Diogenes Magazin Nr. 14

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Nr. 14

Herbst 2013

Diogenes

Magazin Paulo Coelho

Der Literaturstar aus Brasilien

Biographie als Spiel Urs Widmer, Erich Hackl, Leon de Winter, Connie Palmen, Lukas Hartmann

Loriot-Sensationen Unbekannte Zeichnungen und Fotos

Arnon Grünberg Ilija Trojanow Wie entdeckt ein Autor die Welt?

4 Euro / 7 Franken

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783257 850147


Lesen statt bl채ttern.

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Reportagen, Weltgeschehen im Kleinformat. Jeden zweiten Monat neu. Erh채ltlich im Buchhandel, an grossen Kiosken und im Abonnement. www.reportagen.com


Aus aktuellem Anlass Friedrich Dürrenmatt

Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Ü

berhaupt sei, was sich zwischen denen, die ihn beobach-

teten, und ihm abspiele, der seine Beobachter beobachte,

für unsere Zeit symptomatisch, jeder fühle sich von jedem beobachtet und beobachte jeden, der Mensch heute sei ein beobachteter Mensch, der Staat beobachte ihn mit immer raffinier-

teren Methoden, der Mensch versuche sich immer verzweifelter dem Beobachtet-Werden zu entziehen, dem Staat sei der Mensch und dem Mensch der Staat immer verdächtiger, ebenso beobachte jeder Staat den anderen und fühle sich von jedem Staat beobachtet, auch beobachte wie noch nie der Mensch die Natur, indem er immer sinnreichere Instrumente erfinde, sie zu beobachten, wie Kameras, Teleskope, Stereoskope, Radioteleskope, Röntgenteleskope, Mikroskope, Elektronenmikroskope,

Foto Titelseite: Marvin Zilm / © Diogenes Verlag; Illustration: © Tomi Ungerer

Synchrotrone, Satelliten, Raumsonden, Computer.

Diogenes Taschenbuch detebe 21662, 144 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch Gelesen von Charlotte Kerr Dürrenmatt und Gert Heidenreich

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Ersatz für das leidige

Editorial Muriel Spark Die Geister der Autoren

Komplette Seiten werden hinzugefügt, umgeschrieben, redigiert, So tief noch in der Nacht befassen die Autoren sich Mit diesen alten Büchern, die sie vor langer Zeit geschrieben haben. Wie sonst Soll man sich denn erklären, dass womöglich viele Jahre Später der Leser Das Buch zur Hand nimmt – Aber war das denn so  ? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern … Wo Kam denn dieser Schluss her  ? Ich hab ihn ganz anders in Erinnerung behalten. O ja, da hat einer dran rumgepfuscht, Da gibt es überhaupt gar keinen Zweifel – Man sieht die Hand des Autors hier, dort und auch dort, Wo sie vorher nicht sichtbar war, und Mehr noch, irgendetwas fehlt – Ich hätte schwören können … Aus dem Diogenes Gedichtband: Muriel Spark, ›Wenn du Talent hast für die Liebe‹

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Biographisches Erzählen Erich Hackl 28 auf den Spuren seiner Mutter Urs Widmer 32 erinnert sich an seine Jugend. Ilija Trojanow Arnon Grünberg: Reporter ohne Grenzen

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Lukas Hartmann 46 Das Leben einer arabischen Prinzessin in Deutschland Leon de Winter 50 als Figur in seinem neuen Roman Connie Palmen 56 hat zum zweiten Mal eine große Liebe verloren. Und zum zweiten Mal schreibt sie darüber. Ian McEwan 60 über die Zweifel des Schriftstellers

Loriot 13 Eine Sensation: Im Nachlass des 2011 verstorbenen großen Humoristen fanden sich über 400 unveröffentlichte Zeichnungen, darunter etliche Möpse, die nun in Spätlese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus dürfen wir einen Blick in Loriots Gästebuch werfen und machen Bekanntschaft mit dem Künstler als Fotografen.

Interviews Paulo Coelho 4 Urs Widmer 32 Lukas Hartmann 46 Leon de Winter 50

Aus aktuellem Anlass Impressum Vorschaufenster

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Illustration: Saul Steinberg, Untitled, Variante einer Zeichnung von 1945. © The Saul Steinberg Foundation / 2013, ProLitteris, Zürich; Foto: © Albrecht Fuchs

Ich glaub, die Geister der Autoren kommen heimlich Des Nachts zurück und spuken auf den schlafenden Regalen Und finden dort die Bücher, die sie schrieben. Dann nehmen die Autoren letzte, halbletzte Änderungen vor, Mitunter ändern sie gar einen ganzen Absatz.


Diogenes Magazin Nr. 14

Illustration oben: © Tomi Ungerer; Foto links: © Marco Okhuizen / laif; Foto Mitte: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto rechts: Marvin Zilm / © Diogenes Verlag

Inhalt

Leon de Winter 50 hat einen neuen Roman geschrieben, ein abenteuerliches, spannendes, anrührendes und hochkomisches Buch. Er selbst spielt eine Rolle darin genauso wie der 2004 ermordete niederländische Filmemacher Theo van Gogh. Gespräch und Leseprobe.

Donna Leon 66 nimmt uns mit auf die Wasserwege Venedigs. Ihr reich illustriertes Buch Gondola widmet sich dem wohl traditionsreichsten Fortbewegungsmittel der Serenissima, das so typisch für diese Stadt ist wie die gelben Taxis für New York. Ein Auszug.

Paulo Coelho 4 Brasilien ist in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Was läge da näher, als ein Gespräch mit Paulo Coelho zu führen: über sein Heimatland, nationale Stereotypen – und ja, auch über die Fußballweltmeisterschaft 2014.

Anna Stothard 10 Wann ist es Liebe? Wenn man nicht mehr gehen kann? Für Eva Elliott war jede Trennung eine Befreiung – bis sie Luke begegnete. Ein Auszug aus dem Roman Die Kunst, Schluss zu machen.

Evelyn Waugh 22 Endlich gibt es Wiedersehen mit Brideshead in einer neuen Übersetzung. Daniel Kampa erzählt die Entstehungs­ geschichte dieses modernen Klassikers der englischen Literatur.

Gabriel Roth 70 Sozial tut er sich schwer, gar nicht zu reden von Liebesdingen. Eric Muller, jung, reich, Computergenie und Held in Gleichung mit einer Unbekannten – einem blitzgescheiten Debüt.

Rubriken Lesefrüchtchen 9

Kopfnüsschen 21

Ein Autor – Eine Stadt 18 Berlin mit Christian Schünemann

Kopfnüsschen 41 Lösungen

Wer schreibt hier? Gewinnspiel

Literarisches Kochen 20 Mit Martin Walker

Die einsame Insel Astrid Rosenfeld

Mag ich – Mag ich nicht 80 Leon de Winter

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Denken mit 76 George Orwell

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Foto: © Teichmann / laif


Interview

Im Gespräch mit Paulo Coelho

Wir brauchen Flügel und Wurzeln Wir trafen Paulo Coelho in Genf, wo der brasilianische Erfolgsautor einen Teil des Jahres wohnt. Es gab viel zu erzählen: Brasilien ist 2013 und 2014 an zwei Großereignissen beteiligt: als Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und im kommenden Jahr als Gastgeber – der Fußballweltmeisterschaft nämlich. Bei einer Tasse Espresso sprachen wir mit dem Schriftsteller über seine Heimat, seine Jugend, sein Schreiben, sein Leben zwischen den Kontinenten und natürlich über Bücher ... Diogenes Magazin: Brasilien ist dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buch­ messe. Du warst schon mehrmals dort zu Gast … Paulo Coelho: Für mich ist die Messe sehr wichtig, weil ich nur dort die Gelegenheit habe, meine Verleger zu sehen, mit denen sich sonst in erster Linie meine Agentin trifft. Ist die Buchmesse eine gute Marke­ tingplattform für die brasilianische Literatur? Die beste Werbung für die brasilianische Literatur sind die Autoren selbst. Leider haben viele brasilianische Autoren einen Hang zum Nouveau Roman, sie wollen die nächsten Robbe-Grillets sein (lacht). Natürlich gibt es auch ganz wunderbare Autoren in Brasilien … Du kennst die allermeisten Buchmes­ sen. Was ist so besonders an der Frankfurter Messe? Sie hat eine geheimnisvolle Aura, allein schon wegen ihrer jahrhundertelangen

Tradition. Und sie hat einen großartigen Direktor. Jürgen Boos, der seit 2005 dieses Amt bekleidet, macht tolle Arbeit. Er ist voller Energie, Visionen und offen für neue Entwicklungen in der Buchbranche. Ich ziehe meinen Hut vor seiner Leistung! An Messetagen gibt es wahnsinnig viel zu tun. Hast du Gelegenheit ge­ habt, Frankfurt zu erkunden? Viele sagen ja, die Stadt sei gesichtslos … Ja, ich weiß. Viele mögen Frankfurt nicht, ich habe mich dort aber immer wohl gefühlt. Wenn du mit jemandem in einer Bar sitzt, ist es vollkommen egal, ob er aus Frankfurt oder Berlin, aus Russland, Frankreich oder Amerika kommt. Drück ihm eine Espressotasse oder ein Bierglas in die Hand, und schon entsteht ein Gespräch. Ob in Frankfurt, Zürich oder Rio de Janeiro. Mehr braucht es nicht. Du lebst einen Großteil des Jahres außerhalb von Brasilien. Was wür­

dest du als typisch brasilianisch be­ zeichnen? Darf ich die Frage mit einer Anekdote beantworten? Als ich, ganz zu Beginn meiner Karriere, zum ersten Mal als Schriftsteller in die Schweiz kam, holte mich mein Zürcher Verleger Daniel Keel am Bahnhof ab. Ich sollte am nächsten Tag einen Vortrag halten. Er wollte mich wohl schonend darauf vorbereiten, als er sagte: Pass auf, die Schweizer sind humorlos und bierernst. Nimm dir nicht zu Herzen, wenn dein Publikum nicht reagiert. Ich dachte, okay, va bene – und bin am nächsten Morgen um zehn vor mein Publikum getreten mit den Worten: Liebe Schweizer, man hat mir gesagt, dass ihr kalt, dumm und langweilig seid. Alle lachten (lacht). Ich denke, du verstehst, was ich sagen will. Die Fußballweltmeisterschaft 2014 findet in Brasilien statt. Du als großer Fußballfan hast 2006 die Fußballwelt­ Diogenes Magazin

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»Paulo Coelho erzählt von elementaren Erfahrungen, und die Leser erkennen sich darin wieder: mit ihren Schwächen und Ängsten ebenso wie mit ihren Sehnsüchten und Träumen.« Der Spiegel, Hamburg

meisterschaft in Deutschland miter­ lebt, das deutsche Sommermärchen. Was bedeutet dieses Großereignis für Brasilien und für dich? Es ist alles sehr aufregend. Bei Weltmeisterschaften können die verschiedenen Länder gegeneinander antreten. Das ist sehr symbolisch und schön. Dieses Kräftemessen ist wichtig, und hier ist es ganz friedlich und findet statt, ohne dass Blut vergossen wird. Warum wolltest du als kleiner Junge Schriftsteller werden und nicht Fuß­ ballspieler wie so viele andere brasilia­ nische Jungs? 6

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Zunächst einmal: Es ist ein Ammenmärchen, dass alle brasilianischen Kinder entweder Fußballer oder Samba­ sänger werden wollen. Wie in jedem anderen Land der Welt gibt es auch bei uns tausende von Berufen. Und ich bin kein Profifußballer geworden, weil ich sehr schlecht Fußball spiele. Das hat sich schon in der Schule gezeigt. Als ich meinen Eltern meinen Entschluss mitteilte, Schriftsteller zu werden, waren sie außer sich. Sie glaubten, ich würde in die Fußstapfen meines Vaters und Großvaters treten, studieren, einen Abschluss machen. Ich hab’s

versucht, aber es hat nicht funktioniert. Ich war ziemlich ausgeflippt damals und habe mich bald der Hippiebewegung angeschlossen. Meine Eltern haben daraufhin dreimal meine Einweisung in eine Nervenklinik veranlasst. Aber auch das hat nichts gebracht. Also haben sie sich damit abgefunden, dass sie mich ein Leben lang durchfüttern würden. Schließlich sind sie davon ausgegangen, dass ich als Schriftsteller nicht überlebensfähig wäre. Doch ich wollte nun mal Schriftsteller werden. Das war meine Berufung, meine Bestimmung. Man muss seinen Träumen folgen, man kann sie nicht erklären. Der Kontrast zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen ist ge­ waltig in deiner Heimat. Siehst du eine Chance, dass sich das in nächster Zeit ändern wird? Welche Rolle spielt das Bildungswesen dabei? Das Bildungswesen spielt natürlich eine entscheidende Rolle, denn unsere Chan­ cen im Leben hängen zu siebzig Prozent von unserer Bildung ab. Aber du scheinst bei deiner Frage noch das alte Brasilien im Sinn zu haben. Brasilien hat sich in den letzten fünfzehn Jahren enorm gewandelt. Es gibt immer noch sehr viel zu verbessern, aber das erreichte Wirtschaftswachstum ist nachhaltig. Brasilien ist inzwischen eine der zehn erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt. Du hast gemeinsam mit deiner Frau das Paulo Coelho Institut in den Fa­ velas von Rio gegründet. Was war die Motivation? Alle Menschen wollen doch einen Beitrag dazu leisten, dass die Welt besser wird. Meistens haben wir solche Ideen, wenn wir jung sind – und oft geraten sie später in Vergessenheit. Auch ich hatte schon früh diese Idee von einer Stiftung, die den unterprivilegierten Mitgliedern der Gesellschaft hilft, Kindern wie älteren Menschen. Das war eine schöne Idee, sehr romantisch, aber schwer umzusetzen, solange die finanziellen Mittel nicht da waren. Sobald ich Geld hatte, gründete ich die Stiftung. Das Leben hat mir so viel gegeben, da wollte ich ein wenig davon zurückgeben. Seither geht ein gewisser Prozentsatz meiner Bucheinnahmen an das Paulo Coelho Institut (http://


Fotos: Marvin Zilm / © Diogenes Verlag

paulocoelho.com/br/institute.php). Zu Anfang wusste niemand davon, doch irgendwann wurden die Leute darauf aufmerksam, und von da an habe ich versucht, auch andere Menschen einzubinden und Geld zu sammeln. Es kostet jährlich nur 300 Schweizer Franken, ein Kind im Instituto zu unterstützen. Aber die Leute rennen lieber zu diesen Wohltätigkeitsbällen, bei denen neunzig Prozent der Einnahmen für die Organisation des Balles draufgehen – für die Bedürftigen bleibt kaum etwas übrig. Das ist ein Skandal! Fühlst du dich immer noch als Brasi­ lianer? Wie heißt es so schön: Wir brauchen Flügel und Wurzeln  … In gewisser Weise fühle ich mich schon sehr als Brasilianer. Doch seit meiner Hippiezeit ist mir bewusst, dass kulturelle Strömungen und Einflüsse grenzübergreifend sind. Es sind die Beatles, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin, nicht der Samba. Ich war auch nie beim Karneval in Rio. Das ist einfach nicht mein Ding. Was ich an meinem Land und meinen Landsleuten am meisten mag, sind die Widersprüche, die keiner Auflösung bedürfen. Diese Widersprüche spielen übrigens auch in meinem Werk eine wichtige Rolle. Warum ist Brasilien (mit Ausnahme der ersten Seiten von Elf Minuten) nie Schauplatz in deinem Werk? Weil ich Brasilianer bin. Weil ich den größten Teil meines Lebens in Brasilien verbracht habe. Weil ich Brasilien nicht mit unvoreingenommenem Blick sehen kann. Es ist wie mit der Jungfräulichkeit – wenn man sie einmal verloren hat, kommt sie nie wieder. Bist du in einem Zuhause voller Bü­ cher aufgewachsen? Gab es Bücher, von denen deine Eltern wollten, dass du sie liest, und solche, die du unter der Bettdecke lesen musstest? Nein, ich musste nichts heimlich lesen. Es gab Kinderbücher – die Klassiker. Aber auch Aufklärungsbücher, jedes Jahr ein neues – natürlich habe ich sie alle in zwei Tagen verschlungen (lacht). Mein erstes Buch war von einem brasilianischen Kinderbuchautor namens Monteiro Lobato, ein wunderbarer Mann. Mein erstes nicht brasilia-

nisches Kinderbuch war Der kleine Prinz von Saint-Exupéry. Und danach natürlich Tausendundeine Nacht, das mein Leben enorm geprägt hat – bis heute. Du hast ziemlich viele Rituale, die du diszipliniert befolgst: Du wanderst jeden Tag, betest mehrmals täglich, praktizierst täglich Kyūdō [japani­ sche Bogenschießkunst]. Gehst du auch so an deine Romane heran, in­ dem du sie ins Visier nimmst wie mit einem Bogen? Ja, vielleicht ist da etwas dran. Hast du schon einmal einem Automechaniker

zugesehen, wie er die Kühlerhaube eines Wagens öffnet, den er reparieren soll? Am Anfang gibt es immer diesen Moment, in dem er bloß schweigend dasteht und schaut, ohne etwas zu berühren. Er versucht zu ergründen, was los ist, bevor er sich an die Arbeit macht. Und erst, wenn er weiß, was an dem Motor kaputt ist, lässt er ihn an. Dasselbe gilt fürs Bogenschießen: Ganz zum Schluss öffnest du die Hand und lässt den Pfeil los. Aber in der Zeit davor, ehe du die Zielscheibe ins Visier genommen hast, ist alles angespannt. Du bist in einer Art Trance und lässt zu, Diogenes Magazin

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schrieben hat wie kein anderer. Er hat mir zu Beginn meiner Schriftstellerlaufbahn sehr geholfen, er war sehr großzügig – als einziger meiner brasi­ lianischen Schriftstellerkollegen. Vielleicht, weil er sich und anderen nichts mehr beweisen musste. Du musstest also hart und lange kämpfen, bis sich der Erfolg einstell­ te? Jeder, der wirklich und nachhaltig erfolgreich sein will, muss dafür kämpfen. Wenn du keinen Preis für deinen Erfolg zahlen musstest, keine Blessuren davongetragen hast, kannst du diesen Erfolg gar nicht wertschätzen. Deswegen bin ich froh, dass ich so viele Hindernisse zu überwinden hatte. Was musste geschehen, dass der Er­ folg endlich zu dir kam, was war das ausschlaggebende Moment? Nur Gott allein kann diese Frage beantworten. Bitte ihn um ein Interview.

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ap / ck

Buchtipp

Geschenk Box, 6 Bände im Schuber: Der Alchimist / Brida / Elf Minuten / Auf dem Jakobsweg /  Die Hexe von Portobello / Veronika beschließt zu sterben ca. 1520 Seiten, ISBN 978-3-257-05733-1

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Foto: Marvin Zilm / © Diogenes Verlag

Ob du es glaubst oder nicht: Ich lese gerade alles von John Grisham. Warum wird er so unterschätzt? Er versteht es, die amerikanische Gesellschaft auf eine Weise zu beschreiben, die unvergleichlich ist. Von den vierzehn Büchern von Grisham, die ich dieses Jahr gelesen habe, sind vier schwach, die anderen zehn aber sind einfach großartig. Dein Lieblingsautor? Ganz klar Jorge Luis Borges, der übrigens einen Teil seines Lebens in Genf verbracht hat und dort begraben ist. Mein brasilianischer Lieblingsautor ist Jorge Amado, der über Brasilien ge-

paulocoelho coelho· der · der alchimist paulo alchimist

dass du physisch und seelisch von einer Energie erfüllt wirst – einer Energie, die dich übersteigt. Genauso ist es beim Schreiben. Ist das auch eine Erklärung dafür, dass du mehr als ein Jahr brauchst, um Stoff für eine Geschichte zu sam­ meln? Und dann setzt du dich eines Tages plötzlich hin und schreibst in nur zehn Tagen einen ganzen Ro­ man. Ja, dann bin ich offen fürs Leben, und etwas nimmt von mir Besitz. Ein guter Vergleich. Was liest du gerade?

Die sechs erfolgreichsten Romane von Paulo Coelho, mit über 150 Millionen verkauften Büchern in 80 Sprachen »der meistgelesene brasilianische Autor« (FAZ) der Welt.


Serie Impressum

Lesefrüchtchen

Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Stellvertretende Chefredakteurin: Cornelia Künne (ck@diogenes.ch) Redaktion: Nicole Griessmann (ng), Martha Schoknecht (msc), Anna von Planta (ap)

Schicken Sie uns bitte Ihre Lieblings­­ sätze aus einem Diogenes Buch. Jedes veröffentlichte Zitat wird mit einem Bücherpaket im Wert von € 50.– honoriert. Bitte per E-Mail an msc@diogenes.ch oder auf einer Postkarte an: Diogenes Magazin, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz »Ich lag still und versuchte, mir Höhe, Ton und Modulation der Stimme einzuprägen, damit ich sie zu gegebener Zeit wiedererkannte. Sie war weich und flüssig wie Sirup mit einem klangvollen, eitlen Beben darin. Eine Stimme wie das billige Zeug, das einem Friseure in die Haare schmieren, ehe man sie daran hindern kann.« Ross Macdonald, ›Unter Wasser stirbt man nicht!‹ (detebe 20322). Eingeschickt von Holger Lukas­zewski, Hamburg

Illustration oben: © Tomi Ungerer; Illustration unten: © Loriot

»Wenn die Literatur so intensiv an den Tod denkt, meint sie genauso heftig das Leben. Sie prüft, den Tod im Nacken, ob und in welchem Maß wir noch am Leben sind. Sie feiert das Leben, leidenschaftlich und innig, gerade weil dieses so brüchig und flüchtig ist.« Urs Widmer, ›Vom Leben, vom Tod und vom Übrigen auch dies und das. Frankfurter Poetikvorlesungen‹ (06598). Eingeschickt von Hanspeter Graf, Porto Azzurro, Isola d’Elba (I) »Ich trank und rauchte, schoss Ringe in die Luft und ließ meine Gedanken wegschwimmen.« Jakob Arjouni, ›Happy birthday, Türke!‹ (detebe 21544). Eingeschickt von Elisabeth Pommerening, Berlin »Beim Schreiben kann man nicht über schwierige Laute stolpern. Du kannst Vergangenheits- und Zukunftsform durcheinanderwerfen, eine Präpositi-

Verleger: Philipp Keel Geschäftsleitung: Katharina Erne, Ruth Geiger, Stefan Fritsch, Daniel Kampa, Winfried Stephan

on benutzen, wo eine andere hingehört, du kannst ein Verb falsch kon­ jugieren, aber du kannst nicht über die Aussprache stolpern. Eine Stimme auf Papier hat keine Brotkrümel im Mundwinkel, ihr kann nichts aus Versehen beim Essen rausrutschen, und niemand sieht, dass du schlecht rasiert bist, oder starrt dir auf die Zähne.« Arnon Grünberg, ›Der Heilige des Unmöglichen‹ (detebe 24097). Eingeschickt von Katharina Wilhelm, Leipzig »Ein Lehrer bleibt ein Lehrer, und einem guten Lehrer gegenüber bleiben wir Schüler, mögen wir noch so alt sein.« Bernhard Schlink, ›Selbs Mord‹ (detebe 23360). Eingeschickt von Christa Rastinger, Pinsdorf (A)

Grafik-Design: Catherine Bourquin Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien (Zürich) Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessmann Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Martha Schoknecht (msc@diogenes.ch) Abo-Service: Christine Baumann (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die auf Seite 55 eingedruckte Abokarte. Abonnementspreise: € 10.– für drei Ausgaben in Deutschland und Österreich, sFr 18.– in der Schweiz, andere Länder auf Anfrage. Beim Gewinnspiel sind MitarbeiterInnen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktionsschluss: 31. Juli 2013 / ISSN 1663-1641 Diogenes Magazin Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Tel. +41 44 254 85 11, Fax +41 44 252 84 07 Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Korrespondenz geführt werden.

»Arroganz schafft komplizierte Wörter, weil sie findet, dass Intelligenz nur wenigen Erwählten vorbehalten ist. Eleganz als Klarheit verwandelt komplexe Gedanken in etwas, das alle verstehen können.« Paulo Coelho, ›Die Schriften von Accra‹ (06848). Eingeschickt von Georgina Faßbender, Köln »Vor allem aber wollte sie so aussehen, als hätte sie keinen Augenblick dar­ über nachgedacht, was sie anziehen würde, und das brauchte seine Zeit.« Ian McEwan, ›Abbitte‹ (detebe 23380). Eingeschickt von Dorothee Dohm, Bad Laer

Zeichnung von Loriot aus dem neuen Buch Spätlese

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Foto: © Jaime Monfort / Flickr / Getty Images


Leseprobe

Anna Stothard

Die Kunst, Schluss zu machen Abschied nehmen gehört zum Leben. Den meisten von uns fällt es schwer. Nicht so Eva Elliott. Die junge Londonerin genießt es, Orte und Menschen zurückzulassen. Bis sie Luke kennenlernt. Zunächst scheint auch das Ende dieser Beziehung in greifbarer Nähe, doch dann kommt alles anders. Eine zauberhafte, eine originelle, eine melancholische Liebesgeschichte aus dem Londoner West End.

Foto: © Andri Pol

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an kann einen anderen Menschen niemals ganz verstehen bis zu dem Augenblick, in dem man ihn verlässt. Vor diesem allerletzten Moment ist alles noch im Fluss. Immer, wenn Eva glaubte, Luke zu kennen, erhob eine neue Version von ihm den Kopf, und von dieser Diskrepanz wurde ihr übel, es verursachte ihr Juckreiz. Wenn er spät nach Hause kam, immer noch randvoll mit den Debatten des Tages und nach Adrenalin riechend, beschlich sie gelegentlich das Gefühl, ein Fremder ginge durch ihre Wohnung. Während er sich spätabends vom »ehrgeizigen Anwalt« in ihren »festen Freund« verwandelte, schien er gar kein Mensch zu sein, sondern nur ein erschöpftes Gesicht und ein Anzug. Vielleicht verhinderte Evas natürliche Unruhe, dass sie Luke verstand, aber vielleicht war Luke auch wirklich schwer zu verstehen. Jedenfalls war er nicht gut darin, über Dinge zu reden, die er nicht kontrollieren konnte. Er

hatte Geschichte studiert und eifrig Geschichtsbücher gelesen, doch die Feinheiten und Unzulänglichkeiten seiner eigenen Geschichte schienen ihn nicht zu interessieren. Er lebte im Hier und Jetzt und hatte die Zukunft fest im Blick. In der ersten Nacht, die sie mit Luke verbrachte, lieferte sie ihm ihre Lebensgeschichte: welche Schulen sie besucht hatte, eine Liste der Freunde, die sie bisher hatte, die Länder, in denen sie gelebt hatte – dass sie mit vier Jahren Bangkok verließ, Peking mit acht, Indonesien mit zehn Jahren. Sie beschrieb die Straße in Kuta, an der identische moderne Villen standen, die alle ein wenig geschrumpft aussahen, als hätten die Architekten von jeder Oberfläche ein paar Zentimeter weggenommen und gehofft, dass es keinem auffiel. Sie erzählte ihm von ihrer riesigen Puppensammlung und was sie damit spielte: Spielzeugsoldaten versuchten den Heiligen Gral aufzuspüren, Barbies

gingen auf die Suche nach Töpfen voller Gold, Cindy beherrschte mit übernatürlichen Kräften die Welt. Eva erzählte ihm auch, dass sie Landkarten und Pläne gesammelt hatte, die ihr Vater aus allen Gegenden mitbrachte, in die er flog: Meda und Kuching, Phuket und Hanoi. In einer Schachtel unter dem Bett bewahrte sie gefaltete laminierte Stadtpläne auf, Fliegerkarten, Weltkarten, Karten von Bus- und UBahn-Netzen, politische Karten, Straßenkarten und Klimakarten. Ihr Vater hatte früher gescherzt, sie würde einmal Entdeckerin werden, wenn sie groß war. Doch ihr gefiel einfach die Präzision der Kartographie, welche die gewaltige Größe der Welt in sorgfältigen und präzisen Zeichnungen zusammenfasste. Sie versuchte sogar, Luke ihr Interesse an Enden jeglicher Art zu erklären, daran, wie etwas aufhörte. Er stützte sich auf beide Ellenbogen und musterte sie mit einem Ausdruck so völliger Diogenes Magazin

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Klarheit, dass sie spürte, wie sie sich versteifte, wie sich unter seinem Blick Fasern in ihr lösten. Sie erzählte ihm, wie sie aus Peking wegzog in der kindlichen Annahme, dass alle Wolkenkratzer und die Luftverschmutzung einfach aufhören würden zu existieren, sobald ihre Augen sie nicht mehr sahen. Sie und ihre Mutter hatten am Fenster ihres Kinderzimmers gestanden und sich von der Stadt verabschiedet. »Adieu Fahrräder«, hatte ihre Mutter gesäuselt, während Eva schluchzte: »Adieu Hinterhof, adieu Taxis, adieu Nachbarn, adieu Wäscheleine, adieu Katze des Vermieters.« Als sie ihr Gepäck in das Auto eines Freundes luden und zum Flughafen fuhren, hörte das Mietshaus auf zu existieren; als das Flugzeug abhob, wurde die ganze hoch aufragende Stadt von Evas Erdboden getilgt. »Wirst du mich verlassen?«, hatte Luke gefragt und sie auf den Bauch geküsst. »Nicht jetzt gleich«, hatte Eva lächelnd geantwortet. »Aber denk nur mal an das Ende von Casablanca. Das Ende fasst den ganzen Film zusammen: ›Uns bleibt immer noch Paris‹ ist das Beste daran. Oder an Hitchcocks Die Vögel, wenn Melanie und Mitch in den Sonnenaufgang fahren, umgeben von einem Schwarm Vögel.« »Ich glaube, mir ist die Mitte von Filmen lieber.« »Keiner mag die Mitte von Filmen lieber«, hatte Eva lachend entgegnet. »Die Mitte bringt einen doch nur ans Ende. Chinatown: ›Vergiss es, Jake, wir sind in Chinatown.‹ In Das Schweigen der Lämmer hat Hannibal Lecter ›ein Festessen mit einem alten Freund‹. Bei Geschichten geht es vor allem ums Ende.« »›Spiel’s noch einmal, Sam‹«, sagte Luke. »Das ist in der Mitte von Casa­ blanca.« »Du zitierst es falsch. Es heißt: ›Spiel es einmal, Sam. Zur Erinnerung an damals.‹ Wenn es der letzte Satz des Films wäre, würdest du dich richtig erinnern.« Eva dachte an den ersten Jungen, den sie verlassen hatte. Er hieß Timothy, und es geschah in einem McDonald’s 12

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in der Nähe der Victoria Station, als sie beide fünfzehn waren. »Du wirst nie wieder einen wie mich finden«, hatte er gesagt. »Ich weiß«, hatte Eva erwidert, verwirrt, wie er darauf kam, dass sie das wollte, angesichts der Tatsache, dass sie gerade dasaß und versuchte, mit ihm Schluss zu machen. Dann schmiss er seinen Stuhl um, beugte sich vor und spuckte in ihren Milchshake. Als sein Speichel in ihrem Getränk verschwand, sah Eva dem Jungen nach, wie er sich mit seiner tiefhängenden Hose und im Teenagertrott aus dem McDonald’s schlängelte. Fast wäre sie ihm gefolgt, um ihm zu sagen, wie seltsam großartig sie sich fühlte, als sie ihn gehen sah: Die Klarheit dieses Augenblicks war viel intensiver als jede Intimität, die sie zuvor mit ihm erlebt hatte. Am liebsten hätte sie ihm gestanden, dass sie sich ihm nun viel näher fühlte, da er zur Erinnerung verblasste. Es war ein fast ekstatisches Gefühl, eine Mischung aus Nervosität und Behagen, das ihr einen langen Schauder den Rücken hinunterschickte. Es war die Erregung, die man spürte, wenn man aus einem Flughafen in einem exotischen Land hinaus in die heiße Luft tritt oder nach tagelanger Traurigkeit unerklärlicherweise glücklich aufwacht. Das Gefühl war viel interessanter, als den Jungen zu küssen oder auf seine Anrufe zu warten. Das nächste Mal machte Eva mit siebzehn Schluss, mit einem gewissen James, vor einer Bäckerei in Wales. Sie waren ein Jahr lang zusammen gewesen, hatten miteinander geschlafen, sich gestritten, all das gemacht, was Erwachsene in Beziehungen tun, doch er fehlte ihr nicht, wenn er nicht da war, und wenn er da war, wäre sie oft genug lieber allein gewesen. Beide aßen gerade mit Marmelade gefüllte Donuts und warteten auf den Zug um 10.50 Uhr zurück nach London, als Eva ziemlich geschäftsmäßig, mit dem nach Himbeermarmelade schmeckenden Mund, sagte, sie glaube nicht, dass sie sich in ihn verlieben werde. Es war seltsam, dachte sie, dass zu den ersten beiden Trennungen ihres Lebens ein so intensiver Zuckergeschmack gehörte – kindisch und unvermittelt. Sie erinnerte

sich genau an die Erleichterung, die sie empfand, selbst als sich James’ blaue Augen weiteten und er sie »emotional verkümmert« nannte. Er schien sich vor ihren Augen zu verwandeln, wieder ein Fremder zu werden, während sie mit zuckrigen Händen am Bahnhof standen. James schrumpfte ein wenig und schien ihr eine halbe Sekunde lang nah zu sein – kurz war es, als ob sie ihn auf ihrer Haut spürte, in ihr drin, als er sie aus aufgerissenen Augen anstarrte –, doch dann wurden seine Augen wieder schmaler, nahmen ihre normale Form an, und er entfernte sich von ihr. Nachdem James sie »emotional verkümmert« genannt hatte, sah er Eva eine ganze Weile an, wirkte gekränkt. Er verschwand vor ihren Augen, noch ehe er in ein Taxi sprang. Als er davonfuhr, aß sie in Ruhe ihren Donut auf, ehe sie den Zug zurück nach London bestieg. Wie schon bei der Trennung im McDonald’s fühlte sich Eva eher befreit als traurig. In einem Abschied lag ein so großes Potential. Er war viel aufrichtiger, und während man sich voneinander entfernte, verschwanden einfach alle Fehler, die man gemacht, und alles, was man mit dieser Person zusammen geworden war, so dass man neu anfangen und das sein konnte, was man sein wollte. Aus dem Englischen

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von Hans M. Herzog

Buchtipp

336 Seiten, Paperback ISBN 978-3-257-30019-2 Auch als Diogenes E-Book

Jemanden verlassen zu können ist eine Kunst – eine Kunst, die Eva bisher perfekt beherrschte. Doch dann verliert sie ihr Talent. Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mitten in London Soho.


Portfolio

Loriot Spätlese 368 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-02121-9

Illustrationen: © Loriot

Deutschlands berühmtester Humorist und Karikaturist darf neu entdeckt werden. Spätlese versammelt Schätze aus dem Nachlass, die bislang unbekannt waren: frühe Bildergeschichten, Zeichnungen für Freunde und Bekannte, nie gesehene Möpse und die überraschenden ›Nachtschattengewächse‹, die Loriot in den schlaflosen Stunden seiner letzten Lebensjahre schuf. Spätlese ist das erste Loriot-Buch mit unveröffentlichten Zeichnungen seit 30 Jahren! Nichts weniger als eine Sensation. Aus dem Schatz der über 400 unveröffentlichten Bildern zeigen wir eine kleine Auswahl.

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»Neulic h de schmec r war zu fett u kte nac h Seife … nd «

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Thomas Mann

Richard Wagner

»1954 kann ich mir auch ’n eigenen Bes en leisten!«

Friedrich Schiller

AUSStellUNG 20. 09. 2013 – 12. 01. 2014

Illustrationen: © Loriot

SpätleSe

Ausstellung Am 12.11.2013 wäre Loriot 90 Jahre alt geworden. Im Literaturhaus München findet vom 20.9.2013 bis 12.1.2014 die Ausstellung Spätlese statt, in der viele Exponate aus den Loriot-Büchern Spätlese und Gästebuch gezeigt werden.

literAtUrhAUS, GAlerie (eG) SAlvAtorplAtz 1, 80333 MüNcheN Mo – Fr 11 – 19 Uhr, SA / So / FeiertAGe 10 – 18 Uhr eiNe AUSStellUNG deS literAtUrhAUSeS MüNcheN iN KooperAtioN Mit der KoMiScheN piNAKotheK

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Portfolio

Loriot Gästebuch Zu Besuch bei Loriot: Anstatt seine Besucher in ein Gästebuch schreiben zu lassen, fotografierte Vicco von Bülow sie lieber. Über die Jahre entstand so eine Fotogalerie, die persönliches Dokument ist, amüsantes Gesellschaftspanorama und kleine Chronik wechselnder Kleidermoden – und die Gelegenheit bietet, den großen Humoristen als Fotografen zu entdecken. Hier eine kleine Auswahl aus den über 100 Fotos.

176 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-02122-6

Loriot als Fotograf »Es ist davon auszugehen, dass Vicco von Bülows Exaktheit keinen Unterschied zwischen privaten und beruflichen Leistungen zuließ. Was er tat, sollte gut gemacht werden«, schreibt Peter Geyer im Vorwort.

Hilda und Gustav Heine­ mann, 10. Februar 1973 Der Bundespräsident und seine First Lady im von Bülow’schen Eigenheim

Selbstporträt mit Familie, Winter 1959 Von links nach rechts: Vicco, Susanne, Romi und Bettina von Bülow sowie das Kindermädchen Jutta Becker. Den Vorhang im Hintergrund hat Loriots Frau Romi eigens für diesen Anlass genäht, der Ursprung der Säule ist unbekannt.

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Der österreichische Zeichner Paul Flora, 17. Juni 1958

Tomi Ungerer und Miriam Strandquest, Mai 1962 Die wohl originellste Pose stammt von Tomi Ungerer, auch er, wie Paul Flora, Zeichner im Diogenes Verlag.

Daniel Keel, 17. Juni 1958

Fotos und Illustrationen: © Loriot

Gemeinsam mit Paul Flora zu Gast bei Loriot: der junge Verleger des noch jüngeren Diogenes Verlags

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Ein Autor – Eine Stadt

Berlin mit Christian Schünemann Er ist viel herumgekommen, hat in Berlin und Sankt Petersburg studiert, in Moskau und Bosnien-Herzegowina gearbeitet. Auch literarisch zog es Christian Schünemann zuletzt in die Fremde: Im Frühling dieses Jahres erschien der hochgelobte Belgrad-Krimi Kornblumenblau, den er gemeinsam mit Jelena VoliĆ geschrieben hat – weitere Bände folgen. Sein Zuhause jedoch ist Berlin – und auch dort gibt es noch einiges zu entdecken.

Leipziger Straße Um die Leipziger Straße sollte man eigentlich einen großen Bogen machen. Auf acht Fahrstreifen braust der Verkehr, und zu sehen gibt es vor allem Hochhäuser, acht an der Zahl, paarweise errichtet, 25 Stockwerke hoch und nicht wirklich eine Sehenswürdigkeit. Sehenswert ist der Blick von oben. Man muss den Concierge um Einlass bitten oder jemanden in einer der 2000 Wohnungen kennen, der möglichst weit oben wohnt. Der Blick aus dem 25. Stock, nach Osten, reicht von der Museumsinsel bis weit über Kreuzberg hinaus. Leipziger Straße Berlin-Mitte

Im Großen Tiergarten zwischen Großer Sternallee und Bellevueallee

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Foto oben : © Jens Schünemann; Fotos Mitte und unten: © Christian Schünemann

Rosengarten Der Tiergarten ist eine große Spielwiese, auf der Frisbeescheiben und Volleybälle fliegen, wo gerufen und gerannt wird. Im Rosengarten, der versteckt hinter großen Bäumen liegt, herrscht dagegen tiefe Ruhe. Zu hören sind nur die Amseln, die in der Pergola zwitschernd durch die Kletter­ rose hüpfen, und das quietschende Gartentor. Der Kies knirscht unter den Schuhsohlen, und die Zeitungen rascheln, wenn die Rentner und Studenten in ihnen blättern. Ich sitze am liebsten bei Gertrude Jekyll, einer englischen Rose, gepflanzt 1986. Sie duftet phantastisch.


Confiserie Melanie In der Confiserie Melanie geht es um die Praline. Es gibt sie mit Whiskey, Cointreau und Latte Macchiato, aber auch mit Knoblauch, Meerrettich und Pfeffer. Das Geschäft besteht seit 1953, die Inhaberin heißt nicht mehr Melanie, sondern Sabine, aber die Ladeneinrichtung ist immer noch die alte. Der Betrieb ist familiär, die Praline die Hauptperson, und jede einzelne ist eine Kostbarkeit. Bei der Herstellung kann man zugucken und in einem Kursus das Handwerk sogar selbst erlernen. Ich beschränke mich auf den guten Kaffee, den es hier im Café gibt, und auf den Verzehr der kleinen Kugeln. Mein Favorit: Orange-Senf. Grolmanstraße 20 10623 Berlin-Charlottenburg www.bei-melanie.de

Haus am Waldsee Draußen in Zehlendorf, im Haus am Waldsee, wohnt die Kunst. Seit 1946 wurden hier die Werke von Künstlern gezeigt, die in der Nazi-Zeit verfemt waren, dann rückten internationale Künstler nach, und so ist es bis heute. Entdeckt habe ich hier einst Jeff Wall, als ihn fast noch niemand kannte. Egal, wer gerade ausgestellt wird, eine Reise an diesen entrückten Ort lohnt sich immer. Man kann durch den Garten spazieren oder sich einfach draußen einen der Stühle schnappen und die Stille und den Blick auf den See genießen. Argentinische Allee 30 14163 Berlin-Grunewald www.hausamwaldsee.de

Fotos oben und Mitte: © Christian Schünemann; Foto unten: © Gainsbourg à Gainsbarre Le Club

Bar Gainsbourg Die Mischung ist perfekt: Nach einem Besuch im DelphiKino, einem der schönsten Lichtspielhäuser in Berlin, über die Kantstraße rüber ins Gainsbourg. Oben fährt die S-Bahn, unten werden die Cocktails serviert, die hier preisgekrönt sind; aber man kann auch eine Apfelsaftschorle trinken, ohne schief angeguckt zu werden. Das Publikum besteht aus alteingesessenen und tiefenentspannten West-Berlinern sowie skurrilen Gewächsen der Berliner Nacht. Schummrige Musik und schummriges Licht lassen die Zeit vergessen, bis man irgendwann total relaxed nach Hause geht oder wankt. Jeanne-Mammen-Bogen 576 / 577 10623 Berlin-Charlottenburg www.gainsbourg.de

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Literarisches Kochen

Vin de Noix à la Martin Walker

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n Kriegszeiten und während der Revolution, in Zeiten von Aufschwung und wirtschaftlichem Rück­gang hatten die Bäume dieser Gegend immer dafür gesorgt, dass es genug Fässer für Wein und Boote für ihren Transport gab. Sie lieferten das Holz für Balken, Bohlen und Möbel in unzähligen französischen Haushalten, für die Pulte in Schulräumen und das Feuer in den Kaminen. Aus Walnussbäumen wurden Öl und Nahrungsmittel gewonnen, und die jungen grünen Früchte lieferten die Grundlage für den heimischen vin de noix.

Rezept bis 50 grüne Man nehme 40 Nüsse sollten Walnüsse – die ni gepflückt, vor dem 21. Ju if sein – und also noch halbre rtel. Die Nüsse hacke sie in Vie Topf geben. in einen großen - oder WeißMit 8 Litern Rot r eau de vie wein und 1 Lite ffüllen. An(Obstbrand) au 500 Gramm schließend mit (ganz besonZucker süßen zosen nehmen ders süße Fran . Umrühren, 1 Kilo Zucker) rschließen und den Topf gut ve ge lang an eimindestens 42 Ta lten Ort lanem dunklen ka gkeit durch ein gern. Die Flüssi Flaschen fülSieb geben, in d genießen. len – trinken un

Im nächsten Magazin: Seeteufel à la Donna Leon 20

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Ich teile mir die taz mit 12.900 anderen. Mehr als 12.900 Genossinnen und Genossen teilen sich heute die taz und sichern damit die publizistische und ökonomische Unabhängigkeit ihrer Zeitung. Wer einmal einen Anteil von 500 Euro* zeichnet, kann GenossIn werden. www.taz.de/genossenschaft T (030) 25 90 22 13 geno@taz.de *auch in 20 Raten zahlbar


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Vornamen­ rätsel

Hier ist Phantasie gefragt. Was ist auf den folgenden Bildern zu sehen?

Kennen Sie die Vornamen der folgenden Romanfiguren?

1) Gatsby aus Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald 2) Humbert aus Lolita von Vladimir Nabokov 3) Grenouille aus Das Parfum von Patrick Süskind 4) Brunetti aus den Kriminal­­romanen von Donna Leon 5) Ripley aus Der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith 6) Marlowe aus Der große Schlaf von Raymond Chandler 7) Hirte aus Die Apothekerin von Ingrid Noll 8) Hoffmann aus Magic Hoff­mann von Jakob Arjouni 9) Seidenman aus Die schöne Frau Seidenman von Andrzej Szczypiorski 10) Bovary aus Madame Bovary von Gustave Flaubert

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Bilder­rätsel Der Inhalt der wenigsten Romane lässt sich leicht auf einen Satz oder gar zwei Bilder herunterbrechen. Mancher Titel jedoch schon! Können Sie die Titel der folgenden Bücher anhand der Piktogramme erraten?

Lösungen auf Seite 41 Diogenes Magazin

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Foto von Andrew Montgomery (Ausschnitt) – Mit feundlicher Genehmigung von Jasper Conran ›Country‹


Essay

Evelyn Waugh im Arbeitszimmer seines Anwesens Piers Court, Stinchcombe, Gloucestershire, 1949

Daniel Kampa

Wiedersehen mit einem magischen Roman Wiedersehen mit Brideshead gilt als Meisterwerk der Literatur des 20. Jahrhunderts. »Evelyn Waughs Jahrhundertroman ist in Großbritannien so etwas wie ein nationaler Schatz, von einer ergebenen Fangemeinde verehrt«, so Der Spiegel. Endlich kann dieser Schatz auch auf Deutsch entdeckt werden – neu übersetzt und in einer prachtvollen Ausgabe. Einen Einblick in die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Romans, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, gibt Daniel Kampa.

Foto: © Larry Burrows / Time & Life Pictures / Getty Images

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ei einigen wenigen Büchern weiß man nach den ersten Sätzen, dass sie einen ein Leben lang begleiten werden. Bei anderen stellt sich dieses Gefühl erst ein, wenn die letzte Zeile gelesen ist. Wiedersehen mit Brideshead ist wieder anders, denn der Epilog irritiert so manchen Leser. Außerdem geben nicht wenige vehemente Fürsprecher dieses Romans Erstlesern den Tipp: Überspringen Sie den Prolog, und fangen Sie auf Seite 39 an! Der Roman mit dem schwierigen Anfang (nein, Sie lesen keinen Kriegsroman!) und dem rätselhaften Schluss (nein, dies ist kein katholisches Traktat!) ähnelt vielleicht seinem Autor. Würde der Leser Evelyn Waugh persönlich begegnen, wäre der erste Eindruck vermutlich eher unvorteilhaft, dann jedoch würde er den Exzentriker schätzen lernen, seinen Witz, seinen sprühenden Esprit bewundern und sich seinen irrwitzigen, berührenden Erzählungen und seiner makel­ losen Sprache hingeben, auch wenn er

einen am Schluss mit einem Gefühl der Irritation zurückließe. Und trotzdem: Wiedersehen mit Brideshead ist ein Roman – und es gibt deren nicht viele –, in den man sich verlieben kann. Und wer dieses Buch liebt, liebt es bedingungslos: »Wiedersehen mit Brideshead 18 Mal gelesen, 27 Mal verschenkt. Bisher«, schwärmt zum Beispiel die junge deutsche Autorin Astrid Rosenfeld. Und der um Generationen ältere englische Schriftsteller Anthony Burgess gestand: »Ich habe Wiedersehen mit Brideshead mindestens ein Dutzend Mal gelesen und war stets entzückt und gerührt, sogar zu Tränen.« Wie erklärt sich diese Hingabe? Bri­ deshead ist reich an unvergesslichen Begebenheiten und Charakteren, und es gibt wohl nur wenige Romane, bei denen sogar die Nebenfiguren, wie der exzentrische Anthony Blanche, die alte Nanny oder der »aufgeblasene alte Teddybär« namens Aloysius, einem im

Kopf und im Herzen bleiben. Dafür gibt es ein schönes Bild im ersten Buch des Romans: Der Erzähler Charles Ryder wird von seinem neuen Freund Sebastian zu einer Spritztour in einem zweisitzigen Sportwagen eingeladen. Es ist ein wunderbarer Sommertag und irgendwann so heiß, dass die beiden jungen Männer Schatten suchen. Unter einer Gruppe von Ulmen trinken sie eine Flasche Château Peyra­guey, essen dazu Erdbeeren und rauchen dann türkische Zi­garetten. »›Genau die richtige Stelle, um einen Topf voller Gold zu verstecken‹, sagte Sebastian. ›Ich würde gern überall, wo ich glücklich war, etwas Kostbares vergraben. Dann kann ich später, wenn ich hässlich, alt und trübsinnig bin, zurückkommen, es ausgraben und mich daran erinnern.‹« Wiedersehen mit Brideshead ist reich an solchen kostbaren Momenten. Es gibt wenige Romane, die so glücklich machen – obwohl er einer der traurigsten Romane der Literaturgeschichte ist, Diogenes Magazin

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er aber beim Angriff auf Kreta in einem Kommando eingesetzt wurde, konnte er sich durch geradezu selbstmörderischen Heldenmut auszeichnen. Beliebter unter seinen Kameraden machte ihn das nicht: Es heißt, er sei verhasst gewesen und habe seine Untergebenen so schlecht behandelt, dass Wachen vor seinem Schlafzimmer postiert werden mussten, damit er nicht von den eigenen Leuten erschlagen würde. Statt Heldentum und Aufopferung fand Waugh in der Armee Bürokratie, Langeweile und Duckmäusertum. Sein Dienst für das Vaterland war für ihn vor allem eine große Desillusionierung.

Der Schriftsteller als Offizier im Zweiten Weltkrieg

Anekdotisch jedoch war diese Zeit umso ergiebiger. An Lady Dorothy Lygon, eine enge Freundin, schrieb er am 23. März 1944: »Seit meinem Besuch bei Ihnen hat mein militärisches Leben einen ziemlichen Niedergang erfahren. Ich habe einen General buchstäblich in den Wahnsinn getrieben, bis sowohl er als auch ich des Hauptquartiers verwiesen wurden. Dann wurde ich Fallschirmjäger. Für jemanden, der die Abgeschiedenheit schätzt, gibt es kein größeres Vergnügen als das Gefühl der Einsamkeit, wenn man herabschwebt, aber das dauert alles viel zu kurz, der Boden ist sehr hart, und die Ärzte befanden – was ich ihnen vorher hätte sagen können –, ich sei zu alt, um noch auf viele solcher Vergnügungen hoffen zu dürfen. Als mein Bein ausgeheilt war, wurde ich einem anderen General als Adju-

tant zugeteilt. Das ging 24 Stunden lang gut. Mir passierte das Missgeschick, ihm beim Abendessen ein Glas Rotwein in den Schoß zu kippen. Es ist erstaunlich, wie viel Wein so ein Glas enthält und wie weit das schwappen kann, wenn man es mit Verve umkippt. Er war ein sehr langweiliger Mensch, und ich war ihn rasch los und er mich. Dann wurde ich von noch einem anderen, etwas ranghöheren General beordert. Aber entweder war er vorgewarnt oder selbst vor die Tür gesetzt worden – jedenfalls erhielt ich eine Nachricht, welche die Order hastig widerrief, bevor ich den Posten antreten konnte. Mein geduldiger Colonel hat die Angelegenheit nun dem War Office anvertraut, und unter deren Saumseligkeit habe ich früher so oft leiden müssen, dass es nur recht und billig ist, wenn ich jetzt davon profitiere.« Zwei Monate zuvor hatte Waugh nämlich Diensturlaub beantragt. Am 24. Januar 1944 schrieb er an den Leitenden Offizier des Ausbildungsregiments der Life Guards in Windsor: »Ich beehre mich, aus den nachstehend dargelegten Gründen für die Dauer von drei Monaten um unbezahlte Freistellung vom Dienst zu ersuchen.« Nach Aufzählung diverser Gründe für seinen Antrag kommt er zum entscheidenden Punkt: »Im zivilen Leben bin ich Romancier und plane nun einen Roman, den zu schreiben etwa drei Monate in Anspruch nehmen wird. Dieser Roman wird keinen direkten Bezug zum Krieg haben und erhebt keinen Anspruch auf unmittelbaren Propagandawert. Allerdings hoffe ich, dass er einer größeren Anzahl von Lesern harmloses Lesevergnügen und Entspannung bietet und Unterhaltung mittlerweile als legitimer Beitrag zu den Kriegsanstrengungen anerkannt wird.« Er unterstreicht die Dringlichkeit seines Anliegens wie folgt: »Es zählt zu den Eigenarten literarischen Schaffens, dass man eine Idee, sobald sie im Kopf des Autors ausgereift ist, nicht liegen lassen darf, sonst verkümmert sie. Das Buch wird nämlich entweder jetzt geschrieben oder nie.« Der Antrag wurde bewilligt, und Waugh begann mit der Niederschrift des Romans. Am 1. Februar 1944, als

Foto: © Hulton Archive / Getty Images

denn er erzählt von großen Verlusten: dem Verlust von Liebe, Freundschaft, Jugend und Idealen und dem Glauben an eine bessere Zeit. Zugleich ist dieser Roman über weite Strecken aber auch unglaublich komisch, wie es sich für einen englischen Roman gehört. Waugh hat mit Brideshead eine moderne Version des Landhaus­ romans geschrieben, des urtypischen Genres der englischen Literatur (Ian McEwan sollte es ihm mit Abbitte ein halbes Jahrhundert später gleichtun). Der Roman ist der vergebliche Versuch, die verlorene Zeit einzuholen. Gemäß Jean Paul ist die Erinnerung »das einzige Paradies, aus welchem wir nicht vertrieben werden können«. Doch Arthur Schnitzler setzte dem entgegen: »Die Erinnerung ist die einzige Hölle, in die wir schuldlos verdammt sind.« Wieder­ sehen mit Brideshead ist ein Erinnerungsbuch, das diese Ambivalenz beschreibt. Der dritte Teil von Brideshead beginnt so: »Mein Leitmotiv ist die Erinnerung, jener geflügelte Schwarm von Bildern, der mich an einem grauen Morgen im Krieg umgab. Diese Erinnerungen, die mein Leben ausmachen – denn nichts gehört uns so gewiss wie unsere Vergangenheit –, hatten mich nie verlassen.« Der Zweite Weltkrieg bildet den Rahmen des Romans nicht von ungefähr, denn nach dem Zweiten Weltkrieg, das ahnte Evelyn Waugh, würde sein England nicht mehr so sein wie zuvor. Und so hat Waugh mit Brides­ head den wohl englischsten Roman des 20. Jahrhunderts verfasst, den Roman, der das englische Trauma – das Ende des Empires und den Niedergang des Adels, den Schlusspunkt einer Epoche und einer Welt – am eindringlichsten beschreibt. Er schrieb sein Meisterwerk mitten im Krieg. Die Entstehungsgeschichte des Romans ist so ungewöhnlich, dass es sich lohnt, sie genauer zu erzählen. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Evelyn Waugh 36 Jahre alt und körperlich nicht sonderlich fit, aber als wahrer Patriot meldete er sich 1939 als Freiwilliger. Nicht sofort wechselte er jedoch den Schreibtisch gegen den Schützengraben, lange musste er auf einen Einsatz warten; als


die Alliierten in verlustreichen Kämpfen gegen die deutsche 14. Armee versuchten, nach Rom vorzurücken, schrieb er die ersten Seiten. Der größte Teil von Wiedersehen mit Brideshead entstand in Chagford im County Devon, in einem kleinen Landhotel aus dem 14. Jahrhundert mit niedrigen, düsteren Zimmern. Für Ruhe war gesorgt – es hielten sich dort außer ihm lediglich ein paar ältere Damen auf. Störfaktoren waren eine kleine Erkältung und der Kamin in Waughs Arbeitszimmer, der dermaßen qualmte, dass Waugh nur die Wahl zwischen Erfrieren oder Erblinden blieb. Ein weitaus größeres Problem stellte der Mangel an genießbarem Alkohol dar. Erst nach zwei Wochen, in denen Waugh sich mit Apfelwein zufriedengeben musste, wurde Wein geliefert. »Der Pontet Canet ’34 ist nicht gut, aber ich trinke ihn mit Genuss nach so langer Zeit mit Cider«, bemerkte er erleichtert in seinem Tagebuch. Trotzdem bewahrte Waugh einen klaren Kopf – er wusste, dass er einen Wendepunkt in seiner Laufbahn erreicht hatte. »Ich strotze vor literarischer Kraft«, vertraute er seinem Tagebuch an, und in Briefen bezeichnete er den im Entstehen begriffenen Roman als »M.O.« (Magnum Opus) oder »G.E.C.« (Great English Classic) und setzte hinzu: »Ich glaube, dies ist eher mein erster Roman als mein letzter.« Seiner Frau berichtete er von seinen Fortschritten: »Mein Liebling, anfangs wollte der Kopf nicht recht in Gang kommen, & ich musste die ersten tausend Wörter des Opus magnum dreimal schreiben, bis sie saßen, aber jetzt läuft es besser, und ich habe 2387 Wörter in anderthalb Tagen geschafft. Bis zum Abend dürften es 3000 werden, & ich hoffe, bald auf 2000 am Tag zu kommen. Es ist von s. hoher Qualität.« Waugh arbeitet wie besessen an seinem Roman. Am 6. Juni 1944 erfährt er vom Kellner beim Frühstück von der Landung der Alliierten in der Normandie. Schnell schreibt er die Sterbeszene von Lord Marchmain. Um 16 Uhr ist das letzte Kapitel von Wie­ dersehen mit Brideshead beendet, am 16. Juni, nach Niederschrift des Epilogs, der ganze Roman.

In den Satzfahnen überarbeitete Waugh sein Werk allerdings noch einmal stark. Dass er dazu überhaupt Gelegenheit hatte, gleicht einem Wunder. Mit der Eröffnung der zweiten Front beginnt die Entscheidungsschlacht, und die Alliierten ziehen alle Kräfte zusammen. So kommt auch wieder der unmögliche Evelyn Waugh zum Einsatz. Er wird an der Seite seines engen Freundes Randolph Churchill, des Sohns von Winston Churchill, auf eine heikle Mission in den Balkan geschickt: Sie sollen im von deutschen Truppen besetzten Gebiet die dort operierenden Partisanen unterstützen. Bei der Landung zerschellt allerdings das Flugzeug, zehn der neunzehn Insassen sterben. Randolph Churchill und Evelyn Waugh überleben, wobei Letzterer schwere Verbrennungen erleidet. Nach einem Genesungsurlaub in Italien und auf Korsika kehrt er für sechs Monate wieder zurück in sein Einsatzgebiet in Kroatien, wo ihn die Satzfahnen nur mit Beistand von oben erreichen. Ihre Zustellung war spektakulär und nur möglich, weil Randolph Churchill als Sohn des Premiers seine Kontakte spielen ließ. »Die Fahnen wurden im Oktober 1944 von der Henrietta Street [der Verlagsadresse in London] in die Downing Street Nummer zehn geschickt. Von da aus reisten sie im Postsack des Premierministers nach Italien, mit dem Flugzeug ging es von Brindisi weiter nach Gajen in Kroatien – damals eine Widerstandsenklave –, wo sie mit einem Fallschirm abgeworfen wurden«, erinnerte sich Waugh später. »Die Korrekturen wurden in Topusko vorgenommen und dann mit einem Jeep nach Split – der Feind war zurückgedrängt worden, kurzfristig zumindest –, weiter mit dem Schiff nach Italien und zurück nach Hause gebracht, erneut über Downing Street.« Wiedersehen mit Brideshead erschien 1945 – und wurde, anders als Waugh erwartet hatte, zu einem Welterfolg. Der Roman gilt bis heute als Evelyn Waughs Haupt- und Meisterwerk, auch wenn er noch viele andere grandiose Romane geschrieben hat, wie seine frühen Gesellschaftsromane Decline and Fall, A Handfull of Dust, die Presse­ satire Scoop oder Tod in Hollywood.

Eine Werkausgabe dieser und anderer Romane von Evelyn Waugh in neuen oder revidieren Übersetzungen ist im Diogenes Verlag in Vorbereitung. Für Graham Greene war Evelyn Waugh der größte Romanautor seiner Epoche. Waugh habe an seinen Sätzen gefeilt, bis sie waren »wie das Mittelmeer vor dem Krieg: so klar, dass man den Meeresboden sehen kann«. Und George Orwell schrieb 1949, kurz vor seinem Tod, in einer nicht mehr vollendeten Besprechung von Wiedersehen mit Brideshead: »Waugh ist als Romancier so gut, wie man es nur sein kann (d.  h. was Romanschreiber heutzutage taugen).« 1945 zum ersten Mal auf Deutsch erschienen, litt der Roman unter einer verstaubten Übersetzung. Die Übersetzerin Pociao, die unter anderem Werke von Paul Bowles, Tom Robbins oder Zelda Fitzgerald ins Deutsche übertragen hat, hat Wiedersehen mit Brideshead für das deutsch­ sprachige Publikum neu erschlossen. Endlich kann das Werk nun auch auf Deutsch wiederentdeckt werden – es ist ein Wiedersehen mit einem magischen Roman.

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Buchtipp

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Das Porträt der Schönen und Reichen in den Jahren zwischen den Welt­ kriegen, die Chronik einer Vertreibung aus dem Paradies und die Geschichte einer unmöglichen Liebe. Das englische Gegenstück zum amerikanischen Großen Gatsby.

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Biographisches Erzählen

Illustration: Saul Steinberg, Untitled, 1964, Ink on paper, 50.8 x 38.1 cm, Private Collection. © The Saul Steinberg Foundation / 2013, ProLitteris, Zürich

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echov hasste Biographien, er litt an »Biographitis«, wie er es nannte. Pascal dagegen meinte: »Was den Menschen am meisten interessiert, ist der Mensch selbst.« Auf den folgenden Seiten begegnen wir Diogenes Autoren als Biographen – die einen entwerfen ihr eigenes Lebensbild, die anderen erzählen aus dem Leben der anderen. Erich Hackls neueste Veröffentlichung Dieses Buch gehört meiner Mut­ ter widmet sich den Jugendjahren einer tapferen Frau im oberösterreichischen Mühlviertel. Ein Buch, von dem der Sohn sagt, er habe es mit seiner Mutter, nicht gegen sie geschrieben. Urs Widmer wiederum kehrt in seine eigene Vergangenheit zurück, die Zeit, bevor er Schriftsteller wurde. Rei­ se an den Rand des Universums ist ein farbiges Buch, reich an Familiengeschichten und Mythen, ein Buch aber auch über die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und des nachfolgenden Kalten Kriegs. Und ein Buch über die Beziehung des jungen Urs zu

seinen Eltern. Im Gespräch mit Carlo Bernasconi und Martin Walker erzählt der Autor mehr von den Jahren danach, unter anderem vom Lektor, Stürmer und Dränger Widmer bei Suhrkamp. Ilija Trojanow stellt uns den Schriftsteller Arnon Grünberg als investigativen Journalisten vor, den seine Erkundungsreisen mit der Armee nach Afghanistan und in den Irak, aber auch als Zimmerjunge nach Bayern und als Masseur nach Rumänien führten. So unermüdlich wie Grünberg unsere Gegenwart erforscht, erkundet Lukas Hartmann in seinen historischen Romanen die Vergangenheit. Im Gespräch mit ihm erfahren wir von seiner Faszination für eine arabische Prinzessin, die Ende des 19. Jahrhunderts, in Zeiten des politischen Umbruchs also, einem Hamburger Kaufmann nach Deutschland folgte. Ein Buch, das von einer großen Liebe erzählt, aber auch vom Verlust der Heimat und von Fragen der Identität. Um die Liebe geht es auch in Leon de Winters furiosem Roman Ein gutes

Herz. Und um vieles mehr: Unter den Protagonisten findet sich nicht nur der Autor selbst, nein, auch seine Frau, sein bester Freund und der Filmemacher Theo van Gogh treten auf. Diogenes Verleger Philipp Keel hat de Winter dazu befragt: ein heiteres, ein erhellendes Gespräch. Auch Connie Palmen erzählt von einer Liebe, der zweiten großen in ihrem Leben, dem zweiten Partner, den sie an den Tod verloren hat. Nach I. M. Ischa Meijer. In Margine. In Memoriam hat sie nun ein weiteres Erinnerungsbuch geschrieben: Es handelt vom Tod des Politikers Hans van Mierlo und der großen Trauer der Schriftstellerin. Palmens Logbuch eines unbarmherzigen Jahres ist ein erschütterndes, ein unerbittliches, aber auch ein Leben rettendes Buch. Zuletzt betrauert Ian McEwan den Verlust seines Glaubens an die Kraft der Fiktion – zum Glück für uns hat er diesen Glauben wiedergefunden. Sein neuer Roman Honig ist der beste Beweis dafür. ck

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Foto: © KEYSTONE / APA / Robert Newald


Vorabdruck

Erich Hackls Mutter Maria Mayrhofer, 1920 geboren, genannt Mitzi (rechts), daneben ihre Tante Anna und Hund Lord

Erich Hackl

Der Mutter eine Stimme geben Erich Hackl auf den Spuren seiner Mutter: Farbig waren die Erzählungen der Bauerntochter über ihre Jugend nahe der österreichisch-tschechischen Grenze. In der biographischen Nacherzählung versichert sich ihr Sohn noch einmal dieser Welt von gestern. Es ist keine ländliche Idylle, von der wir lesen – sondern die Geschichte einer tapferen Frau, die trotz aller Widerstände zeitlebens ihre Würde bewahrt, die Geschichte einer großen Erzählerin in den Worten eines großen Erzählers: ihres Sohnes.

Foto: © privat / Erich Hackl

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oweit ich zurückdenken kann, hat meine Mutter von der Welt ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Diese Welt lag im Unteren Mühlviertel, einem entlegenen Hügelland nördlich der Donau, nahe der tschechischen Grenze, und umfaßte nicht nur ihre eigene Lebenszeit, sondern auch Ereignisse aus den Jahren vor ihrer Geburt, die den Dorfbewohnern gegenwärtig geblieben waren. Aus eigener Anschauung kenne ich nur noch Reste dieser Welt – das zu einer Streusiedlung von Einfamilienhäusern sich wandelnde Dorf und einige Nachkommen derer, die es vor einem Menschenalter bevölkert haben. Es ist nicht mehr abgeschieden, und seine jetzigen Bewohner verfügen über allerlei Annehmlichkeiten; auch über die Gewißheit oder Illusion, sich im Gleichschritt mit der

zusammengestückelten großen Welt zu bewegen. Es wirkt öde und grau, verglichen mit den farbigen Bildern, die durch die Erzählungen meiner Mutter von den Menschen und ihren Verrich-

Ich bin nun daran­­ge­gangen, mich der früheren Welt zu versichern. tungen in mir entstanden sind. Ich bin nun, nach ihrem Tod, darangegangen, mich der früheren Welt zu versichern, sie mit ihrem Blick und in ihren Worten wahrzunehmen, und deshalb gehört dieses Buch meiner Mutter. Tatsächlich gehört es aber auch meinem Vater, denn die längste Zeit hat er sie zum Erzählen gebracht und im Erzählen begleitet. In meiner Erinnerung,

die nicht frei von Wehmut ist, verständigen sich die beiden oft, ständig eigentlich, über die Zeit und die Gegend, in denen sie geboren und aufgewachsen sind. Das Erzählen meines Vaters war vermittelnder als das ihre, es bezog uns Kinder mit ein, nahm Rücksicht auf unseren Wissensstand, sparte nicht an Pointen, kehrte die heiteren und die komischen Aspekte hervor. Es war ein erklärendes, auch aufklärendes Erzählen, während das meiner Mutter unmittelbar, deutungslos, offen, nicht auf ein Ende oder eine Lehre hin gerichtet war. Unlängst fand ich ein Blatt Papier, auf dem mein Vater – der zwanzig Jahre vor ihr gestorben ist – unter der Überschrift »Gedanken in der Intensivstation, 13. 3. 1982« (zwei Tage nach einer schweren Herzoperation) aufgezählt hatte, was er so gern noch erleben Diogenes Magazin

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wollte. Tätigkeiten verrichten, Wege gehen, Menschen begleiten, wie in seiner Kindheit. »Einmal noch möchte ich ein Kind sein wie vor 56 Jahren.« Eine solche Sehnsucht war meiner Mutter unbekannt, auch wenn sie bis zuletzt nicht loskam von dieser Welt, erzählend und in Träumen, die sie ebenfalls erzählte. Sie verdammte ihre ersten fünfundzwanzig Lebensjahre nicht, aber die Erinnerung an sie war ihr kein Trost. Ihre Erfüllung suchte sie in der Gegenwart, die ihr die längste Zeit knapp zu werden drohte. Sie war bemüht, nicht aufzufallen, sich den üblichen Konventionen zu fügen. Aber sobald sie erzählte, waren Vorurteile,

Ich habe dieses Buch mit ihr und nicht gegen sie geschrieben. die sie weiterhin plagten, schlagartig verschwunden. Auch deshalb gehört dieses Buch meiner Mutter. Den Titel habe ich mir von Bettina von Arnim ausgeborgt. Dies Buch ge­ hört dem König handelte von geistigen und materiellen Mißständen. Davon ist auch hier die Rede, aber nicht ausschließlich und vielleicht nicht einmal zum überwiegenden Teil. Ich wollte auch zeigen, wie es Menschen trotz Armut und Mühsal gelingt, sich über die fremdbestimmten wie selbstverschuldeten Verhältnisse zu erheben, einen Moment lang oder für immer. Rechtzeitig oder im Nachhinein. Ich halte mich dabei an die Geschichten meiner Mutter, nehme mir aber die Freiheit, ihr Einsichten zu gestatten, die sie nicht auszudrücken vermochte oder zu denen sie nie gelangt ist. Die Freiheit, ihr mein Gewissen anzudichten. Ich glaube nicht, daß sie oder mein Vater dagegen Einspruch erheben würde. Ich habe dieses Buch, wenn man so will, mit ihr und nicht gegen sie geschrieben. Mir ist dabei manches in ihrem, in meinem und im Dasein anderer klarer geworden. Auch deshalb gehört es ihr. Aber lesen mögen es andere.

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»Geschichten werden nicht erfunden. Sie werden vererbt.« Edgardo Cozarinsky, ›El rufián moldavo‹

Maria Mayrhofer, im Hintergrund ihr Vater

Am Hang des Predigtberges lag Sankt Leonhard. Am Fuß des Heidenberges lag Weitersfelden. Firling lag so dazwischen: vier Hügel dahin, fünf Hügel dorthin. Wer bis dreißig zählen konnte, hatte das ganze Dorf erfaßt: zwei Dutzend Höfe und Häusl, zwei Wirtshäuser, eine Schmiede, eine Kapelle, ein Feuerwehrhaus. Drumherum ein paar tausend Steine, verstreut über Weiden, Äcker und Wälder. Mittendrin allerlei zahmes Getier sowie Mannsbilder, Weiberleute und Kinder, erfüllt von Fleiß, Gehorsam, Gottesfurcht und einem großen Durst nach Geselligkeit. Immer in der Schwebe zwischen Argwohn und Leichtsinn. Zu erschöpft, sich die Gegenwart vorzustellen. Solche wie ich.


Maria Mayrhofer im Alter von zehn Jahren, unmittelbar vor (also unterhalb) der Lehrerin stehend

l. ge Erdäpfe d jede Men n ht aus. u ic n n e g n g e o d dR der Bo ß e li r Hafer un h e M en. Flachs. hken fielen Dazu Rüb die Zwetsc r, , e u sa n ware n gediehen Die Äpfel n, ja Birne e n ir rz a B . w h m d sc Bau atschig un unreif vom m d n u in aren kle Wochen. aber sie w r ein paar u n h c si n und hielte schbaum. e einen Kir ig z in e ls a dem Haus, Wir hatten lde neben u . M r e d igen Wind Er stand in or dem eis v t tz ü r h te a sc V ge ging mein ein wenig ubringen, z h es Feuer rc in u d le k n Um ih aus, ein in h n te h c ie Blüten. stnä weiß wie d in den Fro te h c u ra s a en, d anzuzünd

Buchtipp

Fotos: © privat / Erich Hackl

128 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06866-5 Auch als Diogenes E-Book Erscheint im November

Erich Hackl gibt einer Frau, die als Bauerntochter im oberösterreichischen Mühlviertel aufgewachsen ist, eine Stimme: seiner Mutter. In einer kunstvoll einfachen Sprache erfährt man von einer vergangenen Welt mit ihren farbigen Bildern und Geschichten. Ein poetisches, ungemein inniges Lebensbild.

Eine klein e Semmel kostete fü Eine Ripp nf Grosch e Schokola en. d e zehn Gro Vom Kirta schen. g ein groß er Sack Sü mit Schau ßigkeiten mrolle und Kokoskup peln einen Schilling. Ich hatte e s gut: Mein e Mutter g eine halbe ab mir jed Semmel m en Tag it in die Sc hule. Die Rauh Hedwig, d ie so schön hatte nie m singen kon ehr als ein nte, hartes Sch Oft war es e rzel in der verschimm Tasche. elt. Die FesslKinder leg ten die Bro und wehe, tscheiben die des an übereinan dern stand der vor. Beim Pum hatten sie achtzehn K Auf ihrem inder und Christbau eine große m hingen Not. nur Erdäp felspeigen .

Die Mutter las im Stehen wie im Sitzen und fast immer nur zwisc hendurch, wobei sie stumm die Lippen bewegte. Die Zeitung, alte und neu e Kalender, Gebetbücher, Wildererrom ane, Kataloge, die ein Reisender dagelasse n hatte. Am liebsten las sie in der Küche, wo sie vor dem Vater sicher war, selten auf dem Abort, der Fliegen wegen, manchmal auf der Hausb ank sonntags, wenn er nach dem Essen sitzend schlief, und mit offenen Augen, wie die Hasen. Am meisten bekümmerte sie die Unrast der Kaiserin Eli sabeth, noch dreißig Jahre nach dem Todesstich mit der Feile, ein Schlund in der Erde, der ein Dorf in der Türke i verschlang, und die Prognose der He llseherin Sibylla, einst würden den Männern schulterlange Haare, den Frauen Stoppelglatzen wachsen: untrügliche Vorzeichen des Weltuntergangs. Mein Vater murrte, sooft er sie lesen sah. Im gedruckten Papier wit terte er Gefahr, im Lesen überschüssige Kr aft, die verpuffte.

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Foto: © Ayse Yavas / Keystone Schweiz / laif


Interview

Urs Widmer

Aber ich erfinde trotzdem

Illustration: Shirana Shahbazi, ›Schnecke – 01 –2011‹ (Ausschnitt) Copyright © Shirana Shahbazi

Im Gespräch mit den Journalisten Carlo Bernasconi und Martin Walker erzählt Urs Widmer von der Entstehung seines neuen Buchs, Reise an den Rand des Universums: den Erinnerungen an seine Jugend in Basel, seine Eltern, ersten Reisen, Lieben und Verluste. Und von den Jahren danach: der turbulenten Zeit als Lektor bei Suhrkamp, dem Größenwahn des jungen Schriftstellers, der Begegnung mit seinem Verleger Daniel Keel, dem er ein Leben lang treu war, und dem immerwährenden Gerede von der Krise des Buchhandels. Bernasconi / Walker: Was niemand er­ wartet hat, ist eingetreten: Sie schrei­ ben eine Autobiographie. Erleben Sie eine Art Über­raschung nach dieser Ankündigung? Urs Widmer: Überraschung? Ich weiß nicht recht. Der ganze Vorgang hatte etwas Unausweichliches. Das ist wie eine Drohung auf mich zugekommen. Ich hatte ja früher schon – obwohl man sagt, ich sei der Luftibus mit der ganz vielen Phantasie – einen Stollen nach dem andern meines Erinnerns, meiner Kindheit ausgebaggert. Auf die verschiedensten Weisen, mit verschiedensten Metamorphisierungen ist daraus Literatur geworden. Auch in Romanen wie Die Forschungsreise, Das enge Land oder Im Kongo stecken viel mehr Dinge, die mit meinem wirklichen Leben zu tun haben, als man auf den ersten Leseblick meint. Kurz, ich hatte plötzlich alle Stollen freigelegt und hatte nichts mehr als die sogenannt nackten Tatsachen. Also das korrekt

Erinnerte, das, was ich treu und redlich glaube, von meinen früheren Jahren zu wissen und nichts dazuzutun zu dürfen und müssen. Die richtigen Namen. Etwas, was ich bin anhin just nicht tun wollte. Aber bald merkte ich, dass mich das – wie eine Flucht nach vorn – reizte.

Sag nur, was du wirklich erinnerst. Und verzichte auf jedes Füllmaterial. Natürlich ist eine Autobiographie so etwas wie ein letztes Buch; dahinter kommt nichts mehr. Was soll da noch sein? Andrerseits könnte es auch sein, dass ich eine Mauer niederreiße und sich eine weite Ebene auftut. Und auf dieser kann ich dann auf eine ganz andere, mir noch nicht bekannte Art locker spazieren. Das Schreiben ging relativ leicht. Ich merkte mit dem ersten Wort, dass es so

anders als bisher auch nicht war. Mein Vater heißt halt jetzt plötzlich Walter und meine Mutter Anita, und meine Freundinnen heißen so, wie sie heißen. Aber ich erfinde trotzdem. Man kann gar nicht anders – auch wenn man versucht, ganz genau zu sein –, als irgendwelche Sinnlücken zu füllen. So dass auch beim strengsten Versuch, nicht zu schwindeln, durch die Form und die Art des Erzählens etwas Romanhaftes entsteht. Das Buch sollte übrigens zuerst Autobiographie. Roman heißen und hat erst später den jetzigen Titel gefunden. Ist es nicht auch so, dass man sich diesen Stollen ein bisschen schön­ schreibt, ihn mit dieser oder jener zu­ sätzlichen Geschichte tapeziert oder auch etwas weglässt, weil man das Gefühl hat, es sei dann wohnlicher, auch für den Leser? Weglassen tut man. Man hat ja, egal ob autobiographisch oder nicht, immer die Deutungshoheit. Das, was man Diogenes Magazin

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schreibt, ist, und das andere ist nicht. Diesem Gesetz folge ich hier auch. Aber nicht unter Vermeidung der schmerzenden Sachen, die bin ich schon angegangen. Da war ja einiges Schmerzhaftes in diesem komplizierten Psychologiegeflecht meiner Familie, das habe ich in den beiden Vaterund Mutterbüchern schon auf eine romanhafte Weise beschrieben. Ich habe in diesem Buch versucht, nicht redundant zu sein, also das, was schon einmal genau erzählt worden ist, nicht nochmals zu erzählen. Aber ein paar Kernereignisse – das Verschwinden der Mutter, ihr Abtransport in die psychiatrische Anstalt, der Tod des Vaters, der ja an vielen Stellen meiner Bücher eine Rolle spielt, hab ich nochmals beschrieben. Dieses Mal unter der Vorgabe: Urs, sag nur, was du wirklich erinnerst. Und verzichte auf jedes Füllmaterial. Viele zusätzliche Geständnisse, auch wenn ich ein Erinnerungselefant bin, kriegen Sie eigentlich nicht. Aber Klartext wird gesprochen. Einen Gewinn dieser Art von Arbeit ahnte ich zuerst nicht. A: Dass plötzlich eine ganze ferne Zeit wieder lebte. Die waren alle am Leben, und ich damit! Das hatte eine große Heftigkeit, die auch mein Leben außerhalb des Schreibvorgangs auf eine neue und sehr schöne Art belebte. Ich lebte ein ganzes früheres Leben nochmals mit diesen Menschen, die inzwischen fast alle aus meinem Leben verschwunden sind. B: Ich habe in den letzten Jahren viel über den Tod geschrieben. Dies hier ist ein völlig todfernes Buch, was mir sehr wohltat. Gut, mein Vater stirbt, aber alles in allem sind die Jahre eins bis dreißig die, wo jemand, und mit ihm ganz viele andere, ins Leben aufbricht. Und der nicht, wie ich jetzt, das Leben nochmals anschaut, in klugen Sätzen analysiert und sich dann zur Ruhe legt. Hat sich nun, nachdem das Buch ab­ geschlossen ist, eine neue, zu er­ obernde Landschaft eröffnet? Ich kenne sie noch nicht. Sie ist eine Utopie und eine Hoffnung. Im Augenblick sitze ich mehr oder weniger heiter in diesem berühmten Loch, wo man gar nichts Gescheites im Kopf hat. Das geschieht nach jedem größeren Werk. Vorläufig bin ich nicht beson34

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ders beunruhigt. Ich habe nie eine Pipeline gehabt, in der ein Projekt nach dem andern wartete, bis es endlich drankommen durfte. Bevor ein nächstes Buch werden konnte, musste ich immer zuerst eines abschließen. Dazu ist ja noch der Band mit den gesammelten Erzählungen erschienen, und ich habe ein Theaterstück fertig geschrieben. Und jetzt weiß ich überhaupt nicht, was machen außer Interviews geben. Und Kleinkram natürlich, es gibt immer Kleinkram. Dann sind Sie ein Serientäter und kein Paralleltäter? Ich habe nie im Leben zwei wirklich wichtige Sachen parallel gemacht. Natürlich habe ich an einem Roman geschrieben, und dann fragt mich Roman Bucheli, ob ich eine Rezension mache, das geht problemlos nebeneinander. Aber ein großes Stück und ein großer Roman zusammen, das geht nicht.

Jetzt weiß ich überhaupt nicht, was machen außer Interviews geben. Ich möchte auf das Erinnern zurück­ kommen. Erinnern Sie sich schrei­ bend oder vorher und bringen dann das Erinnerte zu Papier? Ich schreibe von Hand und dann in die Maschine, aber ich schreibe doch sehr viel zuerst im Kopf. Beim Spazieren. Das ist nicht wörtlich ausformuliert, aber es wird schon ziemlich klar, was die nächsten Seiten bringen werden und müssen. Da strukturiere ich auch im Kopf weit voraus. Da wird sicher das vorkommen, auf das muss ich hinsteuern, später wird sich das auf jenes beziehen müssen. Solche Dinge habe ich schon im Kopf. Die entstehen nicht durch verbohrtes Studieren, sondern eher durch Gehen mit einer möglichst abwehrfreien Öffnung der Gehirnzellen. Vielleicht sind Dichter überhaupt die, die weniger Abwehr haben gegen das, was wehtut. Ich komme mir manchmal auch in einer unangenehmen Weise löchrig vor. Da kommen Sachen durch, von denen du in diesem Moment lieber nichts wüsstest. Das

Ganze nennt man am Schluss dann doch Phantasie. Die Entstehung der Autobiographie ging relativ rasch und selbstverständlich über die Bühne. Ich habe sie in drei Teile, in drei Dekaden eingeteilt, weil ich das Gefühl hatte, mein Leben sei so strukturiert gewesen. Von 1938 bis 1948, von 1948 bis 1958 und dann bis 1965, wo ich endlich – so etwas wie ein erwachsener Mann mit einer richtigen Frau in einer ganz andern Stadt, nämlich Frankfurt am Main – ein erstes Buch schreibe. Damit hört es auf, es hört mit diesem ersten Buch auf. May, meine Frau, die das liest, und ich bibbere. Nur diese drei Dekaden. Ich war furchtbar enttäuscht und wollte schon beim Verlag reklamieren, man habe mir nur die Hälfte geschickt. Ich hätte gerne weitergelesen. War­ um hören Sie dort auf? Weil ich dann in Teufels Küche komme. Ich will keinen Menschen, mir nah oder fern, verletzen. Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht mit achtzig. Das muss man respektieren. Uns in­ teressiert natürlich, dass Sie 1968 be­ rufsmäßiger Leser geworden sind, Lektor nämlich. 1968 war auch für die Verlagsbranche ein bedeutsames Jahr. In der Tat, und genau das lasse ich am Ende von Reise an den Rand des Uni­ versums aus. Ein erster Grund ist die Chronik der Lektoren im Verlag der Autoren. Siegfried Unseld hatte eine Chronik des Suhrkamp Verlags herausgegeben, in der die Ereignisse der Jahre 1967, 1968, 1969, also die sogenannte Lektorenrevolte, aus seiner Sicht geschildert wird. Aus unserer Sicht sah es ganz anders aus, weshalb wir ein eigenes Buch geschrieben haben. Und dort habe ich einen langen Aufsatz, der diese Vorgänge schildert, so genau ich das kann. Der hätte das abschließende Kapitel sein können, aber dieses war ja schon geschrieben. Das war eine heftige Zeit. In nuce hatte sich beim Walter Verlag, wo ich herkam, etwas Ähnliches abgespielt. Otto F. Walter wurde von der Verlagsleitung rausgeschmissen, und zwar just, weil er eine Literatur machte, die als nicht kompatibel mit den im Walter


Verlag herrschenden Moralvorstellungen angesehen wurde. Ein Religionskrieg quasi? Auf einer Ebene ein Religionskrieg. Aber nicht nur. Es ging auch um Macht, Rivalität und Rendite. Otti war, wenn man von Religion redet, das einzige schwarze Schaf der Familie. Silja, seine Schwester, ist ja Nonne geworden. Er war einer, der dem Katholizismus aggressiv den Rücken zugekehrt hatte. Und das spielte im Programm natürlich auch eine Rolle. Wobei die WalterLeute damals auf dieser pseudoprogressiven katholischen Schiene liefen. Die Bücher hießen nicht mehr »Gott lebt«, sondern »Lebt Gott?«. Das ist der nachkonziliäre Humus gewesen, auf dem solche Bücher ent­ standen sind. Und am Schluss wurde doch nachgewiesen, dass Gott irgendwo lebt. In diesem Klima haben wir gearbeitet und unsere »gottlosen« Bücher gemacht. Ernst Jandl, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Henri Michaux, Alfred Döblin. Und Peter Bichsel. Und Peter Bichsel und Jörg Steiner und noch ganz viele andere. Dann hat mir der Verlag die Nachfolge von Otto angeboten, was mich beleidigt hat. Ich sagte: »Wie kommen Sie dazu, was habe ich falsch gemacht?« Also habe ich auch gekündigt. Otto ging zu Luchterhand, und ich bekam eine kleine Woche später die Anfrage von Siegfried Unseld, die mich außerordentlich gefreut hat. Das war das Beste, was mir passieren konnte: das beste Lektorat in Deutschland, und zwar im Herzen der Ereignisse, nämlich in Frankfurt, wo die ganze Nomenklatura der Literatur saß. Das Politische merkte man, Anfang 1967, noch nicht so deutlich. Kaum kam ich an, ging aber die ganze politische Sache los. Und mir als Dreißigjährigem – trau keinem über dreißig! – hätte man also just nicht mehr trauen dürfen ab Mai 1968. Ich bin nicht, wie Joschka Fischer, Steine werfend herumgerannt, aber herumgerannt bin ich auch. Ich habe auch RAF-Leute im Haus gehabt. Ich war allerdings von allem Anfang an und ohne jeden Ausreißer nicht zu Gewalt bereit. Da haben sich in der Diskussion sofort Trennungen ergeben. Die Jungen waren zu ei-

nem beträchtlichen Teil gewaltbereit. Das hat mir damals schon Angst gemacht. Mir ist die Revolte, die zu reformartigen Ergebnissen führt, viel lieber als die Revolution, wo Sachen kaputt gehen, Menschen tot sind und am Ende doch die Falschen an die Macht kommen. Das wollte ich nie. Ich war dabei, aber ein kritischer Begleiter. Hat diese Zeit bei Suhrkamp, die poli­ tischen Auseinandersetzungen im Hause und auf der Straße, einen Ein­ fluss gehabt auf das eigene Schrei­ ben? Ich kann es nicht so klar beantworten, weil ich vorher schon schrieb. Ich schrieb immer schon, nur schlecht, zeigte es also niemanden. Ich war ein miserabler Schriftsteller, der als Einziger wusste, dass er eigentlich ein Schriftsteller sein möchte, dass aber das, was er tat, nichts taugte. Also kannte es auch buchstäblich kein Mensch. Bis ich

Ich bin nicht, wie Joschka Fischer, Steine werfend herumgerannt, aber herum­ gerannt bin ich auch. in Frankfurt war. Da war mein Vater gestorben. Es kommt mir so vor, als hätte mich sein Tod in irgendeiner Weise frei gemacht. Er war ein so lieber Vater, ein Schatz von Vater, und trotzdem hatte er offenbar die Kraft eines Schattens. Und der Schatten war dann weg. Aber Sie haben recht mit dieser Frage. Es kann ja gar nicht anders sein. Ich hatte die Mitglieder der Wiener Gruppe kennengelernt. Insbesondere H. C. Artmann hat mich tief beeindruckt. Durch das, was er schrieb, natürlich, aber auch durch die Art, wie er ein poetisches Leben lebte. Ich habe nie mehr etwas Ähnliches erlebt. Wie er die Hälfte aller Phänomene ausblendete, nicht mal ignorierte, und trotzdem ganz in seiner Zeit drin war! Dann freundete ich mich mit den ebenfalls etwas älteren Reinhard Lettau und Wolfgang Hildesheimer an (nein, Wolfgang kannte ich seit den Fünfzigerjahren, selber noch fast ein Bub). Und dann natürlich die, die ich selber akquirierte, das waren so verquere Bur-

schen wie Herbert Achternbusch und Gert Jonke. Da war Klaus Hoffer, der junge Handke, Elfriede Jelinek, Barbara Frischmuth, Dominik Steiger. Ich mochte Wolfgang Bauer sehr und habe mich natürlich auch für den jungen Thomas Bernhard interessiert – mit mir war er nie muffig, riss Witze –, und für Leute wie Franz Mon, Ror Wolf. Kurz und gut, ein ganzer Trupp von wilden Schreibenden. Dazu kam für mich die Begeisterung für die neue amerikanische Pop-Art, Musterbeispiel Donald Barthelme, auf die ich schwer abfuhr. Kurt Vonnegut, damals noch ein Geheimtipp. Das gab ein neues Gemisch in mir, und diesem Gemisch ist dieser seltsame Alois entsprungen. Ich fasste langsam Fuß auf dem glitschigen Feld der Literatur. Es gab damals noch den Begriff der Avantgarde. Wir haben uns, glaube ich, einer Art Avantgarde zugehörig gefühlt. Etwas, was heute nur noch Kopfschütteln hervorrufen würde. Es gibt heute keine Avantgarde mehr, und ich bin auch der Ansicht, dass das ein blöder Begriff ist. Das tönt ja so, als müssten welche vorausrennen, und die etwas Dümmeren sind hinten. Das kann ja nicht ganz stimmen. Bref, so war das halt. Es gab auch die offizielle – von niemandem als offiziell erklärte, aber es war so – bundesdeutsche Literatur, die damals von Günter Grass, Martin Walser, Uwe Johnson und Max Frisch, der gar kein Deutscher war, dominiert wurde. Die waren, das bekam ich auch als Lektor zu spüren, jäh in eine Art Abwehrkampf geraten: Sie fühlten sich altwerdend, weil sich die jungen Spunde kränkenderweise überhaupt nicht um sie kümmerten. So kam es zu dem Zufall – oder eben nicht –, dass die letzte Tagung der Gruppe 47, ich war als Lektor des Suhrkamp Verlags dabei und nicht als Autor, parallel mit dem ersten Auftreten des Forums Stadtpark in Graz stattfand. Dort liefen Literaturveranstaltungen ganz anders ab, nämlich wie Popkonzerte. Viel Alkohol, viel Geschrei, viel Qualität, viel Mist auch, riesig viele Leute. Und eine hundertprozentig andere Atmosphäre als die, die ich in der Gruppe 47 erleben durfte. Dort herrschte ein Klima der Einschüchterung. Da waren die Diogenes Magazin

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dominierenden Herren, die aufstanden und ihr Urteil verkündeten, und vorne saß ein Celan und schämte sich. Das wäre in Graz undenkbar gewesen. Das hat mich ungeheuer stimuliert. Damals war ich sehr fleißig und habe viel geschrieben. Sie haben unheimlich viele Menschen gekannt auch aus anderen Verlagen. Wie kam es zum Entscheid, zu Dioge­ nes zu gehen? Es gibt eine simple und lächerliche Antwort: Heimweh. Alle Schweizer Freunde, Dichter – Bichsel, Steiner, Muschg – wollten zu Suhrkamp, notfalls zu Hanser, wenn alles schiefgeht. Nach Deutschland jedenfalls. Das ist vielen, den Besseren auch gelungen. – Ich war ja schon in Deutschland, ich war so fest in Deutschland, dass die Deutschen, wenn sie nicht aufpassten, mich für einen Deutschen hielten. Ich war einfach auch da, ich war Teil der deutschen Literatur, was mir bis heute hilft. Ich bin einer der wenigen Schweizer, die freien Zugang zu Deutschland zu haben scheinen; ich werde rezensiert, ich werde verkauft. Ich verkaufe viel mehr in Deutschland als in der Schweiz. Das gilt nicht für alle. Ich hatte schon bei meiner Tätigkeit bei Walter diesen Dani Keel, diesen unendlich sympathischen Verrückten, kennengelernt, der damals auch noch ganz jung war. Das war kein großer Verlag und hatte vor allem in der deutschen Literatur kaum etwas. Da war Otto Jägersberg, das war es eigentlich schon. Dann hatte er seine Iren, dann hatte er Tomi Ungerer und Maurice Sendak. Das war eine Klitsche, bei der ich ausschließlich auf diese Figur Keel abstellte. Er kam mir wie ein großer Bruder vor. Er hat Alois gelesen und genommen. Damit war der Karren gelaufen. Seitdem sind wir pathologisch treu. Ich habe Alois nur einem einzigen Verlag angeboten. Wie haben Sie gemerkt, dass das, was Sie geschrieben haben, plötzlich taugt? Es war einfach eine Evidenz. Ich wusste das. Als ich den Alois unter etwas bizarren Umständen – ich hatte noch keine Wohnung und hockte im Speicher oben – begann, war mir nicht klar, dass ich dabei war, ein Buch zu schreiben. Ich habe einfach geschrieben, wei-

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ter, weiter, weiter, bis ich durch war. Es ist ja auch nicht so lang. Dann hatte ich dieses Gefühl, dass jetzt wirklich etwas passiert ist. Ich habe es May zu lesen gegeben. Dann habe ich es Dani Keel gegeben, et voilà. Alois war sogar ein Erfolg und hat sich auch ein bisschen verkauft. Er war vor allem ein Kritikererfolg. Dabei hatte ich das für Kritiker größte Tabu verletzt, ich war vom Lektor und Kritiker zum Autor geworden. Ich hatte meine erste Lesung bei Montanus in Frankfurt zusammen mit Hans-Erich Nossack, der den Roman Der Fall d’Arthez soeben veröffentlicht hatte – den ich lektoriert und etwa achtzig Seiten rausgeschmissen hatte. Das war schon eine ungünstige Situation. Ich war in einer naiven Euphorie und habe mich nicht weiter um den damals sehr berühmten Nossack gekümmert. Ich war das kleine Würstchen in dem Lese-Duo. Ich habe einfach gelesen und erst im Nachhinein gemerkt: Ich hatte Nossack an die Wand gelesen. Der war pulverisiert und ist nach der Lesung wortlos aufgestanden und weggegangen. Ich begriff das nicht auf der Stelle und wurde dann von wilden Schuldgefühlen gepackt und habe diesen Nossack in der ganzen Stadt gesucht. Ich habe mir vorgestellt, der springt von der Brücke oder trinkt sich voll. Ich habe ihn nicht gefunden. Das war die erste Lesung: schuldbeladen. Ist es ein Segen oder ein Fluch, dass man als Autor Lesungen abhalten muss? Das ist ein Metier, ich mache es liebend gern. Ich habe das professionalisiert, ich mache zum Beispiel sehr gern Lesungen, wo Musiker dabei sind. Ich bin keiner, der das Publikum hasst, vor dem Auftritt zwei Liter trinkt, mit dem Buch auf die Bühne stolpert und dann schaut, was er da eigentlich mitgebracht hat, ein Glas Wasser trinkt, die Uhr auszieht und neben das Buch legt, dieses dann öffnet und murmelnd daraus vorliest, wobei er, wenn er eine Seite umdreht, selber erstaunt zu sein scheint, wie es weitergeht. (So hat der wunderbare Jürg Federspiel gelesen.) Ich lese gern. Ich probe vorher. Ich bin gut vorbereitet. Und es macht immer noch Spaß nach Jahrzehnten?

Ja. Lesen tu ich ungebrochen gern. Was mir mehr stinkt und ich auch vermehrt zusehe, dass ich es vermeiden kann, sind komplizierte Reisen. In ein norddeutsches Buschdorf etwa, wo ich dann im Hotel Deutscher Kaiser bin, das nicht geheizt ist. Deutsche Hotellerie – wenn es nicht das Vier Jahreszeiten ist, in dem unsereiner nicht landet – geht so: Sie kommen rein, Sie kriegen ihr Zimmer, es ist November, minus drei Grad, das Fenster ist offen, und die Heizung ist abgestellt. Dann müssen Sie das Fenster zumachen, die Heizung anstellen, und am nächsten Morgen ist es zwölf Grad. Solche Dinge muss ich nicht mehr haben.

Ich habe auch nichts dagegen, dass mich jemand als E-Book liest. Solange er mich bezahlt. Sie müssen ja einen Draht zum Pub­ likum haben. Was spüren Sie denn, wenn Sie vorlesen? Zum einen muss ich das, was ich vorlese, im Moment, wo ich es lese, wirklich verstehen. Das andere ist, dass ich offenbar eine Form von Bühnenbegabung habe, dass ich Kontakt herstellen kann. Es kommt nicht mal auf die Größe des Saals an. Ich habe einmal, das war ein heftiges Erlebnis, in der Kölner Philharmonie gelesen, das sind zweitausend Leute. Da sehen Sie das Ende des Publikums nicht, das ist wie bei Frank Sinatra. Da stehen Sie in einem Lichtkegel, und hinten verschwindet das Publikum. Im ersten Moment fragte ich mich, wie packst du das? Komischerweise war es gar nicht schwierig. Publikum reagiert als Klumpen, als Ganzes. Und das ging bestens. Ich war mit Senta Berger, sie hat die Leute gebracht, und ich habe meine Geschichte gelesen. Meistens sind es ja Buchhandlungen, die einladen. Wie haben Sie die Ent­ wicklung des Buchhandels erlebt? Seit ich in dem Metier bin, ist der Buchhandel in der Krise. Ich habe nie etwas anderes gehört. Aber es ist tatsächlich so, dass wir vor dreißig Jahren

schon das Schlimmste befürchteten – Konzentration, Verdrängungswettbewerb – und dass es dann doch nicht so schlimm wurde. Jetzt geschieht also das Üble tatsächlich. Der Buchhandel und auch die Verlage sind heute in einer wirklich harten Krise, aus der ich auch keinen Ausweg weiß. Auch wenn ich nicht denke, dass das Buch ausstirbt. Ich habe auch nichts dagegen, dass mich jemand als E-Book liest. Solange er mich bezahlt. Es ist ein Paradigmenwechsel im Gange. Wir leben in einer Zeit, in der viel Alltägliches durch das Internet substituiert wird. Wir haben vieles schon ausgelagert, das Gedächtnis ist bei Google deponiert. Ja. Ich bin einigermaßen altmodisch und schreibe für Leute, die lesen können. Mich irritiert, wenn mein Schwiegersohn während eines Gesprächs mitgoogelt, was wir gerade reden. Da kommt er drauf, dass ich lüge wie gedruckt. Aber die Odyssee ist auch ein riesiges Lügengebäude, ein tolles. Das Buch ist ja vor über 500 Jahren angetreten als Träger des Wissens. Auch wenn das erste Buch religiösen Inhalts war, die Bibel von Gutenberg. Das Buch als Wissensträger hat aber ausgedient, was zur Wahrnehmung führt, das Buch sei in der Krise, weil man es nicht mehr braucht. Das Buch muss sich neu erfinden. Für Romane ist es wohl nach wie vor das beste Trägermedium. Und für alles andere … Man spürt auch einen Verlust der Codes, die uns kulturell verbinden. Dabei sind wir 1968 furchtbar auf die losgegangen, die immer nur Goethe zitierten. Inzwischen bin ich so alt geworden, dass ich das Verschwinden des allgemein verbreiteten Bildungsguts tief bedauere. Weil ich gerne von Agamemnon rede und es ganz gern hätte, wenn der andere auch eine Ahnung hätte, wer das war. Kürzlich war eine Journalistin da, eine Kulturjournalistin, und ich sagte, ich hätte es aufgegeben, wie Atlas die Welt zu tragen. Wie wer?, sagte sie. Es geht mir nicht um Bildungshuberei, aber diese Verbindlichkeit, dass man sich kulturell vermittelte Bälle zuspielen kann, das war früher selbstverständlicher. Diogenes Magazin

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Als Sie sich keinen Job mehr gesucht haben, sondern sagten, ich bin jetzt Schriftsteller: Woher nahmen Sie das Selbstverständnis, den Mut auch? Selbstsicherer Größenwahn, aber er lag in der Zeit. Ich war jung, ich hatte eine junge Frau, die ebenfalls keinerlei Geld verdiente, sondern mitten in der Ausbildung zur Psychoanalytikerin war. Eine Zeitlang kam überhaupt nichts herein. Unsere Unbesorgtheit hing in allererster Linie mit dem Optimismus der Zeit zusammen, damals schien allen alles zu gelingen. Ich jedenfalls hatte eine Höllenenergie. Ich hatte das Gefühl, ja, ich kann schreiben, das lohnt sich, das werde ich jetzt tun. Dazu kam die Bereitschaft, jeden journalistischen Kram, der uns Geld brachte, nebenbei auch zu machen. Ich habe damals hauptsächlich mit dem Hessischen Rundfunk, dem WDR und dem Hessischen Fernsehen gearbeitet. Bald einmal habe ich für Titel Thesen Tem­ peramente Beiträge gemacht. Das wollte ich gewiss nicht zum Beruf machen. Da stehen Sie dann in der Fußgängerzone von Garmisch-Partenkirchen und interviewen die Passanten, ob sie mit dem Kulturprogramm einverstanden sind. Da kommst du dir wahnsinnig blöd vor. Aber ich habe das alles gemacht, ich war wirklich nicht berührungsscheu. Auch May hat bald probiert, Geld zu verdienen. In der Reise an den Rand des Universums kommt die Geschichte ihrer ersten Stellensuche vor. Man muss dazu wissen, dass May Romande ist. Sie sprach damals noch kaum deutsch, was sie dann fabulös schnell gelernt hat. Aber am Anfang hörte ein Tauber, dass May keine Deutsche war und radebrechte und die Worte suchte. Also diese junge Frau, meine Frau, geht durch die Straße und sieht ein Schild »Erziehungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde«. Sie klopft an, ein Mann macht auf, und sie sagt meine Lieblingsbewerbungssätze. »Ich heiße May. Ich kann nicht gut Deutsch. Meine Ausbildung ist noch nicht fertig. Ich bin keine Jüdin. Ich möchte bei Ihnen arbeiten.« Und sie wurde auf der Stelle engagiert. Sie hat noch viele Jahre lang mit Günther Feldmann zusammengearbeitet. 38

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Geld kam dann schon. Ich kann mich nicht an ein Gefühl der Armut erinnern. Das ging irgendwie. Die anderen waren, glaube ich, alle in einer ähnlichen Lage. Minus mal Minus gibt ja Plus. Die Deutschen wollten ihre Künstler nicht mehr verhungern lassen, wie noch in der Weimarer Republik. Hör­ spiel-Produktionen waren früher sehr gut honoriert, Dürrenmatt hat da­ von gelebt. Ich auch bald. Ich habe im Lauf der Jahre vierunddreißig Hörspiele geschrieben und fast alle auch selbst inszeniert. Als ich, nach langen Jahren, zum ersten Mal mit einem Buch Erfolg hatte, einen Verkaufserfolg, merkte ich überhaupt erst, dass Bücher auch ein Posten im Budget sein können. Das war Der blaue Siphon. Dann gab es Sachen, die haben richtig eingeschenkt. Top Dogs am allermeisten.

Ich hatte eine Höllen­ energie. Ich hatte das Gefühl, ja, ich kann schreiben, das lohnt sich, das werde ich jetzt tun. Aber wir reden jetzt von vorher, von den ersten Mühen in der Ebene. Das Großartige war eben, ich hatte keine Erwartungen. Ich habe mein Leben lang nie irgendwelche Subventionen angefordert, das ist eine neue Erscheinung, die mich befremdet. Ein Dossier einschicken, in dem man graphisch tadellos darlegt, was man machen wird. Um Gottes willen! Ich habe nie jemandem erzählt, dass ich an einem Buch arbeite, bevor es fertig war. Schriftsteller brauchen keine Subventionen. Sie brauchen Orte, viel mehr Orte, als es heute gibt, wo sie publizieren können, für ein annehmbares Geld. Wir hoffen noch auf das nächste Buch, dass die Autobiographie nicht das letzte war. Ich danke. Im Moment ist alles noch eine weiße Wand, aber das ist normal. Dieses letzte Buch hat mich doch sehr angestrengt. Ich hoffe, dass man insbesondere den Schluss trotzdem als leicht

erzählt empfindet. In der Zeit war ich nämlich richtig krank – Wasser auf der Lunge, wie sich dann zeigte –, ich hatte ungefähr einen Monat lang, weil ich mir vorgenommen hatte, das Buch bis Ende des letzten Jahres fertig zu haben, gesund gespielt. Vor mir selber, May merkte es schon. Als die letzte Zeile geschrieben war, bin ich zusammengeklappt und im Notfall gelandet. Ich erlebe jetzt übrigens etwas sehr Schönes. Ich bin in unzählige Sprachen übersetzt, aber nicht ins Englische. Bis sich vor zwei, drei Jahren ein Verlag gefunden hat, Seagull Books in Kalkutta. In Indien! Ich war ein bisschen skeptisch zuerst. Und jetzt machen sie meine Bücher, eins nach dem andern in einem irre schnellen Rhythmus, sehr gut übersetzt von Donal McLaughlin. Phantastisch. Ich bin anderswo nochmals jung. Hier sterbe ich, und dort werde ich geboren. Großartig.

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Zunächst erschienen im ›Schweizer Buch­ handel‹, Zürich. Heft 7 / 2013

Buchtipp

352 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06868-9 Auch als Diogenes E-Book

»Erst träumen wir von der Zukunft, dann leben wir sie, und am Ende, wenn diese gelebte Zukunft vergangen ist, erzählen wir sie uns noch einmal.« Auch wenn diese Erinnerungen oft von Tragischem handeln, ihre Vitalität und Anschaulichkeit sind unübertrefflich. »Es gibt keine schlechte Zeile von Urs Widmer. Alles hat diesen konzen­ trierten, oft beschwörenden, oft märchenhaften Ton, der nahe und ferne Welten im Geistesflug vereint.« Die Welt, Berlin


Leseprobe Urs Widmer

Der Herzschlag der Welt Mit dreißig begann sein Leben als Schriftsteller. Die Zeit davor – es sind die historisch bedeutsamen Jahre zwischen 1938 und 1968 – bildet das Fundament seines Werks, und ihr ist auch sein jüngstes Buch, Reise an den Rand des Universums, gewidmet. Hier erzählt Urs Widmer von seinen allerersten Schritten ins Leben, von faszinierenden Forschungsreisen durch die Kontinente seines Elternhauses und von einer wundersamen Maschine, die sein Leben prägen sollte.

Illustration: © Tomi Ungerer

I

ch begann die Erforschung der Welt auf dem Rücken liegend. Rechts und links waren die Stoffwände des Betts, hinter denen ich keine weiteren Welten vermutete. Das neue Licht überflutete mich, nach neun Monaten gemütlicher Trübnis im warmen Fruchtwasser. Ich blinzelte, riss die Augen auf und schloss sie schnell wieder. Alles, was weiter weg als die Stummelfingerchen direkt vor meinen Augen war, war ein so grelles Geleuchte, dass ich keine Farben unterschied. Hell, sehr hell, so leuchtend, dass ich die Augen schließen musste: Das genügte mir. Meine Finger fassten den Rand der Bettdecke und ließen sie wieder los. Das tat ich unermüdlich. Fassen, loslassen. Allmählich trat ein erstes scharf umrissenes Etwas, das nicht ganz nah bei mir war, aus dem diffusen Licht hervor, in das ich starrte. Eine Kugel, die über mir schwebte und, wenn der übrige Raum dunkel geworden war, selber leuchtete. Eine

Lampe (»Lampe«). Auf dem Kugelboden häuften sich, innen hinterm trüben Glas, schwarze Trümmer an, unbewegliche Punkte. Nur hie und da, selten, bewegte sich einer von ihnen, eine Weile noch. War dann, wie die übrigen, auch eine tote Fliege (»toti Fliege«). Bald konnte ich sitzen, im Bett oder sogar auf der Wickelkommode (»Wickelkommode«), und zuweilen stand ich sogar, von meiner Mutter gehalten, auf dem Fensterbrett und presste meine Nase gegen das Glas. Zuerst sah ich gewiss, nach Kinderart, ausschließlich den kleinen Käfer direkt vor mir auf der Fensterscheibe, wenn meine Mutter »Schau dort, ein Häschen, schau!«, rief und weit nach draußen deutete. Ich jubelte auf, meine Mutter jubelte, und beide freuten wir uns, jeder über etwas anderes. Ferner Hase, naher Käfer. Dann aber sah ich sie auch: die Felder, den Wald, am Horizont die blauen Hügelberge, deren ruhiger Wellenfluss an einer Stelle von einem jäh abfallen-

den Knick unterbrochen wurde, einer Fluh, so als habe ein Riesengott dem Hügelzug einen Handkantenschlag versetzt. Wenn ich heute, ganz woanders, eine ähnliche oder gleiche Bergform sehe (die Natur wiederholt sich), wird mir warm ums Herz, bevor ich den Hügelknick sehe. Ich glühe unvermittelt auf jene besondere Weise, und also suche ich den Horizont ab: Und tatsächlich, dort ist sie, die Fluh meiner Kindheit, irgendwo in Brasilien oder Hessen. – In der Ferne auch, näher, ein Turm (»Wasserturm«). Rund, massiv, mit einem Dach wie ein Hut. Dass aus ihm das Trinkwasser in die Stadt hinunterfloss – und auch zu unserm Haus, obwohl es kaum tiefer stand –, erfuhr ich erst später und begriff noch lange nicht, wie das funktionieren sollte. Denn innen war der Turm, der bald das Ziel meiner Spaziergänge wurde, keineswegs voll Wasser, sondern leer und hohl. – Hie und da fuhr ein Auto unter meinem Fenster vorbei, wendete am Diogenes Magazin

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Straßenende (unser Haus stand auch für Erwachsene am Ende der bewohnten Welt) und kam zurück. Meine Mutter und ich winkten. Autos waren damals so selten wie Maulesel heute. Mein erstes Wort – erneutes Hörensagen – war Auto (»Auti«). – Meistens aber Raben, Hasen, Schwalben, Katzen, die ich, wenn sie sich bewegten, auch Auto nannte. Einmal ein Mann – inzwischen war Winter, die Sonne ließ den Schnee glitzern –, der einen Hasen angeschossen hatte. Der Hase tobte oder taumelte auf zerfetzten Beinen im Kreis herum und sah zu, wie der Mann über die Ackerfurchen zu ihm hinstolperte. Er fasste zwei, drei Mal daneben, dann packte er ihn bei den Hinterläufen und schlug seinen Kopf gegen die eisharten Schollen. Immer wieder. Endlich tat er den Hasen, der sich jetzt nicht mehr bewegte, in einen Sack, warf ihn sich über den Rücken und stapfte davon. Aber dann konnte ich gehen! Jetzt stand ich ohne Hilfe auf meinen Beinen, stützte mich an der Wickelkommode ab und fasste mein erstes Ziel ins Auge. Es war der Rahmen der offenen Tür, fern auf der andern Zimmerseite. Weit, sehr weit weg. (Kann sein, dass meine Mutter hinter mir war, meine ersten Schritte zu behüten. Denn wie sonst wäre ich aus dem Kinderbett hin40

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Walter Widmer, Bettingen, 1949

ausgekommen?) Ich holte tief Luft, ließ die Kommode los, setzte den ersten Fuß in die geplante Richtung, den andern, wieder diesen, jenen erneut, und so, immer schneller vorwärts taumelnd und stumm vor Konzentration, kriegte ich das Rahmenholz der Tür zu fassen. Wahnsinn! Ich war förmlich geflogen! Vor mir nun ein Korridor, der Korridor (»Gang«), und an seinem andern Ende, sehr, sehr weit weg, die Wohnungstüre (»Wohnigsdüüre«), die

Das Wohnzimmer. Ich stand wie die Forscher der frühesten Jahre, als sich Schwarzafrika zum ersten Mal vor ihnen auftat. sich just jetzt öffnete. Mein Vater, in Hut und Mantel. Das war also der Ort, wo die Verschwundenen warteten, bis ich für sie bereit war! Ich stürzte ihm entgegen. »Ja er kann ja gehen, der kleine Mann!«, rief er und hob mich hoch. Ich zappelte in seinen hochgereckten Händen und kreischte. Unter mir das Gesicht meines ebenso begeisterten Papas, aus dem mir die Zigarette entgegenglühte. Fern, als er mich hochstemmte, meine Nase versengend, als er mich zu sich niederzog. Die Mutter

stellte mich auf den Boden zurück. Auch sie glühte vor Stolz. Ich spurtete erneut los, ins Esszimmer (»Ässzimmer«) hinein. An seinem Ende, neben einer Fensterfront, ein Schrank mit blauen Türen. (Der »Ässzimmerkaschte«. Wie viele Dinge gab es in dieser Welt, deren Namen ich noch nicht kannte! Ist es nicht ein Wunder, wie locker ich inzwischen »Fensterfront«, »Schrank« und »Welt« sage und noch viel mehr – alle Wörter dieses Buchs –, als sei das selbstverständlich?) Die Schranktüren waren aus einem matten Glas, das dennoch spiegelte und in dem ich, auf den Schrank zutaumelnd, eine Gestalt größer und groß werden sah, bis ich Auge in Auge mit einem blauen Riesen stand. Keine Spur kleiner als ich. Ich stützte beide Hände gegen das Glas – mein Gegenüber tat das Gleiche – und staunte die Erscheinung an. Mich. Ich sah mich zum ersten Mal. Meine Augen, direkt vor mir. Die Nase, platt. Den Mund. Blaue Locken. Ich bewegte den Kopf vom Glas weg, aufs Glas zu, einige Male. Mein Gegenüber, ich, tat, was ich tat, sogar als ich ihm zuwinkte und in die Hände klatschte. Ich näherte mein Gesicht dem Glas. Der Fremdvertraute auch. Endlich pressten wir unsere Nasen aufeinander. Ich starrte in die großen blauen Augen des Andern.

Foto links: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto rechts: Privatsammlung Urs Widmer

Urs Widmer in seinem Arbeitszimmer in Zürich


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1: Nackttänzerin versteckt sich in einem Grapefruit-Haufen 2: Viereckige Salami-Häppchen, die beim Buffet keine Chance gegen die Crevetten-Canapés hatten

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ein zähnefletschendes Holzmonster Aber irgendetwas lockte meinen Blick dann doch von meinem Spiegel- auf dem Boden. Fische in grünem Wasser, Bilder in heftigen Farben, Decken bild fort. Es war ein Leuchten, das und Kissen. Riesige Fenster. Ich blickte mich anzog. So etwas wie glühende Luft. Ich drehte mich also zu dem lo- dahin, dorthin, auf jenes und auf dieses, ckenden Licht hin und stand starr vor weit in die Ferne und nah vor mich hin. Verblüffung. Ich vergaß mich und mein Als ob ich in ein Kaleidoskop für Rieblaues Gegenüber auf der Stelle. Vor sen hineinsähe, auf sich immer neu mir lag, vom Rahmen einer Schiebetür ordnende Farbmuster. Das Sonneneingefasst, eine Landschaft, die so reich licht strahlte. So etwas hatte ich noch war, dass sie kein Ende zu haben schien. nie gesehen. Das Wohnzimmer (»Wohnzimmer«), das auch für Große groß war. Ich stand Und sofort, um das Wunder vollstänwie die Forscher der frühesten Jahre, dig zu machen, setzte, von nah und doch ohne eine sichtbare Quelle, jenes als sich Schwarzafrika zum ersten Mal vor ihnen auftat. Mungo Park, Living­ Trommeln ein, jenes Geratter, das ich, stone, die gewiss genau so erregt nach fern allerdings, seit meinem ersten Tag gehört hatte und das mir so selbstverLuft schnappten, wie ich es jetzt tat. Es ständlich geworden war, dass ich war auch ihr erstes Mal, und auch sie glaubte, es sei der Herzschlag der Welt. erkannten, wie ich jetzt, in der neuen Fülle vorerst nichts Klares und Ver- Es hatte einen sich wiederholenden trautes. Auch sie konnten nicht auf Rhythmus und war doch nie gleich. Ein Anhieb sagen, wo das eine anfing und Rattern, ein Ratschen. Das Geklingel das andere aufhörte. Ob die schwarzen einer Glocke auch, in stets ähnlichen Stämme der Urwaldbäume nicht doch Abständen. Jedes Mal hörte dann das reglose Eingeborene waren, die sie Rattern auf, und das Ratschen setzte herzlich empfangen oder auffressen ein. Pausen auch, kurze, nach denen mochten. das Trommeln umso vehementer wieDer Zimmerkontinent leuchtete in derkam, als müsse eine verlorene Zeit allen Farben. Zwar sah ich weder Bäu- eingeholt werden. Kurbeln und Schnarme noch Eingeborene; aber Grün- ren. pflanzen und feurige Blumen in bauIch stürzte dem Zaubergetöse entchigen Vasen. Teppiche wie Wiesen, gegen. Kann sein, dass ich mich untermit Wollfäden, die knöchelhoch wuch- wegs an Möbelbeinen oder Stehlampen sen. Möbelbeine, Stahlrohre, Bücher- festhielt. Dass ich hinfiel und mich wände, schwarz geflammte Hölzer, wieder aufrappelte. Ich erreichte jedenDämonenfratzen an den Wänden und 16:51 falls das andere Ende des Raums, der SuF_Diogenes_56x80,5 08.07.2013 sich dort zu einer Art Bucht erweiterte. Einer dunklen Höhle. Das Geschepper war nun sehr nah, und jäh begriff ich, wo es herrührte. Von meinem Vater. Er produzierte diese Laute! Sein HinterHerausgegeben von der kopf ragte über eine breite Stuhllehne Akademie der Künste hinaus. Über seinem nackten Schädel schwebten die Kringel seines Zigarettenrauchs. Wie war er hierhergelangt? VOLKER BRAUN Wilderness · ADELBERT REIF Gespräch mit ISTVÁN EÖRSI über Georg Lukács · MARTIN TIELKE Carl Schmitt, Johannes Popitz und der WiderSo schnell? Er war doch eben noch bei stand · BASIL KERSKI, SEBASTIAN KLEINSCHMIDT, ADAM ZAGAJEWSKI Gespräch über den Essay · ADAM ZAGAJEWSKI Leichte Übertreibung · VLADIMIR JANKÉLÉVITCH Musik und Rhetorik · SEBASTIAN KLEINSCHMIDT Musikalität der Wohnungstür gestanden! Ich tauund Sakralität in den Gedichten Christian Lehnerts · CHRISTIAN LEHNERT Ein Licht, das uns nicht kennt · HANS JOAS Theologie unter freiem Himmel · CHRISTOPH melte ein letztes Mal los und hielt mich MECKEL Licht und Zwielicht · JAN WAGNER Alles setzt Segel · JEAN-HENRI FABRE Im Wald des Wissens · JOHANNES KÜHN Grad aufgewacht · LUTZ am Stuhl oder, mag sein, an einem Bein SEILER Die Insel · DURS GRÜNBEIN Die Lehre der Photographie · JÜRGEN BECKER Journal der Augenblicke und Erinnerungen · MATTHIAS WEICHELT des Vaters fest. »Papa!«, mit einem in Peter Handkes Geh- und Stehbücher · MONIKA RINCK Zur Kultur des Naturgedichts MARTIN MOSEBACH Architektur – Gedächtnis der Menschheit den Nacken gelegten Kopf zum Vatergesicht steil über mir hochrufend. Er Heft 4/2013 für 9 € · Zwei Probehefte für 10 € bemerkte mich nicht, mein Papa, starrbestellung@sinn-und-form.de te auf etwas, was ich nicht sah und hatTel. 030 / 423 66 06 · Fax 42 85 00 78 te einen spitzen Mund, als ob er pfiffe. www.sinn-und-form.de (Pfeifen konnte er auch mit der Ziga-

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rette.) Sein einer Arm und gewiss auch die unsichtbare Hand lagen ruhig auf der Tischplatte, aber der andere hob und senkte sich rasend schnell. Der Zeigefinger fuhr weit ausgestreckt in die Höhe und verschwand hinter dem Horizont der Schreibtischkante, tauchte wieder auf, verschwand erneut, in einem solchen Tempo, dass ich nur ein Gewirbel sah, tausend Finger, die wie besessen auf- und niederfuhren. Das Schlaggeprassel war nun dröhnend laut. Mir war klar, dass diese Wirbelfinger es verursachten. »Papa!«, rief ich. »Papi!«, so lange, bis mein Vater aus seiner Trance erwachte, den Zeigefinger da ließ, wo er gerade war – hoch über seinem Kopf –, und rief: »Ja hallo, was machst du denn hier?« Er setzte mich auf seine Knie, und endlich sah ich die Quelle all dieser herrlichen Trommellaute. Die Schreibmaschine (»Schribmaschine«). Schwarz, schön, geheimnisvoll. Der Vater schrieb nun mit mir auf den Knien, mich von hinten umarmend, und ich sah zu, wie die Buchstabenbügel aus ihrer Versenkung hochfuhren und aufs Papier wirbelten. Die Walze mit dem Papier ruckte vorwärts – Buchstabe reihte sich an Buchstabe – und klingelte, wenn sie an ihrem Ende angekommen war. Der Vater fetzte sie mit einem entschlossenen Ruck an ihren Anfang zurück. Das Ratschen! Das Aus-der-Walze-Reißen eines vollbeschriebenen Papiers, das Einspannen eines neuen: Das konnte mein Vater in einer Bewegung. Ich schlug auch auf die Tasten ein – mein Vater hielt mich nicht zurück; feuerte mich im Gegenteil an –, schaffte es aber nicht, die Tasten bis aufs Papier hinunterzudrücken. Auch nicht, als ich die ganze Faust nahm. Da verhedderten sich die vielen Buchstabenbügel. »Halt!«, rief mein Vater lachend und entwirrte das Metalldurcheinander. Ich half ihm, zerrte auch an den Bügeln herum. »Stopp!« Er hob mich von seinem Schoß hoch, setzte mich am Boden ab, und während ich ins Kinderzimmer zurückpurzelte, tippte er im alten Tempo weiter. Seine Rhythmen wurden leiser und leiser, und als ich bei meinem Bett angekommen war, klangen sie wieder so fern, als kämen sie aus mir.

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Leseprobe

Ilija Trojanow & Arnon Grünberg

Ein Idealist wider Willen In Couchsurfen und andere Schlachten hat der Romancier Ilija Trojanow die besten Reportagen von Arnon Grünberg zusammen­gestellt. Der niederländische Schriftsteller, der nie beim Militär war, zieht als Kriegsreporter nach Afghanistan, später in den Irak. Und er nimmt noch ganz andere Identitäten an: Investor, Zimmerjunge, Masseur sind nur einige der Rollen, die er spielt, um unsere Welt besser zu verstehen. Annährung an einen unorthodoxen Überzeugungstäter.

Foto links: © Isolde Ohlbaum; Foto rechts: © ullstein bild – Schleyer

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lija Trojanow: Was unternimmt ein Autor, um die Welt kennenzulernen? Schaut er aus seinem Fenster auf einen Baum, der sich dem Frühling zuneigt? Schließt er die Augen, um sich die Kindheit zu vergegenwärtigen? Betrachtet er von einem Hochsitz aus das Wild, das aus dem Wald der Ereignisse tritt? Zieht er eine Latzschürze an oder einen Overall oder irgendeine andere Uniform des Alltags, um zu erfahren, wie es ist, ein Anderer zu sein? Wagt er ein anderes Leben, für eine gewisse Auszeit? Setzt er sich wie ein Pilger dem Unbekannten aus? Viele Autoren sind scheu, introvertiert, gedankenverloren, selbstzentriert. Gelegentlich gelingen ihnen Gedichte, die Schüler späterer Generationen auswendig lernen und interpretieren müssen. Als Dexter Gordon von einem jungen, technisch brillanten Saxophonisten nach dem Geheimnis seines Spielens gefragt wurde, antwortete er:

»Leben.« Womit er die vielen Höhen und Tiefen seiner Leidenschaft und Sucht meinte. Jahrzehnte früher hat ein junger jüdisch-russischer Autor namens Isaak Babel den damals weltberühmten Maxim Gorki um Rat gebeten, wie er ein besserer Schriftsteller werden könne. »Gehe unter die Menschen!«, soll der ältere Autor ausgerufen haben. Babel befolgte diesen Rat gewissenhaft: »Als sich herausstellte, dass zwei oder drei meiner leidlich geratenen jünglingshaften Versuche nur zufällig geglückt waren, dass ich in der Literatur gar nichts würde ausrichten können, dass ich erstaunlich schlecht schrieb — da schickte Alexej Maximowitsch [Gorki] mich zu den Menschen. Und sieben Jahre — von 1917 bis 1924 — trieb ich mich unter den Leuten herum.« Babel meldete sich sogar freiwillig zum Dienst in der Roten Armee. Selten wurde Recherche unter existentielleren Bedingungen betrieben.

2006 beschloss Arnon Grünberg, damals alles andere als ein Jüngling oder ein Anfänger, sich diesen Rat zur Maxime zu nehmen und gleichfalls unter die Menschen zu gehen, »nicht als Spion, sondern als Beobachter«. Ein ungewöhnlicher, ein mutiger Schritt. Könnte ich ihn fragen, würde mich vor allem interessieren, was der Antrieb für diese Entscheidung war. Unzufriedenheit mit seinem Schreiben? Fernweh im übertragenen Sinne, ein gebrochenes Herz oder Entdeckerlust? Arnon Grünberg: 1994 erschien in den Niederlanden mein Debütroman Blauer Montag. Fast unmittelbar danach begann ich, für eine Zeitschrift Kolumnen zu schreiben und kurz darauf auch längere Beiträge für eine Zeitung. Beides tue ich noch immer, doch nach ungefähr zehn Jahren mit diversen Romanen und anderen Büchern erschien meine Welt mir mehr und Diogenes Magazin

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mehr steril und nur noch von der Beschäftigung mit bloßen Derivaten des Literarischen geprägt, d.h. in meinem Fall vor allem: sehr klein, von Lesungen in Buchhandlungen zu literarischen Festivals zu wieder einer anderen Lesung. Gut, zwischendurch schrieb ich auch noch und lebte, doch so vieles blieb unentdeckt: Welten, von denen ich nichts wusste oder nur das, was mir die Zeitungen präsentierten. Und das genügte mir nicht. Daneben begann

Arnon Grünberg als Masseur in Rumänien, 2009

meine Berührungsangst vor dem, was ich hier einfachheitshalber »die Wirklichkeit« nennen möchte, mir zunehmend auf die Nerven zu gehen. Die Furcht des Romanautors, sich auf das »Niveau des Journalismus herabzubegeben« oder durch zu ausgiebige Recherche literarisch verbrämte Soziologie zu betreiben – das alles erschien mir immer weniger als Versuch, die wahre Literatur gegen Instrumentalisierung von außen zu schützen, denn als plumpe Furcht vor der schmutzigen, unberechenbaren Realität, »Berührungsangst« eben. 2006 sagte ich bei einer Unterredung mit dem damaligen Feuilletonchef der niederländischen Zeitung NRC Handelsblad: »Seit fast zehn Jahren schreibe ich jetzt Kolumnen über meine Reisen und mein Leben – ich finde, das reicht: Ich möchte auch über andere Menschen und Welten schreiben.« Keine Fragen mehr beantworten, sondern sie stellen. Ich wollte der Rolle entkommen, die ich für mich irgendwann akzeptiert, doch die man mir eigentlich aufgedrängt hatte. Zudem war ich moralisch, auch wenn sich das vielleicht etwas pathetisch anhört, davon überzeugt, dass der Romancier die gesellschaftliche Wirklichkeit keinesfalls ignorieren darf, und 44

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diese Pose wollte ich auch nicht mehr vortäuschen. Ich wollte keinen harmlosen Zeitvertreib liefern, ich wollte meine eigene Rolle – die des Autors in einer Gesellschaft – besser begreifen. Im Februar 2006 hatte das niederländische Parlament für eine neue, vieldiskutierte Mission unserer Truppen in Afghanistans Süden gestimmt, und so erschien es mir logisch, dass meine erste Reise mich dorthin führen müsste. Ich hatte nie Militärdienst geleistet, die Armee kannte ich nur aus den Nachrichten und aufgrund von dem, was ich mir selber zusammenreimte, sagen wir ruhig: meinen Vorurteilen. Außerdem wollte ich wissen, was erklärter Pazifismus in einer Demokratie bedeutet, wenn diese Demokratie beschließt, auf den Kriegspfad zu gehen. Kurzum: Alles sprach für Afghanistan als Ziel meiner ersten journalistischen Reise. Die Chefredaktion der genannten Zeitung sträubte sich zunächst gegen mein Vorhaben: War das nicht zu gefährlich, womöglich würde es Leser befremden – bei einer Lesung in Deutschland fiel während einer Fragerunde später einmal das Wort »Kriegstourismus« –, und ich glaube, dass das Projekt auch die niederländische Ar-

In einer schmutzigen Welt kann auch der Schriftsteller nicht mit sauberen Händen herumlaufen. mee nicht unmittelbar begeisterte. Im Juli 2006 jedoch machte ich mich mit einer Einheit der niederländischen Truppen auf den Weg, und diese Erfahrung gab den Anstoß zu vielen weiteren journalistischen Projekten. Schließlich gibt es kein größeres Glück als das Befriedigen der eigenen Neugier. Die Rolle des Schriftstellers als reiner Ästhet – soweit es diese Spezies überhaupt noch gibt – war jedenfalls keine, die ich je für mich angestrebt hatte. In einer schmutzigen Welt kann auch der Schriftsteller nicht mit sauberen Händen herumlaufen. Ilija Trojanow: Über die Jahre hinweg hat Arnon Grünberg fremde Identitä-

ten angenommen, Erniedrigungen ertragen, Rollen gespielt, Missverständnisse ausgehalten und dabei stets seinen aufmerksamen Blick auf das Unvermutete gerichtet, sein geneigtes Ohr jenen geliehen, die einen Alltag bewohnen, der ihm zunächst befremdlich, exotisch oder grotesk erschien. Er war unter anderem Couchsurfer, Zimmerjunge, Brautshopper, Kellner, Masseur, Investor, er hat sich die Hände schmutzig gemacht und manches Mal in Situa-

Als »embedded journalist«, Afghanistan, 2007

tionen begeben, die ihn gewiss beschämt haben, ohne dass er seine Verlegenheit zeigen durfte. Doch allmählich, und das macht den besonderen Reiz dieser Reportagen aus, vertraut sich Arnon Grünberg dem Unbekannten an, so wie er es sich auf einem Sofa in der fremden Wohnung bequem macht. Nicht, dass es dort heimelig wäre, aber die scharfen Kanten der Fremde, das Verstörende am Unverständlichen, schleifen sich ab, und er beginnt hinter die Fassade des Offensichtlichen zu blicken. Wie wählt er die unbekannten Berufe und Lebensentwürfe aus? Nähert er sich ihnen mit der Naivität des Unbedarften? Oder bereitet er sich darauf vor wie ein Schauspieler des method acting auf seine nächste Rolle? Führt er Notizbuch von Tag eins an, oder lässt er sich zunächst treiben bzw. antreiben, bis er eine kritische Dichte der Erfahrung gesammelt hat, die ihn zum Stift greifen lässt? All das würde ich ihn gerne fragen. Arnon Grünberg: Eine ReportageIdee bringt immer wieder die nächste hervor: Nachdem ich einmal in Afghanistan gewesen war, wollte ich nochmals dorthin. Nachdem ich mich mit


diesen Reportagen dem Genre genähert hatte, dachte ich: Warum mich auf Afghanistan beschränken? Es gibt doch auch einen Krieg im Irak, ich könnte die US Army begleiten. Was machen die Amerikaner dort, was sind die Unterschiede, was die Übereinstimmungen der Situation in den Ländern? Treten die Niederlande am Hindukusch anders auf, was machen wir dort und warum? Und wer sind die Leute, die dort den Kopf für uns hinhalten?

Fotos: Sammlung Arnon Grünberg

Als Kellner bei der Schweizerischen Bundesbahn, 2008

Außerdem: Warum mich auf Soldaten beschränken? Es gibt andere Berufe und andere Welten, die ich erkunden könnte. Ich las über Reisen für amerikanische Männer, die im Ausland eine Braut suchen, zum Beispiel in der Ukraine, und ich dachte: Da muss ich hin! Und so kam ich auf das Thema Menschenhandel. So führt ein Thema immer wieder zum nächsten. Nach einer gewissen Zeit gab es allerdings auch Themenvorschläge und Anregungen von außen. Ich gehe vorbereitet, aber mit offenen Sinnen auf Reisen. Eine gewisse Naivität ist unerlässlich, wenn man wirklich beobachten will. Dabei benutze ich ein Notizbuch, denn alles muss stimmen – die Reportagen sind keine »Literatur«. Ich darf mir nichts ausdenken, alles muss dem Faktencheck standhalten. Und ich passe mich an, lebe mich ein. Nach ein paar Tagen ist man auf dem Stützpunkt im Irak genauso zu Hause wie in einem Hotel in Bayern. Uniformen können helfen, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Es geht mir nicht darum, Missstände an den Pranger zu stellen: Wo ich sie sehe, beschreibe ich sie, ich will aber niemanden zwingen, sich zu empören,

das wäre unhöflich und bringt wenig. Ich möchte beschreiben, was ich sehe, höre und rieche. Wenn irgend möglich, stelle ich mich vor. Ich bin Spion oder Amateur-An­ thropologe, aber auch ein Performance-Künstler und letztlich doch immer wieder der Autor – mit großem Respekt vor den Menschen, über die ich schreibe. Dabei bin ich mir des Machtgefälles zwischen Autor und Beschriebenen durchaus bewusst: Wer andere beschreibt, übt Macht über sie aus. Dies ist fast immer der Fall, vor allem, wenn das Geschriebene von vielen gelesen wird. Vom Naturell her bin ich eher Melancholiker als Aktivist, Melancholie scheint mir für einen journalistischen Schriftsteller die intelligentere Form des Aktivismus. Meine Absichten gehen eher dahin, zu analysieren, als zu verändern. In einer idealen Welt wäre ich länger am jeweiligen Ort des Geschehens geblieben, aber ich bin kein Soldat, kein Zimmerjunge, meine Anwesenheit ist per definitionem vorübergehend. Hätte ich mehr erfahren, wenn ich länger geblieben wäre, nicht einen Monat, sondern ein Jahr? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Alles ist ein Kompromiss, auch die Menge der Zeit, die ich an einem bestimmten Ort verbringen kann. Rückblickend betrachtet, sind diese Reisen Erkundungen des Tragischen. Letzteres liegt in der Konfrontation mit der Faktizität und im Akzeptieren des Schicksals. Die Komik ist dabei nie weit entfernt. Wie sonst könnte man dem Tragischen begegnen, ohne in Zynismus zu verfallen? Es gibt kaum etwas Schöneres, als sich selbst zu vergessen. Letztlich sind diese Reisen auch Versuche, den Anderen kennenzulernen, doch nicht als den Fremden, sondern als jemanden, der man selbst hätte sein können. Ilija Trojanow: Ich fürchte, Arnon Grünberg ist ein Idealist und Moralist wider Willen. Immer wieder scheucht er seine eigenen skeptischen Pferde auf, so sehr misstraut er festen Überzeugungen und dogmatischen Gesetzen, aber in seiner literarischen Weitstirnigkeit offenbart sich ein Suchender, der

die Abschottung bekämpft. Differenz ist für ihn eine zufällige Distanz, die überwunden werden kann (ob als Spion oder als Amateur-Anthropologe), Empathie ist für ihn integraler Bestandteil seines literarischen Verfahrens. Die Grenzen seines Verständnisses, vermute ich, sind die Schlag­bäume des bitteren Ernstes; wer Ironie nicht akzeptieren kann, wird selbst schwerlich Akzeptanz finden. Arnon Grünberg hinterfragt die vorgegebenen Ver-

Als Zimmerjunge in einem bayerischen Hotel, 2006

werfungslinien, weswegen seine Repor­ tagen nicht nur spannend, unterhaltsam und lehrreich sind, sondern zum Nachdenken anregen, über die eigene Position, die eigene Wahrnehmung, die eigene Gewissheit. Arnon Grünbergs Texte sind Karten aus aller Welt, mit eigenwilliger Projektion und Proportion, gezeichnet von einem provokanten Geist.

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Buchtipp

480 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06870-2

Eine abenteuerliche Reise durch unsere Gegenwart. Arnon Grünbergs Blick für das absurde Detail stimmt ebenso nachdenklich wie heiter.

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Ein außerordentlich vielseitiger Autor. Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, ist in vielen Genres zu Hause: Er schreibt Romane – vor allem historische – sowie Kinder- und Jugend­ bücher. Hartmann ist Träger zahlreicher literarischer Preise. Für Bis ans Ende der Meere wurde er 2010 mit dem Sir-Walter-Scott-Literaturpreis für historische Romane ausgezeichnet.

Foto: © Gaëtan Bally / Keystone Schweiz / laif

»Lukas Hartmann kann das: Geschichte so erzählen, dass sie uns die Gegenwart in anderem Licht sehen lässt.« Augsburger Allgemeine

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Interview

Lukas Hartmann

So könnte es gewesen sein

Foto: Archiv Diogenes Verlag

In seinem neuen Roman Abschied von Sansibar widmet sich Lukas Hartmann einer faszinierenden Geschichte: der Lebensgeschichte einer arabischen Prinzessin, die 1866 aus Liebe zu einem Hamburger Kaufmann ihre Heimat, die Insel Sansibar, verlässt, um mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Und der Geschichte ihrer Kinder. Die Saga einer west-östlichen Familie – nach einer wahren Geschichte. Diogenes Magazin: Wie sind Sie auf den Stoff Ihres neuen Romans gesto­ ßen? Lukas Hartmann: Freunde, die in Sansibar gewesen waren, erzählten mir vom kleinen Museum im ehemaligen Sultanspalast, das einer überaus spannenden Figur gewidmet sei, Emily Ruete alias Salme. Was ich stichwortweise erfuhr, elektrisierte mich vom ersten Moment an. Ich wollte unbedingt mehr wissen von dieser muslimischen Prinzessin, die aus Liebe zu einem deutschen Kaufmann aus Sansibar flüchtete und zum Christentum konvertierte. Je mehr ich in den nächsten Wochen zusammentrug, desto klarer wurde mir, dass sich in dieser Geschichte, die im 19. Jahrhundert beginnt, unsere Zeit mit ihren politischen und religiösen Konflikten spiegelt. Was hat Sie vor allem an diesem enorm vielschichtigen Stoff fasziniert? Zunächst die Fragen, die mich seit langem beschäftigen: Was geschieht, wenn

sich unterschiedliche Kulturen begegnen, aneinander reiben? Was heißt es, wenn ein machtloser Einzelner zum Spielball politischer Interessen wird? Was mich dann aber vollends in Bann zog, war die Geschichte der ganzen Familie. Emilys drei Kinder suchen ihre eigenen Wege zwischen den Welten des deutschen Vaters und der arabischen Mutter. Die ältere Tochter gelangt in die Südsee. Die jüngere heiratet einen General. Der Sohn, den Bismarck eine Zeitlang als Sultan von Sansibar vorsah, wird Pazifist und gilt in Deutschland als Landesverräter. Ihre Entscheidungen, auch ihr Scheitern werden lebenslänglich von der inneren Zerrissenheit der Mutter beeinflusst. Am Anfang Ihrer Arbeit steht ein ausführliches Quellenstudium. Was gehört alles zu diesen Recherchen? Ich habe alles Erhältliche zu Emilys Leben aufzuspüren versucht, ihre Memoiren, die 1885 erschienen, genau gelesen, auch ihre traurigen, vom Heim-

weh geprägten Briefe nach der Heimat. Ich habe mich in die Geschichte Sansibars vertieft und die Kolonialpolitik Deutschlands unter Bismarck studiert. Ich bin den Biographien der Kinder nachgegangen, habe Archive und Fachleute angefragt, Gästebücher von Hotels durchgeblättert, Friedhöfe besucht. Eins zog das andere nach sich. Ihre Arbeit gleicht ja zu Beginn der eines Historikers. Haben Sie echte Entdeckungen bei den Recherchen zu Abschied von Sansibar gemacht? Ja, einige. Das war manchmal eine geradezu detektivische Arbeit. Ich wusste zum Beispiel nicht, wann Antonie, Emilys ältere Tochter, gestorben war. Ich fand ihre Grabplatte auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg, sah das Todesdatum und fragte bei vielen Ortsarchiven nach, ob eine Antonie Brandeis-Ruete in den Akten verzeichnet sei. Aus Bad Oldesloe erhielt ich den Bescheid, sie gehöre zu den Bombenopfern des letzten großen FliegeranDiogenes Magazin

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griffs der Briten auf Deutschland am 24. April 1945. Eine traurige Ironie liegt darin, dass ihr Bruder Said damals bereits britischer Staatsbürger war. Waren Sie auch an den entlegeneren Handlungsorten? Falls ja, haben Sie dort Spuren der vergangenen Welt gefunden, die Sie in Ihrem Roman beschreiben? Ich reiste letztes Jahr nach Sansibar. Die Insel, lange von Arabern dominiert, war einst ein Umschlagplatz für Sklaven, dann ein wichtiger Handelsstützpunkt für deutsche und britische Firmen und entsprechend umkämpft. Davon ist noch heute vieles spür- und sichtbar. Es gibt zerfallende Paläste in Stone Town, es gibt die Steinhäuser der ehemaligen arabischen Oberschicht. In den Gassen der Altstadt erkennt man die unterschiedliche Herkunft der Einheimischen an der Hautfarbe und der Kleidung. Man kann die Höhlen besichtigen, in denen Sklaven wochenlang vegetierten, bevor sie weiterverkauft wurden. Und Gewürznelken, ein wichtiges Exportprodukt, werden noch heute so gewonnen wie vor hundertfünfzig Jahren. In den Daus, den einfachen Segelschiffen, befördern die einheimischen Schwarzen Waren wie damals – dazu heute aber auch nostalgische Touristen aus Europa. Spüren Sie, wann es Zeit ist, den ers­ ten Satz zu schreiben? Das ist der Moment, wo ich keine weiteren Fakten mehr aufnehmen kann und sich in meinen Notizen die Hauptfiguren so deutlich abzeichnen, dass sie für mich innerlich lebendig werden. Fällt Ihnen der Schritt schwer von den Fakten hin zur Fiktion? Haben Sie manchmal Hemmungen? Die Fiktion hat dort Platz, wo ich im Faktengewebe Lücken sehe, Leerstellen. Ich fülle sie so, dass sie aus meiner Sicht ins Muster passen. Der Roman als Genrebezeichnung sagt ja: So könnte es gewesen sein. Die Hemmung wäre dort, wo ich wüsste, dass ich mich jetzt ganz bewusst von den Fakten entferne. Das tue ich nicht. Wenn Sie sich für einen Ihrer Prota­ gonisten entscheiden müssten, auf wen fiele die Wahl? Welcher Figur aus Ihrem neuen Roman wären Sie am liebsten begegnet?


Natürlich Emily selbst. Aber auch ihrem Sohn Said. Mit ihm beginnt und endet der Roman. Er scheiterte mit all seinen Friedens- und Versöhnungsprojekten, aber an der Möglichkeit der Versöhnung – zum Beispiel auch zwischen Juden und Arabern in Palästina – hielt er hartnäckig fest. Prinzessin Salme von Sansibar, die spätere Emily Ruete, ist die heimliche Hauptfigur Ihres Romans, auch wenn sie selbst nicht direkt zu Wort kommt. Wieso haben Sie sich dafür entschie­ den, diese Geschichte aus der Per­ spektive ihrer Kinder zu erzählen? Was Salme letztlich dazu bewog, Emily zu werden, ist nie wirklich klar geworden. War es die überschwengliche, alle Rücksichten wegschwemmende Liebe zu einem »Ungläubigen«? Oder gab es noch andere Motive? Da blieb sie schweigsam. Ich denke, ihre Kinder mussten eigene Antworten finden, um ihre Identität zu festigen. Das ist der Roman im Roman: Sie stellen sich vor, wie es wohl war, als sich der Vater und die Mutter ineinander verliebten und sie, Salme, bereit war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und sie erkennen erst viel zu spät, wie sehr ihre Mutter Sansibar vermisste und wie schwer es ihr fiel, sich selbst als Deutsche zu sehen. Ihrem Roman ist ein Motto vorange­ stellt, Sie zitieren dort aus den Brie­ fen nach der Heimat von Emily Rue­ te: »Ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche.« Was bedeutet Heimat für Sie? Mit einem Wort: Zugehörigkeit. Sie umfasst die Familie, den Freundeskreis, aber auch Landschaften, Ortschaften, sinnliche Erfahrungen wie bestimmte Gerüche, Klänge, die Kindheitssprache. Und die Werte, die ich mit anderen teile. Erst wenn ich mich in diesem Sinn als zugehörig – und nicht ausgegrenzt – erlebe, entsteht das Gefühl, wirklich »behaust« zu sein, vielleicht auch: geborgen. Dies in der Fremde neu zu erwerben, neu aufzubauen und dabei die eigenen Wurzeln nicht zu verlieren, macht ja, wie wir wissen, die Schwierigkeit der Integration aus. Auch heute und gerade heute. Das ist

ein Hauptthema meines Romans, ein brandaktuelles, finde ich. Gibt es ein verbindendes Moment zwischen Ihren drei letzten histori­ schen Romanen, Bis ans Ende der Meere, Räuberleben und eben Ab­ schied von Sansibar? Ich schildere darin – so spannend und farbig wie möglich, hoffe ich – indivi-

duelle Schicksale auf dem Hintergrund ihrer Zeit. In allen meinen Romanen geht es um die Begegnung mit den »Anderen«, den Andersdenkenden, den Anderslebenden, den Andersfarbigen. Es geht um unsere Faszination und unsere Ängste, es geht um die Frage, was

Buchtipp

336 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06867-2 Auch als Diogenes E-Book

Eine Prinzessin von Sansibar, die mit einem Hamburger Kaufmann durchbrennt. Mit dieser verbotenen Liebe beginnt Ende des 19. Jahrhunderts die Saga einer west-östlichen Familie. Wer war Emily Ruete, alias Salme von Sansibar? Bis zuletzt stellen sich Emilys Kinder diese Frage: Ihre Lebenslinien verlaufen zwischen Orient und Okzident, Islam und Christentum, königlicher Abkunft und bitterer Armut – und führen mitten hinein in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

die Kluft zwischen Religionen und Ideologien aus uns macht. Und warum Toleranz und Respekt so oft den Knüppeln und Gewehren weichen müssen. Dabei interessieren mich nicht die einfachen Antworten, sondern die Widersprüche, die Komplexität der menschlichen Natur. Denken Sie, man kann aus der Ge­ schichte lernen? Ich glaube, es wäre möglich, daraus zu lernen. Aber zu viele Faktoren verhindern dies: Nationalstolz, uneinge­ standene Schuldgefühle, Verdrängung, Faktenblindheit, Machtstreben. So geschieht es, dass auf allen Ebenen die Fehler der Vergangenheit oft auf tragische Weise wiederholt werden. Von meinen Romanen erhoffe ich mir, dass sie die Vergangenheit immerhin ein wenig erhellen können. Der genaue Blick auf sie erlaubt es zumindest, die Gegenwart besser zu verstehen. Das ist schon viel. Sie haben einmal sinngemäß gesagt, nicht die Faktentreue (Sie haben es, glaube ich, »Wahrheit« genannt) sei das entscheidende Merkmal eines ge­ lungenen historischen Romans, son­ dern seine Wahrhaftigkeit. Können Sie das erläutern? Historische Fakten werden überliefert in Quellen aller Art. Aber die sind oft genug gefälscht und manipuliert. Zudem kann dasselbe Ereignis vom subjektiven Standpunkt aus – dem der Sieger oder Besiegten zum Beispiel – ganz unterschiedlich wirken und erzählt werden. Wem sollen wir trauen? Und was heißt hier »Wahrheit«? Es gibt sie nicht im absoluten Sinn. Wir können uns ihr annähern, sie einkreisen. Der Romanautor darf sich auch auf seine Intuition, seine Imaginationskraft verlassen. Sie holt unter Umständen ebenso viel ans Licht wie die Faktenrecherche. Und mich interessiert die Sicht der Besiegten manchmal mehr als die der Sieger. Ebenso neige ich den »Kleinen« zu, den wenig Bekannten, den Mitläufern, denen, die »Geschichte« erleiden und sie letztlich doch mitgestalten. Der Schreiber Grau in Räu­ berleben ist eine solche Figur, der Maler Webber in Bis ans Ende der Mee­ re. Und Emily Ruete ist es auch, samt ihrer Familie. ck

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Foto: © Peter Rigaud / laif

Leon de Winter, 1954 im niederländischen ’s-Hertogenbosch geboren, Romancier und Querdenker, Bestsellerautor und Filmemacher, hat einen neuen Roman geschrieben: ein aberwitziges, ein buntes, ein aufregendes Buch, von dem in hohem Maße gilt, was Der Spiegel einst über sein Werk sagte: »Leon de Winters Stärke liegt in der Synthese des Faktischen mit dem Phantastischen. Seine Romane sind Geschichten von hoher Komplexität, verwirrend wie das Leben, aber doch einfach wie die Energieformel von Einstein.«

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Interview

Im Gespräch mit Leon de Winter

Ein literarisches Varieté

Illustration: Saul Steinberg, Untitled, Variante einer Zeichnung publiziert in The New Yorker, 23. Juni 1945. © The Saul Steinberg Foundation / 2013 ProLitteris, Zürich

Ein großer Spaß: Bei der Vertreterkonferenz im Frühjahr 2013 führte Diogenes Verleger Philipp Keel ein Interview mit Leon de Winter. Mit viel Sinn für Selbstironie erzählte der niederländische Schriftsteller die kuriose Entstehungsgeschichte seines neuen Romans, der unterhaltsamer kaum sein könnte. Im Anschluss an dieses Gespräch wurde de Winter übrigens eine Goldene Diogenes Eule ans Revers gesteckt: die Verlagsauszeichnung für über eine Million – in seinem Fall: 1 028 922 – verkaufte Bücher. Philipp Keel: Lieber Leon, vor etwa einem Jahr habe ich bei dir zu Hause in Bloemendaal angerufen und Jessi­ ca [de Winters Ehefrau, die Schrift­ stellerin Jessica Durlacher, die Red.] gefragt, wo du steckst. »Ich habe ihn zum Teufel geschickt – nach Los An­ geles.« – »Aber wieso schickst du dei­ nen Mann weg? Das ist doch trau­ rig.« – »Das ist zwar traurig, aber dafür freue ich mich umso mehr auf seinen Roman. Und den würde er hier nicht schreiben.« Wie war das, als Jessica dich raus­ geschmissen hat? Leon de Winter: Angefangen habe ich mit meinem Roman, als wir noch in Santa Monica lebten, das war 2009 oder 2010. Es sollte ein Genreroman werden, ein klassischer Thriller. Aber ich kam damit nicht recht voran. Dann passierte auf einmal etwas, das ich nicht erwartet hatte. Theo van Gogh, der 2004 von einem Islamisten ermordete niederländische Filmemacher, erschien mir: Bei Recherchen über die Umstände seines Todes stieß ich auf einen YouTube-Clip, in dem van Gogh über mich redete. Es war schrecklich, was er sagte.

Ich war erschüttert, wütend, fühlte mich machtlos. Ich zeigte Jessica das Video, und es ging ihr genauso. Aber sie sagte: »Lass dich nicht aus dem Konzept bringen. Weg damit. Schreib einfach deinen Roman weiter.« Nach einigen durchwachten Nächten wurde mir klar: Das war eine Nachricht von Theo. Seine Botschaft lautete: »Jetzt, da du dieses Video gesehen hast, darfst du mit mir machen, was du willst.« Das war eine Befreiung für mich. Ich wusste: Er muss in meinem Buch auftauchen, selbst wenn es dann kein Thriller mehr ist. Das ist die einzige Lösung. Ich setzte mich also hin und schrieb das erste Kapitel, an einem Tag, in einem Zug. Und ich wusste gleich, das geht ziemlich weit, was ich da mache. Mein Gott … (lacht). Damals lebten wir in diesem wunderbaren Haus, dem Haus von Marilyn Monroes Psychiater. Jessica schrieb unten, in seinem Behandlungszimmer, wo Marilyn zwei Jahre lang jeden Tag gewesen war. Ich saß oben in meinem Arbeitszimmer. An diesem Tag rief ich runter (eigentlich rufe ich ständig nach ihr): »Du

sollst etwas lesen, was ich gerade geschrieben hab.« – »Ja, schick mir eine E-Mail.« – »Aber lies es gleich!« – »Ja, ja, ich lese es gleich.« Jessicas Tür steht immer offen. Ich bin nach unten geschlichen, um zu schauen, wie sie guckt, wenn sie das erste Kapitel liest. Mit offenem Mund, völlig schockiert starrte sie auf den Bildschirm. Und ich wusste: Es ist gut. Jessica meinte, ich solle einfach so weitermachen. Doch ich musste erst die Balance finden zwischen der Geschichte um den Gangster Max Kohn, der ja meine ursprüngliche Hauptfigur war, und dem Auftauchen von Theo van Gogh. Etwa anderthalb Jahre lang habe ich nur Listen angefertigt, Strukturen entwickelt. Ich wusste, wenn van Gogh in der Geschichte auftaucht, kann ich nicht außen vor bleiben. Und wenn ich mitmische, dann muss Jessica auch dabei sein. Ja, und was passiert dann mit uns? Und was ist mit Abraham Moszkowicz, einem meiner besten Freunde, einem in Holland prominenten Anwalt? Er sollte auch eine Rolle spielen. Auf einmal entstand eine ganz andere Geschichte, Diogenes Magazin

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etwas Neues, ich hatte so was noch nie ausprobiert, und es gab auch keine Vorbilder. Wie funktioniert so etwas? Fiel dir der Schritt vom Listen ma­ chen und Strukturen entwickeln hin zum Schreiben schwer? Hier kommt Jessica ins Spiel. Eine meiner großen Freuden ist es, morgens sehr früh aufzustehen und den Kindern ihr Schulbrot zuzubereiten. Sie sind zwar schon 15 und 17, aber dennoch … (lacht). Jessica sagte: »Wenn du so weitermachst, schreibst du das Buch nie zu Ende. Du solltest weggehen, überlass mir die Sandwiches, ich kann das auch. Komm erst wieder, wenn du den Roman zu Ende geschrieben hast. Beweise es mir, schick mir E-Mails – ich möchte das Wort ›Ende‹ sehen.« Wie lange bist du in Los Angeles ge­ blieben? Nicht sehr lange. Nur zwei Monate. Hingegangen bin ich im Februar 2012. Zwei Monate später stand die erste Fassung von Ein gutes Herz. Es war wie ein Traum, ein herrlicher Rausch. Mich zu vergessen, in diese Figuren zu schlüpfen. Ich hatte eine perfekte Struktur und keine Sorge mehr, ob das funktioniert, obwohl ich das Buch bis heute nicht definieren kann. Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich wusste, dass ich mich mit all diesen Figuren identifizieren, jede Figur respektieren, niemanden niederschreiben sollte. Jede Figur ist mir lieb und teuer. Und Theo van Gogh? Ihr wart doch so etwas wie Erzfeinde … Na ja, diese Feindseligkeiten zwischen van Gogh und mir kamen nur von einer Seite. Ich bin ihm nie begegnet, wir haben nie miteinander gesprochen. Im August 1984 hat er angefangen, mich zu beschimpfen. Das ging so bis 9  /  11. Dann verlegte er seinen Hass von mir auf den Propheten Mohammed. Eine illustre Gesellschaft … Theo van Gogh würde noch leben, wenn er bei mir geblieben wäre. Natürlich habe ich auch gewisse Phantasien gehabt, das gebe ich zu. Als er sagte: »Jetzt darfst du mit mir machen, was du willst«, dachte ich zunächst: Er ist zwar schon tot, aber ich töte ihn einfach noch einmal. Das wird ein literarischer Mord. Und dann werden alle sagen: Er war wirklich ein 52

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Teufel. Doch ich war dazu nicht imstande. Van Gogh hätte so was tun können. Seine künstlerische Arbeit war de­ struktiv. Ich glaube, es gibt zwei Sorten von Künstlern: die destruktiven und die produktiven. Die einen sind getrieben von Hass und Rache, sie wollen zerstören. Die anderen sind verletzlicher, sie arbeiten aus Liebe. Ich konnte Theo van Gogh nicht noch einmal vernichten. In dieser Hinsicht ist das Buch misslungen. Stattdessen geschah etwas anderes: Ich fand ihn immer weniger unsympathisch und dafür immer interessanter. Ja, ich empfand sogar Reue. Heute könnte ich mich vielleicht mit ihm verständigen. Das war zu seinen Lebzeiten nicht möglich.

Theo van Gogh würde noch leben, wenn er bei mir geblieben wäre. In gewisser Weise habe ich mich mit van Gogh versöhnt. Das war überraschend für mich, ich hatte es nicht erwartet, und es war auch nicht meine Absicht. Solche Dinge können passieren, wenn man eine Geschichte erzählt. Im besten Fall bringt man etwas zustande, das in der Wirklichkeit nicht möglich ist. Und wenn du doch versuchen woll­ test, Ein gutes Herz einzuordnen? Was ist das für ein Buch? Wie gesagt, ich habe keine Ahnung. Es ist kein Thriller mehr, obwohl es gewisse Elemente darin gibt. Es ist auch kein Rachedrama. Als mein Roman Leo Kaplan erschien, wurde ich von den sogenannten seriösen Literaturkritikern beschimpft. Das sei ja unmöglich, zu heiter, zu bunt, zu unterhaltsam. Das sei doch keine Literatur. Und ich dachte, ja, vielleicht ist da was dran, vielleicht ist dieser Roman so etwas wie ein literarisches Va­ rieté. Ein gutes Herz ist auch ein solches literarisches Varieté: Es gibt darin sehr ernste Passagen, dann kommt der

Clown, danach eine traurige Arie, dann wieder eine Tanzeinlage. Ich schäme mich nicht für dieses Etikett. Es ist der zweite Roman dieser Art nach Leo Ka­ plan. Und ich verspreche, dass ich so etwas nicht mehr machen werde. In Zukunft werde ich sehr seriöse, sehr literarische Bücher schreiben. Bloß nicht. – Warum musste im Ro­ man die Trennung her von deiner Frau? Nun ja, ich spiele damit. Sie verlässt mich dort, weil sie genug hat von dieser rechten politischen Scheiße, die ich jeden Tag verbreite. Ich kann mir vorstellen, dass sie eines Tages ein Buch schreibt mit dem Titel Der Kommenta­ tor. Jessica kann sich das übrigens auch sehr gut vorstellen. Ich fragte sie also, mit wem sie mich betrügen möchte. Mein Vorschlag: ein Arzt aus Beverly Hills. Ihre Reaktion: ein Architekt aus Venice, Los Angeles. Also hat sie ihren Architekten bekommen. Und auch ihr Buch über mich schreibt sie in meinem Roman. Ein sehr großer Erfolg übrigens … (lacht). Das alles hat sehr viel Spaß gemacht.

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Buchtipp

512 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06877-1 Auch als Diogenes E-Book

Eine Stadt wird in Atem gehalten, die Politik steht kopf. In Leon de Winters großem Welttheaterroman ziehen nicht nur erfundene, sondern auch real existierende Protagonisten die Fäden. »Genial, verspielt, boshaft, mit beunruhigenden Seiten – der Explosion von Gewalt im Herzen unserer Gesellschaft.« Arjan Peters /  de Volks­krant, Amsterdam


Leseprobe

Leon de Winter

Ein gutes Herz

Illustration: Roy Lichtenstein, ›Sunrise‹, 1965 Copyright © The Roy Lichtenstein Foundation, New York / 2013 ProLitteris, Zürich Foto: © akg-images

Turbulent geht es zu in Leon de Winters neuem Roman Ein gutes Herz und sehr selbstironisch, denn der niederländische Schriftsteller macht vor kaum etwas halt: Auch nicht vor seiner Ehe mit der Schriftstellerin Jessica Durlacher, die ihn hier verlässt. Doch de Winter weiß sich abzulenken. Weitere prominente Auftritte: der Filmemacher Theo van Gogh und der Anwalt Bram Moszkowicz. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht ausgeschlossen.

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onja lebte wie eine Nomadin – gut, eine reiche Nomadin mit Geld von der Familie –, das hatte mit dem Mann zu tun, den sie vor zehneinhalb Jahren verlassen musste, um sich selbst zu retten. Sie hatte Max Kohn verlassen, als ihr klar wurde, wie destruktiv er war. Nathan hatte sie in London zur Welt gebracht, danach war sie in die Dominikanische Republik gezogen, hatte ein Haus am Strand gemietet und über eine Niederländerin, die sie dort kennenlernte, eine robuste Babysitterin und Haushälterin gefunden. Zurück in Europa kam sie auf einer Restaurantterrasse in Juan-les-Pins mit einem Niederländer ins Gespräch. Sie erkannte in dem Mann mit dem silbergrauen, welligen Haar, dem entspannten Lächeln, den hellen blauen Augen gleich den bekannten Amsterdamer Anwalt Bram Moszkowicz wieder. Er hatte eine Villa in Biot. In seiner Begleitung war seine neue Liebe, die Fern-

sehmoderatorin Eva, intelligent, blond, mit leicht osteuropäischem Einschlag. Die beiden hatten mitbekommen, dass Sonja mit Nathan niederländisch sprach. Moszkowicz erzählte, dass er auch einen Sohn habe, der Nathan heiße. Sie freundeten sich rasch an, und immer, wenn Bram und Eva in der Gegend waren, riefen sie an und fragten, ob Sonja Lust hätte, sie in diesen oder jenen angesagten Club am Strand von Antibes oder Cannes zu begleiten. Als Moszkowicz und seine Geliebte einige Monate nach ihrer ersten Begegnung wieder einmal in Biot waren, luden sie Sonja zum Grillen ein. Mit von der Partie sollte auch der befreundete Schriftsteller Leon de Winter sein, der vor einem halben Jahr von seiner Frau geschieden worden war. Sonja war sofort klar, dass man sie mit dem armen verlassenen Schriftsteller verkuppeln und damit dessen Selbstvertrauen auf die Sprünge helfen

wollte. Sie sollte also besichtigt werden. Für sie war das kein Problem, und sie wollte diesen de Winter auch gern mal kennenlernen. Leon de Winter war nach vierjährigem Aufenthalt in Los Angeles in die Niederlande zurückgekehrt und verbrachte nun ein paar Monate in Südfrankreich, um ein Buch zu schreiben. Liebe auf den ersten Blick war es bei Sonja nicht. Er war vierzehn Jahre älter als sie und wog zwanzig Kilo zu viel, aber er war ein mitreißender Erzähler, der sich seiner selbst und seiner Bestimmung auf Erden ganz sicher zu sein schien. Sie hatte einige seiner Bücher gelesen und erinnerte sich besonders an einen seiner frühen Romane, für den sie sich in ihrer Schulzeit begeistert hatte, eine Geschichte über einen Schriftsteller, der seine große Liebe verpasste. De Winter hatte sanfte, irgendwie Unschuld ausstrahlende Augen – fasziDiogenes Magazin

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nierend, dass sich dahinter, wie seine Bücher bewiesen, eine kuriose Phantasie verbarg. Und mit welchem jugendlichen Feuer er über Politik und Film redete, fand sie rührend. Er wurde zu ihrem hartnäckigen Verehrer, ein schon fast aus der Mode gekommenes Wort, das die Sache aber gut traf. Dass er sich so um sie bemühte, hatte sie ihrer Meinung nach verdient. Und insgeheim erhöhte sich für sie der Reiz dadurch, dass er ein Schriftsteller war – in dem Roman, den sie als junges Mädchen gelesen hatte, knisterte es vor Sex und Romantik. Drei Tage nach ihrer ersten Begegnung wurde ihr ein Paket mit seinen Büchern zugestellt. De Winter hatte sich in einem Hotel in Menton einquartiert. Dort wollte er einen Roman über seine Ehe mit der Schriftstellerin Jessica Durlacher schreiben, die nach fast zwanzig Jahren in die Brüche gegangen war. (»Ein Ding der Unmöglichkeit, so eine Schriftstellerehe«, sagte er zu Sonja, »ich hoffe, du schreibst nicht.«) Aber als Sonja nach zwei Wochen seines verbalen Eroberungskrieges in seinem Hotelzimmer aus ihrem hautengen Kleid stieg und ihm zu tun erlaubte, worauf er seit Wochen fieberhaft hingearbeitet hatte, wie er bekannte, gab er den Gedanken an den Roman auf. Was das betraf, war er schwach und vollkommen durchsichtig – er war jetzt mit anderen Dingen beschäftigt. Einerseits fand Sonja es lasch, dass er das Romanvorhaben so leicht begrub (»Jessica arbeitet auch an einem Buch, und ich schätze, sie ist schneller«, sagte er über die Frau, die ihn wegen eines reichen Architekten aus Venice, Kalifornien, verlassen hatte), aber andererseits wusste sie auch, dass sie es nicht ertragen hätte, wenn er sich auf dem Papier in die Trauer über den Betrug seiner Ex eingekapselt hätte. Während der ersten Wochen ihres Zusammenseins sprach de Winter häufig von seiner Ex. Als er aber merkte, dass Sonja das irritierte, verkniff er es sich weitestmöglich und behielt die Demütigung, die ihm so zu schaffen machte, für sich. Es gelang ihm, Sonjas Leben mit neuer Energie aufzuladen: Zu sehen, wie de Winter jeden Tag mit unbändiger Neugier anging, wirkte inspirierend. Eine derarti54

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ge Munterkeit war zwar manchmal auch ermüdend, aber er steckte einfach immer voller Ideen für Artikel, Kolumnen, Filme und revolutionäre Produkte, die die Welt erobern würden. Aus all diesen Projekten wurde zwar meistens nichts, wie sie später feststellte, doch er verwandelte damit jeden noch so verregneten Tag in eine Wundertüte voll sonniger Optionen. Sie erzählte ihm, dass sie in Indien ein Heim für Esel finanziere. Er sah sie verdutzt an, und ihr entging nicht, dass ihm schon eine sarkastische Bemerkung auf den Lippen lag, bis er merkte, dass es ihr Ernst war. Es gebe fünf solcher Heime, erzählte sie, in Delhi, Ahmedabad, Gwalior, Sikar und Solapur. Rund zwei Millionen Esel arbeiteten in

»Ein Ding der Unmög­lich­keit, so eine Schrif­t­ stellerehe; ich hoffe, du schreibst nicht.« Indien für die Allerärmsten. Sie stellten deren wertvollsten Besitz dar, würden als Arbeits- und Lasttiere aber überbeansprucht und ausgelaugt. Sie seien lebenswichtig für diese armen Familien, doch wenn den Eseln etwas zustoße, könnten sie einen Besuch beim Tierarzt nicht bezahlen. Der Besitz eines Esels sei mindestens so wichtig wie die sogenannten Mikrokredite, erläuterte sie, und de Winter nickte verständnisinnig und schlug begeistert – ob echt oder gespielt, war schwer zu sagen – vor, dass sie darüber ein Buch- oder Filmprojekt machen müssten und er sich gerne mal eines dieser Heime mit ihr ansehen würde. Die meisten Männer hatten sie nur mitleidig angesehen, wenn die Rede auf ihre Esel-Manie kam. De Winter nahm sie ernst. Es wurde Sommer, und sie hatten tatsächlich so etwas wie eine Beziehung. Als de Winter für zwei Wochen auf Lesereise durch Deutschland musste, merkte Sonja, dass ihr seine Nähe fehlte. Da er nicht anrief, wählte sie nach einer Woche seine Nummer. Es war schon fast Mitternacht. Er nahm ab, war noch in einem Restaurant in

Berlin. Sein »Hallo, Sonja!« klang, als wäre sie eine entfernte Bekannte. Dann sagte er: »Ich bin gleich zurück.« Und eine Frau im Hintergrund antwortete: »Ich gehe nicht weg. Nicht, bevor die Sonne aufgeht.« Diese Ergänzung versetzte Sonja einen Stich, und sie merkte, dass sie eifersüchtig war. Eifersüchtig, sie? »Bist du nicht allein?« »Ich musste heute Abend in diese Talkshow, und die Moderatorin hat mich zum Essen eingeladen. Wie geht es dir?« Während sie ihn reden ließ, googelte sie rasch den Namen der Frau. Bekannte deutsche Journalistin. Nicht unattraktiv. »Du hast mich ja schnell vergessen«, sagte Sonja. »Nein. Ich denke die ganze Zeit an dich. Aber ich dachte, ich sollte dich vielleicht lieber nicht jeden Tag anrufen. Das ist aufdringlich.« »Ich mag es aufdringlich«, sagte sie. »Ich auch.« »Und welche Dame hast du da gerade am Haken?« »Den Haken kannst du ruhig weglassen.« »Wo bist du morgen?« »München.« »Wo?« »Vier Jahreszeiten.« Sie hatte sofort einen Plan, verriet aber nichts davon. Obwohl es schon spät war, rief sie ihre Hilfe für Nathans Betreuung an. Frühmorgens flog sie nach München. Man ließ sie in das für Leon de Winter reservierte Zimmer, und dort erwartete sie ihn. Gegen Mittag trat er mit einem breiten Grinsen ein. »An der Rezeption hieß es: ›Ihre Frau ist schon da.‹ Du bist die Einzige, die verrückt genug ist, so was zu machen.« Sie schlug die Bettdecke weg. Sie war nackt, wie er es sich im Fahrstuhl schon erhofft haben dürfte. Es kostete ihn zehn Sekunden, sich auszuziehen. Anschließend aßen sie zu Mittag, und um fünf Uhr nachmittags flog sie schon wieder zurück. Es schien wahrhaftig so, als sei sie glücklich. Sonja beschloss, mit Leon nach Amsterdam zurückzukehren, zum ersten Mal seit


Illustration: © Tomi Ungerer

der großen Katastrophe – als das bezeichnete sie jenes schlimme Jahr, seit sie entdeckt hatte, dass die Palästinenser das Jahr der Staatsgründung Israels, die ihr neuer Freund glühend verteidigte, Nakba, Katastrophe, nannten. Amsterdam war vertraut und übersichtlich. Sie hatte immer noch Freunde dort, und Leon fand gleich Nahrung für ein neues Buchprojekt. Er trug Material über den ermordeten Filmregisseur und Kolumnisten Theo van Gogh zusammen, nachdem er auf YouTube ein altes Fernsehinterview gesehen hatte, in dem dieser sich unter anderem über ihn ausgelassen hatte. Van Goghs zehnter Todestag nahte, und Leon wollte der Erste sein, der einen Roman über den Mann herausbrachte, der ihn 1984 zu seinem Lieblingsfeind erklärt hatte. Eine Abrechnung wollte er schreiben und damit die Geschichte korrigieren, die van Gogh heiliggesprochen hatte. Er zeigte Sonja Kolumnen van Goghs, in denen er sich über ihn geäußert hatte. Sie waren wirklich ekelhaft. »Warum willst du dich denn überhaupt mit dem befassen?«, fragte sie ihn. »Schreib doch lieber noch mal so einen Roman wie Leo Kaplan, eine Liebesgeschichte. Das war das Erste, was ich von dir gelesen habe, als ich siebzehn war. Und es war sehr aufregend.« »Seit er tot ist, fehlt mir sein Hass«, antwortete Leon. »Verrückt, dass einem so was wichtig werden kann. Aber ohne sein Gift ist alles ein bisschen öde. Er war ein komischer Typ, nicht talentlos, aber destruktiv und von daher elektrisierend für einen Geschichten­ erzähler wie mich.« Sie zogen nicht zusammen, aber Sonja fand eine Wohnung in derselben Straße des Concertgebouw-Viertels, in der Leon wohnte. Er blieb häufig über Nacht bei ihr, brachte sogar regelmäßig Nathan zur Schule und besorgte des Öfteren, trotz ihrer Einwände, etwas vom Surinamesen zum Abendessen. Sie setzte ihn auf Diät, und er nahm in zwei Monaten fünf Kilo ab.

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Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers

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Die Presse feiert Connie Palmens Logbuch eines unbarmherzigen Jahres, das zweite große Erinnerungsbuch der niederländischen Schriftstellerin, die zum zweiten Mal in ihrem Leben den Mann an ihrer Seite verloren hat: »Selten hat jemand so viel von sich preisgegeben – und dennoch seine Würde behalten.« Deutschlandradio, Berlin »Ein schonungsloses, berührendes Buch.« Anja Hirsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Eine intime Chronik der Trauer und das radikale Zeugnis einer großen Liebe.« WDR 3, Köln

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»Ein erhellendes Dokument des (Über-)Lebensmutes.« Gerhard Schmickl, Wiener Zeitung

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Porträt

Claudia Senn

Nichts für Feiglinge Connie Palmens Logbuch eines unbarmherzigen Jahres ist ein erschütterndes Dokument der Trauer. Wer den Mut aufbringt, das Buch zu lesen, wird es garantiert nicht mehr vergessen. Die Journalistin Claudia Senn besuchte die Bestsellerautorin in Amsterdam.

Illustration: © Anna Keel

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eunundreißig Kilo, Kiefersperre, Mund in Fetzen, Rachen in Brand, Magen greint, Darm jammert laut vor Leere, Herz rast, klopft, pumpt wie verrückt.« Connie Palmens Körper ist ein einziges großes Defizit. Der Geist von ständigem Sehnen erfüllt, dem rasenden Verlangen, ihren verstorbenen Mann zu sehen und zu liebkosen, »seinen prachtvollen Körper, gehüllt in diese seidenweiche, sonnengebräunte Haut«. Unbegreiflich erscheint ihr, dass ein Mensch diesen Zustand überlebt, dass er überhaupt zu überleben ist. Als sie glaubt, es nicht länger aushalten zu können, bittet sie ihren Bruder, der über jeden Schritt der vor Trauer halbverrückten Schwester wacht, um die Erlaubnis, sterben zu dürfen. Er verweigert sie ihr. Na gut, sagt sie erschöpft, dann eben nicht. So beginnt Connie Palmens Logbuch eines un­ barmherzigen Jahres, und falls das bisher noch nicht klargeworden sein soll-

te: Es ist keine Lektüre für Feiglinge. Wer in Büchern die leichte Unterhaltung sucht, sollte jetzt lieber gleich weiterblättern oder sich wieder Shades of Grey zuwenden. Jene aber, die den Mut aufbringen, einen Blick in die schreckliche, aber zutiefst menschliche Hölle der Trauer zu riskieren, werden ein Buch entdecken, das sie nie mehr vergessen werden. Die große Liebe, das endgültige Ende 48 Tage nach dem Tod ihres Mannes Hans van Mierlo begann die holländische Schriftstellerin zu schreiben. Erst war es mehr ein Hinkritzeln von Notizen über Liebe und Tod. Sie fing damit an, weil sie wusste, dass sie den Horror der ersten Monate vergessen würde, so wie man Zahnweh vergisst oder die Schmerzen einer Geburt. Das kam für sie nicht in Frage, »denn damit macht man einen Toten nur noch toter«. Log-

buch nannte sie die Aufzeichnungen, weil die Sprache ihr Log sein sollte, das Messinstrument für die Tiefe ihres Kummers. Connie Palmen (57) ist nicht nur in Holland eine große Nummer. Hierzulande wurde sie 1999 mit dem Buch I. M. bekannt, in dem sie so radikal intim über die Beziehung zu ihrer ersten Liebe Ischa Meijer schrieb, wie man es noch nie zuvor gelesen hatte. Die letzten 36 Seiten handelten davon, wie sie nach seinem plötzlichen Tod durch einen Herzinfarkt beinah zugrunde ging. Es war ein Vorgeschmack auf ihr aktuelles Werk. Nun ist also alles noch einmal passiert: die große Liebe, das endgültige Ende. Der Kennedy der Niederlande und die Bestsellerautorin Wir treffen Connie Palmen in ihrem Haus aus dem 17. Jahrhundert an einer Gracht im Zentrum von Amsterdam. Diogenes Magazin

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Es ist das Haus, in dem sie mit Hans van Mierlo glücklich war, ein wunderschönes, aber unprätentiöses, gemütliches Daheim voller Kunst und Bücher, in dem ständig Freunde vorbeikommen, um bekocht zu werden oder selbst zu kochen. Am liebsten würde man auf der Stelle einziehen. Das Erste, was einem an Connie Palmen auffällt, ist ihre Zierlichkeit. Ihr winziger Körper steckt in bequemen, aber schicken schwarzen Wollklamotten. Dazu trägt sie grobe Boots und ein überdimensionales Gilet aus Kunstfell, wohl gegen die Zugluft im alten Grachtenhaus. Die Haare, die sie sich ständig rauft, stehen nach allen Seiten ab. Manche Leute engagieren einen Stylisten, um so cool auszusehen. Connie Palmen ganz bestimmt nicht. Wer sein trauerndes, allem früheren Glanz beraubtes Ich zum Thema seines Buchs macht, kann kein eitler Mensch sein. Die Spuren, die Leben, Lieben und Leiden in ihrem Gesicht hinterlassen haben, sind schön. Denn sie passen zum ganzen Rest, auch zur warmen, dunklen Stimme, rauh durch Alkohol und Zigaretten. Auf der Kommode neben dem roten Sofa, auf dem wir uns niederlassen, stehen Fotos ihres verstorbenen Mannes. Ein attraktiver älterer Herr mit einem markanten Gesicht, Typ Silberrücken. Hans van Mierlo war nicht irgendwer, sondern einer der beliebtesten Politiker Hollands. In den Sechzigern gründete er eine sozialliberale Partei, er war Au-

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ßenminister, stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Die Holländer nannten ihn den Kennedy der Niederlande. Ein Freund bezeichnete ihn einmal als einen Tranquilizer von neunzig Kilo (»Für mich war das gerade ausreichend«, schreibt Connie Palmen). Er selbst sah sich eher als Straßenköter mit Manieren. Das Wunder der Verliebtheit Nähergekommen waren sich die beiden bei einem Abendessen in der Küche des Schriftstellers Cees Nooteboom und seiner Frau Simone, die einen Steinwurf entfernt auf der anderen Seite der Gracht wohnen. »In diesem intimen Rahmen sah ich ihn plötzlich anders, nicht mehr als den Staatsmann und Freund berühmter Männer«, sagt Connie Palmen. Palmen hatte mal wieder tüchtig dem Wein zugesprochen, so dass Cees Nooteboom seinen Freund Hans van Mierlo schließlich bat, die Angeheiterte nach Hause zu bringen. Doch der schleppte sie lieber in seine Höhle, wo sie gleich für immer blieb. Noch immer beginnt Connie Palmens Gesicht zu leuchten, wenn sie von diesem Abend erzählt. Es macht ihr sichtlich Spaß, das Wunder der ersten Verliebtheit auferstehen zu lassen. Auch jene Interna, die Paare sonst normalerweise für sich behalten, spart sie nicht aus. »Ich möchte provozierend

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freue mich auf «jedeIchAusgabe!»

privat sein«, sagt sie. »Man ist ein stärkerer Mensch, wenn man keine Geheimnisse hat.« Deshalb sollen die Leute ruhig wissen, dass sie gelegentlich zu viel trinkt oder mit welchen Ritualen sie und ihr Mann sich ihrer Liebe versicherten. Die Beziehung zu Hans van Mierlo war jene Art von Symbiose, die Außenstehenden bisweilen auf die Nerven geht, weil die eigene Liebe mit so viel Innigkeit nicht mithalten kann. Selbst wenn einer von beiden kurz aufs Klo ging, begrüßten sie sich bei der Rückkehr im Wohnzimmer, als wären sie stundenlang getrennt gewesen. Fuhr er mit dem Bus an ihrer Arbeitswohnung vorbei, rief er sie an, damit sie ans Fenster trat und sie sich zuwinken konnten. Er nannte sie »mein knurriges Kind« oder »mein Nagetierchen«. Als sie elf Jahre und elf Tage zusammen waren, heirateten sie. Keiner ahnte, dass ihnen da nur noch vier Monate blieben. Trauer, wie sie das Leben schreibt Hans van Mierlo war 24 Jahre älter als Connie Palmen. Hatte sie sich in irgendeiner Form darauf vorbereitet, dass er vor ihr sterben würde? »Das geht nicht«, sagt sie. »Da verweigert sich der Geist.« Angst ja, Angst davor habe sie immer gehabt. »Doch das absolute Wegsein, das der Tod bedeutet, ist zu groß, um es sich vorstellen zu können.« Im März 2010, nach einem

L I T E R AT U R

Thomas Hürlimann, Schriftsteller

Lesen. Besser leben. www.literarischermonat.ch

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n! l e 40.– l e F

s t r CH befür nu t z o

t b Jeahresa J


sechswöchigen Spitalaufenthalt, starb Hans van Mierlo mit 78 Jahren an den Spätfolgen einer Lebertransplantation. Als Nebenwirkung der Medikamente, die er einnehmen musste, um eine Abstoßung des Organs zu verhindern, hatte sich ein Krebs gebildet. Connie Palmen schreibt brillante Romane und Essays. Denken ist ihr Lust und Vergnügen, der Intellekt eine Heimat, in der sie sich auskennt und auch allein glücklich ist. Die Wucht ihres Logbuchs liegt jedoch gerade darin, dass sie ihre Trauer nicht intellektualisiert, sondern so präzise wie möglich zu beschreiben versucht. Darin unterscheidet sich ihr Buch von anderen Trauerbüchern wie etwa Das Jahr ma­ gischen Denkens von Joan Didion, die der Verzweiflung über den Tod ihres Mannes und ihrer Tochter mit den Werkzeugen des Geists zu entkommen versucht, mit Lesen, mit Ergründen, mit Wissen. Connie Palmen hat erkannt: Aus dem Höllenschlund der Trauer kommt man ohne Fühlen nicht heraus. Warum sollte sie ihren Lesern das ersparen? Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne um seine eigenen Toten zu weinen Ihren Schmerz beschreibt sie so erbarmungslos direkt, dass man sich unmöglich entziehen kann. Wir sind bei ihr, als sie sich nachts zu ihrem toten Hans schleicht, der in einem gekühlten Zimmer aufgebahrt ist, damit sich Freunde, Familie und Weggefährten von ihm verabschieden können. Wir spüren die Kälte, die von seinem Körper in den ihren kriecht, weil sie sich eng an ihn schmiegt, so lange, bis sie zitternd in ein wärmeres Zimmer flüchtet, nur um gleich darauf wieder zurückzukehren zu ihm, zu dem, was von ihm noch übrig ist. Wir schnüffeln mit ihr an seinen Pullovern, um ein paar letzte Duftmoleküle zu erhaschen. Wir fühlen mit, wie es ist, dass er überall nicht ist, was ihr dummer Körper einfach nicht begreifen will. Wir erstarren mit ihr im Schock, als – weil ein Unglück selten allein kommt – kurz nach dem Tod des Ehemanns auch noch eine groteske Anzahl von

Familien­mitgliedern und Freunden dahingerafft wird. Wie im Boxring fühlen wir uns mit ihr: Bamm! Bamm! Bamm! Immer noch ein Schlag. Und noch einer. Unfassbar, wie viel Kraft es gekostet haben muss, so viel Schmerz zu Papier zu bringen. Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne um seine eigenen Toten zu weinen. Die, die man schon verloren hat. Und die, die man noch verlieren wird. Das ist manchmal kaum zu ertragen, doch wer es dennoch auf sich nimmt, ist danach hoffentlich ein bisschen weniger ängstlich, weil er es gewagt hat, dem Ungeheuer ins Auge zu blicken. Die Trauer ist der Zoll, den man für die Liebe bezahlt Connie Palmen ist alles andere als ein Trauerkloß. In der Bereitschaft, ihr Schicksal mit allen Sinnen zu durchleiden, liegt etwas zutiefst Lebensbejahendes. »Die Trauer ist der Zoll, den man für die Liebe bezahlt, wenn man aus dem Land, in dem man geliebt wurde, in das Land kommt, in dem es nur noch die Erinnerung an diese Liebe gibt«, sagt sie. »Ich zahle diesen Zoll gern. Er kommt mir fair vor.« In Holland, wo ihr Buch bereits 2011 erschien, ist sie zu einer Art TrauerExpertin geworden. In Scharen pilgern die Untröstlichen zu ihren Lesungen, wo sie sich endlich nicht mehr so einsam fühlen in ihrem Kokon des Leids. Überraschenderweise gibt es dort sehr viel zu lachen. Kürzlich etwa beklagte sich eine attraktive Dame, dass ihr niemand ansehe, wie fürchterlich sie sich nach dem Tod ihrer Tochter fühle. »Verehrteste«, sagte Connie Palmen, »das liegt daran, dass Sie viel zu gut aussehen. Machen Sie es wie ich. Saufen Sie! Magern Sie ab! Qualmen Sie wie ein Fabrikschlot! Dann wird sich die Welt bald voller Mitgefühl um Sie kümmern.« Natürlich habe sie danach auch noch ernsthafte Worte des Trosts gefunden. Doch die Leute sollen weinend vor Lachen aus der Tür gehen. Das ist ihr erklärtes Ziel.

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Claudia Senn ist Kulturredakteurin bei der ›annabelle‹. Dieser Text erschien zunächst in der ›annabelle‹ 5 /13.

Buchtipps

Diogenes Taschenbuch detebe 23287, 400 Seiten

Im Februar 1991 macht Ischa Meijer, in den Niederlanden als Journalist berühmt-berüchtigt, mit dem neuen Shooting-Star der Literaturszene, Connie Palmen, ein Interview. Es ist der Beginn einer ›amour fou‹. Im Februar 1995 stirbt Meijer überraschend an einem Herzinfarkt. Connie Palmens bewegende Auseinandersetzung mit einer großen Liebe und einem Tod, der sie selbst fast vernichtet.

272 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06859-7 Auch als Diogenes E-Book

Am elften November 2009, dem Tag, an dem sie elf Jahre und elf Tage zusammen sind, heiraten die Schriftstellerin Connie Palmen und der mehr als zwanzig Jahre ältere Hans van Mierlo, einer der markantesten und beliebtesten Politiker der Niederlande. Am elften März 2010 stirbt van Mierlo in einem Amsterdamer Krankenhaus. »Wie stark ist diese kleine Person, wie tapfer und wie reich an Sprache! Sie ist nicht depressiv, sie ist tief traurig. Und immer blitzt dieser starke Lebenswille durch. Ein Leben rettendes Buch.« Elke Heidenreich / Die Welt, Berlin

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Foto: © Bastian NN Schweitzer / Diogenes Verlag


Essay

Ian McEwan

Die lange Nacht des Schriftstellers Wahrscheinlich kennen die meisten Schriftsteller Momente oder Phasen, wo sie der Glaube an ihr Medium und ans eigene Tun verlässt. Der britische Schriftsteller Ian McEwan hat diese Erfahrung – und auch die Möglichkeit einer Erlösung aus der Schaffenskrise – geistreich und lebensnah aufgezeichnet. Sein neuer Roman Honig, eine erotische Spionagegeschichte aus dem England der 70er Jahre, erscheint im Oktober bei Diogenes.

Illustration: © Paul Flora

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ie ein spätviktorianischer Geistlicher, der im Dunkeln über seinen Glaubenszweifeln schwitzt, kenne auch ich Momente, in denen mein Gottvertrauen in die Literatur ins Wanken und bis an den Rand des Zusammenbruchs kommt. Ich ertappe mich bei der Frage: Bin ich überhaupt ein Gläubiger? Und dann: War ich es je? Zuerst verflüchtigen sich die fragmentierten, auf den Kopf gestellten Erzählkonstrukte der experimentellen Literatur. Ach, so what … Als Nächstes folgt die wundersam unbefleckte Empfängnis des magischen Realismus. Aber zu dieser Glaubenslehre hatte ich ohnehin immer ein protestantisch-nüchternes Verhältnis. Doch wenn die eisige Flut der Skepsis erst einmal das Gewand des Realismus erfasst, dann weiß ich, dass meine lange Nacht begonnen hat. Jede Sinnhaftigkeit solchen Tuns ist fortgespült. Romane? Ich weiß nicht, wie oder wo die willentliche

Aussetzung der Ungläubigkeit noch zu praktizieren wäre. Was ein imaginärer Henry seiner nicht existenten Sue gesagt oder angetan hat, Henrys einsame Kindheit, sein Krieg, seine Scheidung, seine Ekstase, sein Ringen mit der Wahrheit und das in alledem aufschei-

Wenn der Gott der Literatur dich im Stich lässt, dann schwindet alles dahin. nende Spiegelbild seiner Zeit – ich glaube kein Wort davon, nicht den vorgestrigen Trick, der den Leuten vor­machen will, das Wetter stehe in irgendeiner Beziehung zu Henrys Gemütsverfassung, und nicht den vorgestrigen Trick, den Leuten überhaupt etwas vormachen zu wollen.

Wenn der Gott der Literatur dich im Stich lässt, dann schwindet alles dahin. Die mit Büchern bestückte Kirche und die mikrophonbewehrte Kanzel, der Katechismus des Interviewers, als Fragen getarnte Beichten, die lange Reihe der Supplikanten, die zur heilbringenden Signierstunde drängen, der Segen oder Fluch des Rezensenten. Ich gestehe, dass auch ich mich mit Gleichgesinnten zu jenen Podiumsgesprächen zusammengefunden habe, bei denen wir unsere Liturgie intonieren: dass dem Menschen der Fabuliergeist innewohnt, dass wir ohne Geschichten »nicht leben können«. Priester gehen ja immer davon aus, dass man ohne sie nicht leben kann. (Aber ja, wir können.) Mein zweiflerisches Herz sinkt, wenn ich durch die Belletristik-Abteilung einer Buchhandlung wandere und die Bücherstapel sehe, die sich auf den Novitätentischen prostituieren, die um Aufmerksamkeit bettelnden Phrasen Diogenes Magazin

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Es beginnt mit einem Schubs. Ein Detail – ein Satz oder eine Wendung – kann den ersten Schritt auf dem Weg zurück in den Schoß der Gemeinde anstoßen. Es braucht nichts Brillantes zu sein. Es muss lediglich eine gewisse Art imaginativer Wärme verströmen.

Der Atheist kann mit dem Gläubigen im selben Bett liegen, die Enzyklopädie mit dem Gedicht.

Unlängst war es das Wiederlesen zweier Kurzgeschichten, das eine solche Rückkehr zum Glauben auslöste. (In der Kürze liegt Überzeugungskraft.) Die erste war Nabokovs so berühmte wie vieldiskutierte Erzählung Zeichen und Symbole. Ein vom Leben gebeuteltes älteres Ehepaar will seinen seelisch kranken Sohn zum Geburtstag in der psychiatrischen Anstalt besuchen. Die Mutter trägt kein Make-up. Stattdessen »bot sie dem kritischen Licht der Frühlingstage ein nacktes, weißes Angesicht«. Perfekt getroffen und rhythmisch dicht um ein gedämpftes oder nicht augenfälliges Paradox gelegt – der Frühling, normalerweise ein Vorbote der Hoffnung, tritt hier lediglich als Kritiker ad personam auf. Die zweite Geschichte war Updikes Zweibettzimmer in Rom. Die Maples haben die Scheidung beschlossen, können aber doch nicht ganz voneinander lassen, wenn’s um Sex geht. Aus schierer Gewohnheit fahren sie nach Italien in die Ferien. Bald nach der Ankunft stellt Richard fest, dass die Schuhe, die zu Hause bequemstens passten, zu einem Folterinstrument geworden sind und dass er kaum mehr laufen kann. Als er mit Joan an einem Schuhgeschäft vorbeikommt, kauft er sich ein Paar schwarze Alligatorslipper. »Sie hatten zwar eine modisch schmale Form, aber sie waren wenigstens tot – sie zwickten ihn nicht so brutal und rachsüchtig wie die anderen.« Jenes »tot« gefiel mir. Der Alligator war tot, will diese gelassene Anmerkung bedeuten; die Marter in den amerikanischen Schuhen musste das Werk einer lebenden Kreatur gewesen sein. Dem Profanen wird, wie Updike es selbst formuliert hat, aufs Schönste Tribut gezollt – in unambitiösen, drolligen Worten. Ein ehemaliger Student der Cornell University hat in der Hochschulzeitschrift Triquarterly die folgende Erinnerung festgehalten: »›Liebkost die

Illustration: © Paul Flora

überm Titelbild (»Er liebte sie, aber konnte er ihr Herz gewinnen?«), die hinten auf den Umschlag gedruckten Handlungsabrisse in ihrem bierernsten Präsens: »Henry bricht aus seiner Ehe aus und gerät in eine Reihe wilder …« In solchen Momenten denke ich, dass ich ins Grab sinken werde, ohne Anna Karenina zum fünften oder Ma­ dame Bovary zum vierten Mal gelesen zu haben. Mit etwas Glück bleiben mir noch etwa zwanzig gute Lesejahre. Lehrt mich etwas über die Welt! Bringt mir die Kosmologen und ihre Lehren von der Entstehung der Zeit, die Historiker des Holocaust, den Philosophen, der eine Liebesheirat mit den Neurowissenschaften geschlossen hat, den Mathematiker, der dem Dummkopf die Schönheit der Zahlen erläutert, den Gelehrten, der um Aufstieg und Fall der Weltreiche weiß, die Adepten des englischen Bürgerkriegs. Von einigen dürftig gesäten Freuden einmal abgesehen – was habe ich bei der Lektüre irgendeines weiteren Romans zu lernen oder zu gewinnen, das über Henrys Reue oder Triumph hinausgeht? Würde mir ein Romancier einmal gütigst erklären, warum die industrielle Revolution stattfand oder wie genau das Higgs-Boson den Elementarteilchen Masse verleiht, wie die Moralvorstellungen sich entwickelt haben oder was Salieri vom Sängerknaben Franz Schubert hielt? Wäre mir wirklich an Henrys Seelenkrämpfen gelegen, könnte ich alleweil einen von Berrymans Dream Songs lesen, das nimmt keine vier Minuten in Anspruch. Die fünfzehn eingesparten Stunden verbrächte ich mit einer Studie zum Fallrecht (reale Ereignisse!) und hätte damit ein Lehrbuch über die Unbegreiflichkeit und Rohheit menschlicher Herzen zur Hand, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Diese Apostasie pflegt sich in dem Hiatus breitzumachen, der die Vollendung eines Romans vom Beginn der Arbeit am nächsten trennt. Es ist keine Blockierung, es ist eigentlich auch keine lange Nacht, sondern vielmehr eine profunde Gleichgültigkeit. Das Glück ist anderswo. Monate können verstreichen, und dann verschiebt sich etwas, rücken die Dinge wieder an ihren Platz.


Foto: © Chris Frazer Smith

Details‹, pflegte Nabokov zu sagen, mit rollendem R und einer Stimme wie die rauhe Liebkosung einer Katzenzunge, ›die göttlichen Details!‹« Ich nehme diesen Rat noch so gerne an. Ich will keine großen Ansprüche auf die beiden eben zitierten Sätze erheben, sie markieren lediglich den Moment, in dem meine Gleichgültigkeit aufzutauen begann. Sie waren Denk­ anstöße, keine Offenbarungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie jene generöse Fertigkeit illustrieren, mit der Literatur das mikroskopische Flechtwerk des Bewusstseins, das Klein­ gedruckte der Subjektivität zu annotieren weiß. Beides sind Erzählungen in der dritten Person, in die eine Perle subjektiver Erfahrung der ersten Person gebettet ist – das kritische Licht der Frühlingstage, die toten Schuhe, die nicht mehr zubeißen können. Indem man diese Formulierungen genießt, ist man nicht nur eins mit dem, der sie verfasst hat, sondern mit allen anderen, die auch daran Gefallen finden. In diesem Akt des Erkennens öffnen sich die Grenzen des Selbst ein wenig. Das passiert nicht, wenn man über die Wirkung des Higgs-Bosons liest. Ich weiß noch, wie ich einst als Kind ein Detail in einem Roman liebkoste. Diesen Moment zu erinnern ist auch eine Art, das Gottvertrauen in die Literatur wiederherzustellen. Die Erfahrung war hypnotisch und zeitigte lebenslange Folgen, denn sie zeigte mir, wie sich die Welten von Fakt und Fiktion gegenseitig durchdringen können. Ich war dreizehn Jahre alt und allein in der Schulbibliothek, ganz im Banne von J.  P. Hartleys The Go-Between. Leo, der Romanheld, stammt aus ärmlichen Verhältnissen und verbringt im Jahr 1900 die Sommerferien bei einem Freund auf dem stattlichen Landsitz von dessen Familie. Der Fokus der Geschichte liegt natürlich auf Leos Rolle als Botengänger in einer heimlichen Liebesaffäre. Aber was mich tatsächlich fesselte, waren die brütende Julihitze und die Faszination, die das Thermometer im Treibhaus auf den Knaben ausübt – wird es bis auf hundert Grad Fahrenheit klettern? Dann trifft die jüngste Ausgabe des Satire­

magazins Punch im Landhaus ein, und eine Karikatur darin zeigt »Mr. Punch mit Schirm, wie er sich den Schweiß von der Stirn wischt, während Hund Toby mit hängender Zunge hinter ihm schmachtet«. In der Erinnerung sehe ich mich das Buch beiseitelegen und, von einem jähen Geistesblitz getroffen, zur anderen Seite der Bibliothek eilen, wo die alten Punch-Hefte gebunden auf den Regalen standen; ich zog den Band für das Jahr 1900 heraus und blätterte zur JuliAusgabe. Und da waren sie: der hitzegeplagte Hund, der Schirm und Mr. Punch, der sich ein Taschentuch an die Stirn presste! Es war wahr! Ich war hingerissen, beglückt von der Macht des zugleich Imaginären und Realen. Und flüchtig überkam mich eine zuvor nie gekannte Traurigkeit, das Heimweh nach einer Welt, von der ich ausgeschlossen war. Für einen Augenblick war ich Leo gewesen, hatte gesehen, was er sah, und dann war es wieder 1962 und ich im Internat, ohne Liebespaar, dem ich zu Diensten sein konnte, ohne Sommerhitze und nur mit diesem kleinen Überbleibsel aus einer vergilbenden Zeitung in der Hand. Damals vermochte ich es noch nicht so genau zu fassen, aber ich hatte gesehen, wie der Realismus durch die Wirklichkeit gestützt werden kann. Zwanzig Jahre später versuchte ich es selbst. Dinge, die nie geschehen sind, können sich mit realen Ereignissen verflechten, ein imaginäres Wesen kann einem aus Fleisch und Blut die Hand reichen, kann in deinem eigenen Haus leben, wie es einer meiner Henrys einst tat, es kann alles lesen, was du selbst gelesen hast, und sogar mit deiner Frau schlafen. Der Atheist kann mit dem Gläubigen im selben Bett liegen, die Enzyklopädie mit dem Gedicht. Alles, was man in den Monaten der Apostasie staunend in sich aufgenommen hat – Wissenschaft, Mathematik, Geschichte, Jurisprudenz und so weiter –, kann man mit sich nehmen und fruchtbar machen, wenn man, einmal mehr, zum wahren Glauben zurückgekehrt ist. Aus dem Englischen von Angela Schader

Mit Honig fängt man Fliegen – eine schöne Geheimagentin in literarischer Mission

464 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06874-0 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Sex, Spionage, Fiktion und die Siebziger: Serena arbeitet beim britischen Geheimdienst MI5. Weil sie auch eine passionierte Leserin ist, wird die junge Frau auf eine literarische Mission geschickt. Ian McEwan lockt uns mit gewohnter Brillanz in eine Intrige um Verrat, Liebe und die Erfindung der eigenen Identität.

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Serie

Astrid Rosenfeld

auf der einsamen Insel Jeder kennt die Frage: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« Das Diogenes Magazin macht es ein wenig spannender (und bequemer), und so darf Astrid Rosenfeld mehr als nur ein Buch auf die Insel mitnehmen. Nach ihrem erfolgreichen Debüt Adams Erbe erschien 2013 ihr zweiter Roman Elsa ungeheuer bei Diogenes – eine Geschichte voller Humor, Tragik und Liebe, bevölkert von eigenwilligen Figuren, die einem schnell ans Herz wachsen.

Roman Vladimir Nabokov, Lolita

Musikinstrument Gitarre. Kann ich nicht, wollte ich aber immer schon mal lernen.

Sachbuch Niklas Frank, Meine deutsche Mutter

Möbelstück Mein blaues Sofa

Lyrik Rainer Maria Rilke, Duineser Elegien

Technisches Gerät Laptop Kleidungsstück Absatzschuhe

Theaterstück Arthur Schnitzler, Reigen

Oper Richard Wagner, Tannhäuser

Zeitung Die Zeit TV-Sender Habe seit zehn Jahren keinen Fernseher, will auch keinen auf der einsamen Insel.

Pop / Rock Tom Waits, Frank’s Wild Years

Lebenspartner Tom Waits (wenn er will) Lebensretter Meine Schwester

Essen (nicht süß) Steak

Radiosender Indie 1031

Gesprächspartner Mein bester Freund

Film Apocalypse Now

Essen (süß) Marillenknödel

Streitpartner Mein bester Freund

TV-Serie Six Feet Under

Getränk (nicht alkoholisch) Wasser

Briefpartner Dorothy Parker

Schauspieler James McAvoy

Getränk (alkoholisch) Wodka

Nachbar Leonard Cohen

Schauspielerin Faye Dunaway

Gemälde Rembrandt van Rijn, Andromeda an den Felsen gekettet

Haustier Carlos, der Hund meines besten Freundes

Foto Ein Bild von meinen Eltern

Joker Zigaretten

Klassik Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem

Im nächsten Magazin: Lukas Hartmann 64

Spiel Tontaubenschießen

Diogenes Magazin

Illustration: © Bosc; Foto: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag

Erzählung F. Scott Fitzgerald, Gesammelte Erzählungen

Parfum Hermès, Un Jardin sur le Nil


Die Hochzeit von Lumpenpüppchen DieBesenstiel Hochzeit von und undLumpenpüppchen wer alles dabei war und Besenstiel und wer von alles dabei von Carl Sandburg mit Bildern Harriet Pincuswar

MAURICE SENDAK

ALLLL O W E E N HA H OW E E N

WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN

von Carl Sandburg mit Bildern von Harriet Pincus

vvoonn E D WAARRDDGG OO RE RYE

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Diogenes Diogenes

36 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01158-6

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DIOGENES

DIOGENES

32 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01166-1

48 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01165-4

DIOGENES 40 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01161-6

raymond briggs

O je, du fröhliche

Illustration: © Jean de Brunhoff

diogenes

64 Seiten, Halbleinen Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01157-9

ca. 40 Seiten, Halbleinen Vierfarben druck ISBN 978-3-257-01167-8 Erscheint im Dezember 2013

ca. 40 Seiten, Halbleinen Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-01168-5 Erscheint im Dezember 2013

32 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-00601-8

Die besten Geschenke für alle! Diogenes Magazin

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Foto: © 1999, Paul Schirnhofer / Agentur Focus


Vorabdruck Donna Leon

Gondola Illustration oben: © 1996, Gilberto Penzo; Foto unten: Canaletto: ›Bacino di San Marco am Himmelfahrtstag‹, um 1733 / 34. The Royal Collection. Foto: © 2011 Her Majesty Queen Elizabeth II/ Bridgeman

In diesem Ausschnitt aus ihrem neuen Buch Gondola erzählt die Wahlvenezianerin von einem singenden Hund und einem amerikanischen Freund, der sich am Bau einer Gondel versucht – ein irrsinniges Unterfangen, das Donna Leons Neugier weckt. Aus Neugier wird Faszination und schließlich ein reich bebildertes Buch mit vielen Anekdoten über die schwimmenden Gefährte und die traditionsreichen Gondellieder, die das Ensemble ›Il Pomo d’Oro‹ auf der dem Buch beiliegenden CD zu Gehör bringt.

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er seit Jahrzehnten in Venedig lebt, dem sind die Gondeln ein ebenso vertrauter Anblick wie den New Yorkern ihre gelben Taxis: Wir nehmen sie kaum noch zur Kenntnis und verschwenden kaum einen Gedanken darauf. Gleichgültig nehmen wir hin, dass alle anderen Boote abwarten, um ihnen die Vorfahrt einzuräumen. Der Ruf der Gondolieri vor dem Einbiegen gehört zur alltäglichen Geräusch­ kulisse. Höchstens ein traghetto würden wir als bequemes Fährschiff benutzen, um über den Canal Grande überzusetzen, wenn wir es eilig haben oder schwerbeladen vom Rialtomarkt zurückkehren. Vor etwa neun Jahren bekam ein amerikanischer Freund zu Weihnachten – ursprünglich war es, glaube ich, als Scherz gedacht – den Konstruktions­ plan für eine Gondel geschenkt, komplett mit detaillierter Bauanleitung. Er schlug den Plan auf und begann ihn auf dem Esstisch auszubreiten. Mit jedem Abschnitt, den er entfaltete, mussten mehr Flaschen, Teller und Besteck auf die Anrichte ausweichen oder in die Küche zurück. Der Plan wuchs und wuchs. Erst als er seitlich über alle vier Tischkanten herabhing, gab mein Freund Ruhe und vertiefte sich in die beigefügte Anleitung.

Wohl oder übel balancierten die Gäste ihre Teller auf den Knien oder ließen alle Hoffnung auf das Weihnachtsessen fahren und begnügten sich mit Wein und gepflegter Konversation. Jene über den Plan gebeugte, unentwegt vor sich hin murmelnde Gestalt

ignorierten wir so weit wie möglich. Bis mein Freund, das Gesicht von der Vision der fertiggestellten Gondel erleuchtet, sich plötzlich aufrichtete und sagte: »Das ließe sich machen.« Auch die zweite Inspiration erhielt ich – was Wunder in Italien – beim Abendessen, wenn auch in einem anderen Teil der Stadt, unter anderen Gästen. Einer meiner Freunde wohnt direkt

am Canal Grande, inmitten beglückender Pracht und Schönheit. Dies beschert ihm leider auch endlose Touristenströme, die unter seinem Fenster auf Gondeln vorbeischaukeln, in größeren Gruppen, einen Akkordeon­ spieler und einen Sänger am äußersten Rand. (Was einen auf Ideen bringen könnte.) Während wir unseren Risotto aßen, hörten wir, wie – darf ich es wagen, dieses Wort zu verwenden? – die Musik sich näherte. Der Akkordeonspieler quetschte ein paar Töne aus seinem Instrument, dann krächzte die Stimme eines Tenors, den meine irische Großmutter einen »Whisky-Tenor« genannt hätte, ein deplaziertes O sole mio, das zu uns auf die Galerie heraufdrang. In diesem Moment sprang Artù, der Hund des Gastgebers, auf die breite Fensterbank (nun, er quälte sich als Dackel eher hinauf ), warf den Kopf zurück und begann so herzzerreißend zu jaulen, dass besagte Großmutter sich zweifellos an eine Unheil verkündende banshee erinnert gefühlt hätte. Völlig außer sich, sei es, weil die Musik ihn peinigte – uns ging es ja nicht anders –, sei es, weil er irrtümlich glaubte, sein Rudel habe sich unten versammelt und verlange nach seiner DackelsolidaDiogenes Magazin

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kamen. Dazu mussten die elf Meter langen Planken auf der Oberseite immer feucht gehalten werden, während er sie von unten mit dem Gasbrenner traktierte, um sie gleichsam in die erwünschte Form zu zwingen. Für den Schiffsrumpf brauchte er ein Jahr, und danach begann er sancón und piàna einzusetzen, die Streben, die sich von einer Seite zur anderen spannen und am Ende mit den Bodenplanken oder pagiòl abgedeckt werden. Mir wurde deutlich, wie sehr der Gondelbau eine Übung in dreidimensionalem Denken ist, denn die gewölbten Seitenwände umschließen einen unregelmäßigen Hohlraum – als wäre das Boot eine schiefe Riesenbanane –, und der Erbauer muss immer im Hinterkopf haben, was als Nächstes an der Reihe ist und an welcher Stelle es eingepasst werden muss. Im Lauf des zweiten Jahres beanspruchte die Gondel immer mehr Platz, bis schließlich ein ganzer Raum der Tischlerei sich angefüllt hatte mit langen und kurzen Brettern, Stangen und Stegen, Pflöcken und Elementen, für die es nur im Venezianischen einen Namen gibt. Nicht nur hatte sich ein erheblicher Teil der Werkstatt in eine Gondelwerft – un squero – verwandelt, auch beherbergte eine der Werkbänke mittlerweile Unmengen von seltsam geformten Holzstücken. Noch seltsamer war, dass der italienische Zimmer-

mann sich von dem amerikanischen Hobbyschreiner in die Feinheiten seiner Arbeit einweihen ließ, insbesondere das Zuschneiden und Hobeln der nomboli (Seitenplanken), der piróni (Bolzen und Nägel aus Holz) und des pontapìe (schräge Holzstütze für den hinteren Fuß des Gondoliere). Im Ganzen wurde der Zimmermann Zeuge der Herstellung von mehr als zweihundert tragenden und nicht tragenden Zier- und Zweckteilen, darunter eine erhebliche Anzahl schlichter Holzplanken. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Gondel, anders als ein Puzzle, nicht aus fertig zugeschnittenen Teilen zusammengesetzt wird. Vielmehr muss die Person, die das Boot baut – Fälle, in denen sich eine Einzelperson daran versucht hätte, sind allerdings so gut wie unbekannt –, jedes einzelne Stück per Hand oder Maschine zuschneiden und es so präzise bearbeiten, dass es sich reibungslos in seine Umgebung einfügt. Fugendicht, wohlgemerkt. Nach einem weiteren Jahr war mein Freund beim trasto de mèso angelangt und begann sich Gedanken darüber zu machen, woher er die allerschönste fór­ cola bekommen könnte. Nun hatte ich inzwischen meinerseits genug Wissen erworben, um zu erkennen, dass solche Überlegungen noch um mindestens ein Jahr verfrüht waren, denn die fórcola, die Gabel, in der das Ruder geführt

Joseph Heintz der Jüngere: ›Regatta in Murano‹, 1648. Museo Correr, Venedig. Foto: © Alinari / Bridgeman

rität, heulte Artù zum Gotterbarmen, während die Touristen auf den randvollen Booten Fotos schossen und ihm begeistert zuwinkten. Derweilen rief der Gondoliere – nicht der Tenor – zu ihm hinauf: »Ciao, Artù. Che togo che ti xe.« Ich zähle viele Sänger zu meinen Freunden. Keinem von ihnen ist je von einem Gondoliere bescheinigt worden, was für ein wunderbarer Sänger er sei, und keiner von ihnen ist je, mit zurückgeworfenem Kopf jaulend, von einer Schar japanischer Touristen fotografiert worden. Doch genug von Artù, widmen wir uns wieder dem Gondelbauer. Denn der machte sich eilends ans Werk, und zwar eine Stunde Weg entfernt, außerhalb der Stadt, wo er eine Tischlerwerkstatt aufgetan hatte, in der er sich ungehindert ausbreiten konnte. Nein, er ist kein Zimmermann, auch wenn er schon Schränke, Tische, Türen und sogar einen ausgeklügelten Schreibsekretär angefertigt hat. Aber eine Gondel zu bauen – und zwar ganz allein, darauf war er noch nicht verfallen. Ein Jahr verging. Ab und an begutachtete ich seine Fortschritte und fühlte mich dabei wie Katharina die Große, die an der Eremitage vorfährt, um den Fortgang der Bauarbeiten zu kontrollieren. Ich verbrachte fast einen ganzen Nachmittag damit, ihm dabei zuzusehen, wie die Eichenbretter für die Seitenwände der Gondel ihre Biegung be-


Links: Canaletto: ›Rio dei Mendicanti‹, 1723/24 (Ausschnitt). Ca’ Rezzonico, Museo del Settecento, Venedig. Foto: © Alinari / Bridgeman; rechts: Canaletto: ›Die Regatta auf dem Canal Grande von Ca’ Foscari aus gesehen‹, um 1740 (Ausschnitt). Windsor, Royal Borough Museum Collection. Foto: © 2013 DeAgostini Picture Library /  Scala

wird, kann erst eingesetzt werden, wenn das ganze Boot fertiggestellt ist. Ich beschloss, sein vorauseilendes Interesse als Optimismus zu interpretieren und nicht als reines Wunschdenken. Während das Boot allmählich Gestalt annahm, verstopften immer weniger Bootsteile den Raum, wie ja auch zusehends weniger Teile auf dem Tisch verstreut liegen, je mehr ein Puzzle sich seiner Vollendung nähert. Zu Beginn des vierten Jahres war der Punkt erreicht, an dem die parti deco­ rative, die Zierteile, zu fertigen waren, nämlich die sentolìna und die caenèla. Inzwischen hatte sich der Zimmermann vom Miete kassierenden Saulus zum Paulus gewandelt, der, vollständig bekehrt, unbedingt am Werk teilhaben wollte. Mein Freund jedoch ließ ihn al-

lenfalls mitwirken, wenn es etwas Schweres zu heben gab, niemals aber bei der eigentlichen Bauarbeit. Der fertige Rumpf musste abgedichtet werden. Zu diesem Zweck wird Werg mit Harz getränkt und in die schmalen Fugen zwischen den aneinanderstoßenden Planken gepresst. Ein paar Schichten Harz fixieren das Ganze, später dann, vor dem Farbanstrich, wird der gesamte Innenraum der Gondel noch mit Pech versiegelt. Es gingen viereinhalb Jahre ins Land, bis die Gondel mit zahllosen Schichten Harz überzogen, gestrichen und für

wasserdicht befunden wurde. Alle Zierstücke waren nun an ihrem Platz, die fórcola erworben und das ferro, der Eisenbeschlag am Bug, ebenso wie sein Gegenstück am Heck befestigt. Es war Zeit, die Gondel zu Wasser zu lassen. Dazu mussten starke Männer gefunden werden, die das aufgebockte Boot zu einem Transporter tragen konnten. Zweiunddreißig an der Zahl folgten dem Aufruf, eine Parade strammer Muskeln, wie sie uns das Leben nur selten präsentiert. Sie hoben die Gondel an und trugen sie, 350 Kilogramm schwer, langsam zu einem achträdrigen schweren Lkw. Der Fahrer ließ die Seilwinde herunter und beförderte das Boot auf die Ladefläche, wo es erneut auf einem Holzgestell ruhen würde, bis es seinen Bestimmungsort erreichte. Die Fahrt dauerte eine Stunde. Ich saß im Auto eines Freundes und konnte mitverfolgen, wie Fußgänger und Autofahrer die Köpfe verdrehten, als der Lkw vorbeikam. Eine Gondel? Auf der Autostrada? In Tronchetto, dem Parkplatz am Ende der Brücke, die vom Festland her­überführt, nahm sich eine weitere Winde der Gondel an, hob sie vom Lkw und ließ sie sanft ins Wasser schweben. Kaum begann sich das Manöver herumzusprechen, liefen immer mehr Menschen am Kai zusammen und beobachteten gebannt, ob die Gondel sinken oder schwimmen würde. Sie schwamm, und nun endlich stieg der heroische Erbauer hinab in sein Boot, ging zum Heck und nahm das Ruder entgegen, das ein Freund ihm von oben reichte. In Jeans und Tennisschuhen, ohne Strohhut und ohne neapolitanischen Sänger an Bord, begann er hinauszurudern, weg vom Pier, der Mündung des Canal Grande entgegen. Wir alle, die wir ihn bis hierher begleitet hatten, um beim Stapellauf dabeizusein, brachen in Jubel aus, und schon bald stimmten die Arbeiter auf dem Kai mit ein. Unser Rufen und Pfeifen muss eine steife Brise oder eine starke Strömung hervorgerufen haben, denn binnen kurzem war die Gondel in der Dunkelheit unter der Bahnbrücke verschwunden. Erst ein paar endlose Minuten später tauchte mein Freund im Sonnenlicht auf der anderen

Seite wieder auf, lenkte in einem Bogen nach rechts in den Canal Grande und entschwand unseren Blicken. Diesmal waren es die versammelten Hafenarbeiter und Bootsleute, die ein großes Hurra anstimmten, und schon bald standen wir alle beisammen, klopften uns gegenseitig auf die Schultern und jubelten dem Boot hinterher, das endlich auf dem Weg in seine Heimat war.

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Aus dem Amerikanischen von Karsten Singelmann

Buchtipp Donna Leon

Donna Leon

Gondola Gondola Geschichten · Bilder · Lieder

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Mit einer CD Venezianische Gondellieder gespielt Mit einer CD vom Ensemble ›Il Pomogespielt d’Oro‹ Venezianische Gondellieder Gesang: Vincenzo Capezzuto vom Ensemble ›Il Pomo d’Oro‹ Gesang: Vincenzo Capezzuto Zugabe: Cecilia Bartoli Zugabe: Cecilia Bartoli

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140 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06855-9 Erscheint im Oktober

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Foto: © The Selby / Trunk Archive


Leseprobe

Gabriel Roth

Gleichung mit einer Unbekannten Aller Anfang ist schwer. In Liebesdingen allemal. Eric Muller ist ein Computergenie – man könnte ihn auch als hochintelligenten Nerd bezeichnen. Mit dem Verkauf einer Software ist er schwerreich geworden, aber das hilft ihm bei Maya, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat, auch nicht weiter. Liebe kann man schließlich nicht kaufen. Ein Date mit Hindernissen, ein Date mit Folgen ...

Foto: © Melissa Stewart

J

etzt ist genau der richtige Zeitpunkt, ihr zu schreiben. Der Tag nach unserer Unterhaltung wäre zu ungeduldig rübergekommen, drei Tage hätten zu offensichtlich von Interesse gekündet. Wir waren gerade mit mir fertig und wurden unterbrochen, bevor wir auf dich zu sprechen kommen konnten. Bezieht sich auf einen gemeinsamen Scherz; spielt vorsichtig auf die peinliche Lauren-Geschichte an; lädt zu einer Antwort ein. Also, bitte nenne mir drei Dinge, die ich nicht über dich weiß und auf die ich nie kommen würde. Effekthascherisch, klar, aber darum geht es ja: der offensichtliche erste Schritt, die Abwesenheit jeglicher pseudoplatonischen Rechtfertigung für die Kontaktaufnahme – das vermittelt Wagemut und Entschlossenheit, als wäre ich im Besitz eines angeborenen Selbst­ bewusstseins, das Tricks und Kniffe überflüssig macht. Wenn sie kein Interesse hat, wird sie nicht antworten, was enttäuschend, aber nicht demütigend

wäre. Enttäuschung liegt innerhalb meines Risikotoleranzprofils. Ich habe keine Ahnung, wie die Leute Sex haben konnten, bevor es E-Mails gab. Ich drücke Steuerung-Shift-D und schicke mein jüngstes Zuneigungsgesuch in die Welt hinaus. Am nächsten Abend Mein Computer piept, und der Name Maya Marcom erscheint ganz oben in meinen Nachrichten, im Vorschaufenster die Worte: 1. Ich habe einen Jagdschein. 2. Ich bin lieber in der Wüste als in den Bergen oder am Strand. 3. Das verrate ich dir nicht. Folgendes wird passieren: Ich werde ihr eine weitere E-Mail schicken, in der ich diese Informationen als Ausgangspunkt für eine zarte Bindung verwenden werde, dann schickt sie mir wieder eine, der Vertrautheitsgrad steigert sich langsam, und dann wird unser Aus-

tausch darin gipfeln, dass ich eine Verabredung vorschlage, vorgeblich, um Themen zu besprechen, die in diesem Dialog aufgekommen sind, aber eigentlich geht es darum gar nicht. (Wer die erste E-Mail geschickt hat, nimmt die Sache beim dritten Zug in die Hand.) Der kokette E-Mail-Austausch ist der Augenblick, in dem Aussehen und Selbstvertrauen kurzzeitig in den Hintergrund treten und Witz, gutem Augenmaß und korrekter Zeichensetzung den Vortritt lassen. Schwierig wird der nächste Schritt. Ich habe ein Treffen unter der Woche in einer Bar vorgeschlagen. Der Feierabend-Drink setzt sie nicht so unter Druck – er verschafft ihr die Möglichkeit, nach ein, zwei Stunden abzuhauen –, ist aber leicht ausbaubar. Man kann jederzeit fragen: ›Hast du auch Lust, was essen zu gehen?‹ Als wäre Essen ein Hobby, das sie vielleicht zufällig teilt. Meine standardmäßige KuDiogenes Magazin

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lisse für eine erste Verabredung ist eine ruhige Bar namens Lazarus auf der Valencia Street, nur einen Block entfernt von einem mittelpreisigen neokubanischen Restaurant, das Desserts anbietet, deren Namen Unzüchtigkeit heraufbeschwören: sündhafte Schokoladentarte, unbefleckter Vanilletraum an Pfirsich-Coulis. Das ist die bestmögliche Umsetzung der Vorgaben. Ich komme ein paar Minuten zu spät, weil ich annehme, dass auch sie ein paar Minuten zu spät kommen wird. Die Bar ist eine Pseudospelunke, dekoriert mit großen VierzigerjahreBlechschildern, die für Limonade und Zigarettenmarken werben, die es schon lange nicht mehr gibt. Es sind nur etwa ein Dutzend Leute in drei oder vier platonischen Feierabendgruppen da. Ich fühle mich bereit, jegliche Situation zu meistern, jeden Gegner auszuspielen, bis Maya hereinkommt und mich anlächelt, da packt mich die alte Angst, aus der Bar geworfen zu werden, weil ich unter einundzwanzig bin. Ich begrüße sie ohne Körperkontakt, denn die derzeit möglichen Begrüßungen mit Körperkontakt wären ein Händedruck, ein Luftkuss oder eine Oberkörperumarmung, aber nichts davon ist ein guter Anfang für eine Verabredung. Stattdessen ziehe ich einen Barhocker für sie heran und tue so, als würde ich so tun, als wäre diese Zurschaustellung von Höflichkeit ironisch gemeint.

»Kommst du direkt von der Arbeit?«, frage ich Maya. »Ja, ich bin gerade fertig geworden«, sagt sie. Drei endlose Sekunden lang scheint es, als würde keinem von uns noch etwas einfallen, als würden wir unsere Drinks schweigend leeren müssen und dann nach Hause gehen. »Was ist mit dir? Hast du überhaupt geregelte Arbeitszeiten, oder bist du jetzt dein eigener Boss?« »Ich teile mir meine Zeit ziemlich frei ein«, sage ich. Ich erkläre nicht, womit ich diese Zeit verbringe. Irgendwann werde ich ihr erzählen müssen, dass ich reich bin, aber ich weiß noch nicht, wann: zu früh, und ich bin ein Angeber, zu spät, und ich habe etwas zu verbergen. Ich will ihr eine Frage stellen, die sie nicht schon tausendmal gehört hat – sonst greift sie auf eine vorgefertigte Antwort zurück, und wir spulen ein vorgefertigtes Drehbuch ab. Natürlich kann ich ihr auch keine Vorstellungsgesprächsfrage stellen, wie: ›Wer würde bei einem Kampf in einem neutralen, gallertartigen Medium gewinnen – der Bär oder der Hai?‹, dann würde sie mich für einen Volltrottel halten. »Was ist die beste Story, die du bisher geschrieben hast?«, frage ich stattdessen. Es funktioniert: Sie muss dar­ über nachdenken, und es gibt eine öffentliche und eine private Antwort, was immer gut ist. Sie erzählt mir von der Story, mit der sie Preise gewonnen

hat, die sie an Herausgeber schickt, wenn sie etwas in deren Zeitschriften veröffentlichen will – eine zweimonatige Recherche der zwielichtigen Geschäfte um einen lukrativen Waterfront-Entwicklungsauftrag, in die der ehrgeizige Sohn eines Schuhmagnaten, ein Berater des Bürgermeisters und der Partner dieses Beraters, der als Bezirksstaatsanwalt kandidierte, verwickelt waren. (Selbst ich hatte davon etwas mitbekommen, als die Sache ans Licht kam: Es machte Schlagzeilen im Chro­ nicle, und es gab einige Rausschmisse.) Aber dann erzählt sie mir von der Geschichte, die ihr am meisten bedeutet hat, die sie sich ins Gedächtnis ruft, wenn sie schlecht drauf ist: eine Story über den Priester einer katholischen Kirche in Ingleside, der ein paar scheußliche Sachen über gleichgeschlechtliche Ehen gesagt hatte, und über die Aktivisten, die daraufhin als Nonnen verkleidet vor der Kirche protestierten. »Eigentlich sollte es eine schnelle Nummer werden«, erklärt sie. »Ein paar O-Töne von jeder Seite, ein Foto von den exzentrischen TransvestitenNonnen. Aber schließlich habe ich drei Tage lang mit Leuten in der Gemeinde gesprochen, habe zugesehen, wie sie Suppe an Obdachlose verteilten, die Gottesdienste besucht und versucht zu verstehen, was es für sie bedeutete, dass diese Typen in Nonnenkostümen jeden Tag vor ihrer Kirche standen. Als

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ich das gemacht hatte, musste ich natürlich auch Zeit mit den Nonnen verbringen, und das waren die coolsten, witzigsten, ehrlichsten Menschen, die ich je getroffen habe. Die meisten waren katholisch erzogen worden und hatten darunter unendlich gelitten. Ich war so nervös, als ich den Artikel schrieb, weil die Leute auf beiden Seiten sich mir so geöffnet hatten, mir einen Einblick in ihr Leben gewährt hatten, da wollte ich allen gerecht werden, aber sie hassten sich nun mal.« »Was ist daraus geworden?« »Ich hab mich da total reingesteigert«, antwortet sie. »Bis zur letzten Sekunde fügte ich Dinge hinzu und nahm welche raus, zählte die zitierten Worte von jeder Seite und versuchte, beiden gleich viele zu geben. Es ist wohl ein bisschen mit mir durchgegangen. Als der Artikel veröffentlicht wurde, kam ich morgens in die Redaktion, und es waren zwei Nachrichten für mich da. Ich bin immer ganz kribbelig, wenn eine meiner Storys rauskommt, und habe panische Angst davor, meine Nachrichten zu lesen, weil die normalerweise von Leuten sind, die mich verklagen wollen. Aber an diesem Tag waren zwei Nachrichten da. Eine war von dem Priester, die andere vom Anführer der Protestler, und in beiden stand im Prinzip: Danke.« »Grandios!«, sage ich, weil es wirklich grandios ist und weil ich total in sie verknallt und froh bin, dass ich ihr sagen kann, dass sie grandios ist, indem ich vorgebe, über ihren Artikel zu reden. »Und wie ist das bei dir?«, fragt sie. »Steigerst du dich auch manchmal so in deine Arbeit rein? Hast du so was wie ein Lieblingsprogramm, das du geschrieben hast?« Die Antwort auf beide Fragen lautet: ja. Aber die Freude am Hacken erschließt sich anderen Leuten einfach nicht. Wenn sie wie die meisten Leute ist, sind Computer ihr fremd. Geheimnisvolle elektronische Totems, die der Pflege durch eine Schamanenkaste mürrischer Gnome bedürfen, die im Keller ihres Bürogebäudes leben. »Ich vertiefe mich ziemlich in die Arbeit«, sage ich. »Und was ich für das Startup gemacht habe, die Benutzeroberfläche, die ich entworfen habe, da-

rauf bin ich stolz. Ich meine, ich finde, es ist eine ziemlich gute Lösung für ein paar spezielle Probleme. Aber sich darüber zu unterhalten ist wahrscheinlich langweilig für jemanden, der nicht programmiert.« »Du machst dir viele Gedanken darüber, wie du die Leute auf deine Seite bringen kannst, was?«, stellt sie fest. »Was meinst du damit?« »Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn du meine Frage beantworten würdest? Ich glaube nicht, dass ich mich langweilen würde. Aber was würde passieren, wenn ich mich im schlimmsten Falle eine Minute langweile? Wäre das ein Weltuntergang?« Darüber muss ich nachdenken. »Na ja, aber ich will dich nicht langweilen.

»Wir wissen beide, was das hier ist, nur drüber reden dürfen wir nicht.« Ich meine …« Es ist kompliziert, weil der Grund, aus dem ich sie nicht langweilen will, der ist, dass ich will, dass sie mich mag, und das kann ich natürlich nicht direkt zu ihr sagen. »Ich weiß, dass du mich nicht langweilen möchtest, weil du willst, dass ich dich mag«, sagt sie. Moment. »Aber weißt du was, ich werde selbst entscheiden, ob ich dich mag oder nicht, genauso, wie du selbst entscheidest, ob du mich magst. Jedenfalls funktioniert das hier nicht wie mit einer Fernsehsendung. Ich mag Leute doch nicht nur, weil sie mich nie langweilen. Also, warum erzählst du mir nicht davon, und wenn ich es nicht verstehe, unterbreche ich dich und frage nach, das mache ich den ganzen Tag. Und wenn ich mich doch langweile, versuche ich es zu verbergen, bis wir zu einem anderen Thema übergehen. Okay?« Sie leert ihren Drink, stellt das Glas ab und sieht mich an. Ich sehe sie an, und sie sieht mich an, und es passiert diese Sache, bei der man sich gegenseitig ansieht und merkt: Hey, so läuft das. Ich warte ab, bis sich der Sturm gelegt hat, und dann steige ich ein. Ich versuche, ihr zu beschreiben, wie es ist, tief in ein richtig vertracktes

Problem einzutauchen: alle Details in den Kopf zu laden, die Beziehungen zwischen abstrakten Konzepten zu sehen, als wären sie Teil einer Landschaft. Ich erzähle ihr von den Hackmarathons in meiner Teenagerzeit und den verzweifelten Anfangstagen von Relevant1, bei denen ich zwanzig Stunden am Stück daran arbeitete, ein Programm ausladender, komplexer und leistungsfähiger zu gestalten, aber auch eleganter, schöner. (Es fühlt sich gewagt an, das Wort ›schön‹ zu benutzen, aber es gibt keinen anderen Ausdruck dafür.) Ich versuche, das Gefühl zu vermitteln, das ich habe, wenn ich in den Hackmodus verfalle, wenn das Rauschen und Rattern des Bewusstseins leiser wird, die Deckschicht sich lüftet und einem tieferen, echteren Selbst erlaubt aufzutauchen. Wir sind am meis­ ten wir selbst, wenn wir in etwas Höhe­ rem aufgehen, ist ein Paradox, das auf dem Grund jeder mystischen Praktik liegt, Programmieren ist da nicht ausgenommen. Die Erfahrung von logischem Denken als metaphysische Transzendenz wurde schon bei älteren Berufungen wie Schach oder Mathematik festgestellt. Ein Mathematiker, der auf eine findige Lösung kommt, oder ein Großmeister, dem eine vernichtende Zugmöglichkeit ins Auge fällt, spielt die Abfolge vielleicht hinterher auch noch einmal genussvoll im Kopf durch, es ist, als ob man eine Passage aus einem Mozart-Konzert summt. Ich empfinde das Gleiche, wenn ich ein gut konstruiertes Stück Code lese oder schreibe: Die Logik ist so kunstvoll, dass sie von Kunst nicht mehr zu unterscheiden ist. Während ich das alles in Worte fasse, hört Maya aufmerksam zu, macht »Aha« und schließt hin und wieder die Augen und nickt dabei, als würde sie einen Gedanken verdauen und gleichzeitig eine Art geistige Notiz machen. Falls sie sich langweilt, versteckt sie es verdammt gut. »Danke«, sagt sie am Ende. »Jetzt weiß ich etwas Wichtiges über dich.« »Kein Problem«, sage ich. Ich bin solcherlei Bestätigung nicht gewohnt. »Läuft ziemlich gut mit uns, oder?«, fragt sie. Erst weiß ich nicht, was sie Diogenes Magazin

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meint, doch dann verstehe ich es und will sie ganz dringend küssen. »Ich glaube schon, ja«, sage ich. »Ha! Ich habe noch nie versucht, ein Date zu bewerten, während es noch im Gange war.« Indem ich das Wort ›Date‹ ausspreche, versuche ich, mit ihrer Unverfrorenheit mitzuhalten. »Das ist doch ohnehin alles total gekünstelt«, sagt sie und stützt den Kopf in die Hand. »Wir wissen beide, was das hier ist, nur drüber reden dürfen wir nicht.« »Du hast absolut recht«, sage ich. »Ich bin dabei. Hör zu, wenn wir die Sache so angehen: Du hast mich gerade an eine Anekdote erinnert. Würdest du an dieser Stelle gern eine Anekdote hö-

ren, oder wäre es dir lieber, wenn wir die Unterhaltung in einer anderen Richtung fortsetzen?« »Eine Anekdote wäre hervorragend«, sagt sie. »Lass mich noch einen Drink bestellen, und dann kannst du sie mir erzählen. Ist sie witzig?« »Oh, die Frage kann ich dir leider nicht beantworten«, sage ich. »Eine Anekdote mit den Worten ›Das ist eine richtig witzige Anekdote‹ einzuleiten wäre ein grober Verstoß gegen solide Anekdotentechnik.« Wir müssen beide grinsen. »Stimmt«, sagt sie und hält ihr Glas in Freyas Richtung. Freya wirft mir einen fragenden Blick zu, und ich nicke bestätigend.

»Diese Anekdote fällt in die Kategorie weltschlimmste Dates«, sage ich, als Freya uns beiden gleichzeitig in einer fließenden Bewegung frische Drinks hinstellt und die alten Gläser abräumt. »Sie ist aber nicht mir passiert, sondern meiner Mom.« »Bevor deine Eltern geheiratet haben?« »Nachdem sie sich haben scheiden lassen«, erkläre ich. »Ich kann mich daran erinnern.« »Verstehe«, sagt sie. »Okay, los.« »Die Scheidung war ungefähr zwei Jahre her«, beginne ich. »Meine Mom wollte unbedingt jemanden kennenlernen, aber bei der Arbeit fand sie niemanden, und die Partnervermittlungen

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nutzten damals noch den Postweg und waren hauptsächlich auf die ganz Verzweifelten ausgerichtet. Also bat sie ihre Arbeitskolleginnen, sie zu verkuppeln, und eines Tages kam ihre Kollegin Doreen mit den Worten an: ›O mein Gott, ich habe den perfekten Mann für dich gefunden!‹ Meine Mom ist ziemlich klein, und sie sagt, jedes Mal, wenn jemand behauptet, er hätte ›den perfekten Mann‹ für sie, meine er damit ›klein und geschieden‹. Sie trifft sich mit dem Typen zum Abendessen, und es bestätigt sich, dass dies die einzigen beiden Eigenschaften sind, die ihn für meine Mutter geeignet scheinen lassen. Und die Sache mit der Größe passt auch nur aus seiner Perspektive, weil sie nicht mal auf kleine Männer steht; sie steht auf große Männer, wie jeder andere auch.« Wegen der extremen Durchschnittlichkeit meiner Größe darf ich das sagen. »Sie hat mal erzählt, dass kleine Männer beleidigt sind, wenn sie nicht mit ihnen ausgehen will. Als wäre es ihre Pflicht, noch mehr kleine Menschen mit ihnen zu zeugen, damit die Unfähigkeit, hohe Regale zu erreichen, auch der nächsten Generation erhalten bleibt. Jedenfalls: Der Typ ist offenbar vollkommen unsympathisch. Er fährt sie nach dem Date nach Hause und lädt sich selbst auf einen Kaffee ein – er sagt wortwörtlich: ›Kann ich noch auf einen Kaffee mit reinkommen?‹ Es ist ein unglaublich schwieriger Moment für meine Mom, weil sie auf der einen Seite so gut wie jeder fernsehende Erwachsene weiß, wofür ›Kaffee‹ ein Euphemismus ist, aber sie will eben nicht unhöflich sein – sie ist ein sehr höflicher Mensch –, und es wäre unhöflich, jemandem eine Tasse Kaffee zu verwehren, der einem gerade das Abendessen bezahlt hat. Es ist, als wäre sie in dem semantischen Spalt zwischen wörtlichem und übertragenem Sinn des Wortes ›Kaffee‹ gefangen. Sie hat einfach nicht das Vokabular, um nein zu sagen – es kommt in ihrem Sozialverhaltensrepertoire nicht vor. Sie gehen also ins Haus, und meine Mom setzt Kaffee auf und nimmt absichtlich den Sessel statt den Platz neben dem Typen auf dem Sofa, und dann sitzen sie da und warten darauf,

dass der Kaffee durchläuft. Und als sie gerade aufsteht, um den Kaffee einzugießen, fährt mein Dad vor und steigt im Unterhemd aus dem Auto.« »Nein!«, ruft Maya. »Dazu muss man wissen, dass meine Mom nach der Scheidung noch eine ganze Weile die Wäsche für meinen Dad gemacht hat.« »Hör auf!« »Ich schwöre bei Gott.« »Nachdem sie sich haben scheiden lassen?« »Sie ist eben leichte Beute«, sage ich. »Er zog in eine Wohnung ohne Waschmaschine und Trockner und brachte seine Wäsche mit, wenn er mich sonntagabends nach Hause brachte. Sie hat es nur ein paar Mal gemacht, bevor sie ihm sagte, er solle sich verdammt nochmal selbst darum kümmern.« Jahre später fand ich heraus, dass im Keller des Hauses, in dem mein Dad wohnte, Waschmaschine und Trockner vorhanden waren, aber das erzähle ich nicht, weil es hier nicht um meinen Vater geht. »Meine Mom fragt also gerade den Typen, wie er seinen Kaffee trinkt, als mein Dad im Unterhemd hereinplatzt – du weißt schon, so richtig in Feinripp. Er hat Tomatensoße auf sein Hemd gekleckert und nichts mehr zum Anziehen für das Seminar, das er am nächsten Tag geben muss.« Ich habe mir diese Erklärung ausgedacht – in Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, warum mein Dad seine Wäsche holen wollte und nicht bis Sonntag warten konnte, wenn er ohnehin vorbeikommen musste. Trug er wirklich nur ein Unterhemd? So erinnere ich mich jedenfalls daran, aber es kann sein, dass ich dieses Detail hinzugefügt habe, als ich die Geschichte früher schon mal erzählte. Ich finde, so oder so verleiht es der Szene mehr Farbe. Er hatte meine Mom wohl angerufen, und sie hatte ihm gesagt, er solle sich selbst aufschließen und die Wäsche mitnehmen, die sie für ihn in einem Plastikwäschekorb zusammengelegt hatte. Also schließt mein Dad auf, und dieser Typ sieht ihn in seinem Feinrippunterhemd durch die Tür kommen und fragt: ›Was zur Hölle ist hier los?‹ Mein Dad – das sollte ich dazu sagen – ist kein harter Kerl, aber er ist

ziemlich dick, und der Typ hätte wahrscheinlich am Stück in seinen Magen gepasst. Er geht rüber, um sich vorzustellen, aber der Typ sieht nur meine Mom an und ruft: ›Ich weiß nicht, was ihr hier für ein abgedrehtes Arrangement habt, aber ich will dabei nicht mitmachen!‹ Und schon ist er durch die Tür.« Maya lacht über die Pointe, aber sie scheint zu merken, dass die Geschichte eigentlich nicht nur lustig ist. Sie fragt einen Haufen Sachen über meine Eltern, die sich auf zwei Fragen reduzieren lassen: Ist er wirklich so naiv? und: Lässt sie wirklich alles mit sich machen? Meine Antworten deuten auf etwas hin, von dem ich will, dass sie es weiß: Ich allein bin dafür verantwortlich, was aus mir geworden ist. Ich hatte niemanden, von dem ich lernen konnte. Vielleicht habe ich deswegen überhaupt mit der Geschichte angefangen. Als sie keine Fragen mehr hat, fängt sie selbst mit einer Anekdote an. »Also gut, ich hab auch noch eine«, sagt sie. »Bereit?« »Ich bin so was von bereit«, sage ich. Aus dem Amerikanischen von Anna-

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Nina Kroll

Buchtipp

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Eric Muller ist clever, jung, reich und – ein Nerd und Freund der so wunderbar simplen Folge von Einsen und Nullen. Doch dann begegnet er Maya, einer schönen und wortgewandten Journalistin und betritt die analoge Welt der Liebe, in der leider gar nichts logisch ist. Der Systemabsturz ist programmiert.

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Serie

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die man begehen möchte, wenn und weil man machtlos ist: Sobald aber dieses Gefühl des Unvermögens beseitigt wird, schwindet auch der Wunsch nach Rache. In neun von zehn Fällen ist ein Revolutionär bloß ein Aufsteiger mit einer Bombe in der Tasche.

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George Orwell

Das Einzige, wofür wir uns zusammenschließen können, ist das dem Sozialismus zugrundeliegende Ideal: Gerechtigkeit und Freiheit.

Autobiographien sind nur glaubwürdig, wenn sie etwas Unschönes zugeben. Jemand, der über sein Leben nur Gutes zu sagen weiß, lügt in den meisten Fällen, weil jedes Leben von Wenn einem in diesem Leben etwas innen her gesehen nichts weiter als gutgeschrieben wird, dann meistens eine Kette von Niederlagen ist. für etwas, das man nicht einmal getan hat. Je größer der Fall, desto größer der Spaß. Es macht mehr Spaß, einem BiWir finden, dass auch der verkehrtes- schof eine Sahnetorte ins Gesicht zu te Mensch noch interessanter ist als die werfen als einem Pastor. orthodoxeste Grammophonplatte. Mit fünfzig hat jeder das Gesicht, das Eine Veranlagung zu Herrschaft und er verdient. Egoismus wird man nicht automatisch durch religiöse Bekehrung los, im Gegenteil, es liegt auf der Hand, dass infolge der Illusion, eine Wiedergeburt erlebt zu haben, angeborene Untugenden unter Umständen nur noch üppiger gedeihen, wenn auch vielleicht in verfeinerter Form.

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Die Vorstellung von Vergeltung und Bestrafung ist eine kindische Traumvorstellung. Strenggenommen gibt es so etwas wie Vergeltung oder Rache gar nicht. Rache ist eine Handlung,

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Diogenes Taschenbuch detebe 23498, 96 Seiten Auch als Diogenes E-Book »Ein Zitat von Orwell ist heute in England die wirksamste Waffe in jeder Diskussion. Es hat sich eine einzigartige Autorität um ihn gebildet.« Richard Schmid / Merkur, Stuttgart

Im nächsten Magazin: Nachdenken über den Kriminalroman

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Vorschaufenster Kino & T V

Ausstellungen

Françoise Dorner. Seit dem 22.8.2013 im Kino: Die letzte Liebe des Mon­ sieur Armand / Mr. Morgan’s Last Love. Regie und Drehbuch: Sandra Nettelbeck. Mit Michael Caine, Clémence Poésy, Gillian Anderson. Paulo Coelho. Brasilianisch-spanisches Biopic The Pilgrim: The Best Story of Paulo Coelho. Regie: Daniel Augusto. Mit Ravel (der junge Coelho) und Júlio Andrade (der erwachsene Coelho). Kinostart: 1. Halbjahr 2014. Martin Suters Roman Der Koch wird in der Schweiz und Deutschland fürs Kino verfilmt. Regie: Ralf Huettner. Mit Jessica Schwarz, Hamza Jeetooa und Hans­peter Müller-Drossaart. Kinostart geplant: September 2014. Patricia Highsmith. Regisseur und Drehbuchautor Hossein Amini ist in der Postproduction für die Ver­filmung von Die zwei Gesichter des Januars. Mit Kirsten Dunst, Viggo Mortensen, Oscar Isaac. Kinostart: 2014. Todd Haynes adaptiert Carol / The Price of Salt mit Mia Wasikowska und Cate Blanchett. Kinostart: 2014. Martin Suters Krimireihe Allmen ist als ARD-Fernsehserie geplant, mit Sebastian Koch als Johann Friedrich von Allmen. Drehbuch: Daniel Nocke. Drehbeginn im Herbst 2013.

Loriot. Am 12.11.2013 wäre Loriot 90 Jahre alt geworden. Im Literaturhaus München findet vom 20.9.2013 bis 12.1.2014 die Ausstellung Spätlese statt, in der viele Exponate aus den beiden Loriot-Büchern Gästebuch und Spätlese gezeigt werden. Danach geht die Ausstellung nach Waiblingen in die Galerie Stihl, 24.1. bis 21.4.2014. Niklaus Meienberg. Anlässlich des 20. Todestages (22.9.2013): Warum Meienberg? Pourquoi Meienberg? in der Zentral- und Hochschulbibliothek, Luzern, 26.11.2013 bis 15.1.2014. Luis Murschetz. Ausstellung zum Kinderbuch-Klassiker Lesen macht Spaß! Maulwurf Grabowski und 22 Heinzelmännchen im Karikaturmuseum Krems, 29.11.2013 bis 23.3.2014. Friedrich Dürrenmatt. In einer Reihe zum Thema Labyrinth zeigt die Ausstellung Balades avec le Minotaure das bildnerische Werk Dürrenmatts im Vergleich mit Paul Klee, Pablo

Picasso, Varlin und weiteren Künstlern. Centre Dürrenmatt, Neuchâtel, 5.12.2013 bis 9.3.2014. Alfred Andersch. Anlässlich des 100. Geburtstages (4.2.2014): Sie macht etwas im Raum, ich in der Zeit – Die Sprach- und Bildwelten von Alfred und Gisela Andersch im Museum Strauhof, Zürich, 11.12.2013 bis 2.3.2014. Tomi Ungerer. Kunst und Engage­ ment im Tomi Ungerer Museum Straßburg, bis 11.11.2013. Im Anschluss Der satirische Strich: R. O. Blechman, Paul Flora, William Steig, Tomi Ungerer, 15.11.2013 bis 16.3.2014.

Gewonnen haben Schreibtisch-Gewinnspiel aus dem Dio­ genes Magazin Nr. 12: Den Hauptpreis, die Diogenes Jubiläumskassette zusammen mit einem 250-Euro-Di­ ogenesBüchergutschein, hat Jasmin Boese aus Passau gewonnen. Je eine Jubiläumskassette haben außerdem gewonnen: Alice Koralnik aus Leipzig, Gisela Tschudy aus Schwanden (CH), Tatjana Kwasniewski aus Darmstadt, Elina Vesterinen-Sumu aus Helsinki (FIN), Bruno Lafranchi aus Zürich (CH), Ruth Gattiker aus Wil (CH) und Kitty Berschneider aus Dresden. Herzlichen Glückwunsch!

Dagmar Böhm

Walter Tausendpfund

STOLZ MUSS MAN SICH LEISTEN KÖNNEN

DIE FRÄNKISCHE SCHWEIZ

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DIE WIEGE DER GÖTTER

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Illustration: © Tomi Ungerer

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Schreibtisch

Fotos: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

O

rdentlich ist dieser Schreibtisch, und die wenigen Accessoires zeugen von einem ausgeprägten, wenn auch unaufdringlichen Stilbewusstsein. Formvollendet und diskret ist auch das Verhalten eines Protagonisten unseres Autors: ein adliger Serienheld, der nun schon zum dritten Mal eine große Leserschaft beglückt hat. Aber lassen Sie sich nicht täuschen: Der gesuchte Schriftsteller – der übrigens nicht nur Romane, sondern auch Drehbücher und Kolumnen verfasst – kann auch ganz anders; zumindest literarisch: Da werden halluzinogene Pilze verzehrt, Frauen von Exmännern und Engadiner Sagen bedroht, ja, sogar Zeitreisen unternommen. Wer nun immer noch keine Idee hat, um wen es hier geht, dem sei gesagt, dass es sich bei dem einzigen optischen Störfaktor in diesem eleganten Ensemble um eine Wasserflasche handelt, deren Herkunftsland Spanien ist. Dort hat unser Autor einen seiner zwei Wohnsitze.

Gewinnspiel Schicken Sie die Antwort bis zum 31. Dezember 2013 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag Lösung Diogenes Magazin Nr. 12:

Jakob Arjouni

Wer schreibt hier?

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Wir verlosen zehn Mal die DVDs The Future, Death of a Superhero und Wuthering Heights. Als Hauptpreis zusammen mit einem 250-EuroDiogenes-Büchergutschein.

Diogenes Magazin

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Mag ich – Mag ich nicht

Vorschau Das nächste Diogenes Magazin erscheint Ende Dezember 2013. Krimi-Sonderteil Mit Hansjörg Schneider, Jason Starr, Ingrid Noll, Martin Walker, Esmahan Aykol, Donna Leon, Friedrich Dönhoff, Christian Schünemann u. a. Alte Meister: Über Friedrich Glauser, Friedrich Dürrenmatt, Jim Thompson, Patricia Highsmith und Georges Simenon.

Nr.15

Frühling 2014

Diogenes

Magazin

Dennis Lehane

Diesen Namen sollten Sie sich merken

»Beim Krimiautor ist das Böse in guten Händen.« Loriot Krimi-Sonderteil mit Barbara Vine, Ingrid Noll, Esmahan Aykol, Martin Walker, Friedrich Dönhoff, Christian Schünemann u. a.

Georges Simenon

Diogenes Magazin

Der Abschluss der Edition Non-Maigret-Romane in 50 Bänden

4 Euro / 7 Franken

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783257 850154

Mag ich:

Mag ich nicht:

Den Matjes von der Fischbude Ecke Utrechtstraat / Herengracht in Amsterdam. Den Matjes von Henk Schoorl in Ijmuiden. Sonntagsfrühstück im ›The Rose‹ in Venice, Kalifornien, unter Sonnenschirmen und Palmen, mit Ei, Lachs und frischem Toast, mit Freunden und Kindern, vielleicht einem Glas Weißwein, der dicken New York Times im Auto, die darauf wartet, gelesen zu werden, dem Pazifik in Reichweite, der Traumfabrik direkt um die Ecke. Ein neues Buch von Philip Roth. Ein neues Buch von Saul Bellow. Ein neues Buch von Elmore Leonard. Ein Upgrade, wenn die EconomyKlasse voll ist. Die Druckfahnen meines neuesten Buches. Den Arzt, der sagt, es sei nichts Schlimmes, wenn mein kleiner Sohn Fieber hat. Dünne Zeitungen im Sommer. Für einen Vierteldollar mit der Fähre von Manhattan nach Staten Island. Die tönerne Armee in Xian, China. Für meinen Sohn ein Spiegelei braten und diesen erwartungsvollen Blick, den er dabei in den Augen hat. Foie gras im ›Negresco‹, Nizza. Mit meiner Frau im Bett ein Video ansehen. Am Strand sitzend meiner Frau und meinem Sohn zuschauen, die zusammen im Wasser herumlaufen, die Sandkörner studieren und die Wellen analysieren. In der Küche zusammen sein. Die langweilige Politik in meinem Heimatland. Amerika. Die Schweinepest, die den Niederlanden zu schaffen macht. Das Leben.

Vakuumverpackte Matjes (bis auf die vom Flughafen Schiphol, die seltsamerweise ziemlich gut schmecken). Wie man in den Niederlanden mit Kühen und Schweinen umgeht. Amerika. Europäische Politiker. Joris Voorhoeve, niederländischer Verteidigungsminister, geborener Lügner und Karrierist. Touristenmenüs. Politisch korrektes Denken. Die niederländische Film­ indus­trie (gestorben, ehe sie zur Blüte kam). Dass ich keinen Jaguar mehr habe. Lug und Trug im Journa­ lismus. Die ultraorthodoxen Juden. Die ultraorthodoxen Muslime. Die ultraorthodoxen Sonstwas. Die Rabau­ken, die keinen Blick für Kleinigkeiten, Alltäglichkeiten, die winzigen Kräusel des Tages haben und das alles niederwalzen. Tage ohne Sonne. Hässlichkeit und Dummheit. »Tja, weißt du, andere Kulturen haben nun mal andere Werte, und Chinesen und Koreaner haben nun mal einen anderen Hintergrund, die wollen unsere Art von Freiheit ja gar nicht, die können sich ja unter Individualismus, wie wir ihn im Westen kennen, überhaupt nichts vorstellen …!« Ideologien (bis auf die des Anstands). Dass es in niederländischen Eisenbahnabteilen keine Steckdosen gibt, so dass man nur kurze Zeit mit dem Laptop arbeiten kann. Dass das Surfen im Internet einer Übung in Geduld und Langeweile gleichkommt. Das Leben.

Im nächsten Magazin: Martin Suter 80

Diogenes Magazin

Leon de Winter ist ein dezidiert politischer Autor. Das zeigt auch sein letzter Roman Ein gutes Herz. Und er ist ein Mensch mit starken Überzeugungen. Dieses Mag ich / Mag ich nicht erschien zunächst im Tintenfass Nr. 21, 1997.

Foto: © Marco Okhuizen / laif

Leon de Winter


Illustration links oben: © Edward Gorey / Edward Gorey Charitable Trust; Fotos linke Spalte: © Ruth Geiger / Diogenes Verlag; Foto mittlere Spalte: © Susanne Dorn / Diogenes Verlag; Illustration mittlere Spalte: © Loriot; Foto rechts oben: © Martha Schoknecht / Diogenes Verlag; Foto rechts unten: © Margaux de Weck / Diogenes Verlag

Man munkelt Als Jugendlicher war Daniel Keel, der 1952 im Alter von nur 23 Jahren den Diogenes Verlag gründete, in seinem Innerschweizer Heimatort Einsiedeln Redakteur der lokalen Pfadfinderzeitung Haarus. Die beliebteste Rubrik der Zeitschrift, die der junge Redakteur höchstpersönlich schrieb, hieß ›Man munkelt‹. Hier wurden Interna aus der Pfadfindergruppe Einsiedeln ausgeplaudert. Diese Tradition führen wir nun im Diogenes Magazin fort, versteckt hinter dem Lesezeichen auf der letzten Heftseite. Denn die Indiskretionen, die hier ausgeplaudert werden, sollen ja nicht von jedem gelesen werden.

Der Autor als Koch

Kaum ein Schriftsteller recherchiert so akribisch wie John Irving. Für seinen vorletzten Roman Letzte Nacht in Twisted River (2010), in dem viel und kenntnisreich gekocht wird, wollte er sich selbst hinter den Herd stellen. Und zum Glück zählt er viele bekannte Köche zu seinen Freunden, die ihn liebend gern als unbezahlte Arbeitskraft an ihre Töpfe ließen. So kam es, dass er in chinesischen, französischen und italienischen Restaurants als Sous Chef tätig war, und, so hört man: Er war wirklich gut. Zu Beginn von Letzte Nacht in Twisted River führt der hinkende Koch Dominic Baciagalupo die Kantine eines Holzfällercamps. Sein Schöpfer, John Irving, stand wochenlang am Herd des Diners ›Up for Breakfast‹ in Manchester, Vermont. Schon bald beherrschte er alle Kniffe und Tricks eines routinierten Kochs, die er später umso präziser in seinem Roman darstellen konnte. In seine ehemalige Wirkungsstätte als Koch hat er auch seine langjährige Lektorin Anna von Planta (Foto) ausgeführt, die vor einigen Monaten auf den Spuren seiner Romane durch Neu-England reiste.

Philip Roth? In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung empfahl Maxim Biller Arnon Grünbergs Der jüdische Messias mit den Worten: »Wer sagt, dass Philip Roth aufgehört hat zu schreiben? Sein neuer Roman (unter dem Pseu­ donym Arnon Grünberg) ist so klug und sexy wie alle Bände der Zuckerman-Trilogie zusammen.« Kurz darauf erhielt unsere Presseabteilung den Anruf eines Lesers. Dazu muss man wissen, dass Diogenes zwei Bücher von Arnon Grünberg unter dessen Pseudonym Marek von der Jagt veröffentlichte, die nun wiederum unter Grünbergs bürgerlichem Namen erschienen sind. Anrufer: »Hat Marek van der Jagt ein neues Pseudonym?« Diogenes: »Nein, Arnon Grünberg ist bei uns jetzt nur noch Arnon Grünberg.« Anrufer: »Heißt er nicht Philip Roth?« Diogenes: »Nein« Anrufer: »Na, ich dachte … weil das bei uns in der Zeitung stand …!«

Goldene Diogenes Eule

Kuriosa Kürzlich erreichte uns eine schöne EMail aus Aachen: »Sehr geehrte Damen und Herren, in Bezug auf das Buch Aleph möchte ich nunmehr anmerken, dass ich, damals in England als Esra Esfandiari angegeben, dieses Buch geschrieben habe und eigentlich Anteile des Verkaufs erhalten sollte. Dies ist bis dato nicht geschehen, und ich bitte nun ausdrücklich darum, dieses in die Wege zu leiten. Unten meine Adressdaten. Mein Titel: Gräfin de Bourbon de Castillac aus dem Hause WindsorMountbatten. Mit freundlichen Grüßen.«

Loriot

Einige Spiele in den letzten Wochen vor der Sommerpause mussten abgeblasen werden, weil zu wenig Frauen und Männer auf dem Platz gestanden hätten, um ein Spiel ordnungsgemäß durchzuführen. Der Grund: Zwei wichtige Stützen des Teams – die sich auf dem Spielfeld kennengelernt haben! –, hatten anderes im Sinn: die Vorbereitung ihrer Hochzeit nämlich. Die erste im FC Diogenes gestiftete Ehe ist amtlich: Am 14. September haben Renata Teicke (Werbeleiterin bei Diogenes) und Patrick S. (kurzzeitig im Lektorat bei Diogenes, jetzt Lektor beim Kein & Aber Verlag) geheiratet. Die besten Wünsche aller Diogenesen begleiten sie auf ihren Flitterwochen, die wegen Vertreterkonferenz und Frankfurter Buchmesse eher knapp gehalten sind. Und die Mannschaft des FC Diogenes fleht: Kommt wieder spielen, ihr fehlt!

Weisswurst & Brezn Widmungszeichnung von Loriot für seinen Verleger Daniel Keel, die jetzt auf der Copyright-Seite im Prachtband Spätlese von Loriot abgedruckt ist und aus jedem Exemplar ein Unikat macht.

Die Zahl

489 Lesungen und Veranstaltungen mit Diogenes Autoren gab es im Jahr 2012. Leon de Winter (2.v.r.) ist im April in Zürich mit der Goldenen Diogenes Eule ausgezeichnet worden – für über 1 Million verkaufte Bücher. Bisherige Eulenträger: Ian McEwan, Dick Francis, Urs Widmer, Martin Suter, Patrick Süskind, Donna Leon, John Irving, Ingrid Noll, Henry Slesar, Bernhard Schlink, Paulo Coelho, Barbara Vine, Jakob Arjouni und Tomi Ungerer. Mit Leon de Winter feierten (v.l.n.r): Winfried Stephan, Geschäftsleitung, Philipp Keel, Verleger, und Daniel Kampa, Geschäftsleitung.

FC Diogenes

Und organisiert hat diese eine einzige Person im Verlag: Catherine Schlumberger, die seit fünf Jahren die Veranstaltungen betreut und von den Organisatoren und Diogenes Autoren gleichermaßen für ihre Professionalität, Freundlichkeit und ihren Charme geliebt wird. Rekord-Leser unter den Autoren 2012 war Lukas Hartmann mit 62 Lesungen, dicht gefolgt von Martin Walker, der im letzten Jahr 54 Mal aus seinen Bruno-Krimis vorgelesen hat.

Ein altes bayerisches Sprichwort besagt: »Die Weißwürste dürfen das 12-Uhr-Läuten nicht mehr erleben.« Eine echte Notwendigkeit besteht dafür nicht mehr, stammt diese Regel doch aus Zeiten, in denen es keine Kühlung gab, weswegen die morgens produzierte Ware bis zwölf Uhr verspeist sein musste. Dennoch: Christoph Poschenrieder, in München ansässig, ist ein traditionsbewusster Mensch: Anlässlich der Manuskript­ abgabe seines neuesten Romans an seine Lektorin Silvia Zanovello (links im Bild, neben ihr genießt Maggie Schostok, die die Honorarabrechnungen verantwortet) lud Poschenrieder ein zu einem spätmorgendlichen Weißwurstgelage. Zu den Würsten wurden naturgemäß süßer Senf und Brezn gereicht. Wir danken und freuen uns auf das nächste Manuskript!


»Ich las das langweilige Buch, schlief darüber ein, im Schlaf träumte ich weiterzulesen, erwachte vor Langeweile, und das dreimal.«

Fotos Kissen: © Guillermo Lobo – Fotolia.com; © Ljupco Smokovski – Fotolia.com; © Karam Miri – Fotolia.com

Heinrich Heine

Bücher sind weniger langwilig


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