Die Faktorei Baech

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Die Faktorei Bäch



Die Faktorei Bäch



Mehr als ein Gasthaus – Die Faktorei von Armin und Trudi Büeler Mariska Beirne 9

Die Faktorei Bäch – Zeuge des Salzhandels, von wirtschaftlicher Vielseitigkeit und Familientradition Christian Winkler, Michael Tomaschett 33

Das wirtschaftliche Zentrum der Höfe – Eine kleine Ortsgeschichte von Bäch Christian Winkler 71

Anhang 85



Wenn ein Wohnhaus auf eine über 300-jährige Geschichte zurückblicken kann und der repräsentative Bau fast gleich lang von Vertretern eines Geschlechts bewohnt wird, ist das im Bezirk Höfe eine Seltenheit. Wenn diesem Haus zugleich noch als Sitz des Salzfaktors – des von der Schwyzer Obrigkeit autorisierten Salzverkäufers – kantonale Bedeutung zukam, darf sein historischer und kulturgeschichtlicher Wert als gross bezeichnet werden. Die Faktorei in Bäch, die seit über 200 Jahren im Besitz der Familie Büeler ist und seit bald 300 Jahren von Salzfaktoren aus der Familie Büeler bewohnt wird, ist aber mehr als ein Zeuge der langen und regional bedeutenden Geschichte des Wirtschaftsstandorts Bäch. Wer heute der Faktorei Bäch einen Besuch abstattet, macht dies als Gast von Trudi und Armin Büeler-Weber, welche die «Faktorei» zu einem weit über die Region hinaus bekannten Speiserestaurant gemacht haben. Selbst mit 83 Jahren steht Trudi Büeler noch vier Mal die Woche am Herd und kümmert sich persönlich um das Wohl der Gäste. Gastfreundschaft ist in der «Faktorei» gelebte Wirklichkeit.

Dies spüren die vielen Besuche­ rinnen und Besucher. Dies haben auch Autorin Mariska Beirne, die Autoren Christian Winkler und Michael Tomaschett sowie Fotograf Robert Aebli gespürt, die sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Geschichte der Faktorei und der Familie Büeler auseinandergesetzt haben. Entstanden ist nicht zuletzt dank der Gestaltungskunst der «Büchermacher» dieses kleine, aber feine Werk, das für Sie, liebe Leserinnen und Leser, die kunsthis­­to­ rische Bedeutung dieses Baus, aber auch die Geschichte der Salzfaktoren­familie Büeler und des Gasthofes einfangen möchte. Wir hoffen, dass uns dies ge­ lungen ist. Es ist uns ein Anliegen, Armin und Trudi Büeler-Weber für die Möglichkeit zu danken, dass dieses spezielle Werk entstanden ist. Ein Dank geht aber auch an die Korporation Pfäffikon, den Kanton Schwyz (Lotteriefonds) sowie an Dominik Zehnder, Bäch, für nam­hafte Beiträge zur Realisation des Büchleins.

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Im August 2016 Urs Bernet, Andreas Meyerhans



Mehr als ein Gasthaus Die Faktorei von Armin und Trudi BĂźeler


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1 Vorhergehende Doppelseite: Blick auf Bäch und die Halbinsel Bächau im Jahr 2016. Im Vordergrund links an der Seestrasse der Gasthof zur Faktorei. 2 Die Faktorei heute, von der Seestrasse her auf­ge­nommen. 3 Postkarte von 1901. Auf der Landzunge vorne links im Bild sind die folgenden Gebäude zu sehen: v. l. n. r. Turpenschopf (Torfschuppen), erbaut um 1850, abgebrochen 1927; Brennereigebäude; Salzmagazin, Faktorei; rechts dahinter der Susthof. 4 Armin Büeler, circa zweijährig beim Fotografen während Ferien bei Verwandten in Affoltern am Albis. 5 Die Seestrasse, noch ungeteert und schmaler als heute, vor 1931.

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Die ungeteerte Seestrasse vor der Faktorei war staubig, wie immer an heissen Julitagen, als Armin Büeler 1926 in dem alten Haus seiner Vorfahren zur Welt kam. Vielleicht trat Vater Büeler an die­ sem besonderen Tag mit der Giesskanne auf die Strasse hinaus, um die Staub­ wolken für kurze Zeit ein wenig einzudämmen, die sich nach jedem vor­beifah­ renden Auto­mobil, nach jedem Fuhr­werk, bildeten. «Ich muss noch klein gewesen sein, als ich mir dieses Bild von meinem Vater mit der Giesskanne einprägt habe, denn die Seestrasse wurde geteert, als ich fünf war», erinnert sich Armin Büeler und ergänzt nachdenklich: «Nie hätte ich gedacht, dass ich so alt werden würde. Und so zufrieden. Bäch und die ganze Welt haben sich in diesen neunzig Jahren sehr gewandelt.» Über dem langgezogenen Stras­ sendorf am See erstreckten sich in den 1930er-Jahren Wiesen und Felder den Hang hinauf. Weinreben wuchsen neben Kartoffeln; Getreide wurde hier seit dem Bau der Eisenbahn fast nicht mehr angepflanzt und die drei Mühlen am Krebsbach in Wollerau waren nur noch teilweise in Betrieb. Gegen Freienbach hin, am bewaldeten Bergrücken über den Bauernhöfen, klafften zahl­ reiche Steinbrüche, die vom See aus wie Zahnlücken wirkten. «Die halbe Zürcher Altstadt ist aus dem grauen Bächer Sandstein gebaut», erklärt Armin Büeler. Für eine eigene Schule war der Ort zu klein; die Primarschüler marschierten jeden Tag den Berg hoch nach Wilen, die Sekundarschüler nach Wollerau. Lebendig war Bäch aber durchaus: Neben einer Brauerei, einer Seiden­ weberei, einer Papier- und einer Lumpenfabrik sowie den vielen Steinbrüchen gab es nicht zuletzt elf Wirtschaften,


eine davon hat eine besondere Geschichte: die Faktorei. Salz, Torf, Stein und Wein

«Als einziges Kind meiner Eltern verkörpere ich die achte und letzte Salzfaktorengeneration. Mein Urgrossvater hatte noch den ganzen Kanton Schwyz mit Salz beliefert, doch mit dem Bau der Südostbahn 1891 erhielt auch Einsiedeln ein eigenes Magazin und uns blieb der Bezirk Höfe», erzählt Armin Büeler. Das zweistöckige Salzmagazin der Faktorei lag hinter dem Haus zum See hin. So konnte man früher die Salzfässer vom See direkt ins Magazin liefern. Mit dem Bau der Seebahn wurde der Transport auf die Schienen verlegt und Armin Büelers Grossvater musste das Salz am Bahnhof Richterswil abholen. «Zu mei­ ner Zeit kam das Salz bereits in Jute­

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säcken und wir mussten es nur noch am 1900 gebauten Bahnhof Bäch auf­laden. Unser Nachbar hatte ein Fuhrwerk, das aber nicht von Pferden, sondern von zwei Ochsen gezogen wurde – er machte für uns die Transporte», erinnert sich Armin Büeler. Neben dem Salzhandel führten die Büelers schon immer eine kleine Gaststube und im zweiten Stock befanden sich vier Zimmer zum Übernachten, die früher vor allem von den Säumern genutzt worden waren, die das Salz auf dem Landweg weitertransportierten. Die Gaststube war auch für die Schiffleute wichtig, denn direkt neben der Faktorei lag die Schutzhaab, wo sie Zu­flucht suchten, wenn ein Sturm aufkam: «Meine Grossmutter versorgte diese rauen Kerle manchmal schon frühmorgens mit Schnaps. Man nannte

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6 Die Kunststeinfabrik Müller im ehemaligen Turpenschopf, vor 1927. 7 Die Sägerei Bäch am heutigen Sagiweg wurde 1917 von Armin Büelers Grossvater mütterlicherseits, Alfred Gugolz, gekauft. 8 Die Faktorei heute, von der Haab her aufgenommen.

9 Schiffskontrolle am 17. Mai 1916. Die folgenden Personen sind zu erkennen: v. l. n. r. in der vorderen Reihe: Unbekannt; Fischer Nötzli; Schiffsinspektor Reichlin (mit Strohhut); Vater Josef Büeler (Arm eingestützt); zwischen den Booten: Bootsbauer Meierhofer (Vorgänger von Pedrazzini); rechts hinter ihm: Georges Höfliger vom Restaurant Brauerei.

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sie Panduren wie die ungarischen Krieger. Sechs Stunden benötigten sie mit ihren riesigen Rudern von Zürich nach Bäch hinauf. Wenn etwas Wind ging, zogen sie zusätzlich ein kleines Segel auf. In meiner Zeit hatten sie aber schon Dieselmotoren – von diesem vertrauten Geräusch bin ich oft aufgewacht», erzählt Armin Büeler. Jede der vorher­ gehenden Generationen hatte sich auf 14

mehrere Erwerbszweige abgestützt; der Urgrossvater besserte nebenbei mit einem kleinen Steinbruch das Familien­ einkommen auf, beim Grossvater war es der Torfhandel und eine Schnapsbrennerei. Der Turpenschopf und das Brennereigebäude befanden sich auf der Landzunge hinter der Faktorei zum See hin, waren zu Zeiten Armin Büelers jedoch bereits nicht mehr in Betrieb.


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10 Gäste auf der Terrasse der Faktorei im Sommer 2016. 11 Fotografenbesuch circa 1935 vor einer kleinen Operation.

Sein Vater betrieb neben der Gastwirtschaft und der Salzfaktorei den Handel mit Wein und Spirituosen. Ein Trottinett für den Himmel und fischen im Giftbach Armin Büeler war ein schüch-

ternes Kind, das in einer politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeit aufwuchs. Er erinnert sich: «Die Krisenzeit prägte mich und verstärkte meine eige 15

ne Unsicherheit. Mein Lehrer war böse, ich hatte Angst vor der Schule. Mir wird heute noch fast übel, wenn ich an den Geruch im Schulhaus zurückdenke: eine Mischung aus Bohnerwachs und Kinderausdünstungen.» Auf dem Schulweg traf der kleine Armin andere Kinder vom Dorf, oft die Nachbarsbuben Carluccio und Ferruccio Pedrazzini, deren Vater auf dem Nachbarsgrund-


stück eine Schiffswerft gebaut hatte. Das Land hatte davor zur Faktorei gehört; Grossvater Büeler hatte es dem Schiffsbauer Meierhofer verkauft, bei dem Pedrazzini ursprünglich angestellt gewesen war. Sonntags mussten die Kinder zweimal in den Gottesdienst und am Dienstag und Donnerstag gab es in der Kapelle in Wilen vor Schulbeginn eine Messe. «Auch wenn hoher Schnee lag, mussten wir da hinauf», sagt Armin Büeler. Aber es gab auch glückliche Momente. Beispielsweise, wenn ihm Carluccio Pedrazzini sein Trottinett für eine Runde überliess: «Die meisten Trottinetts waren aus Holz. Carluccio aber besass ein modernes Trotti aus Metall mit Vollgummirädern und einer Tretbremse – wenn ich damit fahren durfte, war ich im Himmel!», schwärmt Armin Büeler.

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Ebenfalls ganz in seinem Element war er beim Fischen im Krebsbach hinter dem Haus. «Eigentlich gab es im Bachabschnitt von der Färberei im Roos-Quartier in Wollerau bis zu uns in den See hinunter gar keine Fische mehr. Das Wasser kam von der Färberei jeden Tag in einer anderen Farbe den Berg hinunter: mal grün, mal weiss, mal rot oder schwarz. Das überlebte kein Fisch. Einzig im Frühling schwamm der Alet frühmorgens in den Bach hinein, um zu laichen. Wenn ich dann etwa um vier Uhr dieses charakteristische Plantschen hörte, war ich sofort hellwach und ruckzuck aus dem Bett», erzählt er. Mit dem Feumer, dem Fischernetz, das korbartig an einer Stange befestigt ist, stand der Bub im Bach und wartete geduldig. Den Fang bereitete die Mutter anschlies­ send in der Küche zu. «Der Alet ist ein

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12 Ausflug in den 1930erJahren über den Klausenpass. Am Steuer: Vater Josef Büeler-Gugolz, dahinter v. l. n. r. Armin Büeler, Mutter Olga Büeler-Gugolz und ihre Schwestern Marietta Gugolz und Ida Welti-Gugolz.

13 Tante Flora (Flora Büeler, geb. 1894) mit Hund Herta. 14 Feuerwehrausflug im Hitzesommer 1947, Flumserberg.

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karpfenartiger Weissfisch – kein Edelfisch wie der Egli oder Hecht, weil er viele Gräten hat – aber geschmacklich sind sie gut», erläutert er. Gegen sieben Uhr kam jeweils die Mutter, um den Jungen in die Schule zu schicken. Armin Büeler: «Manchmal fischte ich am Sonntagmorgen früh mit einem Jungen, der nicht in die Kirche musste. Ich aber wurde bald vom Bach weggerufen, um 18

mich auf den Weg nach Freienbach zu begeben – da sass dann ich in der Kirche und stellte mir vor, wie mein Kollege einen tollen Fang machte.» Tante Flora und die «schwarzen» Kaninchen

Die Dreissigerjahre waren wirtschaftlich schwierig, weil die Leute kein Geld ausgaben, selbst wenn sie welches hatten. Während des Zweiten Weltkrieges


15 Die Faktorei heute mit Garten, von Nordosten her aufgenommen. 16 Die Faktoreistube nach der Renovation 1933. 17 Soldaten während des Zweiten Weltkrieges im Garten der Faktorei mit Serviertochter Miggi Bäuerle.

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entspannte sich die Situation für die Faktorei aber ein wenig. Nicht etwa, weil die Menschen nun mehr Geld zur Verfügung gehabt hätten, sondern weil immer wieder Soldaten einquartiert wurden. «Das Seezimmer war abwechslungsweise Krankenzimmer oder Kompaniebüro, und in den vier Zimmern unter dem Dach wohnten die Offiziere. Und natürlich stieg der Umsatz in der 19

Gaststube», erzählt Armin Büeler. Seine ältere ledige Tante Flora war am bes­ seren Geschäftsgang nicht unbeteiligt: Sie half ihrem Bruder im Büro des Betriebs und züchtete daneben im Garten Hühner und Kaninchen: «Für dieses Fleisch fuhren manche Gäste sonntags mit dem Velo von Zürich bis zu uns, um ohne Mahlzeitencoupons ein Mittag­ essen zu erhalten. Und wir waren halt


froh um jeden Franken», lacht Armin Büeler entschuldigend und fährt fort: «Wer die Gelegenheit hatte, machte das damals – es wurden allerdings viele erwischt, weil sie es nicht schlau genug anstellten.» Während des Krieges schloss Armin Büeler die Sekundarschule ab. Schon als Kind hatte er sich im Betrieb nützlich gemacht, war in die Faktorei hineingewachsen. Der Vater kaufte eine Schreibmaschine und, als Tante Flora einen Kurs besuchte, eignete sich der junge Armin mit ihrem Kursmaterial autodidaktisch ebenfalls das Zehnfingersystem an. An der Benediktschule in Zürich erwarb er sich ein Handelsdiplom und lernte an der Forschungsanstalt Wädenswil das Behandeln des Weins. Das Abfüllen und Etikettieren der Flaschen hatte ihm der Vater schon

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während der Schulzeit nebenbei beigebracht, ebenso das Küfern und Repa­ rieren der Fässer. Er erzählt: «Büro und Keller wurden zu meinen Gebieten. Mein Vater war gottenfroh um meine Unterstützung.» In dieser Zeit begann der Sohn auch mit der Herstellung und dem Vertrieb von Likören. Genau wie seine Vorfahren sicherte er sich so eine Existenz, die sich auf mehrere beruf­ liche Standbeine abstützte. Hochzeitsglocken 1957 reiste Trudi Weber

aus dem Tirol zu ihrer Schwester nach Bäch, die hier den Wirt eines anderen Restaurants geheiratet hatte, um bei ihnen als Serviertochter zu arbeiten: «Mir fiel dieses schöne Mädchen natürlich bald auf», gesteht Armin Büeler und fährt fort: «Manchmal wechselten wir ein paar Worte, wenn ich Büeler

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18 Mutter Olga BüelerGugolz (geb. 1897) Ende der 1950er-Jahre. 19 Vater Josef BüelerGugolz (geb. 1899) in den 1960er-Jahren.

20 Die junge Familie Mitte der 1960er-Jahre im Garten der Faktorei. V. l. n.r. Trudi Büeler, Andreas Büeler (geb. 1960), Armin Büeler, Thomas Büeler (geb. 1961).

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21 Armin Büeler im Keller mit einer Spirituosen-Korb­ flasche. Im Gestell stehen wei­tere leere Schnapsflaschen, eine Erinnerung an die Zeit der Likörherstellung. 22 Trudi Büeler (links) mit Katharina Dotlo, eine ihrer Assistentinnen in der Küche.

Bitter lieferte.» Fast hätte er sie aus den Augen verloren, denn Trudi Weber wollte Bäch eigentlich verlassen, um sich weiterzubilden. Bereits hatte sie Aussicht auf eine Stelle im Café Ernst in der Zürcher Bahnhofstrasse, da verunfallte in der Faktorei eine Serviertochter. Vater Büeler bat die junge Tirolerin, ob sie aushelfen könne. Trudi Weber sagte zu – und sie blieb. «Wir 22

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verstanden uns, redeten viel und irgendwann überwältigte uns die Natur», sagt Armin Büeler und seine Frau lächelt: «Wir waren immer zwei ganz unterschiedliche Charaktere, aber wir ergänzen uns sehr gut.» 1959, ein Jahr nachdem Trudi in die Faktorei gekommen war, heiratete das junge Paar in der Kirche von Freien­ bach. Gemeinsam mit den Eltern Büeler


arbeitete es weiter in der Faktorei. Die Mutter am Herd, der Vater im Weinhandel und als Salzfaktor, der Sohn als Likörproduzent und die Schwiegertochter in der Gaststube. Mit ihrer fröhlichen Art war sie die geborene Gastgeberin, das hatten die Büelers sofort erkannt. Dass sich zwischen der älteren Generation und der jungen Frau eine herzliche Zuneigung entwickelte, 23

ist heute noch gut spürbar, wenn Trudi Büeler von ihren Schwiegereltern spricht. Doch nicht alles war rosig: Die Faktorei war bis unter das Dach verschuldet – ein Dach zudem, unter dessen Ziegeln die Schindeln morsch waren. Aber Trudi Büeler liess sich davon nicht abschrecken, beklagte sich nie und packte mit an: «Ich bin das jüngste von vierzehn Bauernkindern


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23 Die Zubereitung der vielgerĂźhmten Egli im Bierteig. 24 Yvonne Rutz, seit 26 Jahren Servicefachangestellte in der Faktorei. 24


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und mein Vater starb, als ich zwei Jahre alt war. Ich war es gewohnt, bescheiden zu leben und zu arbeiten», erklärt sie. 1960 kam Sohn Thomas zur Welt, im folgenden Jahr der zweite Bub, Andreas. «Ich arbeitete jeweils bis zur Geburt und machte auch danach kaum eine Pause. Die Kinder waren ja im Haus und die Betreuung verteilte sich auf alle, die hier waren – die Eltern, die Tanten und auf uns», erinnert sich Trudi Büeler. Finanziell begann sich eine kleine Entspannung abzuzeichnen und das Dach war wieder dicht, denn Armin Büeler hatte regelmässig Bündel mit Schindeln in der Fabrik in Pfäffikon geholt und die durchgefaulten Stellen nach und nach einzeln ersetzt. Da erschütterte ein schwerer Schlag die Familie: Armin Büelers Mutter starb 1962 unerwartet nach einer Operation. 25

Ein Naturtalent am Herd und beliebte Liköre

Trudi Büeler steht in der Küche und erzählt: «Als die Mutter starb, übernahm ich den Herd. Ich hatte zwar keine entsprechende Ausbildung, aber ich wollte kochen. Die gängigen Gerichte waren einfach, das kam mir entgegen – gebackene Fische im Bierteig, Fisch à la meunière, Forelle blau.» Das meiste brachte sie sich selber bei, und ihr Mann unterstützte sie, so gut er konnte. So sparte er jeden Rappen zusammen, um seine Frau in gehobene Lokale ausführen zu können. Dort beobachtete Trudi Büeler genau, was sie sah und schmeckte und pröbelte anschliessend daheim weiter an ihren Rezepten. Sie kaufte sich die Kochbücher von Agnes Amberg und Elfie Casty und studierte sie eingehend: «Bei Elfie Casty war ich an einem dreitägigen Kurs in Klosters


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– sie hat mich wirklich weitergebracht», schwärmt sie noch heute. Das wich­tigste war aber wohl: Die junge Frau besass nicht nur das Interesse und eine gute Portion Hartnäckigkeit und Durch­ haltevermögen, sie verfügte auch über das nötige Fingerspitzengefühl, den delikaten Fisch genau im richtigen Moment aus der Pfanne zu nehmen und die Würze so zu dosieren, dass der Eigengeschmack hervorgehoben, aber nicht überdeckt wird. Armin Büeler bringt es auf den Punkt: «Meine Frau entpuppte sich nicht nur in der Gast­ stube, sondern auch in der Küche als Naturtalent.» Auch das Likörgeschäft lief gut: Der Eierlikör und seine Neuschöpfung, der Chocolatkirsch; Anisett, Pfefferminz-, Crème- und Kümmellikör, nicht zu vergessen der bis heute berühmte

Büeler Bitter, an dessen Rezept Armin Büeler zwei bis drei Jahre gefeilt hatte und von dem er nur verrät, dass es vierzehn verschiedene Kräuter enthält. Am besten lief in den Fünfzigern und Sechzigern aber der Eierlikör, der offenbar genau den Geschmack der Zeit traf. «Den Volg belieferte ich damals dreimal jährlich mit je 500 Flaschen», erzählt Armin Büeler nicht ohne Stolz. Die Schnapsbrennerei und Mosterei des Grossvaters gegen den See hin war längst nicht mehr in Betrieb, Armin Büeler liess seinen Kirsch bei den fahrbaren Brennereien brennen, die von Hof zu Hof zogen. Und er stellt fest: «Zum Glück hatte ich nie ein Problem mit dem Alkohol – nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich einen Rausch – im Militär. Das reichte mir vollkommen.»

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Die Faktoreistube.

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Die Seestube.

Der Stammgast und Verehrer Miggeli (Emil) Kellersberger aus Wädenswil mit Trudi Büeler, circa Mitte der 1960er-Jahre. 27

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28 Mit Rolf, Thomas und Maria Kellersberger sitzen die zweite, dritte und vierte Generation Kellersberger an Trudi Büelers Küchentisch beim «Büelerbitterle» – dieses Privileg geniesst heute sonst niemand mehr.


Ein Verehrer bringt Kundschaft

Um den Likör zu bewerben, buchten die Büelers für einige Jahre einen Stand auf dem Weinschiff in Zürich. Dort entdeckte der Wädenswiler Bauunternehmer Emil Kellersberger den Büeler-Likör – und gleichzeitig Trudi Büeler hinter dem Stand. Die schöne, fröhliche Wirtin gefiel ihm ausserordentlich und es dauerte nicht lange, bis er zum ersten Mal in der Faktorei in Bäch vorbeischaute. Von nun an kam er regelmässig, und der Lebemann war selten alleine: «Ja, der Miggeli Kellersberger war ein wichtiger Gast für uns. Der brachte viele gut zahlende Wädenswiler hierher – kein Wunder bei der hübschen Wirtin!», lacht Armin Büeler und schaut zu seiner Frau. «Ach, der Miggelimaa – so nannten ihn unsere Kinder», seufzt sie nachdenklich und erzählt weiter: «Er hat mich wahnsinnig verehrt. Manchmal kam er mit seinen Baumeisterkollegen und blieb den ganzen Tag bei uns: Um neun Uhr morgens erschienen sie zum Znüni und verweilten bis zum Mittagessen. Dann backte ich nachmittags einen Apfelstrudel und er blieb anschliessend gleich noch für das Abendessen und weit in die Nacht hinein.» Natürlich schätzte der gesellige Wädenswiler bei seinen Besuchen auch Armin Büelers exzellente Weinauswahl, sodass sich die Büelers manchmal etwas Sorgen machten, wenn er sich zu später Stunde auf den Heimweg begab. Er sei aber immer sehr vorsichtig gefahren, erinnert sich Armin Büeler – und: «Mit der Wädenswiler Polizei verstand er sich bestens, die brachte er auch zu uns in die Faktorei. Die wussten schon, dass er anständig fährt.» Aus dem Verehrer wurde ein Freund der Familie und 28

heute, über vierzig Jahre nach dem Tod von Emil Kellersberger, ist die Faktorei auch für dessen Familie noch immer ein wichtiger Ort, der nun schon in der vierten Generation besucht wird. Emils Sohn Rolf traf sich in der Faktorei früher häufig mit Fredy Knie Senior und noch heute ist er regelmässig Gast. Enkel Thomas berichtet: «Es gibt ein Ritual, das vermutlich mein Grossvater hier initiiert hat: Wenn wir mit unseren Frauen hier essen, verabschieden wir Männer uns irgendwann für einen Moment aus der Gaststube, um Trudi Büeler in der Küche einen Besuch abzustatten. Dann setzen wir uns mit ihr und der Serviertochter Yvonne an den Küchentisch und trinken einen Büeler Bitter.» Die Bedeutung des Salzes Die vielen neuen

Stammgäste, die ab den Sechzigerjahren in die Faktorei fanden, liessen die Schulden dahinschmelzen. Endlich konnte Armin Büeler in das Haus investieren: Zuerst wurde das ganze Dach neu gedeckt, später reichte es für die Renovation der Böden und Fenster, ein Kachelofen wurde ersetzt und anfangs der Siebzigerjahre baute Emil Kellersberger die Küche um. Die Hypo­ theken erreichten ein normales Niveau und 1970 übernahm Armin Büeler die Faktorei offiziell von seinem Vater. Erstmals in der Geschichte der Faktorei war die Gastwirtschaft zum einem wichtigen Einkommenszweig geworden. Das war gut, denn 1975, mit der Auf­ hebung des Salzregals, benötigte man keine Salzfaktoren mehr. Für Büelers war das kein grosser Einschnitt, denn für sie hatte sich die Bedeutung des Salzes längst gewandelt: Statt aufgestapelt im Salzlager streute Trudi Büeler


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29 Die Verleihung des Michelinsterns im Koïfhus in Colmar im Jahr 1996. Links neben Trudi Büeler der Spitzenkoch Paul Bocuse, hinter ihm Philippe Rochat. 29


das weisse Gold in perfekter Dosierung über zarte Fischfilets. Sterne und Punkte Dieses Gespür für ex-

quisite Zubereitung musste eines Tages auch den Gastrokritikern auffallen: Im Jahr 1996 rief ein Gast aus Richterswil an, um zu gratulieren. Sie hätten doch den Michelinstern erhalten. Ob sie denn nicht wüssten …? Nein, Trudi Büeler hörte auf diesem Weg zum ersten Mal von der grossen Ehre: «Wir freuten uns sehr, das war eine schöne Bestä­ tigung für den Entscheid, an den Herd zurückzukehren, nachdem wir die Faktorei davor für ein Jahr abgegeben hatten», blickt sie zurück. Von Gault Millau waren sie schon Jahre zuvor mit erst 14 und bald 15 Punkten dekoriert worden. Mit den Punkten und Sternen kamen die Gäste von immer weiter her, um die Fischspezialitäten von Trudi Büeler zu geniessen: «Mir taten die Auszeichnungen gut. Ich hatte manchmal darunter gelitten, dass ich wegen des Krieges keine Ausbildung hatte absolvieren können. Und nun erhielt ich von oberster Stelle die Bestätigung, gleich gut zu sein wie andere Köche mit einer regulären Ausbildung.» Die Spezialisierung allein auf Fisch machte die Faktorei berühmt und unverwechselbar. Der Gourmetführer Gault Millau formulierte es so: «Man kann es drehen wie man will, Gertrud Büeler ist und bleibt die beste Fisch­ köchin weit und breit. Im Mittelpunkt stehen Zürichseefische, die sie in vielen Variationen zuzubereiten versteht; aber auch ihr Turbot an einer vollkommenen Weissweinsauce bleibt unvergessen, genauso wie die frisch gedrehte Vanilleglace zum Dessert.» Die Sterne und Punkte waren eine Zeit lang sehr moti 30

vierend, doch ständig dem Urteil der Gastrokritiker ausgeliefert zu sein, empfanden die beiden auf Dauer und mit zunehmendem Alter als anstrengend. Sie wollten die Auszeichnungen gerne loswerden, doch so einfach war es nicht. Schliesslich griff Armin Büeler zu einer kleinen List: Er schrieb den Redaktionen der Gastroführer, man habe altershalber das Konzept geändert. «So funktionierte es am Ende», strahlt Armin Büeler und Schalk blitzt aus seinen Augen: «Natürlich machen wir immer noch dasselbe.» Die Faktorei heute

Heute arbeiten mit Trudi und Armin Büeler acht Personen in der Faktorei, die meisten seit vielen Jahren. Da ist Yvonne Rutz, die seit mehr als 25 Jahren für das Wohl der Gäste zuständig ist, zusammen mit Jana Seibt, die seit vier Jahren im Service ist. In der Küche wird Trudi Büeler von Katharina Dotlo und Marina Maria­novic unterstützt. Sohn Thomas ist für alles Technische zuständig, Armin Büeler für Wein, Spirituosen und Ad­ministration. In der Küche ist man aus­serdem froh um ihn, wenn es um das Entgräten anspruchsvoller Fische geht, Hecht zum Beispiel, denn das kann niemand besser als er: «Schon als Kind entgrätete ich Fische und über die Jahre lernte ich die Ana­tomie der verschie­ denen Fischarten genauestens kennen. Früher war man der Meinung, den Hecht könne man fast nicht auf­tischen wegen den Gräten, aber bei uns ist er perfekt filetiert», erklärt Armin Büeler. «Als Zehnjähriger hätte ich bestimmt nie gedacht, dass ich achtzig Jahre später immer noch hier stehe und Fische filetiere», sagt er nachdenklich und schüttelt ungläubig den Kopf. Nicht


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etwa, weil ihm die Fische verleidet wären, nein, es ist sein Alter, das ihn immer wieder selber erstaunt: «Früher dachte ich, es wäre unglaublich, das Jahr 2000 zu erleben», sinniert er, während er mit seiner Frau vor dem statt­ lichen Eingang der Faktorei für den

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Fotografen posiert. «Heute ist jedes Jahr ein Bonus und ich kann wirklich sagen: Wir erleben gerade die beste Zeit un­ seres Lebens», stellt er fest und Trudi Büeler in ihrer leuchtend roten Tirolerjacke lacht zur Antwort, während er seinen Arm um ihre Schulter legt.


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