ERNÄHRUNG Anzeigen
Nachhaltiger Fischzug Eine Vielzahl von Umweltsiegeln hilft beim nachhaltigen Fischkonsum. Doch wie streng sind die Kriterien? // Hartmut Netz Deutschland ist fischverwirrt. Wer auf nachhaltig gefan- Fressgemeinschaft mit genen oder erzeugten Fisch Wert legt, für den wird der Einkauf Delphinen im Supermarkt zum Such- und Ratespiel. Bei der Orientierung helfen Umweltsiegel. Doch kann man ihnen vertrauen? 14 Kilo Fisch verzehren die Deutschen im Schnitt pro Kopf und Jahr, weltweit liegt der Verbrauch bei 20 Kilo. Doch die anhaltend hohe Nachfrage hat ihren Preis. Die Meere erschöpfen sich: Überfischung, hohe Beifang-Raten und zerstörerische Fangmethoden fordern ihren Tribut. Laut einer Studie der Welternährungsorganisation FAO werden etwa 58 Prozent der Fischbestände maximal befischt – eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Ein Drittel ist sogar überfischt; das heißt, es wird mehr gefangen als nachwächst. Siegel, die den Fischzug im Supermarkt erleichtern, versprechen da ein reines Umweltgewissen. Das mit Abstand einflussreichste ist die stilisierte Silhouette eines weißen Fisches auf blauem Grund. Das von der internationalen Organisation Marine Stewardship Council (MSC) verliehene Logo prangt mittlerweile auf über der Hälfte aller verkauften Wildfischprodukte; auf Lachs-Fischstäbchen und Thunfisch-Pizza und sogar auf Katzenfutter. Damit hat sich das Siegel zu einem machtvollen Marketing-Instrument entwickelt.
Zerstörerische Fangmethoden Fisch mit MSC-Siegel stammt von Fangbetrieben, die sich verpflichtet haben, Bestände zu erhalten, Beifang möglichst zu vermeiden und das Ökosystem Meer nicht irreversibel zu schädigen. Die Betriebe werden von unabhängigen Gutachtern geprüft. Kritiker wie Rainer Froese, Meeresbiologe am Geomar Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, monieren jedoch, dass auch Betriebe, die mit Grundschleppnetzen auf bodennah lebende Fische wie Schollen, Klieschen und Seezungen fischen, das MSC-Siegel tragen. Diese Fangmethode zerstöre den Meeresboden, stellt Froese fest. Zudem ließen die Regeln des MSC Überfischung zu: „Es werden auch kleine Bestände zertifiziert, die sich bereits außerhalb sicherer biologischer Grenzen befinden“, kritisiert der Meeresbiologe. Bei Fischbeständen außerhalb dieser Grenzen, festgelegt unter anderem vom Internationale Rat für Meeresforschung, besteht die Gefahr, dass die Geburtenrate unter das bestandserhaltende Limit fällt. „Für ein Umweltsiegel ist das nicht tolerierbar“, urteilt Froese; rät jedoch trotz aller Vorbehalte, bevorzugt MSC-zertifizierten Fisch zu kaufen: „Da sind zwar „faule Äpfel“ drin; aber immerhin weniger, als bei Fischwaren ohne Siegel.“ Ein Satz, der vermutlich auch auf andere Fischsiegel zutrifft, denn perfekt ist aus Umweltsicht keines. Sogar das WildfischSiegel des Öko-Verbandes Naturland, das achtsame Fangmethoden, Erhalt der Fischbestände und Schonung aquatischer Lebensräume vorschreibt, habe Schwächen, sagt Kim Detloff, Meeresschutz-Experte des Umweltverbandes NABU: „Bei der Naturland-zertifizierten Heringsfischerei im Greifswalder Bodden und um die Insel Rügen besteht die Gefahr, dass sich Seevögel und Schweinswale in den Stellnetzen verfangen“, kritisiert er.
Unerwünschter Beifang, der in der Regel mehr tot als lebendig wieder über Bord geht, ist ein weltweites Problem, auf das sich das internationale Kontrollprogramm Safe konzentriert. Importeure und Händler, die sich Safe angeschlossen haben, garantieren „delphinsicher“ gefangenen Thunfisch. Denn Delphine, die sich mit Thunfischen zu sogenannten Fressgemeinschaften zusammentun, geraten oft in die Netze. Das blaue Logo mit dem springenden Delphin soll diesen Beifang minimieren. Anderen Beifang schließe das Label jedoch nicht aus, kritisiert der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Auch die Frage, ob der Thunfisch aus überfischten Beständen stammt, spiele keine Rolle Das Programm Friend oft he Sea (FOS) ist anspruchsvoller: FOS-zertifizierte Fangbetriebe befischen ausschließlich stabile Bestände, setzen schonendes Gerät ein und versprechen Beifangraten unter acht Prozent, die Umweltschützer jedoch als zu hoch kritisieren. Neben Wildfisch zeichnet das rotblaue FOS-Label auch Zuchtbetriebe aus, die auf gute Wasserqualität achten, auf Antibiotika verzichten und ausschließlich Filetierabfälle oder FOS-zertifiziertes Fischmehl verfüttern. Zwar gibt es keinen Grenzwert für die Besatzdichte; jedoch sind die Vorgaben strenger als für das Siegel des Aquaculture Stewardship Council (ASC), das den Zuchtbetrieben sowohl den Einsatz von Antibiotika als auch von gentechnisch verändertem Futter erlaubt.
Kleinster gemeinsamer Nenner Fischzucht, auch Aquakultur genannt, hat eine stürmische Entwicklung genommen. Heute stammt über die Hälfte der weltweit verzehrten Fischprodukte aus der Zucht. Die FAO preist Aquakultur als Rettung für bedrohte Wildfischbestände. Doch das sei falsch, sagt Rainer Froese: Beliebte Speisefische wie Lachs, Dorade oder Wolfsbarsch sind Raubfische, die mit Fischmehl aus Wildfang gefüttert werden. „Fischmehl wird nicht nur aus zum Verzehr ungeeigneten Fischen gewonnen, sondern auch aus Speisefischen wie Makrele oder Sardine“, sagt Froese. Für anspruchsvolle Fischlabel spielt die Herkunft des Futters deshalb eine zentrale Rolle. Das Bio-Siegel der EU, das den kleinsten gemeinsamen Nenner für die ökologische Fischzucht definiert, schreibt Bio-Futter vor, begrenzt die Besatzdichte auf 25 Kilo Fisch pro Kubikmeter Wasser und verbietet Antibiotika. Die Naturland-Richtlinien sind strenger: Das Futter besteht aus Resten der Fischverarbeitung; die Besatzdichte ist auf zehn Kilo limitiert. Am strengsten geht jedoch der Öko-Verband Bioland vor: Er zertifiziert ausschließlich Karpfen, eine Fischart, die sich mit dem begnügt, was der Teich hergibt. Doch keines der Siegel berücksichtigt die zurückgelegten Transportwege. Fast neun Zehntel der in Deutschland gehandelten Fischwaren kommen von weit her – entsprechend aufwendig ist es, die Kühlkette aufrecht zu erhalten. Eine bessere Energiebilanz hat Fisch aus heimischer Binnenfischerei oder aus lokaler Teichwirtschaft. Karpfen, und Forelle, aber auch Wels und Hecht sind Seefischen sowohl gesundheitlich als auch geschmacklich ebenbürtig. l
8
der Spatz 5|2020