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Ergotherapeutische und kunsttherapeutische Ansätze in der Traumatherapie
by de’ignis
Von Jana Schwarz
Ergotherapie
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•Die Ergotherapie hat das Ziel die Handlungsfähigkeit von Menschen zu unterstützen. Somit beraten und fördern Ergotherapeuten Menschen bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen, damit sie ihren Alltag, das Arbeitsleben oder ihre Freizeit gut meistern. Unter Berücksichtigung der persönlichen Umweltbedingungen erfassen und fördern die Ergotherapeuten die Teilhabe der Klienten in den unterschiedlichen Lebensbereichen, die Lebensqualität und das Wohlbefinden. Dazu bieten sie Beratung und Training der spezifischen Aktivitäten, gesundheitsfördernde Umweltanpassungen und eine Stärkung der Gesundheitskompetenz der Klienten an. In der psychosomatischen Rehabilitation bedeutet dies, dass der Patient und Ergotherapeut gemeinsam erfassen, welche Aktivitäten wegen einer Erkrankung beeinträchtigt, aufgegeben, weiterhin gut gelingen oder vielleicht auch seit der Erkrankung neu hinzugekommen sind. Es wird der Frage nachgegangen, in welchen Lebensbereichen der Patient für sich Lebensqualität und Wohlbefinden erlebt, beziehungsweise in welchen Lebensbereichen diese bedroht und eine Teilhabe zum Beispiel im Arbeitsleben gefährdet scheinen. Gemeinsam erarbeiten Patienten und Ergotherapeuten konkrete Ziele für die Rehabilitation. Traumatisierte Patienten, nach starken psychischen Erschütterungen oder Gewalterfahrungen, durch die sie eine körperliche und/ oder seelische Verletzung erfahren haben, erleben zahlreiche Herausforderungen in ihrem Alltag und in ihren Aktivitäten. Sie berichten häufig von Interessensverlust, Teilnahmslosigkeit, Vermeidungsverhalten oder Schwierigkeiten mit Menschen in Kontakt- oder in Beziehung zu treten. Auch bei vielleicht bestehendem Wunsch nach Nähe halten sie eventuell Abstand und erleben zum Beispiel eine Unzufriedenheit in der Beziehungsgestaltung. Vielleicht fällt es auch schwer Lob anzunehmen und sich selbst zu vertrauen, etwas bewirken beziehungsweise schaffen zu können. Auf Grund des Erlebten ist es vielleicht schwierig sich Kritik oder Konflikten zu stellen und Probleme zu lösen. Auch das Wahrnehmen und Äußern von Bedürfnissen können Herausforderungen sein. Es fällt schwer Emotionen zu regulieren und mit z.B. Frustration, Trauer, Aggressionen oder dissoziativen Stressreaktionen umzugehen. Verschiedenen soziale Lebensrollen, z.B. die Rolle der Mutter, und der damit verbundenen Aufgaben können vielleicht nicht mehr zufriedenstellend erfüllt werden. Auch durch eingeschränkte psychische Grundfunktionen wie Ausdauer, Belastbarkeit, Flexibilität, Konzentration und Motivation, können Aktivitäten beeinträchtigt sein. Traumatisierte Personen berichten auch häufiger von einer veränderten Körper- und Selbstwahrnehmung, unter der sie leiden und die Aktivitäten hemmen kann. Und ein chronisches Gefühl der Anspannung, wie bei einem „ständigen Bedroht-Sein“, führen zu einer raschen Erschöpfung. Die Tages- und Zeitstrukturierungen gehen leicht verloren. Für Trauma-Patienten ist es eine wichtige Erfahrung, aus der Ohnmacht heraus wieder ins Handeln zu kommen und ihren Lebensrollen entsprechend zufriedenstellend agieren zu können, beziehungsweise in ihrer individuellen Umwelt teil zu haben. „Die Ergotherapie nutzt eine andere Form der therapeutischen Interventionen als die Psychotherapie: Durch gemeinsame (Alltags-) Handlungen wird ein besonderer Lernraum geschaffen“. 1 Auch feindliche und misstrauische Haltungen können oftmals leicht im Tun abgebaut werden und Vertrauen gewagt werden. Der Aufbau einer verlässlichen und vertrauensvollen Beziehung zum Ergotherapeuten und der Gruppe ist herausfordernd und chancenreich. Die Aktivitäten und die Wiedererlangung einer Struktur im Alltagshelfen Selbstwirksamkeit zu erleben und sich zu stabilisieren. Unsere Patienten kreieren auch in der Ergotherapie unter Anleitung eine Fülle an stabilisierenden Elementen und konkret anwendbaren Fertigkeiten (Skills). Wir finden gemeinsam heraus, was wohltuend ist und bauen angenehme Aktivitäten im Alltag auf. Verschiedene stabilisierende Handlungsmethoden und Materialien werden zum Beispiel zu einem „Ressourcen- bzw. Skills-Koffer“ in der Stabilisierungsgruppe zusammengestellt. Auch das „Genießen können“ ist eine Fähigkeit, die ganz praktisch trainiert werden kann (Genusstraining). Kreativ-handwerkliche Gruppen vermitteln unter Anderem wieder Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ermutigen zum Explorieren. „Ich kann etwas tun und bewirken oder erreichen!“, berichten Patienten. Wir ermutigen traumatisierte Patienten besonders, angepasstes Verhalten mutig zu reduzieren und eigenen Interessen und Bedürfnissen nach zu gehen. Im Alltags- oder Berufstraining können Handlungsfähigkeiten und Handlungsoptionen kennen gelernt und erprobt werden. Wichtige Lebensbereiche gelangen so wieder in den Blick und Veränderungen können vorgenommen werden, neue Routinen entwickelt oder zurückgewonnen werden. Auch Tätigkeiten wie das Boxen und ein Selbstverteidigungskurs können hilfreich sein. Im therapeutischen Boxen wird Wut spürbar und bewältigbar zugelassen und ein Zugang zur eigenen Kraft gefunden. In einem Selbstverteidigungskurs geht es dann darum Risiken und die Gewaltentstehung einzuschätzen, das Grenzen setzen zu üben („Nein-Sagen“), Handlungsstrategien zu erproben und somit auch Selbstsicherheit zu gewinnen. Ebenso wichtig ist es aber auch, nach zum Teil „jahrelangen Kämpfen“ emotional abzurüsten und wieder entspannen zu lernen, um neue Kraft zu gewinnen (Entspannungstraining). Auch im Sozialen Kompetenztraining werden Handlungsoptionen erarbeitet und erprobt und Fähigkeiten entwickelt, wie zum Beispiel Widerspruch äußern, um Hilfe bitten oder unerwünschte Kontakte beenden können. Im Aktiven Gesundheitstraining werden Ressourcen entdeckt und verankert, die Resilienz und gesundheitsförderndes Handeln gestärkt. Der Aufbau angenehmer Aktivitäten, die Gestaltung persönlicher Beziehungen und eine ausgewogene LifeBalance bzw. die Entspannungsfähigkeit sind Inhalte im Freizeitkompetenztraining. Bei traumatisierten Patienten haben sich auch ergotherapeutische Konzepte bewährt, die die Selbststeuerung und Wahrnehmung des eigenen körperlichen und psychischen Zustandes trainieren und somit selbstbestimmtes Handeln ermöglichen.
In der Ergotherapie stehen nicht belastende Ereignisse, Krankheiten, Medikamente, etc. im Vordergrund, sondern die Bewältigung des Alltags, die Lebensqualität und das Wohlbefinden in den Aktivitäten und Handlungen. Auch über einen teilstationären oder stationären Aufenthalt in der psychosomatischen Rehabilitation hinaus ist Ergotherapie durch einen Arzt auf Rezept verordnungsfähig (psychisch-funktionelle Behandlung).
Mögliche Ziele der Ergotherapie bei traumatisierten Patienten: • Kraft entwickeln für das Leben • Psychische Stabilität aufbauen • Zufriedenstellendes, individuelles Zeitmanagement und Tagesstruktur entwickeln • Den Alltag nach den eigenen Bedürfnissen gestalten • Einen selbstbestimmten Umgang mit eigenen Gefühlen fördern • Eine gute Balance zwischen Anforderungen und Entspannung entwickeln • Einen zufriedenstellenden Arbeitsalltag proaktiv gestalten • Eine Selbstbestimmte Lebensführung entwickeln • Die Konzentration und Merkfähigkeit verbessern • Förderung der sozio-emotionalen Fähigkeiten wie Konflikt- und Kritikfähigkeit • Erkennen und Äußern eigener Wünsche und Bedürfnisse • Förderung emotionaler und körperlicher
Wahrnehmung • Auseinandersetzung mit Gefühlen,
Wünschen, Werten und Bedürfnissen Mögliche Inhalte der Ergotherapie bei traumatisierten Patienten: • Alltagstraining • Berufstraining • Freizeitkompetenztraining • Genusstraining • Stabilisierungsgruppen • Aktives Gesundheitstraining • Konzentrationstraining • Soziales Kompetenztraining • Entspannungstherapie • Therapeutisches Boxen und
Selbstverteidigungstraining • Handwerklich-kreative Gruppen • Schmerzgruppe zur Behandlung traumatisierter Schmerzpatienten • Tiergestützte Therapie • Beratung bei unterstützenden Hilfsmit-
Fußnoten 1 Schreiner, A. (2016): Aus der Ohnmacht zur Handlung - Wege zur unterstützenden Heilung von komplex traumatisierten Patientinnen in der Ergotherapie. Verfügbar unter: www.ankeschreiner.de/docs/ ergotherapie_austria_1601_s20ff_Ohnmacht.pdf
Literatur • Kielhofer, G., Marotzki, U., Mentrup C. (2005): Model of Human Occupation (MOHO) – Grundlagen für die Praxis. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. • Thielen, S. (2019): SELWA® - Ergotherapeutisches Konzept zur Behandlung psychisch/psychosomatisch Erkankter. • Voelzke, M. (2018): Ergotherapie im Rahmen der DBT – Handlungs- und materialbezogenes Arbeiten. Stuttgart: Schattauer Verlag.
tel z.B. digitalen Anwendungen/Apps Kunsttherapie
„Die besondere Qualität der Kunsttherapie liegt darin, den Kontakt zu sich selbst herzustellen und eine Verbindung zu einer unbewussteren Ebene der inneren Bilder zu schaffen.“ (Karin Kirschmann)
Wenn Worte allein nicht ausreichen, helfen Bilder und Skulpturen, auszudrücken was vorerst unklar und unaussprechbar war. „Ich mache mir ein Bild von …“ Kunsttherapie ist ein psychotherapeutisches Therapieverfahren, das den bildnerischen Ausdruck und verschiedene, künstlerische Medien einsetzt, um Patienten einen Zugang zu inneren Prozessen, Gefühlen, Verhaltensmustern und Ressourcen zu ermöglichen. Angestrebt wird ein Gestaltungsprozess, als Beziehungserfahrung zwischen Patient und Bild, aber auch mit dem Therapeuten und Gott. Vorkenntnisse, künstlerisches Können oder das Gefallen (Ästhetik) von Werkstücken sind dabei nicht ausschlaggebend.
Stabilisierungsphase In der Stabilisierungsphase geht es vor allem darum, einen Zugang zu Ressourcen zu entdecken und einen fürsorglichen Umgang mit sich selbst zu erlernen. „Bilder und Gestaltetes sind Container für Belastendes, Zugang zu Veränderung fördernden Kräften und Anker für heilsame Erfahrungen. Einen inneren Zustand malend und gestaltend ausdrücken zu können, heißt in Bewegung zu sein, etwas tun zu können, sich mitzuteilen. In den gestalterischen Prozess kann jetzt die Achtsamkeit, der Schutz, die Kontrolle einfließen, die es damals nicht gab.“ 1 Übungen wie eine „Tresorübung“, „meine Schutzfarbe“, die visualisierte „Sichere Ort“–Übung, Verwandlungsbilder, Rahmenbilder können dieses Erleben unterstützen. Damit unterstützt die Kunsttherapie Imaginationsübungen und angstfreies Gestalten. „Der Umgang mit gestalterischem Material kann aus der traumatischen Erstarrung befreien. Verschüttetes kann gesehen, geborgen und versorgt werden. Isoliertes bekommt einen Platz. Mit den Händen etwas tun, schöpferisch tätig zu sein, zu gestalten und zu verändern, Formen zu finden, heißt auch, das Eigene
wiederzufinden und in Kontakt zu sein mit dem durch die Traumatisierung unbeschädigten Bereich des Selbst.“ 2 In manchen Fällen kann die Stabilisierungsphase ausreichend sein. Nicht immer ist eine Traumakonfrontation notwendig.
Explorationsphase (Traumakonfrontation) Eine Traumakonfrontation, das heißt die Auseinandersetzung mit dem belastenden Erlebten, ist in der de’ignis-Fachklinik im Einzelsetting möglich. Außerdem sollten die Patienten zusätzlich therapeutisch begleitet und gut angebunden sein. Die gestalterische Auseinandersetzung mit traumatischen Erinnerungen oder mit bedürftigen, verletzten kindlichen Anteilen (Nachversorgung) bedarf eines geschützten Rahmens. Ebenso die Arbeit mit inneren Aggressoren (Täterintrojektionen) oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körpererleben, Schmerzen oder unangenehmen Emotionen (Ekel, Scham, Schuld).
Integrationsphase In der Integrationsphase sind die Trauerarbeit und die Neuorientierung in eine hoffnungsvolle, zuversichtliche Zukunft der gestalterische Schwerpunkt. Der innere Frieden und die Akzeptanz, bei gleichzeitiger Benennung des Erlebten und Einordnung in die eigene Biographie sind in dieser Phase wichtig. Dabei werden die Bewältigungsstrategien und der therapeutische Weg , der zurückgelegt wurde, gewürdigt. Außerdem werden wiedererlangte oder erworbene Ressourcen gefestigt. Die verschiedenen Phasen der kunsttherapeutischen Arbeit mit traumatisierten Patienten laufen nicht zwingend linear ab, sondern orientieren sich an den aktuellen Bedürfnissen der Person.
Fußnoten 1 Gromes, 2008, aus Kunsttherapie bei psychosomatischen Störungen, S. 94 2 ebd.
Literatur • Trautmann-Voigt, S., Voigt, B. (2007). Körper und Kunst in der Psychotraumatologie – Methodenintegrative Therapie. Stuttgart: Schattauer Verlag. • Von Spreti, F., Martius, P., Förstl, H. (Hrsg.) (2005). Kunsttherapie bei psychischen Störungen. München: Urban & Fischer Verlag. • Martius, Ph., von Spreti, F., Henningsen, P. (2008). Kunsttherapie bei psychosomatischen Störungen. München: Urban & Fischer Verlag. Autorin Jana Schwarz ist Ergotherapeutin im de’ignisGesundheitszentrum in Egenhausen.