PERSPEKTIVE WECHSELN
Fokuswechsel nach dem Brexit „Ein Wiedereintritt des Vereinigten Königreichs in die EU wird – wenn überhaupt – lange brauchen, und ich fürchte, dass ich ihn nicht mehr erlebe. Er könnte gut 30 Jahre dauern.“ Geradlinig, rational und – der aktuellen Situation ihres Landes zum Trotz – gut gelaunt wirft die britische Abgeordnete Wera Hobhouse für diese Weltzeit-Ausgabe einen Blick zurück auf die politischen Entwicklungen im V ereinigten Königreich seit 2019. Und erläutert, für welches Thema sie sich künftig primär engagieren will.
„Der Brexit ist ein historischer Fehler. Dass ich und gleichgesinnte Brexit-Gegner ihn nicht stoppen konnten, empfinde ich auch als persönliche Niederlage“, schildert Hobhouse das politische Dilemma, das mit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 begann. „Referenda müssen eine einfache ,Ja‘oder ,Nein‘-Entscheidung sein, sonst entsteht ein entsetzliches Kuddelmuddel.“ Das Brexit-Referendum hingegen habe eine zusätzliche Alternative beinhaltet, über die ein „konfuser politischer Diskurs entbrannte“. Die Diskussionen über den von Premierministerin Theresa May ausgehandelten Deal oder irgendeine, nicht definierte Alternative führten zur Forderung eines zweiten Referendums. Rückblickend, sagte Hobhouse, „wäre die einzige Frage, die der Bevölkerung dann hätte gestellt werden können, eine Zustimmung zu oder Ablehnung von Mays Deal gewesen. Bei einer Ablehnung wäre
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©©Mick Yates
Text Vera Tellmann, Head of Corporate Communications
wiederum ein neuer Vorschlag notwendig geworden, der klar mit ,Ja‘ oder ,Nein‘ zu beantworten ist. Demokratie braucht Zeit.“ Seit seinem Amtsantritt im September 2019 habe Premierminister Boris Johnson die konservative Partei „von moderaten Abgeordneten gereinigt“, so Hobhouse. „Trotz ihres Enthusiasmus“ sei es den Oppositionsparteien im Unterhaus nicht gelungen, Johnsons Pläne zu beeinflussen. Von der EU und Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier fühlt sich die Politikerin ebenfalls „verraten“. „Fast zwei Jahre lang
hieß es: Es gibt nur diesen einen Deal oder keinen Deal. Und plötzlich gab es doch noch einen anderen, der innerhalb einer Woche auf dem Tisch lag, nachdem Boris Johnson mit dem irischen Premierminister einen langen Spaziergang gemacht hatte.“ Hobhouse sagt, sie habe nie daran gezweifelt, dass in letzter Minute ein Deal zustande kommen würde und Johnsons „leere Drohungen“, ohne ein Abkommen die EU zu verlassen, nicht ernst genommen. Die Mehrheit der Briten kenne bekanntlich die Einzelheiten des finalen, sehr