Weltzeit 1-2021 | FrauENtscheiderinnen bewegen die Welt

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Die unermüdliche Insel-Lehrerin

wahrgenommen werden, ein Teil dieser Gesellschaft sein und uns hier zuhause fühlen. Nur so verhindern wir Parallelgesellschaften. Ich bin Deutsche, trotz meiner Hautfarbe, meiner Religion und meiner Herkunft. Integration bedeutet nämlich nicht, die eigene Kultur aufzugeben – eine der Haupt­ sorgen von Familien aus dem Nahen Osten. Integration bedeutet, das Land, in dem man

In Griechenland sind nur 113 der über 3.000 Inseln bewohnt, darunter das winzige Eiland Arki in der Ägäis. Dort traf unser DW-Reporter auf eine engagierte Pädagogin. Text Gunnar Köhne, DW-Reporter

lebt, zu akzeptieren, zu respektieren und sich konstruktiv einzubringen. Seit 2014 fliehen Menschen vor dem Krieg in Syrien. Viele Geflüchtete in Deutschland haben Deutsch gelernt, eine Ausbildung oder ein Studium absolviert und erste Arbeitserfahrung gesammelt. Sie tun sich leichter mit bürokratischen Hürden und Klischees und können so ein Vorbild für andere geflüchtete Menschen in Deutschland sein. Die Entscheidung eines Jobcenter-Mitarbeiters oder der Agentur für Arbeit, die Finanzierung einer Weiterbildung abzulehnen, kann Geflüchteten die Zukunft verbauen. Und Betroffene wissen oft nicht, dass sie gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegen können. Wir brauchen mehr Solidarität. Unter Frauen und Männern. Das kann überall sein, auf der Straße, in der Universität oder in einer Behörde. Wir können in der Gesellschaft mehr Vertrauen aufbauen – und uns zu Hause fühlen. „Das ist nicht mein Problem“ ist der ignoranteste Satz. Dieses Land ist unser (neues) Zuhause; Wenn wir zusammenhalten, können wir es zu einem besseren Ort machen. Mit Solidarität und Verständnis schaffen wir das. Viele geflüchtete Frauen wünschen sich, nicht in Schubladen gesteckt zu werden. Eine selbstbewusste Frau kann viel zurückgeben und trägt dazu bei, eine starke Zukunft für unser Land mit aufzubauen.

©©DW/G. Köhne

©©DW

Arki ist sieben Quadratkilometer groß und hat 40 Einwohner. Straßen gibt es nicht, Autos deshalb auch nicht. Aber es gibt eine Schule. Noch. Maria Tsialera ist die einzige Lehrerin und der zwölfjährige ­Christos ihr einziger Schüler. Er wird in allen Fächern unterrichtet: Erdkunde, Musik und Mathematik. Dass Christos auch die Pausen allein auf dem Schulhof vor dem schmucklosen, weiß getünchten Flachbau verbringen muss, tut der 56-Jährigen leid. „Aber wir sind beide in einer ähnlichen Situation“, sagt sie lächelnd. „Ich hätte auch gern Kolleginnen und Kollegen. Die besondere Situation hat uns zusammengeschweißt. Ich konnte Christos immer etwas Abwechselung bieten. Wir haben andere Schulen besucht und uns auf anderen Inseln Kino- und Theatervorstellungen angeschaut.“ Christos wird im Sommer seine sechste Grundschulklasse in Arki beenden. Für die weiterführende Schule muss er auf die größere Insel Patmos wechseln. Ihren Arbeitsplatz wechseln müsste dann auch Maria Tsialera. Es sei denn, ihr gelingt es, bis dahin neue Kinder für ihre kleine Schule zu finden. Dafür müssten aber erst einmal junge Familien auf die Insel ziehen.

DW-Autor Gunnar Köhne mit Lehrerin Maria Tsialera und Christos, dem einzigen Schüler der Schule auf Arki.

Jeden Abend sitzt die Lehrerin am Computer und schreibt Mails – auf der Suche nach diesen umzugswilligen Familien. Ihre Idee: Sponsoren aus der Wirtschaft. „Ich habe eine griechische Familie in Wuppertal gefunden, sie war auch schon hier. Nun versuche ich, auch mit Hilfe von Aufrufen in den Medien, ein griechisches Unternehmen zu finden, das den Umzug und einen Arbeitsplatz finanziert.“ Bislang sind ihre Versuche gescheitert. Dafür bekam sie nach Ausstrahlung eines DW-Beitrags über Arki ermutigende Zuschriften und Geschenke aus Deutschland. Ein griechisches Nachrichten-Portal veröffentlichte einen Beitrag über die engagierte Lehrerin. Die meisten Bewohner von Arki sind älter als 60 Jahre, die Insel droht langsam „auszusterben“. Maria Tselera: „Wenn es mir gelingt, die Schule zu retten, dann rette ich die ganze Insel.“ dw.com/av-55751716

Deutsche Welle

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