Der Hotelberg

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Romano Cuonz

Der Hotelberg Geschichte und Geschichten vom BĂźrgenstock Resort 1871 bis heute

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1  Anfahrt von Luzern über den See mit dem neuen Katamaran MS Bürgenstock der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee.

2  Plakat der Tourismusregion Vierwaldstättersee aus den 1930er-Jahren.

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Plakat vom Bürgenstock mit Hammetschwand Lift aus den 1940er-Jahren.

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4  Der neue Katamaran vor der Station Kehrsiten-Bürgen­ stock. Die Fahrgäste haben dort direkten Anschluss an die Bürgenstock Bahn. 5  Trassee und Waggons der Bürgenstock Bahn wurden komplett erneuert, aber der historische Look der Waggons blieb auf Wunsch der Bau­ herrschaft erhalten. 6  Ansichtskarte der Schiffs­ station Kehrsiten, um 1910.

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Die neu renovierte Bürgenstock Bahn kann 582 Personen pro Stunde befördern. Sie bewältigt die Gesamtlänge von 943 Metern und eine Steigung von bis zu 52,87 Prozent mit einer Geschwindigkeit von bis zu 5 Metern pro Sekunde.

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8  Selbst die Kabinen der Bahn sind nach historischem Vorbild gestaltet und in Holz gehalten. 9  Billett der Bürgenstock Bahn vom 19. August 1995. 10

Chromolithografie vom Bürgenstock mit Grand Hotel und Park Hotel, vermutlich um 1888.

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11  Bergbahnhof im heutigen Bürgenstock Hotel mit einer historischen Plakatsammlung im Hintergrund. 12  Lithographie des Hotels du Parc (Parkhotel Bürgenstock), um 1900. 13  Die nach Süden ausge­ richtete Piazza mit dem Bahnhof der Bürgenstock Bahn und dem denkmalgeschützten Bazar wurde als Kernstück des Resorts erhalten.

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Das neue Bürgenstock Resort kurz nach der Fertig­ stellung im Frühling 2018.

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Inhalt

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Vorwort

2oo8 – 2o18 33

Das Bürgenstock Resort in neuem Glanz

1873 – 19o6 77

Die Pioniere Bucher und Durrer

1885 – 19o5 121

Technische Meisterleistungen der Gründerzeit

19o6 – 1953 151

Modernisierung und eine einzigartige Kunstsammlung

1953 – 1996 187

Internationale Prominenz in der «alpinen Märchenwelt»

1996 – 2oo8

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Verkauf und Unsicherheit

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Chronologie des Bürgenstock Resorts 1871 – 2018

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Anhang

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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser Der Hotelberg: Resultat visionärer Schaffenskraft über Jahrhunderte hinweg inmitten der einmaligen Zentralschweizer Seen- und Berglandschaft. Nach zehn Jahren intensiver Projekt- und Bauarbeiten ist der Traum Wirklichkeit geworden. Das Hoteldorf auf dem Bürgenberg hat den Sprung von einer unsicheren Vergangenheit in die Gegenwart geschafft. Das Bürgenstock Resort Lake Lucerne mit seinem vielfältigen Angebot ist bereit für die Zukunft. Mein besonderer Dank geht an unsere Besitzer Katara Hospitality unter der visionären Führung von Chairman of the Board H. E. Sheikh Nawaf Bin Jassim Bin Jabor Al-Thani und CEO Mr. Hamad Abdulla Al-Mulla. Sie erkannten das Potenzial dieses besonderen Orts und haben durch grosszügige Investitionen ermöglicht, dieses wichtige Erbe der Schweizer Tourismusgeschichte zu erhalten und wieder zu beleben. Ich danke allen, die am Konzept, Projekt und Bau mitgearbeitet haben und uns unterstützend zur Seite standen. Und ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den Hotelberg beseelen und unsere Gäste verwöhnen. Wir freuen uns, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bei der Lektüre dieses Buchs in die Geschichte und Geschichten des Hotelbergs eintauchen und unser einzigar­tiges Resort bald selbst besuchen. Sie werden unvergessliche Erinnerungen mit nach Hause nehmen. Danke, dass Sie Teil unserer Geschichte sind. Bruno H. Schöpfer, Managing Director The Bürgenstock Selection September 2o18

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Die Pioniere Bucher und Durrer

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Porträt des Fabrikanten und Hotelerbauers Franz Josef Bucher-Durrer, um 1900.

100  Porträt des Fabrikanten und Erfinders Josef DurrerGasser, Geschäftspartner von Franz Josef Bucher-Durrer, um 1900.

Die Geschichte des legendären Hotelbergs beginnt mit zwei jungen Ob­waldner Bauernsöhnen, die 1864 zusammen ein Unternehmen gründen: Franz Josef Bucher, geboren 1834 in Kerns, und Josef Durrer, geboren 184o in St. Niklausen, bilden zusammen die Firma Bucher & Durrer, die zum erfolgreichsten Obwaldner Unternehmen des 19. Jahrhunderts wird. Dass sie je einmal ein Hotel bauen würden, ahnen Bucher und Durrer zu Beginn ihrer Zusammenarbeit jedoch nicht. Vielmehr bauen sie nach der Firmengründung sechs Jahre lang Wohnhäuser und Ställe in Obwalden und bald auch in Luzern. Zu gerne möchten die initiativen Fabrikanten nun den Durchbruch schaffen und eine Art Meisterstück abliefern. Bertha Lina Stockmann-Durrer, die älteste Tochter von Josef Durrer, beschreibt später in ihrem Tagebuch, wie die beiden Fabrikanten dies planten. Die zündende Idee hat Franz Josef Bucher: Die junge Baufirma könnte doch in einem aufstrebenden Kur-

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ort ein Hotel platzieren, sozusagen als Visitenkarte. Er stelle nämlich fest, argumentiert Bucher, wie der Fremdenstrom über die Schweiz zum Mittelmeer stetig zunehme. Gerade kürzlich habe sogar die eng­ lische Königin Victoria inkognito in Engelberg übernachtet. Da lasse sich doch ein Geschäft machen! Inzwischen sind die beiden Geschäftspartner auch privat verbunden; denn 1868 hat eine Doppelhochzeit stattgefunden: Franz Josef Bucher, seit drei Jahren verwitwet und Vater von neun Kindern, heiratet Josepha Durrer, die Schwester von Josef Durrer, und wird mit ihr nochmals sieben Kinder haben. Josef Durrer aber vermählt sich mit Anna Maria Gasser aus Lungern; die beiden werden Eltern von sechs Knaben und vier Mädchen. Franz Josef Bucher gelingt es schliesslich, seinen eher zurückhaltenden Kompagnon und Schwager zu einem finanziellen Abenteuer zu überreden: Im August 1869 kaufen sie in Engelberg für einen günstigen Preis die sogenannte «Stirnrüthi», ein idealer Bauplatz für ein Hotel, wie Bucher findet. Die Kaufverhandlung führt allerdings Josef Durrer. Da der zuständige Gerichtsschreiber an diesem Tag am Heuen ist, ist Durrer auf sich allein gestellt, und es unterläuft ihm ein juristischer Formfehler. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal zeigt sich, dass er in rechtlichen Angelegenheiten über weniger Geschick verfügt als sein Partner. In der Folge wird er vom Gericht zu einer Geldbusse verurteilt. Eine Bagatelle, könnte man meinen, doch die Sache verfolgt ihn und wird, als er Jahrzehnte später in den Regierungsrat gewählt wird, nochmals an die Öffentlichkeit gezerrt: «Noch bei den Regierungsratswahlen 19o6 konnte sich Nationalrat Dr. Ming nicht enthalten, am Wirtshaustisch darauf hinzuweisen und nach 36 Jahren die Geschichte wieder in die Öffentlichkeit zu ziehen», hält Durrers Tochter in ihrem Tagebuch fest. Ein Jahr nach Kauf der «Stirnrüthi» nehmen die Arbeiter von Bucher & Durrer den Bau des Hotels Sonnenberg auf. Hans Bucher, ein Enkel Franz Josef Buchers, wird später beschreiben, wie sein Grossvater auf der Baustelle selbst mitanpackt: «Eigenhändig wurden Pläne gezeichnet. Eigenhändig wurde mitgezimmert und mitgearbeitet. Als Meister und Bauherr zugleich stund Herr Bucher in der Mitte der Arbeiter seines neu zu entstehenden Werkes.» Eigentlich haben die

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beiden Fabrikanten miteinander abgemacht, das Hotel lediglich zu bauen und dann zu verkaufen. Doch daraus wird nichts. Mit Beginn des Deutsch-Französischen Kriegs im Juli 187o herrscht in Europa grosse Verunsicherung und ans Reisen denkt jetzt kaum jemand mehr. Unter diesen Voraussetzungen findet sich auch kein Käufer für das neue Hotel. So ist es denn der Bauherr Franz Josef Bucher persönlich, der 1871 das schmucke Haus an schönster Lage eröffnet. Das Hotel Sonnenberg wird zu einem eigentlichen Familienbetrieb von Bucher & Durrer. Vor allem Durrers Frau Anna Maria und ihre Kinder arbeiten im Betrieb mit. Angestellt werden lediglich eine Köchin, ein Oberkellner, der zugleich Chef de Réception ist, und eine Büroaushilfe. Josef Durrer beabsichtigt weiterhin, das Hotel so schnell wie möglich zu verkaufen. Anders sein Kompagnon: Franz Josef Bucher entwickelt von Anfang an eine eigenwillige Liebe zum Hotelfach. Am Ende der ersten und einzigen Sommersaison weist das Gästebuch des «Sonnenberg» fälschlicherweise noch immer einen Gästebestand von 35 Personen auf. Franz Josef Bucher regelt die Sache auf seine Weise und fügt im Gästebuch folgende Notiz hinzu: «Schluss der Sai101

Stahlstich des Hotels Sonnenberg in Engelberg von 1870.

son, alles abgereist.» Darunter zieht er mit Federhalter und Tinte einen kräftigen Schlussstrich und behält damit sogar Recht: Am 1o. November 1871 verkauft die Firma Bucher & Durrer den «Sonnenberg» mit einem stolzen Gewinn von 7o ooo Franken. In den Monaten zuvor hat Franz Josef Bucher Verhandlungen für den Bau eines weiteren Hotels geführt, und zwar über dem Urnersee, auf dem prächtig gelegenen Axenstein. Als diese Verhandlungen schliesslich scheitern, lässt Franz Josef Bucher die Idee eines Hotels über dem Vierwaldstättersee nicht mehr los. Aus Alp Tritt wird der Hotelberg

Nach dem Verkauf des «Sonnenberg» in Engelberg sind die beiden Kompagnons auf dem Rückweg und lenken einen Zweispänner durch die engen Kurven des «Grünenwald» auf dem Weg von Engelberg nach Grafenort. Sie kennen den holprigen Saumpfad, schon nächstes Jahr soll ihre noch junge Firma hier am Bau einer Landstrasse mitwirken, auf der später zweimal täglich Postkutschen ins Klosterdorf Engelberg fahren werden. Nach dem erfolgreichen Verkauf des Hotels

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Sonnenberg sind beide gut gelaunt. Das viele Geld tragen sie bei sich. In forschem Tempo traben die Pferde durchs Engelberger Tal in Richtung Stans, und noch bevor die Kompagnons in die Strasse nach Obwalden abbiegen, fällt der Blick von Franz Josef Bucher auf den Bür­genberg, einen Bergkamm über dem Vierwaldstättersee. Und dann geschieht es. Josef Durrer wird die Geschichte später seinen Kindern wieder und wieder erzählen. Wie der Bucher die Zügel angezogen, das Gefährt angehalten und mit dem Finger auf den Bürgenberg gezeigt habe: Mit dem Gewinn vom «Sonnenberg» würden sie, so habe er verkündet, die Alp da droben kaufen und dort ein neues Hotel bauen! Franz Josef Bucher gelingt es, seinen Kompagnon davon zu überzeugen, dass ein Hotel mit so grandioser Aussicht auf den See und die Stadt Luzern rentieren müsste. Seine Erkundigungen ergeben, dass der

102  Kopie eines Kaufvertrags für ein Grundstück in KehrsitenBürgenstock, ausgestellt in Obbürgen am 15. November 1872.

felsige und nur schwer zugängliche Platz auf dem Grat des Bürgen­bergs «Alp Tritt» heisst. Diese Bergweide wird landwirtschaftlich als wertlos eingestuft. Deshalb bietet die Besitzerin – es ist die Korporation ­Luzern – den beiden Unternehmern die über 6oo ooo Quadratmeter felsigen Grund für wenig Geld an. Bucher greift im Namen der Firma schnell zu. Er will gar nicht erst Konkurrenz aufkommen lassen, denn am Vierwaldstättersee entsteht zu dieser Zeit ein Hotel nach dem andern (siehe auch «Zur Geschichte des Innerschweizer Tourismus im 19. Jahrhundert», Seite 84 ff.). Bevor die Firma mit dem Bau des geplanten Hotels beginnen kann, muss sie eine Zufahrt realisieren. Bucher erreicht mit viel Verhand­ lungsgeschick, dass er für die Strasse, die von Stansstad über Obbürgen zu seiner Alp Tritt führt, einen Staatsbeitrag von 13 5oo Franken erhält. Widerstand erwächst ihm aber von den Nidwaldner Bauern, die den

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bärtigen Obwaldner, der in ihr Reich eindringt, verschreien, wo und wann sie nur können. Für sie ist er ein Spinner. Als Bucher zusammen mit seinem damals zwölfjährigen Sohn Fritz die Strassenbaustelle besucht, kommt es gar, wie Fritz Bucher später seinen Nachkommen erzählt, zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung: «Kleinliche Bauern, die ihr Heimetli in der dortigen Gegend nie verlassen hatten, sträubten sich gegen das Neue und Grosszügige, weil sie sich seit Jahren an Einfaches gewöhnt waren. So geschah es, dass sie mit Sense und ­Sichel, mit Rechen und Hacken auf meinen Vater, den Strassenbauer,

Sparsamkeit ist die höchste Tugend Franz Josef Buchers. Als ihm auffällt, wie seine Arbeiter beim Bau des ersten Hotels auf dem Bürgenstock zu viele Nägel brauchen, ­interveniert er. Befiehlt, dass jeder krumm eingeschlagene Nagel ausgezogen, geradegebogen und nochmals ­verwendet werden müsse. Zimmermeister Josef Windlin – sein bester Freund – lacht laut heraus und sagt zu Bucher, er solle diesen Blödsinn erst selber ausprobieren. Bucher – starrsinnig wie er ist – zieht einen Tag lang krumme Nägel aus dem Holz, hämmert sie in müh­ seliger Arbeit gerade. Am Abend dann sagt er zum «Windli Sepp»: «Äs isch i ­Ornig, yär chend de nyw Nägel näh!» (Es ist in Ordnung, ihr könnt nun neue Nägel nehmen.)

losgingen und ihn verfolgten. Die Sache sah so gefährlich aus, dass mein Vater die Weisung gab, mich gegen die Alp Tritt hin zu entfernen. Ich sah von Weitem, wie er sich gegen seine Angreifer verteidigte und es schliesslich fertig brachte, diese zu beruhigen.» Kaum ist die Strasse gebaut, beginnt ein neues Abenteuer: Franz Josef Bucher will auf dem Grat die steilen Felszacken, die die Sicht zum See versperren, entfernen. Unter der Leitung von Josef Durrer setzen die Arbeiter den gewaltigen Steinmassen zu. Mit zahllosen Handsprengungen wird der Fels zerstückelt, dann mit Stemmeisen gespalten und Abbruchhämmern zerkleinert und schliesslich weggeschafft. Auf dem schönsten Aussichtspunkt, genau gegenüber der zu dieser Zeit schon weltberühmten Rigi, bereiten die Arbeiter den Bauplatz für das neue Hotel vor. Für Keller und Küche sprengen sie ganze Höhlen aus dem harten Kalkfelsen und bewegen Millionen von Kubikmeter Gestein mit einfachsten Arbeitsmethoden. Franz Josef Bucher – immer gut beraten von Josef Durrer – ist sein eigener Architekt und Baumeister. Mit den einheimischen Bauern braucht er nicht mehr um die Baumaterialien zu feilschen, denn er besitzt jetzt alles Rohmaterial selbst: Aus den ausgebrochenen Steinbrocken entsteht das solide Mauerwerk des Hotels, und der Kalk für den Verputz wird an Ort und Stelle aus dem Kalkstein gebrannt. Holz für den Innenausbau transportieren die Arbeiter aus den nahen Wäldern herbei und behauen es an Ort und Stelle mit der Breitaxt. Wie viel Werkzeug und Material die Firma auf dieser Baustelle verbraucht, geht auch aus einem Brief von Josef Durrer über den Besuch der Weltausstellung in Wien hervor: «Wir kauften für mehr als 1o ooo Franken Hobel, Kehlmaschinen und anderes Baumaterial und reisten damit dann über Semmering, Triest, Venedig, Mailand und über

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103  Einladung zum Eröffnungsdiner des Hotels Bürgenstock, des späteren Grand Hotels. Lithographie vom 8. Juni 1873. 104  Menükarte vom Hotel Bürgenstock, 19. Juni 1883. 103

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den Gotthard zurück.» Die Firma gibt auch Materialbestellungen für den Innenausbau im Ausland auf: Marmorverkleidungen kommen aus Italien, Seidentapeten aus Paris. Alles wird per Fuhrwerk auf den Berg gefahren. Die Nidwaldner Bauern bezeichnen den Obwaldner Franz Josef Bucher längst nicht mehr als Spinner. Mittlerweile nennen sie ihn einen wahren Teufel! Er selbst führt sich auf dem Berg auf wie ein kleiner Fürst. So tauft er die Alp Tritt kurzerhand um in «Bürgenstock». Obschon dieser Berg eher einer Felsnase als einem Stock im landläufigen Sinn gleicht, übernimmt die Landestopografie Buchers Namensgebung für den ganzen Hotelberg: Der Name «Bürgenstock» erscheint auf Landkarten und in Postverzeichnissen.

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Zur Geschichte des Innerschweizer Tourismus im 19. Jahrhundert

Die Eröffnung des ersten Hotels auf dem Bürgenstock im

Tourismus ist der Zürcher Kartograf, Panaromazeichner und

Jahr 1873 fällt in eine Zeit, in der die Innerschweiz zu einer

Verleger Heinrich Keller (1778 – 1862), der 1804 die ersten

international beliebten Tourismusdestination wird. Diese

Panoramabilder der Rigi zeichnet. Drei Jahre später publi-

Entwicklung beginnt mit der Rigi, die bereits im 18. Jahrhun-

ziert er sie und macht damit die «Königin der Berge»

dert dank ihrer einzigartigen Lage am Vierwaldstättersee als

weitherum bekannt. Mehr noch: Heinrich Keller sammelt

Ausflugsziel bekannt ist. 1775 besucht beispielsweise der

Geld in Zürich, denn der Tuchschneider und Bergführer

junge Dichter Johann Wolfgang von Goethe die Rigi und

Joseph Martin Bürgi aus Arth, der das Hotel Krone in Rigi

schreibt später in einem seiner Tagebücher (Band II, 1)

Klösterli betreibt, soll auf Rigi Kulm ein neues Gasthaus

darüber: «… denn es war ein nie gesehener, nie wieder zu

errichten. 1815 ist es so weit: Mit 971 Franken Startkapital

schauender Anblick …» Ein wichtiger Förderer des Rigi-­

nehmen Arbeiter den anspruchsvollen Bau in Angriff. Noch braucht es einen zweiten Spendenaufruf in Schweizer Städten, bis die beiden Tourismuspioniere am 6. August 1816 auf Rigi Kulm das erste Gipfelhotel der Schweiz eröffnen können. Ende der 1830er-Jahre fährt auf dem Vierwaldstättersee das erste Passagierdampfschiff von Luzern nach Weggis. Von nun an besuchen Touristen in grosser Zahl die Rigi. Zwar ist der Weg auf den Berg steil und beschwerlich, aber er entschädigt die Wanderer mit reizvollen, ständig wechselnden Ausblicken auf den Vierwaldstättersee. Wer reich ist, kann sich den anstrengenden Weg zu Fuss ohnehin ersparen und sich von einem einheimischen Sesselträger auf den Berg bringen lassen – für einen Lohn von 35 «Batzen», was etwa dem Wert von ein Paar Schuhen entspricht. Ein rentables Geschäft! Bald sieht sich Weggis gezwungen, eine strenge Verordnung zu erlassen. Im Frühjahr müssen sich alle Träger beim Gemeindeammann melden, und dieser verfügt: «Träger sind an die festgesetzten Tarife gebunden.

105 Fotochrom-Ansichtskarte

vom Luzerner Quai mit zwei Dampfschiffen, um 1905.

Jene Träger, welche sich ungebührlich gegen Fremde benehmen oder sich so betrinken, dass sie den Dienst nicht gehörig versehen können, sollen gemahnt oder aus dem Verzeichnis der Träger gestrichen werden.»

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Ansichtskarte von Rigi Kulm mit dem Grandhotel Schreiber, um 1900.

Rund 30 Jahre später werden diese Trägerdienste

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Ansichtskarte von Rigi Kulm mit Glärnisch und Mythen, um 1912.

Nur ein Innerschweizer «Tourismuspromoter» ist ähn-

obsolet, denn in Olten tüftelt der Ingenieur und Lokomotiv-

lich erfolgreich wie die «Königin der Berge»: Wilhelm Tell.

bauer Niklaus Riggenbach (1817 – 1897) an der Konstruktion

Und dies, obwohl es ihn – historisch gesehen – gar nicht

von Leiterzahnstangen und einer Gegendruckbremse für

gibt. Tells Siegeszug ist im internationalen Kontext zu

eine Bahn, die – wie er verspricht – auch die steile Rigi

verstehen: Das 19. Jahrhundert ist in Europa geprägt von

hinauffahren kann. Sein Vorhaben gelingt: 1871 nimmt die

Revolutionen, Gegenrevolutionen und aufkommendem

erste Zahnradbahn Europas zwischen Weggis und Rigi-­

Nationalismus. Unter solchen Vorzeichen sind viele Men-

Kulm ihren Betrieb auf. Vier Jahre später folgt die Arth-

schen empfänglich für die Geschichte von den tapferen

Rigi-Bahn. In der «Hotelstadt» auf Rigi Kulm stehen nun

Urschweizern, die jedes fremde Joch abschütteln. Der frühe

630 Betten bereit, und in Rigi Kaltbad nochmals 431.

Innerschweizer Tourist Johann Wolfgang von Goethe hört

Bis zu 600 Personen werden in den grossen Gasthöfen

von der Sage um Wilhelm Tell und trägt sich anlässlich

gleichzeitig verköstigt. Der französische Dichter Alphonse

seiner dritten Schweizer Reise 1797 mit dem Gedanken,

Daudet schildert dies in seinem Werk Tartarin in den Alpen

darüber ein klassisches Werk zu schreiben. Schliesslich

von 1886: «Der Speisesaal auf Rigi Kulm ist ein wahres

verwirft er die Idee, erzählt aber seinem Weimarer Freund

Schauspiel. Sechshundert Gedecke auf einem ungeheuren

Friedrich Schiller davon, und dieser leidenschaftliche Frei-

Tisch in Hufeisenform, auf welchem Schalen mit Reis und

geist ist Feuer und Flamme für die Geschichte. Mit einzig-

gekochten Pflaumen in langer Reihe mit Blattpflanzen

artigen Versen zaubert Friedrich Schiller die Figur des

abwechselten, während in den hellen oder braunen Saucen

Wilhelm Tell herbei, der mit der Uraufführung des Dramas

die Flämmchen der Kronleuchter und die Vergoldungen

1804 in Weimar zum klassischen Freiheitshelden aufsteigt.

der getäfelten Saaldecke sich wiederspiegelten.» Mit dem

Ganz nebenbei sorgt Schiller mit Regieanweisungen und

Bau der Rigi-Bahnen und dem Ausbau von Hotels und

Ortsangaben auch für einige «Gedenkstätten»: Keinem

Gasthöfen beginnt ein eigentlicher Rigi-Boom, der jahr-

anderen «Unheiligen» sind je so viele Kapellen geweiht

zehntelang anhalten wird.

worden wie dem Tell. In Bürglen, Küssnacht oder auf der

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Tellsplatte locken sie fortan Reisende in Scharen an, und

heit um sieben schöner war. Wenn diese weissen Berge

1895 erhält der Held in Altdorf auch sein wohlverdientes

vor einem Himmel von reinstem Azurblau wie Marmor

Denkmal.

funkeln, ist das eine eher himmlische denn eine irdische

Besonders wichtig für die Entwicklung des Tourismus in der Innerschweiz sind aber auch die Engländer, die im

Herrlichkeit.» Heinz Horat, Kunsthistoriker und langjähriger Direk-

19. Jahrhundert einen grossen Teil der Feriengäste ausma-

tor des Historischen Museums in Luzern, betont in 2oo

chen. Dies ist nicht zuletzt dem Tourismuspionier Thomas

Jahre Gastfreundschaft Zentralschweiz die Bedeutung, die

Cook zu verdanken, der das gleichnamige Reiseunter­

diese Naturbegeisterung der frühen Reisenden für die

nehmen gründete und als Erfinder der Pauschalreise gilt.

gesamte Entwicklung des Zentralschweizer Tourismus hatte:

1863 bereist Cook erstmals mit einer Reisegruppe die

«Dabei waren es keineswegs die Innerschweizer, welche

Schweiz. Die Eisenbahn steht zu dieser Zeit erst in ihren

besonders innovativ gewirkt hätten. Erst als die in der

Anfängen, und viele Strassen sind nicht ausgebaut. So

Gegend weilenden Engländer ob der Kulisse von Seen,

müssen die teilnehmenden Touristen holprige Kutschen-

Bergen und der schönen Aussicht in Ekstase gerieten,

fahrten und anstrengende Fussmärsche auf sich nehmen,

öffneten die Einheimischen die Augen und passten ihre

um die Sehenswürdigkeiten der Schweiz zu besuchen.

indifferente Haltung gegenüber dem immer schon Dage-

Zu Thomas Cooks Reisegruppe gehören vier Männer und

wesenen an. Sie r­ eagierten also auf die an sie heran­

– für die damalige Zeit aussergewöhnlich – vier Frauen;

getragenen und von Fremden formulierten Bedürfnisse

denn Cook ist überzeugt: «Es ist ein grosser Irrtum zu

schnell, tatkräftig und mit Mut zu sehr viel Risiko.»

glauben, dass das Reisen in der Schweiz eine so schwierige Angelegenheit sei, dass es nicht von Damen oder von Personen unternommen werden könne, die nicht ausserordentliche starke physische oder psychische Kräfte hätten.» Der Weg der Reisegruppe – heute noch als Via Cook bekannt – führt von Genf über Chamonix und das Wallis ins Berner Oberland, von dort über den Brünig in die Innerschweiz und weiter zum Jurasüdfuss und in die Dreiseen­ region. Da die acht reisefreudigen Leute auch Luzern besuchen und nach einer Dampferfahrt über den Vierwaldstättersee zu Fuss die Rigi bezwingen, betrachtet man dieses Ereignis gerne als die Geburtsstunde des Pauschaltourismus in der Innerschweiz. Das stimmt zwar nicht ganz, eines jedoch ist gewiss: Die amüsanten Beschreibungen, die eine Teilnehmerin dieser Reise – die 31-jährige Pfarrerstochter Miss Jemima Morrell (1832 – 1909) – mit spitzer Feder und feinstem englischen Humor in ihr Tagebuch notiert, geben einen spannenden Einblick in die damalige touristische Infrastruktur und gelten als erster ausführlicher Bericht einer Schweizer Reise. Wie Mark Twain in seiner berühmten, 15 Jahre später entstandenen Beschreibung, schwärmt auch Jemima Morrell vom Sonnenaufgang auf der Rigi: «Unser Sonnenaufgang auf der Rigi war, wie wir fanden, herrlich. […] Es war schwer zu entscheiden, ob die frühe Pracht um drei Uhr morgens oder die kristallene Klar-

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Die Erschliessung durch die Schweizerische Zentralbahn beschleunigt die touristische Entwicklung der Innerschweiz weiter. 1859 wird der erste Bahnhof in Luzern ­er­richtet, unmittelbar gegenüber der bekannten Schiffs­station. Luzern ist jetzt mit Zürich und fünf Jahre später auch mit Basel verbunden. Nachdem Thomas Cook 1863 die erste Reisegruppe in die Berge geführt hat, kommen nun wöchent­lich Extrazüge mit englischen Gruppen von bis zu 150 Personen in Luzern an, und die Stadt erkennt ihre Möglichkeiten: Das bereits 1821 errichtete Löwendenkmal wird als Sehenswürdigkeit erschlossen. Von 1886 bis 1989 kommen der Gletschergarten und das Bourbaki-Rund­ gemälde dazu. Für wirkungsvolle Werbung sorgen gekrönte Häupter: Der deutsche Kaiser Wilhelm II., König Ludwig II. von Bayern, Leopold I. von Belgien, die Zarin von Russland oder Kaiser Napoleon III. logieren in Luzern. Und die eng­

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Witzige, bunte Bergkarte von E. Hausen, 6. Mai 1898, mit Rigi, Pilatus und Bürgenstock, die hier Gesichter erhalten.

lische Königin Victoria schwärmt 1868: «Nichts übertrifft die Schönheit des Sees […] das wunderbare Farbenspiel von

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Panorama vom Stanserhorn. Lithographie, erstellt 1906 von A. Trüb und Co., Aarau.

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ein Stromnetz. Die Hotels Schweizerhof, Du Lac, Gütsch und National gehören zu den ersten Stromabonnenten der Schweiz. In der Belle Époque scheint einfach alles möglich, und die Zentralschweiz erlebt jetzt goldene Jahre: Zwischen 1890 und 1910 entstehen in der Stadt Luzern nicht weniger als 28 Hotels und Pensionen, die Zahl der Gästebetten wird mehr als verdoppelt. Auch ausserhalb Luzerns entstehen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Hotels. Die in den 1860er-Jahren gebaute Axenstrasse erschliesst beispielsweise Brunnen als Tourismusdestination, wo 1870 das am See gelegene Hotel Waldstätterhof eröffnet wird. Und das frühere Bauerndorf Morschach – ab 1866 von 110  Ansichtskarte im Braundruck mit Luftschiff über dem Vierwaldstättersee und dem Bürgenstock, 1910.

Brunnen her mit einem in den Fels gehauenen Zufahrtssträsschen erschlossen – wird mit seinen beiden mondänen Hotelpalästen Axenstein und Axenfels wie der Bürgenstock zu einem weltbekannten Ferienort. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs finden die goldenen Jahre des Zentralschweizer Tourismus ein abruptes, vorläu­ figes Ende. Fast alle Länder, aus denen die Ferien­gäste stammen, sind ins Kriegsgeschehen verwickelt. Die eben

Saphirblau bis Emerald-Grün.» Mit dem Luzerner Fremden-

aufgebaute touristische Infrastruktur liegt weitgehend

blatt von 1870, das Namen von schillernden Gästen ver­

brach. Lange Zeit wird sich der Zentralschweizer Tourismus

öffentlicht, erfährt die Destination Vierwaldstättersee eine

nicht von diesem Bruch erholen. Ab Mitte des 20. Jahrhun-

publizistische Aufwertung. Auch Hotels und Bahnen preisen

derts geht die touristische Entwicklung unter anderen

sich an. Dem Gast als König wird etwas geboten: 1882

Vorzeichen weiter: Mit dem Aufkommen des Individualver-

entsteht der Kursaal, und drei Jahre später steigt an einem

kehrs und dem immer populärer werdenden Wintersport

Seenachtsfest das erste Feuerwerk.

setzt eine intensive touristische Bautätigkeit ein: Unzählige

Einen weiteren touristischen Meilenstein setzt man

Ferienhäuser, Strassen, Seilbahnen und Skigebiete ent­

1888: Die neu eröffnete Brünig-Bahn verbindet die beiden

stehen, die die Landschaft um den Vierwaldstättersee bis

führenden Tourismusregionen Zentralschweiz und Berner

heute prägen. In jüngster Zeit knüpft die Zentralschweiz

Oberland miteinander. Entlang gleich zwei Zahnradstrecken

wieder vermehrt an ihre touristischen Ursprünge an: Tradi-

dampft die attraktiv in die Landschaft eingebettete Schmal-

tionelle Bauten aus der Gründerzeit – wie beispielsweise

spurbahn über den Brünig und bringt Gäste von Brienz

in Rigi Kaltbad oder auf dem Bürgenstock – werden ­

nach Luzern. Viel Beachtung findet auch die Pilatus-Bahn:

neu oder umgebaut und zu Wellness- und Ferienoasen

Die steilste Zahnradbahn der Welt bringt ab 1889 Gäste auf

für zahlungskräftige Gäste aus der ganzen Welt weiter­

den Luzerner Hausberg. In der Festschrift zum 100. Geburts-

entwickelt.

tag der Bahn heisst es: «Schon in den ersten Betriebstagen war der Ansturm auf die neue Bahn unglaublich, man riss sich um Billetts und Plätze, die Anlage war zeitweise hoffnungslos überfordert. Allein im ersten Betriebsjahr wurden 1477 Züge geführt, 36 892 Personen befördert.» In fast schwindelerregendem Tempo wird jetzt die Infrastruktur ausgebaut. Luzern erhält ein Trinkwasser- und

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Hotelberg deutsch.indb 88

21.10.18 13:13


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