de’ignis Magazin Nr. 59

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Vol k sk ra n k heit Depression Welche Therapieverfahren leisten effektive Hilfe? Wie kann der Glaube als nßtzliche Ressource mit einbezogen werden? – Nr. 59


Spendenaufruf

Liebe Freundinnen und Freunde von de’ignis, wir benötigen Ihre Unterstützung! Das Coronavirus (SARS-CoV-2) stellt unseren Alltag, wie wir ihn kannten, aktuell völlig auf den Kopf. Gerade jetzt kommt unser Claim „Kompetenz. Und Gottvertrauen.“ besonders zum Tragen: Einerseits fachlich medizinisch mit dieser Corona-Pandemie richtig umzugehen sowie die notwendigen Maßnahmen frühzeitig zu ergreifen. Und andererseits selbst zuversichtlich und hoffnungsvoll in dieser Zeit zu sein und dies auch weiterzugeben. Gerade in der jetzigen Zeit ist die psychische Gesundheit nicht zu vernachlässigen. Für diese setzen wir uns weiterhin kompetent in unseren Einrichtungen ein. Zudem ist Glaube eine hilfreiche Ressource, die Zuversicht schenkt und Hoffnung gibt. In dieser Zeit wollen wir ganz besonders Zusammenhalt und Nächstenliebe weitergeben. Bereits jetzt bekommen wir auch von unseren Patienten widergespiegelt, dass sie die getroffenen Maßnahmen in den Einrichtungen als sehr hilfreich wahrnehmen und sich weiterhin sehr gut aufgehoben fühlen. Dass sich all unsere Patienten auch in dieser Zeit bei uns wohlfühlen, ist uns ein besonderes Anliegen und wir setzen all unsere Kräfte tagtäglich dafür ein. Auch unsere Einrichtungen sind von weitreichenden Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie betroffen. Einerseits arbeitet unser Fachpersonal in dieser Zeit unter erschwerten Umständen mit hohem Einsatz und ist stark gefordert. Andererseits nimmt der wirtschaftliche Druck für uns als gemeinnützige Einrichtungen immer weiter zu. Daher benötigen wir in diesen ungewissen Zeiten Ihre Unterstützung mehr denn je. Ihre Spende hilft uns den Betrieb, trotz der weitreichenden Einschränkungen, weiterhin aufrecht zu erhalten, Menschen in ihren Krisensituationen kompetent auf christlicher Basis zu helfen und wichtige sowie hilfreiche Leistungen wie zum Beispiel unsere kostenfreien, ambulanten Angebote für Kinder- und Jugendliche oder die Ausweich-Aktivitäten für unsere Bewohner des de’ignis-Wohnheims zu stemmen. Aber auch das kostenlose de’ignis-Magazin in Ihren Händen benötigt Ihre Unterstützung. Eine Spendenquittung kann gerne auf Wunsch ausgestellt werden. Das sind schwierige Zeiten für alle von uns. Umso mehr schätzen wir Ihre Unterstützung – für unsere Patienten und unsere Mitarbeiter – und sind Ihnen dafür von Herzen dankbar! Wir wünschen Ihnen Gottes Segen und dass Sie gut durch diese Zeit kommen. Bleiben Sie gesund!

Spendenkonto: de’ignis-Fachklinik gGmbH Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE50 6426 1853 0062 1680 02 BIC: GENODES1PGW

Verwendungszweck: Coronahilfe


L ieb e L eserinnen und L eser

Gedrückte Stimmung, gehemmter Antrieb, Interesselosigkeit und Freudlosigkeit, Schlafstörungen, ein gestörtes Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit, Entscheidungsunfähigkeit und viele mehr – Symptome des Krankheitsbildes Depression. Laut Weltgesundheitsorganisation leiden weltweit rund 350 Millionen Menschen unter einer Depression und es wird als die zweithäufigste Volkskrankheit gesehen. Insgesamt erkranken rund zehn Prozent der deutschen Bevölkerung einmal oder mehrmals in ihrem Leben an einer schweren depressiven Episode. Wie kann dieses Krankheitsbild in unserer heutigen Zeit verstanden werden und welche Ansätze gibt es hierbei, auch im Rahmen der christlich-integrativen Therapie? (Seite 6) Trotz ihrer Häufigkeit ist eine Depression eine relativ gut behandelbare Erkrankung. Zur psychotherapeutischen Behandlung von Depressionen gibt es unterschiedliche, wissenschaftlich anerkannte Therapieverfahren, die wir auch in unseren Einrichtungen nutzen. Hierbei insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie (Seite 30), die tiefenpsychologische Therapie (Seite 38) und den systemischen Ansatz (Seite 34). Weitere Therapieformen wie Bewegungs-, Ergo- oder Musiktherapie bieten die Möglichkeit, einen breiteren Blickwinkel zur vorliegenden Erkrankung zu erhalten und werden ergänzend für eine effektive Behandlung angewandt (mehr auf Seite 46). Auch die zusätzliche medikamentöse Behandlung einer Depression kann angebracht sein, was bei Patienten teils die Frage der Vereinbarkeit mit ihrem Glauben aufwirft (Seite 22). Darüber hinaus gibt es interessante Therapieentwicklungen wie Neurostimulationsverfahren (Seite 26), die bei Sonderformen oder schweren depressiven Erkrankungen zum Einsatz kommen.

Neben der qualitativ hochwertigen und den aktuellen wissenschaftlichen Standards entsprechenden psychotherapeutischen Behandlung spielt für uns bei de’ignis der christliche Glaube in der ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen eine bedeutende Rolle. Glaube kann für Patienten eine persönliche Ressource sein, der vor allem in Krisenzeiten Halt gibt und als Hoffnungsträger empfunden wird (mehr auf Seite 12). Die christliche Spiritualität kann in der Psychotherapie einen wertvollen Ansatz bei der Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung des seelischen Wohlbefindens liefern (Impuls auf Seite 14). So gibt es in der Bibel Beispiele zu Krankheitsbildern, wie das von Elia, der in seiner Krisenzeit und den darin zentral gestellten Lebensfragen: Woher komme ich? Was tue ich hier? Wohin gehe ich? – die sinn- und kraftvermittelnde Qualität seiner Gottesbeziehung erfährt (Seite 42). Neben dieser biblischen Figur, die mit Depression zu kämpfen hatte, geben Ihnen interessante Erfahrungsberichte aus unserem klinischen Alltag einen zusätzlichen Einblick zu unserem Schwerpunktthema. Darüber hinaus erhalten Sie wieder aktuelle Informationen zu den einzelnen Einrichtungen von de’ignis. Wir freuen uns, wenn Sie unser Engagement zur psychischen Gesundheit auf christlicher Basis für Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen. Insbesondere die weitere Entwicklung unserer Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien sowie Flüchtlinge möchten wir hervorheben, wo wir auf finanzielle Hilfe angewiesen sind. Wir wünschen Ihnen wertvolle Impulse und viel Freude beim Lesen des de’ignis-Magazins.

Ihre Heraus g eb er

S eb a stian Har tmann

Titelbild: Getty Images

Unternehmensentwicklung, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut

Claus J. Har tmann

Geschäftsführer, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut

Ed itoria l

Winfrie d Ha hn

Geschäftsführender Heimleiter, Sozialtherapeutisches Zentrum de’ignis-Wohnheim, Vorstandsvorsitzender de’ignis -Stiftung Polen


de’ig n is -ma g a z in Ökodruckfarben

Titelthema

Wolken verändern die Sonne nicht!

P D Dr. m e d . Her b er t S c h e i b l i c h

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De profundis

We i h b i s c h o f Th o ma s Ma ri a R en z

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Psalm 23

Imp u l s vo n D i p l . -Ps y c h . R a i n er O b er b i l l i g

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Dr. m e d . R a i n er K l o ß

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Neurostimulationsverfahren bei Depressionen

P D Dr. m e d . Her b er t S c h e i b l i c h

26

Diagnostik der Depression und verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze

D i p l . -Ps y c h . Ma r g a re t e K ap p l er

30

Depressionen aus systemischer Sicht

Ann i k a D ö l ker

Depression aus tiefenpsychologischer Sicht – eine Annäherung

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Chri s tina Ha n en b er g

38

Depressionen in der Bibel

He l ena Pr üm

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Körperliche Ansätze in der ganzheitlichen Therapie von Depressionen

Der Glaube und die medikamentöse Behandlung von Depressionen

Unserer Umwelt zuliebe drucken wir klimaneutral und mit Ökofarben auf Basis nachwachsender Rohstoffe. Das Papier stammt aus ökologisch nachhaltiger Produktion und ist FSC® und PEFC™ zertifiziert. Für diese Druckproduktion wird ein Baum gepflanzt.

Th ere s a A l b re c ht

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Erfahrungen mit depressiven Menschen im Sozialtherapeutischen Zentrum de’ignis-Wohnheim

W i n f ri e d Ha hn

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Aktuell

Was hat sich entwickelt? Welche Angebote gibt es? Berichte, Termine und Aktuelles von de’ignis

Fa c h kl i n i k , Ins ti t ut un d Wo hn h e i m 53

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Winfried Hahn, Claus J. Hartmann, Sebastian Hartmann, Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig, Maike Prolingheuer, PD Dr. med. Herbert Scheiblich Art Direktion: Yil & Mann, mail@ynm.studio Redaktion:

Implementierung und Produktion:

AD Dipl.-Ing. Rainer Haas, haas@ad-stuttgart.de Druck: F &W Druck- und Mediencenter GmbH Papier: Arctic Volume Highwhite (Umschlag), Amber Graphic matt (Inhalt) Auflage: 17.500 Herausgeber: de’ignis -Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23, 72227 Egenhausen Telefon: +49 (0) 7453 9391- 0 Fax: +49 (0) 7453 9391-193 E-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE50 6426 1853 0062 1680 02 BIC: GENODES1PGW

de’ignis-Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30, 72514 Engelswies Telefon: +49 (0) 7575 9250 - 70 Fax: +49 (0) 7575 9250 - 730 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pfullendorf -Meßkirch IBAN: DE46 6905 1620 0000 1053 38 BIC: SOLADES1PFD de’ignis-Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Markgrafenweg 17, 72213 Altensteig Telefon: +49 (0) 7453 9494 - 0 Fax: +49 (0) 7453 9494 -396 E-Mail: institut@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE60 6426 1853 0066 6240 02 BIC: GENODES1PGW

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Wolken verändern die Sonne nicht! Nachdenklich Kritisches zur depressiven Perspektive. Von PD Dr. med. Herbert Scheiblich

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema


Modell erklärt und einer multimodalen Therapie behandelt. Weitere Faktoren zur Krankheitsentwicklung sind neben organischen Ursachen, Störungen der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Bindungsentwicklung, der Sozialisation und Umwelt. Die Zahl depressiver Erkrankungen steigt und man hat in der Diagnose und Behandlung affektiver Störungen große Fortschritte erzielt. Die Stigmatisierung psychisch Kranker hat sich durch Aufklärung etc. stark reduziert. Aber Menschen mit Depressionen werden immer noch ausgegrenzt mit dem Vorurteil: schwach zu sein und versagt zu haben. Der Betroffene selbst fühlt sich ebenso als Versager und schämt sich deswegen. Der Anspruch an sich in einer Leistungsgesellschaft, alles im Griff zu haben, was im Leben passiert, verschärft diese Angst-/Schamspirale zusätzlich. Die Konsequenzen dieser emotionalen Haltung sind: zu späte Hilfesuche, unzureichende Der Ausgangspunkt dieser Erörterungen Behandlung und Mitarbeit des Patienten. ist die Frage, was im heutigen Umgang mit Die Depression als intrapsychischer/somader Depression verändert/verbessert wer- tischer Konflikt wird zu einem interpersonellen Konflikt. den kann.

Affektive insbesondere depressive Störungen sind eine der häufigsten Erkrankungen der westlichen Gesellschaften und von ihrem Verlauf her auch eine der häufigsten Ursachen für frühzeitige Berentung und lebenslanges Leid. Diese Umstände führten zu einer intensiven und differenzierten Erforschung dieser Erkrankung. Die aktuelle Beschreibung von Depressionen als eine multifaktoriell verursachte und multikonditional zu behandelnde Störung hat im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Menschenbildes erhebliche Lücken im Hinblick auf die nachfolgenden Punkte. Dabei werden nur die Wesentlichsten in diesem Artikel besprochen: • Die dahinterliegende Anthropologie und Ursachen von Depressionen •B eschreibung der Symptomatik • Das fundamentale Verständnis (Botschaft der Depression) • Die Behandlungsmöglichkeiten

Zu den Ursachen

Die bekannte Metapher über das besondere Wesen der Depression ist das WolkeSonnen-Bild. Die Wolken versinnbildlichen die depressiven Gedanken und Gefühle etc. und versperren die Sicht auf die darüber strahlende Sonne. Der irdische Betrachter nimmt nur den grauen Himmel wahr und kommt zur Annahme, die Sonne sei nicht mehr da. Eine antidepressive Therapie ist in diesem Bild wie ein Flugzeug, das den Betroffenen über die Wolken hebt und er dann die schön scheinende Sonne wieder neu sieht.

Foto: Oleh_Slobodeniuk / iStock

Eine depressive Erkrankung wird aber häufiger mit dem Transmitter-Rezeptorenmodell erklärt. Es beschreibt, dass bestimmte Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin im Gehirn in ihrer Konzentration verringert sind und durch Antidepressiva dieses Ungleichgewicht behoben wird. Depressionen werden allgemein wissenschaftlich mit einem multifaktoriellen

und Resilienz beim Betroffenen. Leider ist dieser Weg in vielen sozialen Situationen nicht möglich und daher steigt der therapeutische Aufwand mit der Gefahr einer Chronifizierung. Kurze Gedanken zum Thema Burnout: Das relativ moderne Konzept der Überforderung des Menschen in einer Industriegesellschaft, hat den positiven Aspekt: depressive Symptome als Folge eine Überforderung durch einen übermäßigen Einsatz für/in der Arbeit zu sehen. Es stellt die Person mit einem Burnout nicht als Versager oder Schwächling dar, sondern als einen, der alles und das Beste gegeben hat. Der Selbstwert und das Ansehen bleiben positiv erhalten. Die Schwachstelle bei diesem Konzept ist, dass sich hinter Burnout meistens eine ausgeprägte psychische Erkrankung versteckt und diese positive Attribuierung der Überforderung lange Zeit eine Krankheitseinsicht und damit frühen Behandlungsbeginn verschleppt. Die Depression als somatischer/intrapsychischer/interpersoneller Konflikt wird zu einem sozialen, gesellschaftlichen Konflikt. Diese Sichtweise wird normalerweise in den bisherigen Behandlungssettings nur wenig oder unzureichend beachtet. Das Wolken-Sonnenbild ist ein narrativer Erklärungs- und Therapieansatz. Er bietet in bestimmten Phasen der depressiven Entwicklung einen Anker, fehlerhaftes Denken durch positive Bilder einzudämmen und Hoffnung zu vermitteln. Er schützt den Betroffenen auch vor allgemein aufmunternden Sprüchen wie „es wird schon werden“ oder positiv gemeinten Appellen wie „sich zusammen zu reißen“. Dieser Ansatz ist daher für viele Patienten sympathischer und aussagekräftiger. Er findet in einem bio-psycho-sozialen Modell vom Menschen jedoch keinen Platz. Erst die Erweiterung um die philosophische Dimension zu einem bio-psycho-sozio-philosophischen Modell entspricht einer existentiellen Anthropologie und damit gleichzeitig der menschlichen Natur. Wie verändert nun diese Erweiterung die Erklärungen, Beschreibungen und die Behandlung von Depressionen?

Die gestörte Kommunikation findet sich häufig in Konflikten am Arbeitsplatz. Die moderne Organisation der Arbeit, Verwaltung und Wirtschaft steigert die Arbeitsproduktivität in einem so hohen Ausmaß, dass sich dadurch eine Stressüberlastung und chronische Überforderung entwickelt. Verstärkt sich die Kommunikationsstörung mit der Umwelt kann der Betroffene in eine Mobbing/Bossing-Situation geraten und ein Burnout entstehen. Die moderne Depressionsforschung sieht Depressionen als eine kommunikative Störung, die ihre Wurzeln in der Kindheit des Betroffenen hat. Diese biografische Sichtweise ist der wesentliche Ansatzpunkt einer psychodynamischen Behandlung der Depression. Neben der Therapie kann jedoch eine einfache positive Reaktion der psycho-sozialen Umwelt wie ein schlichtes Lob, kurze Ermunterung oder Lächeln besonders am Zur Symptomatik/Diagnose Arbeitsplatz vieles zum Besseren wenden. Die Diagnose einer Depression ist einerseits Die Folge ist eine optimierte Compliance leicht und andererseits sehr kompliziert (Abb.1).

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Die Einführung von Diagnoseschemata hat das Erkennen von Depressionen erleichtert und standardisiert. Bei diesem Prozess geht aber die Individualität des Patienten verloren. Depressive Symptome sind sehr vielschichtig und man bezeichnet Depressionen wie auch die Angststörungen als Chamäleon der Psychiatrie. Der psychosomatische Anteil einer Depression imitiert somatisch definierte Krankheitsbilder wie LWS Beschwerden, Schmerzsyndrome und so weiter. Eine Maskierung entsteht durch den Prozess der Somatisierung (Ausdruck psychischer Symptome durch körperliche Funktionsstörungen). Bei einer somatisch orientierten Medizin ist die übliche Verfahrensweise, die Beschwerden des Patienten organisch zu erklären und zu behandeln. Ist dies nicht möglich, kommt es zur Schlussfolgerung, es sei psychisch verursacht. Der Patient wird in eine Schublade gesteckt, in der er sich nicht wohlfühlt. Die Erweiterung um das Existenzielle in der Betrachtung des Patienten nimmt die Individualität des Patienten wieder auf und verhindert eine Behandlung nach Schema F in einer leitlinienorientierten Medizin und ihren psychischen Fachdisziplinen. Das fängt bei der Banalität der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau an. Die Genderforschung zeigt, dass es weibliche und männliche Symptome bei der Depression gibt und sinnvollerweise auch geschlechtsspezifische Therapieansätze notwendig sind. Die bisherige klassische Symptombeschreibung der Depression ist weiblich definiert. Es kommt daher bei Frauen häufiger zu einer Diagnose (F:M = 2:1) und Behandlung einer Depression. Die männlichen Symptome (Abb. 2) lassen sich durch unterschiedliche Stressvulnerabilität und -response bei Männern und Frauen erklären. (Abb. 3, Seite 09 und Abb. 4 – 5 auf Seite 11)

Die Folgen dieser Fehldiagnostizierung und -Behandlung sind immens. Es kann sich eine Chronifizierung entwickeln, mit einer Zeitdauer von mehr als sieben Jahren vom Symptom bis zur effektiven Behandlung. Es kommt zum erhöhten Auftreten von psychischen und somatischen Begleiterkrankungen, zu erhöhten Kosten und

Fehlversorgung im stationären Bereich, zu Wenn diese Ebene im Behandlungssetting erhöhtem allgemeinem Mortalitätsrisiko der Depressionen nicht beachtet wird, verliert man eine wesentliche Ressource für und erhöhtem Suizidrisiko. eine nachhaltige Behandlung. Es gibt bis dato kein befriedigendes Erklä- Die bisher statistisch erfassten Therapieerrungsmodell für diese Prävalenzunterschiede folge der bisherigen Behandlungsstrategien und trotz gesellschaftlichen Rollenwandels für affektive Störungen zeigen aber weider letzten 30 Jahre zwischen Männern terhin, trotz aller Bemühungen, eine hohe und Frauen gibt es keine Veränderung der Anzahl von therapieresistenten und nur teilweise remittierten depressiven Verläufen. Geschlechterstereotypen. Die Schlussfolgerung ist, dass die bisherigen Eine Depression nur mit Psychopharmaka Erklärungsmodelle für Depressionen nicht und/oder Psychotherapie zu behandeln ist ausreichend sind, weil sie geschlechtsspe- von diesem Standpunkt her ethisch fraglich. zifische biologische Dispositionen, sozia- Besonders unter dem Gesichtspunkt der lisatorische Prägungen und gesellschaftli- Schwere der Erkrankung mit einem hohen che Anforderungen an Geschlechterrollen Verlust an Lebenszeit und ihrem Verlauf mit nicht ausreichend berücksichtigen. Die nicht immer günstiger Prognose. Diagnostik und Behandlung wird durch diesen „blinden Fleck“ in der Wahrneh- Zum Verständnis und Wesen mung, Bewertung, Kommunikation und Existenzielle und daseinsanalytische PsyBewältigung von Depressionen maßgeb- chotherapien tragen dem philosophischen lich fehlerhaft beeinflusst, denn Frauen Aspekt Rechnung. Diese Perspektive kann neigen zu Internalisierung und Männer zu um die theologische Dimension erweitert Externalisierung. werden, durch die biblisch-christlichen Die Depression wird von einem somatisch/ Sichtweise vom Menschen. Die theologiInterpersonellen/intrapsychischen/sozial- schen Aspekte werden in der Religiosität gesellschaftlichen Konflikt zu einem phi- und Spiritualität des Betroffenen sichtbar, losophisch-theologischen Konflikt. besonders bei den existenziellen Fragen nach Unfall, Krankheit, Leid und Tod. Die B ei Frauen : Antwort auf diese Fragen erfolgt allgemein/ Die Internalisierungsprozesse führen zu theoretisch, als Religion und Ethik oder/und einer pessimistischen Weltsicht mit fal- individuell im Rahmen eines persönlichen scher Realitätswahrnehmung und darauf privaten Glaubens mit entsprechenden spiberuhenden falschen Schlussfolgerungen. rituellen Aktivitäten. Es kommt zu einer erlernten Hilflosigkeit Die christliche Anthropologie beschreibt und erhöhten Angst vor Falschem zum fal- den Menschen als duales Abbild (Imago) schen Zeitpunkt. Der Fehlglaube beruht auf Gottes, als Mann und Frau (1. Mo. 1,27) Mythen und übermäßigem sich Sorgen um mit ähnlichen basalen kognitiven, emofalsche Dinge. tionalen und somatischen Prozessen. Die große Unterschiedlichkeit der GeschlechB ei Männern : ter, wie oben beschrieben, beruhen jedoch Die Externalisierungsprozesse führen zu neben den anatomischen Unterschieden einer Reduktion der komplexen Realität, auf der soziologischen Entwicklung der also zu Einfachheit und Sensibilisierung Männer- und Frauenrollen in der menschwegen erhöhter Ansprüche. Die Folge ist lichen Historie. eine falsche Risikoeinschätzung und Ent- Eine weitere Dimension ist die Fähigkeit des wicklung starker Aggressionen. Menschen zur Selbsttranszendenz d. h. das Überschreiten der eigenen Grenzen zugunsDiese Mechanismen sind eng verknüpft mit ten anderer und auf ein höheres und auf dem Selbstkonzept und somit der Person des einen höheren Sinn bezogen. Die DepresMenschen. Depressionen sind philosophisch sion ist als ein bio-psycho-sozial-spiritueller betrachtet stets auch personale Prozesse. Konflikt wahrzunehmen und zu verstehen.

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema


Etab l ier te Dia g nosekriterien nach I C D -10 F32/3. x x

Mö g l iche männ l iche Symptome geringe Frustrationstoleranz

depressive Verstimmung

ausagierende Verhaltensweisen

Interessensverlust

geringe Impulskontrolle

Energieverlust

Irritabilität, Ruhelosigkeit, Unzufriedenheit

Ermüdbarkeit

Substanzmissbrauch

Konzentrationsverlust

antisoziales Verhalten

Selbstzweifel

depressive Verstimmung

Schuldgefühle Pessimismus Abb. 2

Schlafstörungen Appetitverlust

Abb. 1

S oz ia l er wünschte Ma sku l in ität und männ l iche S omatisier ung sozial erwünschte Maskulinität

männliche Somatisierung

• • • • • • • • • •

• I nstrumentelles Gesundheitskonzept • Geringere Selbstaufmerksamkeit •H öhere Symptomtoleranz mit weniger Symptome • Eingeengter emotionaler Zugang

Macht- und Dominanzstreben Mut Unabhängigkeit Leistungsorientierung Wettbewerbsorientierung Rationalität Erfolg Aktivität Kontrolle Unverletzlichkeit

Codierte Emotionalität / gehemmte Expressivität

Ärger Aggressivität Feindseligkeit Risikoverhalten Angst

Unsicherheit Hilflosigkeit Traurigkeit

Abb. 3

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Die biblische Sicht der Depression ist immer ein ganzheitlicher Akt, der alle Dimensionen des Menschen umfasst. Der Mensch ist in der Depression sich selbst, der Welt, den anderen und Gott entfremdet. Das Spezifische dieser Entfremdung ist die Perspektivlosigkeit (ohne Herkunft, ohne Ziel), die Sinnlosigkeit (kein Wert, kein Grund), die Zeitlosigkeit (ohne Anfang und Ende) das Gefühl tot zu sein, der Einsamkeit und des Verlorenseins. Diese Entfremdung lässt die Depression als einen Prozess des Sterbens erleben und der Tod erscheint als süße Alternative.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten:

Zur Behandlungsvertiefung

Die aktuelle Therapiestrategie bei Depressionen ist bodenständig orientiert, „die Wolken durchlässiger“ zu machen. Der hier beschriebene Ansatz bedeutet: „die Sonne stärker in der Person des Menschen scheinen zu lassen“: Die Sonne verändert die Wolken!

Der spirituelle Ansatz in der Depressionsbehandlung beinhaltet einen Wechsel der systemischen Sichtweise und Rückbesinnung auf etwas Höheres, Transzendentes. Die kognitiven und emotionalen Dissonanzen sind im Sinne eines Reframings zu benutzen. Es entsteht eine neue Konzeption des Selbst/ Person, die von Gott her definiert ist und dem Betroffenen eine Neubewertung von Folgendem ermöglicht: •V erhältnis von Selbst- und Fremdtranszendenz • neue Sinnstiftung des weiteren Lebensverlaufs • positiver Deutungszusammenhang der bisherigen Biografie • vertiefte Verankerung in das psychosoziale Umfeld •n eues Wertesystem

•  Die bisherigen Modelle der Genese zur Depression sind um den existenziellen spirituellen Aspekt zu erweitern. • Die bisherigen Diagnosemodelle der Depressionen sind zu erweitern und zu vertiefen. • Die bisherigen Therapiestrategien sind um spirituelle Therapiestrategien zu erweitern. • Die Behandlung der Depression ist mehr in den psychosozialen Raum des Patienten zu verankern.

Dieser Vorgang ist als eine potentielle alternative Transformation zu verstehen, mit zum Teil mystischen Elementen. Die personale Ebene ist vom derzeitigen Wissenschaftskonzept her nur schwer zu erklären, aber sie ist emergent, im Sinne einer qualitativen Psychotherapieforschung, zugänglich.

Der hier beschriebene Ansatz bedeutet: „die Sonne stärker in der Person des Menschen scheinen zu lassen“: Die Sonne verändert die Wolken!

Autor

PD Dr. med. Herbert Scheiblich ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychotherapie. Er ist in eigener Praxis tätig, zudem ist er Mitglied der de’ignis-Institutsleitung.

Literatur • Benthaus-Apel, F.: Wechselwirkungen : Geschlecht, Religiosität und Lebenssinn. WaxmannVerlag, 2017 • Dayringer, R.: Dealing with depression. Routledge-Verlag, New York 2012 • Hornberg , C.: Medizin – Gesundheit – Geschlecht. Springer-Verlag 2016 • Huber, D./Klug, G.: Psychoanalyse der Depression, Kohlhammer-Verlag 2016 • Jilg, V.: Psychodynamik und Geschlecht, Fleet Street Press 2013 • Kennan, P. A.: Depression Jesus is calling you oneards, Publisher-Verlag, Exeter 2011 • Kolip, P.: Handbuch Geschlecht und Gesundheit, Hogrefe -Verlag 2016 • Laserstein, B.: Existenzielle Orientierung, Eigenverlag 2015 • Ratcliffe, M.: Experiences of depression, Oxford university press 2015 • Rohde A./Maneros, A.: Geschlechtsspezifische Psychiatrie und Psychotherapie, Kohlhammer-Verlag 2006 • Stavemann, H./Hülsner, Y.: Integrative KVT bei existenziellen Problemen, Beltz -Verlag 2019 • Troger, R.: Globalisierung und Depression, Springer-Verlag 2014 • Vogel, R.: Existenzielle Themen in der Psychotherapie, Kohlhammer-Verlag 2013 • Wüstel, J.: Männliche Depression, Beltz-Verlag 2019 • Yalom, I.: Existenzielle Psychotherapie, EHPVerlag 2015


Stress v u lnerab il ität und -resp onse b ei Männern Orientierung am sozialen Status (traditionelle Männerrolle)

Psychobiologische Stressreaktion

Verhalten bei Stress „fight or flight" Externalisierung Abwehr handlungsbezogenes Coping

Höhere Cortisol und ACTH-Ausschüttung bei leistungsbezogenen Stressoren, Statusverlust

Diabetes mellitus kardiale Erkrankungen Alkoholabhängigkeit Suizid Abb. 4

Stress v u lnerab il ität und -resp onse b ei Frauen Interpersonelle Orientierung (traditionelle Frauenrolle)

Psychobiologische Stressreaktion Höhere Cortisol und ACTH-Ausschüttung bei sozialen Stressoren

Verhalten bei Stress „tend and be friend“ Internalisierung emotionszentriertes Coping Grübeln

Angststörungen Depressionen PTSD (posttraumatic stress disorder) Autoimmunerkrankungen Abb. 5

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De profundis Über die Herausforderung, Hoffnung und Gottvertrauen „tiefseetauglich“ zu machen.

Von Weihbischof Thomas Maria Renz

„Aus den Tiefen, rufe ich, Herr, zu Dir. Mein Herr, höre doch meine Stimme. Lass Deine Ohren achten auf das Flehen um Gnade.“ Dieser „Schrei aus der Tiefe“ aus Psalm 130 ist schon unzähligen Menschen in existenzbedrohenden Situationen und auswegloser Hoffnungslosigkeit über die Lippen gekommen. Mit der metaphorischen Situationsbeschreibung der lebensbedrohlichen Lage eines Verzweifelten „de profundis“, aus den Tiefen, wird das Warten auf Gott als letzte Hoffnung ausgedrückt. So tief sitzt er im Loch, dass er aus eigener Kraft nicht mehr von dort herauskommen kann, sondern einzig und allein durch eine göttliche Intervention: ein verzweifelter Hilfeschrei aus dem Allertiefsten nach dem Allerhöchsten!

Wörtlich übersetzt sind in Psalm 130 eigentlich „Wassertiefen“ gemeint, eine im Alten Testament geläufige Umschreibung für Chaos und menschlichen Untergang. Analog verwendete Begriffe im Buch der Psalmen sind auch Meerestiefen, Schlamm, Morast, Wasserflut, Überschwemmung, Zisterne – allesamt lebensbedrohliche Situationen, aus denen Gott den gläubigen Menschen herausreißen soll. „In diesem Psalm dürfte neben der Todesbedrohung und Todesangst in der Angabe ,aus Wassertiefen‘ auch der Aspekte der Tiefe mitgemeint sein, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen wird damit die große Distanz evoziert, die zwischen dem Ich und dem im Himmel thronenden Gott liegt; deshalb muss das Ich rufen, das heißt von ganz unten schreien. Zum anderen sind

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema

die Meerestiefen mit den Konnotationen ,Unterwelt/Totenreich‘ der Gegensatz zu ,auf der Erde oben‘, also im Land der Lebenden“ 1. Dorthin aber will der Mensch zurück: aus dem Reich der Toten in das Reich der Lebenden, vom drohenden Untergang zur rettenden Auferstehung. Es ist ein einziger Schrei nach Leben, nach Rettung, nach Halt. Wenn Menschen das Wasser buchstäblich bis zum Halse steht und sie zu ertrinken drohen, dann brauchen sie dringend Hilfe von außen. Doch woher kommt der Rettungsring, woher die rettende Hand? Menschen, die an Jesus Christus als die ausgestreckte Hand Gottes glauben, setzen ihre Hoffnung ganz auf ihn. Und das nicht ohne Grund! „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in


die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ ( Joh. 3,17). Deshalb singen Christgläubige an Weihnachten aus voller Überzeugung: „Christ der Retter ist da!“ Das ist der hermeneutische Schlüssel zu jenem „unverschämten“ Gottvertrauen, das sie kennzeichnen und auszeichnen sollte. Denn weil Gott immer größer ist als die größtmögliche Not des Menschen, muss unser Gottvertrauen nicht ängstlich, kleingläubig und „verschämt“ sein, sondern darf im wahrsten Sinne des Wortes „unverschämt“ daherkommen. Einer der ersten, der Jesus als die rettende Hand Gottes in existenzbedrohender Lage erfahren hat, war Petrus, der Jesus, von ihm selbst ermutigt, bei heftigem Wellengang und Gegenwind auf dem See Genezareth entgegenging: „Als Petrus den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er unterzugehen begann, schrie er: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus und ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt. 14, 30–31). Das Gottvertrauen des Petrus war zu diesem Zeitpunkt also noch ausbaufähig, vermutlich nicht anders als bei uns. Es ist wie bei kleinen Kindern in ihrem wachsenden Vertrauensverhältnis zu ihren Eltern: Je öfter sie die Erfahrung machen, dass diese für sie da sind, sie beschützen und bewahren, desto mehr wird ihr Vertrauen in sie wachsen. Deshalb gehört zur Hoffnung unabdingbar das Vertrauen: Wie untrennbare Zwillinge sind sie letztlich nur im Doppelpack zu haben. Wo Vertrauen wachsen kann, bekommt auch die Hoffnung neue Nahrung und ihre Berechtigung. Hoffnung und Gottvertrauen sind die beiden Grundhaltungen eines gläubigen Menschen, der darauf baut, dass Gott erst ganz am Beginn seiner unbegrenzten Möglichkeiten steht, wenn er selbst schon am Ende seiner begrenzten Möglichkeiten angekommen ist. Und: „Hoffnung öffnet einen weiten Raum für Imagination und Kreativität. Sie macht unser Leben lebendig und wir fühlen Kräfte, die wir uns nicht zugetraut hatten. Hoffnung macht einen Anfang und ist die Vorfreude auf

die Vollendung. Wer in Hoffnung lebt, sieht die Welt nicht nur nach ihrer Wirklichkeit an, sondern auch nach ihren Möglichkeiten. Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit! Alle Wirklichkeit ist umgeben von einem Meer der Möglichkeiten, von denen immer nur ein kleiner Teil verwirklicht wird. Höher als die Vergangenheit steht die Zukunft. Was vergangen ist, war einmal Zukunft. Insofern ist Vergangenheit vergangene Zukunft“ ( Jürgen Moltmann). Gott ist der Gott meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn Gott mit seinem Lebenswillen am Anfang meines Lebens steht und mir in meiner Vergangenheit schon in den unterschiedlichsten und vielleicht auch ausweglosesten Lebenssituationen geholfen hat, dann darf ich mit Fug und Recht darauf hoffen, dass er es auch heute tun wird und morgen und übermorgen.

sein? Durch die Einfügung eines einzigen Wortes, so Rhonda Byrne in ihrem Buch „The Magic“ 2, lüftet sich das Geheimnis um dieses mysteriöse Herrenwort und erklärt sich damit wie von selbst, nämlich durch den Begriff „Dankbarkeit“. Dann lautet der Satz: „Wer Dankbarkeit hat, dem wird Dankbarkeit gegeben werden und er wird Dankbarkeit im Überfluss haben. Wer aber keine Dankbarkeit hat, dem wird auch noch das bisschen Dankbarkeit abhandenkommen, was er hat.“ Analog zu Rhonda Byrne schlage ich vor, hier den Begriff „Hoffnung“ einzufügen. Dann heißt der Satz so: „Wer Hoffnung hat, dem wird Hoffnung gegeben werden und er wird Hoffnung im Überfluss haben.“ So wird meine Hoffnung und mein Gottvertrauen „tiefseetauglich“ werden, falls ich einmal in eine Situation wie der Apostel Petrus auf dem See Genezareth komme.

Doch woher kommt mir Hoffnung, wenn Fußnoten ich keine habe? Vielleicht wäre ein Zugang, 1 Erich Zenger: Psalm 101–150. Freiburg: Verlag Herder, 2008. Seite 575 dass ich meine Erinnerungen reaktiviere 2 Rhonda Byrne: The Magic. München: Knaur und in ihnen nach Erfahrungen des Nicht- Menssana, 2012 Alleinseins, der unerwarteten Hilfe, der Rettung in höchster Not suche, die zwar vielleicht in meinem Gedächtnis abgespeichert, aber verschüttet sind. Wenn ich diese selbst erfahrenen „Hoffnungssplitter“ wieder in mein Bewusstsein hole, dann kann ich sie wie einen glimmenden Docht festhalten und hineinblasen, damit aus ihnen wieAutor Thomas Maria Renz ist der ein „Hoffnungsfeuer“ werden kann. Weihbischof der Diözese Ich darf sie letztlich Gott hinhalten, der Rottenburg-Stuttgart. Renz „das geknickte Rohr nicht zerbricht und wurde 1984 in Rom für die Diözese Rottenburg-Stuttgart zum den glimmenden Docht nicht auslöscht“ Priester geweiht. Am 29. April ( Jes. 42,3). Gottvertrauen bedingt Hoff1997 ernannte ihn Papst Johannes nung und Hoffnung bedingt Gottvertrauen! Paul II. zum Titularbischof von Nicht wenige Menschen tun sich wahrscheinlich schwer mit dem Jesuswort: „Wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben. Wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (Mt. 25,29). Diese Aussage erscheint dem unvoreingenommenen Leser geheimnisvoll, aber auch irgendwie ungerecht: Wieso sollte der, der schon etwas hat, immer noch mehr bekommen, und der, der fast nichts hat, auch noch das weggenommen bekommen, was er hat? Wie sollte das vor Gott gerecht

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Rucuma und zum Weihbischof in Rottenburg-Stuttgart. Er war bis zu seiner Ernennung zum Weihbischof 1997 in Bad Saulgau tätig. Mit 39 Jahren war er das jüngste Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Aufgrund seiner unkomplizierten Art gilt er als Bischof der Jugend. Er ist als Leiter der Hauptabteilung Jugend des bischöflichen Ordinariats in Rottenburg Vorstand der Jugendstiftung just. Seit 2005 ist Renz Familiare im Deutschen Orden. Im theologischen Beirat de’ignis.


Psalm 23 Ein Impuls zur besonders faszinierenden Spiritualität des Bibelvers Psalm 23 bezogen auf ein psychotherapeutisches Ziel. Von Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig

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Die Psalmen der Bibel – • Vielfalt des Lebens

Die besondere Spiritualität von Psalm 23

In seiner Theologie des Alten Testaments beginnt Joachim Jeremias mit der Betrachtung der „zentralen ,Denkformen‘ des Glaubens im Alten Testament“ bei den Psalmen. Auch wenn die Gebete aus der Not zahlenmäßig weit überwiegen in der Sammlung der 150 Psalmen stellt J. Jeremias 1 fest: „Denn bevor das biblische Israel über Gottes Wesen nachgedacht hat, hat es Erfahrungen der Güte Gottes im Gottesdienst besungen, [...] reden die Hymnen direkt von Gott und preisen seine Taten.“ In der Einführung zu seinem Andachtsbuch fügt Timothy Keller 2 hinzu: „Die Psalmen waren das von Gott selbst inspirierte Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst im alten Israel (1. Chr. 16,8 – 36). Die Psalmen wurden nicht nur gelesen, sondern gesungen und prägten sich daher den Menschen in Geist und Vorstellungskraft ein, wie nur Musik es vermag [...] Auch die ersten Christen beteten und sangen die Psalmen (Kol. 3,16; 1. Kor. 14,26).“ Die Psalmen drücken die Vielfalt menschlichen Lebens aus, gelebte Erfahrung religiös orientierter Menschen aus dem hebräischen Kulturkreis. Auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. versteht das Buch der Psalmen in ähnlicher Weise: „In diesem Buch kommen die ganze menschliche Erfahrung in ihren zahlreichen Schattierungen zum Ausdruck und die ganze Bandbreite der Empfindungen, die das menschliche Dasein begleiten [...] werden Freude und Leid, Sehnsucht nach Gott und Wahrnehmung der eigenen Unwürdigkeit, Glück und Verlassenheit, Vertrauen auf Gott und schmerzhafte Einsamkeit, Fülle des Lebens und Angst vor dem Tod miteinander verknüpft und zum Ausdruck gebracht.“ 3 Leonardo Boff spricht hier von der „Conditio Humana“ (dem menschlichen Dasein in seiner konkreten Bedingtheit). Gebet allgemein bezeichnet er darum als „Atmen der Seele“4: „Das Gebet findet sich nicht nur in den heiligen Schriften und in den großen religiösen Traditionen. Noch bevor es dort seinen Niederschlag fand, war es ein Bestandteil im Leben der Menschen, die sich für Gott öffneten. Deshalb bricht es aus dem Inneren unseres menschlichen Daseins selbst hervor.“

Innerhalb des Psalters nimmt Psalm 23 eine besondere Stellung ein. Er lässt sich nicht ohne Weiteres einer literarischen Form zuordnen. Er ist zugleich persönliches Bekenntnis („Konfession“) und Hymne oder Lobgesang/Danklied, als auch Ausdruck von Lebensweisheit, die in den knappen Worten mitschwingt. Entsprechend äußert sich Rabbi Harold S. Kushner zur Besonderheit des Psalms 5: „In wenigen Zügen entfaltet er die Essenz der Weisheit von Generationen eine – ,praktische Theologie‘. Er bietet uns einen Weg an, die uns betreffende Welt weniger erschreckend zu sehen und lehrt uns mit dem Verlust von geliebten Menschen umzugehen. Selbst im Konflikt mit Menschen, die uns nicht mögen oder die uns übel behandeln, zeigt er uns, wie wir die Gegenwart Gottes erkennen können.“ Umso mehr kann die Kompaktheit von Psalm 23 verwundern. Was bedeutet es, mit Gott in dieser irdischen Existenz unterwegs zu sein, die sich in vielen Aspekten unserer Kontrolle entzieht? Darauf gibt der Psalm eine pastoral-theologische Antwort. Wie auch im Psalter allgemein ist bei Psalm 23 die Verankerung im wirklichen Leben spürbar; in der widersprüchlichen Dialektik des Lebens zwischen Angst und Vertrauen, seiner Dramatik von Licht- und Schattenseiten: „Da ist das dunkle Tal des Todes, da gibt es Feinde und Verfolgung. Und mitten in dieser Situation erscheint Gott als Hirte und Gastgeber. Gerade weil es die Furcht, die Angst und die Verfolgung gibt, erfährt man die Nähe Gottes als Hirte und Gastgeber, der uns bereitwillig zu Hilfe kommt und unsere Kräfte von neuem belebt.“ 6 Das weiterhin Faszinierende an diesem Psalm-Gebet ist die Fülle der „universalen“ Bilder, die er enthält. Diese imaginativen Vorstellungen werden gleichnishaft in den Archetypen „Hirte“ und „Herde“ entfaltet. Der Mensch wird zum „Gast“ bei Gott. Diese Bilder greifen tief in die unbewusste Sehnsucht nach transzendenter Geborgenheit ein; sie sind interreligiös verstehbar oder allgemein interkommunikativ. Menschliche Grundbedürfnisse werden hier vollständig „bedient“: Das zentrale Bedürfnis nach

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sicherer Bindung, nach „God Attachment“ wird gesättigt in der zentralen Botschaft „du bist bei mir“ und lädt zum Imitationslernen (beim Psalmisten) ein. Wie kommt es eigentlich zu diesem freisetzenden, ermutigenden Bekenntnis? Auch andere zentrale Bedürfnisse werden gesättigt: Das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle, nach Lustgewinn/ Unlustvermeidung, das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und/oder Schutz des Selbstwerts. Gerade letzteres Bedürfnis führt den an Depressionen Leidenden zu einem wichtigen Psychotherapieziel (Sättigung) nach Klaus Grawe 7: Entwicklung zu einem positiven, bejahenden Selbstkonzept, weg von der negativen Bewertung der eigenen Person. Auch die negative Zukunftserwartung in der depressiven Lebenskrise beantwortet „unser“ Psalm mit „Alles wird gut“. Ein Psalm Davids: „Der Herr ist mein Hirte, darum leide ich keinen Mangel. Er bringt mich auf Weideplätze mit saftigem Gras und führt mich zu Wasserstellen, an denen ich ausruhen kann. Er stärkt und erfrischt meine Seele. Er führt mich auf rechten Wegen und verbürgt sich dafür mit seinem Namen. Selbst wenn ich durch ein finsteres Tal gehen muss, wo Todesschatten mich umgeben, fürchte ich mich vor keinem Unglück, denn du, Herr, bist bei mir! Dein Stock und dein Hirtenstab geben mir Trost. Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch, selbst vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, um mich zu ehren, und füllst meinen Becher bis zum Überfließen. Nur Güte und Gnade werden mich umgeben alle Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Haus des Herrn für alle Zeit.“ 8 Die Botschaft des Psalms für die Therapie von depressiven Erkrankungen

[1] Ist d ie Einb e z iehung der Sp iritua l ität eines (depressiven) Patienten in d ie Ps ychotherap ie üb erhaupt z ielf ü hrend ? Dazu stellt der Schweizer Arzt und Psychotherapeut René Hefti nach der Sichtung empirischer Forschungsergebnisse fest: „Grundsätzlich gilt, dass eine strenge,


Erkrankungen merkt L. Boff an: „Zwischen uns und dem Psalm 23 liegen ungefähr 3000 Jahre. Die Worte bleiben nicht starr. Sie machen eine Geschichte durch und nehmen mit der Zeit eine Bedeutung und einen Beiklang an, der sich von dem unterscheidet, was zur Zeit der Abfassung des Psalms damit verbunden wurde.“ 11 Die Interpretation beginnt mit dem Wortsinn, davon ausgelösten Assoziationen, die uns in die symbolische Ebene des Psalm-Gebets führen. Die eigentliche spirituelle Tiefenschicht betrifft die existenzielle Bedeutung, die über die Symbole hinausgeht und die Resonanz in uns, welche Erfahrungen angesprochen werden – biografische und zukünftig mögliche. Die christliche exegetische Ebene schließlich schaut von der Offenbarung des Neuen Testaments her auf den biblischen Text.12 [2] Da s Urb ild des Hir ten Verse 1– 4: Eine Beziehung wird hier charakterisiert: Die sichere Bindungsbeziehung zwischen einem Hirten und seinen Schafen. David versetzt sich mittels Rollentausch (er ist ja selbst erfahrener Ziegen-/Schafhirte) in die Position eines Schafs, das seine Existenz in der von einem zuverlässigen Hirten geführten Schafherde betrachtet. Seine Reflexion beginnt mit dem Bekenntnis, dass in seinem Fall Gott selbst ( Jahwe: Ich bin, der ich sein werde), der Herr/sein Herr ist und damit gleichsam auch Eigentümer der Schafherde und sein Hirte ist. Der Gedanke, dass Menschen/Geschöpfe quasi „Eigentum“ desjenigen sind, der sie geschaffen hat, begegnet uns auch in Psalm 100,3: „Erkennt, dass der Herr allein Gott ist! Er hat uns geschaffen, ihm gehören wir. Wir sind sein Volk, seine Herde, und er ist unser Hirte, der uns auf seine Weide führt.“ (NGÜ) David lobt hier auch seinen Schöpfer, er gehört untrennbar (zu) ihm; die Verantwortung für ihn als Schaf obliegt voll und ganz seinem Hirten-Gott. Hierin kommt ihm seine eigene Berufung als Hirte einer Herde, die seiner Familie gehört, zugute: Er kann vergleichen, wie intensiv er selbst sich um die Herde in Familienbesitz „aufgeopfert“ hatte.13 In der logischen Konsequenz drückt er sein vorbehaltloses Vertrauen aus „Nichts fehlt

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mir und wird mir mangeln.“ Neben der Tatsache der innigen Bindungssicherheit an einen Gott, der alles vermag, spricht diese Feststellung existenziell zu uns: Wir sind Wesen, die immer irgendetwas begehren, die mit unerfüllten Sehnsüchten leben müssen, mit nicht verwirklichten Träumen, mit dem Ungenügen gemessen am eigenen Anspruchsniveau im moralischen und Leistungsbereich. David spricht mit dieser Miniphrase also provozierend aus, dass nur in der Gegenwart Gottes die menschliche Seele Frieden finden kann. Diese heilende Erfahrung in der Präsenz Gottes im realen Leben drückt der Psalmist auch an anderer Stelle aus: „… Wen habe ich im Himmel außer dir? Und auch auf der Erde habe ich nach nichts Verlangen, wenn ich nur dich bei mir weiß.“ 14 Impact für das Verständnis und den Umgang mit dem depressiven Grundkonflikt: „Auf dem Boden unsicherer Bindungserfahrungen entstehen Verlassenheitsängste und ein unsicheres Selbstgefühl. Aus diesen resultiert u. a. eine zu starke Abhängigkeit von der Akzeptanz durch die soziale Umgebung. Im Sinne eines Verarbeitungsversuchs entsteht daraus die Neigung zu einer überstarken Gewissensbildung bzw. hohen Selbstansprüchen. Letzteres dient unterschwellig der sozialen Sicherung. Im subjektiven Erleben führt es aber zu überstarker Selbstkritik. Diese geht andererseits mit häufigem Neid und Enttäuschungsgefühlen, auch gegenüber anderen, einher und befördert das konflikthafte Erleben des ,Zu-kurz-Kommens‘.“ 15 Die tief empfundene Sicherheit des Psalmisten „Nichts fehlt mir“ ist gegründet auf die sichere Bindungserfahrung mit einem höchst verlässlichen Gott. Bei einer unsicheren Bindung des erwachsenen Patienten mit distanziert-vermeidenden oder ängstlichambivalenten inneren Überzeugungen ist das Einlassen auf die übermäßig idyllische Botschaft des Psalms mit großer Wahrscheinlichkeit schwierig. Zu rechnen ist zwar mit oberflächlicher Zustimmung bei stark religiösen Personen, ohne dass indes die Glaubens-Erfahrung des Psalmisten in die eigene Spiritualität assimiliert werden könnte. Es bedarf also eines sensiblen Herausarbeitens der Widersprüche zum eigenen

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einengende und angstbesetzte Frömmigkeit die psychischen Bewältigungsmöglichkeiten einschränken und so depressive Entwicklungen fördern, depressive Zustände zementieren und Heilungsprozesse behindern oder mindestens verzögern kann. Andererseits stellt eine gesunde, intrinsisch motivierte Religiosität, die den Selbstwert aufbaut und mit positivem religiösem Coping einhergeht, eine wirksame Bewältigungsressource dar, die gerade in belastenden depressionsinduzierenden Lebenssituationen protektiv wirkt.“ 9 Wenn die Religiosität eines Menschen sich mehr an äußeren Formen festmacht und mit einem eher angst- und schuldbesetzten strafenden Gottesbild einhergeht, kann die im Psalm hierzu sehr kontrastreiche Schilderung des „Hirten“-Gott (zugewandtes, beschützendes und annehmendes Gottesbild) eine Veränderung des bisherigen religiösen Bezugssystems initiieren. In diesem Kontrast mit bisheriger eher belastender Spiritualität kann es allerdings im Verlauf der Intervention noch zu einer Verstärkung depressiver Symptomatik kommen: Der Adressat nimmt das Fehlen der vertrauensvollen und getrosten Bindungserfahrung des Psalmisten bei sich selbst wahr (ein weiterer Verlust in seinem Leben). Im Sinne einer „Relationalen Seelsorge“ 10 kann diese Dynamik von „Bindung und Trennung“ im biografischen Lebensvollzug des Patienten mit der spirituellen Dynamik in der Gottesbeziehung zwischen „ambivalenter Verlustangst und Vertrauen“ in Beziehung gesetzt werden. Hiermit ist ein spirituellpsychotherapeutischer Zugang generell möglich, vielleicht zunächst mit Fokus auf den Archetypus „Hirten“. Bei einer vom Patienten als stärkende und „hilfreicher Stresspuffer“ erlebten intrinsischen Religiosität kann seine Spiritualität mit König Davids Bekenntnis als Ressource gestärkt werden. Sie kann unmittelbar nutzbar gemacht werden zur Überwindung der depressiven Krise. Dazu mögen noch die Bilder von Gott als „Gastgeber“ ergänzend beitragen, der den Selbstwert bestätigen möchte mit seinem unbedingten Einsatz für mich persönlich! Zur Interpretation der spirituellen Botschaft des Psalms mit vorsichtigem Transfer auf die allgemeine Psychotherapie bei depressiven


„… Wen habe ich im Himmel ausser dir? Und auch auf der Erde habe ich nach nichts Verlangen, wenn ich nur dich bei mir weiss.“

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Dunkelheit, Freudlosigkeit, Lähmung und Hoffnungslosigkeit ohne „das Licht am Ende des Tunnels“ zu sehen. Auch im Vorfeld dieses Lebensabschnitts besteht die Sicherheit nicht allein in präventiven Maßnahmen, dass es „mich nicht trifft“. Die tröstende Gewissheit spricht der Psalmist vielmehr damit zu: „Ich fürchte kein Unglück/werde keine Bosheit oder Böses fürchten, denn du bist bei/mit mir und beschützt mich mitten im Tal/Abgrund der Depressivität.“ 20 Gott selbst bietet mir seinen Schutz an mitten in Anfechtungen, Bedrängungen, Enttäuschungen in Beziehungen, Betrug von Freunden oder anderen als feindlich erlebten Strukturen und Beziehungen. Wie Rabbi H. S. Kushner unterstreicht, ist der Psalmist überzeugt, dass er seine Not nicht deswegen unter die Füße bekommt, weil er nicht allein ist, sondern: „Ich kann damit (wieder) zurechtkommen, weil Gott mit mir ist und nicht auf der Seite der Krankheit oder des Unglücks. Ich kann das handhaben, weil Gott auf meiner Seite ist und nicht auf der Seite von eigennützigen, enttäuschenden/betrügerischen Menschen, die mein Leben hart und schwermachen.“ 21 So wie der depressiv Erkrankte in seinen Selbst- und Glaubenszweifeln (Verlassenheitsangst) Gott auf seiner Seite wissen darf, braucht er auch die Gewissheit, dass seine Nächsten – genauso wie die Therapeuten – auf seiner Seite sind.22 Auch hinsichtlich der hohen Selbstansprüche mit einhergehendem schlechten Gewissen des Depressiven lautet die Botschaft des 23. Psalm: Gott führt mich aus den

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gedanklichen Verstrickungen der Selbstabwertung, des empfundenen Versagens wieder heraus. Bei Gott und seinem Sohn Jesus wird niemand – erst recht nicht der depressive Mensch – gemessen an den hohen Leistungs- und ethischen Selbstansprüchen, familiären Traditionen oder den vermeintlichen soziokulturellen Erwartungen. Ein sicherer Weg „nach Hause“, in die Selbstannahme oder zu sich selbst, in die Annahme des Abba (aramäisch: „Vater“), ist nach Jesus Selbstaussage die Bindung an ihn: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich.“ 23 Angewandt auf die kognitiven Verzerrungen im Denken und in der Folge den dysfunktionalen emotionalen Wahrnehmungen und Gefühlen (Selbstbild und vermutetes Fremdbild) zeigt Gott einen Ausweg. Wie sieht er mich? Er nimmt mich durch eine „Brille“ wahr, durch seinen Sohn Jesus, der die Wahrheit ist. Wie der Apostel Paulus es ausdrückt 24: Wenn ich selbst nie dem eigenen Anspruch, erst recht nicht dem Maßstab Gottes (der Vollkommenheit), gerecht werden kann, ist Jesus Christus mir zur Gerechtigkeit gemacht. Gottes Geist bezeugt dem mit Jesus Verbundenen, dass er Gottes Kind ist, ohne in Angst und Furcht leben zu müssen. Niemand darf die Auserwählten Gottes darum beschuldigen. In der Psychotherapie der Depression, unter Berücksichtigung der Spiritualität des Patienten, wird der Therapeut mit intrinsischer Religiosität zu einem Mediator des

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Beziehungserleben, besonders bei extrinsischer Religiosität. Dies ist auch angebracht im Hinblick auf die (mythische) Gestalt des Hirten, die in der kollektiven Vorstellung (zu) stark idealisiert ist aufgrund der ihm zugeschriebenen Tugenden. Auch die oft negative semantische Konnotation (negatives Wortverständnis) mit dem Wort/Begriff „Schaf “ kann eine Hürde darstellen. Es erfordert sicher eine Portion Demut, sich mit einem solchen Schaf zu identifizieren, und/oder eine bessere Kenntnis vom Leben der Schafe und/oder der Symbolik „Schaf “.16 Dazu kommt noch das negative Erbe von geistlichen oder politischen Leitern.17 Andererseits greift Jesus selbst das Bild vom Hirten auf. 18 Gleichnishaft zieht er Parallelen zwischen einem guten Hirten, der sein Leben für die Schafe lässt und seiner Mission als Messias. Im Kontrast erwähnt er die Mietlinge (z. B. die Pharisäer und Schriftgelehrten), die das jüdische Volk in die Unfreiheit der Selbstgerechtigkeit und Gesetzlichkeit führten. Mietlinge, denen die Schafe nicht gehören, führt Jesus aus, werden fliehen vor dem Wolf. Zusammengefasst macht Jesus deutlich, dass es angesichts vieler Gefahren für die Schafe (Gottes Geschöpfe) nur eine absolute Bindungssicherheit gibt: Bei Jahwe oder bei „Ich bin, der sein wird“. In der Ankündigung des Messias wird Jesus selbst der Name „Immanuel“ verliehen, d. h. Gott ist mitten unter uns, er ist mitfühlend mit uns. Diese Botschaft empfinde ich auch für Menschen in einer depressiven Krise zentral: Selbstwenn noch so viele Verluste von Bindungspersonen oder Verluste von Verstärkern eingetreten sind, ist Gott in seiner Inkarnation in Jesus Christus immer noch mit uns unterwegs. Das Wissen um die ewige Bindung an eine mich nie verlassende, noch versäumende einzigartige Person im Universum kann die Verwundbarkeit in Unsicherheit und Ängsten, Versuchungen, Leid und Schmerz überwinden helfen. Die Verheißung auf dem religiösen Lebensweg gilt: „Er leitet mich (an) auf sicheren Wegen/ er führt mich auf den Wegen der Gerechtigkeit und verbürgt sich dafür mit seinem Namen/ wie es seinem Amt entspricht.“ 19 Der Weg des depressiv erkrankten Menschen führt in seiner Wahrnehmung durch


Vertrauens in Gott. Therapeuten mit mehr allgemeiner, wenig expliziter (christlicher) Spiritualität können die Rolle eines Moderators einnehmen, inwieweit die Bilder des 23. Psalms den Betroffenen ansprechen.25 Die Ruhebilder und/oder Imaginationen von Frische und seelischer Vitalität, vom Lebenselixier (Wasserquelle/Oase), wohin uns der „Hirte“ geleiten will, beeindrucken tief: Er stellt meine Seele wieder her. Allein der Klang der Worte lässt etwas vom inneren Frieden erahnen, den depressiv erkrankte Menschen schmerzlich vermissen. In der orientalischen Antike wie heute ist das Trinkwasserproblem (z. B. Dürreperioden) und/oder der verschwenderische Umgang mit Wasser ökologisch gesehen eine der größten Bedrohungen der Erdbevölkerung. In symbolisch-existenzieller Hinsicht empfinden viele Menschen heute ihre Spiritualität als „trocken, wenig vital“; die allgemeine Bezogenheit auf Transzendenz vermittelt oft trotz Meditationstechniken (u. a. spirituellen Übungen) noch keine Fülle des Lebens.26 In der Depression erscheint die innere spirituelle Quelle noch mehr versiegt, innere Unruhe und neuromuskuläre Anspannung füllen den Erlebensraum. In den Psalmworten wird aber Ruhe versprochen und seelische Erfrischung. Der Vers kann assoziiert werden mit dem jüdischen Verständnis von „Shalom“, einer umfassenden Friedenserfahrung. Voraussetzung für den depressiven Menschen in diesen inneren Frieden zu gelangen ist ein gutes Sorgenmanagement 27 in der Herzensausschüttung an Gott; auch Bewegungsaktivierung als Weg von außen nach innen bahnt natürliche Ruheerfahrungen, meist in Kombination mit Psychopharmaka. Dann kann der Immanuel Gottes – Jesus, der Friedefürst 28 – den freien Raum der Seele wieder auffüllen mit seinem Frieden, in der Kraft des Heiligen Geistes (lebendiges Wasser/Lebensquelle ist auch ein Bild für den Heiligen Geist 29 ).

[3] Da s Urb ild des Ga stg eb ers „Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch selbst vor den Augen meiner Feinde.“ (NGÜ) Der Psalm beschreibt jetzt eine jähe Wendung des bisherigen Lebenswegs aus der Sicht des Schafhirten: Gerade noch ist er aus den „tiefen Schluchten oder Untiefen menschlicher Existenz“ entronnen. Aus der Sicht (Rollentausch) des Schafs kann es sich entspannen ohne Bedrohungsgefühle; es wird ja von Jahwe selbst versorgt. Oder wechselt der Psalmist David an dieser Stelle wieder zurück in die Perspektive seines Hirtendaseins und überträgt seine religiösen Prägungen als auch die liturgischspirituelle Tradition seines Volkes auf Jahwe den wahren Hirten (Theokratie)? Irgendwie scheint hier ein Bruch in der Geschichte vorzuliegen; andererseits wird die Wendung schon eingeleitet mit der Anrede an Gott den persönlichen Hirten des Psalmisten „denn du bist bei mir“ (auf meiner Seite). David scheint jedenfalls vom konkreten Lebenszusammenhang in eine symbolischexistenzielle Ebene über zu wechseln. „Die Gastfreundschaft hat mit den Mindestvoraussetzungen für den Menschen zu tun: angenommen zu werden, um Geborgenheit finden zu können, zu essen, zu trinken und auszuruhen. Ohne diese materiellen Mindestvoraussetzungen kann niemand leben und überleben.“ 30 L. Boff verweist weiter auf spirituelle Grundbedingungen, was uns im eigentlichen Sinne erst zu Menschen macht: „die Fähigkeit, andere anzunehmen, solidarisch, kooperativ und in der Lage zu sein, mit dem anderen zusammenzuleben.“ Die Tischgemeinschaft ist nicht nur im Orient ein zentrales Element des Zusammenlebens; sie stellt universal ein gemeinschaftliches Tun dar, die Bindung aneinander wird in der zwischenmenschlichen Begegnung in jeder Kultur gestärkt. Auch Jesus war, nach den Berichten der Evangelien zu urteilen, häufig eingeladen zu unterschiedlichen Tischgemeinschaften, nicht immer ohne feindselige Hintergedanken. Er konfrontiert bei einer

„Predigt“ die zuhörende Menschenmenge mit dem gehässigen Gerücht, das über ihn verbreitet worden war „Was für ein Schlemmer und Säufer, dieser Freund der Zolleinnehmer und Sünder!“ 31 Die Art wie er in Emmaus als Gast das Abendbrot mit dem üblichen Wein einleitete, löste bei den Versammelten ein Erkennen des gerade erst vom Tod Auferstandenen Herrn, des sehnlichst erwarteten Messias, ihres Retters aus.32 Das Abendmahl oder Herrenmahl, in dem Jesus Christus den Neuen Bund mit Gott einsetzte, ist ein tiefes und heilsames Bild für die Tischgemeinschaft mit Gottes Sohn. Mit der Erlösungsbotschaft in Christus hat Gott selbst die „Zäune“ zwischen sich und uns abgebaut, die Entfremdung des Menschen von Gottes Ebenbildlichkeit aufgehoben. Der Weg in den „innersten Bezirk“ der Wohnung Gottes33 ist für jeden frei geöffnet, der sich dem Guten Hirten anvertraut hat, als seinem „Retter“, seinem „Arzt“. Die Botschaft: Du gehörst dazu, bist genauso wie die andern bei dem Vater-Gott willkommen, ist für viele an Depressionen leidende Menschen bisweilen mit Zweifeln verbunden. Eine praktische spirituelle, seelsorgerlich-therapeutische Intervention könnte die Anregung sein, an einer Abendmahl-/Eucharistie-Feier teilzunehmen mit innerem Bezug auf den Psalmvers. Die Botschaft der Einladung Gottes in der depressiven Vulnerabilität (Verwundbarkeit) lautet: Eingeladen an den exquisiten Tisch Gottes, zur Tischgemeinschaft mit einem mir „dienenden“(nicht dienstbaren oder verfügbaren!) Gott sind die „Verfolgten“, von feindseliger Realität gebeutelten.34 Denken wir an den bereits genannten „Depressiven Grundkonflikt“: Das konflikthafte Erleben des „Zu-kurz-Kommens“ wird mit dem spirituellen Liedtext – exklusive Einladung des Höchsten an dich, vor den (neidischen) Augen deiner Umgebung – therapeutisch konfrontiert! Es gibt keinen Grund neidisch zu sein oder sich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu fühlen: Eingeladen sind eben gerade diejenigen, die um

„ Du lädst mich ein und deckst mir den Tisch selbst vor den Augen meiner Feinde.“ 19


Autor

Rainer Oberbillig ist Dipl.-Psychologe, approbierter Psychotherapeut, ehemals langjähriger Mitarbeiter in der de’ignis-Fachklinik und Mitgründer, jetzt i. R.; auf Honorarbasis in freier Praxistätigkeit und am de’ignis-Institut engagiert. Doktorat-Studium am Institut für Empirische Religionsforschung (IER), Uni Bern.

Bindungssichere keine Vernachlässigung befürchten. Die absolute Annahmeerfahrung ausgedrückt in der „Tischgemeinschaft mit Gott, dem Vater und dem Sohn“ soll den an Depressionen Leidenden in allen Lebenslagen durchtragen. Fokales psychotherapeutisches Ziel unter spiritueller Perspektive könnte lauten: Der Betroffene soll zu einer starken Resilienz mittels der Geborgenheit in Gottes Gegenwart (seinem Haus) gelangen. Fußnoten 1 Jeremias, Joachim (2017): Theologie des Alten Testaments. Studienausgabe, V & R Verlag. S. 25ff 2 Keller, Timothy/Keller, K. (2017): Ein Jahr mit den Psalmen. 365 Andachten. Brunnen 3 Benedikt XVI (2013): Beten. Die Kunst mit Gott zu sprechen. St. Ulrich Verlag. S. 40 4 Boff, Leonardo (2005): Der Herr ist mein Hirte. Psalm 23 ausgelegt. Patmos Verlag, S. 12ff 5 Kushner, H. S. (2004): The Lord is my Shepherd. Healing Wisdom of the twenty-third Psalm. Anchor Books, Random House Publishing. S. 6 –7 (ins deutsche frei übertragen vom Autor) 6 Boff, L.: a. a. O., S. 26f 7 Grawe, Klaus (2004): Neuropsychotherapie. Kap. 4: Bedürfnisbefriedigung und psychische Gesundheit, S. 219ff 8 Psalm 23 in der NGÜ (Neue Genfer Übersetzung) 9 Hefti, René (2012): Depression und Glaube. Von der Epidemiologie zur Klinik S. 155. In: Hefti, R. & Bee, Jacqueline (Hrsg.)(2012): Spiritualität und Gesundheit. Ausgewählte Beiträge im Spannungsfeld zwischen Forschung und Praxis. Verlag Peter Lang, Bern 10 Reuter, Wolfgang (2012): Relationale Seelsorge. Psychoanalytische, kulturtheoretische und theologische Grundlegung. S. 20. Kohlhammer 11 L. Boff a. a. O. S. 37 12 kurz gefasste inhaltliche Anlehnung an L. Boff a. a. O., S. 37– 39 13 In der Zeit der Abfassung des Psalters lebten die Hebräer als Nomaden oder Halbnomaden; die Herden waren ihre Hauptlebensgrundlage, die Familie oder der Clan war Eigentümer und stellte auch die Hirten in einer „Person“ – insofern war ihnen der Gedanke, auch selbst kostbares Eigentum ihres Schöpfers zu sein, sehr vertraut. 14 Psalm 73,25 (NGÜ) 15 Schauenburg, Henning (2018): Depression und Bindung – Therapeutische Strategien. Psychodynamik kompakt. V&R Verlag, S. 30 16 Siehe dazu die ausgezeichnete Darstellung von W. Phillip Keller (2018/4.): Psalm 23 aus der Sicht eines Schafhirten. Gerth Medien 17 Greift dieses Missverständnis kritisch auf: Samuel, Michael Leo (2014): A Shepherd’s Song: Psalm 23 and the Shepherd Metaphor in Jewish Thought. Kodesh Press New York, S. 52 – 54 18 Johannes Evangelium: 10, 1 – 30 19 Leonardo Boff (a. a. O., S. 82 – 83) weist darauf hin, dass „der ,Weg‘ einen der ältesten Archetypen der menschlichen Seele darstellt … Jeder Mensch ist ein Homo Viator, von seinem Wesen her unterwegs […] Tatsächlich

de’ig n is-ma g a z in – Impuls

sind wir immer auf dem Weg zu uns selbst. Entweder wir gelangen zu unserer Selbstverwirklichung oder verfehlen uns in einem grundsätzlichen Sinn.“ 20 Siehe auch meinen Betrag im de’ignis-Magazin Nr. 58: „Existenzielle Perspektiven für die Krisen unseres Lebens“ 21 Ein seelsorgerlich-spiritueller Impuls. S. 25–26 H. S. Kushner, a. a. O. S.107– 108 22 Im Verfahren der Interpersonellen Psychotherapie (IPT) gilt das Augenmerk in der Depressionsbehandlung besonders den zwischenmenschlichen Beziehungen als sozialem Faktor in der Psychopathologie der Depression (vgl. auch Bio-psycho-sozio-spirituelles Menschenbild) – Weissman/Markowitz/Klerman (2009): Interpersonelle Psychotherapie. Ein Behandlungsleitfaden. Hogrefe Verlag 23 Joh 14,6 (NGÜ) 24 Römer 3,10–12;23–24 / Römer 8, 1–2;14 –16 / 1. Korinther 1,30.31 / Römer 8,31–33;38 –39 25 Generelle Ansatzpunkte in: Hofheinz/Heidenreich/Michalk (2017): Werteorientierte Verhaltensaktivierung bei depressiven Störungen. Therapiemanual. Beltz Verlag 26 „Das in Kontakt kommen mit der eigenen Seele“ fand ich in einem afrikanischen (Sambia) Dialekt ausgedrückt mit „Kilunaba“: meine Seele ist noch unterwegs, ich warte, bis sie wieder bei mir ist. 27 Siehe dazu den Brief des Apostel Paulus an die Philipper 4,6 –7 28 Jesaja 9,5 29 Johannes 7,38 30 Boff, L., aao., S. 121 31 Lukas Evangelium, 7,31–34 (GNÜ): „Vor den Augen seiner Feinde“ – den Pharisäern – zeigt Jesus seine Vorliebe für die verhasste Gruppe der Zöllner, die als korrupte Kollaborateure der Römer geächtet waren, er lässt sich von Zachäus dem Oberzöllner gleichnishaft einladen: Auf einer tieferen Ebene ist Gott in Jesus der Einladende („der heutige Tag hat diesem Haus Rettung gebracht“) im Angesicht der empörten Menge von Gott entfremdeter Menschen (Lukas 19,1– 10 (GNÜ)). 32 Lukas 24,25;30 –32: Jesus übernimmt die Gastgeberrolle als eingeladener Gast im Angesicht eines symbolischen „Feindes“, der geistlichen Trägheit und Unverständigkeit (Dummheit) 33 Hebräer Brief, 10,19 – 23 34 Vgl. auch das Gleichnis vom „Großen Festmahl“, nach Lukas 14,15–24: Eingeladen sind die in den Augen der Pharisäer (der Selbstgerechten) „Unwürdigen“, die „Problemlosen“ scheinbar Edlen auf der Einladungsliste sahen es nicht für nötig, der Einladung zu folgen. 35 Siehe auch die Heimkehr des „Verlorenen Sohnes“ oder das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen, auf die der Vater (täglich) wartet; freudig feiert dieser Vater die Rückkehr des halb verhungerten Sohnes mit einem großen Fest (Lukas 15,20 – 24). 36 Erinnert uns wiederum an die Selbstaussage Jesu, des Guten Hirten: Ich bin gekommen, damit sie (die Schafe) überfließendes Leben haben (Johannes 10,10).

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ihre Schutzbedürftigkeit, ihren Mangel an äußerlich guter Performance wissen. In diesem Schutzraum, in dem Gott dem Menschen dient, seine Heimkehr feiert 35, findet auch eine Wiederherstellung seiner „Ehre“ statt, des in den Augen des Kranken ramponierten Selbstwerterlebens. Gott salbt das Haupt des Menschen, der in seine Tischgemeinschaft kommt mit (heilendem) Öl, sodass der depressiv gebeugte Mensch wieder erhobenen Hauptes gehen kann. Unser möglicherweise negatives Gottesbild mit einem religiösen Konstrukt eines „knauserigen, kleinlichen“ Gottes wird pulverisiert mit den Worten „und mein Becher (Wein in vielfältiger biblischer Symbolik) fließt über“.36 Der Psalmist nimmt den depressiven Menschen in eine helle Zukunftserwartung mit hinein: Es wird nicht nur besser mit dir (deinen Symptomen) werden; du wirst neue korrigierende Beziehungserfahrungen in deiner Spiritualität, in dem „Gott begegnet“ machen. Dazu gibt Gott seinen Geist. „Nur Güte und Gnade werden mich umgeben alle Tage meines Lebens […]“. Mit dieser provozierenden Feststellung werden zum Schluss des Hirtenlieds noch einmal die dysfunktionalen Schemata distanziertunsicherer/ängstlich-ambivalenter Bindung aus der Biografie aufgegriffen: Bei Gott muss der Bindungsängstliche als auch der


Literatur • Benthaus-Apel, F.: Wechselwirkungen : Geschlecht, Religiosität und Lebenssinn. WaxmannVerlag, 2017 • Dayringer, R .: Dealing with depression. Routledge-Verlag, New York 2012 • Hornberg , C.: Medizin – Gesundheit – Geschlecht. Springer-Verlag 2016 • Huber, D./Klug, G.: Psychoanalyse der Depression, Kohlhammer-Verlag 2016 • Jilg, V.: Psychodynamik und Geschlecht, Fleet Street Press 2013 • Boff, Leonardo (2005): Der Herr ist mein Hirte. Psalm 23 ausgelegt. Patmos Verlag • Bailey, Kenneth E. (2018): Jesus war kein Europäer. Die Kultur des Nahen Ostens und die Lebenswelt der Evangelien. SCM, Verlag R. Brockhaus • Bailey, Kenneth E. (2015): The Good Shepherd. A thousand-year journey from Psalm 23 to the New Testament. SPCK London, with permission from Intervarsity Press • Grawe, K. (2004): Neuropsychotherapie. Kap. 4: Bedürfnisbefriedigung und psychische Gesundheit. Hogrefe Verlag • Hefti, René (2012): Depression und Glaube. Von der Epidemiologie zur Klinik. In: Hefti, R. & Bee, Jacqueline (Hrsg.)(2012): Spiritualität und Gesundheit. Ausgewählte Beiträge im Spannungsfeld zwischen Forschung und Praxis. Verlag Peter Lang, Bern • Hofheinz/Heidenreich/Michalk (2017): Werteorientierte Verhaltensaktivierung bei depressiven Störungen. Therapiemanual. BELTZ • Jeremias, Joachim (2017): Theologie des Alten Testaments. Studienausgabe, V & R Verlag • Keller, Philipp (2018/4.): Psalm 23 aus der Sicht eines Schafhirten. Gerth Medien • Keller, Timothy u. Keller, Kathy (2017): Ein Jahr mit den Psalmen. Brunnen Verlag • Kushner, H.S. (2004): The Lord is my Shepherd. Healing Wisdom of the twenty-third Psalm. Anchor Books, Random House Publishing • Nelson, Sefora (2016): Denn du bist bei mir. Psalm 23, eine Einladung zu vertrauen. Gerth Medien • Oberbillig, R. (2019): Existenzielle Perspektiven für die Krisen unseres Lebens. Ein seelsorgerlichspiritueller Impuls. In: de’ignis-Magazin Nr. 58 • Reuter, Wolfgang (2012): Relationale Seelsorge. Psychoanalytische, kulturtheoretische und theologische Grundlegung. Kohlhammer • Samuel, Michael Leo (2014): A Shepherd’s Song: Psalm 23 and the Shepherd Metaphor in Jewish Thought. Kodesh Press New York, S. 52 – 54 • Schauenburg, Henning (2018): Depression und Bindung – Therapeutische Strategien. Psychodynamik kompakt. V&R Verlag • Weissman/Markowitz/Klerman (2009): Interpersonelle Psychotherapie. Ein Behandlungsleitfaden. Hogrefe Verlag

Bei Gott muss der Bindungsängstliche als auch der Bindungssichere keine Vernachlässigung befürchten.

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Der Glaube und die medikamentöse Behandlung von Depressionen Von Dr. med. Rainer Kloß

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Illustration: Vivali / iStock

Nicht selten kommt es vor, dass gerade religiös eingestellte Menschen gegenüber einer medikamentösen Behandlung ihrer psychischen Symptomatik Vorbehalte äußern. Sie äußern Bedenken, ob nicht die Einnahme einer Medikation bedeutet, dass ihr Glaube sie nicht getragen hat, dass sie nicht stark genug waren usw. Insbesondere depressive Menschen fühlen sich in ihrer Depression ihrer Glaubensgrundlagen beraubt und haben die Vorstellung, dass sie nur wieder genug glauben müssten, um aus ihrem dunklen Tal zu finden. Ihr Glaube ist oft – wie auch ihr ganzes Lebensmuster – stark von einer Leistungsorientierung geprägt, die es ihnen schwer macht, sich fallen zu lassen, sich anzuvertrauen und Hilfe anzunehmen. Die Einnahme von Medikamenten bedeutet für sie ein Eingeständnis ihrer Hilf- und Hoffnungslosigkeit, sodass sie sie aus einem falsch verstandenen Glaubenszwang – manchmal auch eher Glaubensverzweiflung – heraus nicht annehmen können oder wollen. Zudem erleben sie ihre Erkrankung als Stigmatisierung, die durch die Einnahme von Medikamenten mit ihren manchmal auch sicht- und spürbaren Nebenwirkungen noch verstärkt wird. Besteht aber überhaupt ein Widerspruch zwischen dem Glauben an einen wirkmächtigen Gott, der heilen kann und immer wieder auch Menschen auf eine Art und Weise heilt, die wir mit unserem naturwissenschaftlich geprägten Verständnis nicht erklären können, und einem menschlichen Handeln aus rationalen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus? Gott offenbart sich meiner Erfahrung nach selten mit Heilungswundern, die Aufsehen erregen und für alle sichtbar sind. Viel häufiger gibt er uns Möglichkeiten an die Hand, Menschen mit medizinischen Therapieverfahren zu behandeln, die durch die in uns hineingelegte Kreativität ständig verbessert werden, wodurch Fortschritte in der Behandlung erzielt werden können. Unsere modernen, chemisch hergestellten Medikamente entsprechen dabei auch einem von Gott gegebenen Werkzeug, das wir einsetzen und nutzen dürfen. Es entspricht daher durchaus dem Heilshandeln Gottes, wenn wir auf Medikamente zurückgreifen,

die uns anvertraut sind als Hilfsstoffe, um ausgehend von der körperlichen Ebene auf die Not unserer Seele einzuwirken und Symptome zu lindern. Damit zeigt sich die Verordnung von Medikamenten gleichwertig neben der persönlich-fachlichen Zuwendung in einer psychotherapeutischen Behandlung wie auch einem seelsorgerlichen Umgang mit Gebet und Segnung gegenüber einem hilfesuchenden Menschen. Wenn ich einem Menschen Medikamente verordne in dem Vertrauen, dass diese auf seine neuronale Aktivität Einfluss nehmen und seine Symptome lindern, dann kann ich dies auf einer geistlichen Ebene mit dem Wirken Gottes an diesem Menschen in Einklang bringen, ohne mich in einen Zwiespalt zu begeben, zwischen einer materiellen Handlungsebene und der Glaubensebene. Auf der Basis eines solchen Verständnisses ist es dann auch leichter, aus religiösen Gründen misstrauischen oder ablehnenden Menschen zu vermitteln, dass sie von Gott angebotene und geschaffene Hilfsmittel annehmen und für sich in Anspruch nehmen dürfen. Bezüglich der Entstehung von depressiven Störungen ist von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen. Entsprechend eines bio-psycho-sozialen Erklärungsmodells spielen bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung des depressiven Symptomenkomplexes auch die biochemischen Abläufe in unserem Gehirn eine wesentliche Rolle. Die organische Grundlage unserer seelischen Funktionen beruht auf dem Wechselspiel von Nervenzellen in unserem Gehirn (sog. Neuronen) und der Informationsübertragung zwischen ihnen durch biochemische Überträgerstoffe (Transmitter). Veränderungen oder Beeinträchtigungen in der Konzentration und Wirksamkeit dieser Überträgerstoff können zu psychischen Symptomen führen, die sich z. B. mit den typischen Symptomen einer Depression zeigen. Inzwischen ist auch sehr deutlich belegt, dass Veränderungen, die durch eine Gruppe von Medikamenten, die als Antidepressiva bezeichnet werden, an den Membranen und Rezeptoren der Nervenzellen dazu führen, dass sich depressive Symptome abschwächen oder diese ganz abklingen können.

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Entdeckt wurden diese Medikamente in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Davor standen für die Behandlung schwerer Depressionen lediglich pflanzliche Stoffe zur Verfügung, die zwar eine begrenzte – inzwischen auch in kontrollierten Studien nachweisbare – Wirkung haben können (wie zum Beispiel ein Extrakt aus Johanniskraut). Dennoch waren schwere depressive Erkrankungen, wie sie im Rahmen der heute so klassifizierten bipolaren Störung vorkommen, einer therapeutischen Beeinflussung wenig zugänglich. Der Psychiater E. Kraepelin, der das Krankheitsbild der sogenannten „endogenen Depression“ (Begriffsdefinition durch den Psychopathologen Kurt Schneider) um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert erstmals ausführlich beschrieben hat, wusste um deren phasenhaften, d. h. aus noch unbekannten (endogenen) Gründen sich wiederholenden, Verlauf, der sich nicht wesentlich durch therapeutische Maßnahmen bessern ließ, vor allem auch nicht durch die damals aufkommende psychotherapeutische Behandlung. Allerdings fand er durch die Beobachtung vieler Krankheitsverläufe heraus, dass die an dieser schweren Depressionsform erkrankten Menschen regelhaft eine Rückbildung der Symptomatik erlebten. So konnte man lange Zeit die depressiv Erkrankten damit beruhigen, dass die Erkrankungsphasen irgendwann nach Wochen, Monaten, Jahren enden und die Symptome zurückgehen würden. Den Erkrankungsverlauf wesentlich beeinflussen konnte man aber nicht. Erst die Entdeckung der chemisch definierten Antidepressiva veränderte die Behandlungsmöglichkeiten dieser schweren Depressionsformen entscheidend. Wer es einmal beobachten konnte, dass Menschen, die unter der wahnhaften Vorstellung, sich versündigt zu haben, verarmt und ruiniert zu sein oder unheilbar erkrankt zu sein, extrem leiden, völlig zerquält sind, sich innerlich leer und tot fühlen, oft gar keine Gefühle mehr wahrnehmen können, dann durch eine medikamentöse Behandlung innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Stimmungsaufschwung erleben, sich wieder lebendig und gelöst fühlen und angeben, sie könnten gar nicht verstehen, was mit ihnen


• trizyklische oder tetrazyklische Wirkstoffe (TZA), die vor allem den Noradrenalin-Adrenalin-Stoffwechsel beeinflussen. • selektive Serotonin-Wiederaufnahme(Re-Uptake)hemmer(-Inhibitoren) (SSRI), die vor allem den Serotonin-Stoffwechsel beeinflussen • selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) • selektive Noradrenalin-DopaminWiederaufnahmehemmer (SNDRI) • Monoaminooxidasehemmer (MAOHemmer), die den Abbau der Transmitter beeinflussen

Die biochemischen Mechanismen sind dabei letztlich zwar einigermaßen bekannt. Wie sich dies aber auf das psychische Erleben auswirkt, ist in wesentlichen Teilen noch nicht verstanden. Von daher ist die Behandlung mit diesen Medikamenten bislang noch immer eine empirische Angelegenheit, d. h. mehr oder weniger ein Ausprobieren der einzelnen Wirkstoffe und Beobachten des Effektes beim Patienten. Dabei ist zu beachten, dass sich eine antidepressive Wirkung meist nicht sofort einstellt, sondern erst nach einer Einnahme des Präparates über mindestens zwei Wochen, manchmal auch noch länger. Leider sind zu Beginn der medikamentösen Behandlung für den Patienten erst einmal überwiegend die Nebenwirkungen spürbar, so dass es viel Geduld und Überzeugungsarbeit braucht, den Patienten zu ermutigen, ein Präparat längere Zeit einzunehmen, bevor er die einsetzende antidepressive Wirkung verspürt und dann selbst motiviert ist, die Behandlung fortzusetzen. Auch besteht gerade in der Anfangsphase einer medikamentösen Behandlung ein erhöhtes Suizidrisiko, weil sich manchmal der Antrieb bei einem Patienten bessert, aber die Stimmung noch sehr niedergeschlagen ist. Wenn sich nach einigen Wochen keine Wirkung einstellt, ist es sinnvoll, auf ein anderes Präparat zu wechseln, mit dem möglicherweise dann eine Verbesserung der Stimmungslage erreicht werden kann. Heute stehen unter anderem als Substanz- Genauso ist zu beachten, dass eine antideklassen vor allem folgende Gruppen zur pressive Medikation nicht abrupt, sondern nur vorsichtig ausschleichend über einen Verfügung:

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längeren Zeitraum beendet werden sollte. Dies hat nichts mit einer „MedikamentenAbhängigkeit“ zu tun, sondern mit dem biochemischen Wirkmechanismus: Bei einem abrupten Beenden der Medikation kommt es zu einem plötzlichen Abfall der Konzentration des Medikamentes an den Ansatzpunkten, was dann das zuvor eingestellte Gleichgewicht plötzlich wieder aus dem Lot bringt, so dass sich „RückschlagPhänomene“ innerhalb weniger Tage oder Wochen einstellen können, die im schlimmsten Fall ein Wiederauftreten der vor der Behandlung bestandenen depressiven Symptome bedeuten. Deshalb wird empfohlen, die Behandlung noch über einen längeren „Sicherheitszeitraum“ einzunehmen und dann vorsichtig, z. B. in Halbierungsschritten der Dosis jeweils nach vier bis sechs Wochen, abzusetzen.

Autor

Dr. med. Rainer Kloß ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Rehabilitationswesen und hat eine Weiterbildung in systemischer Therapie und Familientherapie. Er ist als Supervisor und Oberarzt der de’ignis-Fachklinik tätig.

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in ihrer Krankheitsphase los gewesen sei – der möchte diese Behandlungsmöglichkeit nicht mehr missen. Allerdings ist inzwischen auch deutlich, dass eine Behandlung mit einem Antidepressivum gerade bei den mittelschweren oder leichten Depressionsformen nicht die alleinige Behandlungsform darstellt. Hier spielen lebensgeschichtliche Hintergründe – entweder aus der früheren Lebensgeschichte oder aus aktuellen inneren oder äußeren Konfliktsituationen – die entscheidendere Rolle. Eine antidepressive Medikation kann daher nur ein zusätzlicher Baustein in der Gesamtbehandlung sein. Genauso wichtig ist es, an den zugrundeliegenden Konflikten und Erfahrungen mit einer psychotherapeutischen Behandlung anzusetzen. Etwas vereinfacht gesagt, wirkt die medikamentöse Behandlung mit einem Antidepressivum umso besser, je schwerer die Depression ausgeprägt ist und je weniger sie aus dem lebensgeschichtlichen Kontext des Patienten heraus verständlich erscheint. Insbesondere die in den ersten Jahrzehnten überwiegend vorhandenen antidepressiv wirksamen Substanzen verursachten nicht unbeträchtliche Nebenwirkungen in Form von Mundtrockenheit, Müdigkeit, Beeinflussungen des Herz-Kreislaufsystem und der vegetativen Funktionen. Deshalb wurden und werden in der pharmazeutischen Forschung immer wieder große Anstrengungen unternommen, neue und zielgerichtetere Wirkstoffe zu entwickeln, die einerseits eine gute antidepressive Wirksamkeit aufweisen, andererseits weniger Nebenwirkungen verursachen, die die Akzeptanz der Behandlung wesentlich beeinflussen. So sind gerade in den letzten drei Jahrzehnten verschiedene Wirkstoffgruppen entstanden, die sich in ihrem Ansatzpunkt am NeurotransmitterStoffwechsel unterscheiden und damit das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten deutlich erweitert haben, bei gleichzeitig oft angenehmeren Behandlungsumständen für die Patienten.


Die organische Grundlage unserer seelischen Funktionen beruht auf dem Wechselspiel von Nervenzellen in unserem Gehirn und der Informationsübertragung zwischen ihnen durch biochemische Überträgerstoffe. 25


Lichttherapie

Neurostimulationsverfahren bei Depressionen Im Bereich der Pharmako-, Psycho- und Soziotherapie wurden in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erreicht. Eine Vorstellung und Bewertung einzelner Verfahren. Von PD Dr. med. Herbert Scheiblich

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Depressionen sind inzwischen zu einer der größten gesundheitlichen Belastungen in Deutschland angewachsen. Neben der Frage, wie es zu einer solchen ungünstigen Entwicklung kommen konnte, steht die Frage nach Behandlungsmöglichkeiten. Es sind im Bereich der Pharmako-, Psychound Soziotherapie bedeutende Fortschritte erreicht worden. Aber man hat zwischenzeitlich erkannt, dass es auch Grenzen dieser Behandlungen gibt: Therapieresistenz, Chronifizierung, mangelhafte Einsatzfähigkeit aufgrund von Nebenwirkungen oder anderen Kontraindikationen. Viele Patienten lehnen Antidepressiva aufgrund der Erfahrung von schweren Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Behandlungsnotwendigkeit ab. Alternative Heilverfahren wie Phytopharmaka (rein pflanzliche Medikamente), Homöopathika etc. sind vereinzelt erfolgreich, haben aber auch ihre Nebenwirkungen oder es gibt ideologische/religiöse Ablehnungsgründe. Die klinischen Neurowissenschaften haben mit zunehmender Erkenntnis der Gehirnphysiologie neue Behandlungsansätze gefunden und sie durch neue Behandlungstechniken im Bereich der depressiven Erkrankungen nutzbar gemacht. Es sind alles Modulationstechniken mit dem Ziel der Netzwerkstabilisierung von depressiogenen Gehirnarealen. Diese Behandlungstechniken lassen sich in zwei Bereiche aufteilen:

Kurzdarstellung und Bewertung der einzelnen Verfahren:

L ichttherap ie Der Normalsterbliche macht die typische Erfahrung der Stimmungsaufheiterung bei Sonnenschein und die Eintrübung der Stimmung im Herbst und Winter. Diese Beobachtung beruht auf einem Mangel an UVB-Licht im Spektrum der Wintersonne. Dieses Defizit führt zu einer mangelnden Produktion von Melatonin, dem Schlafhormon. Konsequenterweise führt Schlafmangel zu Erschöpfung und depressiver Symptomatik. Die tägliche Anwendung von speziellen Lampen mit erhöhtem Anteil an UVB-Licht im UV-ABC-Spektrum z. B. beim Lesen gleicht die Melatoninproduktion aus und bessert damit den Schlaf. Die Lampen sind heute für einen relativ günstigen Preis in jedem Elektromarkt zu erhalten. Bio -Fe e d b ack Das Bio-Feedback beruht auf der verhaltenstherapeutischen Methodik der Konditionierung. Mit speziellen Messsonden werden unterschiedliche biologische Parameter gemessen, z. B. der Hautwiderstand. Die Sichtbarmachung des erhöhten Messwertes und der darauffolgenden gezielten Einflussnahme mittels Gedanken etc. normalisiert nach Training den Wert. Dieser Effekt führt über eine Rückkopplung zu

1. Vom Patienten

sel bstang e wendete Verf a hren : • Lichttherapie • Biofeedback • Neurofeedback 2. Min ima l inva sive Te chn iken :

Bild links: Rocky89 / iStock; Bild rechts: AndreaObzerova / iStock

• EKT: Elektrokonvulsionstherapie • r TMS: repetitive transkranielle Magnetstimulation • tDCS: transkranielle Gleichstromstimulation •T HS: tiefe Hirnstimulation • VNS: Vagusnervstimulation

Bio-Feedback

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einer positiven Entwicklung des autonomen Nervensystems und der Gefühlslage. Neben dem Hautwiderstand können auch die Schweißproduktion, die Herzfrequenz, die Muskelspannung und andere einfache messbare biologische Parameter im BioFeedback verwendet werden. Eine besondere Form des Feedbacks ist das Neurofeedback mit quantitativer Messung von bestimmten EEG-Wellen. Diese Wellen werden über Entspannungsverfahren (kognitive Denkprozesse) in ihrer Häufigkeit moduliert und bewirken über die gleichen Mechanismen wie das Bio-Feedback positive Behandlungserfolge wie Ausgeglichenheit, verbesserte Konzentration und so weiter. Beide Verfahren sind hoch wirksam und in der Handhabung einfach vom Patienten anzuwenden. Leider kommen sie im therapeutischen Alltag nur selten zum Einsatz. Elektro krampf therap ie E K T: Die Elektrokrampftherapie oder Elektroschocktherapie war eines der ersten wirksamen Verfahren in der Psychiatrie. Leider wurde der Diagnosebereich im Rahmen einer nicht gerechtfertigten Euphorie als Allheilmittel auf alle psychiatrischen Krankheitsbilder ausgedehnt und damit durch viele überflüssige Anwendungen Leid für die Patienten verursacht. Eine unsachgemäße Anwendung bewirkte zusätzlich starke,


zum Teil bleibende Nebenwirkungen und führte somit zu einem schlechten Ruf dieser Methodik. Wie es sich schon im Namen Elektroschock ausdrückt. Die EKT hat bei sorgfältiger Durchführung und sinnvoller Indikation sehr gute und nachhaltige zum Teil dramatische Behandlungserfolge bei depressiven Patienten. Wegen dem großen Aufwand bei der Anwendung (Vollnarkose, stationär, Personal etc.) wird sie nur noch vereinzelt in darauf spezialisierten Kliniken angewandt. Trans kran iel l e Ma g netstimu lation T M S Als Ersatz entwickelte sich in der Psychiatrie die TMS auf der Basis von Magnetstimulation. Der physikalische Zusammenhang, dass ein fließender Strom ein Magnetfeld erzeugt und ein pulsierendes Magnetfeld elektrischen Strom erzeugt, führte nach langen Forschungen zu einem sicheren Anwendungsverfahren. Es wird nach genauer Ausmessung des gestörten ursächlichen Gehirnareals für die Depression im Frontalkortex, dieser Bereich mit einer Magnetspule stimuliert. Diese Stimulation bewirkt eine elektrische Neuladung des Nervengewebes und in der Folge kommt es zu einer Normalisierung des Nervenzellstoffwechsels. Die ganze Prozedur der Applikation dauert circa 10 – 20 Minuten. Sie erfolgt im Sitzen mit bis zu 15 Sitzungen. Die Technik ist nach Ausschluss von Kontraindikationen

hochgradig nebenwirkungsarm und erzielt gute bis sehr gute Therapieeffekte. Dieser Methode gehört als Alternative für Psychopharmaka die Zukunft. Die de’ignisFachklinik wendet diese Methode in Kooperation mit einem externen Partner an.

Va g usner vstimu lati on Die VNS erfolgt über ein Gerät, das ähnlich wie ein Herzschrittmacher im Brustkorb implantiert wird und einen Ausläufer des Nervus Vagus elektrisch stimuliert. Der Patient erhält einen Magneten mit dem er das Gerät steuert und die Hauptindikation für Transkran i el le die VNS Therapie ist die Therapieresitente Gleichstromstimu lation Epilepsie. Und daneben mit guten Erfolg Die tDCS ist relativ neu in der Behand- bei der Depression und Migräne eingesetzt. lung von depressiven Störungen und stellt ein vielversprechendes Instrument dar. „Transcranial direct current stimulation ist ein nichtinvasives, schmerzfreies und komplett reversibles Verfahren zur Elektrostimulation des Gehirns. Dabei wird über auf der Kopfhaut angebrachten Elektroden Gleichstrom appliziert, wodurch die kortikale Erregbarkeit und die neuronale Aktivität verändert werden.“ 1 Es lassen sich viele Effekte nachweisen, wobei die Ergebnisse jedoch uneinheitlich sind und daher noch weiterer Erforschung bedürfen. Die Methode ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht für den klinischen Alltag geeignet. Tiefe Hirnstimu lation Die THS wurde als Alternative aus der Psychochirurgie entwickelt, wobei ein Eingriff in das Gehirn vorgenommen wird und ist bei strengster Indikationsstellung zum Teil sehr wirksam, besonders bei therapieresistenten Depressionen, Zwangsstörungen und Tourette-Syndrom.

Vagusnervstimulation

Die THS und VNS sind operative minimalinvasive Verfahren und aktuell nur bei spezifischer Indikation anzuwenden. Sie geben aber einen Eindruck von möglichen computergestützten technischen Verfahren zur Stimulation des Gehirns und bestimmter Stimmungszustände.

Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen hat sich stark erweitert um effektive Techniken. Es besteht jedoch noch kein Therapieschema, wann welches Verfahren in welchem Abschnitt der Depression zum Einsatz kommt. Eine allgemeine Empfehlung ist abhängig vom Schweregrad der Depression. Bei jeder Art der Depression ist gemäß der Symptomatik Psychoedukation, Psychotherapie und Körpertherapie anzuwenden. Der Einsatz von Psychopharmaka ist zwingend bei der schweren Form und sicher bei der mittelschweren Depression, bei leichten Depressionen eine Frage der Abwägung.

Transkranielle Magnetstimulation TMS

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Bilder links: Getty Images; Bild rechts: SensorSpot / iStock

Fazit


Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen hat sich stark erweitert um effektive Techniken. Die Anwendung von TMS ist bei leichten und mittelschweren teilremittierten Depressionen zur Steigerung des Medikamenteneffektes und bei Medikamentennebenwirkungen, die den Einsatz von Antidepressiva ausschließen sowie bei chronischen Formen effektiv und effizient. Die EKT ist die Methode der Wahl bei schweren chronisch verlaufenden und therapierefraktären Depressionen. Fußnoten 1

Wikipedia: „Transkranielle Gleichstromstimulation“: unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Transkranielle_Gleichstromstimulation (abgerufen am 31.03.2020)

Literatur • Fitzgerald, P. (2013): Repetitive transcranial Magnetic Stimulation. Treatment for depressive Disorders, Springer Verlag. • Grötzinger, M. (2013): Elektrokonvulsionstherapie kompakt, Springer Verlag. • Haus, K.H. et al (2016): Praxisbuch BioFeedback, 2. Auflage Springer Verlag. • Kuhn, J./Gaebel W. (2013): Therapeutische Stimulationsverfahren für psychiatrische Erkrankungen, Kohlhammerverlag.

Autor

PD Dr. med. Herbert Scheiblich ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychotherapie. Er ist in eigener Praxis tätig, zudem ist er Mitglied der de’ignis -Institutsleitung.

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Diagnostik der Depression und verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze Eine Erläuterung zum Krankheitsbild der Depression, deren Entwicklung, Hintergründe und Behandlung. Von Dipl.-Psych. Margarete Kappler

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Es begann schleichend. Zunächst hielt • Frau K. die ausgeprägte Müdigkeit, unter der

sie litt, für eine normale Folge ihres anstrengenden Arbeitsalltags. Erst als sie sich auch nach Wochenenden nicht erholt fühlte, immer unkonzentrierter war und häufig schlecht schlief, merkte sie, dass etwas anders war als sonst. Sie konnte sich nur noch schwer aufraffen, morgens zur Arbeit zu gehen und sagte Abendtermine mit Freundinnen meist ab. Dazu hätte sie keine Kraft gehabt, aber ehrlich gesagt, auch keine rechte Lust. Der Alltag erschien ihr als qualvolle Pflichterfüllung. Dennoch bemühte sie sich, weiter ihrer Arbeit nachzugehen und auch den Haushalt einigermaßen zu bewältigen. Herr W. hingegen hatte es schon mehrfach in seinem Leben erfahren, dass psychische Beschwerden ihn aus dem normalen Alltag herausrissen. Und auch jetzt ging fast nichts mehr: Er konnte schon seit mehreren Monaten nicht mehr arbeiten, lag die meiste Zeit im Bett, auch im Haushalt konnte er nichts mehr erledigen, von Hobbies ganz zu schweigen. Er hatte keine Energie mehr, hatte auch den Eindruck, sich an nichts mehr freuen zu können. Das Denken schien viel langsamer zu sein, er fühlte sich innerlich leer. Zusätzlich machte er sich große Vorwürfe, so eine große Belastung für seine Frau zu sein. Vielleicht wäre es besser, gar nicht mehr da zu sein?

Foto: frau.L. / photocase.de

Sowohl Frau K. als auch Herr W. leiden unter einer depressiven Störung, die sich jedoch, bei gewissen Gemeinsamkeiten, recht unterschiedlich darstellt. Grundsätzlich kann man sich selbst zwei Fragen stellen: 1. Fühlte ich mich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos? 2. Hatte ich im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die ich sonst gerne tue? Werden beide Fragen mit „ja“ beantwortet, sollte ein Arzt gezielt nach depressiven Symptomen fragen. Tatsächlich verbergen sich unter dem Oberbegriff „Depression“ verschiedene Diagnosen. Es gibt verschiedene Symptome, die bei einer Depression kombiniert sein können. Man unterscheidet laut ICD 10 drei mögliche Hauptsymptome, zu denen verschiedene

Zusatzsymptome hinzukommen können. Hauptsymptome sind: 1. Depressive, niedergedrückte Stimmung 2. Verlust von Interesse und Freude an Aktivitäten und Dingen, die bisher angenehm waren 3. Antriebsmangel oder raschere Ermüdbarkeit

bestraft zu werden) oder Verarmungswahn (der Betroffene ist sicher, er werde bald nicht mehr genug Geld zum Leben zur Verfügung zu haben). Diese Einteilung ist wichtig, da die verschiedenen Ausprägungen unterschiedliche Behandlungsempfehlungen bedingen: Während man bei einer leichten Depression oft erst einmal zuwarten kann, wird bei Zusatzs ymptome können sein : einer schweren Depression medikamentöse 4. Verlust des Selbstvertrauens oder des Behandlung laut Nationaler VersorgungsSelbstwertgefühls leitlinie unbedingt empfohlen, oft ist eine 5. Selbstvorwürfe oder unangemessene stationäre psychiatrische Behandlung nötig. Schuldgefühle Wenn man die anfangs dargestellten Fall 6. Gedanken an Tod oder Suizid, beispiele betrachtet, dann kann man Frau Suizidversuche K.’s Beschwerden als leicht, eventuell als 7. Verminderte Konzentrations- oder mittelgradig einordnen, Herr W. leidet unter Gedächtnisleistung, Unentschlossenheit einer schweren depressiven Episode. 8. Psychomotorische Agitiertheit (Un- Neben den Symptomen betrachtet man ruhe) oder Hemmung jedoch stets auch den Verlauf einer Depres 9. Schlafstörungen jeglicher Art (zu wenig sion. Eine Depression kann einmalig im oder auch zu viel schlafen) Leben auftreten und vollständig remittieren, 10. Appetitverlust oder -steigerung d. h. der Betroffene erholt sich vollständig Außerdem können noch weitere Beschwer- davon. Dies ist bei Frau K. der Fall, zuminden vorliegen, die eher unspezifisch sind, dest hatte sie zuvor keine depressive Phase bei denen man also nicht unbedingt an gehabt, ihre Diagnose lautet: Mittelgradige eine Depression denkt, z. B. körperli- depressive Episode (F32.1). che Beschwerden wie Schwindel oder Anders ist es bei Herrn W.: Depressive Schmerzen. Episoden begleiteten ihn schon seit seiner Je nachdem, wie viele der Haupt- und Zusatz- Jugend, alle paar Jahre hatte er entsprechende symptome bei einer Person vorliegen, unter- Beschwerden, wenn auch nicht immer so teilt man verschiedene Schweregrade einer stark ausgeprägt. Zwischen den Krankheitsdepressiven Episode. Die Zuordnung ist in phasen erholte er sich jedoch immer wieAbb. 1 zusammengestellt: der, war ganz der Alte. Man spricht hier von einem rezidivierenden Verlauf. S chwere g rade einer D epression Seine Diag nose lautet: RezidivieLeichte Depression 2 Hauptsymptome rende depressive Insgesamt mind. 4 Symptome Störung, derzeit schwere depresMittelgradige 2 Hauptsymptome sive Episode ohne Depression Insgesamt mind. 6 Symptome psychotische SymSchwere Depression Alle 3 Hauptsymptome ptome (F33.2). Insgesamt mind. 8 Symptome Bei manchen Menschen besteht auf Abb. 1 Dauer eine depressive Stimmung , Bei einer schweren Depression können die Symptome sind jedoch nicht so auszusätzlich psychotische Symptome auftre- geprägt wie bei einer depressiven Episode. ten wie Schuldwahn (d. h. der Betroffene ist Hier spricht man von einer Dysthymia. Sie fest davon überzeugt, für schwere Schuld kann auch in Kombination mit depressiven

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Episoden auftreten. Auch kann es neben depressiven Episoden auch zu Phasen mit stark gehobener Stimmung und gesteigertem Antrieb kommen, sogenannten manischen Phasen. Hierbei handelt es sich um eine bipolare affektive Störung, die spezifische Behandlung benötigt. Wenn die Diagnose einer depressiven Störung gestellt wurde, stellt sich die Frage der passenden Therapie. An dieser Stelle soll die Behandlung von Depressionen mit Kognitiver Verhaltenstherapie vorgestellt werden. Aus Platzgründen kann sie hier nur sehr vereinfacht dargestellt werden. Grundsätzlich befasst sich KVT mit den auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren von depressivem Verhalten und den zugrundeliegenden Gedanken. Eine wichtige Frage ist dabei: Warum hat dieser Mensch zu diesem Zeitpunkt Symptome entwickelt, was hat sie verstärkt? Die KVT verfolgt zwei zentrale Strategien: 1. Aktivitätsaufbau (behavioral, das Verhalten betreffend) 2. Kognitive Umstrukturierung (die Gedanken und Grundüberzeugungen betreffend) Ursprünglich betrachtete die Verhaltenstherapie in erster Linie das erlernte Verhalten und postulierte als Ursache depressiver Beschwerden die Erfahrung, an der eigenen Situation nichts ändern zu können, keine Kontrolle zu haben (Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Seligman) oder den Wegfall von positiven Erlebnissen und Belohnung (Verstärker-Verlust-Modell nach Lewinson). Häufig standen vor Auftauchen der ersten Symptome besonders stressige Lebensumstände, schwierige Veränderungen, ein kritisches Lebensereignis. Bei Frau K. waren dies Veränderungen auf der Arbeit, die ihr viele Überstunden abverlangten, hinzu kam eine Grippe, von der sie sich scheinbar nicht mehr erholte. Auch war ihr jüngstes Kind gerade ausgezogen. Der Betroffene verfügt dann nicht über genügend Ressourcen zur Anpassung und wählt ungünstige Verhaltensweisen. Häufig werden zwar lästige Pflichten noch erfüllt, die aber keine Freude mehr machen und

bei denen auch nach und nach die Erfolge die Störung bei dem Betroffenen bedingen ausbleiben, positive Aktivitäten, wie Hob- und wie sie zusammenwirken. Dies kann bies, fallen jedoch weg, da die Energie dazu in einem sogenannten Teufelskreismodell nicht mehr ausreicht, soziale Kontakte wer- dargestellt werden (Abb. 2) . den weniger. Dies verstärkt die Depression erheblich. Wichtig Gr undmo del l vereinf achter Teufelskreis (nach Gall-Peters und Zarbock, 2012) ist es deshalb, die Zusammenhänge zu erkennen und entspreAuslösende chende Fallen zu identifizieren. Situation In der KVT wird aus diesem Grund viel Wert auf PsychoDepressiver Gedanke edukation gelegt. Zusammen mit dem Therapeuten Depressive Stimmung werden Tages- und Wochenpläne positiver Aktivitäten und Sozialkontakte angelegt, welche eine günstige TagesNegative Erwartungen/ Verlust positiver Erlebnisse und Wochenstruktur herstelnegatives Selbstbild len sollen und die schrittweise gesteigert werden. Besonders Rückzug/ Absage von Kontakten auf kleinste Erfolgserlebnisse und Fortschritte wird geachtet, denn diese können BetrofAbb. 2 fene zunächst gar nicht mehr wahrnehmen. Aber genauso wichtig kann die kognitive Umstrukturierung sein. Sie beruht unter Bei Frau K. wurde in der Therapie herausanderem auf dem kognitiven Modell von gearbeitet, dass sie annahm, bei Feiern und Kurt Beck. Er postulierte negative Gedanken anderen Treffen mit Freunden und Bekannals Ursache für depressive Symptome. Ihnen ten fehl am Platz zu sein, wenn sie nicht zugrunde liegen bestimmte dysfunktionale guter Stimmung wäre. Daraufhin hatte sie Grundannahmen (sog. Beliefs). Frau K. zum Einladungen meist ausgeschlagen. Dies hatte Beispiel hatte folgenden Glaubenssatzverin- dazu geführt, dass sie sich als einsame Vernerlicht: „Nur wer perfekt ist, wird geliebt.“ sagerin fühlte, was wiederum dazu führte, Wenn sie Fehler machte, schlussfolgerte dass sie sich immer mehr zurückzog. sie, nicht liebenswert zu sein. Kognitive Frau K. begann, nachdem sie diese ZusamUmstrukturierung bedeutet nun, gemein- menhänge verstanden hatte, sich mit Freunsam mit dem Therapeuten Hinweise dafür dinnen zu treffen, auch wenn sie sich anfangs zu suchen, dass dieser Glaubenssatz nicht regelrecht dazu überwinden musste. Sie stimmt oder dass z. B. die Einschätzung machte die Erfahrung, dass sie von ihnen „Immer geht bei mir alles schief “ nicht Unterstützung erhielt und dass es ihr nicht stimmen kann in dieser Verabsolutierung. negativ ausgelegt wurde, wenn sie nicht als Aktivitätsaufbau und kognitive Umstruk- Stimmungskanone auftrat. Sie nahm an turierung können in einer Therapie parallel einem Lauftreff teil und stellte fest, dass ihre oder nacheinander bearbeitet werden. Es Kondition immer besser wurde. Sie führte werden oft jedoch Schwerpunkte gesetzt. ein Gespräch mit ihrem Chef und konnte KVT legt nämlich viel Wert darauf, die ein paar Aufgaben so delegieren, dass sie Therapie an den individuellen Patienten pünktlicher heimkam. Schritt für Schritt mit der aktuellen Kombination von Sym- besserte sich ihre Depression. ptomen anzupassen. Aus diesem Grund Herr W. benötigte Medikamente und verwird am Beginn jeder Therapie ein indivi- brachte ein paar Wochen in einer Klinik. Bei duelles Modell entwickelt, welche Faktoren ihm wurde zunächst mit dem Aufbau einer

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema


WH O -5-Fra g eb o g en zum S cre en ing b ei D epressions verdacht Immer

Meistens

>Hälfte der Zeit

<Hälfte der Zeit

Ab und zu

Nie

1 Ich bin froh und guter Laune

5

4

3

2

1

0

2 Ich fühle mich ruhig und entspannt

5

4

3

2

1

0

3 Ich fühle mich aktiv und voller Energie

5

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3

2

1

0

4 Beim Aufwachen fühle ich mich frisch und ausgeruht

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2

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0

5 Mein Alltag ist voller Dinge, die mich interessieren

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4

3

2

1

0

In den letzten beiden Wochen

Bei einem Ergebnis von weniger als 13 Punkten ist eine weitere Depressionsdiagnostik erforderlich. WHO 1998; Heun, Burkart, Meier, Bech 1999. Abb. 3

Tagesstruktur gelegt. Als sich die Symptome bereits etwas gebessert hatten, jedoch nicht im erhofften Maße, wählte seine Therapeutin einen Weg, um näher an die Ursachen der Störung heranzukommen. In die KVT können nämlich außer den oben dargestellten behavioralen und kognitiven Strategien auch sogenannte personen- und hintergrundorientierte Strategien einbezogen werden. Hier kann die Bearbeitung der Biografie, auch Traumabearbeitung eine Rolle spielen. Bei Herrn W. rückte die fehlende Anerkennung durch die Eltern in den Vordergrund, was zu einem negativen Selbstbild geführt hatte. In schematherapeutischen Stuhldialogen konnte er innere Kritiker entmachten. Er entdeckte verschiedene eigene Stärken, Ressourcen wurden gestärkt. Auf diese Weise veränderte sich sein Selbstbild, was schließlich zu einer Aufhellung der Depression führte. Bei allen Schweregraden und Verläufen depressiver Störungen kann Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gute Effekte bringen. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien zu ihrer Wirksamkeit. Eine Untersuchung zu Langzeiteffekten von KVT bei depressiven Patienten, die nicht gut auf antidepressive Medikation ansprachen, ergab zum Beispiel, dass auch nach fast vier Jahren 43 Prozent der Betroffenen, die mit KVT behandelt

worden waren, in Remission waren (d. h. keine oder kaum depressive Symptome vorwiesen), während von den Betroffenen, die nur Medikamente nahmen, nur noch 27 Prozent symptomfrei waren.1 Untersuchungsergebnisse solcher Art führten dazu, dass KVT als Rahmenrichtlinienverfahren, das von Krankenkassen bezahlt werden kann, anerkannt wurde und eines der psychotherapeutischen Verfahren ist, das laut Nationaler Versorgungsleitlinie zur Behandlung depressiver Störungen (je nach Fußnoten Schweregrad in Kombination mit Psycho- 1 Wiles, Nicola et al.: Long-term effectiveness and cost-eff ectiveness of cognitive behavioural therapy as pharmaka) empfohlen wird. an adjunct to pharmacotherapy for treatment-resistant

depression in primary care: follow-up of the CoBalT randomised controlled trial. In: Lancet Psychiatry 2016; 3: 137-44 Online January 6, 2016 http://dx.doi. org/10.1016/S2215-0366(15)00495-2 (abgerufen am 31.3.2020)

Autorin

Dipl.-Psych. Margarete Kappler ist psychologische Psychotherapeutin und arbeitet als leitende Psychologin in der de’ignisFachklinik in Egenhausen.

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Literatur • Unter: www.deutsche-depressionshilfe.de/ depression-infos-und-hilfe (abgerufen am 31.3.2020) • Dilling, Horst/Mombour, Werner/Schmidt, Martin H. (2015): Weltgesundheitsorganisation – Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F). Göttingen: Hogrefe. • Gall-Peters, A. und Zarbock, G. (2012). Praxisleitfaden Verhaltenstherapie: Störungsspezifische Strategien, Therapieindividualisierung, Patienteninformationen. Pabst Science Publishers. formationen. Pabst Science Publishers. • S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression Kurzfassung. 2. Auflage 2017. Online unter: www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/ depression/depression-2aufl-vers1-kurz.pdf (abgerufen am 31.3.2020)


Depressionen aus systemischer Sicht Wie kann die Behandlung einer Depression mithilfe systemischer Therapie aussehen? Mit einer Auswahl an therapeutischen Interventionen der systemischen Therapie für die Arbeit mit depressiven Menschen. Von Annika Dölker

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema


„Willke definiert System als ganzheitlichen • Zusammenhang von Teilen, deren Beziehung

untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind, als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“ 1

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In der systemischen Therapie werden belastende Lebensereignisse und -verhältnisse nicht als Ursache, sondern als Risikofaktoren für die Entstehung von Krankheit angesehen. Das Interesse an biografischen Erfahrungen bezieht sich in der systemischen Therapie weniger auf Fakten, sondern mehr auf die Art, wie davon erzählt wird: Aus welchen Perspektiven werden über Lebensereignisse gesprochen und wie wird innerhalb des Systems mit den Ereignissen umgegangen, werden sie beispielsweise verschwiegen oder (zu) häufig thematisiert.2 Der Hintergrund dieses Vorgehens ist die Annahme der systemischen Therapie, dass die Chronifizierung ein Ergebnis einer aktiven, jedoch meist unbewussten Gemeinschaftsleistung ist, und nicht das Ergebnis eines Defizits einer einzelnen Person.3 „Eine psychische Störung [wird also, d. Verf.] als eine spezifische Form selbstorganisierender Ordnung angesehen, die eine Person gemeinsam mit ihrem Bezugssystem durch Interaktion kontinuierlich aufrechterhält.“ 4 Aus systemischer Sicht ist es daher lohnenswert, zu fragen, wie es einem System gelingt, eine Störung immer wieder neu herbeizuführen, z. B. durch die Frage5 „Wenn Sie wollten, dass Ihre Frau genau das tut, worüber Sie sich im Moment beklagen, was müssten Sie tun?“ 6 . Der systemische Ansatz erachtet Systeme als autonom, nicht-anleitbar und als Experten ihres eigenen Lebens. In diesem Sinn wird ein Symptom oder eine Störung vorerst als eine Qualität aufgefasst, die für das betroffene System das Überleben sicherstellt. Ziel der systemischen Therapie ist es im Gespräch wertschätzende Beschreibungen für Störungen und Symptome zu finden und Lösungspotentiale freizusetzen.7 Es wird davon ausgegangen, dass Patienten hauptsächlich bei der Aktivierung und Entdeckung von eigenen Lösungsressourcen sowie bei der

Lösung von Blockaden, die den Zugriff auf die bereits vorhandenen Lösungsressourcen hemmen, Hilfe benötigen.8 Um dies erreichen zu können ist das Werkzeug der systemischen Therapie die veränderte Kommunikation (Therapie als Verstörung), wodurch eine positive Veränderung im psychischen und biologischen System angeregt werden soll.9 Dies erfolgt durch das Stellen von Fragen, die eine verstörende Wirkung haben (z. B. problemaufrechterhaltende Beziehungsmuster in Frage stellen) und die das Denken von Patienten in ungewohnte, neue Richtungen lenken sollen. Durch die anregende Konstruktion von Lösungsszenarien, sollen die Patienten eigene Lösungsideen entwickeln.10 Die Aufdeckung von Abgewehrtem und Verdrängtem ist kein wesentliches Ziel der systemischen Therapie.11 Bei der Behandlung von Depressionen geht die systemische Therapie davon aus, dass es hilfreich ist, die Rolle von depressiven Verhaltensweisen in engen sozialen Beziehungen, z. B. in Partnerschaften, zu betrachten.12 Es wird von folgenden Beziehungsmustern bei Depressionen ausgegangen: •  Aufforderung zum Engagement: Durch die depressive Symptomatik können Wünsche oder Bedürfnisse der betroffenen Person offenbar werden und die Systemmitglieder können damit aufgefordert werden, sich intensiver für die betroffene Person zu engagieren. Zudem können Systemmitglieder durch depressives Verhalten ermutigt werden mehr Verantwortung zu übernehmen. • Bindung an Vergangenes: Depressive Symptome können symbolisch für Ereignisse stehen und dadurch z. B. Sorge tragen, dass ein verstorbenes Systemmitglied nicht vergessen wird. • Loyalität: Eine depressiv kommunizierende Person kann Loyalität gegenüber einem anderen Systemmitglied ausdrücken. • Partner binden: Durch depressives Verhalten kann ein System aufrechterhalten bleiben, beispielsweise kann dadurch dafür gesorgt werden, dass die Systemmitglieder zu Hause bleiben. • Perfektionsdruck – Harmonie und Zusammenhalt als hohe Werte: Hohe

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Erwartungen an Perfektion innerhalb eines Systems können zu depressivem Verhalten führen, sobald Systemmitglieder damit überfordert sind oder daran scheitern. Insbesondere in Kombination mit den Werten Harmonie und Zusammenhalt kann der Perfektionsdruck innerhalb eines Systems die Folge haben, dass eigene Bedürfnisse unterdrückt werden.13 Da der systemische Ansatz das depressive Verhalten als Lösungsversuch versteht, wird in der systemischen Therapie wenig Wert auf die Erhebung von Einschränkungen sowie einer ausführlichen Anamnese gelegt.14 Im Vordergrund der systemischen Therapie steht eher die Beschreibung des Kontextes, in dem das depressive Verhalten gezeigt wird. In der Arbeit mit den Patienten wird daher unter Berücksichtigung der Wirkung der depressiven Symptomatik innerhalb der Beziehungen nach guten Gründen für das depressive Verhalten gesucht. Dadurch kann ersichtlich werden, wofür die depressive Symptomatik ein Lösungsversuch sein könnte.15 Folgende sinnstiftende Elemente von depressivem Verhalten könnten in der Therapie herausgearbeitet werden: • Sich Ruhe verschaffen • Verantwortung abgeben • Mitmenschen wichtigmachen, indem sie zu Rettern und Helfern ernannt werden • Signal, dass die Anforderungen an einen selbst reduziert werden sollen • nicht nachlassende Zuwendung erhalten • Ermutigung und Trost erhalten • Liebe testen: Wer liebt mich wirklich und hält mich so aus?16 Im Folgenden werden ausgewählte therapeutische Interventionen der systemischen Therapie für die Arbeit mit depressiven Menschen vorgestellt: R e f r a i m i n g : Unter Refraiming ist die positive Umdeutung zu verstehen.17 Durch das Refraiming können Probleme oder Störungen unter einem anderen Fokus betrachtet18 und somit neu bewertet werden.19 Für Patienten ist es häufig leichter den Kreislauf aus der Selbstabwertung und Erschöpfung


Fußnoten

E x t e r n a l i s i e r u n g : Die Methode des Externalisierens kann dabei behilflich sein, dass die Depression nach außen verlagert wird und sich der Patient nicht weiter mit der Depression identifiziert. Durch die Externalisierung soll ein Problem fassbarer sowie weniger bedrohlich werden, sodass der Patient mit dem Problem interagieren kann, ohne davon bestimmt zu sein.21 Beispielsweise könnte die Depression als Warnleuchte wertgeschätzt werden, die für die Bedürfnisse des Patienten Sorge trägt und gewährleistet, dass der Patient persönliche Grenzen wahrt.22 Ver s c h l imm er ung sf ra g e : Verschlimmerungsfragen können dabei behilflich sein eine aktuelle Situation erneut einzuschätzen und im Verhältnis zu anderen Erfahrungen zu sehen. Zudem kann die Verschlimmerungsfrage zu der Erkenntnis führen, wodurch ein Problem entstanden ist und wodurch es aufrechterhalten bleibt.23 Eine Verschlimmerungsfrage könnte folgendermaßen lauten: „Was müssten Sie tun oder zu sich selbst sagen, damit es noch schlimmer wird?“ 24 . Durch diese Art zu fragen können zudem negative Glaubenssätze deutlich werden, die mit der Befindlichkeit des Betroffenen zusammenhängen.25 Mit den negativen Glaubenssätzen kann dann in der Therapie weitergearbeitet werden.

1 Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 90 2 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016, S. 29 3 Vgl. ebd., S. 30 4 Ebd., S. 30 5 Vgl. ebd., S. 30 6 Ebd., S. 30 7 Vgl. ebd., S. 31 8 Ebd., S. 32 9 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016, S. 17 10 Vgl. ebd., S. 32 11 Vgl. ebd., S. 32 12 Vgl. ebd., S. 76 13 Vgl. ebd., S. 76ff 14 Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016., S. 79 15 ebd., S. 79 16 Vgl. ebd., S. 79f 17 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 312 18 Vgl. Caby, Filip; Caby, Andrea: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 1. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Dortmund: Borgmann Media GmbH & Co.KG, 2009, S. 55 19 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 312 20 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 80 21 Vgl. Caby, Filip; Caby, Andrea: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 1. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Dortmund: Borgmann Media GmbH & Co.KG, 2009, S. 63 22 Vgl. Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 81

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23 Vgl. Caby, Andrea; Caby, Filip: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 2. Weitere systemischlösungsorientierte Interventionen für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen oder Familien. 3. durchgesehene Auflage. Dortmund: Borgmann Media GmbH & Co.KG, 2011, S. 36 24 Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016. S. 83 25 Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016, S. 292

Literatur • Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016 • Schweitzer, Jochen; Von Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, 2016 • Caby, Filip; Caby, Andrea: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 1. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Dortmund: Borgmann Media GmbH & Co.KG, 2009 • Caby, Andrea; Caby, Filip: Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 2. Weitere systemischlösungsorientierte Interventionen für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen oder Familien. 3. durchgesehene Auflage. Dortmund: Borgmann Media GmbH & Co.KG, 2011

Autorin

Annika Dölker ist Sozialarbeiterin (B.A.) und Systemische Beraterin in Ausbildung und arbeitet in der de’ignis-Fachklinik in Egenhausen.

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zu durchbrechen, wenn dieser erst als sinnvoll bewertet wird und nicht sofort versucht wird, dass dieser schnellstmöglich unterbrochen wird. Die Depression könnte beispielsweise als Rückzug reframed werden. Es könnte dann zum Beispiel nachgefragt werden, wofür der Rückzug hilfreich ist und für wie lange es noch sinnvoll sein könnte, sich zurückzuziehen.20


Liebe testen: Wer liebt mich wirklich und hält mich so aus? 37


Depression aus tiefenpsychologischer Sicht – eine Annäherung Welche Therapieformen umfasst die Tiefenpsychologie? Zur Entstehung, Bedeutung und Behandlung von psychischen Erkrankungen mithilfe einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie. Von Christina Hanenberg

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Das Leben ist vielfältig und einzigartig, so wie jeder einzelne Mensch. Genauso vielfältig und einzigartig sind die Leiden und Schwierigkeiten, die jedes einzelne Menschenleben betreffen können. Aus diesem Grund trägt der folgende Artikel im Titel den Hinweis einer Annäherung an die tiefenpsychologische Sicht auf Depression. Es gibt in der Tiefenpsychologie nicht „die eine Sichtweise“ oder „die eine Erklärung“ für ein Leiden, das in ganz verschiedener Art und Weise beim jeweilig Betroffenen entstehen und sich als Depression ausdrücken kann. Deshalb versucht dieser Artikel vielmehr deutlich zu machen, wie die Tiefenpsychologie – im Laufe der Jahrzehnte hervorgegangen aus der Psychoanalyse – die Entstehung, Bedeutung und Behandlung von psychischen Erkrankungen auffasst, und dies anhand eines Beispiels zur Depression zu verdeutlichen. In der Psychotherapie-Richtlinie wird in Paragraf 16a der Gegenstand der Tiefenpsychologie wie folgt beschrieben: „Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie umfasst ätiologisch orientierte Therapieformen, mit welchen die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte und struktureller Störungen unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand behandelt werden.“ 1 Die Tiefenpsychologie umfasst (wie die Psychoanalyse) also Therapieformen, die die Frage nach der Entstehung von Leiden (Ätiologie) stellen; die nach der Ursache forschen, wegen derer der Einzelne aus der Balance geraten ist. Dabei versuchen sie, weniger ein beschreibendes, sondern mehr ein deutendes bzw. kausal begründetes Erklärungsmodell für das seelische Ungleichgewicht zu finden. Die Tiefenpsychologie geht davon aus, dass jeder Mensch, teilweise angeboren und teilweise durch Umwelteinflüsse (z. B. die Erziehung und Erfahrungen mit frühen Bezugspersonen) erworben, einen Persönlichkeitsstil besitzt, der die Eigengesetzlichkeit und den Charakter einer später folgenden psychischen Störung wesentlich mitbestimmt.2 Einer depressiven Störung kann somit ein depressiver Persönlichkeitsstil zugrunde liegen. Zur Entstehung eines

depressiven Persönlichkeitsstils können vor allem frühkindliche Mangelerfahrungen in der Bindung an wichtige Bezugspersonen sowie die Frustration von Bedürfnissen beitragen. Damit sind z. B. der Verlust, die Abwesenheit oder Krankheit eines Elternteils/der Eltern oder überfordernde, unzuverlässige oder feindselige Bezugspersonen gemeint, die im Kind bereits in frühen Entwicklungsphasen große Unsicherheit auslösen, ihm Angst machen, es überfordern oder ihm das Gefühl geben, ungeliebt und unzureichend zu sein. So entsteht in der kindlichen Seele ein „Lebens-Grundgefühl eines existenziellen Zuwenig“ 3 , häufig einhergehend mit Selbstzweifeln bzw. einer Herabsetzung des Selbstwertgefühls. Dieser ursprünglich äußere Konflikt zwischen dem Kind und seiner Umwelt (vor allem frühen Bezugspersonen) wird verinnerlicht und in das Selbst/die eigene Person aufgenommen. Er ist damit nicht mehr bewusst erinner- oder berichtbar, sondern wird in der Tiefenpsychologie als unbewusster Grundkonflikt verstanden. Typische depressive Grundkonfliktthemen sind dabei Selbstwertkonflikte, Konflikte um Versorgung vs. Autarkie oder Selbstvorwürfe vs. Schuldzuweisung sowie Bindungskonflikte. Aber nicht jeder Mensch, der beispielsweise in jungen Jahren ein Elternteil verliert, die Scheidung der Eltern erlebt oder mit der Krankheit wichtiger Bezugspersonen konfrontiert ist, erleidet zwangsläufig im Laufe seines Lebens eine depressive Episode. Dieser Rückschluss wäre bei Weitem zu kurz gegriffen und würde der Komplexität des Lebens nicht gerecht werden. Jeder Mensch hat einen bestimmten Persönlichkeitsstil und damit verbunden unbewusste Grundkonflikte. Diese sind völlig normal und unvermeidbar durch die je eigene Biographie mit ihren inbegriffenen Schwierigkeiten und Herausforderungen.

Auch aktuelle schwierige Umstände und Belastungen, die bewusst als überfordernd oder vorerst unlösbar erlebt werden, sind in der Tiefenpsychologie nicht die alleinige Erklärung für das Entstehen einer psychischen Störung. So sind auch Ereignisse wie ein Arbeitsplatzverlust, der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, der Verlust eines Ehepartners oder die Trennung vom Partner, leistungsbezogene Geringschätzung durch andere oder Überforderungssituationen, die Abgrenzung und Nein-Sagen erfordern, nicht per se krankmachende Situationen. Menschen mit einem depressiven Grundkonflikt sind jedoch für diese Auslösesituationen besonders sensibel und vulnerabel und es ist wahrscheinlicher, dass sie durch das Erleben einer dieser Auslösesituationen eine Depression entwickeln als Menschen mit anderen Grundkonfliktthemen. Wenn nämlich eine aktuelle Auslösesituation in der Weise auf den unbewussten Grundkonflikt trifft, dass sie jenen aktualisiert bzw. reaktiviert, macht der Einzelne eine unbewusste, massive Bedrohungserfahrung, die ihn im innersten seiner Person trifft und tiefe Ängste auslöst. Es kommt unbewusst zu einer inneren, unlösbaren Zerrissenheit um das Konfliktthema. Dieses Erleben wird in der Tiefenpsychologie als der „aktuelle unbewusste innere Konflikt“ (AUIK) 4 oder – wie oben in Paragraf 16a erwähnt – als „unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte und struktureller Störungen“ aufgefasst, aufgrund dessen sich eine Symptomatik einstellt, die sehr individuell und verschieden ausfallen kann. Dabei stellt die auftretende Symptomatik das Kriterium dar, einen Behandlungsbedarf von einer normalen, krisenhaften Zeit im Leben abzugrenzen, weshalb die Klassifikation der Symptomatik anhand der im ICD-10 5 oder DSM-5 6 beschriebenen Diagnosen für eine psychotherapeutische Behandlung

Die Tiefenpsychologie umfasst Therapieformen, die die Frage nach der Entstehung von Leiden (Ätiologie) stellen. 39


sind. Durch das Ordnen und Entwirren von Eindrücken und Erfahrungen, durch das Aufmerksam machen auf Aspekte, die sich der Aufmerksamkeit des Einzelnen bislang entzogen haben, durch das Anbieten von Hypothesen zu lebensgeschichtlichen Zusammenhängen mit der aktuellen Problematik und durch die Unterstützung, eigene Gefühle und Bedürfnisse besser wahrzunehmen und ausdrücken zu lernen (häufig auch, um sie anschließend biographischen Erfahrungen und Entwicklungsschritten zuzuordnen), kann der Therapeut innerhalb der Behandlung unter anderem das Finden einer wirklichen Lösung für den AUIK unterstützen und begleiten. Dabei gibt es keine feste Methodik, vielmehr entsteht eine einzigartige Begegnung zwischen zwei Menschen, die individuell gestaltet wird und neue, „korrigierende emotionale Beziehungserfahrungen“ ermöglicht.7 Soweit zu einem kleinen Einblick in die theoretischen Grundlagen der Tiefenpsychologie, die hier bei Weitem nicht umfassend und annähernd so facettenreich dargestellt werden können, wie es der jahrzehntelangen Geschichte der Psychoanalyse und der daraus erwachsenen Tiefenpsychologie angemessen wäre. Zudem soll darauf hingewiesen werden, dass vor allem bei Traumatisierungen und schwereren Störungen der Persönlichkeitsstruktur weitere Konzepte und Theorien sowie Ansätze in der Behandlung wichtig sind, die an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden sollen. Stattdessen wird nun ein erdachtes Fallbeispiel einer an Depression leidenden Person angeführt, das die oben beschriebenen theoretischen Grundannahmen der Tiefenpsychologie veranschaulichen soll.

Das Finden von Lösungen für den aktuellen unbewussten inneren Konflikt setzt aber vorerst das gemeinsame Erforschen und Verstehen des Konflikts voraus. de’ig n is-ma g a z in – Titelthema

In ihrer Herkunftsfamilie wuchs Frau X. in einem Umfeld auf, das von der chronischen Muskelerkrankung ihrer Mutter und der damit verbundenen Unsicherheit, diese durch einen frühen Tod verlieren zu können, geprägt war. Der Vater musste sich um das Einkommen der Familie bemühen und war nur an den Wochenenden für die Kinder verfügbar. Als Älteste der drei Geschwister musste Frau X. zudem früh für die Jüngeren Verantwortung übernehmen und fühlte sich auch für die schwache, überforderte Mutter verantwortlich. So verfestigte sich in Frau X. immer mehr die innere Überzeugung, eigene Gefühle und Bedürfnisse nicht zeigen zu dürfen, um ihre Familie vor weiterer Belastung zu schützen. Sie war „die Vernünftige und Erwachsene“, die keine Möglichkeit hatte, ihren eigenen Schmerz wie auch Wut und Aggression auszudrücken. Durch diesen ursprünglich äußeren Konflikt kam es im Laufe der Entwicklung von Frau X. zur Verinnerlichung eines Grundkonflikts mit dem Thema Versorgung vs. Autarkie. Es entwickelte sich ein selbstgenügsamer, altruistischer Persönlichkeitsstil, der sich in einer versorgenden und kümmernden Beziehungsgestaltung wiederfand. Im Laufe ihres Lebens konnte Frau X. eine glückliche und stabile Ehe führen, eine eigene Familie gründen und selbst drei Kinder großziehen. Sie arbeitete parallel dazu lange Jahre in Teilzeit als Sekretärin. Als es nun dazu kommt, dass auch ihre jüngste Tochter den Auszug aus dem Elternhaus plant, um zu studieren, stellt Frau X. zunehmend gedrückte und traurige Stimmung an sich fest, fühlt sich überflüssig und zweifelt mehr und mehr an sich selbst. Sie weiß nicht so richtig, wie sie zukünftig ihren Alltag gestalten soll und was sie sich eigentlich von den kommenden Lebensjahren erhofft. Auch die hohe Arbeitsbelastung im Sekretariat überfordert sie zunehmend, sodass es letztlich zum Zusammenbruch kommt und Frau X. eine Symptomatik entwickelt, die nach ICD-10 als mittelgradige, depressive Episode klassifizierbar ist.

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von absoluter Notwendigkeit ist. Dennoch geht es innerhalb einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie weniger als bei anderen Therapieverfahren darum, deshalb auch primär an der Symptomatik zu arbeiten. Das liegt daran, dass die Tiefenpsychologie davon ausgeht, dass die Seele des Einzelnen in der auftretenden Symptomatik versucht, eine kompromisshafte, wenn auch leidvolle Notlösung für den AUIK zu finden, um sich vor weiterer Beschädigung, Bedrohung und noch tieferer Angst zu schützen. Der betroffenen Person diese Lösung wegzunehmen, ohne eine bessere anzubieten, erscheint unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten für sie langfristig als nicht dienlich. Innerhalb der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie steht somit, neben dem Sammeln einer neuen Beziehungserfahrung durch die therapeutischen Beziehung, die gemeinsame Suche nach tragfähigen Lösungen für den AUIK im Vordergrund, die keine Notlösung samt Leidensdruck mehr sein müssen und keine weitere Ausbildung von Symptomen erfordern. Das Finden von Lösungen für den AUIK setzt aber vorerst das gemeinsame Erforschen und Verstehen des AUIK, vor allem auch auf emotionaler Ebene, voraus. Dabei geht es darum, die Zusammenhänge und Anteile des AUIK, die bislang unbewusst sind, langsam und behutsam bewusst zu machen, um dem Einzelnen eine tiefere Einsicht in sich selbst und das Zusammenwirken seiner Seelenkräfte zu ermöglichen. Je nach Konfliktthemen, die sich so mit der Zeit herauskristallisieren, werden innere Reifungsprozesse und Entwicklungsschritte der Person deutlich, die noch nicht hinreichend vollzogen werden konnten und deshalb bislang ungelöst oder vom Selbst abgespalten geblieben


Wie das Beispiel nahelegt, ist bei Frau X. die Auslösesituation „Auszug der eigenen Kinder“ in der Weise auf den Grundkonflikt „Versorgung vs. Autarkie“ getroffen, dass jener reaktiviert wird. Durch den Auszug der jüngsten Tochter fallen bedeutsame Bezugspersonen im täglichen Leben von

Frau X. weg, die sie bislang versorgt hat und für die sie Verantwortung trug. Der bereits viel länger etablierte und bisher nicht aktive Grundkonflikt, wird plötzlich aktualisiert und zeigt an, dass Frau X. noch keine tragfähige Lösung für eine Balance aus Versorgung ihres Umfeldes und adäquater Selbstversorgung gefunden hat. Sie hat ihren Selbstwert überwiegend durch das Gebrauchtwerden und Geben definiert und hat noch nicht gelernt, ihrem Umfeld eigene Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken. In der depressiven Symptomatik findet ihre Seele deshalb unbewusst einen Ausdruck dafür, dass sie eine große Sehnsucht nach Versorgtwerden

und Fürsorge, nach Hilfe und Unterstützung hat. Gleichzeitig besteht unbewusst eine tiefe, massive Angst (die in der frühen Kindheit auch durch die Unsicherheit über den drohenden Tod der Mutter entstand), diese Bedürfnisse aktiv und bewusst zu äußern, da dies Konflikte mit oder den Verlust der bislang versorgten Bezugspersonen bedeuten könnte. Innerhalb einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie würde es somit darum gehen, vorerst sowohl die aktuellen Lebensumstände wie auch das biographische Gewordensein von Frau X. möglichst genau zu verstehen und zu sortieren. Durch das Anbieten von möglichen Hypothesen über Zusammenhänge zwischen aktuellem und kindlichem Erleben sowie durch Aufmerksam machen darauf, dass Frau X. sich z. B. bislang nie die Frage gestellt habe, ob ihre Mutter ihrer Verantwortung als Mutter ausreichend nachgekommen sei, würden Frau X. mehr und mehr Aspekte und Anteile ihres eigenen Erlebens und Fühlens bewusst. Sie bekäme Einsicht in ihr Denken und Fühlen. Dabei wäre es immer wieder zentral, Frau X. im Wahrnehmen und Ausdrücken eigener Bedürfnisse, Emotionen und Grenzen zu unterstützen und vor allem auch den Umgang mit Wut, Ärger und Aggression zu thematisieren, der im bisherigen Leben von Frau X. noch wenig bis gar keinen Raum hatte. So würde Frau X. Schritt für Schritt lernen, auch ohne den Rückgriff auf die depressive Symptomatik ihrer Sehnsucht nach Unterstützung und Fürsorge Ausdruck zu verleihen und ihrem Umfeld zu kommunizieren, wenn sie überfordert sei und Hilfe brauche. Auch dem Loslassen und Verabschieden

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der Kinder sollte innerhalb der Therapie durch einen Trauerprozess Raum gegeben werden, um zunehmend die Erfahrung zu machen, dass der Schmerz über den Auszug der Kinder nachlässt und dadurch auch neue Perspektiven zur Gestaltung der Ehe und der Beziehung zu den nun erwachsenen Kindern entstehen. Frau X. darin zu unterstützen und zu begleiten, herauszufinden, welche Aspekte ihr hierbei wichtig sind und ihrem Leben wieder neuen Sinn und Wert geben, wäre ebenfalls von großer Bedeutung. Auf diese Weise kann eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie einen Beitrag dazu leisten, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden, neu mit sich selbst und dem Gegenüber in Beziehung zu treten und dadurch letztlich auch ein erfüllteres Leben zu führen. Fußnoten 1

Bundesausschuss, G. (2009). Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie). Bundesanzeiger, 8, 212 2 Rudolf, G. (2000). Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. Ein einführendes Lehrbuch auf psychodynamischer Grundlage. Georg Thieme Verlag 3 Wolfersdorf, M. (1995). Depressionen verstehen und bewältigen. Springer-Verlag 4 Boessmann, U., & Remmers, A. (2018). Praktischer Leitfaden der tiefenpsychologisch fundierten Richtlinientherapie: wissenschaftliche Grundlagen, psychodynamische Grundbegriffe, Diagnostik und Therapietechniken. Deutscher Psychologen Verlag GmbH 5 World Health Organization. (1993). The ICD-10 classification of mental and behavioural disorders: diagnostic criteria for research (Vol. 2). World Health Organization 6 American Psychiatric Association. (2014). Diagnostisches und statistisches manual psychischer Störungen – DSM-5®. Hogrefe Verlag 7 Alexander F., French TM (1946). Psychoanalytic therapy: principles and application. New York, Ronald Press

Autorin

Christina Hanenberg ist Psychologin in der Ausbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeutin und arbeitet in der de’ignis-Fachklinik.


Depressionen in der Bibel Der Prophet Elia von Daniele da Volterra (um 1550 –1560)

Worin kann eine Heilung bestehen? Was sind mögliche Ursachen für eine Depression aus biblischer Sicht? Anhand des Beispiels von Elia (1. Könige, 18 –19) gibt die Autorin Helena Prüm einen biblischen Einblick in die Antworten dieser Fragen zum Thema Depression. Von Helena Prüm

de’ig n is-ma g a z in – Titelthema


Entstehungsmodell von • Depressionen aus biblischer Sicht anhand des Beispiels von Elia (1. Könige, 18 –19)

Bild: Daniele da Volterra / Public domain

In der Bibel ist nicht nur unfassbar viel Wissen versteckt (neben mindestens ebenso vielen Mysterien), welches uns hilft, Dinge zu verstehen. Gott ist ein praktischer Gott und zeigt sich in seinem Wort wieder und wieder als Heiler, wie bei den zahlreichen Wundern, die Jesus getan hat. In Lukas 5,31 sagt Jesus selbst, dass er der Arzt sei, der gekommen sei, um die Kranken zu heilen. Worin kann somit eine solche Heilung bestehen? Was sind also mögliche Ursachen für eine Depression aus biblischer Sicht? Da dieses Thema nicht nur in den Entstehungsbedingungen als auch in den Verläufen und Behandlungsansätzen sehr vielfältig ist, besteht in dieser Arbeit kein Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versucht nur einen biblischen Einblick in die Antwort dieser Fragen zum Thema Depression zu geben. Nehmen wir beispielsweise Elia, einen Propheten und berühmten Diener Gottes, der sich am Höhepunkt seiner Karriere befand. Vor dem ganzen Volk Israels hatte er auf die Macht Gottes vertraut, und den Vertretern der anderen Götter das Gegenteil bewiesen (vgl. 1. Könige 18). Das Volk kehrte um und bekannte Gott wieder als ihren Herrn (vgl. 1. Könige 18,39). Tatkräftig ließ Elia gleich noch alle Baalspropheten umbringen (vgl. 1. Könige 18,40). (Dies war übrigens gar nicht der eigentliche Auftrag Gottes an Elia, er sollte nur ankündigen, dass bald Regen komme!) Nun erst kehrte Elia zu seiner Aufgabe zurück, und bewies auch hier starken Glauben, indem er wiederum auf den Herrn vertraute und das kommende Wetter prophezeite, bevor es sichtbar war (vgl. 1. Könige 18,41– 45). Nach dem zweiten Sieg in kurzer Abfolge machte sich Elia auf den Weg, wurde von übernatürlicher „Kraft des Herrn“ (1. Könige 18,46) erfüllt und lief ca. 30 km von Karmel nach Jesreel und kam dort vor Israels König Ahab an, der dieselbe Strecke mit Pferden zurückgelegt hatte. Das ist nicht nur eine lange Strecke, sondern auch schnell. Er muss sowohl seelisch als auch körperlich sehr erschöpft gewesen sein, als ihm die Königin

Isebel die folgende Drohung schickte: „Die Götter sollen mich töten, wenn ich nicht morgen um diese Zeit das Gleiche mit dir tue, wie du es mit ihnen gemacht hast. Da bekam Elia Angst und floh um sein Leben. Er ging nach Beerscheba in Juda; dort ließ er seinen Diener zurück. Er aber ging allein eine Tagesstrecke weit in die Wüste. Schließlich sank er unter einem Ginsterstrauch nieder, der dort stand, und wollte nur noch sterben. „Ich habe genug, Herr“, sagte er. „Nimm mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren“ (1. Könige 19,1– 4). Was war passiert? 400 Baalspropheten hatte er vor den Augen des ganzes Volkes Israels leicht verspotten können, hatte Glauben für eine Veränderung des Wetters, obwohl das erste Anzeichen nur so klein war wie die Hand eines Mannes. War es ihm zu viel? Aber was ist mit den Bibelversen, die besagen, dass Gott uns nicht mehr zumutet, als wir tragen können (z. B. 1. Kor. 10,13)? Oder zumindest, dass er für uns unsere Sorgen trägt (vgl. Psalm 68,20)? War es eine zu tiefe Kränkung für den „einzigen“ Gottesfürchtigen? Oder war es eine Bedrohung, die durch die Erschöpfung zu angsteinflößend wurde? Wir wissen es nicht, vermutlich war es, wie so oft im Leben, ein Konglomerat aus diesen Elementen und einigen mehr. Wie dem auch sei, in dieser Bibelstelle sind viele Anzeichen von Depression, wie sie nach dem ICD-10 diagnostiziert sind, zu sehen: Sozialer Rückzug (in die Wüste, Wegschicken des Dieners), suizidale Gedanken („wollte nur noch sterben“, 1. Könige 19,4) sowie Verlust des Selbstvertrauens/Selbstwertgefühls („bin nicht besser“, 1. Könige 19,4), Ängste. Dass dieses Sterben Wollen über einen passiven Ruhewunsch, das erste Stadium der Suizidalität hinausgeht, zeigt sich darin, dass Elia einen Tag lang in die Wüste hineinging, seinen Diener fortschickte. Wenn wir so weit in die Wüste gehen, wird Orientierung fast unmöglich, ohne Wasser oder Schutz vor den heftigen Temperaturschwankungen ein Überleben ebenfalls. Einem Mann aus der Region muss das bewusst gewesen sein. Dies führt das

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Ausmaß der Verzweiflung, in der Elia gesteckt haben muss, vor Augen. Interessant ist die innerliche Reaktion Elias auf die äußeren Stressoren: „Was tat er nun in diesem kritischen Moment? Er hörte auf die eine negative Stimme statt auf die vielen positiven Stimmen. Diese negative Stimme gehörte Isebel, der Königin, die eine Gönnerin der falschen Propheten war. Sie sagte: „Ich werde dich töten. Trotz der gewaltigen Machtdemonstration Gottes, die Elia gerade erlebt hatte, vergaß er zeitweilig, dass Gott weiterhin die Macht besaß zu helfen. Er fing an, an nichts anderes als an die Schwierigkeiten zu denken, in denen er steckte. Mit welchem vorhersehbaren Resultat? Er verfiel in Verzweiflung und Depression“ (Kiefer, 2011). Biblischer Behandlungsansatz anhand des Beispiels von Elia

Kognitive Verhaltenstherapeuten könnten sich hierdurch in einem ihrer Behandlungsansätze, nämlich der kognitiven Umstrukturierung bestätigt fühlen. Wie bei Depressiven oft üblich, sah Elia das Negative. Das viele Positive, das erst kürzlich zurücklag, wurde nicht mehr miteinberechnet. Doch viel mehr noch als mögliche Erklärungsansätze, was möglicherweise Ursache für das Befinden für Elia gewesen sein könnte, interessiert mich, was unser Schöpfer, der einzig Gute (vgl. Lukas 18,19) und Allwissende jetzt tat. D er erste S chritt : Gr und b e dürfn isse Gott gab ihm zunächst Nahrung, Wasser, Ruhe und Schlaf (1. Könige 19, 5 – 8). Diese Nahrung war ganz klar übernatürlich, wurde sie ihm doch von einem Engel gebracht und konnte er damit zu solchen Kräften kommen, die ihm für 40 Tage reichte. Aber das Prinzip, auch bei ganz „durchschnittlicher“ Nahrung, bleibt das Gleiche: Wenn wir entkräftet sind, brauchen wir manchmal keine große Diskussion darüber, wie schlimm die Dinge gerade stehen. Manchmal brauchen wir als Erstes einfach nur Nahrung und Ruhe. Jemanden, der uns ganz praktisch versorgt.


Beziehungserfahrung im Hier und Jetzt, um in der therapeutischen Sprache zu bleiben. In der wieder jemand Wahrheit über ihm ausspricht, mit einer anderen Perspektive auf die Dinge und ihn. D er dritte S chritt : B e g e g nung , d ie veränder t

D er zweite S chritt : G ott g eht m it El ia ins G espräch (1. Könige 19, 9 –18) „Der Herr hört sein Volk, wenn es ihn um Hilfe anfleht, und rettet es aus aller Not. Der Herr ist allen nahe, die verzweifelt sind; er rettet die, die den Mut verloren haben. Wer auf den Herrn vertraut, erleidet zwar vieles, doch der Herr errettet ihn aus aller Not. Denn der Herr beschützt ihn vor Unheil, nicht einer seiner Knochen wird zerbrochen werden!“ (Psalm 34,18 – 21) „Ich aber will zu Gott rufen und der Herr wird mich retten […]. Bring deine Sorgen vor den Herrn, er wird dir helfen. Er wird nicht zulassen, dass der Gottesfürchtige stürzt und fällt“ (Psalm 55, 17–23).

Dann stellte Gott ihm nur eine einfache Frage („Was tust Du hier, Elia?“ 1. Könige 19,9), hörte ihm zu, ließ ihn sich alles von der Seele reden. Dies gilt wohl für das Gespräch mit Menschen als auch mit Gott, sprich Gebet (reden mit Gott). Er begegnete Elia, und zeigte sich ihm. Manchmal brauchen wir im ersten Gespräch keine schlauen Worte, sondern erst mal (Frei-)Raum, um emotional ehrlich alles rauslassen zu können (siehe auch Hiob und das Schweigen der Freunde). Aber auch Elias Antwort ist interessant: Er klagt, ist ehrlich in seinem Bericht – und das Gott gegenüber! Begegnung findet dort statt, wo wir ehrlich voreinander werden und uns Raum geben. Hier gibt Gott ihm eine neue, frische Begegnung. Sozusagen eine positive

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D er vier te S chritt : Sinn und Auf g ab e Als er so mit Elia verfahren war, kam etwas Interessantes. Gott schickte ihn wieder zurück auf den Weg, den er gekommen war (vgl. 1. Könige 19,15). In Damaskus sollte er zwei Könige in ihr Amt salben. Er schickte ihn wieder an die Arbeit!? Es war

Bild: Peter Paul Rubens / Public domain

Der Prophet Elia von Peter Paul Rubens (um 1625–1628 )

„Brüder, wir fordern euch auf, den Faulen ins Gewissen zu reden und den Ängstlichen Mut zu machen. Geht behutsam mit den Schwachen um und habt mit allen Geduld!“ (1. Thessalonicher 5,14). Dann zeigte er sich Elia in dieser Begegnung. Er zeigte ihm, dass er die Gewalt über die Natur wie Wind, Erdbeben und Feuer hat. Er richtete Elias Blick wieder auf seine Macht. (vgl. 1. Könige 19,11–12). Aber die Klimax dieser Passage ist die Begegnung mit Gott. Gott begegnete Elia im sanften Säuseln, mit dem er ihn erneut fragte „Was tust Du hier, Elia?“ (1. Könige 19,13). Obwohl Gott mehr als einmal seine Macht in diesem Buch bewiesen und gezeigt hat, sprach er sanft mit ihm. Stellte ihm Fragen, was einen an den sokratischen Dialog erinnern lässt. Wiederholte die Frage (siehe 1. Könige 19,9 und 18). Den dritten Schritt kann man somit so verstehen, dass Gott ihm Mitgefühl und Verständnis zeigte. Er hielt ihm keine Moralpredigt, wies ihn nicht zurecht auf seine irrtümlichen Gedanken. Er wies ihn allerdings durchaus auf die Realität hin (dass er nicht alleine übrig geblieben sei, sondern es noch ungefähr 700 andere Gerechte gebe, vgl. 1. Könige 19,18), richtete seinen Blick wieder auf seine Macht und Kraft, rückte die Perspektive gerade. Aber erst, nachdem sie in Beziehung getreten waren. Und sehr nebenbei, es scheint für Gott somit nicht die Hauptsache dargestellt zu haben.


in diesem Fall wohl keine Krankschreibung oder stufenweise Wiedereingliederung vonnöten! Was wir hier von Gott lernen können, ist, dass er uns nicht in Selbstmitleid baden lässt und wartet, bis sich unsere Stimmung hebt. Er weiß, dass es eine Wirkung hat, worauf wir uns konzentrieren, womit wir uns beschäftigen und auch, was wir in unserer Zeit tun. Auch das lässt sich mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen in Einklang bringen, die von einer Positivspirale ausgehen, da unser Verhalten auch Auswirkungen auf unsere Stimmung hat (Zusammenhänge zwischen Gedanken, Gefühlen, Verhalten und Körper). Nach einer angemessenen (!) Ruhephase erinnerte Gott ihn wieder an seine Berufung und schickte ihn wieder zurück an die Arbeit, versah ihn mit einem Auftrag. Er ließ ihn sozusagen nicht in der Kränkung und Angst verharren, in der Elia in der Wüste nach der Drohung gewesen war sondern gab ihm wieder Sinn und eine Aufgabe. Folgerungen für mich und meine christlich-integrative Arbeit

Was bedeutet dies für uns, die wir Menschen mit Depressionen therapieren? Zunächst einmal hat es mir deutlich gemacht, dass eine umfassende Analyse der Lebensumstände (äußere Bedingungen) und innerer Annahmen (innere Bedingungen) wichtig sind. Die Aufnahmegespräche, in denen wir so viele Informationen wie sonst kaum jemals wieder bekommen, sind wahrlich Gold wert, um einen guten Einblick in Entstehungsgeschichte und somit auch Behandlungsansätze zu erhalten. Auch hat es mir die Elemente Fragen stellen, Reden lassen, wertschätzen und dann Wahrheit sprechen in Erinnerung gerufen. Dass manchmal soziale Unterstützung bedeutet, dass ich mir die Welt des anderen anhöre, zu verstehen versuche und ihm dort begegne, wo er sich derzeit befindet und er mir ehrlich begegnen kann. Ich ihm Annahme anbiete, wenngleich ich dann auch später in geschickter Weise, wie es auch Gott bei Elia gemacht hat, Wahrheit einfließen lassen darf. Ich nach dem suche, was dem Patienten Sinn gibt, was für Aktivitäten auch in einem angemessenen Aktivitäts-Ruhe-Verhältnis passend wären.

Auch das Gebet, das Reden mit Gott, ist für mich als Therapeutin von unschätzbarem Wert, stellt es doch das Gespräch mit dem dar, der am besten weiß, was dem/der PatientIn gerade fehlt. Aber auch für mich persönlich habe ich immer wieder erlebt, dass ich auch und vielleicht gerade nach aufregenden Siegen ganz besonders das Gespräch mit Gott brauche, einen (gesunden) Rückzug in die Einsamkeit mit Gott, der mir Raum gibt, dem ich ehrlich begegnen kann, der mir zeigt, wer er ist, wie die Größenverhältnisse wirklich sind und der mir Sinn und eine Aufgabe geben kann. Womit wir bei Resilienz wären, damit es vielleicht erst gar nicht soweit kommen muss. Zusammenfassung

Depression ist kein unbekanntes Phänomen, weder heute in unserer Gesellschaft noch früher, wie dies auch in der Bibel deutlich wird. Am Beispiel des Propheten Elia wurden mögliche Ansatzpunkte einer Begleitung eines depressiven, entmutigten Menschen erarbeitet. Wichtig hierbei sind das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Somit stellen die Befriedigung der Grundbedürfnisse, das Betrachten von Literatur äußeren Belastungsfaktoren und inneren • Neues Leben. Die Bibel. (2. Auflage 2010). Witten: SCM R. Brockhaus im SCM-Verlag GmbH Bedingungen (wie Selbstwert, Entmuti- & Co. KG. gung), Sinn und Aktivität im Leben sowie • Bundesministerium für Gesundheit. (2018). die persönliche, ehrliche Begegnung mit Gesundheitsgefahren. Depression. Unter: https:// www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/ Menschen und Gott wichtige Elemente praevention/gesundheitsgefahren/depression.html einer christlich-integrativen Beratung und (abgerufen am 16.5.2019) • Kiefer, P. (2011). Gute Nachrichten. Antworten Therapie dar. für heute und morgen. Gottes Behandlungsmethode für Depression (Online Artikel). Unter: https:// www.gutenachrichten.org/artikel/in201102_art1.htm (abgerufen am 31.3.2020) • Dilling, H., Freyberger, H.J. (Hrsg.). (2010). Taschenführer zur ICD-10 Klassifikation psychischer Störungen (5. überarb. Auflage). Bern: World Health Organization und Verlag Hans Huber, Hogrefe AG.

Autorin

Helena Prüm ist Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung und arbeitet in der de’ignis-Fachklinik.

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Körperliche Ansätze in der ganzheitlichen Therapie von Depressionen Die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche wird in Therapien häufig vernachlässigt. Die Physiotherapeutin Theresa Albrecht erläutert die Ursachen und Hintergründe einer Vernetzung von Geist, Seele und Körper.

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Fotos: Daniele da Volterra / Public domain

Von Theresa Albrecht


Als Physiotherapeutin in der de’ignisFachklinik bin ich häufig mit der körperlichen Ebene von psychischen Erkrankungen konfrontiert. Ich führe Entspannungs-, Bewegungs- und Körperwahrnehmungstherapien sowie physiotherapeutische Einzelbehandlungen durch und kann den Prozess der Patienten während des Aufenthaltes beobachten. Häufig wirken sich Bewegung, Entspannungsübungen und ein verbessertes Körpergefühl positiv auf die psychische Verfassung aus. Ebenso klagen die Patienten weniger über körperliche Beschwerden, wenn es ihnen psychisch besser geht. Auch die Körperhaltung und Bewegungsabläufe spiegeln die psychische Verfassung. Diese Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche können Therapeuten gezielt einsetzen. In diesem Artikel möchte ich auf die ganzheitliche Therapie von Depressionen, als eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland, eingehen. Entspannungstherapie

Foto: Eva Blanco Fotografia. / photocase.de

Psychische Erkrankungen beeinträchtigen oftmals die Funktion des vegetativen Nervensystems. Das vegetative Nervensystem besteht aus Sympathikus und Parasympathikus und kann nicht bewusst gesteuert werden. Der Sympathikus versetzt den Körper in Alarmbereitschaft: Unter anderem erhöhen sich Puls, Atemfrequenz und Muskelspannung und können mit Angst, Erregtheit und Unruhe einhergehen. Die Erholungsreaktion wird durch den Parasympathikus gesteuert: Puls, Atemfrequenz und Muskelspannung werden reduziert, die Verdauungsorgane werden aktiviert und es kommt zu einer körperlichen Regeneration und Entspannung. Die Progressive Muskel Relaxation (PMR) ist eine geeignete Entspannungsform für christliche Therapeuten, da keine spirituellen Hintergründe bestehen. Das Konzept basiert auf biologischen Vorgängen und ist wissenschaftlich anerkannt. Bei PMR wird eine wechselnde An- und Entspannung der großen Muskelgruppen praktiziert. Muskuläre Spannung und Prozesse im zentralen Nervensystem beeinflussen sich gegenseitig und somit kann die Reduktion des Muskeltonus den Erregungszustand des zentralen

Nervensystems reduzieren. Das vegetative Nervensystem wird durch Entspannungsübungen positiv beeinflusst und ausbalanciert. Dadurch können körperliche Symptome abklingen, die im Zusammenhang mit dem Ungleichgewicht des vegetativen Nervensystems stehen, wie zum Beispiel Verdauungsprobleme oder Schlafstörungen. Durch die bewusste Konzentration auf einzelne Muskelgruppen lernt der Patient die muskuläre Anspannung sensibler wahrzunehmen und das Körpergefühl wird geschult. Dies ist hilfreich um auch im Alltag Anspannungen frühzeitig wahrzunehmen und selbständig regulieren zu können. Bewegungstherapie

Depressive Symptome wie reduzierter Antrieb und körperliches Unwohlsein können dazu beitragen, dass Patienten sich weniger bewegen: darunter leiden Körper und Psyche. Sportliche Aktivität kann die Ausschüttung des Neurotransmitters Serotonin fördern und somit die Stimmung aufhellen und sich positiv auf körperliche Funktionen wie Schlaf und Appetit auswirken. Durch die körperliche Aktivität wird außerdem das Stresshormon Cortisol abgebaut, wodurch der vegetative Erregungszustand reduziert wird und es zu einer Entspannungsreaktion kommt. Da bei Depressionen häufig ein Mangel an Serotonin und ein Überschuss an Cortisol besteht, hat Bewegung einen regulierenden Effekt auf das körperliche und psychische Gleichgewicht. Die Integration von Bewegung im Alltag dient auch zur Tagesstrukturierung und ist eine wertvolle Rezidiv-Prophylaxe. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) belegt, dass körperlich aktive Menschen weniger häufig an Depressionen erkranken. Die empfohlene Bewegungsdauer der WHO besteht aus mindestens 150 Minuten pro Woche moderate Aktivität (z. B. Gehen, Gartenarbeit, Fahrrad fahren) oder mindestens 75 Minuten intensive Aktivität (z. B. Joggen, Aerobic, Ballsport). Gemeinsam mit dem Patient kann ein Bewegungsplan erarbeitet werden, um schrittweise zur empfohlenen Bewegungsdauer zu gelangen. Dabei ist es wichtig, dass der Patient Freude an der Bewegung

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hat und Aktivitäten auswählen kann, die ihm gut tun und helfen den Tag positiv zu strukturieren. Christlich-integrative Therapie

Die Themen Schuld und Verantwortung stehen häufig im Zusammenhang mit Depressionen. Therapeuten können mit der Bibel arbeiten um die körperlich-geistlich-seelischen Zusammenhänge bei Depressionen zu veranschaulichen. Die Bibel verwendet häufig körperliche Ausdrücke um den seelisch-geistlichen Zustand von Schuld darzustellen. „Denn meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. [...] Ich gehe krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag gehe ich traurig einher.“ (Psalm 38,5;7) Eine derartige Bibelarbeit kann dabei helfen die Wechselwirkung von seelischen, geistlichen und körperlichen Aspekten zu begreifen und zu einem ganzheitlichen Verständnis zu gelangen. Da viele depressive Patienten ein negatives Körperbild haben, kann die Bibel auch als kreatives Werkzeug zur Verbesserung des Körpergefühls eingesetzt werden. Der Körper ist ein Teil der wunderbaren Schöpfung Gottes und aus Gottes Mund wurde bestätigt, dass er sehr gut ist. „Und Gott sah alles was er geschaffen hatte, und sah: es war alles sehr gut.“ (Genesis 1,31). In den Psalmen finden sich auch Worte die man zur Hilfe nehmen kann, um Gott für seinen Körper zu loben. „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Psalm 139, 13 –14). Um diese biblischen Wahrheiten über den Körper zu verinnerlichen und einzuüben, können sie zum Beispiel gut sichtbar am Spiegel aufgehängt werden. Der Körper kann einen verstärkten, positiven Stellenwert bekommen, wenn er in das geistliche Leben einbezogen wird. Anbetung und Lobpreis Gottes geht in der Bibel oft mit körperlicher Aktivität einher. Von David ist bekannt, dass er zum Lobpreis Gottes tanzte: „David aber sprach zu Michal: Ich will vor dem Herrn tanzen …“ ( 2. Samuel 6,21). Außerdem spricht die Bibel häufig


Persönliches Fazit

Bei meiner Arbeit versuche ich diese Vernetzung von Geist, Seele und Körper zu beachten und einzubeziehen. Zum Beispiel frage ich Patienten bei der Atemtherapie, was sie denn „ausatmen“ oder „einatmen“ wollen und lade sie dazu ein, eine Art Gebet im Atemrhythmus zu visualisieren (z. B. „Ich atme Gottes Friede ein und atme Angst aus“). Nach einer Sportgruppe frage ich manchmal Patienten, ob sie während des Sports grübeln mussten – fast immer folgt ein überraschtes „ Nein“ und die Erkenntnis von der positiven Wirkung von Bewegung auf das seelische Wohlbefinden. Wenn ich die Haltung von Patienten in der Krankengymnastik korrigiere, frage ich oft, wie sie sich fühlen. Wenn sie „selbstbewusst“ oder „locker“ antworten, dann öffnet sich hier eine Tür um auf die Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper zu sprechen zu kommen. Ich wünsche mir, dass auch andere Berufsgruppen Entspannungs- und Bewegungstherapie anwenden und den Körper in das geistliche Leben einbeziehen, um Menschen mit Depressionen zu helfen. Eine Depression betrifft den ganzen Menschen und sollte daher auch ganzheitlich behandelt werden.

Eine Depression betrifft den ganzen Menschen und sollte daher auch ganzheitlich behandelt werden. Autorin

Theresa Albrecht ist Physiotherapeutin der de’ignis-Fachklinik in Elternzeit.

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von bestimmten Körperhaltungen in der Anbetung: „Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat.“ (Psalm 95,6) Durch das Einbeziehen des Körpers in das geistliche Leben wird die positive Bedeutung des eigenen Körpers verstärkt. Tanzen, Gebetshaltungen, Musizieren, Malen oder andere kreative Ausdrucksformen als Lobpreis bereitet Gott und Menschen Freude. Auch in der Entspannungstherapie können geistliche Impulse oder geeignete Bibelstellen eingesetzt werden, die in körperlichen Ausdrucksweisen davon berichten bei Gott Ruhe und Sicherheit zu finden: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Matthäus 11,28) „Behüte mich wie einen Augapfel im Auge, beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel“ (Psalm 17,3)


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Von Winfried Hahn

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Foto: Carlo107 / iStock

Erfahrungen mit depressiven Menschen im Sozialtherapeutischen Zentrum de’ignis-Wohnheim


Wenn ein Mensch in eine Depression hin• eingerät, befindet er sich in einer ernsthaf-

besser ging, bereit war, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich sozial zu engagieren und zu integrieren, trägt ein Wertesystem in sich, das die Heilungschancen wesentlich erhöht. Menschen, die sich an Werten orientieren, nach Sinn und Ziel ihres Lebens fragen, können Gott in einer Heil bringenden Weise erleben. Menschen, die nur auf die Verringerung ihres Leidensdruckes aus sind, ständig um sich selbst und ihren Mangel kreisen und in einer Opfermentalität verharren, ist dieser Weg der Hilfe zunächst verschlossen. So erleben wir im de’ignis-Wohnheim bei Menschen mit einer depressiven Erkrankung sehr unterschiedliche Verläufe. Dabei spielt, wie schon erwähnt, das Gottesbild eine wichtige Rolle. Wir sind bestrebt, den Menschen, die sich in unserem Haus befinden, ein Gottesbild zu vermitteln, das von Vergebung, Gnade und Liebe geprägt ist. Eine angstfreie Beziehung zu Gott hilft Schuldgefühle abzubauen, Lebenskrisen zu bewältigen, sich selbst und anderen zu vergeben und wieder neu Hoffnung zu schöpfen. Eine auf diese Weise gesunde Spiritualität fördert das Überwinden schwerer depressiver Zustände. Dies wird von aktuellen Studien bestätigt. (Handbuch Psychiatrisches Grundwissen für Seelsorge, Freiburg 2018, Herder S. 717, M. Utsch). Diese Erkenntnis, dass Gott lebensbejahend ist, bewirkt bei vielen die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen und dysfunktionale Verhaltensmuster aufzugeben, aus innerer Erstarrung und Fixierung auf Symptome und auf sich selbst herauszukommen und neue Weite zu entdecken. Es ist immer wieder ermutigend zu sehen, wie Menschen aus der Verkrümmung der Problemfixierung herausfinden und neue Kreativität und Lebensmut entwickeln. Es ist wie ein neuer Frühling nach dem Winter.

ten Krise. Eine Depression ist mehr als nur eine niedergedrückte Stimmung. Umgangssprachlich hört man oft den Ausspruch: „Ich bin heute ein bisschen depressiv.“ Was hier mit depressiv zum Ausdruck gebracht wird, ist eine emotionale Verstimmung, die mit dem eigentlichen Krankheitsbild einer Depression nichts zu tun hat. Eine Depression im Sinne einer psychischen Erkrankung meint die Verdunkelung des gesamten emotionalen und seelischen Empfindens. Der an einer Depression leidende Mensch geht durch furchtbare innere Qualen, denn sein gesamtes emotionales Leben hat sich verdunkelt und ist erfüllt von Angst, Hoffnungslosigkeit und dem Empfinden, in allen Lebensbereichen versagt zu haben. Der Blick in die Vergangenheit hat sich verdüstert, sodass auch positiv erlebte Lebensphasen im Rückblick nur negativ bewertet werden. Die Gegenwart scheint ausweglos und die Zukunft bedrohlich. Der depressive Mensch befindet sich in einer negativen Triade: Es war alles furchtbar, es ist furchtbar und in Zukunft wird alles noch schlimmer. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden nur unter negativen Vorzeichen gesehen und bewertet. Auch das Gottesbild hat sich beim depressiv erkrankten Menschen verdüstert. Schuldgefühle und Angst vor Strafe prägen die Beziehung zu Gott. Die Ursachen können sehr verschieden sein und sind meist vielschichtig. Sie können genetisch bedingt sein, oder durch eine Störung des Gehirnstoffwechsels verursacht werden, aber auch schlimme Schicksalsschläge oder belastende Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart spielen eine wichtige Rolle. Bei den Heilungschancen einer Depression kommt jedoch auch dem Wertesystem und den inneren Einstellungen des Menschen eine hohe Bedeutung zu. Wer in früheren Hierzu zwei Beispiele aus unserem sozialtheLebensphasen, in denen es dem Einzelnen rapeutischen Zentrum de’ignis-Wohnheim:

Eine auf diese Weise gesunde Spiritualität fördert das Überwinden schwerer depressiver Zustände. 51

Interview

m it einer ehema l ig en B e wo hnerin des de’ig n is -Wo hn heims – zum S chutz ihrer Persön l ich keit nennen wir sie im Text Ruth . Mitarbeiter: Du warst vor vielen Jahren bei uns im de’ignis-Wohnheim wegen einer lang anhaltenden Depression. Wie kam es dazu? R uth : Ich wurde als Kind mehrfach missbraucht, nicht in der Familie, aber doch von Vertrauenspersonen, von denen man es nicht erwartet hätte. Dies führte bei mir zu einer Beziehungsunfähigkeit, die mir aber nicht bewusst war. So zerbrachen in meiner Lebensgeschichte drei Ehen. Kinder habe ich keine. Aufgrund dieser belastenden Erfahrungen entwickelte sich bei mir eine lang anhaltende schwere Depression. Ich empfand in meinem Leben keine Freude mehr, hatte keine Kraft und lag fast nur noch im Bett. Mitarbeiter: Der Glaube an Gott und Jesus ist dir sehr wichtig. War das in der Zeit der Depression eine Hilfe für Dich? Ruth : In mir war es so dunkel, ich konnte auch an Gott nicht mehr glauben. Ein Satz, der mir von der Frau unseres Pastors zugesprochen wurde, hat mich tief berührt. Sie sagte zu mir: „Du brauchst nicht glauben, ich glaube für dich“. Das hat mich sehr entlastet. Mitarbeiter: Wie kamst du ins de’ignisWohnheim? Ruth : Die Situation, nichts mehr tun zu können, hat sich über lange Zeit nicht verändert. Ich lag fast nur noch im Bett. So konnte ich alleine nicht mehr leben und kam ins de’ignis-Wohnheim. Mitarbeiter: Was hat dir im de’ignisWohnheim geholfen? Ruth : Ich lag im de’ignis-Wohnheim ungefähr ein dreiviertel Jahr fast ausschließlich im Bett und wurde von den Mitarbeitern liebevoll versorgt, ohne dass etwas von mir erwartet wurde.


„Wenn Menschen schon so gut zu mir sind und so viel Liebe für mich aufbringen, um wieviel größer muss dann die Liebe Gottes sein.“

Mitarbeiter: Ich erinnere mich auch noch gut an diese Zeit. Wir spürten als Mitarbeiter damals, dass du wirklich nicht anders konntest und nicht auf bequeme Versorgung aus warst. Es tat dir leid, so eingeschränkt zu sein, und wir hatten nicht den Eindruck, dass du auf eine Art von Krankheitsgewinn aus warst. Ruth : Ja, das stimmt, ich war wirklich zu nichts mehr fähig, zu einem guten Bekannten sagte ich: „Verkaufe mein Auto, das werde ich nie mehr brauchen“. Er antwortete: „Das werde ich nicht tun, aber ich bringe es Dir.“ Das war genau richtig. Ich spürte, der hat noch Hoffnung für mich. M i t a r b e i t e r : Diese stellvertretende Hoffnung ist ein sehr wichtiges Element bei der Begleitung von psychisch kranken Menschen. Aber was war der entscheidende Anstoß für deine Besserung? Ruth : Die monatelange liebevolle geduldige Versorgung der Mitarbeiter im de’ignisWohnheim ließ mich wieder an die Liebe Gottes glauben. Ich dachte: „Wenn Menschen schon so gut zu mir sind und so viel Liebe für mich aufbringen, um wie viel größer muss dann die Liebe Gottes sein.“ Diese Erkenntnis war für mich wie ein Wendepunkt. Ich konnte wieder an die Liebe Gottes glauben. Langsam begann es bei mir wieder aufwärtszugehen, aber es war ein langer Weg, sich die verloren gegangenen Lebensbereiche zurückzuerobern. Ich freute mich über jede Tätigkeit, die ich wieder selbstständig verrichten konnte, auch wenn es sehr viel Kraft kostete. Seit 19 Jahren lebe ich wieder selbstständig in einer eigenen Wohnung und freue mich auch wieder Auto fahren zu können. Ich bin Gott für die empfangene Hilfe so unendlich dankbar. Keine Dunkelheit ist so dunkel, dass er sie nicht durchdringen könnte. Mitarbeiter: Jesus hat zu dem kranken Menschen am Teich Bethesda gesagt: „Steh auf, nimm dein Bett und gehe.“ Ruth : Ja, die Begegnung mit Jesus gab ihm die Fähigkeit, wieder selbst für sich zu sorgen. Ich wollte das, auch wenn es mir schwerfiel und ich mich an die Last der Arbeit erst gewöhnen musste. Aber ich freute mich „mein Bett wieder selbst tragen“ zu können und dass ich mich nicht

länger versorgen lassen muss. Heute ist mein Leitspruch: „Die Freude am Herrn ist meine Kraft“. Mitarbeiter: Vielen Dank für das Gespräch und deine Offenheit. Aufkeimende Freude

Einen ganz ähnlichen Verlauf beobachten wir derzeit auch bei einer anderen Bewohnerin in unserem Haus. Nach einer schwierigen Vorgeschichte mit vielen traumatischen Erfahrungen verstarb unter dramatischen Umständen ein guter Freund. Die Folge war eine schwere Depression ohne Lebensfreude. Seit einiger Zeit beobachten wir, wie sie sich über die kleinen Freuden am Wegrand freuen kann und in ihr ein Pflänzlein der Hoffnung aufkeimt. Als gelernte Floristin erlebt sie, dass sie wieder Freude an Blumen empfinden kann, und ihr Gesichtsausdruck wird von Woche zu Woche heller. Anfangs konnte sie die Veränderung an sich selbst nicht wahrnehmen. Aber in ihr wächst die Fähigkeit, wieder aktiver zu werden, Freude zu empfinden und zuzulassen. Immer häufiger beteiligt sie sich an gemeinschaftlichen Aktivitäten. Auch hier ist der Weg aus der Depression zwar langwierig, aber durch Ermutigung, stellvertretende Hoffnung und die Balance zwischen Herausforderung ohne Überforderung kann sie sich langsam öffnen und neue Erfahrungen machen. Ihre Prognose ist positiv. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen, die im de’ignis-Wohnheim zu neuem Lebensmut finden durften.

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Buchempfeh lung

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie im Buch des Autors Winfried Hahn „Psychische Erkrankungen im Licht der Bibel“. Dieses ist ab sofort in 4. Auflage wieder verfügbar. Zum bestellen, schicken Sie eine E-Mail an: info@tabor-schulungszentrum.de


Aktuell

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In der de’ignis-Fachklinik erhalten Menschen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen, Ängsten, Zwängen und Burn-out, sowohl stationär als auch ambulant oder tagesklinisch eine individuell auf sie ausgerichtete Behandlung. Zusätzlich bietet sie Nachsorge- und Sonderprogramme mit einzelnen Sozialversicherungsträgern sowie verschiedene Präventionsangebote an. ↗ Ab Seite 54 Das de’ignis -Wohnheim nimmt Menschen mit psychischen Erkrankungen und Lebenskrisen auf, die vorübergehend oder langfristig nicht in der Lage sind, selbstständig zu leben. Es deckt die Bereiche des intensiven und teilstationären Heimbereichs, den Wohntrainingsbereich sowie den ambulanten Bereich ab. Dabei bietet es ein umfangreiches sozialtherapeutisches Programm an. ↗ Ab Seite 64 Das de’ignis -Institut bietet seit über 20 Jahren erfolgreich Fortbildung, Schulung, Supervision und Beratung für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche an, hierbei insbesondere die Fortbildung für Christlich-integrative Beratung und Therapie. Das Institut bildet eine Schnittstelle zwischen Medizin, Psychologie und Theologie. ↗ Ab Seite 58 Die de’ignis - Stiftung in Polen bietet bereits seit einigen Jahren Seelsorgekurse an und unterstützt den Aufbau eines Seelsorge-Beratungsstellen-Netzwerkes. Des Weiteren erhalten Menschen mit psychischen Erkrankungen in der de’ignis-Beratungsstelle in Warschau ambulante Psychotherapie. ↗ Auf Seite 66

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Mehr Informationen finden Sie auch auf www.deignis.de/aktuelles

de’ignis unterwegs Mit dem Messestand auf der MEHR Konferenz in Augsburg und dem Willow Creek Kongress in Karlsruhe.

Konfessionen trafen sich hier um das neue Jahr mit ermutigenden Impulsen und Stärkung ihres Glaubens zu starten. Neben der Hauptveranstaltungshalle gab es zwei große Messehallen mit allerlei Ständen. Mittendrin unser de’ignis-Messestand. Er war wieder sehr gut besucht und es gab zahlreiche Gespräche mit Interessierten. Sei es Angehörige psychisch Kranker, direkt Betroffene, Pfarrer und Pastoren, Fortbildungssuchende, generell Interessierte oder auch ehemalige Patienten. So durften wir über unser breites Angebot im Bereich der Psychotherapie auf christlicher Basis, angefangen von medizinischer Rehabilitation über unsere ambulanten und tagesklinischen Angebote, unsere Präventionsangebote bis hin zu unseren Fortbildungsangeboten informieren. Die Besucher waren sehr angetan und begeistert von unseren Angeboten und der Arbeit, die wir bei de’ignis tagtäglich tun. Erneut wurde anhand vieler tragischer Lebensgeschichten die wir hörten sichtbar, welch große Not in der Gesellschaft im Bereich von psychischen Erkrankungen herrscht. So war es eine große Ermutigung für die Menschen da zu sein, ihnen Hilfe anzubieten und Hoffnung zu geben. Ehemalige Patienten, die früher oder bis erst vor Kurzem bei

uns waren, haben sich herzlich bedankt und erzählten wie gut die Zeit ihnen getan hat. Mit einem überaus dankbaren Herzen kehrten wir zurück und sind hoch motiviert. Unsere Arbeit bei de’ignis lohnt sich, jeden Tag neu. Hier geschieht seelische Heilung – Gott die Ehre. Des Weiteren waren wir Ende Februar mit unserem de’ignisMessestand auf dem Willow-Leitungskongress in Karlsruhe. Rund 7.400 Menschen haben nach Angaben des Veranstalters den Kongress besucht, weitere ca. 3.000 Personen sahen LiveÜbertragungen auf Großbildleinwänden an 13 Orten. Zum Kongress gehörte eine große Messehalle, in der auch de’ignis mit einem sehr schönen Stand vertreten war. Auch der Ausschank von leckerem Kaffee und mit einer Siebträgermaschine frisch gebrühtem Espresso sowie unsere Taschen zogen viele Besucher an. Aber das stand für die meisten Kongressteilnehmer nicht im Vordergrund: Ehemalige Patienten kamen vorbei, um sich für ihren Aufenthalt in der Klinik zu bedanken, egal ob ihre Behandlung wenige Monate oder Jahrzehnte her war. Ein Mann berichtete, dass die Zeit in der Klinik vor ca. zehn Jahren für ihn so positive Auswirkungen hatte, dass er sein Leben in die Zeit vor und die Zeit nach de’ignis unterteilt.

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Foto Seite 55, rechts: alvarez / istock

Gleich zu Beginn des Jahres fand Anfang Januar die MEHR •Konferenz in Augsburg statt. 12.000 Menschen aus sämtlichen


Psychosomatische Rehabilitationsnachsorge an den Standorten im Nordschwarzwald und Stuttgart Seit nun einem Jahr bieten wir Psychosomatische Rehabilita•tionsnachsorge im de’ignis-Gesundheitszentrum in Egenhausen

Unser Ziel mit dem Messestand war aber, auf unser Angebot aufmerksam zu machen. Im größten Teil unserer Gespräche durften wir Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Pastoren, Gemeindeleitern, Studenten, Hauskreisleitern, Seelsorgern, aber auch vielen von psychischen Erkrankungen Betroffenen und Angehörigen von Betroffenen von unserer Arbeit erzählen und ihnen erläutern, wie eine Kostenübernahme beantragt werden kann. Ein weiterer Schwerpunkt der Gespräche war das Interesse an unserem Fortbildungsangebot. Leider musste der Kongress vom Veranstalter vorzeitig abgebrochen werden. Ein geplanter Redner wurde in ein Krankenhaus gebracht; bei ihm wurde der Corona-Virus festgestellt. Einige Mitglieder der Kongressleitung hatten zuvor bereits Kontakt mit ihm gehabt und wurden unter Quarantäne gestellt. Laut Gesundheitsbehörden habe zu keiner Zeit eine Gefahr für die Teilnehmenden bestanden, hieß es in einer Pressemitteilung, da der Infizierte zu keiner Zeit sich auf dem Messegelände befand. Der Kongress wurde somit abgebrochen und wir mussten unseren Messestand vorzeitig abbauen. Wir sind sehr dankbar für die Gespräche, die wir führen durften und denken im Gebet an den infizierten Redner, die in Quarantäne gestellte Kongressleitung sowie alle Kongressteilnehmer.

und im de’ignis-Zentrum in Stuttgart an. Patienten die ihre medizinische Rehabilitation abgeschlossen haben, erhalten diese Nachsorgeleistung um die in der Rehabilitation erzielten Erfolge zu sichern und nachhaltig weiterzuentwickeln. Die in Gruppengespräche stattfindenden Termine dienen zur Verbesserung der Problemlösefähigkeit, Förderung der Sozialkompetenz, Verbesserung des Umgangs mit Stress und Stärkung der Konfliktfähigkeit für das private und berufliche Leben. Auch hier begleiten wir die Patienten mit Kompetenz und Gottvertrauen bei ihrer nachhaltigen seelischen Genesung.

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Erweiterung des Klinikcampus in Altensteig

In der Abteilung Altensteig der de’ignis-Fachklinik wird der •Klinikcampus umgebaut und erweitert. Im Präventionsbereich gibt es neue, schön eingerichtete Präventionszimmer. Diese laden beispielsweise im Rahmen der individuellen Gesundheitswoche ein, einmal Abstand vom Alltag zu bekommen, sich seelisch und körperlich zu erholen, neue Kraft zu tanken und gegebenenfalls auch Lebensgewohnheiten zu verändern, um auch seelisch gesünder zu leben. Darüber hinaus wurde der Wellnessbereich erweitert. Die neue Zirbensauna lädt mit wohlduftendem Geruch zur Entspannung

ein. Anschließend kann man im alpinen Ruheraum Erholung finden und die Seele baumeln lassen. Zum Präventionsbereich kommt ein neues Gebäude zur Entwicklung der Therapieräume hinzu. Die Bauarbeiten laufen auf Hochtouren. In diesem befindet sich zukünftig ein großzügiger, multifunktionaler Raum für Gruppenangebote, Impulsvorträge und Andachten sowie ein moderner Gymnastikraum für körperliche Bewegungs- und Entspannungsübungen sowie daran angeschlossen ein Fitnessbereich mit zahlreichen Fitnessgeräten.

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Foto: Kikovic / iStock

Wir erweitern den Klinikcampus in Altensteig um unsere Patienten auch weiterhin bestmöglich auf Ihrem Weg zur Gesundheit unterstützen zu können. Neue Funktionsräume und ein vergrößerter Wellnessbereich werden den Patienten zukünftig zur Verfügung stehen.


Ergotherapie und Bewegungstherapie für Kinder und Jugendliche in Stuttgart Gerade Kinder und Jugendliche benötigen in ihrer Entwicklung Fürsorge, Begleitung, Unterstützung und Schutz, um unter anderem in einer leistungsorientierten Gesellschaft ihre Persönlichkeit optimal entfalten zu können und emotional sowie mental gesund heranzuwachsen. Wir unterstützen sie dabei. Kostenfrei.

Kinder und Jugendliche zu unterstützen ist schon lange ein •Anliegen der de’ignis-Fachklinik. So bieten wir nun im de’ignis-

Gesellschaft zu unterstützen und vielen Kindern und Jugendlichen, die davon profitieren würden, den Zugang zu diesem ambulanten Programm zu ermöglichen. Wenn Sie das Projekt gerne unterstützen möchten, können Sie Ihre Spende an folgendes Konto richten:

Zentrum Stuttgart ganz neu ambulante Einzel- und Gruppenangebote in Ergotherapie und Bewegungstherapie für Kinder und Jugendliche kostenfrei an. Das Angebot soll Kindern und Jugendlichen unter anderem dabei helfen psychische Grundleistungsfunktionen wie Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbstständigkeit in der Tagesstrukturierung zu fördern. Koordination, Körperwahrnehmung, Interaktionsfähigkeit und die sozioemotionale Kompetenz zu verbessern sowie die Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die de’ignis-Fachklinik möchte diese Leistungen in Ergotherapie und Bewegungstherapie für Kinder und Jugendliche gerne kostenfrei auf Spendenbasis anbieten, um so die Jüngsten unserer

de’ignis-Fachklinik gGmbH Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE85 6426 1853 0066 6240 37 BIC: GENODES1PGW Verwendungszweck: Spende KiJu-Arbeit

Interessierte Eltern, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Kinderärzte, Schulen, Kirchen und Gemeinden können sich gerne per E-Mail an info@deignis.de melden, um mehr über das Angebot und den Start zu erfahren.

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Was macht das Fortbildungsangebot von de’ignis so einzigartig?

Vielleicht haben Sie sich das auch schon gefragt, was die Fortbildungsangebote von de’ignis so besonders macht? Welche Vorteile habe ich, wenn ich diese Angebote in Teilen oder ganz besuche? Ist eine Verbindung von Wissen und Glauben möglich?

Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung im ambulanten und stationären Bereich der Behandlung psychischer Störungen verbinden wir klinische und sozialtherapeutische Kompetenz mit einer kontinuierlichen Theorieentwicklung.

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Aufgrund unserer christozentrischen spirituellen Erfahrung und theologischen Kompetenz gelingt uns ein bewusstes Crossover der Grenze zwischen Theologie und Psychologie.

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Aufgrund unserer klaren biblischen Positionierung und gleichzeitiger Interkonfessionalität und Interkulturalität basiert unser theologischer Standpunkt auf den Prinzipien der Sola-Aussagen Luthers und ergänzend dazu an der gemeinsamen Erklärung des Lutherischen Weltbundes und des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen über Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre. Unsere Hermeneutik ist an der Kanonischen Exegese orientiert. Unser wissenschaftlicher Beirat besteht aus Mitgliedern anerkannter Konfessionen.

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Aufgrund der hohen Fachkompetenz unserer Mitarbeiter und Referenten gelingt uns eine Gesamtschau medizinischer, psychiatrischer, psychotherapeutischer und sozialtherapeutischer Aspekte und deren Vermittlung auf hohem Niveau durch Selbsterfahrung und praktische Übungen.

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Aufgrund unseres engagierten und persönlich gelebten Glaubens bieten wir einen wissenschaftlich fundierten Theorierahmen, in dem Glaube und Wissenschaft, Theologie und Psychotherapie nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich in dem von uns entwickelten Konzept der Christlichintegrativen Beratung und Therapie (CiBT) zu einer Theorie der menschlichen Existenz verbinden; hin zu einer Anthropologie, die besonders im bio-psycho-sozial-spirituellen Modell des Menschen, neben anderen Modellen und der Praxis der CiBT ihren Ausdruck findet.

Zusammengefasst: Das Ineinandergreifen von hoher Fachkompetenz, einer christozentrischen überkonfessionellen Theologie mit persönlichen Glaubenserfahrungen (Gottvertrauen) sind das unverwechselbar Besondere und Einzigartige unserer Fortbildungs- und Schulungsangebote.

Folgende Aspekte kennzeichnen die einzelnen Fortbildungsangebote im Überblick:

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Foto links: AYAimages / Adobe Stock

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Kurs in begleitender Seelsorge

Fortbildung in christlich-integrativer Beratung und Therapie (CiBT)

In Wochenendseminaren, die innerhalb von zwei Jahren angeboten werden, werden Sie in begleitender Seelsorge ausgebildet. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf der Begleitung von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten im Gemeindekontext. In diesem Kurs ist Raum und Zeit für die persönliche Seelsorge und geistlichen Zuspruch durch ein großes Mitarbeiterteam. (Eine Übersicht zu bevorstehenden Terminen finden Sie auf ↗Seite 63)

CiBT basic Innerhalb von sieben dreitägigen Intensiv-Seminaren werden in einer kleinen Gruppe grundlegendes Wissen und Tools für die Lebensberatung vermittelt und Grundlagen für therapeutisches Handeln gelegt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung von Krankheitsbildern (Psychoedukation, insbesondere bei Angststörungen und Depressionen), Lebensberatung unter Einbezug des Glaubens als Ressource, Stressbewältigung und Training von Kommunikation sowie theologischer Kompetenz. Dabei wird das persönliche Glaubensleben der Teilnehmer gestärkt und die Persönlichkeitsentwicklung gefördert.

Gesundheitscoaching Mit der eigenständigen Fortbildung in Gesundheitscoaching im betrieblichen und privaten Kontext erwerben Sie innerhalb von fünf zweitägigen Seminaren in überschaubarer Gruppe die Befähigung zu Aufbau und Durchführung von Gesundheitscoaching z. B. innerhalb eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) oder einer Gemeinde und lernen andere zur Entwicklung eines gesunden Lebensstils sowie zu Spiritualität als Kompetenz und Haltung anzuleiten.

CiBT advanced Aufbauend auf CiBT basic vermittelt CiBT advanced vertieftes Wissen, praktische Fähigkeiten und Werkzeuge für Berater/ innen und Therapeuten/Therapeutinnen mit Schwerpunkt auf Kompetenz für Spiritualität. Mit den Seminaren von CiBT advanced und den begleitenden Praxiserfahrungen werden Sie optimal auf das Aufgabenfeld eines Heilpraktikers/einer Heilpraktikerin für Psychotherapie vorbereitet. Sie werden befähigt:

• eigenständig Behandlungen nach Diagnosestellung anhand der Schemata AMDP1-, OPD2- und SPIR3 durchzuführen. • Interpersonelle Psychotherapie (IPT), systemische Tools und gezielte Interventionen der kognitiven Verhaltenstherapie, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, der Arbeit mit dem Schema-Modusmodell und verschiedenste kreative Elemente in Beratung und Psychotherapie einzusetzen. • die Übertragung-Gegenübertragungs-Situation optimal zu steuern, durch ständige Selbsterfahrung und Supervision während des Kurses • die Spiritualität des Klienten in die Beratung und Therapie mit einzubeziehen

1

Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP) 2 Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) 3 SPIR – Halbstrukturiertes klinisches Interview zur Erhebung einer „spirituellen Anamnese“

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Und das meinen unsere Dozenten zu dem, was CiBT auszeichnet: Katrin Dipl.-Psychologin und Dozentin

Herbert Arzt und Kursleiter

Zum Entwicklungsprozess der Teilnehmer: • Neben dem immer weiter fortschreitenden Wissenszuwachs und der Aneignung von Handlungskompetenzen für die beraterische Tätigkeit, beschreiten die Teilnehmer einen persönlichen Wachstumsprozess. Durch die Selbsterfahrungseinheiten setzten sie sich mit ihrer persönlichen Geschichte, ihren eigenen gedanklichen Prozessen und Handlungsweisen auseinander. Ein Element, das in jede fundierte Therapieausbildung gehört. • Zudem befassen sie sich mit den Grenzen der eigenen Möglichkeiten. Auch das gehört, meines Erachtens nach, zur Entwicklung von Professionalität. • Wie oft erlebe ich, dass gerade die Teilnehmer, die sich zu Beginn Sorgen um das „Mitkommen“ im Kurs machen, sich mehr und mehr weiterentwickeln, zunehmend Selbstvertrauen erlangen, ihre Talente für die beraterische Arbeit erkennen und herausarbeiten.

Diesen Prozess zu begleiten ist Privileg und Freude zugleich.“

„In meiner Funktion als Kursleiter, Dozent, Supervisor und Anleiter zur Selbsterfahrung im CiBT-Kurs habe ich viele positive Erfahrungen, aber nie negative gemacht. Diese gliedern sich in drei Ebenen: Die erste Ebene ist auf meine Person bezogen und ein sich ständig vertiefendes Verständnis vom Zusammenwirken der verschiedenen Dimensionen des Menschseins (die Theorie wird lebendig im Kurs). Bei der mittleren ist zu beobachten, wie Kursteilnehmer eine positive Entwicklung nehmen und ihnen sich neue Lebensräume öffnen, in die sie hineinwachsen (die Theorie wird zum Leben). Die intensivste Ebene ist, wie der Heilige Geist einfach an allen wirkt und eine tiefe Gemeinschaft herstellt. Wie die Weisheit Gottes das Wissen der Menschen erweitert (Leben wird zur Erfahrung, also zu Theorie). Einfach klasse!“

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„Was schätze ich an der Fortbildung: • Zunächst schätze ich den offensichtlichen Nutzen: das vermittelte Grundlagenwissen und die Vielfalt an therapeutischberaterischen Methoden, für ein beraterisches Arbeiten, welches auf einem christozentrischen Welt- und Menschenbild basiert. • Ich schätze, dass innerhalb dieser Fortbildung fokussiert wird, wie der Glaube an Gottes Wirken und seine liebevolle Sicht auf uns Menschen, Basis der beraterisch-therapeutischen Haltung werden kann und in die konkrete Begleitung des Ratsuchenden „verstoffwechselt“ werden kann. • Ich schätze sehr, dass die Teilnehmer nicht nur ein und demselben Berufsfeld angehören. Dasselbe gilt für die unterschiedlichen Glaubenswege und Kirchenzugehörigkeiten. Plenumsgespräche empfinde ich durch die vielfältigen unterschiedlichen Vorerfahrungen, Lebens- und Arbeitskontexte sehr bereichernd.

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Maike Lehrerin und Assistenz Institutsleitung

„Im Rahmen meiner Tätigkeit als Assistentin der de’ignisInstitutsleitung bin ich u. a. für den organisatorischen Rahmen der Fortbildung CiBT zuständig, Ansprechpartnerin für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen und zwischenzeitlich auch als Dozentin. Deshalb war es zu Beginn meiner Tätigkeit naheliegend auch selbst an der Fortbildung teilzunehmen und mich weiter zu qualifizieren. Die Fortbildung verkörpert das Motto von de’ignis: Kompetenz. Und Gottvertrauen. So wurde sehr hilfreiches Handwerkszeug für die Beratung und Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen aus den verschiedensten anerkannten Therapieverfahren vermittelt

und dabei immer die Ressource des christlichen Glaubens mit integriert. So macht es mir heute große Freude, Menschen in unserer ambulanten Beratungsstelle zu begleiten und zwischenzeitlich auch psychotherapeutisch mit ihnen zu arbeiten – nach Bestehen der Heilpraktikerprüfung für Psychotherapie, dem sogenannten „kleinen Heilpraktiker“ (er erlaubt Personen, die keine ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten sind, Menschen psychotherapeutisch zu behandeln). Darüber hinaus hat mir die Fortbildung auch ganz persönlich geholfen mein eigenes Fühlen, Wollen und Handeln zu reflektieren und entspannter mit mir selbst umzugehen. Dies höre ich auch immer wieder von Teilnehmern: „Ich habe persönlich so von der Fortbildung profitiert, dass es sich auch gelohnt hat, wenn ich nie selbst Beratung/Therapie in größerem Umfang durchführen sollte.“

Die Fortbildungsangebote in der Übersicht Unsere Angebote in Fortbildung und Coaching sind breit aufgestellt und eignen sich sowohl für Einsteiger als auch Fortgeschrittene. Für mehr Informationen kontaktieren Sie uns gerne!

Christlich-integrative Beratung und Therapie advanced

Spezifische Seminarangebote:

Vertieftes Wissen, praktische Fähigkeiten und Tools für Berater und Therapeuten

Interpersonelle Psychotherapie Vermittlung des diagnosenspezifischen Psychotherapieverfahrens

Christlich-integrative Beratung und Therapie basic Grundlegendes Wissen und Tools für die Lebensberatung

„Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy“

Gesundheitscoaching

Vermittlung des Traumatherapieverfahrens

Aufbau und Durchführung von Gesundheitscoaching (Prävention)

Psychoedukation Systematische und strukturierte Vermittlung von psychischen Krankheitsbildern

Kurs in begleitender Seelsorge Ausbildung in der Begleitung von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten

Empfohlen für Fortgeschrittene

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Empfohlen für Einsteiger


Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Norbert (Pastor), Teilnehmer der CiBT Fortbildung:

Eine wertvolle Zurüstung für meinen Dienst in Seelsorge und Beratung.

Überzeugen Sie sich selbst beim stag. nächsten Campu Jetzt anmelden! ustag findet Der nächste Camp statt. Weitere am 20. Juni 2020 online auf Sie n Termine finde ildung deignis.de/fortb

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de’ignis-Institut gGmbH · Markgrafenweg 17 72213 Altensteig · Telefon +49 (0) 7453 94 94 - 0 institut@deignis.de · www.deignis.de

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Alle weiteren Informationen finden Sie auf www.deignis.de

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Einstieg jederzeit möglich!

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Das de’ignis-Institut bietet Ihnen berufsbegleitende Fortbildungen in Christlich-integrativer Beratung und Therapie sowie Gesundheitscoaching. Dabei werden Theologie, Pastoralpsychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik sowie Pädagogik in einem ganzheitlichen Konzept integriert. Erhalten Sie praxisnah Einblick in die christlich-integrativen Therapie- und Beratungskonzepte von de’ignis und lernen Sie diese in Ihre eigene Arbeit zu integrieren.


Die Termine zu den einzelnen Fortbildungsangeboten in der Übersicht Veranstaltungsort: de’ignis-Fachklinik, Walddorfer Straße 23, 72227 Egenhausen

Seminare CiBT basic

Fortbildung in Gesundheitscoaching Term ine auf Anfra g e

Psychische Krankheitsbilder II 18. bis 20. Juni 2020

Einführung BGM und Grundlagen Coaching

Vertiefung des Wissens über das Krankheitsbild der Angststörungen. Heranführung an die Psychoedukation bei psychischen Störungen im Allgemeinen und speziell bei Angststörungen sowie affektiven Störungen.

Darstellung möglicher Arbeitsfelder für das Gesundheitscoaching und Vermittlung der theoretischen Grundlagen sowie des rechtlichen Rahmens. Erlernen von Methoden zur Bedarfsanalyse und der Gesprächsführung.

Lebensstil und Stressmanagement 17. bis 19. September 2020

Stressmanagement und Resilienz

Erlernen eines auf Stärken fokussierten Persönlichkeitsmodells (Big Five). Vermittlung von umfassendem Wissen und Werkzeugen zum Thema Stressmanagement und Life-Balance.

Vermittlung von umfassendem Wissen und Werkzeugen zum Thema Stressmanagement, Entspannung und Life-Balance. Außerdem Erlernen eines auf Stärken fokussierten Persönlichkeitsmodells (Big Five).

Prävention mit und durch Bewegung

Grundlagen psychologischer Beratung und Therapie 26. bis 28. November 2020 Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten für den Start einer Beratung oder Therapie im Bereich der Anamnese und psychiatrischen Befunderhebung. Erlernen von Störungsmodellen, die helfen Klienten die Entstehung von Problemen und Krankheiten zu erklären.

Seminare CiBT advanced

Vermittlung, wie Motivationsprozesse zu einem andauernden Bewegungsverhalten des Klienten entwickelt werden können mit Transfer in den beruflichen und sonstigen Alltag.

Gesunde Ernährung Vermittlung von Grundlagen der Ernährungsphysiologie und -psychologie und Spiritualität mit Transfer in Alltag und Beruf des Klienten.

Tools und Methodik Vermittlung von Tools für die eigenständige Durchführung von CoachingTätigkeiten im beruflichen Rahmen und psychosozialen Umfeld.

IPT – Interpersonelle Psychotherapie 9. bis 11. Juli 2020

Vertiefungstag – Supervision und Selbstfürsorge

Erlernen des Kurzzeittherapieverfahrens „Interpersonelle Psychotherapie (IPT)“, einer diagnosenspezifischen Depressionsbehandlung mit Therapiemanual für Einzel- oder Gruppentherapie, mit Adaptionen an spezifische andere Diagnosen und Therapiesituationen.

Kursleitertraining in Progressiver Muskelrelaxation (PMR)

Reflexion der eigenen Coachingpraxis.

Das Entspannungstraining ist in die anderen Seminarblöcke integriert.

Kreative Therapie -Tools 8. bis 10. Oktober 2020 Erlernen von Interventionen, die das Vorstellungsvermögen des Menschen und seine Kreativität nutzen, sowie Einführung in das Züricher RessourcenModell (ZRM®) und Selbsterfahrung im Bibliodrama.

are Alle Semin ln auch einze buchbar!

Verhaltenstherapeutische Therapie -Tools 10. bis 12. Dezember 2020 Training und Vertiefung von Interventionen der kognitiven Verhaltenstherapie; zudem Einführung in die Akzeptanz-und Commitment Therapie (ACT) und die Schematherapie.

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Sozialtherapeutisches Zentrum de’ignis-Wohnheim Neubau des de’ignis-Wohnheim ist fertiggestellt. Pandemie bringt neue Herausforderungen mit sich.

Links (einschließlich dem Treppenhaus) ist der Neubau zu sehen – nur die Außengestaltung steht noch aus.

In den letzten Monaten konnte sich das de’ignis-Wohnheim – • Haus Tabor in Engelswies über die Fertigstellung des Neubaus freuen. Nur die Außenanlagen bedürfen noch der intensiven Gestaltung. Auch Umbaumaßnahmen in den Bestandsgebäuden folgten, sodass die Stockwerke in Wohneinheiten mit separater Küche umgebaut wurden. Dies dient der Förderung von Privatsphäre und Verselbstständigung. Die Veränderungen sind durch die neue Landesheimbauverordnung von Baden-Württemberg und das Bundesteilhabegesetz nötig geworden. Im Neubau haben nun alle Bewohner ein Einzelzimmer mit Nasszelle und Zugang zu einer großen Küche für jeweils sechs Personen. Die neuen Küchen werden

schon häufig benutzt, und die Bewohner können mit dem Zuwachs an Eigenverantwortung gut umgehen. Die Nasszellen, die Zimmer, die Küchen und die Flure müssen selbstständig gereinigt und in Ordnung gehalten werden, schließlich soll der Aufenthalt im de’ignis-Wohnheim, speziell in den Räumlichkeiten des Neubaus, der zunehmenden Verselbstständigung dienen, sodass es zur Vorbereitung für das zukünftige Leben in einer eigenen Wohnung wird. Ein Nachbar freut sich über den aus seiner Sicht schönen und gelungenen Anbau und lobt die „gute nachbarschaftliche Beziehung“. Die zumeist „eher ruhigen“ Bewohner seien sehr kontaktfreudig und freundlich.

de’ig n is-ma g a z in – Aktuell – Wohnheim


Der im Zuge der neuen Heimbauverordnung im Herbst neu gebaute Teil des de’ignis-Wohnheims.

Das de’ignis-Wohnheim nimmt Menschen mit psychischen Erkrankungen und Lebenskrisen auf, die vorübergehend oder langfristig nicht in der Lage sind, selbstständig zu leben. Es deckt die Bereiche des intensiven und teilstationären Heimbereichs, den Wohntrainingsbereich sowie den Arbeitstrainingsbereich ab. Im Rahmen seiner Tagesstruktur bietet das de’ignis-Wohnheim ein umfangreiches sozialtherapeutisches Programm an.

bereitsteht. Ein Stockwerk wurde als Quarantänestation für den Fall einer Infektion eingerichtet. Das de’ignis-Wohnheim hat einen ausreichenden Vorrat an Schutzkleidung, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel angelegt und wird, so wie die Artikel lieferbar sind, die Vorräte weiter aufstocken. Außerdem wurde ein Krisenstab als Task Force eingerichtet, bestehend aus Heimleitung, Bereichsleitung medizinische Versorgung und Verwaltungsleitung, um auf aktuelle Entwicklungen schnell reagieren zu können. Bei allen notwendigen Vorkehrungsmaßnahmen setzen die Verantwortlichen ihr Vertrauen auf die Hilfe Gottes, zumal das de’ignis-Wohnheim sich als christliche überkonfessionelle Einrichtung versteht. Dazu gehört sowohl die Verpflichtung zu professionellen Standards als auch eine fundierte theologische Grundlage, um den christlich motivierten Bewohnern adäquate Hilfe zukommen zu lassen. So arbeitet das de’ignis-Wohnheim nach dem Grundsatz „Kompetenz. Und Gottvertrauen“. Beide Komponenten sind gerade in so herausfordernden Zeiten von großer Bedeutung. Insbesondere der Glaube, als Quelle der Hoffnung, ist das charakteristische Spezifikum des de’ignis-Wohnheimes. So vertrauen die Verantwortlichen auf Gottes Hilfe und Beistand, so wie es schon im Hebräerbrief der Bibel heißt: „[…] denn Gott hat gesagt: Ich werde dich nie verlassen und dich nicht im Stich lassen.“

Coronavirus bringt neue Herausforderungen

Nachdem die baulichen Neuerungen nun weitestgehend geschafft sind, warten bereits neue Herausforderungen auf die Verantwortlichen und Bewohner des de’ignis-Wohnheims: Die CoronaPandemie bringt zahlreiche Veränderungen mit sich. Für die neu anfallenden Aufgaben, etwa zur Sicherstellung von verschärften Hygienemaßnahmen in Corona-Zeiten, wurden zahlreiche neue Helfer benötigt, welche durch den vorhandenen Freundeskreis bereits zum größten Teil gefunden wurden. Die Mitarbeiterschaft des de’ignis-Wohnheims arbeitet im dreiWochen-Schichtbetrieb. Das heißt, dass ein Team eine ganze Woche durcharbeitet und dann zwei Wochen zu Hause ist und von den anderen Teams jeweils eins für die Frühschicht und eins für die Spätschicht vor Ort ist. Das gewährleistet, dass immer ein nicht infiziertes Team für den Fall einer Corona-Infektion

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de’ignis-Stiftung in Polen Live Ticker Ein Bericht von PD Dr. med. Herbert Scheiblich

„Wenn im Frühjahr die Pol(l)en fliegen, kann man so manches • erleben“– das durften wir Mitte März selbst herausfinden: Wir planten nach Warschau zu fliegen, um mit polnischen Behörden über verschiedene Projekte Gespräche zu führen. Kurz vor dem Flug am Sonntagabend wurde die polnische Grenze dichtgemacht und seitdem werden alle Kontakte digitalisiert aufrecht erhalten. Das geplante Beratungsstellentreffen am 8. und 9. Mai konnten wir wegen der Coronakrise nicht wie geplant durchführen. Wir haben es zu einer multimedialen Videokonferenz umgestaltet. Das Thema lautet: „ADHS bei Kindern und Erwachsenen – Seelsorgerliches Handeln“. Diese Konferenz wird zusammen mit polnischen Fachärzten veranstaltet.

Im Sommer findet, wenn es die Coronakrise zulässt, die dritte Summerschool mit dem Thema „Spirituelle Kompetenzen in Psychiatrie, Psychotherapie und Pastoral Psychologie/ Seelsorge“ statt. Wir freuen uns riesig darauf, bekannte und neue Gesichter zu sehen. Der de’ignis-Seelsorgekurs läuft mit nach wie vor hoher Teilnehmerzahl in „Wroclaw“ (Breslau) sehr gut, ist aber zur Zeit wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. In ferner Zukunft liegt das Herbsttreffen der Beratungsstellen mit dem Thema „Autismus“ in Warschau. Weitere Gespräche über verschiedene Projekte sind geplant – sobald wir Konkretes wissen, teilen wir es an dieser Stelle gerne mit. Insgesamt braucht unsere Arbeit in Polen nach wie vor Unterstützung in jeder Hinsicht – vor allem im Gebet.

Spendenkonto: Christliche Stiftung de’ignis-Polen • Sparkasse Pforzheim IBAN: DE83 6665 0085 0007 2605 12 • BIC: PZHSDE66XXX Anzeige

Einfühlsame Spitze. Im Team und bei Dir selbst. . Platz in der 2 Kategorie „Kliniken“

Wir sind eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Und wir glauben. Daran, dass Menschen dann am besten helfen können, wenn es ihnen selbst gut geht. Dafür tun wir so einiges – Sie werden angenehm überrascht sein. Und wenn Sie glauben, dass Beruf Berufung sein sollte, dann möchten wir Sie kennenlernen.

Alle Stellenangebote auf www.deignis.de z. B. Oberarzt*Oberärztin z. B. Psychologische*r Psychotherapeut*in (Stuttgart) z. B. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in (Stuttgart)

de’ignis-Fachklinik gGmbH • Walddorfer Str. 23 • 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 • Fax 07453 9391-193 • info@deignis.de

Wer‘s glaubt, wird glücklich.


Kurs in begleitender Seelsorge Zur Begleitung von Menschen in Lebenskrisen, Glaubensfragen und psychischen Nöten. Unsere Botschaft von Gnade und Liebe, gepaart mit Glaube und Hoffnung, fundiert mit solidem Fachwissen und dem Ziel einer prozesshaften Entwicklung ist das Fundament aller Seminarinhalte. Dieser Seelsorgekurs umfasst insgesamt 10 Seminare. Eingeladen sind Christen, die einen inneren Ruf zur Seelsorge verspüren, aber auch solche, die sich einfach nur für seelsorgerliche Fragen interessieren. Der Kurs in begleitender Seelsorge soll zur qualifizierten Begleitung von Menschen in Lebenskrisen, Glaubensfragen und psychischen Nöten befähigen. Darüber hinaus vermittelt der Kurs Einsichten in die verschiedenen Entwicklungsphasen des menschlichen Lebens und bietet damit die Möglichkeit, sich selbst besser verstehen und kennen zu lernen.

Seminar 8 voraussichtlich 17. bis 18. Juli 2020* Identitätsentwicklung und -störungen, Auswirkungen auf die Persönlichkeit

Seminar 9 voraussichtlich 18. bis 19. September 2020* Die Persönlichkeit des Seelsorgers, Fähigkeit zur Selbstreflexion, Selbstkritik und Introspektion

Seminar 10 voraussichtlich 27. bis 28. November 2020* Umgang mit Leid, Theodizee-Problematik, Burnout und andere Belastungsstörungen

Der Kurseinstieg ist jederzeit möglich, da die Lehreinheiten regelmäßig in weiteren Zyklen im Tabor Schulungszentrum wiederholt werden. Weitere Informationen erhalten Sie im Internet unter www.deignis.de/Fortbildungen oder unter der Telefonnummer 07434 7234 -176

Veransta ltung s or t :

*Aufgrund der aktuellen Situation und den damit verbundenen Unsicherheiten bei der Planung bitten wir Sie sich über aktuelle Termine und Informationen auf unserer Website unter www.deignis.de/fortbildung/seelsorge-schulung zu erkundigen und gegebenenfalls auf Ausweichtermine zu achten. Diese werden rechtzeitig online bekannt gegeben.

Tabor Schulungszentrum für Seelsorge, Beratung und neutestamentliche Dienste Sigmaringer Straße 64 · 72474 Winterlingen www.tabor-schulungszentrum.de

S em inarleitung : Winfried Hahn

www.deignis.de/fortbildung de’ignis -Institut gGmbH • Markgrafenweg 17 • 72213 Altensteig Telefon 07453 9494-0 • institut@deignis.de • www.deignis.de


de’ignis-Institut gGmbH · Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig

de’ignis-Fachklinik Fachklinik auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik • stationäre medizinische Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen • ambulante und teilstationäre Rehabilitation und Behandlungen • Sanatoriumsbehandlungen • Nachsorge IRENA und Psy-RENA • Angebote zur gesundheitlichen Prävention und Vorsorge • Assessment-Center

de’ignis-Wohnheim Sozialtherapeutisches Wohnheim nach biblischen Grundsätzen mit Einzel- und Gruppenangeboten • Gesprächstherapie • Sozialtraining • Arbeitstraining (z. B. im eigenen Verlag) • Freizeitpädagogik • individuelle Betreuung

de’ignis-Institut Institut für Psychotherapie und christlichen Glauben • Seelsorgekurs • Vernetzung von Fachleuten • Fortbildung in Christlichintegrativer Beratung und Therapie • Gesundheitscoaching • Supervision • ambulante Beratungsstellen • Sozialpädagogische Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Familien • Weitere Angebote zur Prävention

de’ignis-Stiftung Polen Christliche Stiftung mit Einzel- und Gruppenangeboten • Ambulante Therapieangebote, stationäre in Planung • Schulungen • Freizeitpädagogik

Besuchen Sie uns auf www.deignis.de


de’ig n i s -ma g a z in – Volkskrankheit Depression

Nr. 5 9


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