Na r zissmu s Ab wann wird Narzissmus zum Problem? Wie kann man ihm begegnen? Welche Möglichkeiten zur Behandlung gibt es? – Nr. 61
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de’ignis-Wohnheim gGmbH • Fred-Hahn-Straße 30 - 32 • 72514 Engelswies Telefon 07575 92507-0 • Fax 07575 92507-30 • wohnheim@deignis.de
L ie b e L eserinnen und L eser
Wir lesen in der Bibel im Markusevangelium 12, 29–31 folgende Worte: „Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. (5. Mose 6,4 –5) Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (3. Mose 19,18) Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ Man spricht hier auch vom Doppelgebot der Liebe. Letzteres, sich selbst zu lieben, ist ein wichtiger Aspekt. Doch was geschieht, wenn die Selbstliebe aus den Fugen gerät? Wenn sie überhandnimmt oder sich extrem entwickelt. Hier wird mitunter von Narzissmus oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gesprochen. Menschen, die dies betrifft, haben ein sehr starkes Bedürfnis nach Akzeptanz und tiefer Bewunderung ihrer selbst, mit zum Teil schwierigen Beziehungen und ein Mangel an Empathie für andere.
Titelbild: Alp Peker; Illustration Editorial: Antonio Rodriguez / Adobe Stock
Die Auswirkungen von Narzissmus im Alltag sind oftmals immens. Angefangen von Problemen in Beziehungen, Arbeit, Schule oder finanziellen Angelegenheiten (Seite 08). Die gesellschaftliche Entwicklung und die damit einhergehende Entwicklung psychischer Erkrankungen bildet sich durch den digitalen Wandel auch in der virtuellen Welt immer mehr ab. So gibt es zum Thema Narzissmus in sozialen Medien, die mitunter zur Kultvierung von Selbstbezogenheit in der Gesellschaft beitragen, vermehrt interessante Studien (Seite 42). Aber nicht nur in sozialen Medien, sondern bei sozialen Kontaktpunkten an sich, wie beispielsweise auch im Gemeindekontext, begegnet man Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus, mit denen umzugehen gelernt sein will (Seite 20). Besonders herausfordernd stellen sich narzisstische Persönlichkeitsstörungen in Partnerschaften dar (Seite 22). Hinter dem vermeintlich starken Selbstbewusstsein eines narzisstischen Menschen liegt ein in sich brüchiger
Selbstwert, der bei kleinster Kritik stark verletzt wird und somit die Partnerschaft unter anderem auf die Probe stellen kann. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung lässt sich mittels Psychotherapie behandeln. Interessante Ansätze gibt es hier unter anderem im Bereich der systemischen Therapie (Seite 52). Bei der Behandlung von narzisstisch strukturierten oder narzisstisch gestörten Menschen gibt es verschiedene therapeutische Beziehungsaspekte zu beachten (Seite 28). Zum einen auch die Prüfung der helfenden Position selbst, ob narzisstische Züge vorhanden sind, sprich an bewährten Behandlungspfaden festgehalten wird oder auf den Hilfesuchenden, den psychisch erkrankten Menschen, individuell eingegangen wird (Seite 36). Neben psychotherapeutischen Behandlungsansätzen für ein gesundes Selbstbild, finden wir in der Bibel viele Beispiele zu einem Selbstkonzept, wie der Mensch in der Beziehung zu sich selbst leben sollte, um narzisstischen Persönlichkeitszügen präventiv zu begegnen. Am Beispiel vom „Vaterunser“- Gebet wird deutlich, wie dieses als Gegenpol zur Selbstbezogenheit und übersteigerten Selbstliebe gesehen werden kann (Seite 14). Interessante Erfahrungsberichte aus unserem klinischen Alltag geben Ihnen einen zusätzlichen Einblick zu unserem spannenden Schwerpunktthema. Darüber hinaus erhalten Sie wie gewohnt aktuelle Informationen zu den einzelnen Einrichtungen von de’ignis. Wir freuen uns, wenn Sie unser Engagement zur psychischen Gesundheit auf christlicher Basis für Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen. Insbesondere die weitere Entwicklung unserer Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien möchten wir hervorheben. Auch suchen wir für den wachsenden Behandlungsbedarf psychischer Erkrankungen Verstärkung für unser Team. Wir wünschen Ihnen wertvolle Impulse und viel Freude beim Lesen.
Ihre Heraus g eb er
S eb a stian Har tmann
Geschäftsleitung, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut
Claus J. Har tmann
Geschäftsführer, de’ignis-Fachklinik und de’ignis-Institut
Ed itoria l
Winfrie d Ha hn
Geschäftsführender Heimleiter, Sozialtherapeutisches Zentrum de’ignis-Wohnheim, Vorstandsvorsitzender de’ignis -Stiftung Polen
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Herausgeber: de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23, 72227 Egenhausen Telefon: +49 (0) 7453 9391- 0 Fax: +49 (0) 7453 9391-193 E-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE50 6426 1853 0062 1680 02 de’ignis -Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30, 72514 Engelswies Telefon: +49 (0) 7575 9250 - 70 Fax: +49 (0) 7575 9250 - 730 E-Mail: wohnheim@deignis.de Sparkasse Pfullendorf -Meßkirch IBAN: DE46 6905 1620 0000 1053 38 Redaktion: Winfried Hahn, Claus J. Hartmann, Sebastian Hartmann, Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig, Maike Prolingheuer, PD Dr. med. Herbert Scheiblich Art Direktion: Yil & Mann, mail@ynm.studio Implementierung und Produktion: AD Dipl.-Ing. Rainer Haas, haas@ad-stuttgart.de Druck: F &W Druck- und Mediencenter GmbH Papier: Arctic Volume Highwhite (Umschlag), Amber Graphic matt (Inhalt) Auflage: 17.500 Die Herausgeber bemühen sich um eine gendergerechte Sprache. Haben sich die Autor*innen in Einzelfällen für die ausschließliche Benutzung der männlichen Form entschieden, sind die anderen Formen selbstverständlich ebenso damit gemeint.
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de’ig n is-ma g a z in – Impressum und Inhalt
Narzissmus 14
40
52
Impulse und Erfahrungen
Therapeutische Fachartikel
Therapieentwicklung und Forschung
06
26
44
Diesseits und Jenseits?
Umgang mit narzisstisch strukturierten und narzisstisch gestörten Menschen
Dankbarkeit
• Narzissmus – ein Konzept für das Rainer Oberbillig und PD Dr. med. Herbert Scheiblich
• Therapeutische Beziehungsaspekte im • Anspruchsdenken und Dr. med. Rolf Senst
Zur Diskussion von Prof. Dr. Romuald Jaworski
14
• „Unser Vater im Himmel …“
30
50
Rainer Oberbillig
• Systemische Therapie von
Rainer Oberbillig
20
Persönlichkeitsstörungen am Beispiel des Narzissmus Marika Rimkus
52
Kirchen und Gemeinden. Was sagt die Bibel dazu?
34
Klinische Studie: Wie der Vater, so der Partner … und so auch Gott?
Zur Diskussion von Winfried Hahn
Madlena Sutor und Prof. Dr. Heinz Rüddel
• Narzissmus in Gesellschaft,
•
• Therapeutischer Narzissmus
Jörg Berger
Martha Laimer
Aktuel l
22
• Narzissmus in Paarbeziehungen
• Bericht empirische Forschungstagung
40
• Psychologische Studien zum Thema Narzissmus in sozialen Medien
55
• Was hat sich entwickelt? Welche
Angebote gibt es? Berichte, Termine und Aktuelles von de’ignis
Maike Prolingheuer
Fachklinik, Institut, Wohnheim und Stifung
05
Narzissmus – ein Konzept für das Diesseits und Jenseits? Von PD Dr. med. Herbert Scheiblich und Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig
de’ig n is-ma g a z in – Impulse und Erfahrungen
Beschreibung des Problems • Der Begriff Narzissmus (korrekter: Narzis-
sismus) steht umgangssprachlich für viele Inhalte. Am meisten wird er verwendet für Selbstverliebtheit oder Selbstbewunderung eines Menschen, der sich wichtiger und wertvoller einschätzt als die Umwelt ihn selbst charakterisiert. Der Begriff Narzisst an sich ist ein Werturteil und ein Stigma, der in vielfältigen Deutungen verwendet wird – besonders im Zusammenhang für Menschen, die aufgrund ihres Narzissmus sich destruktiv gegenüber ihrer Umwelt verhalten. Das Paradebeispiel ist der – nach den Worten seiner Anhänger „wiedergewählte, aber nicht ins Amt gesetzte“ – ehemalige Präsident der USA Donald Trump. Über ihn gibt es nachstehende Anekdote: Ein Reporter fragt, ob er sich für Gott halte. Trump antwortete, das tue er beileibe nicht, aber er sei der „Chef von Gott“. Diese Gesprächssequenz zeigt eine bedeutsame Seite des Narzissmus: Grandiosität! 1
Problem gestörter Liebesbeziehungen: zu sich und dem anderen nach Matth. 22,39. Die Grandiosität beschreibt die Beziehung zu Gott. Aufgrund der mangelhaften Fähigkeit zu Lieben ersetzt der Narzisst seine Bedürftigkeit gegenüber Gott durch eine Selbsterhöhung und Selbstliebe. Er macht sich Gott ähnlich, was sich auch in der Kommunikation äußert.
Er meint damit nichts Religiöses, sondern „tiefes Wahres“.
Entwicklung der psychoanalytischen Theorie des Narzissmus
Extrakt dieses theoretischen Exkurses:
Bild: Syda Productions / photocase.de
Der Narzissmus ist etymologisch aus der griechischen Mythologie entnommen und wurde von Freud in die Frühgeschichte der Psychoanalyse eingeführt. Sein NarzissmusBegriff sah den Narzissmus als psychotische Form und unterschied einen „primären“ und „sekundären“ Narzissmus. Der primäre Narzissmus kommt vermutlich in der frühen oralen Phase der psychischen Entwicklung des Kindes vor. Der sekundäre Narzissmus entwickelt sich in einer späteren Lebensphase, auf dem Hintergrund von enttäuschter Liebe mit starken Selbstkränkungen etc., Die Kommunikation von Narzissten ist zur nicht geglückten pathologischen Form. gekennzeichnet von Manipulation, um möglichst viel Aufmerksamkeit, Zuwendung usw. C.G. Jung korrigierte in seiner analytischen zu bekommen. Der narzisstische Mensch Psychologie erheblich die Auffassung von meint, fühlt und denkt, er habe nicht genug Narzissmus als einen „intrauterinen UrzuLiebe bekommen. Er fordert sie daher hef- stand der symbiotischen Verschmelzung“ tigst von der Umwelt ein. („Sein in der Einheitswirklichkeit“). Er sieht das Verlassen dieses Paradieses durch Liebe ist der Schlüsselbegriff zur Beschrei- die Geburt als Startpunkt des Selbst/Ich bung der tiefen Sehnsucht des Narzissten. an. Der Mensch verliert die Verbindung zum „Absolut Höchsten“. Die Suche nach Die Beschreibungen des Narzissmus in den dem eigentlichen Selbst/Sein ist für C.G. verschiedenen psychotherapeutischen The- Jung eine religiöse Erfahrung, die absolut ist orien sind vage und widersprüchlich. Um und über die man nicht diskutieren kann. diesen Irrgarten schnell zu verlassen, ist die Definition des Narzissmus von E. Fromm Die Sichtweise der religiösen Komponente 1956 nützlich. Er beschreibt die Kunst des des Narzissmus vertieften spätere PsychoLiebens: „Die Liebe zu den anderen und die analytiker wie M. Serres, M. Parson und Liebe zu uns selbst stellen keine Alternativen D. Winnicott. Letzterer sieht im Konflikt dar, ganz im Gegenteil wird man bei allen, zwischen Wissenschaft und Glauben – also die fähig sind, andere zu lieben, beobachten zwischen objektiver und subjektiver Realikönnen, dass sie auch sich selbst lieben.“ – und tät – die Möglichkeit der Annahme eines unterscheidet die Selbstliebe als produktive dritten Standpunktes: eines „ÜbergangsForm des Narzissmus von der Selbstsucht, raums“. Die Realität existiert nur durch die mit ihrer Steigerung zum Selbsthass, als Entstehung einer subjektiven Erfahrung. destruktiven Narzissmus. Nach ihm hat jede Person etwas Heiliges in Im Wesenskern ist der Narzissmus ein ihrem Zentrum, das bewahrt werden muss.
07
Das Verhältnis von Selbst zu Selbstkonzept kann mit einem Bild beschrieben werden: Das Selbst ist das Gefäß, sein Inhalt ist das Selbstkonzept. Eine besondere Form des Inhalts (des Selbstkonzeptes) ist der Narzissmus.
• Psychogenetisch ist ein gesunder Narzissmus als notwendige Entwicklungsstufe und allgegenwärtiges Phänomen für die Psyche des Menschen unbedingt erforderlich. Er unterscheidet sich vom pathologischen Narzissmus unter anderem durch ein stabileres Selbstwertgefühl. • Der Narzissmus hat eine Doppelrichtung zwischen religiöser Erfahrung und weltlichem (Trieb-)leben. Ersteres ist ein Sehnen nach dem Eintauchen in die Entwicklungsstufe des primären Narzissmus als Erinnerung an das Absolute und das dahinterliegende Göttliche Introjekt als Abbild des Erlebten. Die andere „Strömung“ ist die Absicherung des Selbst im Hier und Heute durch pathologische Mechanismen. Betrachtungen über das „Selbst“ und das „Selbstkonzept“
Die psychoanalytische Sicht des „Selbst“ 2 wird ergänzt durch eine phänomenologische Sicht, die auf ein humanistisches Menschenbild zurückgeht. Der Antrieb der Persönlichkeit liegt in diesem Verständnis in positiven Bedürfnissen, sich anzupassen, zu lernen und zu wachsen. Nach Carl Rogers verfolgt jeder Mensch wissentlich oder unwissentlich das Ziel, sich selbst zu finden, sozusagen, sich selbst zu werden. Wichtige positive Merkmale auf diesem Weg sind Motivation, Liebe, Wertschätzung und Selbstverwirklichung. William James, einer der Begründer der Forschung zum „Selbstkonzept“ unterscheidet: Ich betrachte mich selbst als erkennendes Subjekt, meine Erfahrungen mit mir selbst in meinen persönlichen Eigenschaften, Kompetenzen, Stärken und Schwächen, Interessen, Gefühlen und Verhalten. Alles,
was ich als zu mir selbst gehörend betrachte, wird aus meinen Erfahrungen mit anderen und anderen mit mir selbst bewertet, wird zu meinem „Selbstkonzept“ verdichtet: als ein Entwurf alles dessen, was zu mir gehört. Im Laufe seines Lebens strebt jeder Mensch aus phänomenologischer Sicht danach, eine Kongruenz zwischen seinem „Selbstkonzept“ und dem gegenwärtigen Erleben aufrechtzuerhalten. Das innewohnende Potenzial soll jeweils aktuell zur Entfaltung gebracht werden! Allerdings ist das „Selbstkonzept“ einer Person ein wertendes Bild von sich selbst, ein Konstrukt, das nicht zwangsläufig mit der Realität übereinstimmt. Nach Rogers tendiert das Individuum dazu, die Diskrepanz zwischen Real- und IdealSelbst möglichst gering zu halten: Im Falle des Narzissmus gelingt die Überwindung der Diskrepanz allerdings nur im „Verschmelzen“ zwischen überhöhtem Anspruch (unrealistisches oder entfremdetes Selbst) und Ideal-Selbst (angenommene Rollenperformanz). Die zwangsläufig auftretende Dissonanz in der Psychodynamik zwischen äußerem Schein und innerem Sein wird verleugnet. Kurzgefasst: Das Alltagsverständnis von Narzissmus
Was prägt das Selbstverständnis, das Selbstbild oder Selbstkonzept eines Menschen mit einer narzisstischen Färbung seiner Persönlichkeit? Wie wird sein Narzissmus in
seinen verschiedenen Facetten von andern wahrgenommen? Wie alltäglich begegnet uns Narzissmus, bei uns selbst oder in unserem Umfeld? Reinhard Haller, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie beschreibt das Phänomen eindrücklich: „Narzissmus gibt es in vielfältiger Gestalt, unterschiedlichster Ausprägung und in vielen Funktionen. Er ist schön und hässlich, aufdringlich und bescheiden, verheißungsvoll und gefährlich, faszinierend und abstoßend. Ein Stück weit bleibt er immer geheimnisvoll. In bekömmlichem Maß ist er Nahrung für das Ich und fördert den gesunden Selbstwert. In verdünnter Form macht er sich im Umfeld, in der Familie und am Arbeitsplatz breit. Wenn er krankhaft wird, gehört er zu den am schwersten zu behandelnden Störungen und treibt meist auch die Therapeuten zur Verzweiflung [...] Narzisstisches Verhalten reicht vom Gefühl eigener Grandiosität bis zum brüchigen Selbstwert, von der Fantasie grenzenloser Macht bis zur kaltherzigen Entwertung der Mitmenschen, von unersättlicher Anspruchshaltung bis zu masochistischer Demut. [...] Narzissmus begleitet den Menschen von seinem ersten Schrei bis zum ‚Brechen seines Auges‘. Er ist die Grundlage unserer Selbstbehauptung und der Boden, auf dem sich unsere Machtbedürfnisse entwickeln. Im steten Streben, besser und großartiger als die anderen zu sein, liegt die Wurzel von Leistung und Kreativität, von Gier und Macht. Beseelt vom
Wunsch, voranzukommen und den anderen überlegen zu sein: immer besser, immer stärker, immer wichtiger.“ 4 Was ist also Narzissmus?
Narzissmus setzt sich aus vier Komponenten zusammen: • Egozentrizität, sprich Selbstbezogenheit und Überzeugung von der eigenen Grandiosität • Empfindlichkeit und Verletzlichkeit • Empathiemangel, kaum Einfühlungsvermögen in die Mitmenschen • Tendenz zur Entwertung anderer Der pathologische Narzissmus ist als ein Spektrum zwischen den Polen der Grandiosität und Vulnerabilität des Selbstwerts zu sehen. (Abb. 1) Der ausschlaggebende Unterschied zwischen gesundem und pathologischem Narzissmus ist aus sozial-kognitiver Perspektive der Glaube über sich selbst, die Menschen und Gott: narzisstische Sicht versus Selbstwert. (Abb. 2) Daher entsteht das Modell des pathologischen Narzissmus (Abb. 3) mit darunterliegender Psychodynamik (Abb. 4) . Über die Ursachen und Auswirkungen des pathologischen Narzissmus
Der pathologische Narzissmus hat eine Zwiespältigkeit zwischen anziehend und faszinierend versus abstoßend und verstörend.
Sp ektr um Nar z i ssmusmo del l
Grandiosität
Selbstwert Selbstachtung Selbstwahrnehmung
S el bst
Abb. 1
de’ig n is-ma g a z in – Impulse und Erfahrungen
Vulnerabilität
Untersch ie d Glaub ensidom NARZISSMUS
SELBSTWERT
Ich b in üb erle g en Ich will dich beherrschen
Ich wünsche besser zu werden
Ich b in sch le cht
Dein Fehler ist mein Sieg
D u b ist sch le cht Wir arbeiten zusammen damit unsere Wünsche erfüllt werden
D u b ist m inder wer tig
Abb. 2
Mo del lp atho lo g ischer Nar z issmus Narzisstische Bewunderung
Narzisstische Rivalität
reprä sentative Asp ekte Externa l isier ung
Fe in d l i c h e Asp e kte
Grand ioser Nar z issmus
Neurotische Asp ekte Vu lnerab ler Nar z i ssmus
Abb. 3
Bindung sstör ung in der fr ü hen Kind heit Einfach formuliert, sieht der Narzisst vor lauter Narzissmus seinen eigenen Narzissmus nicht mehr. Die Störung beginnt mit mangelnder Spiegelung während der positiven Phase des primären Narzissmus. Das Kind versucht gesehen, verstanden, ernst genommen und geborgen zu sein. Es erlebt eine Enttäuschung durch unzureichende Antwort von Seiten der Mutter. Die Kommun ikation Sie ist im Grunde eine religiöse Suche: • Die Suche nach Beachtung und Sein.
Der tiefe Wunsch ist, gesehen zu werden als der man ist, und nicht als der, der man sein soll (geliebt sein wollen). • Ein Streben nach einem Idealbild durch Idealisierung und Entwertung des anderen (perfekt sein wollen). • Schutz vor Kränkung und Kritik durch Selbstwertverletzung anderer (sicher sein wollen). • Beziehungsdilemma Nähe: Verschmelzung versus Distanz bzw. Verlassenheit (geborgen sein wollen). • „Expanded Self “: Macht und Unterwerfung anderer (allmächtig sein wollen).
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Empirische Forschung
Das Fünf-Faktoren-Modell von Allport ergab valide Unterschiede des Narzissmus von anderen Persönlichkeitsstrukturen bei den Merkmalen: Verträglichkeit, Extraversion und Neurotizismus. Es konnte auch ein Unterschied zwischen grandiosem und verletzlichem Narzissmus sowie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung unterschieden und beschrieben werden. Nach weiteren Erforschungen ist Narzissmus vor allem eine Frage des Alters: Menschen zwischen dem 18. und 29. Lebensjahr neigen besonders stark zum Narzissmus, der sich im Alter abschwächt.
In verhaltensgenetischen Analysen wurde festgestellt, dass der pathologische Narzissmus eine Erblichkeit von 56 Prozent hat. Es liegen auch Hinweise vor, dass die Vorstellung der Eltern, ihre Kinder seien besser, anspruchsberechtigter und spezieller als die anderen Kinder (Überbewertung) ebenso wie ein inkonsequenter, widersprüchlicher Erziehungsstil, die Häufigkeit des pathologischen Narzissmus begünstigen. Sozialpsychologie
Besonders die Frankfurter Schule um Adorno etc. verband psychoanalytisches Denken mit Kritik an Kultur/Gesellschaft und führte zu einer Neubewertung des Narzissmus. Er wurde als Alternative zum Leistungsprinzip althergebrachter Gesellschaften gesehen und als Entwurf für eine greifbare Utopie einer von Repression befreiten Gesellschaft. Der Sozialphilosoph E. Fromm entwickelte das Konzept des Gruppennarzissmus und sah ihn als Grundlage für Patriotismus, Fanatismus, Nationalismus und Faschismus.
Ein Widerhall dieses Konzeptes fand sich in den Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen politischer Orientierung und dem Narzissmus einer Person. Unter den Wählern der AfD finden sich die höchsten Narzissmus-Werte ebenso wie bei der Linkspartei, die geringsten bei der SPD und FDP. Sozialtheologische Verknüpfungen
Der Gruppen-Narzissmus bedeutet die Übertragung des eigenen Narzissmus • auf e in e s oz i a l e G r upp e : Durch Appelle an narzisstische Vorurteile und die Grandiosität wird die Solidarität und der innere Zusammenhalt der Gruppe gefördert, die dadurch gleichzeitig der Manipulation zugänglicher ist. Bestimmte Sichtweisen werden von vielen Mitgliedern geteilt und dadurch ergibt sich der Anschein eines vernünftigen Werturteils. Es ermöglicht Fantasien in scheinbare Realität umzusetzen und die Mitglieder der Gruppe entwickeln ein Elite-Bewusstsein, das unterstützt durch eine starke Führungspersönlichkeit direkt in die Entwicklung einer Sekte führen kann.
• auf eine Kirche : theologischer Narzissmus. Eine narzisstische Kirche kreist nur noch um sich selbst, anstelle einer lebendigen Beziehung zur Umwelt und anderen Menschen. Sie zeigt eine Selbstbeweihräucherung und bloße Verwaltung des Glaubens. Der aktuelle Papst Franziskus sprach 2013 von einer „kurialen“ Krankheit. Im Kontext des Gruppen-Narzissmus mit narzisstischen Persönlichkeiten können „religiöse Führer“ hervortreten, die glauben, als Erwählte den Auftrag Gottes auszuführen und dadurch über andere Menschen zu herrschen. Sie maßen sich an, zu wissen, was Gott von Menschen und der Welt erwartet, und den Heilsplan Gottes zu verwirklichen. Religiöse Leiter mit einem offenen grandiosen Narzissmus haben eine hohe Sensibilität für Macht. Sie binden Mitarbeiter an sich und lassen sie aus Neid nicht hochkommen. Wenn der einzelne Mitarbeiter eigenständig zu werden oder sich zu trennen versucht, entwickelt der religiöse Leiter eine narzisstische Wut. Die Gemeinde spaltet sich in zwei Lager: die einen bejubeln ihn
Ps ycho dynam ik des Nar z issmus Repräsentativer Modus
Ja
Ich bin das Größte. Alle bewundern mich.
Erwartete Bewunderung vs. Ignoranz
Feindlicher Modus
Nein
Sie wollen mich besiegen. Ich muss mich verteidigen Ja
Ja
Wiederherstellung des narzisstischen Gefühls
Nein
Möglichkeit zur Vergeltung
Nein
Neurotisch-narzisstischer Modus Es ist unfair, aber hoffnungslos. Erwarte keinen Respekt von anderen.
Abb. 4
de’ig n is-ma g a z in – Impulse und Erfahrungen
Bild: Wayhome Studio / Adobe Stock
Menschen zwischen dem 18. und 29. Lebensjahr neigen besonders stark zum Narzissmus.
und sind von ihm begeistert. Sie fühlen sich durch ihn aufgewertet und idealisiert. Die anderen werden abgelehnt, enttäuscht und von ihm herabgewürdigt und entwertet. Die eine Gruppe kann die andere nicht mehr verstehen. Alle halten sich für die Guten und außerhalb der Gruppe sind die Schuldigen und Unbelehrbaren. Im gemeindlichen Kontext ist echte Buße für Narzissten eher ein theoretisches Problem. Mit Konsequenzen kann man aufgrund ihrer relativ geringen Angsttoleranz nicht drohen. Auch der persönliche Umgang ist aufgrund der mangelhaften Selbstwahrnehmung sehr schwierig. Auf Kritik reagieren Narzissten mit Verärgerung oder mit Wut. Es werden Schuld- und Schamgefühle abgewehrt und auf andere übertragen. Schuld haben grundsätzlich immer die anderen.
Der Narzisst präsentiert sich bei Konflikten als das eigentliche Opfer. Die kritisierende Person wird als schwarzes Schaf dargestellt und als bedrohlich beschrieben. Die Konsequenzen sind verheerend, wie bei größeren Gemeinden in jüngster Vergangenheit beobachtet werden konnte. Auch Paulus erlebte öfters Spaltung in Gemeinden. Er bezog höchst aggressiv Stellung zu diesem Thema und plädiert dafür, den letzten Willen Jesu ( Joh. 17,21: „…, dass alle eins sind“), innerlich und äußerlich zu verwirklichen. Man erkennt an dieser Soziodynamik die Gefährlichkeit des pathologischen Narzissmus.
Spektrums ist der maligne Narzissmus, der keinerlei Moralität hat und keine Hemmungen, Menschen, die seinen Narzissmus stören, zu vernichten („dark triad“). In der Bibel wird dieser Typus als Mensch der letzten Zeit beschrieben. Theologische Positionierung des Narzissmus
Es ist hoffentlich keine Blasphemie, wenn wir als seine Ebenbilder Gott zum Vorbild nehmen und ihm nacheifern. Gott ist in dieser Relation als der „gute Ursprung eines gesunden Narzissmus“ zu betrachten. Somit hat der Narzissmus immer einen „divinen/ göttlichen“ Anteil. Dieser Aspekt bedeutet, Eschato lo g ische Asp ekte : dass göttlicher Narzissmus uns in die Lage Nar z issmus a ls Z eitg eist versetzt, Gott recht zu lieben. In dieser Eine besondere Form des Narzissmus- Liebesbeziehung überwinden wir unsere
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Selbstbezogenheit und lernen ausgeglichen zwischen Nächsten- und Selbstliebe zu leben.
enhe it
nd
mit:
Sozialer Mitwelt
„Selbsttranszendenz“
„Selbstverwirklichung“
Selbst
Abb. 5
ar
ch
es Selb
t
Natur und Welt
zisstis
Gott
konzep
Die Anderen
(soziale Beziehungen)
n
Selbst
Abb. 6
Se
Gott
Schöpfung
lb
stkonze pt
Aus biblischer Sicht kann Gottes Gnade Abhilfe schaffen, sofern der narzisstisch geprägte Mensch sich einem anderen „Spiegel“ aussetzt, den der Apostel Paulus so beschreibt: „Doch jedes Mal, wenn jemand sich dem Herrn zuwendet, wird die Decke entfernt. Dieser Herr aber ist der Geist, von dem wir gesprochen haben. Und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Ja, wir alle sehen mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit des Herrn. Wir sehen sie wie in einem Spiegel, und indem wir das Ebenbild des Herrn anschauen, wird unser ganzes Wesen so umgestaltet, dass wir ihm immer ähnlicher werden und immer mehr Anteil an seiner Herrlichkeit bekommen. Diese Umgestaltung ist das Werk des Herrn; sie ist das Werk seines Geistes.“ 5 Wir können versuchsweise diesen Prozess psychologisch beschreiben: Erweitert sich das Selbst um die transzendente Beziehung zu „Gott“, verringert sich die Distanz zum Idealselbst spirituell durch den Geist „Gottes“. Es findet eine Transformation statt in
Natur und Kosmos
st
Krankhafter Selbstbezug oder Selbstbespiegelung ist ein Kennzeichen des Narzissmus: Der Mensch ist sehr eingeschränkt, sich in andere einzufühlen oder neue Wahrnehmungen und abweichende Erfahrungen mit seinem Umfeld in das Selbstkonzept zu integrieren. Somit findet keine nennenswerte Selbstaktualisierung statt. Das Erleben eigener „Grandiosität“ als unbewusstes, verkapptes Ideal-Selbst muss aufrechterhalten werden. Auf der spirituellen Betrachtungsebene bleibt die Verbundenheit (siehe Abb. 5 nach Anton Bucher) immanent „stecken“: Es findet nur eine Selbstaufblähung statt, die immer mehr in Konflikt mit den „signifikant Anderen“, der sozialen Mitwelt gerät. Eine Selbsttranszendenz wird nur scheinbar innerhalb des Selbstkonzept erreicht: Das grandiose „Real“-Selbst tendiert zur Verschmelzung mit dem Idealselbst. Statt wirklicher Spiritualität (Abb. 5 und Abb. 6) .
Ve r b u
Einem höheren geistigen Wesen
Selbsttranszendenz und Narzissmus: Eine spirituelle Perspektive
Inkarnation Jesus Christus
Selbst und die Anderen
Abb. 7
de’ig n is-ma g a z in – Impulse und Erfahrungen
Idealselbst
(Integration in Selbstkonzept)
ein anderes Selbst-Ideal, nämlich die Inkarnation von „Christus“ in mein Selbstkonzept: Die transzendente Gegenwart Gottes im Heiligen Geist wird transparent. Der Konflikt mit den wichtigen Nächsten, mit der Schöpfung verringert sich nach und nach. Das Selbstkonzept zeigt eine verstärkte Integrationsfähigkeit, eine zunehmend realistische Selbstakzeptanz, eine gesunde (nicht pathologisch entfremdete) Selbstliebe. Entscheidend in diesem Prozess ist das „Gottesbild“: Liebe, Annahme, Selbstwertgebend. (Abb. 7) Biblisches Konzept des Narzissmus
Theologisch ist das Konzept der Todsünden zum Verständnis hilfreich. Diese sind als Wurzelsünden anzusehen. Aus psychologischer Sicht stellen sie besondere Motivations- und Volitions-Strukturen6 der Psyche dar. Sie beschreiben prototypische Schemata, wie Menschen in Bezug auf Werte, Ethik und Moralität handeln. Der Narzissmus kann unter „Superbia“, Hochmut, subsumiert werden. Unter „Superbia“ versteht man ein Verhalten, das sich aus Anmaßung, Überheblichkeit und Arroganz zusammensetzt. Der Träger der „Superbia“ hat einen Habitus des Angebens, Prahlens, Wichtigtuns. Er kommuniziert durch eine Selbstüberschätzung, Überbewertung des eigenen Könnens und zielt auf eine soziale Distanz durch Arroganz. Es entsteht eine Selbstgerechtigkeit und die Anmaßung, über andere Menschen zu urteilen. Superbia basiert auf den biblischen Aussagen wie: • Sprüche 16,18: „Hochmut“ • Galater 6,3: „So aber jemand sich lässt dünken, er sei etwas, so ist er doch nichts; der betrügt sich selber …“
Die Psychotherapien zielen auf die Entwicklung eines autonomen Selbst mit einer stabilen Ich-Struktur. Dagegen ist das theologische Therapieziel, das eigene innerste Selbst als Gott-Introjekt wieder zu finden. Der Mensch mit einem pathologischen Narzissmus ist daher paradoxer Weise diesem Therapieziel näher als er denkt, hat aber auch die größten Widerstände.
Autoren
PD Dr. med. Herbert Scheiblich ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychotherapie. Er ist in eigener Praxis tätig, zudem ist er Mitglied der de’ignis-Institutsleitung. Rainer Oberbillig ist
Unter Einbezug der schon beschriebenen Dipl.-Psychologe, Pathologien in der Psyche und der Komapprobierter Psychotherapeut, ehemals munikation des Narzissten ergibt sich ein langjähriger Mitarbeiter in Bild der Hoffnungslosigkeit: Menschen mit der de’ignis-Fachklinik einem pathologischen Narzissmus finden und Mitgründer, jetzt i. R.; auf Honorarbasis in freier Praxissich selten in der Therapie wieder. Sind sie tätigkeit und am de’ignis-Institut dort angekommen, kann es zu einer trauengagiert. Doktorat-Studium am matischen Erfahrung für den Therapeuten Institut für Empirische Religionsforschung (IER), Uni Bern. werden. Wie schwierig und langwierig die Therapie mit diesen Menschen auch sein sollte, so gilt das Wort Jesu aus Lukas 18,27: „Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.“ Der Therapeut kann eingebettet in das Größenselbst des Patienten, als Satellit dienen: In dieser Funktion kann die Sicht Gottes über den Patienten (geliebtes Kind Gottes) in das Selbst des Patienten „eingebaut“ werden, gemäß Jesaja 55,8: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“. Therapie sollte ein Prozess sein, auf emotionaler Ebene Liebe zu erfahren und Verän- Fußnoten derung des „Selbstkonzepts“ von Hochmut 1 Grandiosität: Großartigkeit, Herausgehobenheit aus der Masse / Überlegenheit / Erhabenheit in Demut nach Galater 4,19: „dass Christus 2 Die Ausführungen sind angelehnt an die Bachein uns Gestalt gewinne […] Denn der Mensch lorarbeit von T. A. Kuehn: Das Selbstkonzept und ist nur etwas niedriger als Gott“. Psalm 8,6: seine Wirkung auf die Selbstwirksamkeit. Fresenius Hochschule, 2020 „Der Mensch ist nicht Gott, aber zu Gott Weiterführende Literatur zum Selbstkonzept: A. Lashin berufen.“ kowski: Was den Menschen antreibt. Entstehung und Beeinflussung des Selbstkonzepts. Campus Verlag, 2000 3 Nach T. A. Kuehn: Das Selbstkonzept und seine Wirkung auf die Selbstwirksamkeit. Fresenius Hochschule, 2020 4 R. Haller: Die Narzissmusfalle. Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis. In Auszügen: S. 21 ff; S. 40. EcoWin Verlag: Salzburg, 2013 5 2. Korinther 3,16 –18 (NGÜ): Paulus vergleicht hier eine Decke über den Augen derjenigen, die durch das Halten des mosaischen Gesetzes Gott selbstgerecht (narzisstisch?) nahe kommen wollen mit denen, die sich Christus als ihrem Herrn zuwenden. 6 Volition bezeichnet die bewusste, willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate (Ergebnisse) durch zielgerichtete Steuerung von Gedanken, Emotionen, Motiven und Handlungen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Volition_(Psychologie)
Dieser Vers zeigt das Dilemma des Narzissmus, die Herrschaft Gottes über das eigene Leben anzuerkennen. Der Mensch ist der Auffassung autonom entscheiden zu können und hat dabei seine eigene Mitte verloren. Er ist defizitär und steht im Zwiespalt sich selbst zu schützen, indem er sich keinem Kollektiv anschließt oder sich gegenüber Gott verweigert.
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„Unser Vater im Himmel …“ Im Beten nach dem „Vaterunser“ personale Grenzen der Selbstbezogenheit überschreiten: Meditationen. Von Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig
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[1] Meditation: Grenzen der Selbstbezogenheit sprengen im Vaterunser
In einem kürzlich erschienen Buch fand ich folgendes Zitat von Martin Buber: „Bei sich selbst beginnen, aber nicht bei sich enden, von sich ausgehen, aber nicht auf sich abzielen, sich erfassen, aber sich nicht mit sich befassen.“ 5 Die Erweiterung des Selbstreferenz-Rahmens – Ausgangspunkt bei mir selbst – um die transzendente Dimension geschieht unwillkürlich im Gebet zu Gott als Ausdruck unserer persönlichen Spiritualität. Im Gebet wie wir es bei Jesus selbst wahrnehmen können6 und wie er jeden, der in seine „Schule“ tritt, zu beten lehren will,
erfahren wir die Verbundenheit mit der allumfassenden Wirklichkeit Gottes: Die Offenbarung der Herrlichkeit, der Heiligkeit seines Namens will erbeten werden. Dafür tritt Jesus auch im Hohepriesterlichen Gebet ein, wenn er schließt mit den Worten: „Ich habe dich bei ihnen bekannt gemacht und werde es weiter tun. Dann bleibt die Liebe, mit der du mich geliebt hast, auch bei ihnen. Und so bleibe ich mit ihnen verbunden.“ 7 Wir lernen hier von Jesus selbst, wie personale Grenzen sprengendes Beten aussehen könnte: Es beginnt mit der Verbundenheit mit der Liebe des Vaters im Himmel, offenbart in der Person von Jesus Christus. In der Spiritualität des Gebets „Unser Vater im Himmel“ erleben wir eine umfassende Verbundenheit mit dem transzendenten, außerhalb unserer Grenzen existierenden „Gott“ 8. Wir treten spirituell in Kommunikation zu dem Abba-Vater und dem Sohn, mit unseren Nächsten, mit allen Gottsuchenden Menschen, mit uns selbst, mit der Schöpfung und dem irdischen Verhaftet-Sein.9 Diesen Aspekt sehen wir dargestellt in der Grafik aus dem Buch von Anton Bucher. (Abb. 1)
Um vom Bezugspunkt Gott aus das „Vaterunser“ beten zu können, hilft uns nach Romano Guardini die Suche nach einem „Eingang in das Gefüge dieser Sätze; einen
Einem höheren geistigen Wesen
enhe mit:
Natur und Kosmos
nd
it
chen christlichen Gebetszeiten sind wir nicht vor der Gefahr der fast ausschließlichen Selbstbezogenheit gefeit: Rasch geht es um mich selbst, um meine Anliegen oder Probleme, um Menschen aus meinem Umfeld, um meinen Auftrag im Reich Gottes. Natürlich erweitern wir auch dieses Spektrum des Betens um die Fürbitte für die ganze Welt, so wie wir denken was geschehen sollte. Auch eine mehr oder weniger unfruchtbare Ritualisierung des Gebetslebens findet statt, wenn wir nicht gegensteuern. Im Umfeld des irdischen Wirkens Jesu Christi waren wohl viele Gebete im Umlauf, zumeist aus der jüdischen Tradition, in den Synagogen als auch von diversen Rabbinen persönlich gelehrt. So wurden sich die Jünger Jesus bewusst, dass sie in der Beobachtung des sehr aktiven Gebetslebens von Jesus nichts Besseres wüssten, als Ihren Rabbi selbst zu bitten „Herr, lehre (du) uns beten! Wir wollen nicht beten, was die hebräische oder aramäische liturgische Tradition uns beigebracht hat; auch nicht, was wir bei den Pharisäern öffentlich zu hören bekommen oder das uferlose Herumplappern wie die Heiden nachahmen – wir wollen, dass du uns Herr selber beten beibringst.“ 2 Darauf geht Jesus ein, indem er die wohlbekannten Gebetsanliegen des „Vaterunser“ Gebets den Jüngern vermittelt. Wir können dieses als Gebetsgeländer oder „Meterstab des Gebets“ (Kirchenvater Johannes Chrysostomos) für die Menschen verstehen: „Er meinte damit, dass dem christlichen Beten hier die Richtschnur gegeben ist. All unser Beten müsse sich an diesem Gebet, das Jesus seine Jünger gelehrt hat, messen; all unser Beten müsse von diesem lernen. Nie könne unser Beten an diesem Gebet vorübergehen. Hier sei der Lernstoff, hier sei die Schule …“ 3 . Wenn wir persönlich in den Gedanken dieses Gebetes verweilen, erleben wir aus religionspsychologischer Sicht Selbsttranszendenz. Diesen Anspruch wollen wir in den folgenden Abschnitten untersuchen.
„Unser Abba Vater im Himmel, Dein Name möge geheiligt werden. Dein (König)Reich (in der Kraft des Heiligen Geistes) soll kommen. Dein Wille soll geschehen, wie im Himmel so auf Erden. Unser existenznotwendiges Brot gib uns heute für morgen. Und erlasse uns unsere Schulden/Schuldigkeiten, wie auch wir unseren Schuldnern verziehen/vergeben haben. Und lass uns nicht eintreten, lass uns nicht (zu) uns einlassen auf eine Versuchung/hineingeraten in Versuchung/Prüfung; Sondern erlöse uns /mach uns los von dem Bösen!“
Ve r b u
Prolegomena • In unseren persönlichen oder gemeinschaftli-
„Selbsttranszendenz“
„Selbstverwirklichung“
Selbst
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Eine mehr am griechischen Urtext orientierte Übersetzung könnte lauten:4 Abb. 1
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Sozialer Mitwelt
das Menschliche verwandelt.“ 15 (Transparenz) Himmel. Angesichts dieser kosmischen universalen Sphäre, in die das Gebet vordringt, [2] Meditation: Stationen der bleibt kein Raum mehr für „narzisstisch Selbsttranszendenz im Vaterunser gefärbten Anspruch auf Grandiosität“! Anatoli Uschomirski, ein messianischer Jude und Autor stellt fest: „Das Vaterunser bil- Insgesamt sechs der sieben Bitten nennt Jesus det das geistliche Zentrum der Bergpredigt. in seiner Lehre über das rechte Beten: die Warum stellt Matthäus gerade ein Gebet in ersten drei Bitten betreffen Gott, unseren die Mitte dieser Verse? Weil Gebet das ist, was gemeinsamen Vater selbst.18 Es geht allein uns mit dem Himmel verbindet!“ 16 um Abba, um ihn, um seinen Namen, nicht Indem Jesus uns lehrt zu beten, wie er selbst um uns; wir richten unsere Blicke auf ihn im Grundsatz von seinem himmlischen Vater im Dialog „dein Name – dein Reich – dein gelehrt wurde, nimmt er uns auch in seine Wille“. Beziehung zum Vater mit hinein: • „Dein Name möge geheiligt werden“ – • „Unser Abba Vater im Himmel“ – In In dieser Bitte oder diesem ausdrücklichen dieser Anrede wird der Blick sofort weg Wunsch an Gott, dass seine Vaterschaft als von mir selbst, aber auch weg von Jesus, etwas besonderes wahrgenommen werde, dem Menschensohn und Gottessohn, auf entfernt von jedem menschlichen Klischee, unseren und seinen Vater im Himmel gelegt. vertieft sich der betende Blick in die Vielfalt Als Konsens unter theologischen Fachleu- der Eigenschaften Gottes. Mit der Meditaten begann das ursprüngliche Vaterunser tion über die Namen „Gottes“ erfährt der Gebet wohl mit dem aramäischen Wort Beter die Zuwendung der Liebe des Vaters abba, allerdings in der jüdischen Gebets- in unterschiedlicher Wirkweise. Denkt man tradition eher vertraut mit den hebräischen z. B. an den Hirten in Psalm 23, wird unser Begriffen aw (Vater) oder awinu (unser Wunsch nach Fürsorge, Leitung und Schutz Vater) ausgedrückt. Abba gehört wohl thematisiert. Die Heiligung des offenbarten mehr zur aramäischen Alltagssprache der Namens Jahwe Roi ( Jahwe, mein Hirte) Jünger und von Jesus selbst, in der Familie bedeutet Absonderung von meinem offensieine vertraute Anrede des irdischen Vaters. ven Selbstanspruch, mein eigener Hirte sein Anatoli U. merkt weiter an: „Die Vorstellung zu wollen; es ist gleichbedeutend mit dem von Gott als einem liebenden Vater ist in der Zugeben, ich weiß oft nicht, was ich wirkHebräischen Bibel und in der rabbinischen lich brauche, wo ich Ruhe finde für meine Tradition wie auch in der jüdischen Litur- Seele, welcher Weg für mich der richtige ist. gie tief verwurzelt. [...] Doch der Gott der Aber du Vater weißt alle diese Dinge, du Bibel hat – aus unserer Sicht – nicht nur weißt was ich wirklich brauche, du kennst väterliche Züge sondern eben auch mütter- mich durch und durch … geheiligt werde liche. Die Metapher „Vater“ wird in der Bibel dein (Hirten) Name! und in der rabbinischen Tradition stets mit → Selbsttranszendenz tritt hier ein in der Nähe, Fürsorge, Barmherzigkeit und Liebe Beschäftigung mit den vielen Offenbarunassoziiert.“ 17 gen Gottes in der Heiligen Schrift, in seinen → Selbsttranszendenz beginnt schon in diversen Erweisungen seiner transzendenten dem Moment, wo der Beter oder die Bete- Wirklichkeit; dies beinhaltet auch persönrin sich ausrichtet auf einen Adressaten, der liche Glaubenserfahrungen oder spirituelle nicht zur eigenen begrenzten oder imma- Erlebnisse, die ich mit einem Namen vernenten Lebenswirklichkeit gehört. Bezie- binden kann mit der Antwort auf folgende hungserfahrungen mit dem irdischen Vater Frage: „Wie oft erleben Sie Situationen, in mögen unausweichlich übertragen werden; denen Sie das Gefühl haben, dass Gott oder doch Gott ist nicht wie ich ihn denke, ent- etwas Göttliches in ihr Leben eingreift?“ 19 Im spricht nicht meinem Gottesbild, ist der ganz Gebet des Vaterunser kann hier ein konkreandere, liebende Vater und Mutter in einer ter Name hinzugefügt werden, z. B.: „Gott, Person, in einer meine persönlichen Ver- der du mich aus meiner Verzweiflung wieder stehens-Grenzen sprengenden Dimension herausgeholt hast“.
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Bild: stm / photocase.de
Weg in ihre lebendige Mitte. Das soll uns die Bitte sein: ‚Dein Wille geschehe‘.“ 10 In seinen Betrachtungen über diese Bitte im „Vaterunser“ spricht R. Guardini von der „unendlichen Fülle“ des Willens Gottes: „Gottes Wille ist, was Er heilig im Sinn hat mit der Welt und mit uns. Sein ewiger Ratschluss, die Ersinnung seiner Weisheit, die Gewalt seines Ernstes, das Liebesverlangen seines Herzens.“ 11 Sich mit dem Willen Gottes verbünden, heißt sich mit dem Herzen Gottes verbinden im Wissen, „dass die Sorge, die er fühlt, nur ein Widerhall jener anderen, ersten Sorge ist, die im Herzen Gottes selbst lebt; [...] dass Gottes Wollen Lieben ist, und die Kraft mitbringt, welche die Erfüllung ermöglicht [...] Für den Willen Gottes kann der selbstherrliche Wille des Menschen nicht einstehen. Er ist ein Geheimnis, und dass er durch den Menschen vollbracht werden könne, ist Gnade.“ 12 Im Beten des „Vaterunser“, im Bitten, dass sein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden, entfaltet sich für uns das zentrale Gebot der Heiligen Schrift: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben und deinen Nächsten (so) wie dich selbst.“ Vergessen dürfen wir dabei nicht die Kraft der Liebe, die von dem Vater selbst in uns gelegt ist, also ihren Bestand in Gott hat: „Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Er hat seinen Sohn gesandt. Der hat unsere Schuld auf sich genommen und uns so mit Gott versöhnt.“ 13 Hierin, im meditierenden Beten über dem Willen Gottes, liegt die Befreiung, die Erlösung von der Selbstbezogenheit. Für eine „narzisstische Selbstbespiegelung“ als Ausdruck der Gefangenschaft in den Grenzen der eigenen Person bleibt kein Raum mehr. Das Gebet, wie Jesus es uns lehrt, eröffnet dagegen den weiten Raum der Fülle Gottes, bringt uns in Kontakt mit dem innewohnenden Christus: „Und wie lautet dieses Geheimnis? ‚Christus in euch – die Hoffnung auf Gottes Herrlichkeit‘!“ 14Leonardo Boff ergänzt: „Die Inkarnation ist nicht nur eines der zentralen Geheimnisse des christlichen Glaubens, sie eröffnet auch einen neuen Weg für das Verständnis der Wirklichkeit. [...] Das Menschliche ist der Ort, an dem sich das Göttliche verwirklicht, wobei das Göttliche
„In der Welt habt ihr Stress, aber Kopf hoch, ich habe die Welt überwunden, hinter mir gelassen.“
• „Dein (König)Reich soll kommen“ – Der Beter oder die Beterin betritt jetzt eine „politische Arena“: Der Blick geht vom Himmel auf die Erde, unsere mittelbare und unmittelbare Umgebung ; hier soll eine Verwandlung stattfinden, unserer Perspektive auf die Nachrichten, auf die Alltagsrealität: „In der Welt habt ihr ‚Stress‘, aber Kopf hoch, ich habe die Welt überwunden, hinter mir gelassen.“ 20 Wenn so gebetet wird, müssen wir uns vorstellen, dass im Einklang mit Jesus das Königreich Gottes nicht mit menschlichen, nationalistischen Maßstäben zu messen ist; es nicht durch menschliche Gewalttätigkeit oder Machtausübung kommen wird. Ein solches Königreich meine er nicht, erklärte er dem römischen Statthalter vor seiner Kreuzigung ( Joh 18,36).
Für Jesus ist das Königreich Gottes allumfassend, es ist schon da, aber noch nicht in ganzer Vollendung. Es ist zugleich Realität und ein Objekt des Verlangens, eine künftige Wirklichkeit, die der Vater zu seiner Zeit hervorbringen wird.21 → Selbsttranszendenz beginnt hier mit der Vision von einer besseren Welt, die nur durch die Kraft Gottes, mit der Gegenwart und dem Wirken des Heiligen Geistes in der Welt, in der Gemeinschaft mit anderen und in mir selbst realisiert werden kann. Wer mit dieser Bitte eins wird, kann nicht weiter ungestört in seinem „kleinen Königreich des narzisstischen Selbst“ verweilen. Er oder sie weiß sich betend ganzheitlich verbunden mit der universalen Schöpfung Gottes, die erneuert werden wird, von der Transzendenz Gottes ausgehend.
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• „Dein Wille soll geschehen, wie im Himmel so auf Erden“ – Eingangs zitierte ich R. Guardini, der von der „unendlichen Fülle des Willens Gottes“ schwärmte. Nach biblischem Selbstverständnis richtet sich Gottes guter, wohlgefälliger und vollkommener Wille nicht nur auf das spirituelle Wohlergehen, sondern auch umfassend auf das biologische, soziale und psychische gesundheitliche Wohlbefinden. Dazu richtet sich sein Wille aus seiner Menschenliebe heraus auf die Erlösung oder Befreiung des Menschen aus seiner Entfremdung von sich selbst, von der materiellen Schöpfung, von den Mitmenschen, von der eigenen Nation, von Gott. Sein Wille ist markiert im Namen, der Jesus gegeben werden sollte: Imm-anu-el, bedeutet Mit-uns-(ist)-Gott. Er ist nicht nur auf unserer Seite, er will bei uns sein jederzeit ob bewusst wahrgenommen oder verborgen, auch mitten im Leid. Sein Wille soll geschehen, mitten in unserer zerbrechlichen Lebensrealität, im stressigen Alltag wie in den Erholungszeiten, in Ungerechtigkeiten wie in Zeiten der „Windstille“. → Selbsttranszendenz – die Vorstellung von der allumfassenden Liebe Gottes bahnt einen Weg aus dem ängstlichen „narzisstischen“ Beharren, es muss nach meinen Vorstellungen und Selbst-Maßstäben gehen. Die universale psychologische Kränkung, dass ich nicht sein kann wie Gott, dass ich anfechtbar und verwundbar bin, nicht großartig, nicht besser als die andern kann überwunden werden. Bei dem tieferen Erfassen des guten Willens des liebenden Gottes, des Vaters im Himmel, kann ich meinen Willen in Gottes Willen aufgehen lassen, denn „Mit-uns-(ist)-Gott“, wir sind im Dialog, nicht in der Unterwerfung. Die Lehre des Gebets, der „Meterstab des Betens“ misst jetzt im Vaterunser den irdischen Bedürfnissen von Menschen ihre wahre Bedeutung zu. Wieder geht es nicht um mich selbst, sondern um dich und mich, um uns. Wir werden dadurch erinnert, dass wir Gemeinschaftswesen sind, abhängig voneinander, aufeinander bezogen, eine sogenannte Weltgemeinschaft im „politischen“ Sinn.
Dies spiegelt sich in der konsequenten Kommunikation der Bitten in der Wir-Form: Im Geist verbunden mit anderen Menschen, mit den Nächsten, treten wir vor unseren Vater im Himmel mit unseren lebensnotwendigen Anliegen. • „Unser existenznotwendiges Brot gib uns heute für morgen“ – Die Selbstbeschränkung auf das Existenznotwendige in dieser Bitte kann uns in der eigenen Reflektion helfen, das Notwendige vom Wünschenswerten zu trennen; Zufriedenheit zu erlangen. Heute schon kann ich alles erbitten, was ich morgen benötigen werde. Das tägliche „Brot“ ist die Grundnahrung im Orient immer gewesen. In der Bergpredigt ermahnt uns Jesus ergänzend, Gott für ein Dach über den Kopf ebenso zu vertrauen, wie für Bekleidung. Im übertragenen Sinne kann „Dach“ (Brot) auch meinen, ein Zuhause zu haben, Geborgenheit als Ausdruck des Willens Gottes (s. o.). Alles was ich für den Auftrag, was wir für unser Wirken auf Erden als Mitarbeiter Gottes, als Team an Ausrüstung benötigen, darf in diese Bitte einfließen. → Selbsttranszendenz: Eine interessante Variante der Bitte ergibt sich aus der genaueren und Sinn gemäßen Übersetzung aus dem griechischen Wortfeld: Bleibe in der Gegenwart und transzendiere die Zeitgebundenheit gleichzeitig, indem du dir heute schon das Morgen bittend vergegenwärtigst, nicht in Zukunftsphantasien dich verlierst! Im selben Atemzug – lehrt Jesus – erweitere deinen Horizont, dass du nicht alleine bedürftig bist, sondern alle Menschen in gleicher Weise alltägliche Hilfe benötigen. Aus Ängstlichkeit geborene, narzisstische Selbstliebe hat hier keinen Raum. Es gibt für alle genug, wenn wir von unserem Überfluss gegenseitig abgeben, ein wahrhaft „sozialistischer“ Impuls aus dem Vaterunser. • „Und erlasse uns unsere Schulden/ Schuldigkeiten, wie auch wir unseren Schuldnern verziehen/vergeben haben.“ – Alle Menschen sind Schuldner gegenüber der Transzendenz eines höheren geistigen Wesens oder eines personalen „Gottes“. Im Vaterunser wird diese Verfehlung noch einmal wesentlich persönlicher, handelt
es sich bei dem Angesprochenen doch um unseren liebenden Abba: Wenn wir das mit Papa/Papi gleichsetzen, verstehen wir besser worum es bei der Schuldigkeit gegenüber Gott, der Schöpfung, den Mitmenschen und last not least uns selbst geht: Wir gestehen den Mangel an Liebe ein, den Mangel an Ebenbildlichkeit Gottes. Umfassend unseren personalen Schuldnern, deren Vergehen oder Grenzüberschreitungen (bereits oder in der Absicht vorweggenommen) erlassen zu haben, scheint einen Vergleich mit der unfassbaren Großzügigkeit des Vaters im Himmel uns gegenüber erst erfahrbar zu machen. Klaus Berger, evangelischer Theologe, merkt hier an: „Innerhalb des Vaterunser gilt: Der Wille Gottes, der getan werden soll, ist nichts anderes als die Vergebung.“ 22 → Selbsttranszendenz: Absolut herausfordernd ist bei dieser Bitte die Anmutung, zuerst den andern vergeben zu haben, damit wir überhaupt die vierdimensionale Höhe, Tiefe, Länge und Breite der Vergebung und Gnade Gottes begreifen können. Ansonsten haben wir keinen spirituellen Vergleichsmaßstab für die immanenten Kosten und den psychodynamischen und psychosozialen Lohn der Vergebung. Gesprengt werden die Grenzen der Selbstgerechtigkeit; die transzendente Erfahrung besteht in der Erkenntnis, dass nur jemand wie der Vater im Himmel „eine höhere Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann“. • „Und lass uns nicht eintreten, lass uns nicht (zu) uns einlassen auf eine Versuchung/hineingeraten in Versuchung/Prüfung.“ – Im Gebet des Vaterunser finden wir hier einen echten Stolperstein: „Und führe uns nicht in Versuchung …“, wie es in der bekannten liturgischen Fassung des Gebets heißt, erweckt den Anschein, dass Gott aktiv in Versuchung führt. Das aktive Führen ist umstritten, denn Gott (ver-)führt niemand zum Bösen. Wörtlicher übersetzt müsste es lauten: „Und lass’uns nicht eintreten, lass’uns nicht (zu) uns einlassen auf eine Versuchung …“ – oder: „Und lass uns nicht hineingeraten in Versuchung/Prüfung, sondern erlöse/bewahre uns vor dem personalen Bösen (seinem unmittelbaren Zugriff in einer
Situation) oder dem Ausüben einer üblen Handlung.“ Jüdische Ausführungen und Gebete helfen uns, das Vaterunser besser zu verstehen: Jesus lehrt seine Nachfolger beten, dass sie von der bösen Herrschaft befreit werden, die einen Menschen beeinflussen und ihn in die berauschende Macht der Sünde bringen kann. (Siehe auch Jakobus 1,13 –14: „Gott versucht niemand zum Bösen, sondern …“) Die griechische Wortbedeutung von peirasmós ist gleich zu setzen mit Versuchung, Prüfung, Zerreißprobe, Verrat an Gott – in der Zusammenschau mit der ergänzenden Bitte „sondern erlöse uns/ mach uns los von dem Bösen!“ – erklärt die Verwendung in „Versuchung zum Bösen“, die niemals Gottes Wille sein kann! Dies wurde bereits früher herausgestellt. Im Hebräischen bedeutet nisajon „Prüfung“ oder „Test“: Die Prüfungen/Anfechtungen übernehmen sozusagen die Aufgabe der Erziehung durch Erfahrungen mit Gott. So plädiert auch der evangelische Theologe Klaus Berger für eine sinngemäße Übersetzung: „Bitte, lass uns nicht in Versuchung geraten, führe uns auf unserem Weg so, dass wir uns nicht darin verstricken, denn wir sind schwach; befreie uns vielmehr von dem Teufel, der versuchen kann und will.“ 23 Eine weitere Stimme zur Thematik der Prüfungen des Lebens: „Wenn Jesus seine Jünger diese Bitte lehrt, dann rechnet er schlicht und einfach mit ihrer Menschlichkeit. Helden hat er da jedenfalls nicht vor sich gehabt! Auch keine Glaubenshelden.“ 24 → Selbsttranszendenz: „Willkommen in der ‚Arena‘ der Antihelden“ – so könnte man die Selbsttranszendenz in der Verbundenheit mit allen Menschen illustrieren: In der individuellen prinzipiellen Verführbarkeit, in den existenziellen Erfahrungen auf die Probe gestellt zu werden, mit den eigenen Selbstansprüchen, in dem ohnmächtigen Erleiden von globalen Bedrohungen als Einzel-Person, in der spürbaren Wahrnehmung eines personal Bösen in der Welt. Größenphantasien über die Einzigartigkeit des eigenen Selbst verstummen angesichts der Wucht dieser abschließenden Bitte um Erlösung. Der Aufblick hin in die transzendente Wirklichkeit Gottes geht sehnsuchtsvoll über zur Anbetungshymne,
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„Unser Abba Vater im Himmel …“ dem später textlich eingefügten Schlussakkord des Vaterunser: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.
1. Wie oft verwenden Sie im privaten Gebet eher die Anrede „Unser Vater im Himmel?“ (1) Nie
Immer (10)
2. Wie oft wenden Sie sich in Ihrem privaten Gebet eher an Jesus?
[3] Meditation: Wie vertraut ist das Gebet „Unser Vater im Himmel“?
(1) Nie
(Abb. 1)
3. Wie oft wenden Sie sich in Ihrem privaten Gebet eher an den Heiligen Geist
Immer (10)
(1) Nie
Fußnoten Vorüberlegungen zum Thema Frei nach Lukas Evangelium 11,1– 4, in Zusammenschau mit Matthäus Evangelium 6,5 –15 3 In: H. Finze-Michaelsen: Vater Unser – Unser Vater. Entdeckungen im Gebet Jesu. S. 12 f. V & R Verlag, 2004 4 Diese Übersetzung beinhaltet bereits exegetische Einfügungen, als auch Varianten möglicher Wortbedeutungen aus dem Griechischen. 5 J. Berger, A. Rosenwink: Der Herzenskompass. Dein Weg zu Liebe, Freiheit und Vertrauen. Francke Verlag, 2020 6 „Jesus im Gebet“ wahrnehmen oder erkennen, das ist möglich, wenn wir die entsprechenden Schriftstellen (betend) lesen oder rezitieren. 7 Jesus betend für sich selbst, für seine Jünger, für alle, die an ihn glauben werden: Johannes 17,26 8 Gott ist hier Anführungszeichen gesetzt als Zeichen, dass es um das eigene Gottesbild geht; Gott wie wir ihn, jeder von uns persönlich, verstehen. 9 Spiritualität als Verbundenheit – In: A. Bucher: Psychologie der Spiritualität. S. 40. Beltz Verlag, 2014 10 R. Guardini: Das Gebet unseres Herrn. S. 12. Topos Taschenbücher, 2015 11 A.a.O.: S. 13 12 A.a.O.: S. 17 13 1. Johannes 4,10 14 Paulus im Brief an die Kolosser 1,27 15 L. Boff: Vater Unser. Das Gebet der Befreiung. S. 17 f. Grünewald Verlag, 2011 16 A. Uschomirski: Die Bergpredigt aus jüdischer Sicht. S. 144 ff. SCM Hänssler Verlag, 2020 17 A.a.O. 18 Gott ist der Vater aller Menschen, in dem Sinn, dass jede Vaterschaft nach seinem Namen benannt ist (Brief an die Epheser Kapitel 3) als auch in der Vorstellung der Schöpfung durch einen personalen Gott. 19 Prof. Stefan Huber bezeichnet „Religiöse DuErfahrungen“ als eine der Kerndimensionen der Religiosität. 20 Jesus in Johannes16,33 (eigene Übersetzung aus dem griechischen Urtext) 21 Siehe dazu auch das kompakte Büchlein von Frère John: Taize. Das Vaterunser beten. Evangelische Verlagsanstalt, 2017 22 K. Berger: Das Vater Unser mit Herz und Verstand beten. S. 124 –140. Herder Verlag, 2014 23 A.a.O.: S. 142 24 Finze-Michaelsen a.a.O. nennt verschiedene Dimensionen der menschlichen Anfechtungen. S. 107 ff 1 2
Immer (10)
4. Wie vertraut ist Ihnen die „Heiligung des Namens Gottes (des Vaters)“ im Gebet? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
5. Wie vertraut ist Ihnen die Thematik „Königreich Gottes“? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
6. Wie vertraut ist Ihnen der „Wille Gottes“ für Ihr privates Gebet? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
7. Wie vertraut ist Ihnen die Bitte um das „Existenznotwendige Brot“ heute für morgen? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
8. Wie vertraut ist Ihnen die Bitte um Vergebung Ihrer Verfehlungen im privaten Gebet? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
9. Wie vertraut ist Ihnen die Vergebung der Verschuldungen anderer an Ihnen in Ihrem Gebet? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
10. Wie vertraut ist Ihnen in Ihrem privaten Gebet die Bitte um „Bewahrung vor Versuchungen“? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
11. Wie vertraut ist Ihnen in Ihrem Gebet die Bitte um „Befreiung/Erlösung von dem Bösen“? (1) Gar nicht
Sehr stark (10)
Abb. 1
Autor
Rainer Oberbillig ist Dipl.-Psychologe, approbierter Psychotherapeut, ehemals langjähriger Mitarbeiter in der de’ignisFachklinik und Mitgründer, jetzt i. R.; auf Honorarbasis in freier Praxistätigkeit und am de’ignis-Institut engagiert. Doktorat-Studium am Institut für Empirische Religionsforschung (IER), Uni Bern.
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Narzissmus in Gesellschaft, Kirchen und Gemeinden Was sagt die Bibel dazu? Zur Diskussion von Winfried Hahn
Zur Diskussion: Hier werden Beiträge veröffentlicht, die nicht in allen Punkten der Meinung des Redaktionsteams entsprechen müssen.
Sind wir nicht alle ein bisschen • narzisstisch?
Narzissmus steht für Selbstbezogenheit, Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit und mangelnden Respekt vor den Bedürfnissen anderer Menschen. Wird jemand als Narzisst bezeichnet, hat dies jedoch etwas Stigmatisierendes. Auf uns selbst bezogen und bestrebt, die eigenen Interessen wahrzunehmen, sind wir jedoch alle. Somit gibt es den normalen alltäglichen Narzissmus, der sich im Rahmen der sogenannten Normalpathologie bewegt und der mehr oder weniger jedem Menschen zu eigen ist. Darüber hinaus gibt es jedoch eine Form von übersteigerter Selbstbezogenheit, die damit einhergeht, dass die eigenen Interessen so in den Vordergrund gestellt werden, dass das Einfühlungsvermögen für die Belange und Grenzen anderer Menschen verloren geht. Dabei entsteht die innere Handlungsmaxime: Gut ist alles, was mir nützt. Die Grenzen zwischen der alltäglichen selbstbezogenen Interessenwahrnehmung und pathologischen Verhaltensweisen sind fließend. Allerdings scheint die selbstbezogene Interessenwahrnehmung und Selbstdarstellung in Gesellschaft und Öffentlichkeit zuzunehmen und nimmt immer mehr narzisstische Züge an. Zurecht wurde der Werbeslogan „Geiz ist geil“ von verschiedenen Seiten kritisiert. Dennoch scheint er eine weitverbreitete Mentalität zum Ausdruck zu bringen, bei der persönliche Interessen
über das Gemeinwohl gestellt werden. Auch in den sozialen Medien wird die banale Selbstdarstellung von vielen so auf die Spitze getrieben, dass die Grenzen zur Peinlichkeit überschritten werden. Die Fähigkeit, eigene Interessen oder die Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppierungen zugunsten des Allgemeinwohls zurückzustellen, weicht einer zunehmenden Rücksichtslosigkeit bei der Durchsetzung von Partikularinteressen. Erschreckend ist auch die zunehmende Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, was sich in einer Zunahme von Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen gegenüber Personen des öffentlichen Lebens kundtut. Die Diffamierung andersdenkender Menschen findet aber nicht nur in den sozialen Medien statt, auch manche Kommentare in Funk, Fernsehen und Teilen der Presse wirken oft intolerant gegenüber solchen, die nicht dem gerade vorherrschenden Mainstream entsprechen. Persönliche Diffamierung und Engstirnigkeit scheinen in unserer vermeintlich toleranten Zeit eher zuzunehmen. Das bedeutet, der eigene Vorteil, die eigene Meinung, verbunden mit einem erhöhten Maß an Unduldsamkeit und Intoleranz, der Hang zur Selbstdarstellung prägen die Verhaltensweisen von immer mehr Menschen. Das rücksichtslose Vertreten von Partikularinteressen ist deshalb gefährlich, weil es zum Auseinandertriften von Staat und Gesellschaft führen kann. Entwicklungen in den USA scheinen diese Gefahr zu bestätigen.
Auch Kirchen und Gemeinden sind davon betroffen, dass Pastoren und Leiter stärker der Kritik und Angriffen von Gemeindegliedern ausgesetzt sind als früher. Andererseits ist auch bei ihnen die Tendenz zu beobachten, auf Kritik dünnhäutig und empfindlich zu reagieren, was Konflikten und Spaltungen Vorschub leistet.1 Ich glaube, dass es heute schwieriger geworden ist, Pfarrer, Pastor oder Leiter in einer Gemeinde zu sein als früher. So kann man in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens bis hinein in Kirchen und Gemeinden ein verändertes Klima, eine Tendenz zur Selbstbezogenheit und Intoleranz beobachten. Was aber sagt die Bibel zu selbstbezogenem, narzisstischem Verhalten und welchen Ausweg zeigt sie auf?
Wie im Eingangsartikel dieser Ausgabe Dr. Scheiblich und Rainer Oberbillig ausführen, entwickelt sich der pathologische Narzissmus häufig aus nicht in Erfüllung gegangener Lebensperspektiven und enttäuschten Erwartungen. Der innere Mangel aufgrund der Inkongruenz zwischen Ich-Ideal und Lebenswirklichkeit wird zum Nährboden übersteigerter Selbstbezogenheit. Man nimmt sich dann einfach, was das Leben einem bisher vorenthalten hat. Wie gesagt, wir alle sind bis zu einem gewissen Grad narzisstisch. Krankhaft im psychopathologischen Sinn wird es dann, wenn der mehr oder weniger bewusst empfundene Mangel eine Dynamik entwickelt, die das gesellschaftlich akzeptierte Maß an Egozentrismus übersteigt.
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Bild: Museumslandschaft Hessen Kassel
„Christus und Zachäus“ um 1750 von Emanuel Johann Karl Wohlhaupter
Wir alle gehören nach den Aussagen der Bibel zur gefallenen Schöpfung. Der Mensch hat seinen Ursprung und seine Berufung, in Gemeinschaft mit Gott zu leben, verloren, und leidet nach Paul Tillich unter einer dreifachen Entfremdung: der Entfremdung von Gott, von sich selbst und von seinen Mitmenschen.2 Aus dieser Gebrochenheit entwickeln sich Störungen bezüglich einer gesunden Identität und ein verzerrtes Selbstkonzept. Eine Folge davon ist die dem Menschen eigene Selbstbezogenheit bis hin zum pathologischen Narzissmus. Die neutestamentliche Botschaft zur Bewältigung dieser Verkrümmung ins eigene Selbst scheint ein Paradoxon zu sein: Der an seinen inneren Defiziten leidende Mensch, der durch Selbstbezogenheit versucht, diesen Mangel zu füllen, wird aufgefordert, seinen daraus resultierenden übersteigerten Selbsterhaltungstrieb aufzugeben und in Christus zu seiner ursprünglichen Berufung zurückzufinden: die Stillung seiner inneren Bedürfnisse in der Beziehung zu Gott. Deutlich wird dies in dem Ausspruch von Jesus: „Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren, wer es aber verliert um meinetwillen, wird es finden.“ (Matt. 16,25). Diese neutestamentliche Aussage hat weitreichende Folgen: Der Mensch wird von seiner Selbstbezogenheit und seinem inneren Mangel nicht durch übersteigerte Bedürfnisbefriedigung befreit, sondern durch die Preisgabe seiner narzisstischen Ansprüche im Vertrauen auf Gott. Dieser Ansatz ist gegenüber dem menschlichen Denken völlig konträr und damit überraschend. Die Botschaft lautet: Die Begegnung mit Christus ermutigt dich, deinen egoistischen Selbstverwirklichungstendenzen gleichsam mit Christus zu sterben, dann neues göttliches Leben zu empfangen, das zu einer neuen Identität, zur Christusidentität führt, von der im Galaterbrief 2,20 die Rede ist: „Nicht mehr ich bin es, der lebt, sondern Christus lebt in mir“. Die neutestamentliche Aussage, dass der Mensch seine psychische Gesundheit eben nicht in erster Linie in der Erfüllung seiner narzisstischen Bedürfnisse findet, sondern in einer durch Christus möglich gewordenen angstfreien Gottesbeziehung, ist ein
Geheimnis, das dem „gesunden Menschenverstand“ zu widersprechen scheint. Nicht Selbstverwirklichung als Kompensation von Mangelerfahrungen, sondern Hingabe an Christus ermöglicht einen heilenden Selbstfindungsprozess. Wer sich selbst mit seinen Sorgen, Nöten, Ängsten und unerfüllten Wünschen Christus hingibt, macht die erstaunliche, ja paradoxe Entdeckung, sich selbst zu finden. Die Hingabe an Christus macht starre Selbstkonzepte flexibel und befreit zu kreativer Lebensgestaltung. Im Laufe eines Entwicklungsprozesses verwandeln sich narzisstische Verhaltensmuster in Beziehungsfähigkeit und Empathiefähigkeit im Sinne von: selbstlos lieben können. Es ist ein Weg der Mut erfordert, geht es doch um den Verzicht auf bisherige Kompensationsstrategien (bzw. dysfunktionale Verhaltensschemata, wie es in der Schematherapie benannt wird). Dieser Entwicklungsprozess ist der Hauptaspekt neutestamentlicher Anthropologie und wird mit den Begriffen vom „alten“ und „neuen Menschen in Christus“ beschrieben. Auch wenn das Neue Testament von geistlicher und fleischlicher Gesinnung spricht, ist diese Veränderung unserer menschlichen Natur gemeint. Dieser geistliche Transformationsprozess ist ein wesentliches Merkmal der Spiritualität im Rahmen der Christlich-integrativen Psychotherapie wie sie bei de’ignis entwickelt wird. Wie war das noch bei Zachäus? Er wurde frei von Selbstbezogenheit, Kränkungen (er war kleinwüchsig) und Mangel durch die Begegnung mit Jesus. Und so fand dieser kleinwüchsige Mensch zu wahrer Größe (er verschenkte seinen Reichtum), indem durch die Begegnung mit Christus sein Mangel gestillt wurde. Wahrhaftig ein revolutionäres Selbstkonzept: Wer sein Streben nach narzisstischer Selbstverwirklichung aufgibt und sich Christus anvertraut, verliert sich nicht, sondern entdeckt sein eigentliches Selbst, seine Identität nach Gottes gutem Plan, den er für jeden Menschen hat. Es ist
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das Ende der Entfremdung des Menschen von seinem Ursprung, indem er Heimat findet in Gott, seinem Schöpfer. Dies führt in einen Veränderungsprozess, bei dem die Seele heil, also wieder gesund wird – eine wahrhaft göttliche Therapie Fußnoten 1 Vgl. hierzu: de’ignis-Magazin Nr. 39 (2010): Winfried Hahn: Narzissmus in Kirche und Gemeinde. 2 Vgl. hierzu: de’ignis-Magazin Nr. 50 (2015): Winfried Hahn: Einführung in die Anthropologie Christlich-integrativer Beratung und Therapie. Seite 33
Autor
Winfried Hahn ist Pastor und Pädagoge. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern studierte Pädagogik, war Pastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden und machte eine Ausbildung zum christlichen Therapeuten. Heute leitet er das de’ignis -Wohnheim – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung und ist Vorsitzender der de’ignisStiftung Polen. Er ist verantwortlich für den Fachbereich Theologie am de’ignisInstitut. Als Pastor im übergemeindlichen Dienst und Buchautor hält er Predigten, Vorträge und Seminare im In- und Ausland.
Narzissmus in Paarbeziehungen Narzissmus ist das Gegenteil von Liebe. Doch wie geraten Narzissten in eine Liebesbeziehung? Warum lassen sich Partner darauf ein? Und gibt es eine Rettung für die, die sich an einen Narzissten gebunden haben? Von Jörg Berger
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„Der Urlaub war furchtbar“, klagt Pia • und streicht sich eine Haarsträhne aus dem
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hübschen Gesicht. „Was? Euer superteurer, superexklusiver Urlaub auf Martinique? Wie kann der furchtbar gewesen sein?“, fragt Pias Freundin. „Vielleicht war ich nicht mit dem richtigen Menschen da.“ Pia schweigt nachdenklich. Auch die Freundin schweigt und sieht Pia fragend an. „Jeder Tag war demütigend. Wirklich jeder Tag. Du kannst es dir nicht vorstellen.“ In Erwartung von Tränen legt die Freundin ihre Hand auf Pias Arm. „Schon am ersten Tag hat er einer Bikinischönheit hinterhergestarrt. Ganz schamlos. Ich habe ihn angefahren: ,Ey!‘. Er hat nur gesagt: ,Schau ruhig auch mal hin. Wie sexy die geht. Du bist so steif in den Hüften und trippelst so. Wie eine Geisha. So sieht es aus, wenn man locker ist.‘ – Sag mal: Gehe ich wirklich so steif ?“ „Quatsch“, sagt die Freundin schnell und will gar nicht erst über Pias Gang nachdenken. „Max hat einfach sein Programm durchgezogen. Glaubst du, er hat ein einziges Mal gefragt, was mir Spaß machen würde? Er hat ein Hotel mit Tennisplatz ausgesucht, da war er oft. Da hat er die Leute beeindruckt mit seiner Art. Ständig kamen Einladungen, miteinander essen zu gehen oder zusammen einen Ausflug zu machen. Was ist mir anderes übrig geblieben? Ich bin halt mitgegangen. Aber kannst du dir das vorstellen? Da war kein einziger netter Mensch dabei. Nur oberflächliche Typen, selbst die Frauen. Es ging um Geld. Bescheuerte oder schlüpfrige Witze. Max hat Witze auf meine Kosten gemacht. Und entweder haben die anderen auch erzählt wie erfolgreich sie sind oder sie haben Max eine Bühne gegeben, auf der er zeigen konnte, wie toll und überlegen er ist. Ich habe mich keine Minute wohl gefühlt, wirklich.“ Die Freundin presst die Lippen zusammen und hört mit traurigen Augen zu. Pia weint nicht, wahrscheinlich hält man das nur aus, wenn man abstumpft. „Irgendwann habe ich mir gesagt: Pia, du machst es dir jetzt alleine schön, sonst wird das hier ein Alptraum. Dann bin ich lange alleine am Strand spazieren gegangen. Und
ich habe zwei Frauen kennengelernt, die wirklich nett waren.“ Doch an Pias Stimme ist zu hören, dass auch das nicht funktioniert hat. „Dann gab es Streit. Max hat mir Szenen gemacht, warum ich ständig weg bin. Er hat darauf bestanden, dass ich mit ihm etwas mache, wenn er es braucht. Ich hab’ dann versucht, dass es nicht so auffällt. Und hab die anderen Frauen getroffen, wenn er Tennisspielen war.“ „Ach, Pia, das tut mir so leid für dich. Das hast du nicht verdient.“ Die Freundin hält ihre Tasse in beiden Händen. Sie muss sich beruhigen und durchatmen. Sonst drängt sie Pia am Ende wieder zur Trennung. Aber das bringt nichts. Das steht ihr ja auch nicht zu. Als würde Pia die Gedanken ihrer Freundin erraten, sagt sie: „Manchmal frage ich mich, ob Max ein großer Fehler war.“ „Aber es hat so gut angefangen mit euch. Max ist doch sogar mit dir in die Kirche gegangen“, erinnert sich die Freundin. „Ich glaube, Max hat damals wirklich etwas gesucht. Er hat sogar zugegeben, wie leer er sich innerlich fühlt. Das hat mich berührt. Irgendwie dachte ich, dass mit mir etwas Neues in seinem Leben anfängt. Aber heute denke ich, er hat meine Freunde in der Kirche manipuliert: ,Ihr dürft mich bekehren, aber dafür müsst ihr mich umwerben und mich so nehmen, wie ich bin.‘ Christen machen das natürlich. Auch wenn sich Max aufgespielt hat oder verletzend war, hat eigentlich niemand etwas gesagt. Er war ja noch kein Christ und sollte erstmal Gottes bedingungslose Liebe kennenlernen. Als wir dann verheiratet waren, hat sich Max immer abschätziger geäußert, über meine Freunde, über die Menschen in der Gemeinde, besonders über den Pastor. Der Bruch kam aber erst, als ihn mal jemand konfrontiert hat. Er hat gesagt, dass er bei Max kein echtes Interesse an anderen Menschen spürt und schon gar keine Liebe für andere. Und dass Jesus uns von unserem egoistischen Ich befreien will. Das hat ins Schwarze getroffen, glaube ich. Max hat gar nicht viel dazu gesagt, er ist dann einfach nicht mehr hingegangen. Seitdem reagiert Max eifersüchtig auf meinen Glauben. Am liebsten hätte er, dass ich auch alles aufgebe. Er spottet sofort, wenn ich ihm etwas von meinem Glauben erzählen will.“
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Die Sehnsucht nach Heilung
Kein Narzisst geht ohne den Wunsch nach Heilung in eine Liebesbeziehung. Auch Max nicht. Als er sich in Pia verliebt hat, ist er zum ersten Mal aus seinem Ich herausgetreten und hat ein Wir erlebt. Er hat seine verletzbaren und liebesbedürftigen Seiten zeigen können, ohne beschämt zu werden. Ihr gegenüber hat er sich selbst großzügig und irgendwie menschlich erlebt. Es hätte der Beginn einer wunderschönen Geschichte werden können – einer Geschichte von emotionaler Heilung und von einem Erwachen echter Liebe. Deshalb dürfen wir Pia auch keine Naivität vorwerfen oder sie etwa beschuldigen: „Selbst Schuld. Du hast doch gewusst, worauf du dich einlässt.“ Nein, Pia hat es nicht gewusst, es hätte auch anders ausgehen können. Wenn ich Pia damals begleitet hätte, hätte ich ihr geraten: „Es gibt Warnzeichen. Sie wissen nicht, welche Seite von Max sich durchsetzen wird. Bauen Sie Ihre Liebesbeziehung lieber etwas langsamer auf. Sprechen Sie es an, wenn Max alte, narzisstische Verhaltensweisen zeigt und setzen Sie Grenzen. Sie dürfen nicht mehr Angst vor dem Scheitern der Beziehung haben als Max. Sonst werden Sie immer nachgeben und ausgleichen müssen. Auf diese Weise werden Sie erkennen, ob Max seinen Narzissmus überwinden kann.“ Aber wer kommt schon auf die Idee, seine Liebesbeziehung mit professioneller Unterstützung zu führen? Und was nützen solche Überlegungen, wenn es schon zu spät ist? Pia muss sich heute wie alle Partner von Narzissten drei Fragen stellen: Einer Gewissensfrage, einer Machtfrage und einer Herzensfrage. Die Gewissensfrage: „Darf ich zur Not auch gehen?“
Manche Fragen sind zu schwer für ein einzelnes Gewissen. Glaubende Menschen fühlen sich durch ihr Eheversprechen nicht nur gegenüber dem Partner gebunden. Auch ihre Treue gegenüber Gott steht auf dem Spiel. Betroffene wenden sich deshalb an ihren Pastor, Pfarrer oder an andere Verantwortliche ihrer Kirchengemeinde. Doch oft werden sie mit ihrer Not allein gelassen. Verantwortliche, die theologische Grenzfragen liberal handhaben, ziehen eine Scheidung
so selbstverständlich in Betracht, dass sich Betroffene mit ihrer Gewissensfrage nicht gehört fühlen. Verantwortliche in konservativen Gemeinden dagegen halten ihr Gewissen unbefleckt. Zwar höre ich fast nie, dass Betroffene gedrängt werden, in einer zerstörerischen Ehe zu bleiben. Doch es bleibt bei Verständnis und Gebeten. Eine befreiende Botschaft wird nicht ausgesprochen, denn die wäre: „Wir bleiben an deiner Seite, egal wie es ausgeht. Wenn du dich für eine Trennung entscheidest, dann tragen wir das moralisch und vor Gott mit.“ Von den Verantwortlichen, denen sie sich anvertraut haben, hören Betroffene nichts mehr. Sie bleiben mit der Gewissensnot allein. Oft distanzieren sich auch bibeltreue Freunde. Auch sie fürchten eine moralische Mitschuld, wenn sie einen Weg der Trennung und Scheidung mitgehen würden. Aus diesem Grund hat Max gewagt, seinen Narzissmus immer offener und rücksichtsloser auszuleben. Er weiß ja, dass Pias Gewissen bedingungslos an ihn gebunden ist. Vor der Heirat hätte Pia sein Verhalten so natürlich nicht geduldet. Bei Betroffenen, deren Gewissen nicht durch den Glauben gebunden ist, ist es manchmal das Wohl von Kindern, dass sie bedingungslos an den narzisstischen Partner bindet. Erst wenn Betroffene zu einer Gewissensfreiheit finden, finden Sie einen Weg, den sie mit ganzer Kraft und aus voller Überzeugung gehen können. Dann bleiben Sie in einer selbstlosen Liebe und lassen sich von Gott den Schutz und die Fürsorge schenken, die ihnen der narzisstische Partner nicht mehr gibt. Oder sie lösen sich aus einer pervertierten Form des Zusammenlebens, das die Bezeichnung Ehe längst nicht mehr verdient. Wenn das Gewissen frei ist, können Betroffene auch die Machtfrage beantworten.
und das eigene emotionale Gleichgewicht schlecht regulieren. Das Lob und die emotionale Zuwendung des Partners dienen dann wie eine psychische Prothese. Natürlich ist es bedrohlich, wenn diese Funktion ausfällt. Das setzt verzweifelte Machkämpfe in Gang, die Narzissten in der Regel gewinnen: Sie drohen, strafen, erpressen, zermürben. Doch Erfolg hat das nur für männliche Narzissten. Was sie brauchen – Sex, Applaus, Verwöhnung – kann ihnen die Partnerin auch dann geben, wenn die Beziehung emotional schon zerrüttet ist. Weibliche Narzissten dagegen wollen sich geliebt fühlen. Doch Glück und Verbundenheit gehen in einer narzisstischen Beziehung verloren. Der Machtkampf weiblicher Narzissten dreht sich dann darum, dass der Partner wenigstens die Schuld an der schlimmen Situation eingesteht und Anstrengungen verspricht, damit es wieder gut wird. Doch so verzweifelt sich betroffene Partner unterwerfen, demütigen und bemühen, ist ihr Einsatz aussichtslos: Die emotionale Zerrüttung liegt ja an den narzisstischen Mechanismen. Betroffene brauchen eine gute Anleitung, um aus den Machtkämpfen herauszutreten. Sie ziehen dann eine rote Linie gegenüber der Machtausübung des narzisstischen Partners. Sie kündigen eine Trennung an für den Fall, dass dieser extreme Machtmittel weiter einsetzt: zum Beispiel die Zerstörung von Gegenständen oder bestimmte Formen von Psychoterror wie Schlagen gegen eine verschlossene Tür oder nächtliches Wecken. Sie entziehen sich Gesprächen, in denen der narzisstische Partner unrealistische Dinge einfordert. Wenn bei dem betroffenen Partner noch Liebe vorhanden ist, tolerieren Narzissten in aller Regel diese Grenzen.
Die Machtfrage: „Wer hat mehr Angst vor dem Scheitern?“
Die Liebe zu einem narzisstischen Partner muss stark, selbstlos, ausdauernd, großzügig und vertrauensvoll sein. Dann kann sie tatsächlich Defizite ausgleichen und wieder schöne Begegnungen ermöglichen. Dann kann sie narzisstische Zumutungen einerseits tragen und ihnen andererseits Grenzen setzen, wo diese zerstörerisch würden. „Bringe ich eine solche selbstlose Liebe auf ?“
Weiterführende Links
Unter www.derherzenskompass.de/schwere liebe findet sich ein Videokurs des Autors für Betroffene:
↗ www.derherzenskompass.de/ schwereliebe
Die Herzensfrage: „Bringe ich genug Liebe auf?“
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Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg.
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Narzisstische Menschen bauen den Partner wie einen nützlichen Gegenstand in ihr Leben ein. Viele Betroffene finden sich auch im Bild einer Prothese wieder, die eine fehlende Funktion ausgleicht. Narzissten können zum Beispiel den eigenen Selbstwert
Viele betroffene Partner müssen diese Frage verneinen, wenn sie sich ehrlich selbst einschätzen. Sie sind durch die schlimmen Jahre emotional traumatisiert. Ihre Gottesbeziehung und ihre geistlichen Ressourcen dafür reichen realistischer Weise nicht aus. Sie spüren, dass ihre Persönlichkeit eine solche einseitige Situation auf Dauer nicht tragen kann und sie früher oder später zusammenbrechen würden. Dann bleibt nichts, als das Scheitern anzunehmen und dieses so verantwortlich wie möglich zu gestalten. An dieser Stelle stellt sich auch die Gewissensfrage noch einmal anders: „Wie lange bin ich verpflichtet, um emotionale Heilung, einen Durchbruch im Glauben oder ungeahnte Persönlichkeitsstärke zu kämpfen? Und wann darf ich aufgeben?“ Andere bringen genug Liebe auf. Sie gewinnen Sicherheit, wenn sie erfahren, dass eine „normale“ Liebesbeziehung zu einer narzisstischen Persönlichkeit nicht möglich ist, aber eine einseitige und großzügige Liebe zu einem ausreichend schönen Leben führen kann. Manches muss betrauert werden, was in der Liebesbeziehung nicht möglich ist. Dafür erschließen sich Quellen des Glaubens, der Menschlichkeit und Lebensfreude, die sich wohl nur für den eröffnen, der sein Leid auf positive Weise trägt.
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Therapeutische Beziehungsaspekte im Umgang mit narzisstisch strukturierten und narzisstisch gestörten Menschen Von Dr. med. Rolf Senst
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Die Behandlung von Menschen mit • der Diagnose hat etwas Besonderes – allerdings nicht im Sinne der Grandiosität (was man in diesem Kontext ja auch denken könnte), sondern im Hinblick auf die eigene Betroffenheit. Ich will dies ein wenig erläutern, zunächst vor einem allgemeineren Hintergrund. Es gehört ja zu den Spezifika der Psychotherapie, dass hier wie in keinem anderen Bereich der Medizin der Arzt oder die Ärztin bzw. der oder die Psychologin selber das primäre „Instrument“ der Behandlung ist. Nicht ein Röntgenbild diagnostiziert, nicht ein Medikament therapiert, nein: es ist die therapeutische Beziehung, die entscheidend für den Ausgang einer Behandlung ist. Das stellt hohe Ansprüche an das „Werkzeug Therapeut“. Ansprüche anderer Art als z. B. an einen Chirurgen oder eine Chirugin, deren fachliches Können primär an einer völlig anderen Stelle gefragt ist als an der einer feinfühligen Beziehungsgestaltung zu ihrem Patienten. Der liegt während der Operation ohnehin in Narkose … Wer geschickt mit einem Werkzeug umgehen will, sollte es gut kennen und regelmäßig damit arbeiten. Das ist auch mit dem „Werkzeug Therapeut“ nicht anders. Dazu ist es für ihn oder sie erforderlich, ihre eigene Persönlichkeit mit ihren typischen Erlebens- und Verhaltensweisen möglichst klar und realistisch wahrzunehmen, sie einerseits anzunehmen und zu bejahen (dies gilt insbesondere auch für die unangenehmen, „schattigen“ Seiten) und sich andererseits auf einen permanenten Prozess der Weiterentwicklung einzulassen. Ist diese Haltung sich selbst gegenüber beim Therapeuten gut etabliert (dazu dienen insbesondere die Selbsterfahrungsanteile in der Ausbildung), erfüllt er eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung einer therapeutischen Beziehung. Unabhängig davon, an welcher Störung sein Patient erkrankt ist, wird es auch bei diesem einerseits um
realistische Selbstwahrnehmung gehen, dann um Selbstannahme, sowie schließlich um einen mittel- und längerfristigen Prozess der Veränderung. Wer sich als Therapeut oder Therapeutin selber so sieht, als Reisende gewissermaßen, hat es leichter, gemeinsam mit seinen Patienten auf die Reise zu gehen. Leichter, wohlgemerkt, als Komparativ, nicht einfach nur leicht. Kasuistik
Wenden wir uns einem Fallbeispiel zu: Ein 43-jähriger Autoverkäufer Konrad F. kommt in die Klinik zur Behandlung. Er ist bereits seit einem halben Jahr wegen Depressionen krankgeschrieben. Schuld daran sei die unmögliche Situation am Arbeitsplatz. Ständig gebe es Umstrukturierungen, die Vorgesetzten seien arrogant und würden seine überragenden Leistungen im Verkauf zu wenig wahrnehmen. Allenfalls gäben sie ihm immer mehr Arbeit. Nachdem seine jüngste Initiative für eine Lohnerhöhung unter Hinweis auf die schwierige Geschäftslage abschlägig beschieden worden war, habe er plötzlich allen Schwung verloren. Schon das Aufstehen am Morgen sei ihm schwer gefallen, und er habe ein Gefühl von Enge auf der Brust wie in einem Käfig verspürt. Er sei dann zur Ärztin gegangen und habe sich krankschreiben lassen. Diese Arbeitsstelle sei eine Zumutung, er werde sich dort nicht länger „krank machen“ lassen. Er habe sich schon immer im Leben durchbeißen müssen, ständig seien ihm Steine in den Weg gelegt worden. Man könne halt niemandem vertrauen. Auch mit Partnerschaften sei es nicht anders, er ziehe seit längerem vor, alleine zu leben und habe keine engeren Freunde. Manchmal fühle er sich jedoch einsam. Im Aufnahmegespräch fällt sein bestimmendes Auftreten auf. Immer wieder vergewissert er sich, dass sein Gegenüber ihm aufmerksam zuhört, und möchte Bestätigung für seine
Sichtweise. Über die biografischen Hintergründe erfahren wir folgendes: Sein Vater war Alkoholiker. Er sei „Spiegeltrinker“ gewesen und häufig aggressiv. Ihn beschreibt er als unberechenbar, streng aber auch schwach, gewalttätig, gutmütig, sowie unzugänglich und schweigsam. Die Beziehung zu ihm sei distanziert gewesen, der Vater habe keine Gefühle oder körperliche Nähe zulassen können. Er sei angepasst und konfliktscheu gewesen, habe den Sohn jedoch in seinen Fähigkeiten unterstützt. Die Mutter beschrieb er als ebenfalls unberechenbar, nicht vertrauenswürdig, nachgiebig, deprimiert, sowie fürsorglich und überbehütend. Sie habe an einer psychischen Erkrankung gelitten und sich später selbst umgebracht. Auch sein Bruder habe sich suizidiert. Als Teenager habe er selbst einen Suizidversuch unternommen, das habe aber nicht geklappt. Seither habe er immer wieder Selbstmordgedanken, vor allem im Zusammenhang mit depressiver Verstimmung. Einen weiteren Suizidversuch habe er jedoch nicht unternommen. Im Therapieverlauf stand anfangs sein Bedürfnis nach Nähe, Zugehörigkeit, Gesehenwerden und guten Autoritäten im Vordergrund, was er aber nicht direkt zeigen konnte, sondern es über Beschwerden und Abwertungen ausdrückte. Dadurch kam es zu Konflikten mit Mitarbeitern des therapeutischen Teams und Mitpatienten, die er teilweise aber nicht als solche wahrnahm. Nur mit Mühe und stetiger geduldiger Zuwendung seines Einzeltherapeuten konnte er sich auf Konfliktklärungsgespräche einlassen. Nach und nach erkannte er auch eigene Anteile an den jeweiligen (häufigen) Konflikten. Auch psychosomatische Zusammenhänge (Brustenge u. a.) wurden ihm mit Hilfestellung bewusst. Er wurde weniger abwertend in seinem Verhalten anderen gegenüber und erlebte
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Wer sich als Therapeut oder Therapeutin selber so sieht, als Reisende gewissermaßen, hat es leichter, gemeinsam mit seinen Patienten auf die Reise zu gehen. 27
allmählich auch Sympathien, was sich positiv auf sein Selbstwertgefühl und seine Fähigkeit zur Nähe auswirkte. Auch seine Sicht auf den Arbeitsplatz wurde weniger starr. Bei Entlassung kehrte er wieder dorthin zurück, was er sich zu Beginn der Behandlung nicht hätte vorstellen können. Betrachtet man die Biografie unseres Patienten, so fällt der Mangel an zur Einfühlung fähigen Erwachsenen auf. Vater Alkoholiker, Mutter psychisch krank, das Klima war stets unberechenbar. Einerseits wurde er überbehütet, andererseits viel sich selbst überlassen. Was davon jeweils stattfand, wusste er nie im Voraus, es hing primär von der aktuellen Verfassung der Eltern ab und nicht von seinem eigenen Verhalten. Schließlich die Suizide im engsten Verwandtenkreis. Herr F. überlebte, indem er sich in sich selbst zurückzog und (scheinbar) bedürfnislos wurde.
Seine Wut über diese Situation war ihm wenig bewusst, für die defizitäre Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen jedoch von entscheidender Bedeutung. In der Therapie konnte er vorsichtig an seine tief empfundene Bedürftigkeit herangeführt werden und es gelang ihm ein Stück weit, diese anzunehmen. Dadurch wurde er emotional weicher und – soweit bei der Kürze der Behandlungsdauer beurteilbar – beziehungsfähiger. Analogie aus biblischer Sicht
Betrachtet man die diagnostischen Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung und sucht nach biblischen Analogien, bietet sich der Begriff „Stolz“ an, von einigen auch als „Hochmut“ übersetzt. Gegenstück hierzu ist die Demut. Wenn ich also einen „Stolzen“ behandeln will, muss ich ein „Demütiger“ werden. Jesus sagt von sich in seinem berühmten Aufruf „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig
und beladen seid – ich will euch erquicken“ unmittelbar danach noch: „nehmt mein Joch auf und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“. Jesus selbst betont also, er sei von Herzen demütig und wir sollen von ihm lernen. Damit verbunden ist, sein „Joch“ auf sich zu nehmen. Der Begriff stammt aus der Landwirtschaft vergangener Tage (an anderen Orten der Erde aber durchaus der Gegenwart) und meint eine an den Schultern angebrachte Vorrichtung zum Ziehen eines Arbeitsgerätes, beispielsweise eines Pfluges oder auch eines Wagens. Zwei Ochsen wurden „zusammen gejocht“, also in die gleiche Konstruktion eingespannt, und zogen dann gemeinsam den Pflug. Wenn Jesus hier davon spricht, sein Joch aufzunehmen, lese ich dies als eine Aufforderung und ein Angebot, mit ihm gemeinsam an die Arbeit zu gehen. Echte eigene Anstrengung, gepaart mit echter gleichsinniger Anstrengung Jesu.
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Gemeinsam wird die Arbeit bewältigt, ob es das Pflügen eines Feldes ist oder der Transport von Arbeitsgeräten auf einem Wagen oder von Ernteertrag oder auch von Menschen, die auf dem Wagen sitzen. Die Haltung der Demut, in der dies geschieht, hat eine erstaunliche Auswirkung: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“, sagt Jesus. Ich möchte dies gern übertragen auf die psychotherapeutische Arbeit mit Menschen im Allgemeinen und mit narzisstisch gestörten Menschen im Besonderen. Sich auf Patienten einzulassen, die scheinbar nur an sich denken und denen die anderen egal sind (den Therapeuten bzw. die Therapeutin eingeschlossen) und die mit großspurigem Auftreten, mangelnder Empathie und einem Hang zu ausbeuterischem Verhalten anderen gegenüber sowohl bei Mitpatienten wie auch beim Personal anecken, ist mühselig. Es gibt keine raschen Belohnungen durch dankbares Empfangen der therapeutischen Zuwendung und nette Worte für den oder die Therapeutin. Im Gegenteil: chronische Unzufriedenheit, Kritik, Vorwürfe, Entwertungen bis hin zu grenzüberschreitenden Unverschämtheiten begleiten die Therapie von Anfang an. Ein Team fühlt sich mühselig und beladen, auch Mitpatienten werden unter Umständen stark belastet. Das Angebot Jesu an mich als Therapeut oder Therapeutin lautet nun, angesichts dieser Situation die Gemeinschaft mit Ihm zu suchen, indem ich mich in die gleiche Haltung begebe wie Jesus: Demut. Was kann das praktisch bedeuten? Anstatt mich im Ärger über den oder die Patientin aufzureiben oder sie offen oder verdeckt abzulehnen und entsprechend zu behandeln, mache ich mir zum einen klar, dass ich nicht besser bin als sie. Ich verlasse also bewusst jeden moralischen Hochmut. Sodann suche ich Anschluss an ein Empfinden von Barmherzigkeit, wie es meiner Überzeugung nach permanent von Gott ausgeht (Gott selbst nennt seinen Namen Moses gegenüber als: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte...“ 2. Moses 34,6) In meiner psychotherapeutischen Ausbildung betonte die sehr erfahrene Professorin
(Annelise Heigl-Evers) in ihrer Darlegung der therapeutischen Grundhaltungen in der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie die Bedeutung der Barmherzigkeit, auch gegenüber unter Umständen bizarr oder gar abstoßend gestörten Patienten. Mir hilft dabei der Gedanke, dass mein Gegenüber grundsätzlich die gleichen menschlichen Bedürfnisse hat wie ich (nach K. Grawe Orientierung/Kontrolle, Bindung, Lustvermehrung/Unlustvermeidung und Selbstwerterhöhung/Selbstwertschutz). Das Verhalten meines Gegenübers stellt einen Versuch dar, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das ist als solches völlig normal und legitim, das tue ich auch, Tag für Tag. Tragischerweise wird mein Gegenüber wegen seiner Störung nie „satt“. Dass ich da in einer glücklicheren Lage bin, ist nicht primär mein Verdienst. Ich bin moralisch nicht besser als mein Patient oder meine Patientin. Sünder und erlösungsbedürftig sind wir beide in gleichem Maße. Ausgehend von Demut (nichts macht mich moralisch besser als mein Gegenüber) und Barmherzigkeit (ich fühle mich in ihn und seine Bedürfnislage ein und unterstütze ihn darin, sich so zu verändern, dass er nicht chronisch „emotional hungrig“ bleiben muss) gelingt es mir, den Reflex von Ablehnung zu überwinden, der sich gern spontan meldet. Es ist ja nicht zuletzt erlebte Ablehnung und deren Vorstufe, mangelnde empathische Einfühlung der Bezugspersonen in der frühen Kindheit, die den Patienten in seine Störung hinein geführt hat. So schaffe ich Raum für den Geist Gottes und Sein Wirken. Denn letztlich kann eine echte Herzensveränderung nur Gott selbst bewirken. Gelingt es, den Therapieprozess von meiner Seite (überwiegend) in diesem Sinne zu führen, bin ich zugleich besser geschützt vor eigener narzisstischer Kränkung: Es kann nämlich durchaus sein, dass all mein Mühen vergeblich ist und am Patienten abprallt. Anstatt mich dann beleidigt von ihm abzuwenden, kann ich stabil bleiben in meiner positiven Haltung ihm gegenüber und dabei vor Augen haben, dass sich die Mühe in den Augen Gottes immer lohnt – auch wenn ich das Ergebnis beim Patienten
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nicht sehe. Dann lerne ich gegebenenfalls am Scheitern und nicht nur am Erfolg. Das Ganze könnte ja auch noch den Sinn haben, dass die Worte Jesu „… lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig …“ in meinem eigenen Leben mehr an praktischer Relevanz gewinnen. Literatur Die Bibel Eva Neumann: Offener und verdeckter Narzissmus. Psychotherapeut 2010, Nr. 55: 21– 28 • Class-Hinrich Lammers, Michael Marwitz: Integrative Therapie von narzisstisch gestörten Patienten. Psychotherapeut 2010, Nr. 55: 29–35 • Eckhardt Roediger: Praxis der Schematherapie. Schattauer, 2009 • F.-W. Deneke: Psychoanalytische Therapie bei narzisstischen Störungen. In: Senf/Broda (Hrsg.): Praxis der Psychotherapie, 2000 • Irvin Yalom: Der narzisstische Klient. In: Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherpie. Klett-Cotta, 2005 • •
Autor
Dr. med. Rolf Senst ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Rehabilitationswesen und Spezielle Psychotraumatherapie DeGPT. Außerdem IRRTTrainer und Supervisor und Ärztlicher Direktor der de’ignis-Fachklinik.
Systemische Therapie von Persönlichkeitsstörungen am Beispiel des Narzissmus Von Marika Rimkus
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„Ohne Sympathie keine Heilung“ Sandor Ferenc z i „Enfant terrible“ der Psychoanalyse, 1873 bis 1933
Systemische Therapie von • Persönlichkeitsstörungen am Beispiel des Narzissmus
Bild links: Nelson Martínez Photo. / photocase.de
Die gute Nachricht: Menschen mit einem narzisstischen Persönlichkeitsstil auf einem Störungskontinuum sind Menschen wie du und ich, nur vielleicht davon „a bissl mehr“. Eine weitere gute Nachricht: Kriterienorientierte Forschung1 konnte zeigen, dass die Zahl der erfüllten Diagnosekriterien nach Erstdiagnose erheblich sinkt. Das reduziert den Stabilitätsmythos und ermutigt zur engagierten Therapie, wie in anderen Störungsbereichen auch.2 Wie bereits in DSM-5 abgebildet, wird auch das ICD 11 von einer kategorialen Klassifikation von Differentialtypen auf der Basis polythetischer Kriterienlisten zu einer weitgehend dimensionalen Klassifikation übergehen.3 Da die systemische Therapie zunehmend durch Einzeltherapie gefordert ist, entwickelt sich auch hier im Rahmen systemischen Denkens auf dem Hintergrund neurobiologischer Forschungsergebnisse ein Interesse für intrapsychische Prozesse des Einzelnen, nämlich die Fühl-Denk-Verhaltensmuster (FDV) des Einzelnen. Das Bild der Persönlichkeitsstörungen (PS) ist gekennzeichnet durch eine massiv ausgebildete ICH-Syntonie, so dass mit dem Blick auf intrapsychische Prozesse und individueller FDV-Muster auch hier für das Einzelsetting nun systemische Therapie anschlussfähig wird. Das ist auch deswegen interessant, da sich die Systemische Therapie mit Anerkennung als wissenschaftliches Heilverfahren und sozial-rechtlicher Anerkennung in einer Phase befindet, die eine erneute Auseinandersetzung mit störungsspezifischen Konzepten unter dem Dach des Gesundheitssystems geradezu erfordert. Denn historisch gesehen folgte einer ersten Phase mit erfolgreichen Konzepten zur Krankheitsbildern wie Schizophrenie, Essstörungen, psychosomatischen
Krankheiten und affektiven Störungen eine zweite Phase, die eher geprägt war von gezieltem Verzicht und strikter Ablehnung aller Formen störungsspezifischer Codierungen. Insgesamt profitiert der Einzelne, Behandler oder Behandelter, von dieser erweiterten Entwicklung des Austausches und Diskurses der verschiedenen Therapieschulen, statt der vorherigen konkurrenten Abgrenzung. So versteht sich auch dieser Beitrag als systemisch therapeutische Ergänzung im Behandlungsrepertoire der Persönlichkeitsstörungen am Beispiel der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS). Es herrscht inzwischen weitgehende Einigung darüber, dass eine Persönlichkeitsstörung weniger eine Persönlichkeitsstörung als vielmehr eine Beziehungsstörung ist und dimensional betrachtet auch nicht pathologischer Natur ist. Der oder die Betroffene soll ihren Stil ruhig behalten. Sie soll vielmehr so damit umgehen lernen, dass persönliches Leiden in verschiedenen Beziehungskontexten weniger belastet oder gar zerstört. Das wäre ein Therapieziel.4 Die bzw. der systemische Therapeut externalisiert quasi intrapsychische Muster und konzeptualisiert sie als sogenanntes FDVMuster. Mustererkennung, Musterbeschreibung und Anregung zur Musterveränderung zur Modifikation eines Persönlichkeitsstils sind dann wiederum grundgenuine Kompetenzen und Interventionen systemischer Therapie. Für die therapeutische Arbeit im Umgang mit dysfunktionalen FDV-Programmen können wir dann auch auf das meiste Repertoire der systemischen Methodenvielfalt zurückgreifen wie Zirkularität, Skalieren, absichtliche Verschlechterung, Ausnahmen fokussieren, Genogrammarbeit, Hausaufgaben, Refraiming und positives Konnotieren, Metaphernarbeit, Externalisieren, Ressourcenaktivierung, visualisierende Methoden etc. Weniger funktional
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für die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen erweist sich aufgrund der Beziehungsstörung und gewollten Fokussierung auf FDV-Muster allerdings strikte Lösungsorientierung, rein interaktionelles Verständnis, provokative Ansätze und dogmatische Ressourcenorientierung. Speziell in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung stellt Anerkennung und Aufmerksamkeit das zentrale Beziehungsmotiv dar, das häufig gleichzeitig bei enttäuschter Erwartung und überhöhtem Anspruch eine sehr ausgeprägte Anfälligkeit von massiver Kränkung bedient. Ein tiefgreifendes Muster von der Großartigkeit der eigenen Person ist als beobachtbares Verhalten gekoppelt mit einem Bedürfnis nach Bewunderung und gepaart mit übertriebener Erwartung an bevorzugte Behandlung. Störungen zeigen sich im Bereich des Beziehungsverhaltens, der Emotionalität und Impulskontrolle, der Realitätswahrnehmung und zuletzt der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung. Sich daraus ergebende Spannungen und Konflikte werden sich auch in der therapeutischen Beziehung zeigen. Dies erleben viele Behandler als anstrengend, herausfordernd oder schwierig, da die Betroffenen aufgrund des überhöhten Bedürfnisses nach Anerkennung in ihren dysfunktionalen Mustern auch entsprechende Einladungen und Tests an die Therapeuten adressieren. Wichtige therapeutische Haltung
Die Therapeutin bzw. der Therapeut versteht sich in der Metapher eines Eingeladenen, als ein Gast, den der oder die Klientin gebeten hat, für eine begrenzte Zeit an deren Leben teilzunehmen und an einigen Punkten mitzugestalten. Diese Bild ermöglicht liebevolle Anteilnahme, Respekt und Wertschätzung gegenüber des Gastgebers. Auf diesem Grund wäre auch Humor oder eine paradoxe Intervention möglich.
Eine wohldosierte Portion Humor macht heikle Botschaften besser verdaulich.
vermehrtes Spiegeln Vertrauen zu schaffen. Beispielsweise: „Was sie mir erzählen, ist wirklich eine ganz besondere Geschichte und es ist mir sehr wichtig zu verstehen, wie sie das gemeint haben. Bitte korrigieren Sie mich sofort, wenn sie das Gefühl haben, ich bin auf der falschen Fährte!“. Hierfür braucht es vor allem eines: Geduld. Am Anfang der Therapie sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, um das jeweils zentrale Bedürfnis der Klienten zu befriedigen, im Fall der narzisstischen Persönlichkeitsstörung kann das häufig viel Aufmerksamkeit bedeuten.
Beziehungskredit aufbauen – über strukturelle Kopplung kommunikative interaktionelle Operationsregeln erkennen
Im Kern geht es darum, eine für das System externe Intervention so anzusetzen, dass sie sich in das interne Operationsgeflecht des Systems einschleusen und innerhalb seiner Operationsweise Veränderungen bewirkt, obwohl das System einer von außen kommenden Veränderungen Widerstand entgegensetzen würde.5 Strukturelle Kopplung beschreibt die wechselseitige Beeinflussung, mit der zwei lebende Systeme, die aufeinandertreffen, sich gegenseitig immer wieder zu Strukturveränderungen anregen. Die Herausforderung besteht darin, zunächst mit in die Logik des Klientensystems hinein zu gehen, bevor man erste Zweifel streuen oder kleine Irritationen zum Ausdruck bringen kann, um einen gewissen Beziehungskredit aufzubauen. Wesentlich ist das Erkennen der jeweiligen Operationsregeln die im narzisstischen Muster beispielsweise Anerkennung und Zuwendung heißen. Es erweist sich als sinnvoll sehr viele Lehrsätze im Rahmen der operativen Logik zu erzeugen, mit sehr vielen Komplimenten zu arbeiten und durch
Humor und sanfte Ironie zum Managen von Ambivalenzen
In der zweiten Phase geht es darum dysfunktionale Muster zu erkunden und im Spannungsfeld von „Wünsche erfüllen und Defizite aufdecken“ zu agieren. Eine wohldosierte Portion Humor macht heikle Botschaften besser verdaulich, auch ein wohlwollendes Augenzwinkern kann unterstützen und eine gewisse absichtlich naive Haltung sich als hilfreich erweisen, insofern Beziehungskredit aufgebaut wurde: „Das ist ja bemerkenswert! Wie genau gelingt es Ihnen eigentlich, Frau X, Ihr gegenüber immer wieder davon zu überzeugen, dass sie unsichtbar sind? Das ist ja fast ein eigenes Talent!“ Einladungen aus bestimmten interaktionellen Mustern erkennen und utilisieren
Der intrapsychische Prozess des Klienten bzw. der Klientin, als spezifisches FDV-Muster konzeptualisiert, rückt in den Fokus der Therapie. Allerdings werden diese Muster nicht offen ersichtlich angeboten, sondern das damit verbundene Leid beschrieben.
Angeboten werden stattdessen Symptome einer depressiven, ängstlichen oder somatisierenden Störung. Die interaktionellen Muster oder Schemata, die problemerzeugend oder – aufrechterhaltend wirken, sind so sehr Teil der eigenen Identität, dass ein Problem- oder Störungswert vom Betroffenen selbst nicht zu erkennen ist (IchSyntonie). Bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen finden sich an komorbiden Störungen tatsächlich oft depressive Episoden, Burn-out, somatoforme und Schlafstörungen, häufig auch Suizidalität. Zunächst also wird die Therapeuten-Klienten-Interaktion von den spezifischen FDVProgrammen des Klienten bestimmt und der Therapeut bzw. die Therapeutin ist gefordert, die Regeln schnellstmöglich zu identifizieren, um optimal anzukoppeln. Anfangs sollten Regeln und steuernde FDVProgramme nicht infrage gestellt, gleichzeitig jedoch auf ihre Nützlichkeit hinsichtlich der angestrebten Problemlösung überprüft werden. Auch eine Infragestellung von Inhalten ist zu diesem Zeitpunkt ungünstig für den Aufbau eines Beziehungskredits und die angestrebte strukturelle Kopplung, da die Inhalte lediglich im Dienst der FDV-Muster und Interaktionsregeln stehen. Dysfunktionale FDV-Muster sollen im Therapieverlauf behutsam weiterentwickelt werden, bis diese als Lösung des Ursprungsproblems funktionaler sind. Dazu gilt es passende Interventionen zu finden, die die geltenden Regeln unterbrechen und zu einer Weiterentwicklung anregen, systemisch gesprochen: Eine Musterverstörung. Innerer Fragenkatalog: Welche „Einladungen“ geben Hinweis auf die jeweilige Logik der narzisstischen Persönlichkeitsstörung? Wie gelingt es in der jeweiligen Logik zu koppeln? Welche Art von (Ver-)störungen sind hilfreich? Beispiele für narzisstischen Persönlichkeitsstörung typische Einladungen:
Einladung zur Kränkung: Übertriebenes Anspruchsverhalten provoziert sehr schnell massive Kränkung. Minimale Auslöser, wie eine Terminverschiebung um eine Stunde,
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kann bereits Kränkung auslösen. Strukturelle Kopplung: „Es tut mir leid, mit meiner Bitte um Terminverschiebung habe ich Sie wohl ernsthaft verärgert oder sogar gekränkt. Das lag nicht in meiner Absicht! Was kann ich denn dazu beitragen damit wir beide wieder gut arbeitsfähig werden?“ Einladung zur „Extrawurst“: Der Wunsch, ausreichend gesehen zu werden, wird häufig über aggressive Forderungen ausgedrückt, was häufig zur Verweigerung oder Gegenaggression einlädt. Strukturelle Kopplung: „Wahrscheinlich haben Sie recht. Der Therapierahmen ist für besondere Bedürfnisse, wie die Ihren, sicher zu eng. Haben Sie eine Idee, wie unser Angebot von Ihnen dennoch bestmöglich genutzt werden könnte?“ Einladung zur „guten Note“: Aufmerksamkeit wird oft durch erhebliche Anstrengung erarbeitet, beispielsweise auch bei der Erledigung therapeutischer Hausaufgaben. Strukturelle Kopplung: „Jetzt bin ich aber beeindruckt! Sie haben nicht nur die Hausübung sehr gewissenhaft erledigt, sondern auch noch auf eine Art modifiziert, die mir gar nicht eingefallen wäre, Hammer!“ Einladung zur Dauerkrisenintervention: Extreme Reaktionen auf für den Klienten subjektiv zu wenig erhaltene Beachtung, zeigen sich häufig in einem massiven Stimmungseinbruch bis hin zu Suizidgedanken. Strukturelle Kopplung: „Herr/Frau X, da brauche ich Ihre Unterstützung, ich nehme das nämlich sehr ernst und habe auch beobachtet, dass manche Sitzungen scheinbar gar nicht hilfreich sind. Woran genau liegt das? Haben Sie eine Idee? Was müsste geschehen, damit das besser wird?“ Einladung zum gemeinsamen „Höhenflug“: Glorifizierung und Erhöhung des Therapeuten dienen häufig zur Beziehungssicherung, was gleichermaßen häufig zu schnellen Abstürzen führen kann. Hier gilt es bescheiden zu bleiben und zu erden. Strukturelle Kopplung: „Es freut mich natürlich, wenn Sie das so sehen. Gleichzeitig erweckt es Sorge, dass Ihre Erwartungen an mich und die Therapie so hoch sind, denn so könnten Sie ja umso leichter enttäuscht werden, was nie auszuschließen ist. Angenommen, es käme zu einer solchen Enttäuschung – wie würden wir beide denn damit umgehen?“
Die Muster komplementär verstören
Fußnoten Collaborative Longitudinal Personality Study, Grunderson et. al., 2012 2 P. Fiedler, Universität Heidelberg, 2019 3 Herpertz, S. C. (2018). Neue Wege der Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen in ICD-11. Fortschritte der Neurologie/Psychiatrie, 86, 150 –155. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG. 4 Sachse, R. (2010). Persönlichkeitsstörungen verstehen. Köln: Psychiatrieverlag. 5 Wilke, H. (1999): Systemtheorie II: Interventionstheorie. Einführung in die Theorie der Intervention in komplexe Sozialsysteme. Stuttgart: Fischer/UTB, S. 122 1
Generelle Würdigung der Person des Patienten und seinen Erzählungen, erfordern Wachsamkeit des Therapeuten, stellen für alle Behandler eine Herausforderung dar und erweisen sich gleichzeitig als Schlüssel. Es entsteht ein Zugang zur Innenwelt des Klienten und seinen individuellen FDVMustern, der durch Würdigung gleichzeitig Intensität und Häufigkeit an vorig beschriebenen mannigfaltigen Einladungen reduziert. Wenn dann das Grundbedürfnis nach Literatur Anerkennung und Zuwendung ausreichend • Fiedler, P. (2012). Persönlichkeitsstörungen. Weinheim Basel: Beltz Verlag. gestillt ist, stehen drei Möglichkeiten der • Herpertz, S. C. (2018). Neue Wege der KlasIntervention zur Verfügung, die evtl. sogar sifikation von Persönlichkeitsstörungen in ICD-11. in einem Schritt genutzt werden können: Fortschritte der Neurologie/Psychiatrie, 86, 150–155. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG. [1] positive Konnotation: „Manchmal • Lammers, C.-H., Vater, A., Roepke, S. (2013). bleibt Ihnen ja gar nichts anderes übrig als auf Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der Nervenarzt, den Putz zu hauen“, [2] Musterverschrei- 84, 879– 888. Berlin Heidelberg: Springer Verlag. • Sachse, R. (2014). Klärungsorientierte Verhalbung: „… wenn Sie sich wieder übergangen tenstherapie des Narzissmus. Psychotherapie, Bd 19-1, fühlen, dann lassen Sie das den Kollegen 43–50. CIP Medien: München. doch einfach wieder deutlich spüren, scheint • Sachse, R. (2006). Narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Psychotherapie, 11. Jahrg., Heft 2, 241–246. ja nicht anders zu gehen“, [3] Alternativen: CIP Medien: München. „Wenn Sie sich vorstellen, das geht die nächs- • Sachse, R. (2010). Persönlichkeitsstörungen ten drei Monate so weiter, wäre es da nicht verstehen. Köln: Psychiatrieverlag. vielleicht sinnvoll, auch eine andere Strategie • Sonnenmoser, M. (2014). Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Erkrankung mit vielen Facetten. zu versuchen, welche könnte das denn sein?“ Deutsches Ärzteblatt, Heft 12, 567–568. Abschließende Bemerkung: Mit diesem Grundgerüst aus systemischem Therapieverständnis, ergibt sich ein weiterer wertvoller Beitrag für die herausfordernde, aber auch spannende und kreative Begleitung von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Laut einer Studie von A. Vater liegt die Remissionsrate der narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei ca. 50 Prozent in zwei Jahren. Grund zur berechtigten Hoffnung, Menschen mehr zu gesundem Selbstwert und Selbstvertrauen hin zu begleiten, als Gast, als Eingeladener.
• Vater, A., Ritter, K., Strunz, S. et al (2013): Stability of narcissistic personality disorder: tracking categorical and dismensional rating systems across 2 years. Personality Disorders: Theory, Research, and Treatment. Berlin Heidelberg: Springer Verlag. • Wagner, E., Henz, K., Kilian, H. (2016): Persönlichkeitsstörungen. Störungen systemisch behandeln. Band 6, Heidelberg: Carl-Auer Verlag. • Wagner, E., Russinger, U. (2019): Emotionsbasierte systemische Therapie. Intrapsychische Prozesse verstehen und behandeln. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag. • Wilke, H. (1999): Systemtheorie II: Interventionstheorie. Einführung in die Theorie der Intervention in komplexe Sozialsysteme. Stuttgart: Fischer/UTB.
Autorin
Marika Rimkus ist Psychologin, Systemische Therapeutin i. A., Systemische Supervisorin i. A., ACT-Therapeutin, Bezugstherapeutin und als Therapeutin in der de’ignis-Fachklinik tätig
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Therapeutischer Narzissmus Zur Diskussion von Madlena Sutor und Prof. Dr. Heinz Rüddel
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Zur Diskussion: Hier werden Beiträge veröffentlicht, die nicht in allen Punkten der Meinung des Redaktionsteams entsprechen müssen.
Abgrenzung von therapeutischem Narzissmus zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung des Psychotherapeuten
Narzisstische Persönlichkeitseigenschaf• ten reichen vom völlig normalen Bereich in unserer Gesellschaft bis hin zur pathologischen Ausprägung als narzisstische Persönlichkeitsstörung (Sachse, 2002). Die Entwicklung der narzisstischen Eigenschaften vom normalen Bereich in den akzentuierten Bereich verläuft graduell, die Schwelle zur Persönlichkeitsstörung ist sehr klar definiert und ein/e Psychotherapeut/in lernt im Laufe seiner/ihrer Ausbildung diese Schwelle exakt zu bestimmen (Dilling & Freyberger, 2019). Für die Kriterien einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist es erforderlich, dass die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllt sind, das heißt: 1. Die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungen und Verhaltensmuster der Betroffenen weichen insgesamt deutlich vom kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgehen ab. 2. Die Abweichung ist so ausgeprägt, dass das daraus resultierende Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situation unflexibel, unangepasst und auch auf andere Weise unzweckmäßig ist. 3. Es liegt ein persönlicher Leidensdruck vor, mit nachteiligem Einfluss auf die soziale Umwelt. 4. Es muss ein Nachweis möglich sein, dass die Abweichung stabil ist, von langer Dauer und im späten Kindesalter oder der Adoleszenz begonnen hat. 5. Die Abweichung kann nicht durch das Vorliegen oder der Folge anderer psychischer Störungen erklärt werden und organische Veränderungen bzw. Verletzung des Gehirns müssen ausgeschlossen sein.
Illustration: Antonio Rodriguez / Adobe Stock
Von den spezifischen Merkmalen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssen mindestens 5 erfüllt sein: 1. Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung
2. Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Schönheit, ideale Liebe 3. Überzeugung, besonders und einmalig zu sein, nur von besonderen Menschen verstanden zu werden, sich mit diesen zu umgeben 4. Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung 5. unbegründete Erwartung besonderer Behandlung und der automatischen Erfüllung von Erwartungen 6. Ausnutzung zwischenmenschlicher Beziehungen, um eigene Ziele zu erreichen 7. Mangel an Empathie 8. Neid auf andere oder Überzeugung, andere seien neidisch auf Betroffenen 9. Arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden
Es ist nicht nur trivial, dass ein narzisstisch gestörter Psychotherapeut kein guter Psychotherapeut sein wird, da er sich nicht empathisch auf den oder die Patientin einstellen kann, sondern er ist auch gefährlich. Emotionaler und narzisstischer Missbrauch sind bei einem solchen Therapeuten häufig. Der narzisstische Missbrauch kann dem emotionalen Missbrauch zugeordnet werden und dient in erster Linie der narzisstischen Gratifikation des Therapeuten, wobei die Beschwerden des Patienten vernachlässigt werden. Übermäßig submissives, überhöfliches Interaktionsverhalten, Stagnation in der Psychotherapie und Idealisierung des Therapeuten können die Folge sein. Darüber hinaus sind narzisstische Persönlichkeitsprobleme bei vielen sexuellen Straftaten in der Therapie häufig (bis zu 50 Prozent). Sexuelle Übergriffe in der Therapie sind zwar im Berufsrecht, sowohl für psychologische Psychotherapeuten als auch für approbierte Ärzte als nicht vereinbar mit der Heilkundetätigkeit geahndet und auch im Strafgesetzbuch als Straftat klassifiziert, trotzdem zeigt die Realität, dass es solche Straftaten gibt. Bei Psychotherapeuten wird gemäß vorliegenden Daten davon ausgegangen, dass ca. 10 Prozent aller männlichen und ca. 2 – 3 Prozent aller weiblichen Psychotherapeuten in ihrer beruflichen Laufbahn sexuelles Fehlverhalten begehen. Etwa die Hälfte solcher Taten geht auf Wiederholungstäter
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zurück (Franke & Richer-Rössler, 2013). So klar und relativ eindeutig die Grenze zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung definiert ist, je fließender und schwieriger ist das Erkennen von narzisstischen Eigenschaften noch im normalen oder im akzentuierten Bereich. Ein Engagement des Therapeuten für seinen Patienten, damit dieser seine Störungen überwinden kann, wird erwartet (Davison, Neale & Hautzinger, 2002) und ist von Grawe durch die Ausformulierung der therapeutischen Wirkfaktoren seit ca. zwei Jahrzehnten gut beschrieben (Grawe, 2000). Die therapeutische Beziehung als einer der fünf Wirkfaktoren beschreibt die Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und Patient und hat einen großen Einfluss auf das Therapieergebnis. Ein weiterer Wirkfaktor, die Ressourcenaktivierung ist ebenso notwendig für eine gelingende Therapie und orientiert sich an Fähigkeiten und Interessen des Patienten. Die Problemaktualisierung, im Sinne eines unmittelbaren Erlebens/Erfahrens des Problems z. B. durch Exposition ist ein dritter Wirkfaktor. Der Faktor Problembewältigung beschreibt beispielsweise Interventionen, Techniken oder allgemeine Maßnahmen, die dem Patienten helfen, die Probleme selbst bewältigen zu können oder funktional anzugehen. Der fünfte Wirkfaktor, die motivationale Klärung, dient des Verständnisses des Patienten der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen des problematischen Verhaltens in Zusammenhang mit eigenen Zielen und Bedürfnissen. Der charismatische Psychotherapeut
Der engagierte, sympathische Psychotherapeut muss vom „charismatischen Therapeuten“ abgegrenzt werden. Eine gute Beschreibung des charismatischen Therapeuten findet sich bei Gathmann und Semrau-Lininger (1996): „Charisma im Arzt erhebt ihn über seine Kollegen durch die damit verbundene und als nicht alltäglich geltende Eigenart seiner Persönlichkeit. Diese Eigenart wird als übermenschlich, gottgesandt und vorbildlich gewertet. Das Vorhandensein oder Fehlen von ärztlichem Charisma trennt demnach
die medizinische Handwerklichkeit in zwei Kategorien. Ist Charisma gegeben so haben wir es mit „sehenden“ Ärzten zu tun. Diese Ärzte können sowohl voraus- als auch zurücksehen. Bei der Diagnose können sie also auch „zurückschauen“ in die Lebensvergangenheit des Patienten weil sie ihre eigenen Verwundungen der Vergangenheit mit zu reflektieren vermögen. Sie gehen allein und mit dem Patienten zusammen zurück zur Verwundungs- und Erkrankungsursache. In ihren prognostischen Handlungen aber sind sie sensibel genug, Zukünftiges zu erspüren und zu „sehen“. Ärzte ohne Charisma, die „nur“ das Handwerk ausüben, sind Tuende, sie erbringen medizinische Handlungen nach den gelernten Gesetzen. Fehlende charismatische Eigenart lässt sie oft zu Handlangern des gesundheitspolitischen Systems und der pharmazeutischen Industrie werden.“
Wohlwollen des Psychotherapeuten
In der psychoanalytischen Literatur finden sich seit ca. 100 Jahren Exkurse zum „Wohlwollen“ in der Psychotherapie. Wohlwollen bringt als Gesinnung die Bereitschaft zum Ausdruck, sich dem Anliegen eines Gegenübers (Patient) zuzuwenden und diese eigene Zuwendung als günstig für den anderen zu werten. Dabei ist der Therapeut als Urteilsinstanz relevant und für dieses Urteil fließen eine Vielzahl von Übertragungs- und Gegenübertragungsaspekte in die Therapeuten-Patienten-Beziehung ein. Neben dieser Urteilsinstanz des Wohlwollens wird eine „Kunst“ vorausgesetzt, die Verhaltensweisen (einschließlich Denkweisen und emotionale Reaktion) des Patienten zu verstehen oder wie bei manchen Autoren dargestellt wird „das Spiel des Patienten zu verstehen“ (Boothe & Streek, 2004 sowie Boothe, 2020). Aspekte wie „Wohlwollen“ spielen
also für die therapeutische Beziehung eine große Rolle, seine Verhaltensweisen zu optimieren. Aus der Arbeitsgruppe Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (Arbeitskreis OPD, 1996) sind hierbei insbesondere drei Fähigkeiten relevant nämlich: • Fähigkeit zur Selbststeuerung • Fähigkeit zu Kommunikation • Fähigkeit, sich emotional auf Andere auszurichten. Empirische Beschreibungen von narzisstischen Merkmalen des Psychotherapeuten
In der Literatur fehlt nach unserer Kenntnis bisher eine systematische Überlegung wie die narzisstischen Merkmale des Psychotherapeuten in Abgrenzung zum „Wohlwollen“ bzw. „charismatischen Therapeuten“ definiert werden können. Im Rahmen einer dreistufigen Delphi Befragung wurden
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Tabelle 1:
deshalb in einer Ausbildungsgruppe der Ausbildungsstätte Praxisgemeinschaft Rheingrafenstraße Kriterien erarbeitet, wie narzisstische Merkmale des Psychotherapeuten auf kognitiver, affektiver sowie auf der Verhaltenseben definiert sein könnten. In einer ersten Arbeitsrunde wurden die vorgeschlagenen Merkmale in eine übersichtliche Tabellenform zusammengefasst. Diese wurden als zweite Runde der Delphi Befragung rückgemeldet, mit der Aufgabe eventuelle Merkmale zusammenzufassen und insbesondere eine Reihenfolge nach Wichtigkeit (wichtigstes Merkmal an erster Stelle etc.) zu erstellen. Die so entstandene Übersicht wurde in einer dritten Runde zurückgemeldet, ob sich jeder damit einverstanden erklären konnte und falls nicht, welche Änderungen unbedingt erfolgen sollten. Die hier publizierten drei Tabellen sind das Ergebnis dieser Delphi Befragung zu narzisstischen Merkmalen des Psychotherapeuten. Welche Konsequenzen sind dann zu ziehen, wenn bei einem Psychotherapeuten in Ausoder Weiterbildung narzisstische Merkmale (noch im normalen Bereich) erkannt werden? Drei korrigierende Möglichkeiten werden hier vorgeschlagen: • In der Selbsterfahrung sollte diese Problematik systematisch hinterfragt werden. • In der Supervision sollte speziell in der Fall-Aufarbeitung auch auf Aspekte wie Wohlwollen, Charisma und narzisstische Merkmale beim Psychotherapeuten eingegangen werden und nicht nur auf die Wirkfaktoren der Psychotherapie nach Grawe. • In der Balint-Arbeit bzw. interaktionellen Fallarbeit (IFA-Gruppen) steht ein bewährtes Verfahren zur Verfügung, narzisstische Aspekte des Therapeuten zu detektieren und indirekt einem Veränderungsprozess beim Therapeuten vorzuschlagen. Narzissmus in Psychotherapie eingebettet im Kontext der Seelsorge Illustration: Antonio Rodriguez / Adobe Stock
Bisher versuchten wir darzulegen, dass die Detektion von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen für die Psychotherapie zwingend ist, dass aber auch das Erkennen von narzisstischen Aspekten im normalen
Kognitive Merkmale des narzisstischen Psychotherapeuten
1.
Therapieerfolg auf sich attribuieren (Besserungen beim Patienten auf sich und seine Leistung als Therapeut beziehen und nicht auf den Patienten)
2.
Erwartung, ohne entsprechende Leistung vom Gegenüber als überlegen anerkannt zu werden (leicht zu erreichen bei Patienten denen es nicht gut geht)
3.
Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten
4.
„Ich mache keine Fehler!“
5.
Hoher Anspruch und gleichzeitige Angst, Ansprüchen nicht zu genügen
6.
Eigene Vorteile im Vordergrund
7.
Sich wichtiger sehen als den Patienten
8.
Überschwänglich positives Selbstbild
9.
„Ich weiß immer was ich tue und wie es dem Patienten geht.“
10. Auf sich selbst bezogen 11. „Erzähle mir deine Probleme und ich helfe dir“ 12. „Ich weiß in Fortbildungen mehr als die Dozenten.“
Tabelle 1
Tabelle 2:
Affektive Merkmale des narzisstischen Psychotherapeuten
1.
Gesteigertes Verlangen nach Bewunderung, Anerkennung, Liebe
2.
Befriedigung eines Machtbedürfnisses
3.
Leicht kränkbar
4.
Voller Eigenliebe
5.
Kritische Fragen des Patienten werden als Angriff empfunden
6.
Ständige Unsicherheit und Selbstzweifel bzw. Selbstsicherheit gepaart mit Streben nach Anerkennung
7.
Anerkennung wird erfüllt durch Patienten
8.
Verärgert über Zuspätkommen des Patienten etc.
9.
Eindruck des Therapeuten als „wichtiger“ erachtet als der Eindruck des Patienten, daher Annehmen von Kritik eher nicht möglich
10. Schwierigkeiten bzgl. Empathie, daher einhergehende Schwierigkeiten, die
therapeutische Beziehung authentisch und empathisch zu gestalten 11. Kein echtes Interesse für den Patienten
Tabelle 2
37
Literaturverzeichnis
Tabelle 3:
Verhaltensmerkmale des narzisstischen Psychotherapeuten
1.
„Ausbeutung“ des Patienten, Ausnutzung der Machtposition
2.
Machtgefälle in therapeutischer Beziehung, „Patient sucht Hilfe bei MIR“
3.
Herablassend, hochmütig
4.
Abwerten von Patienten, die als „bedrohlich“ empfunden werden
5.
Arrogantes Auftreten, statusbewusst
6.
Manipulatives Verhalten
7.
Immun/empfindlich gegenüber Kritik, nach außen übertriebenes Selbstbewusstsein (aufgrund von mangelndem Selbstwert), führt zu ambivalenten/widersprüchlichen Botschaften beim Patienten und stellt ein schlechtes Rollenmodell für den Patienten dar
8.
Kann sich schlecht einfühlen, Patient fühlt sich nicht wahrgenommen
9.
Rücksichtslosigkeit, egoistisches Auftreten, eigensüchtig
10. Eventuell Gefahr, Leistungen des Patienten aus Neid zu zerstören/schlecht zu
• Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (1996): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Grundlagen und Manual. Bern: Huber • Boothe, B. (2020): Narzissmus, Stigmatisierung und Wohlwollen in der Psychotherapie. In Steger, F. & Brunner, J. (Hrsg.): Ethik in der Psychotherapeutischen Praxis. Stuttgart: Kohlhammer (S. 86 –94) • Boothe, B. & Streek, U. (2004): Selbstgerechtes Wohlwollen in der Psychoanalyse. In: Boothe, B. & Stroellger, P. (Hrsg.): Moral als Gift oder Gabe? Zur Ambivalenz von Moral und Religion. Würzburg : Königshausen & Neumann (S. 45– 58) • Davison, G., Neale, J. & Hautzinger, M. (Hrsg.) (2002): Klinische Psychologie. Weinheim: Beltz S. 464 –465 • Dilling, H. & Freyberger, H. (Hrsg.) (2019): F60.80 narzisstische Persönlichkeitsstörung (9. Auflage). Bern: Hogrefe S. 349 • Franke, I. & Richer-Rössler, A. (2013): Missbrauch in der Psychotherapie. In: Boothe, B. & RicherRössler, A.: Frauen in der Psychotherapie. Stuttgart: Schattauer S. 433 – 445 • Gathmann, P. & Semrau-Lininger (1996): Der verwundete Arzt. Ein Psychogramm des Heilberufs. München: Kösel • Grawe, K. (1998): Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe • Sachse, R. (2002): Histrionische und Narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe
machen 11. Lügenneigung 12. Sich profilieren gegenüber dem Patienten mit oberflächlich sichtbaren Dingen
(Büchern etc.), (non-)verbal oder durch die Verwendung von Fachbegriffen/ Intellektualisieren von Inhalten 13. Übertriebenes Erscheinungsbild/Kleidung, Eitelkeit, etwas „Besonderes“ aus-
strahlend und erwartend 14. „schwierige“ Patienten nehmen, um sich selbst in seiner Kompetenz zu bestätigen 15. Kollegen erklären, wie es geht
Tabelle 3
Seelsorgers, die in dieser Kombination lege artis eingesetzt durchaus zu sehr positiven Behandlungsergebnisse führen kann, aber auch sämtliche Gefahren des „Machtmissbrauchs“ in sich birgt.
Madlena Sutor ist Psychologin M.Sc.
Prof. Dr. Heinz Rüddel ist Diplom-Psychologe, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, sowie Internist und in einer Praxisgemeinschaft tätig.
Danksagung
Die empirischen Beschreibungen von narzisstischen Merkmalen des Psychotherapeuten (Delphi-Befragung) wurden unter Mitwirkung von Magdalena Biroth, Anna von Zabern Scott-Woods, Laetitia Rinke, Sarah Sophie Kub und Gregor de Mülder erstellt.
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Illustration: Antonio Rodriguez / Adobe Stock
Bereich in der Psychotherapie relevant sein müsste. Besonders notwendig erscheint uns die Herausarbeitung von narzisstischen Aspekten der Psychotherapie immer dann, wenn Psychotherapie im Kontext einer seelsorglichen Betreuung durchgeführt wird. Durch die Dimension der Seelsorge in der Psychotherapie kommt eine weitere potenziell positiv aber auch potenziell negative Problematik hinzu, nämlich die des Machtmissbrauchs. Die oder der psychotherapeutisch aus- und weitergebildete Seelsorger hat neben seiner Kompetenz als Therapeut die Machtfülle des
Autoren
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Psychologische Studien zum Thema Narzissmus in sozialen Medien Von Maike Prolingheuer
In sozialen Medien haben Nutzerinnen • und Nutzer die Möglichkeit miteinander zu interagieren und sich selbst darzustellen. Verschiedene psychologische Studien zeigen, dass diese Plattformen insbesondere von Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen genutzt werden und sich diese Eigenschaften dann auch verstärken können, aber nicht zwangsweise müssen.
Dabei darf Narzissmus nicht mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gleichgesetzt werden. Diese beinhaltet eine extreme Ausprägung des Narzissmus, die das Alltagsleben der betroffenen Person beeinträchtigt. Die virtuelle Welt gibt Personen mit narzisstischen Eigenschaften einen optimalen Raum für (überzogene) Selbstdarstellung und ein großes Publikum. Durch die
„Personen mit einem hohen Narzissmuswert haben folgende Eigenschaften: überhöhte Selbsteinschätzung, Ich-Bezogenheit, Verwendung selbstdienlicher Verzerrungen, Betonung von Erfolg, Macht und eigener Großartigkeit, Desinteresse an anderen, Empathiemangel, überhöhtes Interesse an eigener Person, geringe Verträglichkeit, Sensationssuche sowie übertriebene Selbstdarstellung. Durch ihre soziale Gewandtheit können Narzissten leicht Bekanntschaften schließen, die jedoch eher oberflächlich und meist kurzlebig sind.“ (Brailivskaia /Bierhoff 2012, S. 45). 1
Bild: rawpixel.com/ Adobe Stock
Abb. 1
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besondere Form der Interaktion im Internet fallen die selbstsüchtigen und arroganten Züge von Narzissten erst nach längerer Zeit auf, weshalb sich Kontakte länger halten als in der Offline-Welt.2 Das Internet stellt also eine Art Spiegel für narzisstische Personen dar, mit der besonderen Eigenschaft, dass dieser Spiegel die Fähigkeit besitzt, Nachteile auszublenden. Bei Nutzung eines Social Media-Profils (hier Studi-VZ) zeigte sich in der Studie von Julia Brailovskaia, und Hans-Werner Bierhoff 3 auch eine hohe Übereinstimmung zwischen narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen und der Teilnahme an und eigene Gründung von vielen Diskussionsund Austauschgruppen, Freundesanzahl, Pinnwandeinträgen sowie der Einstellung von Partybildern. „Likes“ dienen dabei der Selbstwertstärkung. In ihrer Masterarbeit 4 verweist Julia Kainz auf eine Studie von Fox/Rooney 5 die feststellt, dass soziale Medien Narzissten dazu verhilft, die für sie wichtige Bewunderung und positive Bewertung zu erhalten. SelfiePosts kommen dabei überwiegend von Narzissten und die Zeit, die Nutzer auf Facebook verbringen ist bei Narzissten höher. Besonders auffallend sind die Ergebnisse der EgoTech Studie 2017 der Digitalagenturgruppe SYZYGY unter 1.024 Millenials
Körperkult spielt im Narzissmus eine große Rolle, auch beim alltäglichen Narzissmus. Viele Menschen verlagern ihr inneres Problem auf Äußerlichkeiten. (geboren zwischen 1981 und 1998) im Vergleich zu 1.004 älteren Deutschen aus der Generation X (1965 – 1980) und der BabyBoomer Generation (1945 – 1964). Darin werden die Millenials als „Generation Narzissmus“ bezeichnet, deren Lebensgefühl von Überlegenheitsgefühl, Exhibitionismus und Eitelkeit gekennzeichnet sei. Ergebnisse der Befragung 6: „Es besteht ein klarer kausaler Zusammenhang zwischen dem NarzissmusLevel der Millennials und ihrer Nutzung von Selfies, Social Media und sogenannten On-Demand-Apps […] die quasi mit einem Klick eine Sofort-Dienstleistung erbringen. Bundesweit gesehen sind deutsche Millennials 13 Prozent narzisstischer veranlagt als ältere Generationen. Ihr Handy ist ihnen so wichtig, dass 48 Prozent lieber einen Monat kein Frühstück zu sich nehmen würden als das Smartphone abzugeben. Und 28 Prozent der deutschen Millennials würden sogar eher einen Monat auf Sex verzichten als auf ihr Handy. Auch die Nutzung von FitnessTrackern und sprachgesteuerten Assistenten fördert nachweislich den Narzissmus-Grad dieser Generation.“ Spannend ist ihr Fazit, das sie ziehen: „Die Millennial-Generation in Deutschland dreht sich gerne um sich selbst und beansprucht für sich nur die besten Produkte und Dienstleistungen. Somit ist die „Generation Narzissmus“ eine echte Herausforderung für Unternehmen, die sie als Konsumenten gewinnen wollen. Es sind besondere Services und Technologien gefragt, die ihrem Ego schmeicheln und den Trend zur Selbstinszenierung unterstützen.“ Insbesondere der letzte Satz verrät die Motivation der Umfrage-Initiatoren: Sie verkaufen Performance Marketing an Firmen. Deshalb macht Michael Haller in einem Aufsatz, darauf aufmerksam, dass über Stichprobengenerierung, Erhebungsverfahren, Validität oder Repräsentanz dieser Studie nichts zu erfahren sei. Vielmehr kommt er durch Sichtung weiterer Studien, die sich allgemein dem jugendlichen Medienkonsum
widmen, zu einem differenzierteren Ergebnis: „Nicht die Öffentlichkeit der etablierten Medien liefert Orientierung, sondern die Community. Sie ist auch der Spiegel, vor dem man sich zeigen will. Das Handy als Selfie-Medium dient nicht der narzisstischen Selbstbewunderung; es ist Mittel zum Zweck, in der Peer-Gruppe anerkannt zu werden (…) Und die etablierte Erwachsenenwelt staunt (und lernt vielleicht), dass die so narzisstisch wirkende Selbstverwirklichung weit mehr als eine Inszenierung ist; als Teil der neuen Kultur zielt sie auf den Gruppenkonsens der Peer-Community. Dies erzeugt unter den Jungen allerdings sozialen Druck, der auf Konfluenz, auch Einordnung gerichtet ist und persönliche Profilierungsinteressen eher unterdrückt.“ 7 Mit den folgenden Ausschnitten aus einem Interview von Zeit online mit Hans-Joachim Maaz, Psychiater, Psychoanalytiker und Autor über „Narzissmus im Sport“ kommen wir zu einem Unterthema: Narzissmus und (medialer) Körperkult:8
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ZEIT ONLINE: Die Medien werden aber auch gerne benutzt, um die eigene Großartigkeit zu betonen, um sich zu inszenieren, siehe Christiano Ronaldo. Maaz: Ja. Superstars halten sich für unbesiegbar und kommen ganz schlecht mit dem körperlichen Verfall und dem Nachlassen der Fähigkeiten zurecht. ZEIT ONLINE: Was passiert dann? Maaz: Meist ist der Zusammenbruch bei besonders erfolgreichen Athleten besonders groß. Es fällt ihnen schwer, sich einzugestehen, dass es nicht mehr geht. Denn das hieße ja auch: Sie sind nicht mehr so großartig, wie sie es für ihr seelisches Gleichgewicht immer gebraucht haben. […] ZEIT ONLINE: Welche Bedeutung kommt dem Körper der Athleten zu? Maaz: Körperkult spielt im Narzissmus eine große Rolle, auch beim alltäglichen Narzissmus. Viele Menschen verlagern ihr inneres Problem auf Äußerlichkeiten. Sie betonen ihre Körperformen durch Training, durch Diäten, durch Kleidung oder sogar kosmetische Nachhilfe. ZEIT ONLINE: Nicht nur Sportler stellen ihr halbes Leben auf Facebook, Twitter oder Instagram zur Schau, posten teils Persönliches oder gar Intimes. Ist auch das Ausdruck narzisstischen Verhaltens? Maaz: Ja, natürlich. Soziale Netzwerke werden häufig missbraucht für die narzisstische Darstellung, wenn man jeden Pups ins Netz stellt. Da geht es um das Bedürfnis, präsent zu sein, sich selbst Bedeutung zu geben, positives Feedback zu bekommen.
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de’ig n is-ma g a z in – Therapeutische Fachartikel
Michael Kirisits untersucht in seiner Diplomarbeit die Bedeutung von Fitness und Körperkult in Zeiten von Social Media.9 Schon in der Antike war die Ästhetik des Körpers im Blick und Anerkennung bekam, wer durch seine Fitness Außergewöhnliches leisten konnte. Heute haben sich die Arenen von damals in den virtuellen Raum verlagert. Anerkennung erfolgt mit Daumen nach oben oder „Gefällt-mir“. Diese Anerkennung bestärkt das Selbstbewusstsein des körperbewussten Menschen und ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Subkultur kann entstehen. Die Körpergestaltung zeigt sich in unserer Gesellschaft z. B. in Form von Krafttraining, Tätowierungen und diverse Implantate. Das World Wide Web bietet dabei eine größere Präsentationsfläche, aber auch weitere Inszenierungsmöglichkeiten bis hin zur Schaffung einer Online-Identität. Wobei die meisten, nach Einschätzung von Kirisits, an einer glaubhaften Inszenierung feilen und in der Realität so wahrgenommen werden wollen wie in den Sozialen Medien. Die Internetseite „Schau hin“ warnt vor allem Heranwachsende vor den Folgen, die die Orientierung an online präsentierten Körperbildern haben kann.10 Bei Jugendlichen ist es normal, dass sie sich mit sich selbst und ihrem Körper im Rahmen der Identitätsentwicklung auseinandersetzen. Unrealistische Körperinszenierungen und ungesunde Körperideale führen aber eher dazu, den eigenen Körper als minderwertig zu empfinden. So finden sich in Sozialen Medien z. B. Gruppen, die Ess-Störungen oder andere psychische Erkrankungen als anzustrebenden Lifestyle verherrlichen. Als hilfreiche Gegenbewegung wird „Body Positivity“ erwähnt. Unter diesem Namen posten auch bekannte Personen ungeschminkte und unbearbeitete Bilder von sich selbst. Auch Kainz spricht sich am Ende ihrer Masterarbeit für eine strikte Kennzeichnung „beautyretuschierter“ Werbung aus, um der „Gefahr zu begegnen, Authentizität zu Egomanie verkommen zu lassen.“11 Dazu sieht sie auch eine Notwendigkeit für Medienpädagogik, die den Jugendlichen die Gefahren Sozialer Medien vermittelt, insbesondere seine Privatsphäre zu schützen und
sich nicht vollständig authentisch zu geben. Fußnoten Sie verweist auch auf das Christentum: In 1 Brailovskaia, Julia/Bierhoff, Hans-Werner (2012): Sensationssuchende Narzissten, Extraversion und der Bibel/dem Handeln Jesu ist Leiblichkeit Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken im Web mit Freude und Genuss verbunden, was zur 2.0. Journal of Business and Media Psychology (2012) Dankbarkeit in Bezug auf die Schöpfung/ 3, Heft 2, 43 –56, S. 45 verfügbar unter: www.journalbmp.de Geschaffen sein führen kann. Die christliche 2 vgl. Brailivskaia/Bierhoff Anthropologie – der Mensch als geliebtes 3 Brailivskaia/Bierhoff Ebenbild Gottes („Ich bin, wie ich bin, sehr 4 Kainz, J. (2016): Jugendlicher Körperkult und Soziale Medien. (Sozial-)ethische Problemzonen gut“) – kann Jugendlichen helfen, dem und deren Untersuchung aus christlicher PerspekAnpassungsdruck der Körper- und Schön- tive. Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen heitsnorm begegnen zu können. Hilfreich Grades einer Magistra philosophiae (Mag.a phil.) an der Karl-Franzens-Universität Graz. https://unipub. hierfür sind auch Konzepte des Selbstmit- uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/1653134/ gefühls und der Selbstannahme. full.pdf abgerufen am 2.11.2020 Fox, J./Rooney, M.: The Dark Triad and trait self-objectification as predictors of men´s use and self-presentation behaviors on social networking sites. In: Personality and Differences, Jg. 76, (April 2015) 6 Egotech-Studie 2017: https://ir.syzygy.net/germany/de/news/egotech-studie abgerufen am 5.11.2020 Frindte, I. / Frindte, W. (2020): Vom Impact der Sozialen Medien in: Halt in haltlosen Zeiten, S. 129–136. Springerverlag. 7 Haller, Michael (2018): Narzissten in der Filterblase. Zum Medienverhalten der Millenials. https:// eijc.de/2018/11/28/narzissten-in-der-filterblase/ abgerufen am 2.11.2020 8 Maaz, H.-J. und Fritz, T. (ZEIT online): Interview zu Narzissmus im Sport (1.3.2016). https:// www.zeit.de/sport/2016-02/narzissmus-spitzensportinterview/komplettansicht abgerufen am 2.11.2020 9 Kirisits, M. (2016): Fitness und Körperkult zu Zeiten von Social Media und Online Video Portalen. Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der AlpenAdria Universität Klagenfurt. https://netlibrary. aau.at/obvuklhs/content/titleinfo/2414784/full.pdf abgerufen am 2.11.2020 10 Schau Hin!: https://www.schau-hin.info/sicherheit-risiken/medialer-koerperkult-gefaehrliche-ideale abgerufen am 10.11.2020 11 Kainz, J. (2016) 5
Fazit
Die dargestellten Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zeigen, dass soziale Medien bevorzugt von Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen als Präsentationsfläche für Anerkennung genutzt werden. Auch für Gestaltung der eigenen Person durch Körperkult sind Narzissten anfälliger. Der christliche Glaube stellt ein gutes Gegengewicht zur Sogwirkung medialer Selbstdarstellung und ungünstigem Vergleichsverhalten dar. So hilft der Glaube, die positiven Aspekte sozialer Medien zu nutzen ohne den Gefahren zu erliegen.
Literatur • Halpern, D./Valenzuela, S. / Katz, J. E. (2016): “Selfie-ists” or “Narci-selfiers”? A cross-lagged panel analysis of selfie taking and narcissism. In: Personality and Individual Differences 97, 98 –101.
Autorin
Maike Prolingheuer ist Lehrerin, Psychologische Beraterin und Therapeutin (de’ignis), Heilpraktikerin für Psychotherapie und als Fachbereichsleitung Seminare – Beratungsstelle am de’ignis-Institut tätig.
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Anspruchsdenken und Dankbarkeit – pathogene und heilende Faktoren bei Depression Zur Diskussion von Prof. Dr. Romuald Jaworski (Übersetzt aus dem Polnischen)
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[1] Das Phänomen der Depression aus psychologischer Sicht
Zur Diskussion: Hier werden Beiträge veröffentlicht, die nicht in allen Punkten der Meinung des Redaktionsteams entsprechen müssen.
„Doch alles, was ihr tut und sagt, sollt ihr • im Namen des Herrn Jesus tun und durch
ihn Gott, dem Vater, danken!“ Kolosser 3,17 Im Rahmen meiner Überlegungen zum Krankheitsbild der Depression möchte ich auf einige Aspekte aufmerksam machen, die im Verlauf der Diagnose und Therapie berücksichtigt werden und zu einer wirksameren Behandlung dieser Störung beitragen könnten. Unzufriedenheit ist ein wesentlicher Aspekt einer Depressionssituation. Sie wird durch Distanz und Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Person und der aktuellen Situation verursacht. Die Unfähigkeit, das angestrebte Ziel zu erreichen, löst Frustration, Wut und Aggression aus. Das Streben nach Gesundheit, Freude und optimalem Funktionieren auf der einen Seite und die gegenwärtigen Schwierigkeiten auf der anderen Seite führen zu Enttäuschung, Unzufriedenheit und Trauer. Die aufkommende Anspruchshaltung löst Bitterkeit, Depression, Aggression oder Resignation aus. Die Erfahrung, die den anderen Pol oder die Befriedigung stärkt, ist Dankbarkeit, die mit dem Gefühl verbunden ist, begabt zu sein. Wenn ein Mensch jede neue Situation und jeden neuen Zustand als eine Aufgabe und ein Geschenk annimmt, dann ermöglicht ihm die Haltung der Dankbarkeit gegenüber Gott, den Menschen und der Welt, Unzufriedenheit zu überwinden und die Nöte mit Zuversicht anzugehen. Diese Bedingung ist im Grunde die Hauptrichtung der Bestrebungen in den meisten Psychotherapien.
Depression ist ein komplexes Phänomen. Versuche, seine Natur, Ursachen und Wirkungen klar zu definieren, lösen viele Kontroversen aus. Depression kann ein Symptom, eine Krankheit oder eine Reaktion sein.1 Sie befindet sich normalerweise unter den psychischen Störungen, wird aber aufgrund der damit einhergehenden spezifischen biologischen Veränderungen auch als somatische Störung behandelt. Viele Autoren betonen auch die spezifischen Symptome der spirituellen Sphäre.2 Manchmal wird Depression mit der von dem Mönch Evagrius beschriebenen Acedia (Trägheit des Herzens) verglichen.3 Eine integrative Herangehensweise an das Phänomen der Depression, die sich auf das Konzept der Logotherapie von V. E. Frankl bezieht, setzt das Zusammenspiel der drei Bereiche (somatisch, psychologisch und spirituell) voraus und erfordert eine synergetische Zusammenarbeit in der Therapie: Arzt, Psychologe und spiritueller Leiter. Das klassische Konzept der Depressionstypologie, das auf der Ätiologie dieser Störung basiert, umfasste drei Arten von Depressionen: endogen (im Menschen liegend, aber mitunbekannter Ätiologie), exogen (Folge von organischen Ursachen, z. B. Gehirnschädigungen) und psychogen bzw. reaktiv (verursacht durch traumatische Erfahrungen in der persönlichen Lebensgeschichte). Was diese Depressionen miteinander verbindet, sind die charakteristischen Symptome. Die sogenannten Hauptsymptome nach ICD-10 sind: Gedrückte/depressive Stimmung, Interessenverlust/Freudlosigkeit und Antriebsminderung. Dazu können kommen: Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit; Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen; Schuldgefühle und Gefühle der Wertlosigkeit; Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven; Suizidgedanken, selbstverletzende- oder Suizidhandlungen; Schlafstörungen oder verminderter Appetit.
[2] Zufriedenheit und Unzufriedenheit zwei archaische emotionale Erfahrungen
Bei der Suche nach den Gründen für die Unterscheidung von depressiven Menschen und Menschen, die gut mit Schwierigkeiten umgehen können, werden am häufigsten zwei Faktoren berücksichtigt: Persönlichkeitsfaktoren und traumatische Erfahrungen in der persönlichen Lebensgeschichte. Emotionale Zustände (Melancholie) stehen in engem Zusammenhang mit der Physiologie. Daher dominiert die Pharmakotherapie bei der Behandlung dieser Erkrankungen (endogene und exogene Depression). Wo die Ursachen der Depression traumatische Erlebnisse aus der Kindheit oder der Gegenwart waren, erweist sich die Psychotherapie als wirksam in der Behandlung. Der Zusammenhang von psychischen und somatischen Zuständen bei Depressionen ist unbestritten. Die Bestimmung der Richtung dieser Beziehung ist jedoch Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Es ist bekannt, dass sowohl somatische Erkrankungen als auch hormonelle Störungen depressive Zustände auslösen können. Depressive Verstimmungen können sich in Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Magenproblemen manifestieren. Unabhängig von der Quelle des depressiven Zustands ist die allgemeine Erfahrung von Unzufriedenheit, die ein Niveau erreicht, das die Fähigkeit zur Verarbeitung und Bewältigung derselben übersteigt. Psychoanalytiker weisen auf die Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen hin. Zu den primären Emotionen, die sich im Leben eines Kindes zeigen, gehören Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Es lohnt sich, depressive Zustände aus der Perspektive dieses zugrundeliegenden Gefühls zu betrachten. Wenn ein Kind im Säuglingsalter lange Zeit Mangel aufgrund des Entzugs grundlegender biologischer und psychologischer Bedürfnisse erfährt, wie z. B. Ernährung, Gesundheit, Nähe der Mutter oder der Erziehungsberechtigten, Überwindung von Angst vor dem
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Eine Gegenerfahrung zu Depression ist Dankbarkeit, die mit dem Gefühl verbunden ist, begabt zu sein. 45
Verlassen werden (E. H. Erikson). Wenn also Grundbedürfnisse nicht befriedigt wurden, wenn es keine tiefe positive Bindung gab, die auf die Bereitschaft zur Unterstützung und Fürsorge hinweist, dann kann sich bei einer Person mit zunehmendem Alter Traurigkeit und sogar Verzweiflung entwickeln. Es entsteht dann ein Wahrnehmungsmuster (Matrix) das die Welt durch eine Brille der Unzufriedenheit und Bedrohung sieht. Wenn jedoch ein Kind in einer Situation mit erlebter Frustration, auf positive Resonanz seitens der Umwelt und Unterstützung stieß, wurde eine positive Matrix erstellt, die mit den Worten zusammengefasst werden kann: „Mit jeder Schwierigkeit kann ich mit Hilfe meines Umfeldes fertig werden.“ So entstehen bereits in den ersten Lebensmonaten Wahrnehmungsmatrizen, die sich im weiteren Leben in pessimistischen oder optimistischen Einstellungen zeigen. Die Toleranzgrenze für die Entbehrung von Bedürfnissen ist vielfältig, individualisiert und es ist nicht einfach, die Ursachen dieser Vielfalt zu finden. Man ist sich jedoch einig, dass sowohl Aufklärungsbemühungen als auch psychotherapeutische Interventionen dazu neigen, Unzufriedenheit und Pessimismus zu überwinden und eine Haltung des Mutes, des Vertrauens und der Zufriedenheit zu entwickeln. Wenn es gelingt, von einer pessimistischen Weltsicht zu einer optimistischen Zuversicht überzugehen, könnte Depression als überwunden betrachtet werden.
aufgetretenen Schwierigkeiten kann verschiedene Ursachen haben. Es kann von der Tragweite der das Trauma auslösenden Ereignisse und dem Ausmaß der Bedrohungen abhängen. Es ist wichtig, die Größe des Traumas und die zu erwartende Chance, es persönlich bewältigen zu können, zu beurteilen. Unzufriedenheit kann jedoch auch auf überhöhte Erwartungen einer Person zurückzuführen sein. Wir leben in einer Zeit des Wohlstands und exorbitanter Versprechungen auf schnellen Erfolg (jung, gesund, schön und reich). Aufgrund der Erwartung auf Erfolg und fast grenzenlosem Konsum ist das Ergebnis oft Überforderung, Burnout, ein Gefühl des Scheiterns, Niederlage und Resignation. Ein Kind kann seine Reaktion auf Mangel nur schwer hinauszögern. Wenn seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden, drückt es seine Unzufriedenheit direkt durch Weinen und Schreien aus. Ebenso drückt der Mensch in einer Situation der Mangelerfahrung im Erwachsenenleben seine Unzufriedenheit in Form von Aggression, Depression, Wut und Resignation aus. Zwar ist das Spektrum an depressiven Verhaltensweisen bei Erwachsenen viel breiter als bei kleinen Kindern, doch in seiner tiefsten Ebene äußert es sich als Unzufriedenheit. Diese Unzufriedenheit geht oft mit Selbsthilfestrategien einher, die als Abwehrmechanismen bezeichnet werden: Unterdrückung von Gefühlen, Rationalisierung, Projektion, Fixierung, Regression. Ihre spezifische Eigenschaft ist, dass sie das Problem nicht lösen, sondern [3] Depression als regressive Form es zum Schweigen bringen oder übertönen. Ähnlich ist es mit Stimulanzien, Drogen, der Unzufriedenheit, die durch die Diskrepanz zwischen Anspruch / impulsivem Verhalten und Zwängen, aber auch Sex-, Einkaufs- und Glücksspielsüchte Erwartungshaltung und Wirklichkeit ausgelöst wird lindern die Schmerzen und stärken die ÜberDie Diskrepanz zwischen dem erwar- lebensstrategien, sind jedoch weit weg von teten Zufriedenheitszustand und den einem Leben in Freiheit. Ihr Vorhandensein
trägt nicht zur Beseitigung von Depressionen bei, sondern verstärkt sie häufig. Zufriedenheit oder Unzufriedenheit ist eine Reaktion auf Erfolg oder Misserfolg bei der Verfolgung von Zielen, die in der Regel darin bestehen, die Bedürfnisse zu stillen, sich an geltende Normen und Vorschriften anzupassen oder anerkannte Werte auszuleben. [4] Formale (quantitative) und inhaltliche (qualitative) Beurteilung von Traurigkeit und Enttäuschung in der Depressionsforschung
Mit einer gewissen Vereinfachung könnte man sagen, dass die Tiefe einer Depression abhängig ist vom Tief der Traurigkeit und Unzufriedenheit über bestimmte Situationen. Diese Art von Interpretation steht bei der Untersuchung depressiver Zustände und bei der Diagnose der begleitenden Psychotherapie depressiver Störungen im Vordergrund. Die Forschung befasst sich mit der Schwere (quantitativen Aspekt) der Traurigkeit und weniger mit dem qualitativen Aspekt in Bezug auf den Inhalt der depressiven Haltung. Eine wertvolle Ergänzung könnte daher eine gründlichere Analyse dessen sein, was einer depressiven Person fehlt. In der Regel handelt es sich dabei um Defizite oder Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Unfähigkeit der Bewältigung von Aufgaben, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Müdigkeit, Traurigkeit, Verlust oder Bedrohung. Es wird von mangelnder Sicherheit, mangelnden sozialen Beziehungen und mangelnder Unterstützung sowie häufig von mangelndem Sinn berichtet. Die Beachtung des inhaltlichen Aspekts in der erlebten Depression kann durch eine eingehende Analyse der Werte und Ziele einer bestimmten Person hilfreich sein. Die Inhaltsanalyse hilft, die Welt der Werte zu priorisieren. Im Verlauf der Psychotherapie
Wenn es gelingt, von einer pessimistischen Weltsicht zu einer optimistischen Zuversicht überzugehen, könnte Depression als überwunden betrachtet werden. de’ig n is-ma g a z in – Therapieentwicklung und Forschung
kann festgestellt werden, dass einige Ziele nicht verfolgenswert sind, dass einige Bestrebungen destruktiv oder toxisch sind. Dann kann sich herausstellen, dass sich die Unfähigkeit, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und die Unfähigkeit, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen, für eine bestimmte Person, die sich derzeit in einem Zustand der Frustration befindet, als vorteilhaft oder sogar heilend erweisen kann. [5] Biologische, psychologische und spirituelle Aspekte der Depression
Eine wirksame Behandlung erfordert normalerweise Eingriffe in jeden Bereich menschlichen Daseins. Eine multilaterale Hilfsstrategie erweist sich als die effektivste. Die Zusammenarbeit eines Arztes, der die geeigneten Medikamente auswählt, die das Nervensystem des Patienten beeinflussen, sowie eine gut gewählte Psychotherapie und spirituelle Anleitung können zu einem schnellen und effektiven Genesungsprozess beitragen. Medizinische Hilfe in Form von z. B. Antidepressiva kann sehr effektiv zur Verbesserung der Stimmung und zur Steigerung der geistigen Aktivität von Menschen mit endogener Depression beitragen. Diese medizinische Hilfe erleichtert es dem Psychotherapeuten, den Patienten zu kontaktieren, löst jedoch nicht seine tiefen Konflikte und Traumata. Deshalb ist es notwendig, Patienten mit Psychotherapie und spiritueller Betreuung zu unterstützen. Es bleiben jedoch wichtige Fragen offen: Ist der niedrige Gehalt an Dopamin, Serotonin und anderen Mediatoren das Ergebnis oder die Ursache niedergedrückter Stimmung und Depression? Verschlimmern Gebet und religiöses Leben die Depression oder lindern sie sie? In der psychologischen Literatur zum Thema Depression finden sich immer mehr Artikel, die die Bedeutung der Spiritualität bei der Behandlung von Depressionen betonen. Da jedoch in vielen Lehrbüchern der Psychiatrie und Psychologie der Aspekt der geistlichen Hilfe vernachlässigt wird, ist es angebracht, hier an die Zeugnisse von Menschen zu erinnern, für die sich die Intervention im geistlichen Bereich als fördernd für die Behandlung von Depressionen erwiesen hat.
Krzysztof Grzywocz 4 betont nicht nur die Bedeutung eines vertieften spirituellen Lebens für die Überwindung depressiver Zustände, sondern auch die Bedeutung von Depression im Prozess des Strebens nach Heiligkeit. „Das Verständnis des depressiven Menschen, die Fähigkeit, mit ihm zusammen zu sein, ist eine Gabe, eine Gnade dieses doppelten Dialogs.“ Ein interessanter Versuch einer integrierten Herangehensweise an das Problem der Depression wird von Gerald G. May: „Dunkle Nacht der Seele (Johannes vom Kreuz und die Heilige Theresa von Avila)“ 5 vorgestellt. Auch Wunibald Müller betont in dem Buch „Wie man aus einer Depression herauskommt“ 6 die Bedeutung von geistlicher Hilfe und Seelsorge, wobei er insbesondere die Rolle von Psalmen als charakteristische Ausdrucksform depressiver Zustände und den Prozess des Ausstiegs aus einer Depression durch eine vertiefte Beziehung zu Gott hervorhebt.
Die erwähnte Tatsache stärkt die Motivation für Arbeit und stärkt die Entscheidungsfreiheit und infolgedessen das Gefühl des Selbstwertgefühls. Indem man sich bewusst auf kleine Anzeichen für eine Verbesserung des Zustands und der Situation konzentriert, kann man Hoffnung auf die Überwindung der Depression setzen. Ein wichtiges Element im Kampf gegen Depression ist auch der Glaube an Unterstützung im spirituellen Bereich. Der Glaube, dass Gott einen Menschen mit seiner Kraft und seiner Gnade im Kampf gegen die Nöte unterstützen kann, erweist sich als starker Faktor im Heilungsprozess. Die Erfahrung von Gnade und Begabung spielt eine große Rolle im Kampf gegen Depression. Dank der Überzeugung, dass wir mit somatischen, mentalen und spirituellen Ressourcen ausgestattet sind, macht es einfacher, uns auf motivierende Interessen und Dankbarkeit zu konzentrieren. Körperliche und geistige Fitness, emotionale [6] Kann man es lernen, ohne Sensibilität, ein bestimmtes Wertesystem motivieren zum positiven Handeln. AngeDepressionen zu leben? Der Grad der Unzufriedenheit in depressi- sichts des Erlebens von Wohlbefinden tritt ven Zuständen hängt von den Kriterien zur Dankbarkeit in den Vordergrund, was dem Beurteilung des Zustands und dem jeweiligen Menschen aus der Depression heraushilft. Bezugspunkt ab. Wenn jemand seine Situation mit dem erwarteten Idealzustand vergleicht, [7] Strategien zur spirituellen ist er immer mehr oder weniger unzufrieden Unterstützung bei der Behandlung mit den erkannten Mängeln, Defiziten und von Depressionen Enttäuschungen. Wenn er andererseits seine Viele Autoren weisen darauf hin, wie wichSituation oder seinen Zustand in der Vergan- tig Spiritualität für die Überwindung von genheit als „Nullpunkt“ beurteilt, hat er immer Depressionen ist. Dr. A. Hart zitiert in seieine Erfahrung mit positivem Wert und sogar nem Buch Zeugnisse, die Gottes Wirken Erfolg, selbst mit den kleinsten Ressourcen, im Leben von Menschen, die mit Depresdie er nutzen kann. sionen kämpfen, belegen. „Gott gibt uns die Um es einfach auszudrücken: Depressionen Möglichkeit, auch unter den verheerendsten sind mit einem Gefühl der Unzufrieden- Umständen zu wachsen, wenn wir ihm verheit verbunden und werden überwunden, trauen“ 7 (Hart, 1994, S. 231). Die Autorin wenn man die positiven Aspekte des Lebens zitiert einen Bericht von Florence, wie Gott wahrnimmt. Wenn sich ein Mensch bei ihr geholfen hat, Depressionen, Ängste, der Beurteilung einer schwierigen Situa- Schuldgefühle und Wut zu überwinden. Es tion darum bemüht, die positiven Aspekte ist ein Zeugnis für das Wirken von Gottes seiner Situation zu erkennen: Ressourcen, Liebe und Gnade unter den dramatischsten kleine Erfolge, positive Veränderungen, die emotionalen Bedingungen. durch persönlichen Einsatz, Zeitaufwand Ich kenne einen Arzt, der sich in einer Situaoder Eingriffe in die Umwelt hervorgeru- tion tiefer Depression, in der er Gottes Einfen werden, kann er den Weg beschreiten, greifen erbat, intensiv zu erholen begann. seiner Depression entgegenzuwirken und Auf methodischer Ebene erwies sich das sie zu überwinden. Führen eines „Tagebuchs der Dankbarkeit“
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in seiner Situation als große Hilfe. Jeden Fußnoten Tag am Abend schrieb er alles auf, was er 1 A. Hart, Jak pokonać depresję. Wydaw. Krąg Rodzinny, Warszawa 1994, S. 16. (Oryg.: Dark Clouds, an diesem Tag positives erlebt hatte oder Silver Linings). wofür er dankbar sein konnte. Diese Noti- 2 G.G. May, Ciemna noc duszy, WAM Kraków zen halfen ihm, sich von der pessimistischen 21012 (Oryg.: The Dark Night of the Soul. A Psychiatrist Explores the Connection Between Darkness and Wahrnehmung der Realität zu distanzieren Spiritual Growth). A. Kheraty & J. Cihak, Katolicki und Freude und Dankbarkeit freizusetzen, przewodnik po depresji, WAM Kraków 2012 (Org.: was ihm die Kraft gab, sich wieder auf das The Catholic Guide to Depression. How the Saints, the Sacraments, and Psychiorty Can Help YouBreak Berufsleben einzulassen und das Familien- Its Grip and Find Happiness Again). leben zu vertiefen. 3 L. Misiarczyk, Acedia według Ewagriusza z Pontu. In einem katholischen Leitfaden zur Depres- „Studia Płockie”, 32, 2004, S. 64 – 84. S. Hiżycki (red.). Acedia – duchowa depresja. Wybór tekstów. Wydawsion weisen die Autoren auf die Bedeu- nictwo Benedyktynów Kraków Tyniec 2011. tung der von Seligman entwickelten und an 4 K. Grzywocz, Przesłonięte światło. Depresja a Tugenden orientierte positive Psychologie życie duchowe. „Zeszyty Formacji Duchowej”, 33/2006. S. 27. hin. „Charakterstärke und Tugendhaftigkeit 5 G.G. May, Ciemna noc duszy. Depresja a kryzys können Ihnen dabei helfen, Stressfaktoren duchowy oczami psychiatry. WAM Kraków 2012. effektiv zu widerstehen und den schwieri- (Oryg.: The Dark Night of the Soul. A Psychiatrist Explores the Connection Between Darkness and gen Prozess des Verlassens einer Depression Spiritual Growth.) zu meistern.“ 8 6 W. Muller, Jak wyjść z depresji. Wam Kraków Die obigen Überlegungen sind ein kleiner Beitrag zur Diskussion über Depressionen und die Suche nach einem Weg, um damit umzugehen. In der dichotomen Gegenüberstellung von „Dankbarkeit versus Anspruchshaltung“ besteht die Chance, depressiven Menschen zu helfen. Der Übergang von der Anspruchshaltung zur Dankbarkeit ist jedoch langwierig und schwierig. Die Arbeit an einem reifen Gottesbild („Gott ist Liebe“ 1. Johannes 4,16b) und eine positive Wahrnehmung von sich selbst und der Welt sind jedoch immer wichtige Elemente, um an sich zu arbeiten und destruktive geistliche und seelische Störungen zu überwinden.
2002, S. 43 – 55. (Oryg.: Dein Herz lebe auf. Hilfen aus der Depression). 7 Hart, Op. Cyt. 1994, S. 231. 8 A. Kheraty & J. Cihak, Op. Cyt., S. 251.
Romuald Jaworski ist katholischer Pfarrer, Professor, Psychologe und Psychotherapeut, Gründer und Supervisor der Gesellschaft für Christliche Psychologen in Warschau. Leiter des Lehrstuhls für Religionspsychologie an der Kardinal Wyszyński-Universität in Warschau, Priester der Diözese Plock in Polen. Langjähriger Leiter eines Priesterseminares, Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen im Bereich von Psychologie und Glaube. Wissenschaftlicher Beirat am de’ignis-Institut.
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Autor
„Gott gibt uns die Möglichkeit, auch unter den verheerendsten Umständen zu wachsen, wenn wir ihm vertrauen“
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Neustart der bewährten Arbeitstagung „Empirische Forschung zu Glaube, Psychotherapie und Seelsorge“ Von Dipl.-Psych. Rainer Oberbillig
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Mit dem Slogan „Es weht ein frischer Wind durch die Forschungslandschaft …“ hatten wir als erweiterter Trägerkreis zum Neustart der mittlerweile 22. Tagung am 9. und 10. Oktober 2020 nach Marburg eingeladen. Unser Gastgeber war die Evangelische Hochschule Tabor. Schon im Vorfeld trat Spannung auf: Nicht nur Unsicherheit, inwieweit das gewählte Thema „Religion und Liebe“ mit Beiträgen aus der empirischen Forschung auf genügend Interesse stößt, bewegte uns als Trägerkreis. Insbesondere eine Arbeitstagung in Zeiten von „Corona“ „live“ durchführen zu wollen, erlebten wir als echte Herausforderung; stand die Covid-19 Ampel für die Stadt Marburg doch bereits auf „Gelb-Rot“. In den stornierten Anmeldungen einzelner spiegelte sich die allgemeine Verunsicherung, sich noch in größerem Rahmen zum wissenschaftlichen Austausch zu treffen. Wir entschlossen uns als Team dennoch zur Durchführung der geplanten Arbeitstagung, im Vertrauen auf das sorgfältig durchdachte Hygienekonzept der EH Tabor. Am Freitagabend erwartete uns ein hochkarätiger wissenschaftlicher Eröffnungsvortrag des bekannten österreichischen Religionssoziologen Prof. Paul Zulehner. Wir erlebten ihn online per Video „live“ aus Wien zugeschaltet zum Thema „Religion und Liebe“. Beide Begriffe haben zentral mit Beziehung zu tun, so auch sein Vortrag. Mit dem Fokus „Religion lässt uns werden was wir sind – Liebende“ faszinierte er seine Zuhörer nicht nur mit seinem profunden Wissen zum Thema. Neben seinen international angelegten Forschungen zu Auswirkungen der Corona Pandemie imponierten und erfrischten auch seine Vitalität und Menschlichkeit. „Gänzlich Liebe werden“ als Programm aller Evolution einer grundguten Schöpfung sah Paul Zulehner bedroht von der allgegenwärtigen Angst als Feind der Liebe. „Öffnet Religion einen Raum, indem wir werden, was wir sind, Liebende? Und ist dies für alle Welt sichtbar?“ Um in der Angst bestehen zu können, gab unser Redner einen zentralen Schlüssel als Antwort weiter: Die Entscheidung zum Vertrauen, spirituell gegründet auf die Liebe Gottes in Christus Jesus. Der
rege Austausch unter den Teilnehmenden mit Fragen an den Referenten fand seine Fortsetzung schließlich noch im kleineren Kreis; dort konnten auch persönliche Beziehungen neu geknüpft oder gepflegt werden. Der Samstag hatte es dann in sich; ganze sechs Vorträge wurden geboten und mussten „verdaut“ werden: Am Vormittag die „State of the Art Beiträge“ von etablierten Forschenden aus dem Trägerkreis der beteiligten Institute der Arbeitstagung; nach der Mittagspause dann das Pendant zu den Themen des Vormittags mit der Vorstellung empirischer Studien von Nachwuchswissenschaftlern. In seinem Vortrag „Spiritualität wirkt, nur die Dosis macht’s“ nahm Prof. Stefan Huber von der Uni Bern Bezug auf seine langjährige empirische Forschung zu Zentralität und Inhalt der Religiosität. Was das praktisch beinhaltet, illustrierte PD Dr. med. Herbert Scheiblich vom de’ignis-Institut dann noch mit einer klinischen Fallstudie (n=1) zur spirituellen Intervention. Ebenfalls im Feld der empirischen Forschung zum religiösen Konstrukt-System ist die Online Studie „Gottesbeziehung bei interreligiösen Paaren“ angesiedelt. Im Ergebnis dieser Studie am Institut für empirische Religionsforschung in Bern kann vorsichtig formuliert werden: Die Gottesbeziehung ist eine Ressource in der Paarbeziehung. Kann man „Dankbarkeit“ trainieren? Dazu gab Prof. Henning Freund einen kompakt gehaltenen Einblick in seine empirischen Untersuchungen: Als unerwartetes Ergebnis der Studie scheinen „niedrig Religiöse“ klinisch am meisten vom Dankbarkeitstraining profitiert zu haben. Auch in einer psychologischen Masterarbeit, durchgeführt an der Klinik SGM Langenthal/Schweiz, konnte „Dankbarkeit“ als möglicher Prädiktor für eine Verbesserung des Therapieergebnisses in Betracht gezogen werden. In ihrem Vortrag zum Thema „Die Bindungsbeziehung zu Gott – ein dynamischer Wirkfaktor in der Therapie?“ stellte Dr. Sonja Friedrich-Killinger spannende Zusammenhänge zwischen der Sensitivität von Bezugspersonen und den sensitiven Beziehungserfahrungen in der Gottesbeziehung dar.
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Dieses Thema der Bindungsbeziehung mit Fokus auf „Väterliche Fürsorge versus Kontrolle“ wurde auch von einer empirisch angelegten Masterarbeit, durchgeführt an der de’ignis-Fachklinik gGmbH, aufgenommen (siehe Artikel auf Seite 52) . Wie sieht es nun aus mit dem erhofften und angestrebten „frischen Wind“?
Als Fazit der Tagung kann ein ausgeprägter Bedarf an fundierter empirischer Forschung zu „Glaube, Psychotherapie und Seelsorge“ festgehalten werden. Auch das grundsätzliche Interesse an entsprechenden weiteren Tagungen mit etablierten Forschenden und Nachwuchswissenschaftlern wurde deutlich geäußert. Das Feedback des Teilnehmerkreises zum Konzept und der Durchführung der Tagung war durchwegs positiv! Mit der Erweiterung des Trägerkreises um verschiedene Institute haben wir hierfür eine Plattform etabliert, auf der empirische Forschung durchgeführt sowie der wissenschaftliche Austausch darüber auf breiter Basis gefördert wird. Wir nehmen also die Initiative der APS auf und führen diese kreativ in die Zukunft. Darum Save the Date: 29./30. Oktober 2021 – nächste Arbeitstagung wieder an der EH Tabor!
Veransta lter der Ta g ung Marburger Institut für Religion und Psychotherapie (MIRP) ↗ www.eh-tabor.de/de/forschen/mirp de’ignis-Institut für Psychotherapie und christlichen Glauben ↗ www.deignis.de Institut für Empirische Religionsforschung Universität Bern ↗ www.ier.unibe.ch Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e. V. (APS) ↗ www.akademieps.de Forschungsinstitut FISG für Spiritualität und Gesundheit ↗ www.fisg.ch
Wie der Vater, so der Partner … und so auch Gott? Von Martha Laimer
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Als de’ignis-Fachklinik legen wir Wert darauf, unsere Therapieverfahren fachlich stets auf der Höhe der Zeit zu halten und weiter zu entwickeln. Wichtige Beiträge für künftige Entwicklungen entstehen aus klinischen Studien. Deshalb ermöglichen wir immer wieder jungen Nachwuchstherapeut*innen, mit Einverständnis der jeweiligen Patientenschaft solche Studien an unserer Klinik durchzuführen. Eine Zusammenfassung der jüngsten Studie lesen Sie im Folgenden:
Bild links: Kelly Sikkema / Unsplash
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Sein Vater schien ihn als Kind gar nicht wirklich wahrzunehmen. „Leistung gegen Liebe“ war das Motto, das das überbegabte Kind schon früh lernte. Die Beziehung zu seinem Vater war zentral für sein ganzes Leben. Sie prägte ihn, trieb ihn an und stürzte ihn schlussendlich in Abgründe. Ernsthafte gesundheitliche Probleme später im Leben waren voraussehbare Folgen seiner negativen Kindheitserfahrungen. Er suchte immer nach genau dieser Liebe und Fürsorge, die er als Kind nie bekommen hatte, vor allem nicht von der Person, von der er sie am dringendsten gebraucht hätte: von seinem Vater (Legrand, 2010, S. 8 –12). Dieser Junge, dessen ganzes Leben geprägt war von der harschen Kontrolle seines Vaters sowie der fehlenden väterlichen Fürsorge, war niemand anderes als der weltberühmte „King of Pop“-Michael Jackson. Jeder von uns hat in der Kindheit seine persönlichen guten und weniger guten Erfahrungen mit seinem Vater gemacht. Da ist es nicht verwunderlich, wenn bei dem Einen oder Anderen die Frage aufkommt, wie sich diese frühen Erlebnisse auf die eigene Entwicklung ausgewirkt haben. Denn auch die aktuelle Forschung widmet sich vermehrt der spannenden Frage, welche Relevanz diese frühen Kindheitserfahrungen für die persönliche Entwicklung und vor allem für zukünftige Beziehungen, wie zum Beispiel der Beziehung zum eigenen Partner, haben. Zuvor wurde die Bedeutung des Vaters für die entwicklungspsychologische Entwicklung des Kindes eher gering eingestuft, da man davon ausging, dass die Mutter von Natur aus dafür bestimmt sei, die primäre Bezugsperson von Säuglingen und Kleinkindern zu sein. Eingehende Beobachtungen
zeigen jedoch, dass Väter nicht weniger feinfühlig auf kindliche Bedürfnisse reagieren als Mütter. Der Einfluss des Vaters auf die sozio-emotionale Entwicklung des Kindes scheint einzigartig zu sein. Die Art und Weise, in der ein Vater mit seinem Kind interagiert, könnte für dessen Entwicklungsprozess von großer Bedeutung sein. Er hilft dem Kind zum Beispiel mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, Autonomie zu erlangen und Risiken einzugehen. Damit lehren Väter ihre Kinder in unbekannten Situationen mutig zu sein und für sich selbst einzustehen. Vor allem die „spielerische Rauferei“ als charakteristisch väterliche Spielweise ist ein starker Prädiktor für die Bindungssicherheit des Kindes und fördert dessen Emotionskontrolle. Die Bindungssicherheit ist ein Begriff aus der Bindungstheorie des englischen Psychoanalytikers John Bowlby. Sie geht von der Annahme aus, dass enge zwischenmenschliche Beziehungen ein angeborenes Grundbedürfnis des Menschen sind, welches ein Leben lang bestehen bleibt. Man unterscheidet hierbei zwischen „sicher gebunden“ und „unsicher gebunden“. Die frühe Bindung spielt eine essenzielle Rolle, weil sie den Anstoß für einen komplexen, lebenslangen Entwicklungsprozess gibt. Sie nimmt einen zentralen organisatorischen Stellenwert in der Entwicklung ein, wird in alle folgenden Erfahrungen eingebunden und bleibt für immer bestehen. Im Erwachsenenalter werden Bindungsbeziehungen zum Beispiel in Form von Partnerbeziehungen geführt. Doch nicht nur der eigene Partner kann im Leben eines Erwachsenen als Bindungsfigur fungieren. Der christlich-religiöse Glaube zeichnet sich durch das Gottesbild eines allmächtigen, gütigen Schöpfers in Form einer Vater-Person aus, der in das tägliche Leben der Menschen involviert ist und in Beziehung zu seinen Geschöpfen treten möchte. Daher wird in religiösen Kreisen immer wieder auch Gott als Bindungsfigur erlebt. Er wird mit ähnlichen Eigenschaften beschrieben, die eine sensitive Bindungsfigur haben sollte: liebend, fürsorglich, (all)gegenwärtig, ein Zufluchtsort in Zeiten der Not, unterstützend, verfügbar und antwortend. Im Rahmen meiner Masterarbeit wurde die
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Frage gestellt, wie sich väterliche Fürsorge sowie Kontrolle durch den Vater auf späteres Verhalten in diversen Bindungsbeziehungen des Kindes auswirkt. Des Weiteren sollte untersucht werden, ob es Zusammenhänge diverser Bindungsbeziehungen im Leben eines Menschen gibt. Die Ergebnisse der Studie lassen stark vermuten, dass sich das Verhalten des Vaters in der Kindheit auf das Ausmaß an Angst- und Vermeidungsverhalten in späteren Beziehungen auswirkt. Je mehr Fürsorge eine Person von ihrem Vater in den ersten 16 Lebensjahren erfuhr, desto weniger Angst- und Vermeidungsverhalten scheint die Person in späteren Beziehungen zu zeigen. Umgekehrt war es mit der Kontrolle durch den Vater. Je mehr Kontrolle die Teilnehmer in ihrer Kindheit wahrnahmen, desto mehr Angst- und Vermeidungsverhalten scheinen sie in späteren Beziehungen zu zeigen (siehe Abb. 1 – 2) . Über alle Berechnungen hinweg zeigte sich vor allem die väterliche Fürsorge als Einflussfaktor auf die Qualität späterer Beziehungen (Partnerbeziehung, Gottesbeziehung) einer Person. Eine weitere Annahme war, dass Bindungen zu Vater, Mutter, Partner und Gott eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, da davon ausgegangen wurde, dass Personen die Eigenschaften ihrer Eltern auch auf spätere Bindungsfiguren übertragen werden. Ein Zusammenhang zwischen Vaterbindung und Partnerbindung bestätigt die essenzielle Rolle des Vaters für die Folgegeneration und dessen Einfluss auf die Qualität späterer Partnerbeziehungen. Des Weiteren zeigte sich ein Zusammenhang zwischen den aktuellen Beziehungen: der Partnerbindung und der Gottesbindung. Es war vor allem die Angst, von der Bindungsperson verlassen zu werden, die sich in beiden Beziehungen gleichermaßen zu manifestieren scheint. Eine Person, die oft Angst hat, von ihrem Partner verlassen zu werden, zeigt auch vermehrt in der Beziehung zu Gott Angst vor dem Verlassenwerden. Interessant war jedoch zu sehen, dass in der Kindheit zirka die Hälfte der Teilnehmer eine unsichere Bindung zu ihrem Vater hatte
wäre es außerdem spannend, zu untersuchen, ob Auswirkungen eines anwesenden aber wenig fürsorglichen Vaters von denen eines abwesenden Vaters in Bezug auf spätere Bindungsqualitäten vergleichbar sind. Literatur • Bowlby, J. (1969). Attachment and loss: Attachment (Vol. 1). New York: Basic Books. • Bowlby, J. (1973). Attachment and loss: Volume II: Separation, anxiety and anger (Vol. 2). New York: Basic Books. • Bowlby, J. (1988). A Secure Base. Parent-Child Attachment and Healthy Human Development. New York: Basic Books. • Bowlby, J. (1980). Attachment and Loss: Vol. 3. Loss: Sadness and Depression. New York: Basic Books. Bretherton, I. (2010). Fathers in attachment theory and research: a review. Early Child Development and Care, 180(1–2), S. 9 –23. • Feeney, J. A. (2016). Adult romantic attachment and couple relationships. In J. Cassidy & P. R. Shaver (Hrsg.), Handbook of attachment: Theory, research, and clinical applications (2nd ed., S. 456 – 481). New York: Guilford Press. • Granqvist, P., & Kirkpatrick, L. A. (2016). Attachment and religious representations and behavior. In J. Cassidy & P. Shaver (Hrsg.), Handbook of attachment: Theory, research, and clinical applications (2 ed., S. 906 – 933). New York: Guilford Press. • Kazura, K. (2000). Fathers' qualitative and quantitative involvement: An investigation of attachment, play, and social interactions. The Journal of Men’s studies, 9(1), 41 – 57. • Lamb, M. E. (1987). The father's role : crosscultural perspectives: Hillsdale, NJ u.a. : Erlbaum. • Lutz, R., Heyn, C., & Kommer, D. (1995). Fragebogen zur elterlichen Bindung-FEB. Wie gesund sind Kranke, S. 183 – 199. • Mietzel, G. (1992). Wege in die Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter und Lebensende. München: Quintessenz. • Newland, L. A., Coyl, D. D., & Freeman, H. (2008). Predicting preschoolers' attachment security from fathers' involvement, internal working models, and use of social support. Early Child Development Care, 178(7 – 8), S 785 – 801. • Paquette, D. (2004). Theorizing the fatherchild relationship: Mechanisms and developmental outcomes. Human development, 47(4), S. 193 – 219. • Parke, R. D. (2002). Fathers and families. In M. Bornstein (Hrsg.), Handbook of parenting (Vol. 3, S. 27– 74). New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates. Petzold, M. J. p. (1994). Der Vater im Übergang zur Elternschaft. 58(4), S. 61 – 73. • Pleck, J. H. (2007). Why Could Father Involvement Benefit Children? Theoretical Perspectives. Applied Developmental Science, 11, S. 196 – 202. Sundén, H. (1966). Die Religion und die Rollen: eine psychologische Untersuchung der Frömmigkeit. Berlin: Töpelmann. • Zeifman, D. & Hazan, C. (2016). Pair bonds as attachments: Reevaluating the evidence. In J. E. Cassidy & P. R. Shaver (Hrsg.), Handbook of attachment: Theory, research, and clinical applications (2 ed., S. 436 – 455). New York: Guilford Press.
Autorin
Martha Laimer, Master of Science in Psychologie, klinische Psychologin i. A. Die im Artikel beschriebene Studie hat sie im Rahmen Ihrer Masterarbeit an der Paris-LodronUniversität in Salzburg mit dem Titel: „Väterliche Fürsorge versus Kontrolle: Auswirkungen auf mentale Bindungsmodelle spezifischer Beziehungs-Dyaden.“ durchgeführt
Auch Überbehütung und zu viel Kontrolle kann zu Angst im Erwachsenenalter führen.
während in den Beziehungen im Erwachsenenalter (Partner, Gott) nur noch zirka 30 Prozent der Teilnehmer einen unsicheren Bindungsstil aufwiesen. Dies bedeutet, dass aktuelle Bindungserfahrungen nicht zwingend mit der kindlichen Bindung zu den Eltern übereinstimmen müssen. Durch neu erlebte positive Erfahrungen an Feinfühligkeit (sensitive Bindungserfahrungen) im Erwachsenenalter kann eine Reorganisation des persönlichen Bindungsmodells stattfinden. Ein zusätzliches Augenmerk der Studie lag auf der Untersuchung möglicher Auswirkungen väterlichen Verhaltens auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung. Frühere Studien zeigten einen überaus bedeutsamen Einfluss elterlichen Erziehungsverhaltens auf den späteren Gesundheitszustand ihrer Kinder. Bereits John Bowlby, der Erfinder der Bindungstheorie, argumentierte, dass Ängstlichkeit im Erwachsenenalter durch Erfahrungen in der Kindheit entstehen kann, in denen das Kind unsicher war, ob eine schützende Person bei Gefahr zur Verfügung stehen würde. Doch auch Überbehütung und zu viel Kontrolle kann nach Bowlby zu Angst im Erwachsenenalter führen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass Personen mit psychischen Krankheiten signifikant weniger väterliche Fürsorge und signifikant mehr väterliche Kontrolle als die Allgemeinbevölkerung in der Kindheit wahrnahm (Abb. 3) . Dies bekräftigt die Annahme, dass das Erziehungsverhalten der Eltern einen überaus bedeutsamen Einfluss auf den späteren Gesundheitszustand der Kinder hat. Die Studie zur väterlichen Fürsorge und Kontrolle hat mit ihren Ergebnissen einen wichtigen Beitrag sowohl in der langjährigen Bindungsforschung als auch der etablierenden Vaterforschung geleistet und konnte die Relevanz väterlichen Verhaltens für die Entwicklung der Folgegeneration aufzeigen. Es sind weitere Studien rund um die Vaterforschung nötig, um die zahlreichen Komponenten des väterlichen Verhaltens und seine Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder zu untersuchen und die Komplexität der darunterliegenden Prozesse besser zu verstehen. In zukünftigen Studien
de’ig n is-ma g a z in – Therapieentwicklung und Forschung
Aktuell
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Fachklinik • Wohnheim • Institut • Stiftung
In der de’ignis-Fachklinik erhalten Menschen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen, Ängsten, Zwängen und Burn-out, sowohl stationär als auch ambulant oder tagesklinisch eine individuell auf sie ausgerichtete Behandlung. Zusätzlich bietet sie Nachsorge- und Sonderprogramme mit einzelnen Sozialversicherungsträgern sowie verschiedene Präventionsangebote an. ↗ Ab Seite 56 Das de’ignis -Wohnheim nimmt Menschen mit psychischen Erkrankungen und Lebenskrisen auf, die vorübergehend oder langfristig nicht in der Lage sind, selbstständig zu leben. Es deckt die Bereiche des intensiven und teilstationären Heimbereichs, den Wohntrainingsbereich sowie den ambulanten Bereich ab. Dabei bietet es ein umfangreiches sozialtherapeutisches Programm an. ↗ Ab Seite 66 Das de’ignis -Institut bietet seit über 20 Jahren erfolgreich Fortbildung, Schulung, Supervision und Beratung für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche an, hierbei insbesondere die Fortbildung für Christlich-integrative Beratung und Therapie. Das Institut bildet eine Schnittstelle zwischen Medizin, Psychologie und Theologie. ↗ Ab Seite 60 Die de’ignis - Stiftung in Polen bietet bereits seit einigen Jahren Seelsorgekurse an und unterstützt den Aufbau eines Seelsorge-Beratungsstellen-Netzwerkes. Des Weiteren erhalten Menschen mit psychischen Erkrankungen in der de’ignis-Beratungsstelle in Warschau ambulante Psychotherapie.
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Mehr Informationen finden Sie auch auf www.deignis.de/aktuelles
Videosprechstunde im ambulanten Bereich
Ganz herzlich möchten wir uns bei allen Spenderinnen und •Spendern für die eingegangenen Spenden bedanken. Das
Bereits seit 2017 führt die de’ignis-Fachklinik im ambulanten •Bereich digitale Videosprechstunden mit Patienten durch, die
sind herausfordernde Zeiten in der sich die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aktuell befindet, die auch uns als gemeinnützige Einrichtung herausfordern. Umso mehr schätzen wir Ihre Unterstützung und sind Ihnen dafür von Herzen dankbar. Als de’ignis möchten wir insbesondere in dieser Zeit weiterhin Menschen in ihren Krisensituationen kompetent auf christlicher Basis helfen.
bspw. durch einen Auslandsaufenthalt, Krankheit oder sonstige Einschränkungen nicht persönlich für ihre Behandlung vor Ort in die Ambulanz-Räumlichkeiten kommen können. Durch die Pandemie wurde dieses Angebot verstärkt in Anspruch genommen. Die Rückmeldungen der Patienten sind sehr gut und auch aus therapeutischer Sicht ist es schön zu sehen, wie sich Videosprechstunden zum Wohle der Patienten einsetzen lassen, um einen nachhaltigen Therapieerfolg zu gewährleisten. Wir freuen uns damit Patienten in ihrer seelischen Not auch per digitaler Anbindung zur Verfügung zu stehen und zu ihrer psychischen Gesundheit wesentlich beizutragen.
Wer uns unterstützen möchte: Wir freuen uns auch weiterhin über jedes ermutigende Wort, Ihre Gebete und Spenden. Wir wünschen Ihnen Gottes Segen und dass Sie gut durch diese Zeit kommen! Spendenkonto: de’ignis-Fachklinik gGmbH Volksbank Nordschwarzwald eG IBAN: DE50 6426 1853 0062 1680 02 BIC: GENODES1PGW
de’ig n is-ma g a z in – Aktuell – Fachklinik
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Ein großes Dankeschön für die eingegangenen Spenden
Erweiterungsbau in der Klinik Egenhausen Die de’ignis-Fachklinik bietet medizinische Vorsorge- und •Rehabilitationsmaßnahmen für psychische, psychosomatische
Der Erweiterungsbau ist mit rund 26 Einzelzimmern geplant. Zudem sind weitere Gruppenräume, Funktionsräume und Personalräumlichkeiten im Rahmen der Baumaßnahmen vorgesehen. Da der Erweiterungsbau notgedrungen einen marginalen Teil der Grünfläche der Parkanlage der Klinik benötigt, diese wiederum Naturschutzfläche ist, will die de’ignis-Fachklinik den Bau möglichst nachhaltig gestalten, um so wenig wie möglich in die Natur einzugreifen. Hierzu werden unter anderem ökologische Baustoffe eingesetzt und der Baukörper im Gefälle des Geländes harmonisch zur Natur integriert. Auch soll weiterhin das Anliegen von de’ignis zur Nachhaltigkeit der Gebäude vorangetrieben und das neue Gebäude an das bestehende Blockheizkraftwerk angeschlossen werden. Nicht zuletzt sind die Gebäude der Klinik Egenhausen mit dem angrenzenden Naturschutzgebiet Kapf über die Jahrzehnte lange Historie eng verbunden. Die Natur tut der Seele gut und so profitieren die Patienten von der wunderbaren Lage der Klinik. Die de’ignis-Fachklinik sieht in dem Erweiterungsbau eine große Chance die Behandlungs- und Arbeitsplatzqualität weiter zu verbessern, sodass auch in Zukunft eine sehr gute medizinische Behandlung in einem modernen Setting auf christlicher Basis gewährleistet ist.
und psychovegetative Erkrankungen an. Dabei unterliegt sie als Einrichtung des Gesundheitswesens den Qualitätskriterien und Strukturanforderungen der Kostenträger. Diese prüfen und zertifizieren die Qualitätsanforderungen regelmäßig, mit sehr guten Ergebnissen. Die Strukturanforderungen an die Leistungserbringer des Gesundheitswesens werden durch die Kostenträger sukzessive angehoben, was mit dem Fortschritt im Gesundheitswesen und den steigenden Ansprüchen der Versicherten einhergeht. Gemeinnützige Organisationen wie die de’ignis-Fachklinik müssen bei ihren Investitionen besonders auf die Wirtschaftlichkeit bedacht sein und so zum Beispiel Räumlichkeiten nach Möglichkeit sukzessive den steigenden Anforderungen und Bedürfnissen anpassen. Um den Anforderungen im Gesundheitswesen auch in Zukunft gerecht zu werden und hier maßgeblich den klinischen Bereich der psychischen Gesundheit fortschrittlich mitzuprägen, plant die de’ignis-Fachklinik eine Erweiterung am Standort der Klinik in Egenhausen.
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Ab sofort als Online-LiveVeranstaltung. Jetzt anmelden! n Sie Weitere Infos finde de is. ign de auf www.
NEU! Online-Kurs in Stressbewältigung Am 14. Juni 2021 startet wieder ein Kurs zur Stressbewälti•gung – neu als Online-Live-Veranstaltung. Unser Kurs zur Stressbewältigung und Stressprävention hilft Ihnen nach dem anerkannten Stressmanagementkonzept von Prof. Dr. Kaluza im Umgang mit Stress und fördert Ihre Stresskompetenz. In dem Online-Kurs lernen Sie an acht Abenden wie Sie: • Stressfallen erkennen, um sie in Zukunft zu vermeiden • Ihre Widerstandsfähigkeit gegen Stress steigern • mit Belastungen besser umgehen • persönlich gelassener werden und Ihr Wohlbefinden verbessern können
3 Problemlösetraining: Stresssituationen wahrnehmen,
annehmen und verändern 4 Erholen und Genießen – Selbstfürsorge
In den Modulen sind sowohl Themen zur Stresspsychologie, Problembewältigung und Life Balance, als auch gezielte Anleitungen zu Entspannungstechniken und praktische Übungen enthalten. Bereits am 10. und 11. Juni 2021 bieten wir denselben Inhalt als zweitägigen Online-Intensivkurs an. Weitere Informationen und Anmeldung zum Online-Kurs in Stressbewältigung und unseren weiteren Gesundheitskursen finden Sie unter:
1 Persönliche Stressverstärker erkennen und verändern 2 Entspannen und Loslassen
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de’ig n is-ma g a z in – Aktuell – Fachklinik
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Der Kurs zur Stressbewältigung setzt sich aus vier unterschiedlichen Modulen zusammen:
2. Platz in der Kategorie „Kliniken“
Annika, Therapeutin in der de’ignis-Fachklinik
Arbeiten mit Gott – für die Gesundheit meines Nächsten. Wir sind eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Und wir glauben. Daran, dass Menschen dann am besten helfen können, wenn es ihnen selbst gut geht. Dafür tun wir so einiges – Sie werden angenehm überrascht sein. Und wenn Sie glauben, dass Beruf Berufung sein sollte, dann möchten wir Sie kennenlernen. Alle Stellenangebote auf www.deignis.de z. B. Psychologische*r Psychotherapeut*in (Stuttgart) z. B. Oberarzt*Oberärztin z. B. Gesundheits- und Krankenpfleger*in z. B. Physiotherapeut*in z. B. Ergotherapeut*in, Kunsttherapeut*in
de’ignis-Fachklinik gGmbH • Walddorfer Str. 23 • 72227 Egenhausen Telefon 07453 9391-0 • Fax 07453 9391-193 • info@deignis.de
Wer‘s glaubt, wird glücklich.
Gesprächsangebote für Eltern, Familien, Jugendliche und Lehrkräfte – jetzt besonders nötig
Fachtagung: Spiritualität in Psychotherapie, Beratung und Seelsorge – was wirkt und wie?
Am 29. und 30. Oktober 2021 an der Evangelischen Menschen sind in der aktuellen Situation unter besonde•Hochschule •rerViele TABOR in Marburg. Eröffnungsvortrag Anspannung. Hier kann ein Gespräch mit einer Beraterin oder einem Therapeuten entlastend sein und weiterhelfen. Für Eltern, Familien und Jugendliche und insbesondere für Lehrkräfte bieten wir vom de’ignis-Institut Beratung, Coaching und Supervision an. Gespräche können vor Ort oder online stattfinden. Terminvereinbarung über institut@deignis.de.
von Prof. Kenneth I. Pargament mit Podiumsdiskussion, „State of the Art“ Vorträge und Workshops
Kompetenz. Und Gottvertrauen.
Potenzialentwickler. Durch Beratung, Coaching, Supervision auf christlicher Basis. Als Lehrkraft stehen Sie im Schulalltag besonderen Herausforderungen gegenüber. Wir möchten Sie mit unserem Instituts-Angebot dabei unterstützen, Ihre Life-Balance zu verbessern, Stress und Konflikte besser zu bewältigen, eine für Sie effektive Arbeitsorganisation und einen gesunden Umgang mit Herausforderungen sowie den vielfältigen Rollenanforderungen zu finden.
Besuchen Sie uns auf www.deignis.de de’ignis-Fachklinik gGmbH • Walddorfer Straße 23 • 72227 Egenhausen • Telefon 07453 9391-0 • info@deignis.de
Fortbildungsangebot des de’ignis-Instituts für Psychotherapie und christlichen Glauben Bei allen Fortbildungsangeboten können auch nur Einzelseminare besucht werden. Damit können Sie ihre Fachkompetenz ganz gezielt weiter ausbauen. Der Einstieg in die jeweilige Fortbildung ist mit jedem Seminar möglich. Und das kennzeichnet die einzelnen Fortbildungsangebote:
Kurs in begleitender Seelsorge
Fortbildung in Christlich-integrativer Beratung und Therapie (CiBT)
In zehn Wochenendseminaren, die innerhalb von zwei Jahren angeboten werden, werden Sie in begleitender Seelsorge ausgebildet. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf der Begleitung von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten im Gemeindekontext. In diesem Kurs ist Raum und Zeit für die persönliche Seelsorge und geistlichen Zuspruch durch ein großes Mitarbeiterteam.
CiBT basic Innerhalb von sieben dreitägigen Intensiv-Seminaren werden in einer kleinen Gruppe grundlegendes Wissen und Tools für die Lebensberatung vermittelt und Grundlagen für therapeutisches Handeln gelegt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermittlung von Krankheitsbildern (Psychoedukation, insbesondere bei Angststörungen und Depressionen), Lebensberatung unter Einbezug des Glaubens als Ressource, Stressbewältigung und Training von Kommunikation sowie theologischer Kompetenz. Dabei wird das persönliche Glaubensleben der Teilnehmer gestärkt und die Persönlichkeitsentwicklung gefördert.
Gesundheitscoaching
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Mit der Fortbildung in Gesundheitscoaching im betrieblichen und privaten Kontext erwerben Sie innerhalb von sechs zweitägigen Seminaren in überschaubarer Gruppe die Befähigung zu Aufbau und Durchführung von Gesundheitscoaching z. B. innerhalb eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) oder einer Gemeinde und lernen andere zur Entwicklung eines gesunden Lebensstils sowie zu Spiritualität als Kompetenz und Haltung anzuleiten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Themen gesunde Ernährung, Bewegung, Entspannungstraining und Stressmanagement.
CiBT advanced Aufbauend auf CiBT basic vermittelt CiBT advanced vertieftes Wissen, praktische Fähigkeiten und Werkzeuge für Berater und Therapeuten mit Schwerpunkt auf Kompetenz für Spiritualität. Mit den Seminaren von CiBT advanced und den begleitenden Praxiserfahrungen werden Sie optimal auf das Aufgabenfeld eines Heilpraktikers für Psychotherapie vorbereitet.
→ Das Ineinandergreifen von hoher Fachkompetenz, einer christozentrischen überkonfessionellen Theologie mit persönlichen Glaubenserfahrungen (Gottvertrauen) sind das unverwechselbar Besondere und Einzigartige unserer Fortbildungsund Schulungsangebote.
Sie werden befähigt:
• eigenständig Behandlungen nach Diagnosestellung anhand der Schemata AMDP-, OPD- und SPIR durchzuführen. • Interpersonelle Psychotherapie (IPT), systemische Tools und gezielte Interventionen der kognitiven Verhaltenstherapie, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, der Arbeit mit dem Schema-Modusmodell und verschiedenste kreative Elemente in Beratung und Psychotherapie einzusetzen. • die Übertragung-Gegenübertragungs-Situation optimal zu steuern, durch ständige Selbsterfahrung und Supervision während des Kurses. • die Spiritualität der Klienten in die Beratung und Therapie mit einzubeziehen.
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„Die von mir bisher besuchten CiBT-Seminare haben mich mit großer Begeisterung erfüllt! Ich empfinde sie als fachlich sehr fundiert, praxisnah vermittelt und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet.“ „Die von mir bisher besuchten CiBT-Seminare •haben mich mit großer Begeisterung erfüllt!
Ich empfinde sie als fachlich sehr fundiert, praxisnah vermittelt und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Der christliche Schwerpunkt stellt eine optimale Ergänzung zu meinem Studium dar und bereichert mich auch persönlich über die Anwendung im beruflichen Alltag hinaus. Ich bin froh, dass die Umstellung auf ein Online-Format möglich war und empfinde die Einbindung der Seminarteil-
nehmer und -teilnehmerinnen, die Selbsterfahrung in Kleingruppen und den Austausch mit den Dozierenden als überraschend gut gelungen. Manchmal fällt das lange vor dem Bildschirm-Sitzen etwas schwer und ich würde mir mehr Austausch mit den anderen Seminarteilnehmern wünschen, aber in Anbetracht der derzeitigen Lage ist es aus meiner Sicht eine wirklich gute Lösung die Fortbildungen online zu besuchen.“ — Jana , Ps ycho lo g in
Online -Live-Seminare Die aktuelle Situation stellt viele von uns vor Herausforde•rungen. Bei uns im de’ignis-Institut führte dies zu einem
de’ig n is-ma g a z in – Aktuell – Institut
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Digitalisierungsschub. Seit Herbst 2020 bieten wir unsere Seminare über ein digitales Tool als Online-Live-Veranstaltungen an. Auch in 2021 werden wir weiter dieses Format anbieten. So kann auch bei sonst weiter Anfahrt von zu Hause aus teilgenommen werden. Unsere Referenten und Referentinnen haben sich mutig auf das neue Format eingelassen und haben die Umstellung gut bewältigt. Die Inhalte können weiterhin gut didaktisch-methodisch aufgearbeitet vermittelt werden. Und mit etwas Übung ist selbst der Smalltalk in den Pausen möglich um sich auch abseits der Fortbildung mit den anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auszutauschen.
Die Fortbildungsangebote in der Übersicht Unsere Angebote in Fortbildung und Coaching sind breit aufgestellt und eignen sich sowohl für Einsteiger als auch Fortgeschrittene. Für mehr Informationen kontaktieren Sie uns gerne!
Christlich-integrative Beratung und Therapie advanced
Spezifische Seminarangebote:
Vertieftes Wissen, praktische Fähigkeiten und Tools für Berater und Therapeuten
Interpersonelle Psychotherapie (IPT)
Christlich-integrative Beratung und Therapie basic
Vermittlung des diagnosenspezifischen Psychotherapieverfahrens
Grundlegendes Wissen und Tools für die Lebensberatung
„Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy“ (IRRT)
Fortbildung in Gesundheitscoaching
Vermittlung des Traumatherapieverfahrens
Aufbau und Durchführung von Gesundheitscoaching (Prävention)
Psychoedukation Systematische und strukturierte Vermittlung von psychischen Krankheitsbildern
Kurs in begleitender Seelsorge Ausbildung in der Begleitung von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten
Empfohlen für Fortgeschrittene
Empfohlen für Einsteiger
Die Fortbildungen finden in unserem modern gestalteten Seminarraum direkt angrenzend an das Naturschutzgebiet „Egenhäuser Kapf“ im Schwarzwald statt.
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Kompetenz. Und Gottvertrauen.
Jan (Arzt), Teilnehmer der CiBT Fortbildung:
Überzeugen Sie sich selbst beim stag. nächsten Campu Jetzt anmelden!
Eine Fortbildung, die mir vermittelt, wer und was die Therapie wirklich tragfähig macht.
n Sie online auf Alle Termine finde ildung deignis.de/fortb
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Christlich-in
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de’ignis-Institut gGmbH · Markgrafenweg 17 72213 Altensteig · Telefon +49 (0) 7453 94 94 - 0 institut@deignis.de · www.deignis.de
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Alle weiteren Informationen finden Sie auf www.deignis.de
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Einstieg jederzeit möglich!
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Das de’ignis-Institut bietet Ihnen berufsbegleitende Fortbildungen in Christlich-integrativer Beratung und Therapie sowie Gesundheitscoaching. Dabei werden Theologie, Pastoralpsychologie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik sowie Pädagogik in einem ganzheitlichen Konzept integriert. Erhalten Sie praxisnah Einblick in die christlich-integrativen Therapie- und Beratungskonzepte von de’ignis und lernen Sie diese in Ihre eigene Arbeit zu integrieren.
Die Termine zu den einzelnen Fortbildungsangeboten in der Übersicht Veranstaltungsort: de’ignis-Fachklinik, Walddorfer Straße 23, 72227 Egenhausen Alle Seminare auch einzeln buchbar! Seminare 2021 durchgeführt als Online-Live-Seminare. Teilnahme bequem von zu Hause aus möglich!
are Alle Semin ln auch einze buchbar! Seminare CiBT basic
Fortbildung in Gesundheitscoaching
Psychische Krankheitsbilder I 8. bis 10. Juli 2021
Grundlagen Coaching Erlernen von Methoden zur Bedarfsanalyse und der Gesprächsführung. Kennen lernen eines auf Stärken fokussierten Persönlichkeitsmodells (Big Five).
Einführung in allgemeine Psychotherapie und Überblick über alle psychischen Krankheitsbilder anhand der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). Dabei Vertiefung von einem der häufigsten Krankheitsbilder: affektive Störungen.
Stressmanagement und Resilienz
Psychische Krankheitsbilder II 23. bis 25. September 2021
Entspannungstraining
Vertiefung des Wissens über das Krankheitsbild der Angststörungen. Heranführung an die Psychoedukation bei psychischen Störungen im Allgemeinen und speziell bei Angststörungen sowie affektiven Störungen
Lebensstil und Stressmanagement 18. bis 20. November 2021 Erlernen eines auf Stärken fokussierten Persönlichkeitsmodells (Big Five). Vermittlung von umfassendem Wissen und Werkzeugen zum Thema Stressmanagement und Life-Balance.
Seminare CiBT advanced Tiefenpsychologisch orientierte Therapie-Tools 14. bis 16. Oktober 2021 Einführung in tiefenpsychologische Ansätze und die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) – ein hilfreiches Werkzeug für die Einschätzung eines Patienten. Zudem Training für die therapeutische Arbeit mit „inneren Anteilen“.
Vermittlung von umfassendem Wissen und Werkzeugen zum Thema Stressmanagement, Entspannung und Life-Balance.
Ausbildung als Kursleiter für progressive Muskelrelaxation. Einführung in das ZPP-zertifizierte Kursprogramm „Entspannt durch den Tag mit Progressiver Muskelrelaxation“. Für den Kursleiternachweis wird zusätzlich das Seminar „Stressmanagement und Resilienz“ oder Seminar CiBT basic „Lebensstil und Stressmanagement“ benötigt.
Prävention mit und durch Bewegung Vermittlung, wie Motivationsprozesse zu einem andauernden Bewegungsverhalten des Klienten entwickelt werden können mit Transfer in den beruflichen und sonstigen Alltag.
Gesunde Ernährung Vermittlung von Grundlagen der Ernährungsphysiologie und -psychologie und Spiritualität mit Transfer in Alltag und Beruf des Klienten.
BGM und Coaching-Tools Darstellung möglicher Arbeitsfelder für das Gesundheitscoaching und Vermittlung der theoretischen Grundlagen sowie des rechtlichen Rahmens. Vermittlung von Tools für die eigenständige Durchführung von CoachingTätigkeiten im beruflichen Rahmen und psychosozialen Umfeld.
IPT – Interpersonelle Psychotherapie 9. bis 11. Dezember 2021 Erlernen des Kurzzeittherapieverfahrens „Interpersonelle Psychotherapie (IPT)“, einer diagnosenspezifischen Depressionsbehandlung mit Therapiemanual für Einzel- oder Gruppentherapie, mit Adaptionen an spezifische andere Diagnosen und Therapiesituationen.
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Sozialtherapeutisches Zentrum de’ignis-Wohnheim Fachliche und geistliche Grundlagen Was ist das Besondere an der Arbeit im de’ignis-Wohnheim?
[1] Q ua l ifiz ier te p äda g o g ische • und soz ia ltherap eutische Arb eit Wir sind bestrebt, qualifizierte pädagogische und sozialtherapeutische Arbeit zu leisten. Das bedeutet, dass wir die Bewohner unseres Hauses bei der Bewältigung der Auswirkungen ihrer schwierigen sozialen und psychischen Vorgeschichte begleiten, fördern und für neue positive Erfahrungen motivieren. Dazu gehören die verschiedenen Angebote und Arbeitszweige unseres sozialtherapeutischen Zentrums, auf die ich im Einzelnen kurz eingehen möchte: • Wo hntra in ing : Hier findet in Wohngruppen mit unterschiedlichem Verselbständigungsgrad die Vorbereitung auf ein möglichst eigenständiges Leben in Bezug auf Zimmerordnung, Hygiene und Selbstversorgung z. B. bei der Zubereitung von Speisen statt. • Arbeitstraining : Auch hier gibt es sehr unterschiedliche Angebote, um eine individuelle Förderung und Heranführung an eine den individuellen Ressourcen angepasste Förderung zu ermöglichen. So reicht die Angebotspalette vom heilpädagogisch orientierten Kreativen Werken zu den sehr anspruchsvollen Tätigkeiten in der Holzwerkstatt und im IT-Training. Auch die Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt ist in diesen Bereichen eine realistische Zielperspektive. • Motivationsarb eit : Für die meisten unserer Bewohner und Bewohnerinnen ist es wichtig, zu einer realistischen Selbsteinschätzung zu gelangen. Dabei geht es bei vielen darum, vorhandene Ressourcen zu entdecken bzw. wiederzuentdecken, um neue Erfolgserlebnisse machen zu können. So werden durch Entmutigung und Erfahrungen des Scheiterns entstandene innere Barrieren abgebaut, um neue Freiheit für eine kreative Lebensplanung zu entwickeln. Diesem Ziel dienen auch unsere Angebote wie z. B. Kommunikationstraining, Pädagogisches Reiten, Segeln auf dem Bodensee und viele andere freizeitpädagogische Aktivitäten. Bei diesem Prozess der Ressourcenaktivierung, aber auch das Erkennen und Akzeptieren seiner persönlichen Grenzen spielen die pädagogisch-therapeutischen Einzelgespräche eine wichtige Rolle. Primär geht es dabei um den Aufbau von Motivation und Entdecken neuer Lebensperspektiven.
[2] Christl iche Sp iritua l ität Der christliche Glaube mit seiner Botschaft von Hoffnung und der damit jederzeit verbundenen Möglichkeit eines Neuanfanges ist die geistliche Grundlage unserer Arbeit. Abbau von Resignation und Schuldgefühlen in Bezug auf die eigene Vergangenheit, aber auch das Gewähren von Vergebung führen zu neuer Gestaltungsfreiheit und Motivation für neue Lebensperspektiven. Dabei geht es um die Förderung eines ermutigenden Selbstkonzeptes und den Aufbau von Identität und Autonomie. Dies ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben in der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Somit wird im de’ignis-Wohnheim der christliche Glaube als eine mutmachende Ressource gelebt, bei der das Entdecken neuer Lebensperspektiven möglich wird. Auch das Annehmen der eigenen Grenzen sowie die Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst aber auch für das Gemeinwohl in Staat und Gesellschaft zu entwickeln, sind erstrebenwerte Ziele. So ist der christliche Glaube, der bei de’ignis in überkonfessioneller Weise gelebt wird, nicht nur ein zusätzliches seelsorgerliches Angebot oder additives Beiwerk. Der christliche Glaube als gelebte Lebenseinstellung durchdringt die professionellen Angebote der de’ignis-Arbeit. Die Grundlagen werden von einem einrichtungsübergreifenden Institut, dem de’ignis Institut für alle Arbeitszweige verbindlich erarbeitet. Auf diese Weise arbeitet das de’ignis-Wohnheim auf der Basis eines engagierten theologisch fundierten und fachlich qualifizierten Konzeptes, bei dem der gelebte Glaube und die persönliche Gotteserfahrung die Grundlage bilden.
de’ig n is-ma g a z in – Aktuell – Wohnheim
Kurs in begleitender Seelsorge Zur Begleitung von Menschen in Lebenskrisen, Glaubensfragen und psychischen Nöten. Unsere Botschaft von Gnade und Liebe, gepaart mit Glaube und Hoffnung, fundiert mit solidem Fachwissen und dem Ziel einer prozesshaften Entwicklung ist das Fundament aller Seminarinhalte. Dieser Seelsorgekurs umfasst insgesamt 10 Seminare.
Aufgrund der aktuellen Situation und den damit verbundenen Unsicherheiten bei der Planung bitten wir Sie sich über aktuelle Termine und Informationen auf unserer Website unter www.deignis.de/fortbildung/seelsorge-schulung zu erkundigen und gegebenenfalls auf Ausweichtermine zu achten. Diese werden rechtzeitig online bekannt gegeben.
Eingeladen sind Christen, die einen inneren Ruf zur Seelsorge verspüren, aber auch solche, die sich einfach nur für seelsorgerliche Fragen interessieren. Der Kurs in begleitender Seelsorge soll zur qualifizierten Begleitung von Menschen in Lebenskrisen, Glaubensfragen und psychischen Nöten befähigen. Darüber hinaus vermittelt der Kurs Einsichten in die verschiedenen Entwicklungsphasen des menschlichen Lebens und bietet damit die Möglichkeit, sich selbst besser verstehen und kennen zu lernen.
Es ist geplant dass der Kurs im Live-Stream angeboten wird. Nähere Infos hierzu finden Sie auf der Website www.tabor-schulungszentrum.de
Der Kurseinstieg ist jederzeit möglich, da die Lehreinheiten regelmäßig in weiteren Zyklen im Tabor Schulungszentrum wiederholt werden. Weitere Informationen erhalten Sie im Internet unter www.deignis.de/Fortbildungen oder unter der Telefonnummer 07434 7234 -176
Veransta ltung sor t : Tabor Schulungszentrum für Seelsorge, Beratung und neutestamentliche Dienste Sigmaringer Straße 64 · 72474 Winterlingen www.tabor-schulungszentrum.de
S em inarleitung : Winfried Hahn
www.deignis.de/fortbildung de’ignis -Institut gGmbH • Markgrafenweg 17 • 72213 Altensteig Telefon 07453 9494-0 • institut@deignis.de • www.deignis.de
de’ignis-Institut gGmbH · Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig
de’ignis-Fachklinik Fachklinik auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik • stationäre medizinische Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen • ambulante und teilstationäre Rehabilitation und Behandlungen • Sanatoriumsbehandlungen • Nachsorge IRENA und Psy-RENA • Angebote zur gesundheitlichen Prävention und Vorsorge • Assessment-Center
de’ignis-Wohnheim Sozialtherapeutisches Wohnheim nach biblischen Grundsätzen mit Einzel- und Gruppenangeboten • Gesprächstherapie • Sozialtraining • Arbeitstraining (z. B. im eigenen Verlag) • Freizeitpädagogik • individuelle Betreuung
de’ignis-Institut Institut für Psychotherapie und christlichen Glauben • Seelsorgekurs • Vernetzung von Fachleuten • Fortbildung in Christlichintegrativer Beratung und Therapie • Gesundheitscoaching • Supervision • ambulante Beratung für Erwachsene • Sozialpädagogische Beratung für Kinder, Jugendliche und Familien • Weitere Angebote zur Prävention
de’ignis-Stiftung Polen Christliche Stiftung mit Einzel- und Gruppenangeboten • Ambulante Therapieangebote, stationäre in Planung • Schulungen • Freizeitpädagogik
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