt und seiner Stimme gehorcht und ihm anhangt, denn das bedeutet für dich, dass du lebst und alt wirst". In Sprüche 3,1 – 2 heißt es:
stunde auf. Käthe hatte also nur scheinbar an all dem, was in der Umgebung vor sich ging, nicht teilgenommen. In Wirklichkeit hatte sie aber gar manches aufgenommen. Woher hatte sie Text und Melodie dieses Liedes richtig verstanden und wandte sie in der entscheidenden Stunde ihres Lebens richtig an? Medizinisch stehe ich vor einem Rätsel.
„Mein Sohn, meine Tochter, vergiss meine Weisungen nicht und dein Herz behalte meine Gebote, denn sie werden dir langes Leben bringen, gute Jahre und Frieden.“
Diese Geschichte bezeugt, dass das Wort Gottes ein Wort ist, in dem das Leben wohnt, das Wunder hervorbringt.
Die bereits angeführten Worte Gottes reden vom alt Werden und von einem erfüllten Leben. Was Gott uns bietet, ist nicht ein leeres oder inhaltsloses Wort, sondern es ist kräftig und lebendig – Hebr. 4,12 – um uns zu erneuern – 2. Kor. 4,16. Der Theologe Fritz Rienecker berichtet in seinem ersten Band „Das Schönste kommt noch“ Seite 57 – 58 folgende von mir gekürzte Geschichte: „Ein 20-jähriges Mädchen, Käthe, von Geburt an vollständig schwerst geistig behindert, hat nie ein Wort sprechen können. Stumpf vegetierte Käthe dahin. Abwechselnd stierte sie bewegungslos stundenlang vor sich hin oder befand sich in zappelnder Bewegung. Sie aß und trank, sie schlief und stieß manchmal Schreie aus. Andere Lebensregungen hat man an ihr in den vielen Jahren nicht wahrgenommen. Schon längst wünschten wir, dass Gott dem armseligen Leben ein Ende mache. Da rief mich, den Direktor der Anstalt in Treysa in Hessen, eines Morgens unser Doktor an und bat mich, doch gleich einmal mit ihm zu Käthe zu gehen, die im Sterben liege. Als wir in die Nähe des Sterbezimmers kamen, fragten wir uns, wer wohl im Sterbezimmer die Sterbelieder singe, die wir draußen hörten. Als wir dann ins Zimmer traten, trauten wir unseren Augen und Ohren nicht. Die von Geburt an vollständig schwerst geistig behinderte Käthe, die nie ein Wort gesprochen hat, sang sich selbst die Sterbelieder, vor allen Dingen sang sie immer wieder: „Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh“ Der letzte Vers dieses Liedes lautet: „Wohl bin ich im Kreise der Deinen zu Haus, doch streck ich mit ihnen nach oben mich aus, heim, heim, ja ach nur heim. So komm oh mein Heiland und hole mich heim." Etwa eine halbe Stunde lang sang sie mit selig verklärtem Gesicht und ging dann sanft und still in die Ewigkeit ein. In tiefer Bewegung konnten wir das Sterben dieses Mädchens miterleben. Wie viele Fragen gab uns diese Sterbe-
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Der Prophet Daniel berichtet in Kapitel 4 von König Nebukadnezar, der aufgrund seines Stolzes und Hochmuts wie ein Tier erniedrigt wurde und Gras fraß. Nach dieser Gerichtszeit sagte Daniel im Auftrag Gottes (Vers 24): „Darum mein König, lass Dir meinen Rat gefallen, mache Dich los und ledig von Deinen Sünden durch Gerechtigkeit und von Deiner Missetat durch Wohltat an den Armen, so wird es Dir lange wohlergehen.“ Unser Gott ist ein Gott der Armen, Witwen und Waisen. Während der Einladung zu einer Hochzeit sprach Jesus in Lukas 14,13: „Wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein. Dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten.“ Dieses Wort veranlasste mich in Rumänien bei den Sinti und Roma, den Ärmsten der Armen, Blinden und Lahmen ein Mahl zu machen. Es kamen ca. 300 Personen zusammen, die sich riesig über die Einladung freuten. Die Gemeinde Jesu ist voll von Menschen, die ihr Leben los gelassen haben, um es wieder zu erhalten. Innerhalb der Gemeinde Jesu finden wir unter anderen Georg Müller von Bristol, den Waisenhaus-Vater. In seiner Jugend war er ein erfahrener Betrüger, Trinker, Gewohnheitsverbrecher, der auch vor den Staatsgeldern seines Vaters, die er zu verwalten hatte, nicht zurückschreckte, sie zu stehlen. Diesen Lebensstil pflegte er, bis er von Gottes Güte von seinem sündhaften Leben überführt wurde. Gott konnte aus dem Leben von Georg Müller ein Werkzeug formen zur Verherrlichung seines Namens. Als 20-jähriger wurde er gläubig. Mit 30 Jahren begann er sein ihm
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Georg Müller war ein deutscher evangelischer Theologe und Evangelist. Bekannt wurde er als „Waisenvater von Bristol“. Seine Arbeit lebte von Spenden, ohne dass jemals ein Spendenaufruf veröffentlicht wurde, weil er darauf vertraute, dass Gott für alle notwendigen Spenden sorgen würde. (Foto: wikimedia)
von Gott aufgetragenes Lebenswerk mit zwei Kindern, indem er arme Kinder zu sich rief. Er gab ihnen Brot, Frühstück und unterrichtete sie etwa anderthalb Stunden am Tag im Lesen des Wortes Gottes. Die Zahl der Kinder wuchs auf 30 – 40. Später unterrichtete und speiste Georg Müller Jahr für Jahr die Vollwaisen, bis zu 2.000 Kinder. Georg Müller leitete dieses Werk 60 Jahre. Die Finanzen erwartete Georg Müller allein von Gott, der ihn nie enttäuschte. Einmal wurde er nach dem Geheimnis seines Lebens gefragt. Er antwortete: „Es gab einen Tag, an dem ich starb.“ Georg Müller hielt alles für Verlust, was die Menschen sonst für Gewinn achteten, ja für Kot, damit er Christus gewinne (Phil. 3). Georg Müller war bis zu seinem Heimgang in den Gebets- und Bibelstunden. Am 10. März lag er im Alter von 92 Jahren tot vor seinem Bett. Bis zu dieser Zeit war Georg Müller gesund und stabil. Ein weiteres kraftvolles Zeugnis war Mutter Teresa, die in Kalkutta, Indien, ihren aufopferungsvollen Dienst tat. Was sie geleistet hat in ihrem Leben, geht menschlich eigentlich über die Kräfte. Wie sie selbst sagte, bestand ihre Berufung – wie bei Franz von Assisi – den Ärmsten unter den Armen zu dienen. Einmal sagte sie: „Ich bin Mutter von Tausenden der verlassenen Kinder. Ich habe sie auf Gehwegen aufgelesen, im Müll und auf den Straßen.“ Die Kongregation nannte sich „Missionarinnen der Nächstenliebe“. Als sie 1950 diese Kongregation ins Leben rief, waren es zehn Schwestern. 1987 waren es 3.000 Missionarinnen und 1993 waren es 3.500 Missionarinnen in 95 Nationen. Sie tragen Verantwortung für 100.000 Menschen, Arme, verlassene Kinder, sterbende Stadtstreicher, Aids- und Leprakranke. Die Missionarinnen besitzen nichts. Mutter Teresa sagt: „Wir wollen arm sein wie Jesus.“ Sie hatte ein unbändiges Vertrauen in Jesus und
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Entnommen aus dem Buch „Mutter Teresa, ein Lebensbild“ von Renzo Allegri
sagt: „Die Vorsehung sorgt jeden Tag großzügig für mich, meine Schwestern und die uns Anvertrauten.“ Eines Tages kam eine zuständige Novizin und berichtete ihr, dass sie keinen Reis mehr in der Vorratskammer hätten. „Wir hatten nicht eine Rupie im Haus, um neuen Reis zu kaufen. Um 16.30 Uhr stand ein Unbekannter mit einem Sack vor der Türe mit den Worten: ‚Ich fühlte mich gedrängt, euch das hier zu bringen.’ Es war genau die Menge Reis, die wir zum Abendessen brauchten.“ 1 Im Dienste der Hingabe an die Ärmsten der Armen verstarb Mutter Teresa im Alter von 87 Jahren. Die Schwestern brachten an der Türe ihres Hauses ein Schild an „Mutter Teresa ist zu Jesus heimgekehrt“. Ihr Leben ist eine Geschichte biblischen Glaubens. Ein weiteres Zeugnis: Ein junger Mann namens Rockefeller war stark und muskulös wie ein Bauernbursche. Nach Eintritt ins Geschäftsleben trieb er sich selbst zu größeren Leistungen an. Mit 33 Jahren hatte er bereits die erste Million erarbeitet. Im Alter von 43 Jahren beherrschte er das größte Geschäftsunternehmen der Welt. Im Alter von 53 Jahren war er der reichste Mann der Erde. Diesen Erfolg und dieses Glück bezahlte er mit seiner Gesundheit. Die Krankheit verwandelte ihn in eine lebende Mumie. Die Kopfhaare, Wimpern, Augenbrauen fielen aus. Seine Verdauung war so schlecht, dass er sich nur noch von trockenem Zwieback und Milch ernährte. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Der ungeheure Reichtum, den er gesammelt hatte, gab ihm weder Freude noch Glück. Je mehr er versuchte, Reichtum zu behalten, umso mehr spürte er, dass Geld ihn erwürgte. Er konnte nicht mehr schlafen und konnte sich über nichts mehr freuen. Ida Tarbell schrieb über ihn, als er 53 Jahre alt war: „Sein
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Nach den Eltern sind die Großeltern oft die wichtigsten erwachsenen Bezugspersonen eines Kindes innerhalb der Familie. (Foto: stockfresh.com)
Gesichtsausdruck ist der eines ganz alten Mannes. Er ist der älteste Mensch, den ich je gesehen habe.“ Der Zwieback und die Milch, die er widerwillig schluckte, konnte seinen ausgemergelten Körper und seine ruhelose Seele nicht mehr zusammenhalten. Alle waren sich darüber einig, dass er keine 12 Monate mehr leben würde. Die Zeitungsschreiber hatten seinen Nachruf bereits in der Schublade. In langen Nächten lag er wach und stellte fest, dass er nicht einen einzigen Dollar in die jenseitige Welt würde mitnehmen können. Es packte ihn Verzweiflung und Hilflosigkeit. Zum ersten Mal in seinem Leben ging ihm auf, dass Geld nicht dafür gemacht wurde, es aufzuhäufen. Es sollte den Menschen dienen und Segen bringen. Aufgrund dieser Erkenntnis unterstützte er z. B. Wohltätigkeitswerke. Viele hundert Millionen Dollar gingen an Universitäten, Krankenhäuser, Missionsgesellschaften und an Millionen armer Menschen. Aufgrund seiner Stiftung konnte z. B. Penicillin entwickelt werden. Ich möchte nur herausstellen, dass ein Wunder geschah, als er anfing, auf Gottes Wort zu hören und nach den Nöten anderer Menschen Ausschau zu halten. Er konnte wieder schlafen, essen und hatte wieder Freude am Leben. Bitterkeit, Groll, Lustlosigkeit und Egoismus wichen aus seinem Leben. Das Herz Rockefellers füllte sich mit Liebe und Dankbarkeit. Er begriff das Wort: „Gebet, so wird euch gegeben ein voll gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben! Denn mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird euch wieder gemessen werden .“ (Lukas 6,38). Er feierte nicht nur den 54. und 55. Geburtstag, sondern erfuhr dieses überfließende Maß, indem er 98 Jahre alt wurde. 2
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entnommen aus „Vermeidbare Krankheiten“ von McMillen
Ein Kenner der menschlichen Natur schreibt: „Es ist eine Grundtatsache menschlichen Lebens: Wer sich nicht preisgibt und verschenkt, bleibt unbefriedigt.“ Psalm 92 schildert einen Menschen, der bis ins hohe Alter blüht, fruchtbar und frisch ist (Verse 13 – 15): „Der Gerechte wird grünen wir ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon. Die gepflanzt sind im Hause des Herrn werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein.“ Zum Schluss noch ein Zitat aus Epheser 6, Verse 2 – 3: „Ehre Vater und Mutter, das ist das erste Gebot, das eine Verheißung hat, auf dass es dir wohlgehe und du lange lebst auf Erden.“
ÜBER DEN AUTOR Günther Stengel, 85 Jahre, seit 56 Jahren verheiratet mit Elisabeth, eine Tochter. Als Pastor gründete er mehrere freikirchliche Gemeinden, die zusammen geschlossen im Verbund Bodensee-Oberschwaben weit über tausend Besucher hatten. Zusammen mit seinen 2 Brüdern und mehreren Pastoren entstand unter seiner Leitung eine erweckte Bewegung im Bodenseegebiet.
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
Was bewegt Joachim Gauck, welche Gedanken und Ziele verfolgt er? Von der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Pflicht zur Verantwortung
Joachim Gauck wurde in der Zeit der Wende zu einem wichtigen kirchlichen Redner. In Rostock aufgewachsen, hatte er dort auch Theologie studiert und als Pastor in Rostock-Evershagen gearbeitet. In diesem Stadtteil gab es keine Kirche, so dass der Gottesdienst in einem anderen Viertel stattfand und sich die Gemeinde zu Hauskreis und Christenlehre in Plattenbauwohnungen traf. Die Gemeinde war ein Ort, an dem man freier reden konnte, zum Beispiel über kritische Bücher und die Friedensbewegung in der DDR. Seit einem Jahr ist er Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Durch seine Amtsführung hat er neues Vertrauen und Ansehen für das Amt des Bundespräsidenten gewonnen. Was bewegt diesen Mann, welche Gedanken und Ziele verfolgt er? VON MAIKE PROLINGHEUER
Gedanken aus Predigten der Wendezeit von Joachim Gauck 1988 sprach er bei der Abschlusskundgebung des Kirchentages in Rostock vor 40.000 Menschen:
foto: stockfresh.com/claudiodivizia
„Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen.“ 1 „Hoffnung wächst nicht aus Haben, sondern aus der Sehnsucht nach Sein. Wenn sie echt ist, riskiert sie etwas.“ 2
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Sogar das Westfernsehen berichtete davon. Während in anderen Teilen der DDR Demonstrationen schon deutlich früher begannen, kam es in Rostock erst Anfang Oktober 1989 zu regelmäßigen Friedensandachten und der Gründung des Neuen Forum. Gauck war zunächst nicht mit dabei, doch es wurden schnell so viele Menschen, dass man in eine größere Kirche (zusammengebaute Marien- und Petrikirche) umziehen musste und Gauck als Redner angefragt wurde. „Joachim, du musst jetzt hier das Wort ergreifen“, so wird Dietlind Glüer, Gemeindepädagogin und Gründungsmitglied des Neuen Forum, zitiert. Studentenpfarrer Christoph Kleemann berichtet rückblickend:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/joachim-gauck-das-land-des-predigers-11686665-b1.html http://www.zeit.de/2012/12/Gauck-in-Rostock/seite-3
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„Joachim Gauck ergriff das Wort und wurde – ehe er sich versah – zu einer Integrationsfigur der Basis. Die Gefühle der Beteiligten waren schwer zu beschreiben. Ein Gefühl der Verschworenheit, vage Hoffnung, aber auch Angst und manchmal ein glückliches Flackern in den Augen (…)
Thema: „Gibt es denn zwei Welten, frage ich mich: die Welt der herrschenden Parteischicht und die des Volkes? Wir wollen nicht mehr unser Leben in Schizophrenie verbringen, wir wollen nicht mehr hätscheln und entschuldigen, was krank macht. Wir wollen Recht Recht und Unrecht Unrecht nennen.“ 3
Für seine Predigt am 19. Oktober hatte Gauck den alttestamentarischen Text des Propheten Amos (Kap. 5,21 – 24) ausgesucht, dem er das Motto „Selbstgerechtigkeit tötet – Gerechtigkeit rettet“ voranstellte. Als er die Geschichte vorlas, erzählte Gauck später, habe er gespürt, dass er die passende Stelle ausgewählt hatte: „Dieser Amos war einer wie viele von uns. Viele der Zuhörer fanden sich in diesem normalen, durchschnittlichen und berufstätigen Menschen wieder.“
Danach wurde noch ein Text von Rosa Luxemburg vorgelesen, der die Schwachpunkte eines undemokratischen Systems benennt.
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Der Beifall hielt lange an. Die Angst wich, und für einen Moment hatte die Stasi ihre Bedrohlichkeit verloren. (…) Ruhig, fast andächtig, verließen schließlich alle Teilnehmer die Kirchen und formierten sich zur ersten Rostocker Demonstration.“ 4 Dieser Mut, für Gerechtigkeit aufzustehen wurde belohnt. Nur kurze Zeit später kam es zu Mauerfall und Wiedervereinigung. Doch damit waren noch nicht alle Ängste beseitigt. Darauf ging Gauck in seiner Advents-
Norbert Robers, Joachim Gauck. Vom Pastor zum Präsidenten. Die Biografie, Koehler und Amelang, Leipzig, 6. Auflage 2012, S. 65 – 66 Ebd. S. 67
foto: wikimedia/Sebastian Hillig
Gauck erzählt von Amos, den Gott hellsichtig macht und der daraufhin furchtbare Dinge sieht: Götzendienst und soziales Unrecht, Stolz und Egoismus. Er beschreibt die Zeitgenossen des Propheten, die in einer geordneten Scheinwelt leben und zur Umkehr nicht bereit sind. Und er beschreibt Amos Kampf gegen seine Zeit. Diesem Amos stellt Gauck in seiner Predigt Kassandra, Jan Hus, Karl Marx, Martin Luther King und Andrej Sacharow zur Seite. Persönlichkeiten, die dem kollektiven Unrechtsempfinden und der Sehnsucht der Menschen nach Wahrheit und Recht ihre Stimme gaben, auch wenn sie verfolgt wurden und für ihren Mut oft mit dem Leben bezahlen mussten: Vorbilder für Zeiten der Krise. Aber Gauck sprach auch ein Problem an, das alle in der Kirche konkret beschäftigte: den Gedanken an eine Ausreise in den Westen. Er plädierte für ein Dableiben und das Eintreten für Veränderungen: „Die, die uns verlassen, hoffen nicht mehr.“ Mehr als dieses bewegt ihn jedoch ein anderes
„Auf die Zuhörer hatte das Verlesen des Textes eine geradezu befreiende Wirkung. Für die meisten Anwesenden wurde spätestens in diesem Moment klar, dass man sich diesmal nicht einfach versammelt hatte, um einer Predigt voller geheimer Anspielungen zu lauschen und sich dann mit dem Gedanken „Es ist ja so wahr, aber ändern tut sich doch nichts“ wieder dem deprimierenden Alltag zuzuwenden. Es waren, in einer Kirche und ausgehend von christlichen Werten wie Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, endlich offene Worte der Systemkritik ausgesprochen worden. „Der Funke“, empfand Gauck, „war übergesprungen. Sehnsucht, Glaube und politisches Engagement wurden eins.“
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predigt am 14.12.1989 ein. Er sprach über das Loblied der Maria aus Lk 1,46 – 55 und fragte sich, wie dieses Lied in die damalige Zeit passte und ob es etwas in den Menschen zum Klingen brachte. „Wir denken daran, dass Maria, bevor sie zu ihrer Bedeutung kam, eine ganz einfache und arme Frau war. Sie hatte keine besondere Bildung und keinerlei Einfluss. Ihre Lebensumstände waren eher problematisch. Die Bibel sagt uns: Gott handelt an und mit „ganz normalen“ Menschen. Sie haben schlichte Namen: Maria und Josef (oder …) und können doch von großer Wichtigkeit sein. Sie werden angeschaut, beauftragt und werden auch befähigt zu Neuem. Oft kommt die eigene Seele gar nicht so schnell nach, begreift man erst später, was los ist (Maria sollte es später auch so ergehen!). Aber dann ist da eine Hoffnung in ihrem Lied, die weit größer ist, als dass Maria sie allein hätte entwickeln können: Es wird sich ändern. Großes wird klein. Elend hört auf. Gerechtigkeit kommt. Woher weiß Maria dies alles? Ist sie nicht noch in Finsternis und Schatten? Wir kennen doch die Weihnachtsgeschichte: Wie vergeblich ist ihre Suche nach einem Dach, das sie birgt, nach Menschen, die sie anschauen und annehmen könnten. Aber im Suchen und Sehnen und auch im Leiden ist dann wohl dieses große Vertrauen gewachsen, die Grundlage des Liedes Maria. Ihre Wahrheit soll unsere sein: Gott will Gerechtigkeit. Er will sie konkret und erfahrbar, irdisch und lebendig!! Er will ankommen („Advent“), irdisch und lebendig auch in unserer Mitte. Jesus = Gott unter den Menschen ein Mensch. Ob ich etwas von solcher Gegenwart Gottes spüren kann, ist nicht sicher. Maria wie Jesus selbst waren oft weder geliebt noch geachtet. Liebende Menschen, suchende Menschen jetzt sind oft verzweifelte und entmutigte Menschen. Die Spuren von Gerechtigkeit und Neuanfang sind manchem kaum erkennbar. Auch in dieser Predigt spüren wir zwei Wirklichkeiten. Eine lautet: Wir haben es nicht, das Neue, wir sind im Schatten. Die andere: Ich gewinne Selbstachtung und Vertrauen, ich spüre Neues, wenn meine Mitarbeit und Mitverantwortung gewollt ist; ich werde wertvoller. Und … beides ist wahr!
werden Stätten SEINER Gegenwart. Er lehrt sie Lieben und Hoffen und das dürfen wir glauben: Wir bleiben wichtig. Amen.“ 5 Fazit: Auch über 20 Jahre später ist für Joachim Gauck, inzwischen Bundespräsident, Freiheit das zentrale Thema. Freiheit ist für ihn die Voraussetzung für Gerechtigkeit, aber keine Garantie. Dazu muss sich Freiheit mit der Verantwortung im Politischen und Privaten verbinden. Nur wenn der einzelne seine persönliche Freiheit für andere nutzt und vom Staat dazu ermächtigt wird, kann es auch zu sozialer Gerechtigkeit kommen. 6 Somit beinhaltet Freiheit die Verpflichtung Verantwortung für das Allgemeinwohl, aber auch für das persönliche Leben zu übernehmen (Kritiker, vor allem mit christlichem Werteverständnis, sehen hier einen Widerspruch zu seiner familiären Situation bezüglich des Zusammenlebens mit einer Lebenspartnerin ohne von der Mutter seiner Kinder geschieden zu sein). Für Gauck ist Freiheit eine Triebfeder für Kreativität und schöpferischen Handelns. Hier werden seine protestantischen Wurzeln deutlich: Von der Freiheit eines Christenmenschen, ein zentrales Anliegen Luthers, aufbauend auf paulinischer Theologie. Frei von einengenden auch religiösen Fesseln findet der Mensch zu seiner eigentlichen Bestimmung: Entfaltung von Kreativität und Lebensfreude in Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen. Man darf gespannt sein, inwiefern es ihm in Zukunft gelingt, dies in konkrete politische Leitlinien und Orientierungspunkte umzusetzen, die viele immer lauter von ihm als Bundespräsident einfordern. Genehmigter Abdruck aus folgenden Büchern: Norbert Robers, Joachim Gauck. Vom Pastor zum Präsidenten. Die Biografie, Koehler und Amelang. Leipzig, 6. Aufl. 2012, S. 65 – 66 Dieter Bub, Begegnungen mit Joachim Gauck. Der Mensch. Sein Leben. Seine Überzeugungen.. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2012, S. 80 – 81
ÜBER DEN AUTOR Maike Prolingheuer ist Grundndund Hauptschullehrerin mitt missionstheologischem Aufbaustudium. Sie ist verheiratet mit Christian und arbeitet als Assistentin der de’ignis-Institutsleitung.
Und dies bleibt, ob wir nun eher glücklich oder eher sorgenvoll sind in diesem Advent: Einfache Menschen 5 6
Dieter Bub, Begegnungen mit Joachim Gauck. Der Mensch. Sein Leben. Seine Überzeugungen. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2012, S. 80 – 81 vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/erste-rede-von-bundespraesident-gauck-die-freiheit-die-er-meint-1.1316469
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Die Lähmung moderner Männer – verwöhnte Jungs statt Verantwortungsträger? 22
DER GETRIEBENE MENSCH – SEHNSUCHT, GIER UND SELBSTFINDUNG
VON ALBERT FREY
Freiheit und Verantwortung Wenn ich als Referent eingeladen bin, insbesondere bei jüngeren Menschen, betone ich immer wieder die Botschaft: „Sei ein Gestalter“. Viele junge Leute erleben sich als Opfer von Eltern, Lehrern, Umständen. Eine der großartigsten Botschaften des Christentums ist aber gerade die Lehre von der Freiheit und Verantwortung des Einzelnen. Diese Lehre unterscheidet sich nicht nur von dem lähmenden Schicksalsglauben anderer Religionen, sondern auch von einem diffusen Volksaberglauben bei uns, einer unheiligen Mischung aus Schicksalsergebenheit, Astrologie und Glaube an Vorsehung. Als Christen können wir sagen: Wir sind nie nur Opfer (das sicher auch auf vielfältige Weise), sondern immer auch Gestalter. Selbst in den extremsten Lebenssituationen können wir zumindest noch darauf Einfluss nehmen, in welcher Haltung wir dem „Schicksal“ entgegentreten wollen. Diese Botschaft stärkt (nicht nur jungen) Menschen den Rücken, ihre eigenen Ideen zu verwirklichen, an sich zu glauben, aus der Masse herauszutreten. Sie hilft, mehr auf das eigene Gewissen als auf die Mehrheit zu hören. Nun wird Männern ja nachgesagt, dass sie das zur Genüge hätten: einen eigenen Kopf, Tatkraft, MacherMentalität. Aber stimmt dieses Männerbild wirklich (noch)? Sind die Bereiche, in denen Männer noch wirklich Gestalter sind, nicht längst Nischenbereiche ohne großen Einfluss auf Gesellschaft, Kirche, Familie? Softies halten sich lieber raus und ziehen sich zurück. Machos erschöpfen ihre Kraft in pseudoähnlichem Gehabe, das nichts aufbaut – nicht einmal das eigene schwache Selbstwertgefühl.
Die Lähmung moderner Männer
foto: fotolia.com/paule_pictures
Die aktuelle Baumarktwerbung wird unfreiwillig zur Karikatur des gestaltenden Mannes: Er bastelt endlose Stunden an seinem „Projekt“, während Frau und Kinder das wirkliche Leben bestehen müssen. Sicher: Wenn wir noch ab und zu einen Hammer in die Hand nehmen, ist das durchaus ein Übungsfeld für männliche Gestaltungskraft. Mir als schöngeistigem Schreibtisch- (und Tonstudio) Täter tut es richtig gut, ab und zu handwerkliche Arbeiten zu verrichten – auch wenn es für die Haushaltskasse unterm Strich günstiger wäre, ich
würde in der Zeit ein weiteres Lied schreiben und einen Handwerker engagieren, der wirklich etwas davon versteht. Aber ab und zu braucht ein Mann einfach etwas zum „Schrauben“. Vielleicht haben Männer, die noch mit ihren Händen arbeiten, wirklich einen Vorteil, weil sie ihre Gestaltungskraft unmittelbar erleben können. Zumindest haben sie andere Herausforderungen (natürlich: Handarbeit ist nicht automatisch sinnvoll). Die meisten von uns aber gestalten – wenn überhaupt – eine virtuelle Welt. Hinter Bildschirmen und an Tastaturen sind wir ein Rad im Getriebe und können in den seltensten Fällen die Früchte unserer Arbeit selbst ernten. Viele Männer verlagern ihr Interesse auf Dinge, die sie selbst gar nicht beeinflussen können. Sie lassen sich darüber aus, was Politiker, Wirtschaftsbosse und Kirchenführer tun sollten, ohne selbst wählen zu gehen oder sich zu engagieren. Der amerikanische Autor Richard Rohr berichtet die tragikomische Anekdote eines Mannes, der gefragt wurde, wer bei ihm zu Hause die Entscheidungen trifft. Seine Antwort: „Meine Frau trifft die kleinen Entscheidungen – in welcher Gegend wir wohnen, welche Schule am besten für die Kinder ist, wie wir unser Geld einteilen, wohin wir in Urlaub fahren und dergleichen. Ich aber entscheide über die großen Dinge, etwa ob wir den Russen trauen können, ob die Regierung ihren Job gut macht und was wir tun müssen, damit die Wirtschaft floriert.“ Viele „moderne“ Männer überlassen Frauen die Entscheidungen, weil ihnen durch ihre lange Abwesenheit von zu Hause wichtige Informationen fehlen, weil sie ihre Ruhe wollen, weil sie ein diffuses schlechtes Gewissen haben und meinen, sie könnten durch das Zurückhalten eigener Vorstellungen etwas gutmachen.
Passive Unterhaltung statt aktiver Freizeit Eine weitere Falle ist die endlose Beschäftigung mit technischen Geräten. Männer sind fasziniert von Werkzeugen und Instrumenten – egal ob mechanisch oder elektronisch. Sie sind sozusagen der verlängerte Arm männlicher Tatkraft. Aber davon haben wir uns meilenweit entfernt. Die meisten Geräte, von denen Männer heute träumen, dienen passiver Unterhaltung. Wir entscheiden noch nicht einmal mehr wirklich, wann wir welches Teil kaufen, sondern sind Hörige der Werbespezialisten von Elektronikmärkten, die die Männerseele anscheinend 23
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besser kennen als unsere Pastoren. Wenn wir dann den neuesten Riesenflachbildschirm haben, hängen wir uns davor und sind unansprechbar.
Pro-aktiv Der evangelische Theologe Friedrich Christoph Oetinger (1702 – 1782) berichtete: „Der Herr gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Diese Weisheit scheint vielen zu fehlen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf Dinge, die wir nicht ändern können, und verlieren darüber unsere Gestaltungskraft. Der auch in christlichen Kreisen gern gelesene Managementexperte Stephen Covey prägt in seinem Buch „Die sieben Wege zur Effektivität“ den Begriff „pro-aktiv“. Er meint damit genau dieses kreative Gestalten dessen, was in meiner Macht steht, statt über das zu jammern, was ich nicht ändern kann. In einigen schweren Lebenssituationen, als ich am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt 24
hätte, kam mir dieses Wort wieder zu Bewusstsein, durchaus als Zuspruch von Gott: „Sei pro-aktiv, du kannst noch wählen, entscheiden, gestalten!“ Wir berauben durch unsere Passivität im wirklichen Leben nicht nur uns selbst, sondern auch die Frauen und Kinder, die männliche Initiative so sehr brauchen – ob sie es wissen oder nicht. Richard Rohr leitet aus der Biologie ab, dass die männliche Energie die Zeugungskraft ist, die Leben entstehen lässt: „Bei Männern geht es auf der archetypischen Ebene um das Tragen und Einpflanzen des Samens, bei Frauen darum, das Eingepflanzte zu empfangen, zu schützen und zu nähren.“ Das Weibliche und das Männliche sind gleich wichtig – aber unterschiedlich. Ohne den Beitrag des Männlichen entsteht kein neues Leben. Diese These passt natürlich nicht zum Zeitgeist, der alle Unterschiede zwischen Mann und Frau aufheben will. Aber wenn sie wahr ist, dann haben wir die Erklärung, warum in Familien, Erziehung und Kirche solch ein Mangel an neuem Leben, Optimismus und Zielstrebigkeit herrscht. Die Männer, die das einbringen sollten, sind gebunden in Berufen, die zwar Geld einbringen, aber wenig echten Sinn haben, und in Hobbys, die ihre Seele abstumpfen lassen, statt sie zu regenerieren.
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John Eldredge malt uns die traurige Szene eines Mannes vor Augen, der im Wohnzimmer ein Fußballspiel ansieht, während sein Sohn allein im Garten lustlos mit dem Ball herumkickt. Statt aktiv Sport zu treiben, beobachten wir lieber die Profi-Sportler am Bildschirm. Überhaupt sind wir moderne Männer fasziniert von Profis. Die sollen das machen – ich lehne mich zurück. Paulus rüttelt uns auf und gebraucht das Bild des Kämpfers (1. Korinther 9, 24 – 27; Epheser 6, 10 – 17) und des Sportlers (Philipper 3, 13 –14) für ganz „normale“ Gemeindemitglieder. Ich glaube, dass gerade Männer heute diese Bibelstellen neu lesen müssen. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mann diesen Kampfgeist entwickeln will, ohne tatsächlich Sport zu treiben!
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Aufbruch: Was können wir tun? Einen Grund für den Mangel an männlicher Initiative sehen Robert Bly, Richard Rohr, John Eldredge und viele andere in einem Mangel an „Initiation“: In der westlichen Welt werden junge Männer nicht mehr von anderen Männern ins Mannsein eingeführt. Viele sind der weiblichen Fürsorge, der Vaterlosigkeit und Bildern falscher Männlichkeit durch Medien und Gleichaltrige ausgeliefert – und bleiben dadurch bedürfnisorientierte Riesenbabys, verunsicherte Jungs in Männerkörpern. Etwas muss in uns angefangen, „initiiert“ werden, das uns aus dem Versorgtwerden und aus den pubertären Männerfantasien heraushilft. Erst dann können wir diese Anfängerkraft, diese Initiative für uns und andere entwickeln. Die erste Initiative muss paradoxerweise nach innen führen. Wir müssen unser Herz wiederfinden, unsere Geschichte aufarbeiten, Gottes Vater-Energie aufnehmen. Vielleicht ist die Selbsterkenntnis meines Mangels an Männlichkeit („Du bist der schwache Mann“) so erschütternd, dass ich erst einmal zusammenbreche. Dass Schutzmechanismen zusammenbrechen. Wenn das so ist, dann ist es gut. Dann fallen wir in die unermessliche Barmherzigkeit des Vaters. Was wir am meisten fürchten – unsere Hilflosigkeit und Unsicherheit –, bringt uns Gott näher und erstaunlicherweise oft auch einer Frau, weil sie dann unser verwundetes Herz statt eines perfekten Panzers sehen kann. Dann müssen wir eine Bestandsaufnahme unserer Aktivitäten machen. Für die meisten Männer dürfte die Frage lauten: Was muss ich lassen, was raubt mir Energie, Initiative? – und nicht: Was kann ich noch zusätzlich tun? Letzteres scheint mir eine große Falle für Männer zu sein – auch in der Männerarbeit. Wenn wir nicht tief genug ansetzen (Herzensveränderung), verfallen wir dem männlichen Machbarkeitswahn – der Kehrseite gesunder männlicher Initiative. Wir schultern einen Packen guter Vorsätze, wie es einmal im Jahr an Silvester üblich ist, und fühlen uns noch gut dabei, weil wir Wunsch und Wirklichkeit verwechseln. Ende Januar ist dann meist schon alles vergessen … Wir Männer brauchen in aller Regel nicht Belastung, sondern Befreiung, und das kann nur geschehen, wenn wir etwas loslassen, aufgeben. Weniger ist mehr. Initiationsriten alter Völker nehmen dem Jungen immer etwas weg, führen ihn ins Karge, Wilde. Müssen wir vielleicht wie Johannes der Täufer und Jesus selbst tatsächlich in die
Wüste gehen und auf Berge steigen, um wirklich klar zu sehen und unseren Ballast abwerfen zu können? Als Drittes brauchen wir Bruderhilfe. Wir müssen uns in frauenfreien Zonen mit anderen Männern treffen. Nicht, weil die Frauen uns in unserer Entwicklung nichts zu sagen hätten – im Gegenteil! –, sondern weil wir aus unseren Rollen als starker Retter, Hahn im Korb, perfekter Gentleman herauskommen müssen. Wir brauchen Mut zur Ehrlichkeit, Mut, unsere Schwäche voreinander zu zeigen. Das ist unter Männern schon schwer genug. Es ist noch schwerer mit Prinzessinnen im Raum, die unseren Beschützerinstinkt wecken – oder Mutterfiguren, die Abwehrmechanismen auslösen. Als Viertes und vielleicht Wichtigstes aber brauchen wir Vater-Energie – sowohl von Gott-Vater selbst als auch von älteren Männern, die uns auf der Reise voraus sind. Ich weiß nicht, ob wir unsere Initiation nachholen können, aber ich weiß, dass wir diese männliche Energie brauchen und dass es Wege gibt, sie zu bekommen, und – egal, in welchem Alter – verändert zu werden, hin zum Mann, den Gott in uns hineingelegt hat. Ich empfinde mich als Wanderer, als Pilger auf diesem Weg. Ich bin noch lange nicht am Ziel, aber ich bin aufgebrochen. Mir ist es zu eng im Käfig meiner eigenen Prägung. Männer bleiben oft dort, wo sie sich sicher fühlen, und meiden alles Unsichere, Widersprüchliche, Spannungsvolle. Deshalb sind alte Männer oft so steif, unbelehrbar, unberührbar und unerreichbar. So möchte ich nicht sein, bleiben oder werden.
Genehmigter Abdruck aus dem Buch: ch: Albert Frey: Für den König. ISBN 978-3-417-26439-5 © 2011 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 2. Auflage 2011 (Seite 7– 12).
ÜBER DEN AUTOR Albert Frey ist Songwriter, Lobpreisleiter und Musikproduzent. Seine Lieder, Seminare und Konzerte prägen viele Gemeinden und Gruppierungen im deutschsprachigen Raum. Er schloss sein Studium als Dipl.-Toningenieur ab und machte sich mit einem eigenem Tonstudio selbständig. In den 2000ern begann der gemeinsame Musikdienst mit seiner Frau Andrea Adams-Frey. Seine Tätigkeit als Referent und Autor weitetet sich ständig aus.
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Gottesbegegnung als Schlüssel zur Selbstfindung Gedanken zur Religionspsychologie C. G. Jungs VON WINFRIED HAHN
Theologische Aspekte zur Gottesbegegnung – Tremendum et Fascinosum Die Geschichte der Christenheit ist voll von Berichten, quer durch alle Jahrhunderte hindurch, von Menschen, die über Gotteserfahrungen berichteten. Paul Claudel, ein sehr bekannter französischer Dichter, Schriftsteller und Diplomat aus dem 19. Jahrhundert beschrieb seine Gottesbegegnung, die sein ganzes Leben und Denken änderte, mit den Begriffen „tremendum et fascinosum“. Tremendum als eine tiefe, bis ins Mark der Seele reichende Erschütterung, so wie bei Paulus vor Damaskus; das Fascinosum als Ausdruck einer inneren Faszination, Ergriffenheit ja auch eines unbeschreiblichen Glücksgefühls, das jeder, der es erlebt hat niemals mehr missen möchte. Diese tiefe Gottesbegegnung ist es, die den Menschen von innen her verwandelt und ihn nicht mehr 26
loslässt. Alles Sichtbare verliert angesichts dieser tiefen erschütternden, aber auch beglückenden Gotteserfahrung an Bedeutung. Dieses Tremendum, dieses Erschüttertsein im Angesicht des lebendigen allmächtigen Schöpfergottes, kann im Menschen ein Gefühl der Ohnmacht und Angst erzeugen. Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Richter über Taten, Motive und Gedanken zu erleben, kann beängstigend, erschütternd, ja traumatisierend erlebt werden. Das Gefühl des Ausgeliefertseins als armer Erdenwurm gegenüber einem übermächtigen, strengen unnahbaren Richter, ist für viele Menschen belastend. Vor allem im Alten Testament finden wir viele Beispiele, in denen Gott als furchterregende Erscheinung wahrgenommen wird. Bei der Verkündigung der 10 Gebote wird die Gotteserscheinung am Berg Sinai mit Blitz und Donner
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als so furchterregend beschrieben, dass die Menschen des Volkes Israel darum baten, die Erscheinung möge aufhören. Diese Stellen zeigen, die Begegnung mit Gott kann furchteinflößend, erschütternd und belastend sein. Welche Antworten gibt die Bibel auf diese belastenden Gotteserfahrungen? Sie bringt sehr deutlich zum Ausdruck, dass Gott heilig und gerecht ist und aus diesem Gerechtigkeitsempfinden heraus den Menschen sehr wohl zur Verantwortung ziehen wird. Auch das Neue Testament bestätigt eine Rechenschaftspflicht des Menschen vor Gott. Ein theologisch liberal eingestellter Theologieprofessor sprach während meines Studiums zu meiner Überraschung sehr deutlich über das Gericht Gottes. Er argumentierte sinngemäß folgendermaßen: Wenn es kein Gericht Gottes gibt, vor dem der Mensch sich verantworten muss, dann hat der Mensch seine Würde verloren. Wenn Gott alles akzeptieren würde, ohne den Betrüger, Mörder, Kinderschänder, Diktator, etc. zur Rechenschaft zu ziehen, dann wäre der Mensch seiner Verantwortung und damit letztendlich seiner Würde beraubt und es gäbe keine Legitimation für moralische Grundsätze oder eine Ethik. Also muss es ein Gericht Gottes über das Leben eines jeden Menschen geben. Dies ist in der Tat eine beängstigende Vorstellung und führt unweigerlich zu der Frage eines Martin Luther: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Jeder ehrliche Mensch spürt, dass er vor Gottes Allmacht, Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht bestehen und standhalten kann. Vielleicht sind deshalb so viele Menschen damit beschäftigt, ständig neue Argumente gegen die Existenz Gottes zu erfinden. Aber alle angeblich wissenschaftlichen Erklärungsversuche, die Schöpfung habe sich selbst durch Zufall erschaffen, werfen mehr Fragen und Widersprüche auf als Antworten und verlangen, bei allem Respekt vor der intellektuellen Kreativität mancher Astronomen, Physiker, Biologen, Geologen, etc., mehr Glauben, als die Annahme der Existenz eines Schöpfers. Nein, trotz aller Forschung und wissenschaftlichem Einfallsreichtums, der wirklich denkende und wahrheitsliebende Mensch kommt an der Realität Gottes nicht vorbei. Wenn sich aber für ehrliche Menschen Gott nicht wegdenken oder wegdiskutieren lässt, wird man sich also mit ihm auseinandersetzen müssen. Welche Aussagen macht nun das Neue Testament in Bezug auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch? In der Tat bestätigt Paulus, dass es dem Menschen unmöglich ist, aus eigener Anstrengung Gott gerecht zu werden (Römer, Kap. 1 – 3).
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Der Mensch ist von sich aus nicht fähig, den göttlichen Maßstäben zu genügen. Aus diesem Empfinden resultiert bei vielen Menschen die Angst vor Gott. Nun zeigt uns Gott im Neuen Testament seine Bereitschaft uns mit Geduld und Freundlichkeit zu begegnen. Einzige Voraussetzung ist, ehrlich zu seinen Fehlern zu stehen und ihn um Vergebung zu bitten. Denn seit dem Opfertod Jesu begegnet Gott den Menschen, die ehrlich zu ihrer Erlösungsbedürftigkeit stehen, mit großer Geduld und beschenkt den Menschen mit Kraft, Liebe und Begeisterungsfähigkeit. Es ist faszinierend und beglückend für den Menschen Gott, dem Ursprung allen Lebens begegnen zu dürfen. Dies war auch die Erfahrung Martin Luthers. Die Freude in Jesus die Gnade entdeckt zu haben, machte die Reformation zu einer singenden Bewegung, die sich mit Begeisterung im ganzen Land ausbreitete. Durch die Gnade hat die Begegnung mit Gott ihren Schrecken verloren.
Aspekte aus der Religionspsychologie C. G. Jungs. Es ist interessant, dass sich in der Religionspsychologie C. G. Jungs erstaunliche Parallelen finden lassen. Auch Jung spricht davon, dass die Begegnung mit Gott eine tiefgreifende Erfahrung ist, die den Menschen bis in sein tiefstes Inneres bewegt. Er führt aus, dass jeder Mensch von Natur aus religiös ist und die Seele eine religiöse Funktion hat. („Nicht ich habe der Seele eine religiöse Funktion angedichtet, sondern ich habe Tatsachen vorgelegt, welche beweisen, dass die Seele „naturaliter religiosa“ ist, das heißt eine religiöse Funktion besitzt ...“ 1 Weil also Religion und Glaube nach Jung existenziell zum Menschsein gehören, ist eine Persönlichkeitsentwicklung zur Reife, Mündigkeit und Autonomie ohne die Klärung der Gottesbeziehung nicht möglich. „Jung ist der Ansicht, dass dort, wo der Mensch Gott erlebt, er Anteil hat am Göttlich-Schöpferischen ...“ 2 Gleichzeitig erlebt er jedoch in der Gottesbegegnung ein tiefes Erschrecken. „Jung läßt niemals einen Zweifel darüber bestehen, dass die Gotteserfahrung, die uns Gott als lebendige Größe ... erfahren läßt, etwas höchst Gefährliches und Schreckliches ist. Sie verlangt seelisch den ganzen Menschen und sie ist ein Schicksal, das vielleicht in größere seelische Not und Bedrängnis bringt als manche äußere Umstände ... Gotteserfahrung, wenn sie wirklich lebendig ist, geht an die Wurzeln des Menschen, und es braucht Kraft und Zeit sich mit ihr zurechtzufinden. Wir erleben die
N. Niehaus – Jung Hg. u. a. Gesammelte Werke XII, S. 14 H. Schör, Religion und Seele in der Psychologie C. G. Jungs, Welter-Verlag Oltem, S. 177 (Eine leider vergriffene, sehr interessante Interpretation der Religionspsychologie C. G. Jungs an deren Grundaussagen sich dieser Artikel orientiert.)
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Gefährlichkeit und Zweideutigkeit des Lebens in diesem Augenblick nicht nur an der Umwelt, nicht nur am Leibe, sondern wir haben sie in unserer Seele, das ist so nahe wie möglich und darum auch so gefährlich und schrecklich wie möglich, allerdings unter Umständen auch so beseligend wie möglich. 3 Das heißt die Gottesbegegnung ist sehr persönlich, intensiv und kraftvoll. Sie kann den Menschen so tief erschüttern, dass er an Gott zerbricht, oder ihn zur höchsten Glückserfahrung befähigen. Immer ist die Gottesbegegnung jedoch existenziell. Ausführlich setzt sich Jung mit unterschiedlichen Formen der Spiritualität auseinander. Für ihn sind die liturgischen Formen, Sakramente und Dogmen der katholischen Kirche auf der einen Seite ein Hindernis für die tiefe unmittelbare Gottesbegegnung, weil sie sich zwischen den Menschen und Gott stellen und somit die unmittelbare Gottesbegegnung verhindern. Gleichzeitig sind sie ein Schutz, denn viele Menschen sind weder fähig noch reif noch psychisch stabil genug, die Unmittelbarkeit in der Gottesbegegnung auszuhalten. „Wir verstehen warum Jung Menschen in die katholische Kirche und die Beichte zurückschickt, wenn es ihnen möglich ist, dorthin zurückzukehren.“ 4 Für Jung hat der Protestantismus den Menschen in die unmittelbare Konfrontation mit Gott geführt. In dieser persönlichen Beziehung zu Gott wird der Mensch mit seinen unbewussten schmerzhaften, verletzten Seiten kon28
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ebenda S. 187 ebenda S. 234 5 C. G. Jung, Psychologie und Religion, S. 89, zitiert nach Schär a. a.O. S. 227 4
frontiert. Gegenüber dem gewaltigen Schöpfergott (für Jung ein Archetyp) fühlt der Mensch sich ohnmächtig und schuldig. Vor diesem gewaltigen Wesen ist er nicht mehr in der Lage seine Masken aufrecht zu erhalten. „Er muss seine Sünden allein verdauen ..., d. h. ein Mensch, der Gott gegenüber schutzlos ist und nicht mehr geschirmt durch Mauern oder durch Gemeinschaften, so hat er die einzigartige geistige Möglichkeit der unmittelbaren religiösen Erfahrung.“ 5 Diese unmittelbare religiöse Erfahrung, d. h. die persönliche Begegnung mit Gott ist jedoch nach Jung notwendig, sich selbst zu werden. Den Prozess der Selbstwerdung durch die Gottesbegegnung nennt er Individuation. Die Gottesbegegnung und Individuation stehen für Jung in einem engen Zusammenhang. Wenn der Mensch vor Gott zu seinen Ängsten und zu seinen verborgenen und verdrängten Anteilen stehen kann, also seine Masken fallen lassen kann, wird er sich selbst, findet er sich selbst, d. h. er entwickelt eine authentische Identität. Für ihn ist also die persönliche Gottesbegegnung der entscheidende Faktor einer heilsamen authentischen Persönlichkeitsentwicklung. Dass es auf diesem Weg Gefahren gibt und für viele Menschen, deren Persönlichkeit belastet und beeinträchtigt ist, eher indirekte Formen der Gottesbegegnung (z. B. durch liturgische Gottesdienstformen) förderlich sind, entspricht auch unserer langjährigen Erfahrung in der Begleitung und Behandlung psychisch kranker Menschen.
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Schlussfolgerungen: 1. Die Begegnung mit Gott ist für den Menschen eine Herausforderung: Er wird konfrontiert mit seiner Schuld, seinem schlechten Gewissen und verdrängten Inhalten seiner Psyche. Vor dem lebendigen, heiligen Gott fallen alle Masken. 2. Diese Konfrontation mit sich selbst ist Chance und Gefahr zugleich. Chance, weil der Mensch in der Konfrontation mit dem Gott der Wahrheit, die Herausforderung spürt, ehrlich gegenüber sich selbst zu werden, andererseits aber auch die Gefahr besteht an dieser Schutzlosigkeit zu zerbrechen. 3. Die Schutzlosigkeit von der Jung spricht, ist jedoch das Ergebnis eines drohenden Gottesbildes und eines verkürzten Verständnisses der Gnade. Die Barmherzigkeit Gottes, der uns in freundlicher Zuwendung begegnet und uns gerne unsere Verfehlungen vergibt, ist für viele Menschen aufgrund von bedrückenden religiösen Erfahrungen bzw. von Übertragungsvorgängen früherer Autoritätspersonen auf Gott schwer erlebbar. Befreiende, beglückende Gotteserfahrungen kann nur ein Mensch erleben, dem es möglich ist, sich durch die Erlösung Jesu von den anklagenden Stimmen seines Gewissens zu befreien. Dies setzt bei sensiblen und ängstlichen Menschen jedoch eine Entwicklung voraus, die Zeit braucht und neben psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Hilfen eine qualifizierte theologisch seelsorgerliche Begleitung erforderlich macht. Es ist ein ähnlicher Weg den Martin Luther mit seiner quälenden Sehnsucht nach dem gnädigen Gott gehen musste, bis er zur Erlösungsfreude durchbrach. 4. Nach Jung können religiöse Fragen nicht von einem erfolgreichen Therapieverlauf abgekoppelt werden, da die Fragen nach dem Woher, Wozu und Wohin und damit nach dem Sinn des Lebens naturgemäß zum Menschsein gehören. Allerdings ist bei der Begleitung des einzelnen Menschen darauf zu achten, dass er die für seine Person gemäße und seiner geistlichen Entwicklung angemessene Spiritualität entdeckt. Hier können auch traditionelle liturgische Formen eine wertvolle Hilfe sein, weil sie gerade den seelisch entwurzelten Menschen Halt, Schutz und ein Gefühl der Sicherheit geben können. Allerdings möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass auch traditionell liturgische Frömmigkeitsstile einer sehr persönlichen direkten Gottesbegegnung sehr förderlich sein können. Auch hierfür ist der eingangs schon erwähnte Paul Claudel ein beredtes Beispiel. 5. Die höchste Form menschlichen Glücksgefühls erlebt der Mensch jedoch in der unmittelbaren Gottesbegeg-
nung, wenn der Mensch das Vertrauen gewonnen hat, so wie er ist, ohne Angst vor seinen Schöpfer treten zu dürfen, um Hilfe bei der Bearbeitung seiner dunklen, verdrängten, schmerzhaften und unvollkommenen Seiten von Gott selbst zu erhalten. Der Pfarrerssohn C. G. Jung scheint seine eigenen enttäuschenden religiösen Vorerfahrungen, die er im Elternhaus machte, durch eine innere Begegnung mit Jesus Christus verarbeitet zu haben.* 6. Nicht jede Ausdrucksform religiösen Erlebens ist für jeden Menschen geeignet. Vor allem für Menschen mit psychotischen und depressiven, aber auch anderen Krankheitsbildern können durchaus traditionell liturgische Gottesdienstformen geeigneter sein als charismatische Ausprägungen mit ihrer Neigung zu „high expressed emotions“. Allerdings fördert die charismatische Spiritualität eher die direkte persönliche Form der Gottesbegegnung mit all ihren Chancen und Risiken. Bei der Begleitung psychisch kranker Menschen erweisen sich deshalb die unterschiedlichen Formen christlicher Spiritualität als wertvolle sich gegenseitig ergänzende Bereicherung, die als Ressource erkannt und genutzt werden sollten. * Anmerkungen: Ob es sich bei den Ausführungen Jungs um eine tatsächliche persönliche Gottesbegegnung handelt, ob Gott für ihn nur ein intrapsychisches Erleben ohne transzendenten Gottesbezug oder um ein dem kollektiven Unbewussten geschuldeten Archetyp ist, bleibt offen. Auch inwieweit seine Ausführungen bezüglich der Christuserfahrung theologisch als persönlich erlebtes Erlösungsgeschehen zu verstehen sind oder eher archetypisch in jeder Religion erlebt werden kann, bleibt ebenfalls offen. Deshalb sorgte seine Religionspsychologie nicht nur bei Psychologen, sondern auch bei Theologen für erheblichen Diskussionsbedarf. Die späten Schriften Jungs scheinen tatsächlich eine persönliche Gottesbegegnung im Sinne einer realen Gottes- und Christusbegegnung nahezulegen. Wie dem auch sei, beinhaltet seine Religionspsychologie bemerkenswerte Gedanken (auch wenn manche esoterische Kreise auf seine Ausführungen Bezug nehmen), die bei der Entwicklung einer christlich-integrativen Psychotherapie sehr hilfreich sein können.
Weiterführende Inhalte in dem Buch „Psychische Erkrankungen im Licht der Bibel“. SCM Hänssler, 2. Auflage 2009
ÜBER DEN AUTOR Winfried Hahn, ist Pastor und Pädagoge. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern, Damaris und Daniel, studierte Pädagogik, war Pastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden, und machte eine Ausbildung zum Christlichen Therapeuten. Heute leitet er das de’ignisWohnheim – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung und ist Vorsitzender der Christlichen Stiftung de’ignisPolen. Als Pastor im übergemeindlichen Dienst und Buchautor hält er Predigten, Vorträge und Seminare im In- und Ausland.
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h c a n t h c u s n h e S Versöhnung
räch – p s e G im r e t ä T Opfer und nberg o e L s u a h e e S m e ein Bericht aus d A ABRELL V O N IR M E L
hnung? Was ieden und Versö Fr ch na t ch ni en? Was er sehnt sich s und unser Leb un r fü t re nk ko und heißt das aber klaut, geschlagen be , en og tr be ir ir w ißt das, wenn w heißt das, wenn at sind? Was he ft ra St r ns ne de ei ei L er sere – Opf ben dem wir un ha verletzt wurden en in ke n d ne io un en fühlen Wut und Emot uns allein gelass i dem wir unsere be , d uns en nn kö en huldig fühlen un sc st lb geschichte erzähl se s un rg uten? Wenn wir ung oder Wiede hn sö er V loswerden könn da es machen – gibt falsche Vor würfe machung ? n heißt gebung. Vergebe er V t is g un hn r ng für Versö sollte jemand de ie W “. er Die Voraussetzu üb dr ben heißt oder „Schwamm vergessen? Verge en nicht vergessen es di t, ha en n seinem erz erfahr das was einem vo r fü schweren Schm – n ge di ul n heißt at zu entsch ldig ung. Vergebe hu sc nt auch nicht die T E e in ke wurde gibt es Peiniger angetan zen zu haben. Frieden im Her lten, dann s und Zorn festha as H m re se un , erbitteserer Wut andela sagte: „V M n Wenn wir an un so el N . am deine ittert und eins hoffst, es vergifte i be da d werden wir verb un t ks n wir anderen Gift, das du trin uns selbst. Wen r rung ist wie ein nu e nd E am gewinnt an iftet aber und unser Leben es Feinde.“ Es verg ut G as w et st nnen dann ir uns selb söhnung und kö er V r vergeben, tun w fü ei fr eg er es achen den W der Umstände. W er pf O n Qualität. Wir m ei r eh m er ein Gefanund sind nicht gehen wird imm Freiheit erleben zu ng bu ge er V r ssion werden n Weg de Hass und Aggre , nicht schafft de ut W d un n be ben am ühle blei Leiden und Ster em in se gener seiner Gef it m s un Paulus sen. Jesus hat ch zu vergeben. au f au s ihn nicht loslas un er ft der freundlich, , gleichzeitig ru Kreuz vergeben d aber untereinan ei „S : er es ph E e t euch auch an di , gleichwie Got rn schreibt im Brief de an m de r t es: „Und rgebt eine evangelium heiß as uk herzlich und ve L im r de ebenmal Christus“. O en würde und si ig nd sü vergeben hat in r di an h! So sollst du al des Tages che: Es reut mic wenn er siebenm rä sp d un r di zu wir gesünder, rkäme lgen dann leben fo des Tages wiede at R em es di cht leicht enn wir ennoch ist es ni D n. ie ihm vergeben.“ W ud St e ch uringen. medizinis gebung durchz er V r zu dies belegen auch ig äß m ßen. d verstandes d Impulse von au un t ei Z t sich gefühls- un of t ch Gespräch“ n Prozess. Es brau pfer und Täter im Vergebung ist ei „O s ur K r de nn puls ka Einen solchen Im setzen.
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Eduard M. (Name geändert) berichtet wie er Vergebungsbereitschaft beim Opfer und Täter im Gespräch Kurs erlebt hat. „Ende 2007 wurde ich überfallen. Es wurden mir unter anderem schwere Kopfverletzungen zugefügt. Dieses brutale Erlebnis habe ich nur durch ein Wunder überlebt. Schlagartig, ja völlig unvorbereitet, brachte der Überfall für mich und meine Frau unvorstellbare Veränderungen in mein Leben, die keiner von uns wollte. Nach einigen Rehabilitationsmaßnahmen, mit einjähriger Dauer, verabschiedete ich mich von meiner alten Arbeitsstelle. Mein durch den Überfall veränderter Gesundheitszustand ließ es nicht mehr zu, meine mir so liebgewordene Arbeit weiter zu führen. Fragen wie: Warum ist mir das passiert? Was habe ich falsch gemacht? Warum wollte man mich töten? quälten mich über lange Zeit, raubten mir den Schlaf und brachten Angst in mein Leben. Warum können Menschen nur so brutal sein? Was sind das für Menschen, die unschuldigen Menschen böses tun? Als Opfer einer Straftat dachte ich viel über diese Fragen nach. Eines Tages lernte ich Tobias Merckle, den Leiter vom Seehaus Leonberg kennen. Als er meine
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Geschichte hörte, lud er mich ein, an dem Kurs „Opfer – Täter im Gespräch“ (OTG) teilzunehmen. Nach einigem Zögern sagte ich zu. Ich musste schon Mut tanken um Tätern zu begegnen, die oft ohne jegliches Mitgefühl Mitmenschen brutal Böses antun. Doch ich wollte es wissen: Was haben Täter erlebt, um Täter zu werden? Wie denken, empfinden und reden Täter, wenn sie erzählen, was sie taten und warum sie straffällig wurden. Jede Gesprächsrunde verlief sehr interessant, so dass ich nicht eine versäumen wollte. Heute weiß ich, die Teilnahme am OTG hat sich für mich gelohnt. Denn ich habe viel gelernt, was Täter zu Tätern macht. Und die Täter haben durch uns Opfer eine Sicht dafür bekommen, welche weitreichenden und irreparablen Folgen Straftaten für Opfer haben können. Doch das Schönste war, dass durch die offenen Gespräche in disziplinierter Atmosphäre zwischen Opfern und Tätern Verständnis füreinander aufkam. Und nicht nur da. Die erlebte gegenseitige Vergebungsbereitschaft ermöglichte sowohl mir als auch den Tätern erleichtert miteinander in eine neue Zukunft zu gehen. Und dieser Schritt ist für Opfer wie Täter sehr wichtig. Vergangenes ehrlich ablegen und neu anfangen, dazu haben die wertvollen Begegnungen beigetragen.“
Franziska S. (Name geändert) berichtet über Ihre Erfahrung beim OTG „An Silvester 1994 kamen mein Mann, meine kleine Tochter (4 Jahre) und ich nach einem kurzen Besuch am frühen Abend gegen 19 Uhr wieder nach Hause. Wir schlossen die Haustüre auf, traten ein und ich wunderte mich sehr welches Chaos auf meiner Kellertreppe herrschte. Im ersten Moment dachte ich, dass unsere kleine Tochter da gespielt hat, aber dann plötzlich realisierte ich was geschehen war, beim Blick in meine Küche. Mich durchfuhr ein großer Schreck, Einbrecher sind oder waren hier. Unsere Tochter hatte ich auf dem Arm. Sie erschrak genauso wie ich und weinte. Wir verließen fluchtartig das Haus, da wir nicht wussten, ob noch jemand im Haus war. Mit unserem Nachbarn durchsuchten wir alle Stockwerke, aber es war niemand da, doch das Chaos und das Durcheinander waren schlimm. Ab dem Zeitpunkt schlief unser Kind nicht mehr in ihrem Bettchen, nur noch bei uns. Ihre Angst war sehr groß. Ich konnte sie nicht beruhigen, denn ich konnte nicht sagen, das passiert nie mehr, da kommt keiner mehr. 11 Monate später, waren wir
drei eine Woche verreist, und als wir nach Hause zurückkamen, hing ein Zettel an der Haustür: „Bitte nicht hineingehen, erst beim Nachbarn klingeln.“ Es war wieder eingebrochen worden. Dieses Mal versuchten wir es unserer Tochter zu verheimlichen. Aber zwei Tage später trafen wir eine Bekannte beim Spaziergang, die gleich mit diesem Ereignis herausplatzte und unsere kleine Tochter damit sehr schockierte! Sie war außer sich und die Angst wurde noch größer, zumal wir ja auch nicht ehrlich zu ihr waren. Alles begann von neuem. Sie schlief nur bei uns im Ehebett. Wir benötigten sehr viel Geduld, bis sie mit Mama oder Papa dann in ihrem eigenen Bett wieder eingeschlafen ist. Nachts schrie und weinte sie oft nach uns. Zwei Jahre später wurde bei Nachbarn eingebrochen. Die Nachbarin war auf ein Vordach über der Haustüre geflüchtet und schrie um Hilfe. Wieder bekam unsere Tochter alles mit – wie mein Mann unsere Nachbarin mit der Leiter gerettet hat, und wie Polizisten und Hunde ums Haus liefen. In derselben Nacht wurde nochmals bei anderen Nachbarn eingebrochen. Diese Ereignisse haben unsere Tochter regelrecht aus der Bahn geworfen. Heute ist sie 21 Jahre alt. Als wir letztes Jahr eine Woche 31
verreist sind, blieb sie nicht allein im Haus! Freunde und die Oma sind gekommen um bei ihr zu übernachten! Sie schlief selbst da nicht in ihrem eigenen Bett, sondern legte sich mit einer Matratze neben das Bett der Oma. Allgemein ist sie sehr ängstlich, auch beim Weggehen am Abend fährt sie nie allein mit Auto, Bahn oder Bus. Die Einbrüche haben sich tief in ihre Seele gegraben. Wenn die Einbrecher wüssten, was sie alles kaputt machen können, ich meine nicht das Materielle, vielleicht würde mancher anders entscheiden. Die Einbrüche haben bei uns als Familie viel verändert. Wenn wir am Abend weggehen möchten, werden viele Vorkehrungen getroffen, aus Angst, dass es wieder passieren könnte! Mir ist nie ganz wohl, wenn ich nicht zu Hause bin. Auch nachts schrecke ich bei jedem kleinen Geräusch auf und habe schon oft eine Strategie überlegt, was ich machen könnte, wenn wieder ein Einbruch passieren würde. Über die Jahre wuchs langsam etwas Gras über alles, ich versuchte viel zu verdrängen. Durch das OTG kam alles wieder an die Oberfläche. Ich konnte alles erzählen, laut aussprechen und ich fühlte mich ernst genommen, was ich vor dem Kurs nicht geglaubt hatte. Ich wusste es bleibt alles in der Gruppe, es wird nicht nach außen getragen, das war mir sehr wichtig! Das OTG war Therapie für mich! Es konnte Vergebung und Versöhnung stattfinden! Tief in meinem Herzen empfinde ich Frieden! Nur wenn man Frieden hat ist wirkliches sinnvolles Leben möglich! Ich möchte es allen Opfern ans Herz legen, sich zu überwinden und 32
an diesen Gesprächen teilzunehmen. Es lohnt sich ganz bestimmt! Ich denke auch, dass dadurch viele Täter zum Nachdenken kommen, weil sie vorher einfach nicht wissen, welche Auswirkungen so ein „kleiner Einbruch“ haben kann!“ Versöhnung ist ein bewusster Prozess für den man sich entscheiden muss. Wenn man das entlastende Gefühl des Versöhntseins schon mal erlebt hat, ist es leichter, sich zur Versöhnung zu entschließen und sie zu wollen. Voraussetzung für Versöhnung ist jedoch dass zum einen, die Täter bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, ihre Schuld einzugestehen und um Vergebung zu bitten und gleichzeitig müssen die Opfer bereit sein, den Tätern zu vergeben. Und wenn dann beide bereit sind aufeinander zuzugehen, dann ist Versöhnung möglich. Wir wollen auf diesem Weg begleiten und laden Sie zu einem ersten Schritt in diese Richtung ein, zum „Opfer und Täter im Gespräch“. Im Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ findet in sechs Begegnungen zwischen jeweils vier bis sechs Opfern und vier bis sechs zunächst für die Opfer unbekannten Straftätern ein Gedankenaustausch statt. Dabei können die Opfer die Auswirkungen der Straftaten aufzeigen und ihre Leidensgeschichte erzählen. Gleichzeitig machen sich die Beteiligten gemeinsam auf den Weg zur Bewältigung der Vergangenheit: Anhand der biblischen ZachäusGeschichte und Themen wie „Schuldbekenntnis und Reue“, „Vergebung“, „Verantwortung übernehmen“ oder „Versöhnung und Wiedergutmachung“ wird aufgezeigt und in Gruppenarbeit erarbeitet, wie die Folgen einer Straftat für Opfer und Täter aufgearbeitet werden können. Opfer haben die Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten, Unausgesprochenes auszusprechen, ihre Wut und ihre Emotionen loszuwerden und Täter mit den Auswirkungen von Straftaten zu konfrontieren. Dies kann sehr hilfreich für den Heilungsprozess eines Opfers sein. Durch die
unmittelbare und persönliche Konfrontation mit den verheerenden Folgen von Straftaten wird den Tätern oft zum ersten Mal bewusst, was eine Straftat im Leben der Opfer auslöst und wie sie das Leben und die Lebensqualität der Opfer oft dauerhaft beeinflusst. Außerdem kann durch das Gespräch mit den Opfern bei den Tätern echtes Mitgefühl und Reue entstehen und sie werden angeregt Verantwortung zu übernehmen für das was sie getan haben, u.a. dadurch, dass sie eine direkte oder indirekte Wiedergutmachung leisten und einen direkten Täter-Opfer-Ausgleich anstreben. Marshall B. Rosenberg sagt: „Das Grundprinzip des Täter-OpferAusgleichs ist Versöhnung. Es geht darum, Harmonie und Sicherheit im Zusammenleben der Menschen wiederherzustellen. Studien zeigen, dass Täter die durch ein Programm des Täter-Opfer-Ausgleichs gegangen sind, sehr viel seltener rückfällig werden. ... Es ist dann erfolgreich wenn beide Beteiligten es schaffen, der jeweils anderen Seite Einfühlung zu geben. Und genau darum geht im Opfer und Täter im Gespräch.“ Die Täter die am OTG teilnehmen sind ausgewählte Jugendstrafgefangene, die ihre Haftzeit im Seehaus Leonberg verbringen und sich speziell für den Kurs bewerben.
ÜBER DIE AUTORIN Irmela Abrell, verheiratet, 3 Kinder, wohnt im Seehaus Leonberg. „Mein Traum in einer großen Gemeinschaft zu leben und etwas von mir und dem was ich erlebt habe weiter zu geben hat sich hier erfüllt. Jeder Tag ist spannend und es ist faszinierend zu sehen wie sich die Jugendlichen verändern und etwas aus ihrem Leben machen.“ Kontakt zu Irmela Abrell: Telefon: 07152 331323306 E-Mail: Iabrell@seehaus-ev.de Internet: www-seehaus-ev.de
Jugendstrafvollzug in freien Formen Das Seehaus ist eine innovative Alternative zum herkömmlichen Strafvollzug. Abseits von Gefängnismauern können straffällige Jugendliche ihre Haftzeit im Seehaus Leonberg oder im Seehaus Störmthal (bei Leipzig) verbringen. 14 – 23-jährige Gefangene können sich aus dem Gefängnis heraus für das Seehaus als Einrichtung des „Jugendstrafvollzugs in freien Formen“ bewerben. Nach Zustimmung der Anstaltsleitung verbringen sie ihre gesamte Haftzeit im Seehaus und bereiten sich auf ein straffreies Leben vor. Jeweils bis zu 7 Jugendliche wohnen in einer Wohngemeinschaft mit Hauseltern und deren Kindern zusammen und erfahren so – oft zum ersten Mal – „funktionierendes“ Familienleben, Liebe und Geborgenheit. Gleichzeitig erwartet die Jugendlichen ein durchstrukturierter und harter Arbeitsalltag. Um 5:45 Uhr beginnt der Tagesablauf mit Frühsport. Bis 22:00 Uhr sind die Jugendlichen in ein konsequent durchgeplantes Erziehungs- und Bildungsprogramm eingebunden. Hausputz, Schule, Arbeit, Berufsausbildung, Sport, gemeinnützige Arbeit, Erlernen von Opferempathie, Wiedergutmachung, soziales Training und die Vermittlung christlicher Werte und Normen sind feste Bestandteile des Konzepts. Das Programm dient dazu, Jugendlichen eine Chance zu geben, Kriminalität zu verhindern und damit Opferschutz zu betreiben. Jugendstrafvollzug in freien Formen ist so eine sinnvolle Ergänzung zum offenen und geschlossenen Strafvollzug. Dabei können sich die Jugendlichen – abseits von Gefängnismauern und damit der negativen Beeinflussung durch andere Gefangene – auf ein verantwortungsvolles Leben in Freiheit vorbereiten.
Das Seehaus-Konzept im Überblick Æ Prinzip Familie – Eine Mitarbeiterfamilie wohnt mit jeweils 5 – 7 Jugendlichen und ihren eigenen Kindern familienähnlich zusammen. Auf diese Weise wird Familien leben, das die meisten der Jugendlichen nicht kennen, vorgelebt und vermittelt. Æ Positive Gruppenkultur – Die Jugendlichen übernehmen Verantwortung füreinander und leiten einander an. Sie lernen, für andere da zu sein und sich gegenseitig zu helfen. Æ Konsequentes Erziehungs- u. Trainingsprogramm – In einem durchstrukturierten Tagesablauf werden die Jugendlichen konsequent gefordert. Sie müssen Leistung erbringen. Gleichzeitig werden sie in vielen Bereichen (Schule, Arbeit, Sport, Musik, ...) gefördert und erzielen Erfolge. Æ Schule und Ausbildung – In der Seehaus-Schule bereiten sich die Jugendlichen im Rahmen eines Berufsvorbereitungs- oder Berufsgrundbildungsjahrs auf den Schulabschluss vor. Sie können auch eine Lehre, z. B. in Bauberufen, in der Schreinerei oder der Metallbauwerk-
statt beginnen. Bei der Renovierung des Seehauses und auf internen und externen Baustellen sammeln sie Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern und bereiten sich auf das Berufsleben in der freien Wirtschaft vor. Æ Sport und Freizeit – Die Jugendlichen lernen, sinnvoll mit ihrer Freizeit umzugehen. Sie zeigen vollen Einsatz und üben Fairness und Ausdauer durch Schul-, Leistungs,- und Funsport ein. Bei erlebnispädagogischen Aktivitäten kommen sie an Grenzen, reifen in ihrer Persönlichkeit und entwickeln soziale Kompetenzen. Bei gemeinsame Familienaktivitäten, Musik, Kunst und Theater erkennen sie ihre Gaben und erfahren neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Æ Vermittlung von Normen & Werten – Die Mitarbeiter des Seehauses vermitteln christliche Normen und Werte und leben den christlichen Glauben vor. Auf dieser Grundlage aufbauend, werden Grundtugenden wie Toleranz, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Fleiß, gesunder Ehrgeiz, Ordnung, Höflichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Selbstbeherrschung und Disziplin eingeübt und abverlangt. Æ Wiedergutmachung – Im Seehaus beginnen die Jugendlichen, den von ihnen angerichteten Schaden wiedergutzumachen. Durch gemeinnützige Arbeit leisten sie einen symbolischen Ausgleich der Gesellschaft gegenüber. Zusätzlich werden sie ermutigt, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und ehrenamtliches Engagement z. B. im Pflegeheim oder in der Betreuung von behinderten Menschen zu übernehmen. Æ Opfer und Täter im Gespräch – In acht Begegnungen zwischen jeweils sechs Opfern und Tätern werden die Auswirkungen von Kriminalität auf die Opfer verdeutlicht. Gleichzeitig machen sich die Beteiligten gemeinsam auf den Weg zur Bewältigung der Vergangenheit: Den Opfern wird die Möglichkeit gegeben, das Geschehene zu verarbeiten, ihre Wut und ihre Emotionen loszuwerden und damit die Voraussetzungen für einen Heilungsprozess zu schaffen. Die Täter werden mit den verheerenden Folgen von Straftaten für die Opfer und deren Angehörigen konfrontiert – auf eine Art und Weise, bei der echtes Mitgefühl („Opferempathie“) entstehen kann. Æ Nachsorge – Die Jugendlichen werden auch über ihren Aufenthalt im Seehaus hinaus begleitet. Dies geschieht durch ehrenamtliche Paten, Kontakt mit den SeehausMitarbeitern, Aufnahme in Familien und Jugendhilfeoder Sozialhilfemaßnahmen durch das Nachsorge-Team. 33
THERAPIEENTWICKLUNG
Boreout – Auch Unterforderung ist Stress ULRICH GIESEKUS
Stress macht krank, unglücklich, leistungsschwach und aggressiv. Da sind sich alle einig. Neu ist die Erkenntnis, dass auch Langeweile und Unterforderung einen Menschen so stressen können, dass er krank wird. Boreout nennt man dieses Phänomen, das die meisten Symptome mit dem Burnout teilt. Aber wer möchte schon gern zugeben, dass es schrecklich anstrengend ist, immer so zu tun, als wäre man vollauf beschäftigt?
D
ie Herausforderungen, denen wir ausgesetzt sind, können eine Stressreaktion erzeugen, müssen es aber nicht. Ein Mangel an sinnvollen Herausforderungen dagegen ist auf Dauer immer Stress. Das Rezept: „Weniger ist mehr“, gilt wahrscheinlich nur für eine Minderheit der stressgeplagten Menschen. Für viele gilt vielmehr: Zu wenig ist auch zu viel. Stress entsteht durch Überforderung wie durch Unterforderung, und ob eine Herausforderung über- oder unterfordert, hängt von vielen Faktoren ab. Stressoren können Eustress (positive Energie, Kreativität, Konzentration, Flow-Erfahrungen usw.) oder Disstress auslösen (das, was man landläufig Stress nennt). Ein Beispiel für Eustress gibt Martin Luther: „Denn wenn ich gut schreiben, beten und predigen will, dann muss ich zornig sein; da erfrischt sich mein ganz Geblüt, mein Verstand wird geschärft, und alle Anfechtungen weichen.“
Der gestresste Pförtner Für das Thema Beruf und Stress gibt es Zahlen der Berufsgenossenschaften und Krankenkassen. Und die halten eine große Überraschung bereit: Die Berufstätigen mit der höchsten Gefährdung für stressbedingte Erkrankung sind nicht etwa Lehrerinnen, Manager, Rechtsanwältinnen oder Mediziner. Die kommen zwar auch viel zu 34
häufig vor, aber auf Platz Eins findet sich der Beruf des – Pförtners! Gefolgt von Hausmeister, Reinigungskraft und Altenpfleger. Pförtner? Was ist denn daran stressig? Der stressigste Beruf ist wahrscheinlich in Wirklichkeit, langzeitarbeitslos zu sein. Diese Tätigkeit kommt aber in den Statistiken der Berufsgenossenschaften nicht vor. Doch stressbedingte Suchtstörungen und Depressionen gehören bei Langzeitarbeitslosen zu den häufigsten Erkrankungen. Beim zweiten Hinsehen versteht man den Pförtner. Und den ausgebrannten Langzeitarbeitslosen. Was aus Stressoren Stress macht, ist nämlich nicht in erster Linie die Quantität, sondern die Qualität der Arbeit. Vier Faktoren sorgen dafür, dass Druck einen Menschen beflügelt: Æ Kann ich meine Begabungen entfalten? Æ Habe ich die Möglichkeit, mein Handeln selbst zu steuern? Æ Sehe ich den Sinn meiner Tätigkeit? Æ Welchen Einfluss hat meine Arbeit auf meine privaten und beruflichen Beziehungen? Beantworten Sie diese Fragen einmal für den Hochrisikoberuf Pförtner oder Arbeitsloser: Welche Begabungen werden gefördert? Wie kann man diese Tätigkeit kreativ gestalten? Wie erlebt ein Arbeitsloser die Wichtigkeit des eigenen Tuns? Welche Beziehungen bieten sich an, wenn man als Pförtner nicht mehr als ein menschlicher Toröffner ist, und außerhalb, wenn man am Stammtisch mit beruflichen Erfahrungen prahlt, oder in der Familie, wenn die Kinder erzählen, dass sie sich für den Beruf bzw. die Arbeitslosigkeit des Vaters schämen, wenn in der Schule die Sprache darauf kommt?
BEITRÄGE ZUR THERAPIEENTWICKLUNG
foto: thinkstockphotos.de/ingram publishing
Chris Dass „weniger arbeiten“ für die meisten Menschen nicht das Patentrezept ist, mit dem sie ihren Stress abbauen, bzw., dass „weniger arbeiten“ eben nicht gelingt, illustriert das folgende Beispiel: Chris ist 37, seit 15 Jahren verheiratet, er hat zwei Kinder von 10 und 12 Jahren. Chris ist ein warmherziger, kontaktfreudiger Mann, hilft gerne und ist bei Nachbarn, Freunden und in der Kirchengemeinde für seine freundliche Art bekannt. Nach dem Abschluss der mittleren Reife hatten seine Eltern sich für ihn einen „soliden und sicheren“ Beruf gewünscht und ihn deshalb in eine Ausbildung in der Finanzverwaltung gedrängt. So wurde Chris Beamter in der mittleren Laufbahn und arbeitet nun beim Finanzamt. Diese Tätigkeit langweilt ihn, und eigentlich interessiert ihn der ganze Job nicht. Sein Schreibtisch und der Computerbildschirm widern ihn zunehmend an. Immer häufiger muss er sich überwinden, am Morgen überhaupt zur Arbeit zu gehen. Chris schläft schlecht, wird depressiv, hat Mühe, sich zu konzentrieren, und schließlich gesteht er sich ein: Er hasst seinen Beruf ! Aber Christ steckt in der Falle: Er muss die Familie versorgen. Aussteigen und etwas Neues anfangen? Fehlanzeige. Mit knapp vierzig hat er ohnehin keine Chance, auf dem Arbeitsmarkt von vorn zu beginnen.
Als seine Frau wieder eine Teilzeittätigkeit in ihrem Beruf aufnimmt, ist Chris glücklich, dass er nun seine Stelle um 25 Prozent reduzieren kann. Doch die erwartete Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, denn die wenigen interessanten Steuerprüfungen, die vorher noch ein wenig Abwechslung boten, machen nun die Vollzeitkollegen. Seine Tätigkeit besteht nur noch aus Routineaufgaben und ödet ihn noch mehr an. Chris entschließt sich, zu einer Beratung zu gehen. Dort wird ihm klar, dass er zwar einerseits über-, gleichzeitig aber unterfordert ist. Er kann seine Begabungen nicht entfalten, und die Tätigkeit passt nicht zu seiner Persönlichkeit. Um seine beruflichen Kompetenzen in einem Bereich zu nutzen, der seinen Interessen eher entspricht, beginnt Chris ehrenamtlich, bei einer Schuldnerberatungsstelle zu helfen. Zum ersten Mal kommt er aus seiner anonymen Verwaltungsarbeit heraus und macht die Erfahrung, dass er mit seinen Finanz- und Steuerkompetenzen Menschen in Not konkret und schnell helfen kann. Nach einiger Zeit beginnt auch sein Beruf wieder sinnvoll zu werden – immer häufiger kommt es nämlich vor, dass er bei der Arbeit wichtige Informationen für seine ehrenamtliche Tätigkeit sammeln kann. Inzwischen hat er wieder auf hundert Prozent aufgestockt und arbeitet, wenn 35
Störungen. Diese Einengung der Wahrnehmung führt zu mehr Stress, mehr Stress führt zu Depression. In anderen Worten: Wenn das Leben nur noch nervt, kann der Kopf schlecht Visionen entwickeln. Das macht das Leben noch nerviger. Was hilft ?
Eigene Begabungen entfalten Um aus dieser Schleife herauszukommen oder besser: um gar nicht erst hineinzugeraten, ist ein gutes Gespür für die eigenen Begabungen, Stärken und Schwächen unerlässlich. Was tue ich gerne? Wovor graut mir? Was fällt mir leicht? Was kostet viel Kraft ?
Tunnelblick Wie Chris geht es der Mehrheit der Menschen, die am Boreout „entlangschrammen“ oder längst daran erkrankt sind. Die Quantität ist gar nicht das Problem – die Arbeit müsste nicht mehr oder weniger, sondern anders sein. Je stärker die Stressreaktion, desto enger wird der Blickwinkel: Ein Symptom sowohl des beginnenden Burnout als auch des beginnenden Boreout ist, das man sich zunehmend ausgeliefert fühlt. Die subjektiv erlebten Möglichkeiten, das eigene Leben zu steuern, werden immer geringer. Das Gefühl, ein fast bedeutungsloses Rädchen im Getriebe zu sein, lähmt die Kreativität. Mir liegt es fern, angesichts der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt und des wachsenden wirtschaftlichen Drucks, dem sich viele Unternehmen ausgesetzt sehen, eine einfache Lösung vorzuschlagen. Doch der Teufelskreis sieht leider so aus: Boreout durch ständige Unterforderung verursacht einen Tunnelblick und lähmt die Kreativität. Das führt zu erlebter Hilflosigkeit, zu einseitigen Lösungsversuchen, zu Resignation, zu seelischen 36
Testverfahren zur Beschreibung von Stärken und Schwächen können helfen, sich selbst besser kennenzulernen. Natürlich auch professionelle Beratung, Supervision oder Coaching – am besten nicht erst dann, wenn es nicht mehr anders geht.
Das Steuer selbst in die Hand nehmen Es gibt sie, die unglücklichen Menschen, die ein Zahnrädchen im Getriebe sind und tatsächlich nichts bis wenig verändern können. Die meisten, die ihr Leben nicht selbst leben, sondern sich fremdgesteuert leben lassen, tun das aber aus Angst. Angst vor Fehlern aufgrund von Perfektionismus oder weil sie gelernt haben, andere machen zu lassen. Sie gehen auf Nummer sicher, weil sie unsicher sind, oder haben ihr kreatives Potential nicht entfaltet, weil sie dabei nie gefördert wurden. Es sind also die inneren Einstellungen, die aus Herausforderungen schnell eine Überforderung machen. Wer keine Fehler riskiert, wird jeder neuen Situation mit Ängsten begegnen. Von Henry Ford wird berichtet, dass man ihn gefragt habe, wie man ein so erfolgreicher Unternehmer würde. Seine Antwort: „Verdoppeln Sie Ihre Fehlerquote!“ – Ob Martin Luther
foto: photocase.com/simonthon
man das Ehrenamt dazurechnet, deutlich mehr als früher. Aber Chris ist weniger gestresst. In der Schuldnerberatung entfaltet er seine zwischenmenschliche Begabung. Er kann selbst steuern, wann er was wie macht. Er erlebt, dass seine Arbeit sinnvoll ist. Er entwickelt Beziehungen, hat interessante Begegnungen und genießt die anregende Kommunikation. Die ehrenamtliche Tätigkeit entpuppt sich als eine Art Katalysator, die ihm hilft, seinen Beruf immer mehr als Berufung zu erleben.
So einfach es klingt – es ist gar nicht selbstverständlich, dass Menschen ein gutes Gefühl für ihre eigenen Stärken, Neigungen und Begabungen haben. Oft gibt es ein AhaErlebnis, wenn man eine Zeit lang ein tägliches Journal führt und systematisch beobachtet, was heute Freude gemacht hat und wo man sich überwinden musste. Manchmal sind alte Zuschreibungen („Du kannst kein Mathe“) sehr zäh und versperren Wege, die gut zu gehen wären. Manchmal gibt es auch die unbewusste Einstellung: Nur was mühsam ist, ist richtige Arbeit. Also hat man Schuldgefühle, wenn man für etwas bezahlt wird, was einem Spaß macht … . Die Liste ließe sich verlängern.
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mit seinem „Pecca fortiter!“ („Sündige tapfer!“) etwas Ähnliches gemeint hat, nämlich, dass durch das Evangelium befreite Menschen lieber die Gefahr eingehen sollten, etwas Falsches zu tun, als gar nichts?
sollten eher Nebenprodukte des Strebens nach sinnvoller Aktivität, guten Beziehungen und einem „Herz am rechten Fleck“ sein.
Selbststeuerungsmöglichkeiten zu entdecken, heißt, einen eigenen Weg zu finden und nicht immer den ausgetretenen Trampelpfaden zu folgen.
Dem Körper Gutes tun
Sinn finden Ein Stressor, der bei sinnvollen Aufgaben unvermeidlich ist, wirkt viel weniger stressig als ein sinnloser, nerviger Reiz. Vergleichen Sie den inneren Stress, der sich bei Ihnen entwickelt, wenn a) nachts um zwei aus der Garage des Nachbarn lautes Rrrrennn-ten-ten-ten-ten erschallt, weil der 15-jährige Sohn die Umwelt wissen lässt, dass er ein neues Mofa besitzt, mit dem Stress, den Sie innerlich erleben, wenn Sie b) nachts um zwei Ihr fieberkrankes, weinendes Kind durch die Wohnung tragen, um es zu beruhigen. Wobei geht Ihr Puls höher? Wenn der Frust sinnvoll ist, halten wir ihn viel besser aus. Die Hochspannung, wenn das Ergebnis eines wichtigen Projektes kurz bevorsteht, ist nun mal besser auszuhalten als das gelangweilte Stehen in einer Warteschlange im Arbeits- oder Sozialamt. Was sinnvoll ist, macht zufrieden. Allerdings streben sehr viele Menschen nicht nach Zielen, die sinnvoll sind, sondern reiben sich für Ziele auf, die – so zeigt die Forschung – nicht zufrieden und glücklich machen. Und, ganz überraschend: Das, was wir uns am häufigsten wünschen, macht auch nicht zufrieden: Gesundheit. Studien mit an Krebs, Rheuma, Aids oder Diabetes schwer erkrankten Menschen zeigen, dass diese Menschen mit ihrer Krankheit ein ebenso zufriedenes Leben führen wie andere. Manche zeigen sogar eine höhere Lebenszufriedenheit – allerdings nicht, weil sie krank sind, sondern weil die Krankheit sie dazu gebracht hat, einige der Dinge zu tun, die wirklich zufrieden machen: anderen helfen, freundschaftliche Kontakte pflegen, in funktionierende Liebesbeziehungen investieren, Dinge tun, die man gut kann. Und vor allem: innere Einstellungen wie Dankbarkeit, Optimismus und Vergebungsbereitschaft entwickeln. Wer nach diesen Zielen strebt, erreicht sie meistens. Es gibt sogar Arbeitslose, denen es gelingt. Was nicht heißt, dass Besitz, Gesundheit oder Bildung nicht auch erstrebenswert wären. Aber sie
Neben den bereits genannten seelischen Aspekten der Stressbewältigung spielt der Körper eine wichtige Rolle. Ein ungesunder Schlafrhythmus (z. B. „bis in sie Puppen“ vor dem Fernseher sitzen und dann in den Morgen hinein schlafen), falsche Ernährung, Bewegungsmangel und fehlende Entspannung sind die Faktoren, die aus Stress Krankheiten machen. Dabei muss man wahrlich kein Gesundheitsfanatiker, Rohköstler, Sportler oder Meditationsmeister sein, um wirksam vorzubeugen. Im Gegenteil: Wer es übertreibt – egal was –, lebt kürzer. In der Regel reicht es aus, wenn man genussvoll und vielseitig isst, dreimal in der Woche den Puls ein halbe Stunde lang auf 130 bringt, den regelmäßigen kurzen Mittagsschlaf oder gute Pausengewohnheiten pflegt – und den Ausschaltknopf des Fernsehers vor Mitternacht findet.
Fazit: Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung sind wahrscheinlich die anstrengendsten „Berufe“, die es gibt. Betroffene brauchen oft Hilfe. Ein bisschen Mitleid oder eine ebenfalls unterfordernde ehrenamtliche Aufgabe helfen nicht. Hoffnung entwickeln, Visionen entfalten, Begabungen fördern, Sinnvolles tun, einen Rhythmus von Arbeit und Entspannung finden, dazu Strukturen für Nähe und Distanz in Beziehungen – das sind Faktoren des Glücks, die für unterforderte Menschen möglich, aber extrem schwierig zu verwirklichen sind.
ÜBER DEN AUTOR Prof. Dr. Ulrich Giesekus, geboren 1957, ist Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie und Counseling an der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL). Er ist außerdem Leiter von BeratungenPlus, einem Beraternetzwerk in Freudenstadt (www.beratungenplus.de), und führt eine Praxis als klinischer Psychologe.
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Essstörungen Anorexie – Bulimie – Essattacken bei anderen psychischen Störungen – Adipositas per magna
E
s gibt wenige psychische Störungen, die unserer Gesellschaft so fremd sind und die auf so wenig Verständnis stoßen, wie Essstörungen. In Zeiten eines Überangebots und völliger Verfügbarkeit von so etwas trivialem, wie Nahrung erscheint es rätselhaft warum Menschen hungern oder Essen wieder erbrechen. Am ehesten verstehen wir noch Fettleibigkeit, schließlich finden wir Pommes und Pizza ja auch lecker! Letztendlich ist diese genauso krankhaft und sogar tödlicher als Magersucht. Alleine in den USA geht man von 300 000 Toten durch die Folgen von Übergewicht wie Diabetes und koronare Herzerkrankungen pro Jahr aus. Jedem von uns begegnet spätestens in den Medien schleichend 38
ein Perfektion versprechendes Schlankheits- und Schönheitsideal (jung, schön und reich), das unweigerlich eine erstrebenswerte Norm vorgaukelt, ja fordert, der wir uns kaum entziehen können und über die Jesus vermutlich nur noch den Kopf schüttelt. Die guten alten Zeiten in denen Rubensfrauen erotisch und begehrenswert waren sind einem Paradigmenwechsel zum Opfer gefallen: „thin ist in“. Dabei sind extreme Auswüchse wie Essstörungen im Verhältnis zu Depression oder somatoformen Störungen unauffällig selten mit einem ungleichen Geschlechterverhältnis. Auf etwa zwanzig betroffene Frauen kommt ein Mann. Begleitende psychische Beeinträchtigungen (Komorbidität) wie Persönlichkeitsstörungen, Angststö-
illustration: rainer haas
VON ALEXANDER MÜLLER
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rungen und Substanzmissbrauch treten hingegen häufig auf und erschweren die Therapie. Diese kämpft zusätzlich auch noch gegen diverse Webseiten im Internet, geschätzte 270 deutschsprachige, die Magersucht oder Bulimie als eine Art Lebensgefühl propagieren. So tauschen in obskuren Foren Gleichgesinnte Tipps und Tricks zum Abnehmen, Ernährungspläne und Diäten aus, animieren und motivieren sich „dranzubleiben“, immer am Rande der Essstörung und auch deutlich darüber hinaus. Übrigens gegen klare Reaktionen des Gesetzgebers und Jugendschutzes. Auf fragwürdige Weise werden „sacred texts“ (heilige Texte), Glaubensbekenntnisse und sogar 10 Gebote („Ich darf nichts essen ohne mich schuldig zu fühlen!) oder Psalmen zitiert. Ethische und wissenschaftliche Haltungen hierzu bleiben kontrovers. Wie weit darf man schließlich das Recht auf Selbstbestimmung einschränken? Die Sicht der Betroffenen skizziert dem gegenüber das unglaubliche Leidenspotenzial einer Störung, die im Kern unvermeidbar bleibt. Essen muss schließlich jeder. Im Folgenden soll auf die gängigsten Formen dieser Erkrankung kurz eingegangen und diese in aller Kürze dargestellt werden.
Formen von Essstörungen Anorexia nervosa Die Anorexia nervosa oder Magersucht ist durch einen absichtlichen und/oder selbst herbeigeführten Gewichtsverlust charakterisiert. Dies führt zu einem Körpergewicht von mindestens unter 15 % (BMI = (Gewicht in kg)/(Körpergröße in m)2 unter dem normalen oder dem für das Alter und die Körpergröße erwarteten Gewicht. Dabei kreisen die Gedanken der Betroffenen hauptsächlich um eine tief verwurzelte Angst zu „dick“ zu werden oder zu sein und vermeiden „fettmachende“ Speisen. Um einer Gewichtszunahme entgegenzusteuern wiegen sie sich auch häufig oder betreiben exzessiv Sport, erbrechen oder nutzen Abführmittel (Laxantien) sowie Appetitzügler. Die Selbstwahrnehmung des Körpers ist dabei gestört, so dass der Körper im Spiegel dicker wahrgenommen wird, als er tatsächlich ist, was man als körperdysmorphe Störung bezeichnet. Der immer dünner werdende Körper wird dabei oftmals voller Stolz zur Schau getragen. Die tatsächlich vorliegende, immer stärker werdende Unterernährung wird ignoriert und führt zu langfristigen Folgeschäden mit Veränderungen des Hormonhaushalts und des Stoff wechsels, die in einem (reversiblen) Ausbleiben der Regelblutung oder bei Männern in Potenzverlust mündet. Etwa 15 % der Betroffenen sterben, meist an massiven Störungen des Elektrolythaushaltes mit nachfolgendem Herzversagen, Schädigung der Organe und Nieren. In Deutschland leiden etwa 100.000 Menschen
an dieser Erkrankung, wobei die geschätzte Dunkelziffer vermutlich sehr viel höher ist.
Bulimia nervosa Die Bulimia nervosa (von lat. „Ochsenhunger“) ist durch wiederholte Anfälle (in einem Zeitraum von drei Monaten mindestens zweimal pro Woche) von Heißhunger („Fressattacken“) sowie einer übertriebenen Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts gekennzeichnet. Dies führt rasch zu einem zirkulären Muster von Essanfällen, die über Stunden hinweg gehen können und in denen innerhalb kürzester Zeit große Mengen an Nahrung gierig konsumiert werden. Meist handelt es sich um „verbotene Lebensmittel“, die viele Kalorien beinhalten und die die Betroffenen wieder loswerden müssen, um nicht dick zu werden. Dies geschieht durch gegensteuernde Maßnahmen, hauptsächlich selbstinduziertes Erbrechen, was zu Gefühlen von Entspannung führt, aber auch durch Abführmittel, Hungern oder stundenlangem Sport. Da die Bulimie eine ganz besonders schambesetzte Essstörung ist, bemühen sich die Betroffenen mit allen Mitteln und Tricks ihr Handeln zu vertuschen und zu verheimlichen. Oft findet sich eine Ritualisierung der Essanfälle wie bestimmte Uhrzeiten, bevorzugte Lebensmittel und Getränke, „magische Gewichtsgrenzen“ sowie bevorzugte Verhaltensweisen, um nicht zuzunehmen. Die Bulimie ähnelt in vielen Merkmalen der Magersucht, so die übertriebene Sorge um das Aussehen, die Körperform und Angst vor einer Gewichtszunahme, aber ist weitaus weniger gefährlich. Das Körpergewicht ist im Gegensatz zur Anorexie normal und die Folgeschäden, wie Zahnschmelzschäden, Risse in der Speiseröhre oder der Magenwand ungefährlicher. Aufgrund ihres hohen Schamfaktors, aber auch wegen der „Vorteile“ der Bulimie („Ich kann so viel essen wie ich will ohne zuzunehmen“) kommen die Betroffenen oft erst sehr spät in Behandlung, wenn das Erbrechen bereits zur Routine in einem festgefahrenen Teufelskreis geworden ist. Etwa 1,1 % der Frauen und 0,1 % der Männer leiden an Bulimie.
Essattacken bei anderen psychischen Störungen Auch bei anderen Störungsbildern können Essattacken auftreten in denen Betroffene übermäßig essen als eine Reaktion auf belastende Ereignisse und Stress wie Unfälle, Geburt oder Todesfälle. Meist werden damit anderweitig kaum aushaltbare Gefühle reguliert. Diese Erscheinungsform muss sorgfältig von einer reinen Essstörung diagnostisch abgegrenzt werden.
Adipositas per magna (Adipositas III) Die häufigste Essstörung ist die Fettleibigkeit oder Fettsucht. Die Auftretenswahrscheinlichkeit hat in Deutschland und weltweit in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Der prozentuale Anteil der 39
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Gesamtbevölkerung mit Übergewicht (BMI ≥ 30), der 20,8 % beträgt, teilt sich auf in 15,1 % mit Adipositas Grad I, 4,1 % mit Adipositas Grad II und 1,5% mit Adipositas Grad III (Quelle: Deutsche Adipositas Gesellschaft). Die Grade beziehen sich hierbei auf das Ausmaß der Fettleibigkeit, wobei Übergewicht bei einem BMI von 25 – 29,9 beginnt. Adipositas Grad I setzt ab einem BMI von über 30 – 34,9 und Adipositas zweiten Grades bei 35 – 39,9 ein. Von Adipositas III oder „Adipositas per magna“ oder morbide Adipositas“ spricht man ab einem BMI von ≥ 40. Ein normales Gewicht läge hierzu im Vergleich bei einem BMI von 18,5 bis 24,9 *. Übergewicht ist keine psychische Erkrankung im engeren Sinne, wobei es Ausprägungsgrade gibt, die durchaus behandlungsbedürftig sind und in denen Essen süchtige Ausmaße angenommen hat. Essen kann dabei psychische Funktionen übernehmen, wird zum Schutzpanzer. Es dient dann etwa als „Trostpflaster“ in Konflikten, zur Regulierung von Gefühlen, als Mittel zur Entspannung, Belohnung und häufig auch als Liebesersatz für fehlende Partnerschaften. Die gesundheitlichen Folgeschäden, besonders in Kombination mit Nikotinabhängigkeit, sind gravierend. Die jahrelange übermäßige Zufuhr von Kalorien führt meist zu dem sogenannten metabolischen Syndrom, das, neben der abdominellen Fettleibigkeit, durch Bluthochdruck (Hypertonie), koronare Herzerkrankungen und Insulinresistenz (Diabetes) gekennzeichnet ist (tödliches Quartett). Der Umgang der Betroffenen variiert stark in Abhängigkeit von der Persönlichkeit und reicht von gezielt sich selbst auf die Schippe nehmen bis hin zu völliger sozialer Isolation. In ihrer klinischen Form ist es in der verhaltensmedizinischen Behandlung wichtig, Betroffene im Erkennen von Zusammenhängen zu unterstützen und zur Verantwortungsübernahme zu motivieren. Therapeuten sehen sich mit einer Haltung von Passivität und falschen Annahmen konfrontiert, dass sich das Gewicht automatisch nach unten korrigiert, wenn zugrundeliegende Probleme gelöst sind. Langfristige Änderungen in der Motivation, Sport zu treiben und die Ernährung umzustellen werden schwer eingesehen und sind von außen auch leicht gefordert. Aber haben Sie schon einmal versucht laufen zu gehen und gleichzeitig zwei volle Wasserkästen getragen?
rollverlust eintritt und den Patienten bewusst wird, dass etwas nicht stimmt und ihr Sinn für normales Essverhalten längst verloren gegangen ist. Themengebiete schränken sich immer mehr auf Essen ein, während andere ausgeblendet werden und Gedanken drehen sich vornehmlich um Kalorien und Figur. Manche erzählen von Mobbing in der Schule und schon immer ein dickliches Kind gewesen zu sein, dass endlich einmal Lob bekommen hat, als es ein paar kg abgenommen hat und dann einfach nicht mehr aufhören konnte abzunehmen. Andere sprechen direkt oder indirekt von dem Gefühl sich nicht genug angenommen gefühlt zu haben und einem raumgreifenden Gefühl nicht gut zu sein, wie man ist, egal was man tut. Leistung und Perfektion, die auch vom eigenen Körper gefordert werden, mutieren zum Ersatz für echte Liebe und Annahme. Die Essstörung wird als zu zahlender Preis für die Anerkennung von Eltern und Freunden in Kauf genommen. Dabei kann sie voller Scham und Versagensgefühle heimlich gelebt werden, was Gespräche und sich anvertrauen verhindert. So wird die Bulimie zur engsten Vertrauten, die immer da ist, wenn man sie braucht und die man ganz für sich alleine hat und die einem in schwierigen Situationen beisteht.
Die gesteigerte Beschäftigung mit Aussehen und Gewicht mit einem obligatorischen Ausprobieren von Diäten, mehr oder minder straffen Sportprogrammen oder kleinen Hungerkuren ist für Jugendliche (und Erwachsene) in unserer Gesellschaft durchaus normal geworden. Im klinischen Alltag sind mir bis heute eine Vielzahl von jungen Frauen und wenige Männer begegnet, die alle ihre eigene „Geschichte“ mit der Essstörung hatten. Dabei gibt es den abrupten Beginn der Erkrankung, wie aus heiterem Himmel. Eine größere Schnittmenge erlebt eine lange Phase in der „alles gut geht“, bevor der Kont-
Essstörung aus therapeutischer Sicht – ein Erklärungsversuch
Es fehlen schließlich schlicht Alternativen, um die Essstörung einfach sein zu lassen, eine Vorstellung, die besonders von Familien und Angehörigen formuliert wird, die sich häufig mit Fragen von Schuld und Verantwortung quälen oder den Patienten Vorwürfe machen. Die Essstörung nimmt immer mehr Raum im Leben der Betroffenen ein und vermindert die Lebensqualität. Dadurch kommt es oft zur zunehmenden Vernachlässigung von sozialen Kontakten und Aktivitäten, irgendwann zur Isolation, meist verbunden mit der Entwicklung von depressiven Verstimmungen. Dazu addieren sich ein starker Selbstwertverlust und bei bulimischen Formen oftmals finanzielle Schwierigkeiten durch den hohen Konsum von Nahrungsmitteln. Nicht selten sind auch Selbstverletzungen und Suizidgedanken. Spätestens zu diesem Zeitpunkt geht es den Betroffenen so schlecht, dass sie Hilfe suchen oder von ihren Angehörigen dazu überredet oder gezwungen werden.
Sieben Jahre dauert es im Schnitt, bis Betroffene professionelle Hilfe erfahren. Aus therapeutischer Sicht sind Essstörungen multikausal verursacht. An der Entstehung ist eine Vielzahl nicht mehr zu entwirrender soziokultureller, biologischer und genetischer Einflüsse beteiligt, auch Traumata verschiedenster Art können eine Rolle spielen. Kardinalsymptome von Essstörungen sind Störungen des Körperbildes, Störungen der interozeptiven
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Body-Mass-Index (BMI)
unter 18,5 = Untergewicht
18,5 – 25 = Normalgewicht
25 – 30 = Übergewicht
Body-Mass-Index (BMI) =
über 30 = fettleibig
Körpergröße (kg) Korpergröße (m)2
(Körperschema), propriozeptiven (Wahrnehmung von Reizen aus dem Körperinneren) und vor allem der emotionalen Wahrnehmung. Dahinter liegen oft fehlende, grundlegende zwischenmenschliche Kompetenzen wie etwa eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, was viele Betroffene nur schwer oder gar nicht erlernen konnten. Unter interaktionellen und beziehungsorientierten Faktoren der Störung spielen wahrscheinlich Defizite in der Mutter-Kind-Interaktion eine tragende Rolle. Unter diesem Gesichtspunkt können Essstörungen als Entwicklungsstörungen verortet werden mit einem Mangel an erlebter angemessener Reaktion auf Bedürfnisäußerung, als Folge von Fehlinterpretationen und falschen Annahmen, Defizite von Selbsterfahrung, die insgesamt zu einer mangelnden Ausprägung eines Bewusstsein von sich selbst und einem gestörten Selbstkonzept und Körperempfinden führen. Die Gefühlstönungen wirken ungenau und unkonzeptionalisiert und es bestehen Annahmen, keine Kontrolle über eigene Empfindung zu haben als Ausdruck eines fehlenden „Selbst“-bewusstseins. In der nachfolgenden Reifung können wichtige Entwicklungsschritte schwer oder nicht gegangen werden. Die Unfähigkeit emotionale Bedeutungen im Kontakt mit anderen zu erkennen, führt zu ständigen Gefühlen von Einsamkeit, Gefühlen des nicht respektiert werdens und des ständig gekränkt und verletzt werdens und einem „alles durchdringenden Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit“, was zunehmend durch die Essstörung verzweifelt versucht wird zu regulieren.
und die Therapierbarkeit der Störung anzweifelte. Hilde Bruch, eine deutsch-amerikanische Ärztin und Psychoanalytikerin, die bis heute als weltweit führende Pionierin und Expertin auf dem Gebiet der Essstörungen gilt, beschreibt deren Therapie als einen Prozess des Entdecken lassen von Fähigkeiten, Reichtümern und inneren Kräften im Denken, Urteilen und Fühlen zur Förderung der Selbsterkenntnis, Selbstbestimmung, Initiative und Verantwortung. Mit ihrem Konzept „der vorurteilslosen Erkundungshaltung“ versuchte sie, den hohen Rückfallquoten analytischer Konzepte zu begegnen, die z. B. die Furcht vor sexuellen Bedürfnissen oder Ablehnung einer unbewusst ersehnten Schwangerschaft („Er versuchte mich zu überzeugen, dass ich in meinen Vater verliebt sei und dass ich nicht gesund werden könne, wenn ich es nicht zugäbe“) als primäre Ursache der Störung vermuteten. Unabhängig wo deren Wurzel tatsächlich liegt, stellt die Therapie dieser Erkrankung die Helfer vor eine echte Herausforderung. Denn sobald eine Essstörung behandlungsbedürftig geworden ist, beginnt für alle Beteiligten ein anstrengender Weg und Kampf. Aufgrund der Seltenheit gestaltet sich die Erforschung der Erkrankung als auch der therapeutischen Spielräume und zu bevorzugenden Konzepte mühsam und schwierig. So gibt es nur wenige Studien mit Wirksamkeitsnachweisen. Gängige Therapieverfahren sind die Tiefenpsychologie, die sich in ihrer klassischen Form um eine Klärung, Bewusstmachung und Bearbeitung der hinter der Essstörung liegenden Konflikte und Probleme bemüht.
Behandlung und Therapien von Essstörungen
Eine wichtige Säule in der Behandlung von Essstörungen sind verhaltenstherapeutische Konzepte, die im Zusammenhang mit stationären Behandlungsmaßnahmen näher beleuchtet werden sollen.
Die rasche Zunahme der Anorexie in den 60er und 70er Jahren überforderte die damals noch junge Psychoanalyse, die nur kurzfristige Behandlungserfolge erzielen konnte
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Eine andere Behandlungsform sind Familientherapien und Systemische Therapien, die versuchen die familiären Rahmenbedingungen zu verändern und die Betroffene als „Symptomträger“ eines beziehungsgestörten Gefüges verstehen in der Krankheit als einzige Ausdrucksform zur Regulation erscheint. Nicht alle Patienten eignen sich für eine ambulante Behandlung. So ist bei Anorexie ab einem bestimmten Körpergewicht eher eine stationäre Behandlung sinnvoll oder sogar unumgänglich. Auch entscheiden die sozialen Rahmenbedingungen darüber, ob es erfolgsversprechender erscheint die Betroffenen aus ihrer Umgebung herauszunehmen. Die Heilung einer Essstörung ist von außen betrachtet ein faszinierender Prozess zurück ins Leben. Viele Kliniken setzen in der Therapie auf gruppentherapeutische Konzepte („Gemeinsam ist man stark“) und, wie bereits oben schon erwähnt, Verhaltenstherapie. Die Betroffenen müssen wieder ein normales Essverhalten lernen. Deshalb beginnt der Weg aus der Erkrankung häufig mit einer gezielten, „schonungslosen“ Analyse des gestörten Essverhaltens. In sogenannten Essprotokollen dokumentieren die Patienten was, wie viel, wann und warum sie mit welchem Hungergefühl zu sich genommen haben. Die richtige Einschätzung von Portionsgrößen muss genauso eingeübt werden, wie wieder neu zu entdecken, was es bedeutet tatsächlich Hunger zu haben. Unter therapeutischer Obhut nehmen die Patienten in Gemeinschaft anderer Essgestörter erst ihre Mahlzeiten zu sich und sprechen anschließend in der Gruppe über Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle, die sie dabei gespürt haben. Dabei lassen sich gestörte Denkweisen (dysfunktionale Kognitionen) identifizieren, bearbeiten oder Situationen analysieren, die z. B zu einem Essanfall geführt haben. Durch den Einsatz von Essverträgen, die Therapiebedingungen (Wie viel Sport ist erlaubt?), meist auch eine Mindestgewichtszunahme regeln, fühlen sich die Patienten oft unter Druck gesetzt, wobei die Verwendung auch von der Schwere der Erkrankung abhängt in der es zeitweise schlicht ums Überleben geht. Die Gelehrtenmeinungen scheiden sich in der Frage, ob eine erreichte Gewichtszunahme bei anorektischen Störungen ein wirklicher Indikator für Therapieerfolg ist oder ob andere Kriterien nicht doch entscheidender sind. Eine wirksame Strategie kann der unterstützende Einsatz von neuroleptischer Medikation wie z. B Olanzapin sein, wenn eine Gewichtszunahme zu stark angstbesetzt ist, das Denken zu sehr eingeschränkt oder verzerrt ist. In jedem Fall sollte die Art und Weise der Beziehungsgestaltung betrachtet und besprochen werden. Wo werden Konflikte nicht besprochen oder ausgetragen? Welche Bedürfnisse hat der Patient in dieser Situation und warum? Welche Gefühle haben eine Rolle gespielt und um welche Emotionen han42
delt es sich genau? Die Therapie einer Essstörung erfordert in jedem Fall einen langen Atem, Geduld und die Kalkulation von Rückfällen, die allerdings auch eine besondere Chance bieten herauszufinden, was hinter der Angst dick zu sein oder einer erbrochenen Mahlzeit wirklich steckt. In einer vorsichtigen Schulung der Selbstwahrnehmung von Impulsen, Gefühlen, Gedanken und Bedürfnissen aus dem eigenen Inneren, kann der Patient Dinge entdecken die nur ihm gehören und sich langsam entdecken oder auch Alternativen erkunden. Die „Wir-Erfahrung“ in der Zusammenarbeit, das aktive zuhören und die wertschätzende Behandlung eigener Beiträge und der Person können verinnerlichte Muster von Entfremdung durchbrechen und die Selbstannahme Schritt für Schritt fördern.
Heilungschancen und Prognosen von Essstörungen Die Heilungschancen für eine Essstörung hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab wie etwa weitere kormobide Störungen, Dauer und Ausprägungsgrad oder von Chronifizierungsprozessen. Je jünger die Patienten sind und je früher sie sich in Therapie begeben, desto besser sind ihre Chance auf Heilung. Die Erfolgsaussichten sinken jedoch, je niedriger das Ausgangsgewicht ist und je länger die Erkrankung anhält. Nach einer Therapie schaffen es rund ein Drittel der Betroffenen, das Normalgewicht wieder zu erlangen und zu halten, das zweite Drittel nimmt zwar zu, bleibt aber ein Leben lang untergewichtig. Auch eine Konvertierung in eine andere Form von Essstörung, also von einer Anorexie zur Bulimie ist möglich. Ein Viertel leidet chronisch unter Magersucht. An dieser Stelle sei noch einmal die Gefährlichkeit, besonders von Anorexie betont, die einen tödlichen Verlauf nehmen kann. Betroffene sollten sich in jedem Fall schnellstmöglich professionelle Hilfe suchen, um einer Verschärfung der Symptomatik rechtzeitig entgegenzuwirken. *Anmerkung der Redaktion: Neue empirische Langzeitstudien legen jedoch die Schlussfolgerungen nahe, dass der BMI was die Werte für Übergewicht betrifft, erheblich nach oben korrigiert werden muss.
ÜBER DEN AUTOR Alexander Müller ist seit 2008 Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in Ausbildung für psychodynamische Psychotherapie. Seit 2009 ist er organisatorischer Geschäftsführer der Psychotherapie-Akademie Hessen und leitet zusammen mit der Ärztin Annette Kloss die Gruppe für Essstörungen als Bezugstherapeut an der de‘ignis-Fachklinik.
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Die Ohnmacht der Getriebenen Beängstigend viele Menschen fühlen sich von der Gesellschaft überlastet und verschlissen. Burnout, Depression und andere Stresserkrankungen entstehen – im Gespräch mit Frank, einem Betroffenen.
VON RAINER OBERBILLIG
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foto: zoonar.de/angeta
etrieben sein – ein schlimmer Zustand, den wir alle kennen! Als wir uns begegnet sind, ging es Ihnen sehr schlecht, Frank. Die Überlastung und der Kräfteverschleiß hatten Sie tief in die Depression geführt, bis zur Gefährdung, Ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Æ Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte und nicht um eine charakterliche Fehlentwicklung?
Verehrte Leserin, verehrter Leser, zunächst möchte ich mich für die Teilnahme an diesem „Interview“ bedanken. Ich war etwas überrascht, als mich die Anfrage zur Mitarbeit erreichte. Nun aber freue ich mich einige Worte an Sie richten zu dürfen. Vielleicht findet sich der eine oder andere Leser in einer der verschiedenen Situationen wieder und kann rechtzeitig gegen die negativen Auswirkungen gegensteuern oder sogar manche Situation verhindern. 43
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Schon einige Wochen vor dem Zusammenbruch wurde ich sehr häufig von heftigen und teilweise schmerzhaften Weinkrämpfen erfasst. Dies steigerte sich von Woche zu Woche und von Tag zu Tag. Am Schluss brach ich schon wegen Geringfügigkeiten in Tränen aus. Ständige Suizidgedanken belasteten mich mehr und mehr. Ich spürte den Drang meinem Leben ein Ende zu setzen, um aus der schier ausweglosen Situation herauszukommen. Viermal hatte ich mich auf den Tod vorbereitet und die entsprechenden Hilfsmittel bereits angelegt. Da erst wurde mir richtig bewusst, dass ich es aus eigener Kraft nicht schaffen kann, der negativen Erschöpfungsspirale zu entkommen, und dass ich mich aus dem Arbeitsleben für lange Zeit verabschieden muss. Aus unseren gemeinsamen Gesprächen weiß ich, dass Sie Ihr Hobby – Engagement bei der Feuerwehr – zu Ihrem Beruf gemacht haben. Beruf kommt von Berufung, sagt man. Ich weiß von Ihnen, dass Sie ein begeisterter Feuerwehrmann sind, dem Wahlspruch tief verpflichtet „retten – löschen – bergen – schützen“. Verantwortung übernehmen hat Ihnen auch Freude bereitet und persönliche Befriedigung, andererseits aber auch Last aufgelegt.
Æ Was hat sich gerade durch die Begeisterung für Ihren Beruf in Ihr privates Leben als auch in die praktische Ausübung Ihres Auftrags eingeschlichen? Lange Zeit begeisterte mich der Zuspruch von vielen Menschen: „Du hast es gut, Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht!“ Dies ist aber jetzt, im Nachhinein be-
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Ich bin schleichend in die Depression geraten. Zu Beginn, das war im September/Oktober 2011 stieg mein Blutdruck und ich litt immer mehr und stärker an massiven Schlafstörungen. Daraus resultierte, dass ich morgens nicht mehr ausgeschlafen meinen Tag beginnen konnte und auch im Dienst, ich bin als Kreisbrandmeister beim Landratsamt beschäftigt, immer schnell müde und ausgelaugt war. Ich versuchte Auffälligkeiten vor anderen zu überspielen bzw. verdrängte Auffälligkeiten vor mir selbst. Ich funktionierte, das heißt, gewohnte Abläufe wurden von mir automatisch „abgespult“, weil ich diese Abläufe ja schon jahrelang praktizierte. Es gelang mir sehr gut, fast bis zum Zusammenbruch, die Depression und die Erschöpfung vor meinem Umfeld zu verbergen. Ich versuchte ganz bewusst, mich in der Öffentlichkeit oder auch meinen Vorgesetzten und Arbeitskolleginnen und -kollegen gegenüber, „normal“ zu verhalten, was mir auch sehr gut gelang. Einigen fiel auf, dass ich in meinem Wesen und Aussehen häufig müde und ermattet aussah. Darauf wurde ich aber in wenigen Fällen angesprochen. Das bewusste Verbergen von Depressionen und Erschöpfung fiel mir zusehends schwerer und strengte mich immer mehr an. Ich ertappte mich selbst dabei, dass ich in der Zeit, in der ich alleine in meinem Büro oder alleine im Außendienst unterwegs war, den Überblick verlor, sehr müde und unkonzentriert war. An manchen Tagen wusste ich nicht einmal mehr, wie manche Vorgänge zu bearbeiten waren. Die Aktenberge auf meinen Schreibtisch nahmen zu und türmten sich immer weiter auf. Die Last erdrückte mich. Die Depressionen nahmen immer mehr zu.
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trachtet, für mich ein herber Trugschluss gewesen. Ein Vorgesetzter sagte einmal zu mir: „Wer sein Hobby zum Beruf macht, der hat kein Hobby mehr!“ Diese Aussage wollte ich für mich niemals wahrhaben, obwohl sie aus meiner jetzigen Sicht den „Nagel genau auf den Kopf trifft“. Im privaten Bereich unterstützte mich meine Ehefrau sehr. Sie selbst war mehr als 20 Jahre aktives Mitglied bei der Feuerwehr. Hier war also absolutes Verständnis vorhanden. Der Vater meiner Ehefrau sowie beide Schwestern waren bzw. sind noch aktive Feuerwehrangehörige. Bei uns drehte sich alles um die Feuerwehr. Es gab bei mir kein (!) Privatleben. Ich war immer, für alle, in jeder Situation erreichbar und ansprechbar. Ich nahm meinen Beruf und meine Funktion sehr wichtig und genau und lebte die ständige Erreichbarkeit (365 Tage im Jahr – 24 Stunden am Tag) aus dem Herzen heraus vor. Meine Arbeit, meine Funktion, also mein Beruf erfüllten mich und machten mir sehr viel Freude. Von mir aus hätte die Woche 10 Tage haben können. Meine Arbeit hat mich begeistert. Ich definierte mich durch meinen Beruf, durch die Anerkennung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit. Ich spürte Beliebtheit und Anerkennung als „der Herr Kreisbrandmeister“. So veränderte sich ganz langsam mein Selbstwert und ich war überall „der Herr Kreisbrandmeister“ – bis zu meiner Erschöpfung. Auch für mich lautete der Maßstab: „ich bin ja der Kreisbrandmeister.“ Ich stellte für mich fest, dass ich nicht mehr die volle Leistung, die ich von mir selbst abverlangte, leisten kann. Mein Selbstwert brach völlig zusammen. „Ich war für mich nichts mehr wert“: Der Beginn der Depressionen. Angst kam bei mir auf. Angst davor, von der Außenwelt enttarnt zu werden und nichts mehr zu taugen, nichts mehr wert zu sein. Ich zog mich immer mehr zurück, mied Treffen mit Menschen, sagte häufig dienstliche und private Termine ab, nahm immer mehr passiv an Besprechungen teil, aus Angst, die Folgearbeit würde mir zu viel werden. Meine Freude, mich bei Veranstaltungen mit Menschen zu unterhalten, am gesellschaftlichen Leben teil zu nehmen, verblasste immer mehr. Alles wurde mir zu viel. In einem helfenden und gesellschaftlich hoch angesehenen Beruf wie der Feuerwehr, ist sicher das sogenannte „Helfersyndrom“ eine der größten Gefahren. Hierbei handelt es sich allgemein und vereinfacht gesagt um eine Idealisierung der beruflichen Rolle – vermeintliche Ansprüche, die meine gesellschaftliche Verantwortung betreffen – und eine gewisse Selbstüberhöhung in den Ansprüchen, die ich selbst an mich stelle.
Æ Welche Gefahren Ihres gesellschaftlichen Auftrags für Sie selbst haben Sie rückblickend übersehen? Ich hatte verkannt, dass ich Erholungsphasen und Pausen benötige. Ich kannte das Wort „Ruhe“ nicht und war immer auf der „Vollgasstellung“. Ich brachte es nicht fertig „nichts zu tun“. Immer musste irgendetwas gehen. Das übertrug sich auf die Anforderungen und Ansprüche an mich aber auch an mein Umfeld in den Feuerwehren. Ein Ausspruch von mir war oft: „Da wo wir sind, ist vorne und wenn wir hinten sind, ist hinten vorne!“ Mit meinem Wissen und meiner Erfahrung von heute – fast zwei Jahre danach – möchte ich mich für ein solches „Gequatsche“ entschuldigen. Ich hatte jegliches Maß zur Leistungsnormalität verloren und verlangte dies auch von meinem Umfeld und von Menschen, die mit mir zusammenarbeiteten. Immer mehr musste es sein, immer noch „eins drauf “. In meinem Wortschatz hatte sich ein weiterer Spruch eingebrannt, den ich häufig verwendete: „Bei mir gibt es nur zwei Schalterstellungen – Arbeit oder Tod!“ und „Das Gaspedal ist rechts und sonst kenne ich kein Pedal!“ Ich übersah dabei vollkommen, dass sich Feuerwehrangehörige zurückzogen, weil es ihnen einfach zu viel war und ich übersah weiterhin, dass ich viele Menschen mit meinem Anspruch und mit meinem Tempo überforderte. Heute weiß ich, dass es Menschen gibt, die sich freuen, wenn ich wieder an meinen Arbeitsplatz zurückkomme und auf einem normalen, haltbaren Niveau weiterarbeite. In einem verantwortungsvollen Beruf und erst recht in einer größeren Leitungsaufgabe als regionale Führungskraft in der Feuerwehr kann man leicht in eine Haltung verfallen „ohne mich geht’s nicht“. Dies hängt natürlich mit den Erwartungen an das Berufsbild Feuerwehrmann „allzeit bereit zum Feuerlöschen …“ und der Persönlichkeitsstruktur zusammen. Auch die Problematik der ständigen Erreichbarkeit – der Handy „Fluch“ – wurde aktuell wieder in einer Boulevard Zeitschrift (der Stern) problematisiert als wichtigen Baustein für die Entwicklung eines „Burnout“ Syndrom.
Æ Wie haben Sie es selbst mit der Verantwortlichkeit eines Leiters gehalten: haben Sie sich sozusagen für alles verantwortlich gefühlt oder gelang es Ihnen, den Dienstplan als Hilfe zu nehmen, „out of duty“ zu sein, Verantwortung an die eingeteilten Kollegen zu delegieren oder an Gott?
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Da treffen Sie meine Achillesferse! Ich habe niemandem etwas so richtig zugetraut. Keiner konnte es mir Recht machen und überall hatte ich etwas zu verbessern, auszusetzen bzw. ich machte es am besten gleich selber. Sie beschreiben es in Ihrer Frage ganz genau: Ich war für alles verantwortlich, ich habe mich für alles verantwortlich gefühlt, ohne mich lief nichts und ich war sehr wichtig! So dachte ich von mir. Einen Dienstplan gab es nicht. Meine beiden ehrenamtlichen Stellvertreter „schonte“ ich. Nur bei wirklichen Abwesenheiten waren sie gefordert. Wenn ich im Landkreis anwesend war, nahm ich zu 99 % alle Termine und Aufgaben selbst wahr. Urlaub oder Freizeit gönnte ich mir in den seltensten Fällen. Wenn ich im Urlaub oder in der Freizeit zuhause war, meldete ich mich nirgends ab und wenn ich alarmiert oder angerufen wurde, war ich da. Da gab es keine Ausnahme! Delegieren konnte ich nur sehr schwer. Das hatte ich nicht gelernt und ich wusste nicht, wie das in der Praxis gehen sollte. Ich war in jungen Jahren bis Mitte der 80er ein gläubiger Mensch und sehr aktiv in der Kirchengemeinde und in der Jugendarbeit. Nach 25 Jahren entdeckte ich meinen Glauben wieder. Dies überschnitt sich fast zeitgleich mit dem Beginn meines Erschöpfungszustandes. In meinem vorherigen Arbeitsleben hatte ich für Gott leider keinen Platz.
ich mir den Mut und ich traf auf verständnisvolle Ohren. Nun weiß ich, dass die Ursachen in meiner Kindheit zu finden sind. Ich freue mich sehr, dass ich mit meiner Mutter und mit meinem Vater darüber sprechen konnte. Und ich freue mich sehr, dass ich bei meinen Eltern keine Schuldgefühle geweckt habe. Seither können sie auch viel besser mit meinem Krankheitsbild umgehen und zeigen Verständnis, was anfangs nicht einfach war. Letztendlich darf ich heute sagen, dass ich in meinem beruflichen Leben niemals „Organisation“, „Struktur“, „Delegieren“ … gelernt habe. Ich habe als „Kämpfer“ bei der Feuerwehr vor mehr als 35 Jahren angefangen, habe aus der Freiwilligkeit den Beruf gemacht; ich konnte mich zu einer Führungskraft qualifizieren, aber ich habe mir die Führungseigenschaften wie organisieren, strukturieren und delegieren nie richtig angeeignet, sondern immer nur bei Vorbildern abgeschaut und nachgeahmt. Im Grunde bin ich immer ein „Kämpfer“ geblieben – oder eine Führungskraft, die die Ärmel hochkrempelt; und das sollte sie den Kämpfern überlassen.
In einer ausgedehnten Leitungsverantwortung zu stehen bringt für jeden Menschen normalerweise einen erhöhten Verschleiß der Kräfte, der Motivation mit sich. Hier sind wir alle aufgerufen, gegenzusteuern, wenn die Begeisterung nachzulassen droht und Müdigkeit natürlicherweise das Gesichtsfeld einengt. Merken wir das Nachlassen der Kräfte selbst nicht, brauchen wir von außen Hinweise auf eine negative Life-Balance.
Æ Wie lief bei Ihnen der Entscheidungsprozess, sich nach professioneller Hilfe umzusehen?
Æ Aus Ihrer heutigen Sicht: Wie kam es zu dieser Abwärtsbewegung in Ihrem beruflichen/persönlichen Leben? In der Therapie lernten wir in unserer Kindheit zu forschen und zu suchen. Die Ursachen sind bei mir in meiner Kindheit zu finden. Es sind Perfektionismus, Genauigkeit, übertriebene Ordnung und dennoch Chaos, mangelndes Selbstwertgefühl und der Druck „was denken die anderen Menschen von mir?“ Ich bin froh, dass meine Eltern beide noch leben und wohlauf sind. Lange hatte ich mich nicht getraut, mit meinen Eltern über die Ursachen zu sprechen. Dann nahm 46
Bevor jemand sich eingesteht, an so etwas Merkwürdigem wie einer psychosomatischen Erkrankung möglicherweise zu leiden, vergeht oft viel Zeit. Dazu trägt sicher die gesellschaftliche Wirklichkeit im ländlichen Raum bei, Sorge vor den Gerüchten durch andere zu tragen, dass „mit dem/der was nicht stimmt“.
Anfangs dachte ich, dass ein vierwöchiger Aufenthalt in einem Schweigekloster für mich der richtige Weg sei und ich so wieder in den Alltag zurückfinden kann. Die Entscheidungshilfe kam in meinem Fall von außen. Davor weigerte ich mich Medikamente einzunehmen und ich wehrte mich vehement, mich in eine Therapiestätte zu begeben und mir professionell helfen zu lassen. Nahestehende Menschen rieten mir mit Nachdruck, dass ich mir helfen lassen muss und empfahlen mich in die de’ignisFachklinik nach Egenhausen. Einen echten Entscheidungsprozess gab es bei mir nicht. Die Umkehr kam plötzlich und sehr schnell und ich wollte nur noch, dass man mir hilft und sich mein Zustand wieder bessert. Ich war bereit jegliche Therapie für mich anzunehmen und mitzumachen. Ich war völlig am Ende, leer, ausgebrannt, erschöpft, traumatisiert. Ich hatte ja lange selbst versucht, einen Ausweg zu finden aber dies war aus heutiger Sicht vergeudete Zeit, jedoch eine Erfahrung für mein Leben.
Mein berufliches Umfeld erfuhr von meiner Abwesenheit erst nach dem Beginn der Therapie. Diese Entscheidung finde ich aus heutiger Sicht gerechtfertigt, schließlich handelt es sich um meine Gesundheit und dies ist eine höchst intime und sehr private Angelegenheit. In der Therapie vermuteten wir ja anfangs, dass Sie durch die angehäuften traumatischen Erfahrungen in der Feuerwehr brennende Häuser/Objekte oder Unfälle mit menschlichen Opfern – eine posttraumatische Belastungsstörung erworben hätten. Eine besondere Begebenheit konnten Sie damals nicht aus Ihrem „Schuldgedächtnis“ streichen.
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Æ Könnten Sie uns kurz Zeugnishaft skizzieren, wie diese spezielle, Sie sehr belastende Erinnerung schließlich ihren Schrecken verlor? Eine sehr spannende Frage und ein sehr spannendes Thema. Ich möchte vielleicht ganz kurz auf die posttraumatische Belastungsstörung eingehen, die als weiteres zusätzliches Krankheitsbild bei mir aufgetreten war: Durch meine 30-jährige Einsatztätigkeit in den vielfältigsten Aufgaben der Feuerwehr stapelte sich in meinem Gedächtnis eine nicht aufhörende Anzahl von Einsatzbildern, mit Geräuschen und Gerüchen, die ich auch nach 30 Jahren noch detailliert und minutiös beschreiben kann. Das Fass kam durch einen tragischen tödlichen Motorradunfall zum Überlaufen und rief in meinem Gedächtnis und danach auch in meinen Träumen einen Einsatz aus dem Jahr 2002 hervor, bei dem bei einem Brand ein Kleinkind sein Leben verlor und ich mich aufgrund einer Entscheidung, die ich als Einsatzleiter traf, in tiefe Schuldgefühl verrannte. Ich möchte zeitnahe bemerken, dass jetzt, in diesem Moment, die Bilder wieder vor meinen Augen zu sehen sind, ich jedoch keine Schuldgefühle mehr feststellen kann. Es wurde deshalb für mich eine spezielle TraumaTherapie angesetzt. Die Sitzung wurde dabei mit Video aufgezeichnet. Dies war für mich eine sehr schwere und belastende Therapie, die mich bis tief in meinem Innersten aufwühlte. Ich musste dabei sehr oft und sehr stark weinen. Dennoch war ich bereit, alles mitzumachen. Bei der letzten Therapiesitzung brach ich den Fortgang allerdings ab, weil ich mich zu sehr belastet fühlte. Dennoch habe ich dieses Szenario verarbeitet und als „Schuld“ aus meinem Gedächtnis entfernt. Es war die Therapie, die einen Teil dazu beigetragen hatte. Vieles wurde aufgewühlt, aufgerührt, wieder erlebt; aber auch die positiven Eindrücke des Einsatzes, die von mir vorher niemals beachtet wurden, spielten bei der Verarbeitung eine wesentliche Rolle.
Der Durchbruch gelang jedoch aus dem Glauben an Gott heraus und aus der Vergebung und letztlich und entscheidend aus dem Gebet bzw. einer Gebetsgemeinschaft: Die Bitte zur Vergebung meiner Schuld im Gebet bei diesem ganz speziellen Einsatz bewirkte bei mir, dass ich diese Last am Kreuz bei Jesus ablegen konnte. Heute weiß ich, dass Gott mir vergeben hat; eine wichtige Hilfe dabei ist die Vergebung mir selbst gegenüber, die eigene Barmherzigkeit, die Ruhe und der eigene innere Frieden über dieses schreckliche Erlebnis. Ich bin heute in der Lage, bei ähnlich auftretenden Ereignissen, die in TV und Presse bekannt werden, abzugeben und loszulassen. In unserer Fachklinik legen wir Wert auf die Feststellung, dass der Mensch im Kern religiös ist. Wir bieten deshalb Psychotherapie auf christlicher Basis an, jeweils so weit wie der einzelne Mensch offen dafür sein kann. Im Verlauf Ihrer Behandlung war Ihnen der Christliche Glaube als Ihre ganz persönliche Ressource vermehrt wichtig geworden.
Æ In welcher Form war die Beziehung zu Gott dem Vater als auch zu Jesus Christus an Ihrem Wiederherstellungsprozess beteiligt? Diese Frage zu beantworten, würde vermutlich den Rahmen sprengen. Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Es war für mich sehr wichtig, dass die Therapeuten mit mir beteten. Anfänglich war ich über die Zurückhaltung beim Beten etwas enttäuscht aber dies klärte sich in einem Gespräch. Der Heilungsprozess ist bei mir noch nicht abgeschlossen. Ob er jemals abgeschlossen sein wird, vermag ich aus heutiger Sicht nicht zu sagen. Ich darf mich aber hier und heute zu Jesus bekennen, zum meinem Herrn, der mein Leben bestimmt. Es gibt in meinem Leben keinen Moment, den Jesus nicht kennt, führt, lenkt und begleitet. Mein Wachstum, mein Vertrauen im Glauben an Jesus Christus hat mich zu einem ganz anderen Menschen werden lassen. Ich kann meine Gefühle und meine Gedanken jetzt gar nicht in Worten ausdrücken, vermutlich gibt es keine Worte dafür. Jesus hat mich gelehrt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt sondern die Zukünftige suchen wir!“ (Hebräer 13,14 – Jahreslosung 2013). Viele Menschen haben mich auf diesem Weg begleitet und 47
Die therapeutische Gemeinschaft erleben wir vom therapeutischen Team immer wieder als eigentliches „Agens“ für unsere Patienten, d. h. untereinander scheint man sich in der Gemeinschaft der Leidenden immer am besten verstehen und helfen zu können. In der Zeit, in der Sie hier waren zur Behandlung, hat sich dazu noch unter anderem mit Ihrer Initiative und großem persönlichen Engagement ein Gebetskreis entwickelt, zu dem jeder aus der Tagesklinik eingeladen war.
Æ Inwieweit hat diese religiöse Ausrichtung, individuell Hilfe bei Gott und miteinander im Gebet und christlicher Meditation zu suchen, Ihren Heilungsprozess beschleunigt? Im weiteren Verlauf der Therapie öffnete Jesus Türen und Tore und schaffte uns Patienten Platz und einen riesigen Freiraum, in dem wir uns in unserem Glauben bewegen und leben konnten. Immer mehr Mitpatienten 48
Aus schmerzlichen Erfahrungen mit Rückfällen unserer ehemaligen „Schutzbefohlenen“ wissen wir, wie wichtig die Nachsorge im Anschluss an eine teilstationäre/ stationäre psychosomatische Behandlung ist: um nicht wieder dieser erlebten gesellschaftlichen Getriebenheit sich hilflos ausgeliefert zu fühlen, also fremdbestimmt zu sein, bedarf es Wachsamkeit am besten nach dem Motto „4 Augen sehen mehr als 2“ und innerer Achtsamkeit für die eigene Seele und ihre Bedürfnisse. Sie haben dazu Initiative ergriffen und eine Art Selbsthilfegruppe mit ehemaligen Weggefährten gemeinsam gegründet.
Æ Inwieweit trägt dieser sich in gewissen Abständen treffende Kreis von Gleichgesinnten Menschen, die Jesus Christus die Sorge/Fürsorge um ihr Leben anvertraut haben dazu bei, gesundheitlich voranzuschreiten?
foto: photocase.com/mem-film.de
begleiten mich noch, viele Menschen haben für mich gebetet und immer wieder an mich gedacht; einmal hat mich ein Psalmvers erreicht, der mir schon vor Bekanntwerden der Jahreslosung meine Augen und mein Herz geöffnet hat: „Gott, wenn ich nur dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde!“ (Psalm 73,25). Ich habe gelernt, mich vom Vergänglichen nicht mehr in Beschlag nehmen zu lassen. Ich habe gelernt abzugeben und loszulassen. Ich habe gelernt in der Stille zu leben, mit der Stille umzugehen und in dieser Stille die Zeit für Jesus zu finden. Jeden Tag. Die Hingabe zu Jesus, das unendliche Vertrauen, der ständige unablässige Kontakt und die Not, die mich trifft, wenn ich mich im Vertrauen, im Kontakt von Jesus entferne, haben mir Sicherheit und einen neuen Standpunkt in meinem Leben gegeben.
öffneten sich und wir erlebten die Bildung einer Gemeinschaft, die unter dem Segen Gottes zusammentraf. Ganz, ganz oft, war Jesus unser Thema in den Therapiestunden. „Loslassen“, „Abgeben“, „Vertrauen“, „im Jetzt leben“, „der Herr ist mein Hirte“ waren die Themen, die uns beschäftigten. Und nach und nach schenkte uns Jesus Freude und Wunder auf unserem Therapieweg und wir sangen Lieder und Kanons, wir nahmen uns die Bibel zur Hand und manchmal beteten wir auch gemeinsam. Unsere Kraft erhielten wir von Jesus und von den vielen Gebeten, die für uns gesprochen wurden. Die Bildung eines Gebetskreises nach dem Mittagessen war für viele von uns der Höhepunkt der Therapie. Wir waren beim ersten Mal vier Patienten; dies steigerte sich bis zu einer Teilnehmerzahl von 22 Patienten. Da war das Wirken von Jesus deutlich erkennbar. Unser Einfallsreichtum bei der Durchführung des Mittagsgebetes steigerte sich immer mehr. Wir richteten in der kurzen Zeit den Raum zu einem gemütlichen heimeligen Gebetsstätte her, wir sangen gemeinsam Lieder mit Gitarren- und Klavierbegleitung, mit einer Andacht und einer Gebetsgemeinschaft, die mit dem gemeinsamen „Vater unser“ endete. Dabei hielten wir uns einander an der Hand und ließen Gottes reichen Segen durch uns hindurchfließen. Für mich war dieser Gebetskreis eine wesentliche Heilungshilfe. Ich durfte Jesus auf eine für mich noch nie dagewesen Art kennen und neu lieben lernen. Er hat uns so viel Kraft geschenkt, er hat uns so viel Liebe geschenkt, er hat uns Vergebung geschenkt, er hat uns Gemeinschaft geschenkt und er hat seinen tiefen spürbaren Frieden in die Klinik hineingelegt. Der Mittagsgebetskreis traf sich noch bis zum November 2012.
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Nach Ostern beginnt für mich die stufenweise Wiedereingliederung an meinem Arbeitsplatz. Ich möchte, mit der Kraft die Gott mir schenkt, meine Tätigkeit langsam wieder aufnehmen. Am 14.09.2012 wurde ich aus der de’ignis-Fachklinik entlassen. Mein Aufenthalt dauerte 12 Wochen. Seit meiner Aufnahme in die Tagesklinik sind bis heute mehr als 9 Monate vergangen. Eine sehr, sehr lange Zeit. Wir haben im „ignis-Kreis“ (so nennen wir diesen Kreis), der sich im Abstand von 3 Wochen in der Tagesklinik trifft, eine wichtige Grundlage für unsere verschiedenen psychosomatischen Erkrankungen gefunden. Unser Fundament, auf dem wir aufbauen ist Jesus Christus. Im Durchschnitt kommen zu unserem Treffen zwischen 15 und 20 ehemalige Patienten oder „Noch“Patienten. Wir halten eine kurze Andacht, wir lesen aus der Bibel und aus verschiedener Impuls-Lektüre, wir tauschen uns aus in einer sogenannten „Blitzlichtrunde“, wir singen sehr viel mit Gitarren- und Klavierbegleitung, wir haben schon ein Abendmahl zusammen gefeiert. Wir beenden jedes Treffen mit einer großen Gebetsgemeinschaft, mit einem Stille-Teil und mit Fürbitten und zuletzt beten wir gemeinsam das „Vater unser“ und halten uns, als Zeichen unserer Verbundenheit an den Händen. Wir dürfen erleben wie Jesus in uns wirkt, wie wir uns durch Jesus verändern und wir sprechen uns Mut zu. Wir trösten uns, wir nehmen uns in den Arm, wir lachen zusammen und wir weinen zusammen und wir haben ein großes Verständnis füreinander. Wir wissen voneinander, dass wir auch unter der Zeit an uns denken und für uns beten. Wir beschenken uns mit Freude und Liebe, mit Süßigkeiten, Lebkuchen und Salzbrezeln und es gibt Menschen, die an uns denken und uns Spruchkarten zukommen lassen, zur Erinnerung an die schönen Abende. Wir haben Jesus als unsere Basis erkannt, wir werden durch ihn getragen und wir wissen um seine Anwesenheit bei unseren Treffen. Häufig singen wir den Kanon, der uns aus dem Herzen zuspricht: „Jesus spricht: Da wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!“ Das Schöne dabei ist, dass auch Menschen, die eher noch distanziert gegenüber dem christlichen Glauben sind, zu unserer Gemeinschaft gefunden haben und gerne dabei sind. Wir üben keinen Druck aus, weil uns Druck krank gemacht hat!!!
Æ Was möchten Sie unseren Lesern noch aus Ihrer schmerzlichen und schönen Erfahrung des Heilwerdens ans‘ Herz legen???
Was soll ich hier sagen? „Passen Sie gut auf sich auf ?“ oder „Das müssen Sie oder so machen?“ oder „Ihnen wird das selbe blühen wie mir und sie werden erst durch Schmerzen lernen?“ Das steht mir nicht zu und es fällt mir schwer zur „schmerzlichen Erfahrung“ etwas zu sagen. Aber es liegt mir sehr am Herzen aus der schönen Erfahrung heraus, DANKE zu sagen. DANKE, dass es diese Klinik gibt; DANKE, dass alle Therapeuten und alle Beschäftigten ihren Dienst mit Freude leben; DANKE, für die hervorragende Betreuung, Versorgung und Behandlung; DANKE, dass wir mit dem „ignisKreis“ hier ein Dach über unserem Kopf gefunden haben und so toll unterstützt werden; Schön, dass es Euch von der de’ignis-Fachklinik gibt! Ich wünsche Euch allen, und den Patienten und uns ehemaligen Patienten, dass der Segen Gottes und sein tiefer Friede in alle de’ignis-Häuser einziehen kann und immer einen Platz findet. Gestatten Sie mir bitte noch eine kurze persönliche Anmerkung: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Menschen, die einer psychischen Erkrankung ausgesetzt sind, ihre Probleme mit sich alleine bewältigen wollen und die Last alleine mit sich tragen. Diese Last wird irgendwann zu schwer und kann nicht getragen werden. Vertrauen Sie sich Jesus an – das ist der beste Weg. Jesus erkennt, was wir brauchen und er nimmt uns die Last ab, die uns müde und erschöpft macht und er stellt uns im richtigen Moment, zum richtigen Zeitpunkt, die Menschen zur Seite, die wir brauchen, die uns gut tun und die es gut mit uns meinen.
Æ Vielen Dank für Ihre Offenheit, lieber Frank, sich mit Ihrem Lebenszeugnis zum Thema einzubringen!!!
ÜBER DEN AUTOR Rainer Oberbillig ist Dipl. Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, er ist als Supervisor für Verhaltenstherapie an der Landespsychotherapeutenkammer akkreditiert und Leitender Psychologe an der de’ignis-Fachklinik.
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de'ignis aktuell Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen
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de'ignis-Fachklinik ehrt langjährige Mitarbeiter
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ei einem Gesamtteam wurden wieder langjährige Mitarbeiter der de’ignis-Fachklinik geehrt. Nachdem im vergangenen Jahr mehrere Mitarbeiter das 20-jährige Dienstjubiläum feierten, haben in diesem Jahr sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Arbeitsbereichen ihr 10-jähriges Betriebsjubiläum. Zu diesem Anlass gratulierten Claus J. Hartmann (Geschäftsführer), Dr. Rolf Senst (Chefarzt) und Heidi Gänssle-Hartmann (Servicemanagement). Der Geschäftsführer, Claus J. Hartmann, wies in seiner Ansprache darauf hin, dass jeder seinen Teil zur guten Teamgemeinschaft beigetragen hat und auch dazu, dass die Gäste in den verschiedenen Häusern der de’ignis-Klinik eine Atmosphäre der Geborgenheit, der Liebe und der Annahme erleben. Neben der fachlichen Kompetenz sei das ein wichtiger Beitrag zur Genesung und Heilung der Patienten.
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Von links nach rechts: Heidi Hartmann, Stéphane David, Dr. Jean Marcus, Corinna Mast, Dr. Gabriele Hartmann, Dr. Rolf Senst, Annette Ziefle, Edeltraud Berenbrock, Claus J. Hartmann. Auf dem Bild fehlt Siegrun Seibold. Er bedankte sich bei jedem für das Engagement, die Loyalität und den treuen Einsatz ganz herzlich. Jeder Einzelne für sich sei etwas ganz Besonderes, eine von Gott gegebene Persönlichkeit, ausgestattet mit tollen Begabungen, so der Geschäftsführer. Er freue sich deshalb auf die weitere
gute Zusammenarbeit in den zukünftigen Jahren. Als Zeichen der Dankbarkeit und Wertschätzung überreichte der Geschäftsführer den Jubilaren einen Präsentkorb mit Spezialitäten aus der Region.
DE’IGNIS AKTUELL
FACHKLINIK AKTUELL
Renovierung des Wellnessbereichs der Klinik Egenhausen
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er Wellnessbereichs der Klinik in Egenhausen konnte nach wenigen Wochen Renovierung wieder geöffnet werden. Den Gästen der Klinik steht nun neben einer deutlich
größeren Sauna auch eine Infrarotkabine zur Verfügung. Der gesamte Bereich wurde grundlegend saniert, der Grundriss wurde verändert, die Wände und der Boden
wurden neu gestaltet und gefliest und eine gemütliche Sitzbank eingebaut. Nach einem Therapietag können die Gäste der Klinik sich hier wunderbar entspannen.
Erweiterung der de'ignis-Fachklinik
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m Mai wird mit den Arbeiten am Erweiterungsbau der de’ignisFachklinik in Egenhausen begonnen. Der Anbau ist dringend erforderlich, um die Existenz der Klinik langfristig zu sichern. Die Anforderungen von Patienten und Kostenträgern an eine Rehabilitationsklinik sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Sowohl von Patienten als auch von Kostenträgern
wird zunehmend ein gehobener Hotelstandard erwartet. Gesetzgeber und Kostenträger fordern außerdem, dass öffentliche Einrichtungen behindertengerecht sind. Neben einem Aufzug werden den Patienten nach Fertigstellung des Anbaus mehr Einzelzimmer und Aufenthaltsmöglichkeiten sowie entsprechende Therapieräume zur Verfügung stehen. Auch eine Erweiterung der
Küche wird damit umgesetzt. Die Klinikerweiterung ist mit hohen Investitionskosten verbunden und somit eine sehr große finanzielle Herausforderung für die Gesellschaft. Die Gesellschafter hoffen deshalb, dass ein Teil der Kosten aus Spenden finanziert werden kann. „Für jeden Beitrag sind wir dankbar“.
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Konzert von Judy Bailey und Band zum Jubiläum
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m 22.11.2012 feierte de’ignis mit einem Konzert von Judy Bailey und Band in der Sporthalle der Klinik in Egenhausen. Zu feiern gab es drei Anlässe: vor 25 Jahren wurde die gemeinnützige GmbH, die Träger der de’ignis-Fachklinik ist, gegründet. Das de’ignis-Wohnheim wurde vor 20 Jahren eröffnet; und im gleichen Jahr wurde die erste Ausgabe des de’ignisMagazins herausgegeben. Eingeladen waren Politiker, Ärzte, Kostenträger, Lieferanten, MagazinLeser (siehe Einladung im letzten Magazin) und alle, die Lust hatten, zu kommen. Ca. 250 Besucher ließen sich von Wetter und ungünstigen Straßenverhältnissen nicht abhalten, mit uns zu feiern und die Live-Musik zu genießen. Judy Bailey und ihre Band verstanden es, die Besucher zu begeistern und „mitzureißen”. Ein paar Gäste unterstützen sogar spontan mit Tanzeinlagen auf der Bühne oder nahmen die
INSTITUT AKTUELL
heute aber bester Gesundheit erfreuen. In der Pause und nach dem Konzert verwöhnte das Küchenteam der Klinik die Gäste mit einem Imbiss. Judy Bailey gab zahlreiche Autogramme und kam mit einigen Besuchern ins Gespräch. Alles in allem war es ein schöner und gelungener Abend, ein Highlight zum Ausklang des Jahres.
Neues aus dem Kinder- und Jugendbereich
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eit Herbst 2012 arbeiten zwei Fachkräfte im Institut und bauen die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auf. Barbara Schwab (Diplom-Sozialpädagogin, systemische Beraterin und zertifizierte ADHS-trainerin) und Christina Hoene (Diplom-Sozialarbeiterin, zertifizierte ADHS-Trainerin und Kin52
Herausforderung an, ins Mikrofon zu singen. Mit ernsten und lustigen Anekdoten und Beiträgen begleiteten die Bandmitglieder die Lieder. Ein Gitarrist begeisterte mit einem sehr persönlichen Bericht über das Wirken Gottes bei der Geburt seiner Zwillinge, die viel zu früh mit geringen Überlebenschancen zur Welt kamen, sich
der- und Jugendlichenpsychotherapeutin i. A.) bieten ambulante Therapie für Kinder und Jugendliche im Einzel- und Gruppensetting und Erziehungsberatung an. In Zusammenarbeit mit der Praxis von Dr. med. Herbert Scheiblich (Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzqualifikation Kinderund Jugendpsychotherapie) und der DAK und einigen BKK's führen
sie ein AD(H)S-Trainingsprogramm durch. Im Moment finden Gespräche mit Rektoren umliegender Schulen statt, um heraus zu finden, welche Angebote vor Ort gebraucht werden. Der Bereich für Kinder und Jugendliche wird sich in Zukunft vergrößern. Angedacht sind z. B. Gruppenangebote für soziales Kompetenztraining und Aufmerksamkeitstraining.
DE’IGNIS AKTUELL
INSTITUT AKTUELL
Veränderungen im de'ignis-Institut – Leitungswechsel
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eit dem 1. Januar 2013 gibt es eine neue Institutsleitung. Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig, der das Institut maßgeblich mit aufbaute, geprägt und gestaltet hat, hat die Leitungsverantwortung weiter gegeben. Sein neuer Schwerpunkt liegt seit einiger Zeit in der therapeutischen Leitung der Tagesklinik im Gesundheitszentrum. An dieser Stelle herzlichen Dank für alles Entwickeln und Gestalten im Institut. Du hast die Fortbildung in christlich-integrativer Beratung und Therapie maßgeblich gestaltet und mit deiner Fachkompetenz, deiner Herzlichkeit und persönlichen Zugewandtheit geprägt.
Das Institut wird jetzt von einem Dreierteam geleitet: Claus-Jürgen Hartmann, Geschäftsführer der de’ignis-Fachklinik gGmbH und des de’ignis-Institut gGmbH. Winfried Hahn, Pädagoge, Pastor, Geschäftsführender Heimleiter des de’ignis-Wohnheims gGmbH, Christlicher Therapeut (de’ignis). PD Dr. med. Herbert Scheiblich, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Zusatzqualifikation Kinder- und Jugendpsychotherapie.
Die neue Leitung wird von einer Assistentin im organisatorischen Bereich unterstützt:
Seit Anfang diesen Jahres gibt es ein neues Gesicht im de’ignis-Institut: Mein Name ist Maike Prolingheuer und ich bin als Assistentin der Institutsleitung Ansprechpartnerin in sämtlichen organisatorischen Bereichen. Aufgewachsen in Baden-Württemberg habe ich gemeinsam mit meinem Mann zuletzt je vier Jahre in Hessen und in Thüringen gelebt. Dort habe ich als Grund- und Hauptschullehrerin schwerpunktmäßig im Bereich der Grundschule gearbeitet. Im Rahmen eines Masterstudiengangs habe ich mich theologisch weitergebildet und freue mich über die Herausforderung das de’ignis-Institut mit zu gestalten und weiter zu entwickeln. Beratung und Therapie zu fördern ist unser gemeinsames Ziel. Kontakt: Tel. 07453 9494-385, E-Mail: m.prolingheuer@deignis.de
Fortbildung in christlich-integrativer Beratung und Therapie
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ur Zeit wird die Konzeption des bewährten Therapiekurses überarbeitet. Ab Herbst steht die Neukonzeption zur Verfügung. Der Start
des nächsten Kurses ist dann im Januar 2014. Bei Interesse kann man sich gerne schon jetzt unter m.prolingheuer@deignis.de melden,
um die Konzeption zeitnah zugesandt zu bekommen oder um sich für den Campustag anzumelden.
schnuppern. snacken. informieren.
schnuppern. snacken. informieren.
Wir möchten Dich herzlich zu unserem Campustag für die Ausbildung in christlich integrativer Beratung und Therapie einladen. An diesem Tag kannst Du den Kurs kennenlernen, erfährst allgemeine Informationen und hast die Möglichkeit in ein Seminar des laufenden Therapiekurses hinein zu schnuppern. Der nächste Therapiekurs startet im Januar 2014. Der Campustag beginnt am Samstag, den 9. November um 12.00 Uhr im de’ignis-Gesundheitszentrum in Egenhausen. Wir freuen uns von Dir zu hören!
Bitte melde Dich im Vorfeld an, damit wir besser planen können. Dies geht ganz einfach per Mail an m.prolingheuer @deignis.de oder telefonisch unter der Nummer 07453/94 94 - 0.
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de'ignisWohnheim – Haus Tabor
Volles Haus – Neue Mitarbeiter – Gelungene Rezertifizierung – Neue große Herausforderungen
Zur Zeit sind wir dabei in unserem sozialtherapeutischen de’ignis-Wohnheim – Haus Tabor neue Mitarbeiter einzuarbeiten. Es ist sehr erfreulich, dass wir Mitarbeiter gefunden haben, die sich mit viel Herz und einer inneren Berufung in die Arbeit stürzen wollen. Wir freuen uns im Laufe des Jahres 5 neue Mitarbeiter begrüßen zu dürfen. Unser Team wird durch medizinisches Fachpersonal (Heilerziehungspflegerin und 2 Krankenschwestern, einem Arbeitstherapeuten und einer Praktikantin) ergänzt. Allerdings verlässt uns unser langjähriger Krankenpfleger Johannes Marquart, um neue berufliche Erfahrungen machen zu können. Für uns ist es wichtig, nicht einfach irgendwelche neuen Mitarbeiter zu finden, sondern Menschen, die mit dem Ein-
druck im Herzen, dass dies hier ihr Platz von Gott, eben ihre Berufung ist. Dafür dass dies immer wieder geschieht, sind wir sehr dankbar. Die erste Rezertifizierung ist ebenfalls erfolgreich abgeschlossen. Darin wird uns in allen wichtigen Bereichen eine vorbildliche Arbeit bescheinigt. Viele Bewohner verlassen in der Regel in wesentlich gebessertem Zustand unser Haus, andere kommen neu dazu. Es findet hier im Haus also ein reges Ein- und Ausziehen statt. Immer wieder freuen wir uns darüber, wenn Menschen bei der Bewältigung ihrer Lebenslast hier ein Stückchen weiterkommen und ermutigt ihren Lebensweg fortsetzen können. Das neue Konzept mit dem Wohntraining im Neubau (wir berichteten in unserer letzten Ausgabe darüber) ent-
wickelt sich sehr gut. In den nächsten Jahren müssen wir jedoch auf Grund der neuen Landesheimbauverordnung allen Heimbewohnern ein Einzelzimmer mit einer entsprechenden Zahl an Nasszellen zur Verfügung stellen. Das stellt uns vor große neue Herausforderungen. Wir beginnen schon mit der Planung eines zusätzlichen Erweiterungsbaues. Allerdings stellt uns dies vor riesige finanzielle Herausforderungen, die wir ohne unseren treuen Freundes- und Spenderkreis nicht bewältigen können.
de’ignis-Wohnheim Kto. 105 338 · BLZ 690 516 20 Sparkasse Pfullendorf-Messkirch
+++ Telegramm +++ Telegramm +++ Telegramm Christliche Stiftung de'ignis-Polen Dankbar dürfen wir feststellen, dass die Arbeit, die wir in Polen tun, für viele Menschen segensreich ist. Mit großer Teilnehmerzahl geht unser Seelsorge-Kurs in Warschau im Sommer zu Ende. Der Neustart ist für Jahresanfang 2014 geplant und so wie es aussieht, schon wieder stark nachgefragt. Unsere Kontakte zu wichtigen polnischen Fachkräften aus den Bereichen Psychotherapie und Seelsorge über den wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift „Unter 4 Augen“, die wir mit herausgeben, sind sehr wertvoll. Mit Professor Jaworski von der Universität Warschau, der auch Präsident der christlichen Psychologenvereinigung „Association of Christian Psychologists in Polen (ACP)“ sowie Direktor der Psychotherapieausbildungsstätte SPCh ist, verbindet uns ein sehr herzliches persönliches Verhältnis, aber es bestehen 54
auch Absprachen über enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer christlich-integrativen Psychotherapie vor allem im publizistischen Bereich in Polen und Deutschland. Auch Dr. Niemirowski (ein bekannter polnischer Autor und Publizist) ist eng in diese Zusammenarbeit eingebunden. Der Aufbau eines Netzwerkes von Seelsorgeberatungsstellen im ganzen Land macht große Fortschritte. Pastor Andrzej Nedzusiak, der eine große Gemeinde in Warschau leitet und Vorsitzender des Netzwerkes „Gottes Kirche in Christus“ mit ca. 60 Gemeinden im ganzen Land ist, unterstützt uns tatkräftig. Für diese Verbindungen und Unterstützer sind wir sehr dankbar, denn ohne sie wäre unser Auftrag in Polen nicht zu verwirklichen. Dankbar sind wir auch für die volle Belegung unseres Tagungs- und Freizeithauses in Pomysk. Dies hilft uns
POLEN AKTUELL
sehr bei der Finanzierung dieses Projektes und Geländes, auf dem in absehbarer Zukunft ein de’ignis-Therapiezentrum errichtet werden soll. Liebe Freunde und Unterstützer, all dies, die vielen Reisen ins Land, die Herausgabe unserer polnischen Zeitschrift, die Finanzierung des Gehaltes unserer Mitarbeiterin Agnieska Matejek, der Unterhalt unseres Büros in Warschau etc. verschlingt sehr, sehr viel Geld. Der Segen dieser Arbeit ist offensichtlich! Aber bitte lasst uns bei diesen Herausforderungen nicht allein. Spendenkonto: Christliche Stiftung de’ignis-Polen Konto 7 260 512 BLZ 666 500 85 Sparkasse Pforzheim
DE’IGNIS AKTUELL
POLEN AKTUELL
Unser neues Büro in Warschau Agnieszka Matejek – unsere neue Mitarbeiterin in Warschau stellt sich vor
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nde der achtziger und Anfang der neunziger Jahre studierte ich Germanistik in Tübingen. Dort ist mir Gott begegnet und ich bin zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen. Damals habe ich von einer deutschen Freundin, die mal kurz Patientin von der de’ignis-Klinik war, zum ersten Mal von dieser christlichen Klinik gehört. 20 Jahre später wurde ich 2009 vom Pastor meiner Gemeinde in Warschau gefragt, ob ich beim de’ignis-Seelsorgekurs in einer kleinen Stadt übersetzen könnte. So trat ich mit Winfried Hahn und Dagmar Göhring in Kontakt und meine Zusammenarbeit sowie mein Abenteuer mit der Christlichen Stiftung de’ignis-Polen, deren Vorsitzender Winfried Hahn ist, begann. Ich bin Gott sehr dankbar für diese Führung in meinem Leben. Meine Zusammenarbeit mit de’ignis entwickelt sich mittlerweile so, dass ich ab Februar 2013 bei der Stiftung als Übersetzerin und Assistentin des Vorstandes richtig angestellt bin. Demzufolge wurde und wird mein Arbeitsbereich größer, da ich auch die Leitung des Büros der Stiftung ab April übernehme. Das Büro wurde nämlich von Pomysk Wielki nach Warschau verlegt. Zu meinen Aufgaben neben dem Übersetzen von Seelsorgekursskripten und Dolmetschen bei den Seminaren gehört u. a. folgendes: die organisatori-
Theologisches Seminar in Warschau
sche Seite der Seelsorgekursseminare, Versenden von Einladungen zum Seminar, Aufrechterhaltung des Kontakts mit Kursteilnehmern und Vertretern der Beratungsstellen, Führung der Seelsorgekursdokumentation, Assistenz für den Vorstand und den Stiftungsrat, Vorbereitung der Unterlagen für die Buchhaltung, Bedienung der Mailboxen biuro@deignis.pl, u. a. Die neuen Aufgaben sind für mich eine Herausforderung, aber es ist gut,
bruch in mein eigenes Leben brachte. Ich höre auch immer wieder von den Kursteilnehmern, dass ihnen der Kurs viel bedeutet – sie erfahren selbst innere Heilung dabei und werden zum Dienst an anderen ausgerüstet. Es liegt mir sehr am Herzen, dass mit dem Seelsorgekurs so viele Menschen wie möglich in Polen erreicht werden und dass die Arbeit von der Chritlichen Stiftung de’ignis-Polen wächst. Die Anzahl der Hilfesuchen-
Agnieszka Matejek und Winfried Hahn beim Seminar in Warschau im Theologischen Seminar wenn man was Neues lernen kann und dabei die Freude haben darf, dass man für das Reich Gottes arbeitet, auch wenn es mal stressig wird. Ich möchte auch betonen, dass der von Winfried Hahn geleitete Seelsorgekurs, der das fachliche psychologische Wissen mit dem christlichen Glauben und biblischer Lehre verbindet, viel Heilung und Durch-
den mit psychischen Problemen sowie die der Suchtkranken ist in Polen nämlich groß. Wir brauchen also viele gläubige, fachlich ausgebildete Seelsorger. Ich teile auch mit anderen das Anliegen, dass die Vision einer christlichen Klinik für Psychotherapie in Polen zur Verwirklichung kommt.
Beratungsstellentreffen in Warschau 55
POLEN AKTUELL
Teilnehmer unseres Seelsorgekurses in Warschau berichten Zum ersten Mal begegneten wir der Christlichen Stiftung de’ignis-Polen vor mehr als zehn Jahren. Wir waren damals ziemlich am Anfang unseres Weges als Christen. Zu dieser Zeit suchten wir nach Hilfe für einen Verwandten von uns, der alkoholsüchtig war und in einem Haus zusammen mit uns wohnte. Wir versuchten viel Liebe und Annahme dieser Person zu geben, aber unsere Bemühungen brachten kaum Veränderung und wirkten sich manchmal letztendlich destruktiv auf uns und unsere Familienbeziehungen aus (wir hatten zu der Zeit schon zwei Kinder). Wir wussten nicht richtig, wie wir mit unserem suchtkranken Familienangehörigen umgehen sollten. Wir kannten die Denkweise von suchtkranken Menschen nicht. Wir liebten ihn, waren aber ratlos. So entschlossen wir uns, für die Situation zu beten. Sehr schnell kam die Antwort. Unsere Bekannten sag-
ten uns vom de’ignis-Seelsorgekurs in Pomysk Wielki. Wir meldeten uns zum Kurs an und lernten dort tolle Menschen kennen. Die Schulungen verliefen in einer Atmosphäre voller Annahme und Liebe, was uns und auch anderen Teilnehmern verhalf, unsere Herzen für Gottes Berührung und innere Heilung zu öffnen. Vorher waren wir uns dessen so gar nicht bewusst, dass wir solche Heilung benötigten. Selbstverständlich wurde uns im Kurs ebenso fachliches Wissen in Bezug auf Suchtkrankheiten und Suchtkranke vermittelt. Wir erfuhren auch, dass wir mitsüchtig (coabhängig) waren und es wurde uns klar gemacht, welche Haltung wir gegenüber suchtkranken Menschen haben sollten. Bei dieser Gelegenheit begann der Wunsch in uns zu wachsen, den verlorenen und suchtkranken Menschen helfen zu können. Durch die Teilnahme am Seelsorgekurs auch in späteren Jahren erfuh-
ren wir selbst viel innere Heilung und Befreiung und auch Festigung unserer Identität. Wir kennen jetzt unsere Berufung und das Ziel für unser Leben und sehen, dass Gott unsere Wege mit de’ignis gekreuzt hat. Jetzt können wir mit dem Trost, mit dem wir von Gott getröstet wurden, andere trösten. Wir sind jetzt auch imstande, die Not der menschlichen Seele besser zu verstehen. Dank dem im Seelsorgekurs erworbenen Fachwissen sind wir jetzt effektiver in unserem Dienst an Ratsuchenden. Seit einiger Zeit leiten wir eine Beratungsstelle in Warschau, die infolge unserer Erfahrungen im Seelsorgedienst und Dank der Treue der den Seelsorgekurs leitenden Menschen entstanden ist. Immer mehr Ratsuchende können dadurch Hilfe erfahren, um dann Gott und anderen Menschen in größerer Freiheit dienen zu können.
Seelsorge mit allen Sinnen erleben 14. – 16. Februar 2014 auf der Nordalb und 24. – 26. Oktober 2014 in Langenhart
Gott deckt mir einen Tisch – im Angesicht meiner Feinde 14. – 16. Februar 2014 und 24. – 26. Oktober 2014 GOTT deckt mir einen Tisch – im Angesicht meiner Feinde. In diesem Psalmwort steckt so unwahrscheinlich viel Lebens-Weisheit drin! Dieser wollen wir gemeinsam auf den Grund gehen. Leider gibt es auch heute immer noch die Meinung „Tisch mit allen Gaben her – Feinde weg – alles palletti.“ Doch – wir lesen, dass Gott den Tisch im Angesicht unserer Feinde gedeckt hat! In diesem Seminar wollen wir gemeinsam entdecken, was Gott denn speziell für jede Person ganz individuell für die momentane Lebenssituation bereits gegeben hat (auf dem gedeckten Tisch), welche Beschwernisse im Alltag die Feinde darstellen und wie es möglich sein kann, trotz Belastungen im Alltag all das zu sehen und zu nehmen, was Gott auf dem Tisch gedeckt hat – also bereits gegeben hat. Seminarleitung: Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer mit Team Veranstaltungsort: Kirche im Aufbruch e.V. Nordalb, 73326 Deggingen, mit Übernachtung und Verpflegung, Heu-Hotel Brigel-Hof, Meßkirch-Langenhart, Heu-Hotel und Verpflegung vom eigenen Hof.
de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: seelsorgekurs@deignis.de 56
www.deignis.de
DE’IGNIS AKTUELL
POLEN AKTUELL
Wir beobachten, dass die Anzahl der Menschen mit psychischen Problemen und Identitätsstörungen heutzutage zunimmt. Dementsprechend steigt auch die Nachfrage nach qualifizierten Seelsorgern. Solche werden auf ausgezeichnete Art und Weise durch de’ignis geschult. Joanna und Dariusz Oszczepalińscy, Warschau Im Seelsorgedienst in der Gemeinde stehen wir schon seit vielen Jahren. Aus diesem Grunde suchten wir nach Möglichkeiten, uns in diesem Bereich mehr zu entfalten. Von unseren
Freunden hörten wir vom de’ignisSeelsorgekurs. Den Leiter des Kurses, Winfried Hahn, lernten wir schon früher bei seinen Vorträgen in Polen kennen, was ein zusätzlicher Ansporn für uns war, uns zum Kurs anzumelden. Der de’ignis-Seelsorgekurs ist in Bezug auf die Lehrinhalte und Didaktik sehr gut aufgebaut. Das Lehrprogramm ist umfangreich aber durchsichtig und bietet große Hilfe im Seelsorgedienst. Er basiert auf zuverlässigem Fachwissen und auf reichen, vieljährigen Erfahrungen der Therapeuten, die gläubig sind und eine enge Beziehung zu Gott haben.
Die Teilnahme am Kurs trug zu unserer Fortbildung und unserem Wachstum im Seelsorgedienst bei. Während des Kurses traten wir auch in engeren Kontakt mit Menschen, bei denen wir fachliche Ratschläge holen und mit denen wir Erfahrungen austauschen können. Bei der Entwicklung unseres Dienstes als Seelsorger und christliche Berater half und hilft uns weiterhin die Gründung des Netzes der christlichen Beratungsstellen ICHTHYS in Polen, welches eine Frucht der de’ignis-Seelsorgekurse ist. Kinga und Ireneusz Bilscy, Breslau
Schulung für Seelsorge erneut gestartet – Einstieg jederzeit möglich Psychopathologie – Psychische Krankheitsbilder einordnen und verstehen lernen
SEMINAR 7:
Darstellung der gängigen Therapieschulen und ihrer Behandlungsverfahren
SEMINAR 8:
13./14.09.2013
SEMINAR 5:
Jugendseelsorge – Freundschaft, Liebe, Sexualität
SEMINAR 9:
SEMINAR 3: 21./22.06.2013
SEMINAR 4:
24./25.01.2014
04./05.07.2014 19./20.09.2014
22./23.11.2013
SEMINAR 6:
21./22.03.2014
Biblische Anthropologie, Therapie des Herzens, Hören auf Gott
Innere Heilung durch Klärung der Beziehung zu Gott, zum Du und zum Ich in Vergangenheit und Gegenwart Identitätsentwicklung und -störungen, Sucht, Borderline-Persönlichkeitsstörung Die Persönlichkeit des Seelsorgers, Fähigkeit zur Selbstreflexion, Selbstkritik und Introspektion
SEMINAR 10: Umgang mit Leid, Theodizee-Problematik, Posttraumatische 28./29.11.2014
Belastungsstörung
Schulung für Seelsorge Zur Begleitung von Menschen mit Lebenskrisen, psychischen Problemen und Krankheiten. Unsere Botschaft von Gnade und Liebe, gepaart mit Glaube und Hoffnung, fundiert mit solidem Fachwissen und dem Ziel einer prozesshaften Entwicklung ist das Fundament aller Seminarinhalte.
Einstieg jederzeit möglich!
Diese Seelsorgeschulung umfasst insgesamt 10 Seminare. Eingeladen sind Christen, die einen inneren Ruf zur Seelsorge verspüren, aber auch solche, die sich einfach nur für seelsorgerliche Fragen interessieren. Die Schulung soll zur qualifizierten Begleitung von Menschen mit seelischen Nöten befähigen. Darüber hinaus vermittelt der Kurs Einsichten in die verschiedenen Entwicklungsphasen des menschlichen Lebens und bietet damit die Möglichkeit, sich selbst besser verstehen und kennen zu lernen. Der Kurseinstieg ist jederzeit möglich, weil die verschiedenen Lehreinheiten regelmäßig in weiteren Zyklen in Süddeutschland wiederholt werden.
de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: seelsorgekurs@deignis.de
Veranstaltungsort: Heu-Hotel Brigel-Hof, MeßkirchLangenhart mit dem Angebot von Seminarräumen, freundlichen Zimmern, Heu-Hotel und Verpflegung vom eigenen Hof.
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ADRESSEN
Ambulante Therapie und Beratungsstellen (de’ignis) de’ignis-Gesundheitszentrum Sommerstraße 1 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 info@deignis.de de’ignis-Wohnheim Fred-Hahn-Straße 32 72514 Engelswies Telefon 07575 92507-0 wohnheim@deignis.de de’ignis-Institut Beratungsstelle Lerchenstraße 40 72213 Altensteig Telefon 07453 9494 -0 institut@deignis.de
Gillian Flügel Beratungsstelle Am Bauschbergle 45 72108 Rottenburg Telefon 07472 7833 gillfluegel@hotmail.de Magdalena Schnabel Beratungsstelle Max-Liebermann-Straße 9 73257 Köngen/N. Telefon 07024 8689169 info@jahwe-rapha.de Dorothea Reuther Beratungsstelle Dillweißensteiner Straße 9 75180 Pforzheim Telefon 07231 784088-0 dorothea.reuther@gmx.net
Dagmar Göhring Ulmenweg 22 88605 Meßkirch-Langenhart Telefon 07570 951967 dabegoe@t-online.de
Dr. med. Martina Dickhaut Beratungsstelle Flamweg 89 25335 Elmshorn Telefon 0175 6552413 martinadickhaut@gmx.de
Erika Gasper Beratungsstelle Alte Jakobstraße 75 10179 Berlin Telefon 030 27591782 e.gesper@googlemail.com Katrin Lehmann & Annette Kuhn Beratungsstelle Großenhainer Straße 137 01129 Dresden Telefon 0351-84387-77 kathrin.lehmann@deignis-dresden.de
Kompetenz. Und Gottvertrauen. Durchatmen, wenn die Luft raus ist. Effektive Präventionsangebote. Gesundheit ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Alle Maßnahmen, die dazu dienen, Gesundheit zu erhalten und Krankheiten zu vermeiden, werden unter dem Oberbegriff „Gesundheitliche Prävention“ zusammengefasst. Dabei ist viel Eigeninitiative gefordert, denn jeder kann die eigene seelische und körperliche Gesundheit stark beeinflussen. Eine praktische Anleitung, wie Körper und Seele gesund gehalten werden können, bieten unsere individuell gestaltbaren Gesundheitswochen und unser Kompaktkurs zur Stressbewältigung und -prävention.
de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 Telefax 07453 9391-193 info@deignis.de
www.deignis.de
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Arbeiten mit Gott in der Nähe von Frankreich. Wir sind eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Und wir glauben. Daran, dass Menschen dann am besten helfen können, wenn es ihnen selbst gut geht. Und dass Offenheit und Herzlichkeit die Arbeit in sinnvoll genutzte Lebenszeit verwandeln. Dafür tun wir so einiges – von außergewöhnlichen Urlaubszeitregelungen, über Teilzeitmodelle bis hin zu erstklassigen Weiterund Fortbildungsangeboten.
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Bei Unzustellbarkeit oder Mängeln in der Anschrift senden Sie bitte eine Benachrichtigungskarte an diese Adresse: de’ignis-Institut gGmbH Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig
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de'ignis-Fachklinik auf christlicher Basis für Psychiatrie – Psychotherapie – Psychosomatik • stationäre medizinische Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen • ambulante/teilstationäre Rehabilitation • Anschlussrehabilitation • Sanatoriumsbehandlungen • ambulante Behandlungen • Nachsorge IRENA/ASP • Angebote zur gesundheitlichen Prävention/Vorsorge • Assessment-Center
de'ignis-Wohnheim – Haus Tabor Sozialtherapeutisches Wohnheim nach biblischen Grundsätzen mit Einzel- und Gruppenangeboten: • Gesprächstherapie • Sozialtraining • Seelsorgeschulung • Arbeitstraining (z. B. im eigenen Verlag) • Freizeitpädagogik und individuelle Betreuung
de'ignis-Institut für Psychotherapie und christlichen Glauben • Fortbildung in Christlich-integrativer Beratung & Therapie • Vernetzung von Fachleuten • Ambulante Dienste: – Supervision – Beratungsstellen für ambulante Beratung und Therapie – Sozialpädagogische Kinder- und Jugendambulanz – Weitere Angebote zur Prävention und Rehabilitation
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Christliche Stiftung de'ignis-Polen • Schulung • Freizeit • Ambulante und stationäre Therapie (in Planung)