Diogenes Magazin Nr. 13

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Nr.  13

Sommer 2013

Diogenes

Magazin

Martin Suter über Reisen und Lesen mit Stil Begleitet von Sebastian Koch und Gentlemangauner Allmen

Belgrad noir Die Krimidestination des neuen Autorenduos Schünemann & Voli´c

Spannung mit Stil Donna Leon schwärmt von Ross Macdonald

Romane mit Stachel

Im Gespräch mit Arnon Grünberg und Joey Goebel

4 Euro / 7 Franken

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783257 850130


Lesestoff f체r Entdecker.

Reportagen, Weltgeschehen im Kleinformat. Jeden zweiten Monat neu. Erh채ltlich im Buchhandel, an grossen Kiosken und im Abonnement. www.reportagen.com


Cartoon von Posy Simmonds

Angeber!

Foto Titelseite: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag; Illustration: © Posy Simmonds

»Ich hatte es zu fast vollkommener Gleichgültigkeit im Hinblick auf Gilberte gebracht, als ich zwei Jahre später mit meiner Großmutter nach Balbec fuhr.«

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Ersatz für das leidige

Editorial Ein Auszug aus dem dritten AllmenRoman von Martin Suter, Allmen und die Dahlien, ab Juni im Handel – und dazu ein Sommergedicht von Rainer Brambach:

Beilage Das Périgord Ein kleiner Reiseführer von Martin Walker

Périgord

Im Juli und August Rainer Brambach Seit Jahren, im Juli und August, wenn die Villen, Ämter, Schulhäuser und Fußballplätze verödet sind, bekomme ich täglich Grüße von fern. Der Briefträger wirft einen Alphornbläser samt Gebirge, die Seufzerbrücke, den Denker von Rodin, einen Serben in Pluderhosen, auch das schilfbestandene Ufer einer Nordsee-Insel in meinen Kasten. Freunde erinnern sich meiner, nachdem sie ohne mich fortfuhren.

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Arnon Grünberg 36 hat einen bitterbösen und beißend komischen Roman geschrieben: Der jüdische Messias erzählt von einem, der auszieht, das auserwählte Volk von seinem Leid zu erlösen – und die Menschheit das Fürchten lehrt. Ein Buch, frei von Scheinheiligkeit, ein Buch wie sein Autor.

Interviews Martin Suter 4 1

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26.02.13 10:46

Ein kleiner Reiseführer von Martin Walker Der Autor der Krimis um Bruno, Chef de police von Saint-Denis, zeigt uns sein Périgord, ein Paradies auf Erden: reich an kulinarischen Genüssen, kulturellen und historischen Schätzen, malerischen Städtchen, idyllischen Landschaften. Mit vielen Restaurant- und Hoteltipps.

Sebastian Koch 6 Jelena Volić und  Christian Schünemann 16 Arnon Grünberg 36 Joey Goebel 44

Impressum Vorschaufenster

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Foto links: © Atout France; Foto rechts: © Roger Eberhard

»Zum Tee überraschte Carlos Allmen mit der Nachricht, dass auf dem Konto bereits die dreihundertzweiundsechzigtausend eingegangen waren, die er noch gestern über das Internet fakturiert hatte. Danach spielte er noch ein Stündchen Klavier, las ein paar Gedichte des wunderbaren Rainer Brambach und zog sich um zum Ausgehen.«


Diogenes Magazin Nr. 13

Illustration oben: © Tomi Ungerer; Foto links: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto Mitte: Nathan Beck / © Diogenes Verlag; Foto rechts: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag

Inhalt

Joey Goebel 44 widmet sich in seinem neuen Buch Ich gegen Osborne einer aussterbenden Spezies: dem Gentleman, wenngleich einem sehr jungen – dem 16-jährigen James Weinbach. Um Umgangsformen geht es auch in unserem Gespräch mit dem Autor.

Ein neues Autorenduo: Jelena Volić und Christian Schünemann 16 führen uns durch eine faszinierende Metropole: Belgrad, so nah und doch so fern – in Kornblumenblau, dem ersten Band ihrer Krimiserie. Im Interview erzählen die Grenzgänger von ihrer langjährigen Freundschaft.

Wie Der große Gatsby 20 bis heute die Mode inspiriert

Farbige Wochen 50 Wie würde die Welt aussehen, wenn ein autistisches Kind sie regiert?

Mario Vargas Llosa 24 über Bücher gegen Flugangst Sempés Radfahrer 30

Donna Leon über ihren Lieblingskrimiautor Ross Macdonald

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Martin Suter 4 erzählt uns von seinen Reisen – zwischen Dolcefarniente und strapa­ ziösen Recherchen. Der Schauspieler Sebastian Koch freut sich, Suters vielgereisten Helden, Johann Friedrich von Allmen, in der Fernsehverfilmung zu verkörpern. Und Allmen selbst nimmt uns in einem Auszug aus seinem neuesten Fall mit nach Biarritz.

Nachruf Jakob Arjouni ist tot 40 Christian Seiler erinnert an einen Menschen mit einem grandioses Talent zum Schreiben und für Freundschaften.

Rubriken Die einsame Insel Christian Schünemann

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Literarisches Kochen 52 mit Hugo Loetscher

Top 20 Brunos Lieblingssongs 34

Lesefrüchtchen 58

Denken mit Friedrich Hebbel 48

Wer schrieb hier? Gewinnspiel

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Ein Autor – Eine Stadt Hamburg mit Friedrich Dönhoff

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Mag ich – Mag ich nicht 64 Laura de Weck Diogenes Magazin

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Interview Martin Suter

Die Kunst des Reisens 4

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Ihr Held, Johann Friedrich von Allmen, geht erneut auf Reisen. In Allmen und der rosa Diamant nächtigte er im Grandhotel in Heiligendamm, dieses Mal, in Allmen und die Dahlien, ist es das vornehme Hôtel du Palais in Biarritz. Mussten Sie sich zu Recherchezwecken auch dort einquartieren? Selbstverständlich. Die Allmen-Serie ist das Resultat harter Recherchen. Ich bin froh um diese Gelegenheit, den Verlag an meine alte Forderung zu erinnern, die Auslagen für diesen Rechercheaufwand endlich auf meiner Spesenabrechnung zu akzeptieren. Sie sind augenblicklich mit Ihrer Familie auf Grand Tour in Asien. Warum gerade Asien? Welche Destinationen reizen Sie dort besonders? Es hätte eine einjährige Weltreise werden sollen. Aber während der Planung haben wir gemerkt, dass wir da in einem unbarmherzigen Rhythmus immer nur am Ankommen und Abreisen wären. Wir wollen aber nicht in kurzer Zeit möglichst viel sehen, sondern mit viel Zeit möglichst wenig so intensiv wie möglich. So haben wir uns für diese Form entschieden: Wir schlagen unsere Zelte in Singapur auf und machen von dort aus sieben Reisen in ganz Asien. In Singapur steht ein legendäres viktorianisches Hotel, in dem auch der große Schriftsteller und Kosmopolit William Somerset Maugham genäch-

Foto: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag

Wie sein Held, Johann Friedrich von Allmen, Gentlemangauner, Kunstexperte und Laienkrimino­ loge, ist Martin Suter viel unter­ wegs. Früher reiste und schrieb er als Reporter für die Zeitschrift GEO. Und auch heute noch sind seine Reisen oft beruflicher Na­ tur. Dieser Tage ist Suter mit sei­ ner Familie in Asien, auf Erho­ lungsreise, wie er sagt. Unsere Fragen hat er am Indischen Oze­ an beantwortet.


tigt hat. Das Raffles. Hat Ihre Reise Sie auch dorthin geführt? Wenn ich vorhin »Zelte« gesagt habe, war damit das Raffles gemeint. Ich war das erste Mal als GEO-Reporter vor über dreißig Jahren auf Maughams Spuren dort. Es ist inzwischen noch schöner geworden. Welches ist für Sie das beste Hotel der Welt? Für jemanden, der diese großen Traditionshäuser mag, kommt das Raffles in der Kategorie »Stadthotel« dem schon sehr nahe. Das perfekteste in der Kategorie »Strand« habe ich kürzlich in Thailand angetroffen: das Trisara in Phuket. Da stimmt jedes Detail. Aber fragen Sie mich nach unserer Rückkehr nochmals. Wie lange werden Sie unterwegs sein? Sieben Monate. Ist diese Reise auch eine Recherchereise für einen neuen Roman? Nein, es ist eher eine Erholungsreise von meinen bisherigen Romanen. Gibt es Kontinente, Länder oder Städte, die Sie als Reiseziel überhaupt nicht reizen? Kontinente nicht, Länder schon. Solche, in denen Krieg herrscht, zum Beispiel. Und Städte? Solche in solchen Ländern. Gibt es Orte, die Sie unbedingt noch entdecken möchten? Mein Lebensmotto ist ja, dass man nichts verpassen kann im Leben. In diesem Sinn: Nein. Welche Reisen Ihrer Kindheit haben sich Ihnen besonders eingeprägt? Meine erste Ferienreise ans Meer. Italien, Forte dei Marmi. Können Sie sich an die erste Reise erinnern, die Sie selbst bezahlt haben? Argentinien, 1969. Welches war die schönste Reise, die Sie je unternommen haben? Nicht die schönste, aber die abenteuerlichste: mit einem alten Landrover von Basel nach Nairobi, von dort aus per Schiff nach Karachi und Bombay, danach zwei Monate Sri Lanka und dann per Flugzeug über Teheran und Moskau zurück in die Schweiz. Welches war die schlimmste, langweiligste? Jede im Zusammenhang mit dem Militärdienst.

Es scheint Sie zumeist in die Ferne zu ziehen, reisen Sie noch in Ihrer Heimat, der Schweiz? Mindestens einmal im Jahr ins Engadin. Strand oder Berge? Im Sommer Strand, im Winter Berge. Städtetrip oder Wanderung? Nicht Städtetrip, aber wir reisen gerne in eine Stadt, um dort eine Zeitlang zu wohnen und ein Gefühl dafür zu bekommen. Weniger, um Besichtigungen zu machen.

Gibt es Orte, die Sie unbedingt noch entdecken möchten? Mein Lebensmotto ist ja, dass man nichts verpassen kann im Leben. In diesem Sinn: Nein.

Sind Sie in den Ferien aktiv, oder können Sie auch tagelang untätig am Pool liegen? Würde ich schon gerne mal. Aber ich beantworte diese Fragen am Rande eines Pools am Indischen Ozean. So viel zu »untätig«. Gibt es bestimmte Formen des Reisens, denen sie gar nichts abgewinnen können? Der organisierten, fremdbestimmten. Gruppenreisen, Pauschalreisen. Was für Allmen die Geschäftsreisen, sind für Sie die Lesereisen. Mögen Sie diesen Reisetyp? Ja, mag ich. Allerdings in geringeren Dosen als früher. Sie sind einige Zeit als Journalist für GEO durch die Welt gefahren, haben Reisereportagen geschrieben. Wenn Sie heute unterwegs sind, ist Ihr Blick auf fremde Länder und Sitten ein anderer, oder reist der Journalist noch mit? Der Journalist bleibt zu Hause. Ich genieße es zu reisen, ohne jeden Tag etwas erleben zu müssen. Schreiben Sie auch heute noch, wenn Sie auf Reisen sind?

Am liebsten schreibe ich unterwegs nicht. Aber das schaffe ich selten. Auf dieser Reise habe ich mir zum Beispiel vorgenommen, einen Reisebericht zu schreiben. Für unsere Tochter, damit sie sich später erinnert. Allmen reist mit einem Schrank­koffer, auch wenn er nur ein paar Tage fort ist. Wie sieht Ihr Gepäck aus? Finden sich darunter auch die Rollkoffer, über die Sie sich in einer BusinessClass-Geschichte lustig gemacht haben? Inzwischen haben alle meine Gepäckstücke Räder. Ich reise zwar nicht mit so viel Gepäck wie Allmen. Aber mit mehr als früher als Reisejournalist. Ein zweiter Anzug ist immer dabei. Ich mag es, mich zum Abendessen umzuziehen. Und weil das die ganze Familie tut, reisen wir auch hier in Asien nicht gerade mit leichtem Gepäck. Sie leben in Guatemala, Ibiza und Zürich. Können Sie sich vorstellen, dauerhaft an nur einem Ort zu leben, gesetzt den Fall, Sie können sich weiterhin mehrere Wohnsitze leisten? Doch, ich glaube, das könnte ich schon. (Man kann ja nichts verpassen.) Allmen ist ein eifriger Leser. In Maughams Geschichte Der Büchersack erzählt der weitgereiste Autor von seinem wichtigsten und schwersten Gepäckstück: dem Büchersack, der auf keiner seiner Reisen fehlen darf. Reisen Sie auch mit einem ganzen Sack voller Bücher? Früher reiste ich mit ein paar Büchern, die ich dann der Hotelbibliothek überließ. Aber nicht mit einem Büchersack. Ich spreche es nicht gerne aus, aber im Zeitalter der E-Books hat dieser sich erübrigt. Was ich aber auf Reisen immer wieder tue, ist Bücher kaufen. Die schicke ich dann nach Hause. Was lesen Sie in den Ferien? Suchen Sie Inspiration für Ihr eigenes Werk in der Ferienlektüre? Im Moment lese ich leider Selbstgeschriebenes: die Fahnen von Allmen und die Dahlien und die Französisch­ übersetzung von Die Zeit, die Zeit. Aber dazwischen reicht die Zeit für ein Wiedersehen mit der einen oder anderen Erzählung von William Somerset Maugham. kam / ck

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Sebastian Koch

Eine Frage des Stils

Sie haben bislang eher tragische, historische Figuren verkörpert, die Figur des Schriftstellers in Das Leben der Anderen, Andreas Baader, Klaus Mann, Richard Oetker oder jetzt, in Das Wochenende nach dem Roman von Bernhard Schlink, einen Ex-Terroristen, eine Figur, die an Christian Klar angelehnt ist. Die komische Figur eines Hochstaplers und Gentlemangauners ist eher ungewöhnlich für Sie. Haben Sie gezögert, die Rolle anzunehmen? Dass ich scheinbar wenig komische Rollen gespielt habe, hängt damit zusammen, dass die politischen Stoffe, die schweren Kaliber populärer waren. Im Ausland habe ich doch einiges im komischen Bereich gemacht. Albatross zum Beispiel mit Julia Ormond, eine großartige britische Komödie, die in Deutschland leider nicht in die Kinos kam. Dabei habe ich große Lust auf komische Stoffe, unter der Bedingung natürlich, dass sie gut geschrieben sind. Das ist im komischen Fach fast noch wichtiger als im tragischen. Dass nicht alles ausgesprochen wird, dass der Humor zwischen den Zeilen liegt, ein Humor, der meist tiefer Depression entspringt. Das gibt es leider viel zu selten. Vor allem vermutlich in deutschen Drehbüchern … Ja, aber die Allmen-Romane von Mar6

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Foto: © Gregor Hohenberg Photography

Interview

Der große Schauspieler Sebastian Koch (Das Leben der Anderen, Die Manns, A Good Day to Die Hard), in diesen Wochen in der Ver­ filmung von Bernhard Schlinks Das Wochenende in den Kinos zu sehen, wird sich demnächst ei­ nem weiteren Diogenes-Autor zuwenden: Koch spielt Johann Friedrich von Allmen in der Fern­ sehverfilmung von Martin Suters Krimireihe. Wir erreichten ihn am Telefon in Berlin.


tin Suter haben diesen Humor. Ich freue mich sehr, mich auf diesen Allmen einzulassen, diesen merkwürdigen Menschen, um den man immer wieder Angst hat, der um sich selber aber nie Angst zu haben scheint. Ich bin sehr gespannt, wo wir da landen … Allmen selbst ist ja kein großer Komiker. Viel Komik birgt aber die Beziehung zwischen ihm und Carlos, zwischen dem Herrn und dem Diener. Die beiden wohnen ja im Gärtnerhäuschen, sozusagen in der ehemaligen Scheune des eigentlichen Anwesens von Allmen. Das ist eine großartige Ausgangssituation. Allmen führt sein großbürgerliches Leben fort, als habe sich nichts verändert. Wie er das durchzieht, formvollendet, das hat einen nahezu britischen Humor. Er benimmt sich so, als seien sämtliche Grundlagen noch da, vor allem die finanziellen … … und steigt häufig in sehr teuren Hotels ab. Auch Sie verbringen viel Zeit in Hotels. Können Sie diese Aufenthalte noch genießen? Ja. Ein gutes Hotel ist für mich nach wie vor etwas ganz Besonderes. Weil ich seit dreißig Jahren in der Weltgeschichte umherreise, weiß ich, wie bedeutsam es ist, wenn sich jemand in das Sein seiner Gäste hineinversetzt, die Dinge am rechten Platz sind und ästhetisch. Ich kann das sehr genießen. Und dann gibt es die ganz besonderen Hotels, die so atemberaubend schön sind, dass man gar nicht mehr abreisen möchte. Das Mandarin Oriental in London zum Beispiel, direkt am Hyde Park. Ich habe dort während der Dreharbeiten zu Die Hard gewohnt. Ein klassisches Grandhotel mit wunderbarem Flair, in dem technisch alles auf dem neuesten Stand ist. Das gilt übrigens auch für das Sacher in Wien. Allmen, der Privatier, verbringt viel Zeit in seinem Lieblingscafé, dem Viennois. In welcher Umgebung können Sie am besten entspannen? Da bin ich gar nicht so weit weg von ihm. Wie Allmen liebe ich die Atmosphäre der Kaffeehäuser in Wien, Prag, Budapest. Dort zu sitzen und zu lesen … Kommen Sie denn noch dazu, etwas anderes zu lesen außer Drehbücher?

Na ja (lacht), Martin Suter, immer wieder. Das haben Sie schön gesagt, Sie dürfen aber auch Nicht-Diogenes-Autoren nennen. Nun, zu viel mehr finde ich kaum die Zeit. Ich bereite mich gerade auf eine Serie über den Vatikan vor, für den amerikanischen Fernsehsender Showtime. Ridley Scott führt dabei Regie. Hochspannend. Und da muss ich mich natürlich einlesen, es braucht viel Zeit und Arbeit, diesen Stoff zu durchdringen, die hierarchischen Strukturen zu verstehen …

Ich sollte abends kein Buch mehr anfangen, weil ich einfach nicht wieder aufhören kann. Unglaublich, was Bücher mit einem machen können. Und dann ist der nächste Tag ruiniert. Lesen Sie eigentlich jedes Drehbuch, das Ihnen angeboten wird? Eigentlich schon. Mein Problem ist, dass ich oft nicht den Absprung finde. Auch wenn ich nach zwanzig, dreißig Seiten schon weiß, dass es nichts ist, muss ich weiterlesen. Das ist absurd, denn es kostet mich viel Kraft und Zeit … … und Nerven vermutlich auch. Und wie. Ihr schönstes Leseerlebnis? Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez. Zum Ende hin habe ich nur noch ein, zwei Seiten am Tag gelesen, damit ich länger etwas davon habe. Ich wollte diese Welt aus kalkigen Wänden und Leintüchern voller Sperma, die man in die Ecke stellen kann, nicht verlassen. Das sind Bilder, die man nie vergisst. Ich sollte abends kein Buch mehr anfangen, weil ich einfach nicht wieder aufhören kann. Unglaublich, was Bücher mit einem machen können. Und dann ist der nächste Tag ruiniert. Das

geht mir genauso bei TV-Serien. Furchtbar, ich werde sofort süchtig. Vielleicht sollte ich nur noch Kurzgeschichten lesen (lacht). Da habe ich was für Sie: Suter, Business-Class-Geschichten. Kaum je länger als drei Seiten, genau das Richtige für vielbeschäftigte Schauspieler. Perfekt. Wenn Johann Friedrich von Allmen verreist, dann mit schwerem Gepäck. Sein Erscheinungsbild ist ihm sehr wichtig. Ist das bei Ihnen ähnlich? Nein. Ich habe ein paar Pullover, ein, zwei Anzüge dabei. Wenig, aber immer noch zu viel. Ich nehme aber sicher nicht meinen halben Kleiderschrank mit wie Allmen. Was das Äußere anbelangt, die Etikette, sollte man gewisse Formen kennen, das tue ich auch, aber leben muss ich sie nicht unbedingt. Haben Sie Freude an schönen Kleidern? Ja, aber das ist sehr intuitiv bei mir. Ich habe einige Kleidungsstücke, an denen ich hänge und die ich seit Ewigkeiten trage. Aber dass das Hemd von dem und dem sein muss … nein. Wenn ich etwas Schönes von einer edlen Marke finde, kaufe ich es. Aber nicht, weil der Name eines bestimmten Designers draufsteht. Schönheit ist nicht abhängig von Brands. Kann es passieren, dass man Sie am Wochenende in Berlin, wo Sie wohnen, in Jogginghose auf der Straße antrifft? Sicherlich nicht. Es gibt Grenzen. Da hat Allmen ja auch ganz klare Vorstellungen. Männer in kurzärmligen Hemden …   … geht gar nicht. Das gilt übrigens auch für blaue Bermudashorts und gelbe Polohemden. Aber dafür muss man nicht Allmen heißen. Ein Schläfchen am Nachmittag, er nennt es »Lebenschwänzen«, ist das Allergrößte für Allmen. Was ist wahrer Luxus für Sie? Zeit. Zeit wofür? Zeit, in der einfach nichts ist, in der die Welt einstürzen kann oder man schnell nach Paris fährt; Zeit, in der einem Dinge passieren können, die nicht durch den nächsten Termin verhindert werden. ck

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Vorabdruck

Martin Suter

Allmen in Biarritz D

er Himmel hing tief über dem aufgewühlten Atlantik. Allmen hatte einen holprigen Flug in einer für seinen Geschmack viel zu kleinen Maschine hinter sich und fuhr nun in der nach kaltem Tabak stinkenden Limousine eines zum Glück wortkargen Basken auf der Küstenstraße Richtung Biarritz. Carlos hatte ihm die Douglas-Fairbanks-Suite reserviert, seine Lieblingssuite im Hôtel du Palais. Obwohl er vorhatte, am nächsten Tag wieder zurückzufliegen, lagen im Kofferraum zwei Gepäckstücke: sein kleiner Reisekoffer und sein lederner Kleidersack auf Rollen. Die Vorstellung, nicht jederzeit zwischen vier Anzügen und den entsprechenden Schuhen, Socken, Hemden und Krawatten aussuchen zu können, machte ihn nervös. Die Klei-

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derwahl ist eine intuitive Entscheidung und darum nur sehr beschränkt planbar. Allmen trug noch immer die seidene Augenklappe. Sie hatte ihm eine bisher nicht gekannte Tatkraft verliehen. Und er glaubte, dass er diese für seine Verhandlungen mit Tenz würde gebrauchen können. Sie passierten das schmiedeeiserne Tor und die Auffahrt zum du Palais. Der Anblick des Schlösschens auf seiner kleinen Landzunge weckte Erinnerungen an längst vergangene Augustwochen. Der Wagenmeister, der das Entladen des Wagens dirigierte, war noch derselbe. »Monsieur de Allmen« nannte er ihn. Er betrat die luftige Empfangshalle mit der breiten Freitreppe, die sich wie

schwerelos zu den oberen Etagen emporschwang. Die junge Rezeptionistin hatte er noch nie gesehen, aber sie begrüßte ihn mit »Willkommen zurück im du Palais« und legte ihm den Meldeschein zur Unterschrift vor. Alle anderen Rubriken waren bereits ausgefüllt. Die Adresse stimmte noch, Villa Schwarzacker. Dass Allmen inzwischen nicht mehr im Haupthaus, sondern im Gärtnerhäuschen lebte, ging auch hier niemanden etwas an. Die Douglas-Fairbanks-Suite war unverändert: Schlafzimmer, Salon, Boudoir, alles mit ausgesuchten Empiremöbeln eingerichtet. Viel Marmor in Bad und Toilette und nach wie vor die runde Badewanne, die er schon damals als etwas deplatziert empfunden hatte. Er ging an eines der hohen Fenster und öffnete es. Die Wellen überspülten

Foto: DR Orient-Express

Nach einem Ausflug in die Welt der Finanzsoftware im zweiten Band von Suters Krimiserie befinden wir uns in Allmen und die Dahlien wieder in der Welt der schönen Künste. Und der heiklen Amouren. Ein sehr teurer Blumenstrauß, ein Dahlienbild von Henri Fantin-Latour, ist wie vom Erdboden verschluckt. All­ men soll es wiederbeschaffen. Die Ermittlungen halten einige Überraschungen für ihn bereit: ein blau­ es Auge ist darunter und der Aufenthalt in einem der schönsten Hotels der Welt.


Foto: © DOMUSimages – Alexander Rudolph

den menschenleeren Strand. Die Sturmfahne knatterte am Mast neben dem unbemannten Lebensretterturm. Weit draußen ein unverdrossener Surfer. Er schloss das Fenster und packte seine Koffer aus. Dann duschte er und zog den schiefergrauen Kaschmirdreiteiler an. Eine Weste konnte bei diesem Wetter nicht schaden. Als er die Krawatte band, fiel sein Blick auf ein kleines gerahmtes Foto, und er musste lächeln. Es zeigte den jungen Douglas Fairbanks. Er trug eine Augenklappe. Die Bar war leer bis auf ein altes Ehepaar, das aussah, als wäre es von der tea time übriggeblieben. Die Frau las Zeitung, der Mann löste ein Kreuzworträtsel. Es schien nicht besonders schwierig zu sein, denn jedes Mal, wenn er sie nach einem Wort fragte, wusste sie es, ohne von ihrer Lektüre aufzuschauen. Allmen setzte sich in ein etwas abgelegenes kleines Sitzgrüppchen; er hoffte, dort später vor Mithörern sicher zu sein, und bestellte ein Mineralwasser. Er wollte nicht mehr intus haben als Tenz. Auch die Bar hatte sich nicht verändert. Es musste fünfzehn oder sechzehn Jahre her sein, seit er das letzte Mal hier war. Aber noch immer verspürte er das Gefühl von Wehmut, das ihn am Ende seines letzten Aufenthalts umfangen gehalten hatte. Ein paar Tage zuvor hatte er von Gabrielle Tapping Abschied genommen. Sie hatten zwei unvergessliche Wochen im du Palais verbracht und dabei immer gewusst, dass es die letzten sein würden. Gabrielle war verheiratet und hatte keine Absicht, daran etwas zu ändern. Sie hatten sich im Hotel kennengelernt, und sie hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Geschichte nicht über ihren gemeinsamen Aufenthalt hinausgehen würde. Das war auch ganz in seinem Sinn gewesen, er wollte sich nicht binden. Doch je näher der Tag des Abschieds gekommen war, desto deutlicher wurde ihnen bewusst, dass es nicht so einfach sein würde. Sie waren beide drauf und dran, sich ernsthaft zu verlieben. Nach dem tränenreichen Adieu hat-

te er hier noch drei melancholische Tage verbracht, und die gleiche Wehmut beschlich ihn seit seiner Ankunft. Schlag sechs begann am anderen Ende des Raums der Pianist zu spielen. Kurz darauf betrat ein Mann die Bar, sah sich um und kam auf ihn zu. Tenz, der Bilderdieb. Er war etwas fülliger, als Allmen ihn in Erinnerung hatte, sein weißblondes Haar war windzerzaust, und er besaß den Teint eines Strandspaziergängers.

»Sie sind ein Detektiv?« »Kunstfahnder trifft es besser.« Tenz bestellte einen Campari, und Allmen schloss sich an. »Sind Sie oft im du Palais um diese Jahreszeit?«, fragte er, um das Gespräch in Gang zu bringen. »Es ist eine der besten Arten, den europäischen April zu überstehen«, antwortete Tenz. »Da haben Sie recht. Im du Palais und im Hassler in Rom.« »Mir ist das Hassler etwas zu überladen«, wandte Tenz ein und kam ohne weitere Umschweife zur Sache: »Wer sind Sie?« Allmen gab ihm sein offizielles Kärtchen. Allmen International Inquiries. The Art of Tracing Art. Johann Friedrich von Allmen.

»Sie sind ein Detektiv?« »Kunstfahnder trifft es besser.« »Sie wissen, dass das Bild schon Diebesgut war, bevor es den unrechtmäßigen Besitzer wechselte?« »Darüber bin ich selbstverständlich informiert.« »Ich wollte es einfach erwähnt haben. Damit wir von den gleichen Voraussetzungen ausgehen.« Allmen nickte. »Zwei Millionen bietet sie also?« »Bieten ist zu viel gesagt. Ist sie bereit zu zahlen.« »Zwei Millionen sind mir zu wenig.« »Weshalb haben Sie mich dann herbestellt?« »Wer bereit ist, zwei Millionen in die Hand zu nehmen, zahlt auch mehr.« »Ich bin autorisiert, bis zwei zu gehen.« »Niemand steigt mit dem Höchst­ gebot in die erste Runde.« »Ich würde es an Ihrer Stelle nicht darauf ankommen lassen.« Tenz musterte ihn wie ein Boxer seinen Gegner. Er wechselte die Taktik. »Das Bild ist verkauft.« Allmen wechselte sie auch: »Ich weiß. An Tino Rebler.« »Wenn Sie das so genau wissen, weshalb wenden Sie sich dann nicht direkt an ihn?« »Sie haben den besseren Draht zu ihm.« »Stimmt.« Tenz wartete ab. »Sie haben ihn schon informiert, nicht wahr?«

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Tenz nickte. »Deshalb sage ich: Zwei Millionen reichen nicht.« »Weil er es seiner Dalia geschenkt hat.« Falls Tenz überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Auch.« »Was hat er Ihnen bezahlt?« »Zu viel für Ihr Angebot. Wenn wir beide, er und ich, ein gutes Geschäft machen wollen, müssen Sie schon höher einsteigen.« »Sie drei, wollten Sie sagen. Vergessen wir Teresa nicht.« Diesmal schien Tenz doch etwas ertappt. Aber er blieb schlagfertig. »Wir vier. Vergessen wir auch Sie nicht.« Er lachte. Allmen fiel auf, dass er gebleichte Zähne hatte. Allmen gab sich geschlagen. »Ich werde mit meiner Auftraggeberin Kontakt aufnehmen.« »Tun Sie das. Am besten gleich.« Allmen erhob sich. »Das kann schon eine Weile dauern.« »Wir haben Zeit.« Von seiner Suite aus rief er Carlos an. »Wie hoch soll ich gehen, Carlos?« »Hatte Madame Gutbauer nicht gesagt, Sie sollten beim Wert des Bildes von den dreieinhalb Millionen Dollar ausgehen, die das Blumenbild von Fantin-Latour im Jahr zweitausend bei Christie’s New York erzielt hat?« »Materiell, hatte sie betont. Immateriell das Doppelte.« »Dann denke ich, wir können schon bis drei Millionen gehen, Don John.« 10

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Als er zurück in die Bar kam, brachte der Kellner gerade den dritten Campari für Tenz. »Und?«, fragte er und versuchte, es beiläufig klingen zu lassen. »Good news«, antwortete Allmen und ließ ihn noch einen Moment zappeln. Tenz beging den Fehler, einen Schluck aus dem Glas zu trinken. Seine Hand zitterte ein wenig und ließ Allmen eine spontane Entscheidung tref-

»Es ist nicht, was Geld aus uns macht. Es ist, was kein Geld aus uns macht.« fen. »Zweieinhalb«, sagte er. Sein Gegenüber war schließlich auch kein ehrlicher Mann. Die Rotonde war ein runder Saal in Weiß und Gold, dessen Licht aus Kristallleuchtern sich mit der blauen Dämmerung vermischte. Sie saßen am Fenstertisch von Tenz, obwohl Allmen lieber an seinem Stammtisch gesessen hätte. Dafür schloss sich dieser Allmens nostalgischer Bestellung an:

Médaillon de foie gras à l’ancienne, haricots verts als Vorspeise und als Hauptgang Sole cuite à la poêle, beurre meunière, pommes vapeur. Auch beim Wein überließ er Allmen die Wahl: eine Flasche Taittinger, Comtes de Champagne, Rosé 2002 für den Anfang, danach eine Flasche Château d’Yquem. Jahrgang 1996, um Madame Gutbauers Spesenrechnung nicht allzu sehr zu belasten. Und damit es, je nachdem, auch eine zweite werden durfte. Draußen schäumte der Atlantik, und der Regen überzog die Fenster mit glitzernden Perlen. Speisen und Getränke, der für beide befriedigende Abschluss des Geschäfts und eine gewisse Seelenverwandtschaft, die nach und nach zutage trat, beflügelten das Gespräch und machten aus dem konspirativen Treffen einen unerwartet behaglichen Abend. Auch Tenz war weitgereist, polyglott und ein Kenner und Liebhaber der angenehmeren Seiten des Lebens. »Nicht wahr, es war Cheryl, die mich verraten hat!?« »Wir geben unsere Quellen nie preis«, erwiderte Allmen. »Wie haben Sie sie dazu gebracht?«


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Allmen gab keine Antwort. »Eine seltsame Frau. Sie hasst Dalia Gutbauer. Und trotzdem bleibt sie bei ihr. Wie Onkel Hardy. Er hasste sie und blieb.« »Und wie Teresa Cutress«, fuhr Allmen fort. »Hasst und bleibt.« »Was das Geld doch aus uns macht«, sagte Tenz nachdenklich. »Nicht das Geld. Die Leute, die es besitzen«, korrigierte ihn Allmen.

Tenz trank den letzten Schluck aus seinem Glas und dachte darüber nach. Er kam zu einem anderen Schluss: »Weder noch. Es ist nicht, was Geld aus uns macht. Es ist, was kein Geld aus uns macht.«

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224 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06860-3 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book Erscheint im Juli

Mit dem Diebstahl von fünf Jugendstil-Schalen geht alles los. Der bringt Allmen – verarmter Lebemann und Schöngeist – und sein Faktotum Carlos auf eine Geschäftsidee: eine Firma für die Wiederbeschaffung schöner Dinge. Die Geburt eines ungewöhnlichen Ermittlerduos und der Start einer wunderbaren Krimiserie.

Im zweiten Fall wird es für »Allmen International Inquiries« ernst. Ein seltener, viele Millionen schwerer Diamant soll wiederbeschafft werden. Und nichts ist so, wie es scheint, in diesem Fall von wahrhaft globalem Interesse.

Aus dem Duo ist ein Trio geworden, an den finanziellen Verhältnissen jedoch hat sich nichts geändert. Umgeben von halbseidenen Halbganoven, versuchen Allmen, Carlos und Maria im Fall eines verschwunde­ nen Gemäldes ihren Sinn für Richtig und Falsch zu bewahren.

Das Blatt von Alice Schwarzer www.emma.de/abo T 0711/7 25 22 85

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Schaufenster

Diogenes: Verlag des Jahres Was für ein schönes nachträgliches Geschenk zum 60. Verlagsjubiläum: Die deutschen Buchhändlerinnen und Buchhändler haben Diogenes zum Verlag des Jahres gewählt (punktgleich mit dem Carl Hanser Verlag in München). Diogenes wurde damit zum elften Mal Verlag des Jahres – so oft wie kein anderer Verlag.

Books Do Furnish a Room, heißt ein berühmter Roman von Anthony Powell aus dem Jahr 1971, inzwischen ein Klassiker der englischen Literatur. Noch ein paar Jahre früher meinte Cicero: »Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele«, oder Hermann Hesse: »Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.« Das wissen auch die Einrichtungshäuser, die in ihrer Werbung immer wieder Bücher als Dekoration einsetzen. Einige Diogenes Bücher haben es nun sogar auf den Umschlag eines schönen Bildbands geschafft, der im Callwey Verlag erschienen ist und sinnigerweise Wohnen für die Seele heißt.

3:2 für Paulo Coelho Motivation einmal anders: Im Nordderby-Klassiker zwischen dem HSV und Werder Bremen kam Anfang des Jahres auch ein Schriftsteller zum Zug. Wie die BILD berichtete, las HSVTrainer Thorsten Fink seinen Spielern vor dem Anpfiff einige Zeilen aus Paulo Coelhos Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt vor. »Das hat wunderbar gepasst«, sagte Fink. Tenor: »Wenn man alles tut, voll konzentriert und mutig ist, dann bekommt man auch etwas zurück.« Und, siehe da, der HSV schlug Werder mit 3:2. Paulo Coelho sei Dank!

Auszeichnungen Zwei originelle Auszeichnungen für John Irving: Der amerikanische Bestsellerautor, dessen letzter Roman In einer Person einen transsexuellen Helden in den Mittelpunkt des Geschehens stellt, hat Anfang April den Straight for Equality in Literature Award in New York erhalten. PFLAG, die amerikanische Non-Profit-Organisation für Familien und Freunde Homo-, Bi- und Transsexueller, würdigt damit John Irvings Bestreben für sexuelle Toleranz und Gleichbehandlung in seinem literarischen Werk. John Irving erhält außerdem im Juni 2013 den Lambda Literary Foundation Bridge Builder Award der weltweit größten LGBT(Lesbian, Gay, Bisexual and Transsexual)-Literatur-Organisation. Nicht für ihr literarisches Engagement, sondern für ihre Unterstützung der Hospiz- und Palliativarbeit in Deutschland erhielt Doris Dörrie im vergangenen Jahr durch Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz. Petros Markaris wurde in Lyon der Prix du polar européen der französichen Wochenzeitung Le Point für den ersten Band seiner Griechenland-Krisentrilogie Faule Kredite verliehen, als bester Kriminalroman eines europäischen Autors.

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Illustration links: Saul Steinberg, Untitled, c. 1950-54 / Ink on paper / © The Saul Steinberg Foundation / 2013, ProLitteris, Zurich; Illustration rechts: © Jean-Jacques Sempé

Book Casting

Auch bei einer Wahl, bei der nicht das Herz, sondern trockene Zahlen entschieden, lag Diogenes 2012 ganz vorne, nämlich auf Platz 1 der Spiegel-Jahresbestsellerliste: Mit Bestsellerplatzierungen der Neuerscheinungen von Martin Suter, Donna Leon, John Irving, Martin Walker, Ingrid Noll, Petros Markaris war Diogenes im letzten Jahr der erfolgreichste Belletristik-Verlag im Bereich Hardcover.


Diogenes im Vatikan Der kleine Nick sorgt für Schlagzeilen im Vatikan: Das offizielle Organ des Kirchenstaats, der Osservatore Romano, berichtete von der ersten lateinischen Ausgabe der Abenteuer des kleinen Nick in Frankreich, die im Frühjahr 2014 auch bei Diogenes auf Lateinisch erscheinen sollen.

Habemus librum: Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den katholischen Verlagshäusern Herder und Patmos, nostra culpa, aber das Buch zum neuen Papst Franziskus ist bereits seit über dreißig Jahren bei Diogenes lieferbar.

Philatelie Tomi Ungerer hat, wie schon zum vierzigsten Jahrestag des Elysée-Vertrags, der die deutsch-französische Versöhnung besiegelte, auch zum fünzigjährigen Jubiläum die Gedenkbriefmarke für die französische Post gestaltet.

Jedes Jahr zehn spannende Premieren abo @ du-magazin.com +41 71 272 71 80 www.du-magazin.com

Die Zeitschrift der Kultur

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Endlich Sommer! Endlich Lesen! Diogenes Taschenbuch detebe 24193, 256 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Diogenes Taschenbuch detebe 24198, 336 Seiten

288 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06850-4 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Elsa ist starrköpfig, widerspenstig, verletzlich und manchmal schlicht und einfach ein Biest. Für den Künstler Lorenz Brauer und seinen Bruder Karl ist ihr Name gleichbedeutend mit Schicksal. Sie ist das Mädchen, an das einer der Brüder sein Herz verlor und der andere seine Illusionen. Das Mädchen, das keiner von beiden vergessen kann. Zärtlich und schonungslos schlägt Astrid Rosenfeld einen Bogen von einer verrückten Kindheit auf dem Land bis zum Glamour und den Perversionen der modernen Kunstwelt.

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Francis, achtzehn, wohnt mit seiner Mutter in einem Trailerpark in New Jersey und sieht sein Leben schon dort enden. Bis zu dem Tag, an dem er die Wahrheit über seine Zeugung erfährt. Zusammen mit seinem besten Freund Grover, einem verschrobenen Superhirn, und dem Mädchen seines Herzens, der unberechenbaren Anne-May, macht er sich auf eine Reise quer durchs Land zur Westküste, um seinen Vater zu finden. Ein dramatischer Erkundungstrip mit einem atemberaubenden Showdown.

Ein Sommer in Spanien, nach dem nichts mehr so sein kann, wie es war. Vier äußerst unterschiedliche Menschen, alle auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens. Aber kann man das Glück buchen wie einen Urlaub, alles inklusive? Ein herzzerreißend komischer Roman über Mütter und Töchter, über die Zumutungen der Liebe und das Glück der Freundschaft, und über unsere ewige Sehnsucht nach dem Süden.

Diogenes Taschenbuch detebe 24243, 656 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Daniel hat eine halbe Flasche Wodka intus und fährt viel zu schnell. In der Peripherie von Mailand kommt es zum Crash und zur Begegnung mit Clare – Amerikanerin, liiert mit einem Anwalt. Daniel ist Schriftsteller und Vater zweier halbwüchsiger Kinder. Mit dem Unfall beginnt ein Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung, von geschenkten und verpassten Momenten. Die Geschichte einer Suche nach Wahrhaftigkeit – und einer Liebe, die kaum möglich scheint.


Diogenes Taschenbuch detebe 24252, 272 Seiten

Sommerzeit ist auch Lesezeit. Liest es sich nicht viel schöner in den lichtdurchfluteten Tagen des Sommers als unter dem künstlichen Licht einer Leselampe im Herbst oder Winter? In Endlich Sommer! erzählen so bekannte und beliebte Autoren wie Doris Dörrie, Martin Suter und Zsuzsa Bánk von der Sehnsucht nach wolkenlosem Himmel und den Abenteuern, die sich darunter abspielen.

Diogenes Taschenbuch detebe 24250, 416 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Diogenes Taschenbuch detebe 23307, 224 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Nach einer ersten Verabredung bringt der Mann die Frau nach Hause. Dabei läuft den beiden ein herrenloser junger Hund zu. Aber wer von beiden könnte gerade jetzt einen Hund gebrauchen? Der Mann darf »nur auf einen Kaffee« mit zu der Frau, und der Welpe soll wenigstens etwas zu fressen bekommen, bevor beide wieder gehen. Doch der Mann übernachtet bei der Frau, und auch der Hund darf bleiben – und wird zum Seismographen der Beziehung.

Diogenes Taschenbuch detebe 24237, 240 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Peter Hunkeler liegt im Solebad und kuriert sein Rückenleiden, als die Leiche eines Kunsthändlers aus Basel vorübertreibt. Der Kommissär taucht ein in die Welt des illegalen Kunsthandels. Die Spur führt ihn schließlich zur sagenumwobenen ›goldenen Hand‹ Rudolfs von Rheinfelden, für die sich einige Leute zu interessieren scheinen …

Für Brunos Geschmack ist im malerischen Saint-Denis im Périgord entschieden zu viel los: Ein spanisch-französisches Gipfeltreffen ruft die Separatistenbewegung ETA auf den Plan, eine Gänsefarm wird von Tierschutzaktivisten attackiert, und dann ist da noch die archäologische Ausgrabungs­ stätte, deren Forschungsleiter nach einem prähistorischen Menschen sucht.

272 Seiten, Paperback ISBN 978-3-257-30016-1 Auch als Diogenes E-Book

Lorenzo wurde im Leben wenig geschenkt: Er musste all seine Kraft darauf verwenden, sich durchzuboxen. Beruflich hat ihm das zu einer Traumkarriere in der Werbung verholfen, seine Familie und seine Freundin kamen jedoch zu kurz. Nun hat ihn Federica verlassen – und sein Vater sich von ihm abgewendet. Lorenzo setzt alles daran, die beiden geliebten Menschen zurückzugewinnen …

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Foto: Nathan Beck / © Diogenes Verlag


Interview

Belgrad noir

Foto: © Mikica Petrovic / AP/ K EYSTONE

Auftritt Milena Lukin. Die Expertin für internationales Strafrecht ist in spektakuläre Fälle verwickelt und nimmt uns mit in ein Land, von dem wir viel zu wenig wissen: nach Serbien. Kornblumenblau ist der Auftakt der ersten deutschsprachigen Krimiserie, die in Belgrad spielt. Die Autoren: Christian Schüne­ mann, bekannt als Schöpfer des ersten Frisörs unter den literarischen Privatermittlern, Tomas Prinz, und seine langjährige enge Freundin, die Belgrader Literaturwissenschaftlerin Jelena VoliĆ, die mit diesem Roman ihr belletristisches Debüt vorlegt. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gemeinsam einen Kriminalroman zu schreiben? Christian Schünemann: Wir wollten schon lange etwas zusammen machen. Jelena hatte immer tausend Geschichten im Kopf und eben diese Frauen­ figur, aus der dann Milena Lukin, die Heldin von Kornblumenblau, geworden ist. Irgendwann saß ich mit Ursula Baumhauer, meiner Lektorin, zusammen und hab mich verplappert. Es gäbe da diese Freundin, die ich schon mein halbes Leben kenne und mit der ich gern einen Roman schreiben würde. Ursula ist gleich drauf angesprungen. Dann kam noch das Recherchestipendium von der Robert Bosch Stiftung. Da hab ich gesagt: Komm, Jelena, jetzt müssen wir es endlich machen. Wie haben Sie sich kennengelernt? Christian Schünemann: Im Studium in Münster in den Achtzigerjahren, zu Zeiten der Gorbatschow-Euphorie. Wir saßen gemeinsam im Russischkurs. Jelena war die Einzige, deren Russisch sich wirklich nach Russisch anhörte.

Jelena Volić: Hast du nicht auch einen Serbischkurs bei mir gemacht? Christian Schünemann: Ja, und du hast mir nur eine Drei gegeben … Sie leben in Berlin, Herr Schünemann, Sie, Frau Volić, in Belgrad, wo Sie an der Universität Literatur unterrichten. Wie kommunizieren Sie? Christian Schünemann: Viele, viele EMails. Jelena Volić: SMS ohne Ende, unsere Telefonrechnungen sind horrend. Also, wenn jemand etwas von einem Telefonstipendium weiß … Gibt es eine klare Rollenverteilung zwischen Ihnen? Christian Schünemann: Schwierig, das auf einen Nenner zu bringen. Erst dachte ich, man könne sagen, dass ich beim Ausdruck das letzte Wort habe und Jelena beim Inhalt. Aber das stimmt so nicht. Derjenige von uns, der gerade schreibt, hat inhaltlich automatisch die Nase vorn, weil beim Schreiben so vieles passiert, das man vorher nicht absprechen kann. Zum Glück. Und beim Ausdruck ist es so, dass Jele-

na viele Bilder mitbringt, die mir nicht in den Sinn kämen. Eins jedoch kann man vielleicht sagen: Ich bin eher derjenige, der die Fragen stellt, Jelena diejenige, die die meisten Antworten hat. Jelena Volić: Ich bringe natürlich das typisch Slawische mit: das Ausufernde, Pathetische, Dramatische. Christian steuert mit seinem norddeutschen protestantischen Temperament dagegen an. Diese Grenzgänge sind einmalig. Wir kennen uns jetzt 26 Jahre und sind in dieser Zeit wie zusammengewachsen. Wir genießen es, Geschichten zu suchen und sie aufzuschreiben. Geschichten gibt es überall. Mittlerweile gehe ich durch die Welt und habe Christians Brille auf: Alles, was mich bewegt, versuche ich auf seine ironische und liebevolle Art zu sehen. Dennoch bleibt viel Dramatik und Pathos in meiner Wahrnehmung. Das wiederum bereichert Christians Blick auf die Welt. Eigenheiten spürt man dennoch. Vera, Milena Lukins Mutter, ist wohl Ihre Figur, Frau Volić, und der deutDiogenes Magazin

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hergewälzt. Wir simsen und mailen uns ständig. Aus diesem Hin und Her entsteht so ein Text. Christian Schünemann: Manchmal habe ich das Gefühl, etwas unbedingt ganz genau wissen zu müssen. Das kann auch etwas so Blödes sein wie die Frage danach, wie lange Mais braucht, um gar zu werden. Dann schreibe ich

Schünemann: »Ich bin eher derjenige, der die Fragen stellt, Jelena diejenige, die die meisten Antworten hat.« Jelena schnell eine SMS. Ich weiß jetzt wirklich alles über Mais. Für den Roman konnten wir es dann aber doch nicht gebrauchen. Solche überzähligen Dinge wandern in das »Milena-LukinArchiv« – für die Folgeromane. Wie haben Sie recherchiert? Jelena Volić: Christian kam mit dem sogenannten Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung nach Belgrad und zog durch die Stadt. Dabei passierten auch recht seltsame Dinge. Irgendwann bekam ich eine SMS von ihm: »Du, ich bin verhaftet worden.« Ich dachte, der macht Witze, und schrieb: »Soll ich dich retten kommen?«

Foto: © Walter Bibikow / Photographer’s Choice / Getty Images

sche Diplomat vermutlich eher die von Herrn Schünemann, oder? Jelena Volić: Dennoch, ohne Christians Blick würde es Vera so nicht geben. Und den Ort der Handlung, Belgrad, genauso wenig. Belgrad ist der Ort meiner Kindheit und Jugend, ich habe nicht die nötige Distanz zu dieser Stadt. Christian Schünemann: Genauso ist es mit dem Botschafter. – Wir ergänzen uns gut. Wenn du all deinen Ärger über die Deutschen im Ausland in die Figur des Botschafters packst, kann ich da gut einhaken. Schließlich kenne ich selber diese Situation, weil ich in den Neunzigerjahren mit der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Bosnien war, als Wahlbeobachter. Manchmal musste ich leider wüst streichen, weil Jelena so unglaublich viel Material liefert. All die tausend schönen Sachen, das ist schade … Jelena Volić: … aber eigentlich immer eine Verbesserung. Bei mir gibt es oft dieses typisch slawische »Zuviel«. Christian bringt Leichtigkeit in unseren Text, Schnelligkeit. Christian Schümann: Aber das Gewicht braucht es auch … Wie ist es Ihnen gelungen, dass der Roman trotz der Co-Autorenschaft wie aus einem Guss wirkt? Jelena Volić: Jedes Wort wird hin- und

Darauf er: »Lass mal, ist gut für die Recherche.« Christian Schünemann: Das muss ich vielleicht erklären: Ich bin mit der Kamera durch Belgrad gelaufen und habe einfach rumfotografiert. Das ist die beste Recherche überhaupt. Wenn ich mir die Bilder später ansehe, fallen mir Dinge auf, die ich beim bloßen Rumlaufen nicht bemerken würde. Aus Versehen hatte ich die amerikanische Botschaft fotografiert und wurde prompt verhaftet. Ausweisen konnte ich mich auch nicht, alles, was ich bei mir hatte, war eine abgelaufene Bahncard. Umso besser für den Roman, dachte ich: Nehmt mich mit! Man erfährt in Ihrem Roman nebenbei sehr viel über Belgrad, eine Stadt, nur 1250 Kilometer von Berlin entfernt, die einem dennoch so wenig vertraut ist. Jelana Volić: Dabei verbindet Deutsche und Serben oder Jugoslawen eine lange Leidensgeschichte. Belgrad ist eine schöne Stadt. Es gibt dort zwar keine bedeutenden Baudenkmäler wie in Paris oder Rom, dafür aber … … viel zu essen und zu trinken. Jelena Volić: Genau. Gutes Essen, viel Fleisch; schöne Frauen mit Beinen bis zum Hals. Belgrad ist eine der ältesten Städte Europas. Mit einer wahnsinnigen Aussicht, an zwei mächtigen Gewässern gelegen, der Donau und der Save. Die Brankov-Brücke ist das eigentliche Wahrzeichen von Belgrad. Sie verbindet die historische Altstadt Stari Grad mit Novi Beograd, NeuBelgrad. Zemun, nördlich der Save, war früher Österreich-Ungarn, gegenüber lag das Osmanische Reich. Belgrad ist geprägt durch dieses Sowohl-als-auch. Sowohl links als auch rechts. Sowohl Norden als auch Süden. Sowohl Westen als auch Osten, Okzident und Orient. Wenn ich mal wieder die Nase voll habe von den Serben und ihrer Politik, zwinge ich mich dazu, daran zu denken. Christian Schünemann: Für mich gibt es zwei Belgrads: das Belgrad, in dem die Nationalisten gegen die Verhaftung von Mladić demonstrieren, wo die Demonstrationen von Schwulen und Lesben durch die Polizei geschützt werden müssen. Das ist das finstere, das un-


sympathische Belgrad. Dann gibt es das Belgrad der Freunde und der Familie, mit aufgeschlossenen, freundlichen und coolen Menschen, die in einer bunten und lebenswerten Stadt wohnen und arbeiten. Diese beiden Bilder von Belgrad zusammenzubringen, das ist für mich das Reizvolle. Jelena Volić: Wie alle Metropolen hat Belgrad verschiedene Gesichter. Viele Jahrhunderte stürmte es wie wild über dem Balkan, es gab kaum Jahrzehnte ohne Krieg; und Freiheit für die gewöhnlichen Menschen war nie selbstverständlich. Ich glaube, dass man in Belgrad lernt, genauer hinzuschauen, weil dort nichts einfach zu erreichen ist. Das Leben dort ist anstrengend: In jedem Augenblick erlebt man, dass Europa nicht nur in Athen zu Hause ist, sondern auch in Konstantinopel. In Belgrad werden immer noch alle politischen Optionen diskutiert: gleich ob Monarchie, Sozialismus oder Demokratie nach westlichem Muster. Alles ist erlaubt. Politische Korrektheit ist immer noch Sache der intellektuellen Eliten. Man vergisst in keiner Minute, wie wertvoll und fragil Freiheit und Frieden sind. Und man glaubt immer noch, dass es Ideale gibt, für die man sein Leben aufs Spiel setzen sollte. Milena Lukin, die sympathische Protagonistin in Kornblumenblau, führt die Leser durch die pulsierende Stadt … Jelena Volić: Auch ein Fall von Sowohlals-auch. Sie ist halbe Deutsche, halbe Serbin und hat zwei Pässe. Das macht es so leicht, ihr als Leser zu folgen. Jelena Volić: Das war die Intention! Der zweite Fall mit Milena ist bereits in Vorbereitung? Christian Schünemann: Ja. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir darin den Kosovo in den Vordergrund rücken. Wenn man an Serbien denkt, denkt man ja automatisch auch an den Kosovo, die »Wiege der Serben«, aber auch an die Unabhängigkeitsbestrebungen der Republik, den seltsamen Status des Kosovo. Wer davon profitiert … Jelena Volić: … und wer die Kosten tragen muss. So vieles ist in der Region in Bewegung. Davon bekommen wir hier kaum etwas mit …

Christian Schünemann: Parallel zur letzten Wahl in Frankreich gab es auch in Serbien einen dramatischen Regierungswechsel mit weitreichenden Folgen. Darüber haben die deutschen Medien kaum berichtet. Stattdessen lang und breit über die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und natürlich über Frankreich. Die Neue Zürcher Zeitung zum Beispiel oder auch die International Herald Tribune berichten dagegen ausführlich aus der Region. Jelena Volić: Leider ist die politische Entwicklung sehr komplex und nicht leicht zu verstehen. Mit der Anerkennung des Kosovo ist der Weg für weitere Auseinandersetzungen gebahnt. Es ist natürlich absolut legitim, dass ein Volk nicht mehr in einer Föderation leben will. Ich hatte gehofft, die Serben würden erstmals in der Geschichte die Arme öffnen und sagen: Kommt, liebe Brüder, jetzt seid ihr unabhängig, jetzt machen wir Geschäfte miteinander. Doch leider ist das nicht der Fall …

Transhelvetica Schweizer Magazin für Reisekultur

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Buchtipp

368 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06833-7 Auch als Diogenes E-Book

Belgrad – eine europäische Metropole, so nah und doch so fern. Unter der kundigen Führung von Milena Lukin erschließt sich nicht nur ein aufsehenerregendes Verbrechen, sondern eine faszinierende Stadt im Brennpunkt europäischer Geschichte. »Kornblumenblau entwirft ein Bild von Serbien, das ganz weit weg ist von allem, was einen sonst Berührungsängste entwickeln lässt.« Susan Vahabzadeh / Süddeutsche Zeitung, München

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Motion Picture Artwork Š 2013, Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


o 2013 im Kin Ab 16. Mai atsby Der große G

Luhrmann by, Regie: Baz als Jay Gats o DiCaprio rd a n o , n Le a it n a M Buch an als Daisy ig ll u M nd y u re Ca k Carraway uire als Nic g a M ey b To ren vielen ande

Simone Lück

Let’s swing! Die Goldenen Zwanziger tanzen sich wieder in unser Leben: Kein Jahrzehnt wird in der Mode öfter zitiert – und kein Roman stellt die Mode dieser Zeit mehr in den Fokus als Der große Gatsby. Die neue Freiheit

Fotos: © 2013 Warner Bros. Ent. Inc. All Rights Reserved.

Der einzige vollkommen unbewegliche Gegenstand im Raum war eine riesige Couch, auf der zwei junge Frauen schwebten wie in einem verankerten Fesselballon. Sie waren beide ganz in Weiß gekleidet, und ihre Röcke schwangen und flatterten, als wären sie nach einem kurzen Flug ums Haus eben erst wieder hereingeweht worden. Flatternde Röcke, zarte Stoffe, lässige Leichtigkeit – ein paar Jahre zuvor wäre das undenkbar gewesen. Als Nick Carraway, der Erzähler aus F. Scott Fitzgeralds Der große Gatsby, das Wohnzimmer eines Freundes betritt, sieht er vor sich das Ergebnis einer neuen selbstbewussten Weiblichkeit: zwei Damen, in luftige weiße Kleider gehüllt. Ganz anders wäre der Anblick während der Belle Epoque gewesen, als Frauen noch in enge Korsetts gezwängt wurden, die ihnen eine Wespentaille zauberten und die Brüste dekorativ nach oben schoben. Doch nun, Anfang der Zwanziger, hatten sie sich befreit. Oder besser gesagt: Die Modeszene hatte sie befreit.

Alles begann mit der Vision des französischen Designers Paul Poiret, der als Erster Kleider ohne Korsett anfertigte. Nach dem Krieg führte Coco Chanel seine Idee weiter und erfand einen neuen Look für einen neuen, androgynen Frauentyp: den GarçonneStil. Die Merkmale dieses jungenhaften Chics waren kurze Haare, schmal geschnittene Hosen oder Röcke und Kastenjacken. Und? Ihre Kollektionen wurden geliebt. Vor allem das kleine Schwarze – ihre wohl berühmteste Innovation: ein knielanges Kleid aus feinem Crêpe de Chine oder Crêpe Marocain, mit langen Ärmeln und niedrig angesetzter, kaum betonter Taille. Die Abendmodelle hatten raffinierte Rückendekolletés, die Nachmittagskleider einen dezenten Halsausschnitt. Vornehmlich in Schwarz und Weiß. Doch nun zurück zu den Damen auf dem Sofa. Die eine? Daisy, die Frau von Tom Buchanan – und Gatsbys große Liebe. Die andere? Jordan Baker, eine Golferin – und das nicht von ungefähr. Waren es doch auch die Sportlerinnen, die zur Emanzipation der Frauen beitrugen. So verzichtete die Tennisspielerin Suzanne Lenglen von

ihrem ersten Auftritt 1919 in Wimbledon an auf das übliche Korsett. Und die Pilotin Amelie Earhart, die 1928 als erste Frau den Atlantik überquerte, trug mit Vorliebe Hosenanzüge und Kurzhaarfrisuren. Glamour mit Suchtfaktor Mrs. Wilson hatte sich eine Weile vorher umgezogen und trug nun ein raffiniertes Nachmittagskleid aus cremefarbenem Chiffon, das ein unablässiges Rascheln von sich gab, wenn sie sich durchs Zimmer bewegte. Unter dem Einfluss des Kleides hatte sich auch ihr Auftreten geändert. Die enorme Vitalität, die in der Autowerkstatt so auffällig gewesen war, hatte sich in eine eindrucksvolle Grandezza verwandelt. Mit Grandezza und Nonchalance – so würde man jede Krise gern meistern. Mrs. Wilson, Tom Buchanans Geliebte, gewinnt ihre Fassung durch ein feines Chiffonkleid zurück. Es verspricht ihr Eleganz und Abenteuer. Kein Wunder! Ist Mode nicht immer ein Versprechen? Gerade in Krisenmomenten besinnen sich die DesigDiogenes Magazin

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ner auf alte, vermeintlich bessere Zeiten zurück. Seit der Millenniumswende kann man die Trends mit einem Wort zusammenfassen: retro. Vor allem ein Jahrzehnt hat es den Modemachern angetan: die Golden Twenties. So zeigt Nina Ricci in der aktuellen Kollektion glamouröse Fransenkleider, und bei Blumarine rutscht die Taille elegant auf Hüfthöhe. Wie so viele Labels spielen sie mit auffälligen Anleihen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, aus dieser zauberhaften kurzen Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, in der unbekümmert gelebt werden durfte: Man nahm vieles auf die leichte Schulter, verprasste sein Geld und bediente sich neugierig am Chic fremder Kulturen. Auch Coco Chanel ließ sich verführen. Sie verliebte sich in einen russischen Großfürsten, entwarf Russenblusen aus Satin, arbeitete mit Seide, Perlen, Glas und Strass. Luxus und Exotik, diese Elemente bestimmten auch die Kreationen einer anderen wichtigen Designerin dieser Zeit: Die Italienerin Elsa Schiaparelli verzierte ihre Kleider und Strickpullover mit orientalischen und arabischen Folkloremustern oder ließ sie in Flaschengrün und Bordeauxrot erstrahlen. Die Fashion-Highlights der wilden Zwanziger, wie entspannt fallende Flatterkleider, komplette Gentleman-

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Anzüge für moderne Garçonnes und fließende, mit Schmuckornamenten bestickte Stoffe, kehren immer wieder auf die Laufstege zurück. Auch Ralph Lauren begab sich auf Zeitreise: Im vergangenen Sommer präsentierte er eine ganze Kollektion im Gatsby-Stil. Kommt Ihnen bekannt vor? Genau! Ralph Lauren ist ein Wiederholungstäter. Bereits 1967 entwarf er die Kostüme für die erste Verfilmung des Erfolgsromans. Bei der Neuverfilmung, die jetzt in die Kinos kommt, durfte sich eine andere Designerin ausleben: Miuccia Prada überarbeitete vierzig Kleider von Prada und Miu Miu im Stil der Zwanziger. Schönheit der Nacht Die Sommernächte hindurch drang Musik aus dem Haus meines Nachbarn. In seinen blauen Gärten schwirrten Männer und junge Mädchen wie Falter zwischen dem Geflüster und dem Champagner und den Sternen umher. Dekadenz und Überfluss – wer es sich leisten konnte, oder auch nicht, feierte, als gäbe es kein Morgen. Opium, Alkohol, nackte Haut: Die Grenzen, die das rigide preußische System jedem Einzelnen zuvor gesetzt hatte, wurden mit Genuss überschritten. In der Weimarer

Republik sortierte sich nicht nur die Politik neu, sondern auch die Kultur. Ihre Vorreiter, Musiker, Literaten, Künstler und Intellektuelle, ließen es ordentlich krachen. Ein weiteres wichtiges Zentrum der Bewegung war Paris. Hier traf sich die Avantgarde im Salon von Gertrude Stein. Die Kunstsammlerin hatte zur Jahrhundertwende in der Rue de Fleurus 27 das erste Museum für moderne Kunst eingerichtet. Mit frühen Werken von Matisse, Renoir, Manet, Picasso, Gaugin und Toulouse-Lautrec. In den Zwanzigern versammelten sich hier amerikanische Autoren von F. Scott Fitzgerald über Sherwood Anderson bis Ernest Hemingway, der sich die Sinne gern mit einem Gemisch aus Absinth und Champagner vernebelte. Neben der Kunst, die sich neue Wege suchte, brachte die Musik neuen Schwung in die Gesellschaft: Aus Amerika kam der Jazz nach Europa – und mit ihm unerhörte Tanzstile, wie der Shimmy, mit exaltierten Sprüngen, Schreien und ganzem Körpereinsatz. Das legendäre Restaurant Bœuf sur le Toit in Paris entwickelte sich zur InLocation, die Louis Armstrong und Clément Doucet mit Jazz Sessions aufmischten und Jean Cocteau für seine dadaistischen Vorträge nutzte. Zudem machte Josephine Baker den Charles-


ton populär. Eine »Mulattin«, die oben ohne in den großen Theatern von Paris und Berlin tanzte. Mehr Befreiung ging nicht. Doch der eigentlich Star auf den ausschweifenden Partys war eine Kreation aus Stoff: das Flapper-Dress. Die französische Designerin Madeleine Vionnet hatte genau das passende Kleid zu den treibenden Rhythmen geschaffen. Ein kurzes Hängerkleid mit Trägern und Volants aus Fransen, die sich bei jeder Bewegung flirrend mit dem Körper seiner Trägerin mitbewegten. Zeiten des Umbruchs

Fotos aus den Kollektionen 2012 / 2013 von Paco Rabanne (Starface), Blumarine (Zeppelinphoto), Ralph Lauren (Zeppelinphoto), Nina Ricci (Zeppelinphoto) und Etro (Boisière / SIPA). © Dukas

Die Wagen aus New York parken in Fünferreihen vor dem Haus, und schon leuchten die Säle und Salons und Veranden vor satten Farben und seltsamen neuen Haarschnitten und Schals, von denen man in Kastilien nur träumte. »City Girls« nannte man sie. Junge Frauen, die mit kurzen Röcken, Bubiköpfen und Zigarettenspitze im Mundwinkel den It-Girls nacheiferten, wie der Schauspielerin Clara Bow, die den Begriff mit ihrer Rolle in dem Stummfilm It prägte. Aber auch Josephine Baker setzte 1925 durch ihren Auftritt in der Revue Nègre im Théâtre des Champs-Elysées

einen neuen Trend. Sie trug nicht nur einen Herrenhaarschnitt à la Coco Chanel, sondern präsentierte ihre Haare raspelkurz. Der Pariser Starfriseur Antoine hatte ihr diesen Look verpasst: Er hatte ihre Haare am Hinterkopf hoch anrasiert und den Rest mit Lack geglättet. Madame Chanel reagierte sofort und schickte ihre Models mit lackierten kurzen Frisuren zum kleinen Schwarzen über den Laufsteg. Doch nicht nur die Frisuren, auch die Röcke wurden immer kürzer. Und lenkten so den Fokus auf ein Kleidungsstück, das bisher unter langen Stofflagen verschwunden war: die Schuhe. Die Schaufenster der Schuhsalons waren mit völlig neuen Kreationen geschmückt. Besonders beliebt waren elegante Riemchenpumps und spitze Spangenschuhe mit hohen Absätzen aus edlen Materialen wie Satin oder Samt; aber auch Eidechsenleder, Schlangenhaut und Krokodilleder waren en vogue. Verziert mit Strass und Perlen wurden die Modelle zu feinen Kunstwerken. Die Lust am Überfluss manifestierte sich auch in allen anderen Accessoires: Paillettenbestickte Stirnbänder zierten Pagenschnitte und Wasserwellen, Pelze und Federboas schmiegten sich an nackte Schultern, der Cloche, ein eng anliegender Hut, setzte die Augen in

Szene – und lange Perlenketten tanzten mit den Charleston-Kleidern um die Wette. Gibt es etwas Schöneres, als heute wieder so in die Vergangenheit zu swingen?

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Buchtipp

Diogenes Taschenbuch detebe 24089, 256 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Die Roaring Twenties: Rauschende Partys finden auf dem Anwesen von Jay Gatsby statt. Der Gastgeber selbst aber bleibt im Hintergrund. Hinter der glänzenden Fassade nimmt die Tragödie ihren Lauf. Zur Neuverfilmung von Baz Luhrmann gibt es nun das »Gigantenwerk« (Frankfurter Neue Presse) mit dem Filmcover bei Diogenes.

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Mario Vargas Llosa

Wie ich die Angst vor dem Fliegen verlor Alles Mögliche hat der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa schon ausprobiert, um seine Flug­ angst zu überwinden: Alkohol – kontraproduktiv. Kein Alkohol – auch keine Lösung. Psychopharmaka – nutzlos. Zuletzt findet er doch ein Mittel, wenn auch eines mit Risiken und Nebenwirkungen ... Ein Erfahrungsbericht des Nobelpreisträgers. Zum ersten Mal auf Deutsch.

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anche Menschen sind der naiven Ansicht, die Angst vor dem Fliegen sei tatsächlich eine Angst vor dem Tod. Dem ist aber nicht so, die Angst vor dem Fliegen ist die Angst vor dem Fliegen, nicht vor dem Tod, und ist eine so spezifische Angst wie Höhenangst, Spinnen- oder Katzenphobie, um nur drei häufige Beispiele aus der unüberschaubaren Bandbreite menschlicher Ängste zu nennen. Die Angst vor dem Fliegen schwingt sich jäh auf, wenn ein einigermaßen phantasievoller und sensibler Mensch sich bewusst wird, dass er in zehntausend Metern Höhe mit tausend Stundenkilometern durch die Luft rast, und sich fragt: »Was zum Teufel tue ich hier?«, und zu zittern anfängt. Mir ging es so, nachdem ich bereits jahrelang so selbstverständlich Flugzeuge genommen hatte, wie ich meine Hemden wechselte. Ich bin weiter in diese fliegenden Ungetüme gestiegen, aber eine ganze Zeit lang brach mir der kalte Schweiß aus, sobald Turbulenzen kamen und das Gewackel begann. Mei-

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ne Freundin Saso, eine höchst liebenswerte Stewardess, die sich über den Wolken sicherer fühlt als auf festem Boden und bei der meine Flugangst demütigendes Gelächter hervorrief, versuchte, mich mit Hilfe von Statistiken zu heilen. Sie demonstrierte mir, was inzwischen ohnehin jedermann weiß.

Die Lösung fand sich ganz unvermutet auf einem Flug von Buenos Aires nach Madrid ... Dass Flugzeuge wesentlich sicherer sind als Autos, Schiffe, Züge und selbst Fahrräder oder Rollschuhe, da jährlich mehr Menschen bei der Verwendung dieser Fortbewegungsmittel verunglücken als beim Fliegen. Dass jeder noch so harmlose Spaziergang zu Fuß, statistisch gesehen, gefährlicher ist, als sich in die Luft zu begeben. Aber zumindest in meinem Fall vermögen ab­

strakte Statistiken weder Emotionen zu wecken noch Ängste zu verscheuchen, und sosehr mein Kopf sich auch von den Zahlen hatte überzeugen lassen, dass mir in einem Flugzeug weniger passieren konnte als im eigenen Bett, brachte ich jeden Flug äußerst elend zu. Ein Freund, der verstorbene uru­ guay­ische Autor Carlos Martínez Moreno, mit dem ich einmal flog, hielt während der gesamten Strecke ein schmuddeliges, zerfleddertes Exemplar von Madame Bovary in der Hand; er las nicht darin, streichelte es nur ohne Unterlass. Es war sein Glücksbringer, der ihm einen sicheren, ruhigen Flug garantieren sollte. Er hatte das Buch bei seiner ersten Flugreise dabeigehabt, und seitdem war es sein ständiger Reisebegleiter, weil Intuition, Imagination oder Verstiegenheit ihm sagten, dass nicht das reibungslose Funktionieren der Motoren oder das Geschick des Piloten, sondern dieser literarische Talisman die Flugzeuge, in denen er saß, vor Unglück und Schre-


Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

cken bewahrte. Doch bei mir wirkte Martínez Morenos Mittel nicht, dafür hege ich eine viel zu hartnäckige Skepsis gegen jede Form von Magie (vor allem gegen die moderne), vielleicht, weil ich einfach noch nicht auf das richtige Abrakadabra gestoßen bin, das mich davon überzeugen konnte. Eine puertoricanische Freundin, die sich ihr sorgloses Witwendasein mit Reisen durch die ganze Welt vertreibt, gestand mir, der Whisky habe sie von ihrer Flugangst kuriert. Auf jeder Reise hatte sie einen gut gefüllten Flachmann dabei, und nach dem zweiten oder dritten Schluck konnte der Flieger noch so schaukeln oder vom Wind gebeutelt werden, sie schüttelte sich vor Lachen. Ich probierte es mit ihrer Formel, aber auch das schlug fehl. Mein Organismus ist allergisch gegen Alkohol, und die Schlückchen Whisky, die ich mir einflößte, nahmen mir nicht die Angst vor dem Fliegen, sondern steigerten sie noch, ergänzt durch Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Übelkeit. Ich hätte mich vermutlich hemmungslos betrinken müssen, um ähnlich gelassen zu werden wie meine karibische Freundin nach ein paar Schlucken Alkohol. Die Medizin wäre schlimmer gewesen als die Krankheit. Ganz im Gegensatz zu meiner puertoricanischen Freundin gibt es Abstinenzler, die Flugangst Verdauungsbeschwerden und dem unmäßigen Genuss von Spirituosen während der Reise zuschreiben. Sie empfahlen mir, auf Flügen weder zu essen noch Wein zu trinken, sondern mich mit großen

und, wie sie versicherten, höchst beruhigenden Gläsern Wasser zu begnügen. Auch das zeigte keine Wirkung. Im Gegenteil, die aufgenötigte Diät machte mich tieftraurig und fügte meiner – ungeschmälerten – Angst die demoralisierenden Qualen von Hunger und ständigem Harndrang hinzu. Ebenso wenig halfen mir Seconal, Xanax und all die anderen Pillen zur Bekämpfung von Schlaflosigkeit. Es gibt bewundernswerte Menschen (ich beneide sie), die im Flugzeug von einer sofortigen Schläfrigkeit befallen werden und friedlich bis zur Landung durchschlafen, eingelullt vom Dröhnen der Motoren. Andere tun es ihnen nach, indem sie besagte Pillen schlucken und sich von ihnen ruhigstellen lassen. Nur schalteten Schlaftabletten leider nicht meine Träume aus, zudem verursachten sie mir Herzrasen, so dass ich mich in schrecklichen Alpträumen schweißgebadet vor Panik im Inneren eines Flugzeugs sitzen sah. Der künstliche pharmazeutische Halbschlaf nahm

mir also auch nicht die Angst, sondern übertrug sie auf Traum und Unterbewusstsein und verwandelte mich darüber hinaus bei der Ankunft in einen depressiven Zombie, eine Nebenwirkung, die Schlaftabletten stets bei mir haben. Die Lösung fand sich ganz unverhofft auf einem Flug von Buenos Aires nach Madrid, zufällig ein Jubiläum der ersten Flugverbindung zwischen beiden Städten (mit einer Iberia Douglas DC-4) am 22. September 1946. Am Flughafen kaufte ich einen Roman von Alejo Carpentier, den ich noch nicht gelesen hatte, Das Reich von dieser Welt. Nichts hatte mich auf diese Überraschung vorbereitet. Von den ersten Zeilen an, in denen Henri Christophes halluzinierender Streifzug durch die Stadt und der Bau der berühmten Zitadelle von Haiti beschrieben werden, zog mich diese großartig geschriebene und noch gekonnter konstruierte Erzählung, an der, wie bei allen Meisterwerken, nichts fehlt und nichts zu viel

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ist, vollkommen in den Bann, ließ mich alles ringsum vergessen, versetzte mich gute zehn Stunden lang von der kalten Sternennacht, die das Flugzeug durchmaß, in die wundersame, abenteuerliche, epische Welt Haitis im 19. Jahrhundert, wo grausame Gewalt sich mit zügelloser Phantasie verflocht und gewöhnlich Alltägliches mit Legende und Wundern verschmolz. Als ich die letzten Zeilen las, landeten wir gerade in Madrid-Barajas. Die Lektüre hatte genauso lange gedauert wie der Flug und meine Angst während der gesamten Strecke völlig vertrieben. Dieses Mittel hat sich seither bewährt – unter der Bedingung, dass ich für jeden Flug ein Meisterwerk auswähle, das mich schlagartig in den Bann zieht und nicht loslässt, solange ich der Schwerkraft trotze. Es ist natürlich nicht leicht, jedes Mal ein Buch zu finden, das die entsprechende Qualität und Länge aufweist. Aber im Laufe der Zeit habe ich eine Art Instinkt entwickelt, der mir den richtigen Roman

oder die passende Erzählung weist (es muss etwas Erzählendes sein; Poesie, Theater oder Essay sind weniger wirksam gegen Flugangst). Dabei muss es sich, wie ich festgestellt habe, nicht unbedingt um eine Erstlektüre handeln, es kann auch etwas bereits Gelesenes sein, wenn es Werke sind, deren Zauber so stark ist, dass er sich bei der zweiten, dritten oder vierten Lektüre genauso unverbraucht und frisch erweist wie bei der ersten. Hier (als Zeichen meiner Dankbarkeit) eine Liste der dienstbaren Freunde, die mir bei meinen letzten geglückten Versuchen, es Ikarus gleichzutun, geholfen haben, meine Flugangst zu überwinden: Herman Melvilles Bartleby und Benito Cereno. Die Drehung der Schraube von Henry James. Der Verfolger von Julio Cortázar. Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson. Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer. Der Affe von Tania Blixen. Pedro Páramo von Juan Rulfo. Die gesammelten Werke von Augusto Monterroso. Eine

Rose für Emily und Der Bär von William Faulkner und Orlando von Virginia Woolf. Zu meinem Glück verfügt die literarische Apotheke über unerschöpfliche Reserven an solchen Erzeugnissen, so dass mir noch auf et­ lichen Flugreisen guter Lesestoff gesichert sein wird.

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Originaltitel: Cómo perdí el miedo al avión, Copyright © 1999 by Mario Vargas Llosa. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar

Buchtipp

Diogenes Taschenbuch detebe 24254, 352 Seiten

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Wenn es heißt: »Bitte anschnallen und alle elektronischen Geräte abschalten«, greifen Sie einfach zu den hier versammelten Geschichten von John Irving, Leon de Winter, Bernhard Schlink, Doris Dörrie, David Sedaris u.v.a. – über sehr spezielle Sitznachbarn, turbulente Flüge, sonderbare Bekanntschaften hoch über den Wolken oder die Schmach, als Top-Manager nicht vor, sondern hinter dem Class Divider zu sitzen. Dieses Buch passt in jedes Handgepäck!

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Literarische Todesfälle

Zwei Schriftsteller, ein Schicksal

Hier ist Ihre Phantasie gefragt. Was ist auf den folgenden Bildern zu sehen?

Illustration oben: © Jiří Slíva; Sudoku: © Puzzle Company GmbH für Diogenes Magazin; Drudel: © Roger Price; Illustration unten: © Chaval

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Auf welche Art und Weise haben die folgenden literarischen Figuren ihrem Leben ein Ende gesetzt?

1) E mma Bovary in Madame Bovary von Gustave Flaubert 2) W erther in Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang Goethe 3) A nna Karenina in Anna Karenina von Leo Tolstoi 4) H auke Haien in Der Schimmelreiter von Theodor Storm 5) D orian Gray in Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde 6) J ulia in Romeo und Julia von William Shakespeare

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Finden Sie die Gemeinsamkeiten!

1) François Villon – Karl May 2) Homer – Jorge Luis Borges 3) Antoine de Saint-Exupéry – Henri Alain-Fournier 4) Amélie Nothomb – Georges Simenon 5) Ernest Hemingway – David Foster Wallace 6) Michail Lermontow – Alexander Puškin 7) Georg Büchner – James Joyce 8) Joseph Conrad – Vladimir Nabokov

Errata und Non-Errata – Diogenes und das liebe Vieh

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Lösungen auf Seite 49

Hinsichtlich einer Drudel-Auflösung im Magazin Nr. 12 gab es bei einigen Lesern Verwirrung über die Höcker­ anzahl von Kamelen und Dromedaren (Nr. 12 / S. 41). So ganz genau wissen wir es auch nicht. Hundertpro­ zentig im Recht allerdings ist die Leserin, die die Ente auf dem Cover von F. K. Waechters Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein (Nr. 12 / S. 45) als Gans iden­ tifizierte. Wir bitten, den ornithologischen Irrtum zu entschuldigen!

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Serie

Christian Schünemann auf der einsamen Insel

Christian Schünemann, wohnhaft in Berlin, Autor der beliebten Krimis um Frisör und Laiendetektiv Tomas Prinz, wohnhaft in Mün­ chen, hat es literarisch in den wilden Osten verschlagen. In Belgrad, wo Schünemann selbst in den 90er-Jahren gelebt hat, spielt der Kriminalroman Kornblumenblau – Auftakt einer Serie um die Ermittlerin Milena Lukin –, den er gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin Jelena Volić verfasst hat. Dem Diogenes Magazin hat er verraten, wie er seine einsame Insel einrichten würde, für den Fall, dass er einmal genug hat vom Großstadtpflaster.

Roman Die toten Seelen von Nikolaj Gogol

Gemälde Die Gärten der Finzi-Contini von Hans Brosch

Sachbuch Die Kulturgeschichte von Egon Friedell

Foto Gruppenfoto aller Menschen, die ich mag

Lyrikband Les Fleurs du Mal von Charles Baudelaire

Möbelstück Stehpult Technisches Gerät Fernglas

Theaterstück Der Kirschgarten von Anton Čechov Erzählung Bonjour Tristesse von Françoise Sagan Zeitung Neue Zürcher Zeitung

Kleidungsstück Weißes Hemd Parfum Wood Musikstück Eine CD mit den Geräuschen der Großstadt als Erinnerung an mein altes Leben

Spiel Scrabble Gesprächspartner Hillary Clinton

Zeitschrift Gala

Essen (nicht süß) Bulette mit Senf

Streitpartner Meine Schwester

Essen (süß) Marmorkuchen

Briefpartner Meine Tante in Amerika

Lieblingsgetränk (nicht alkoholisch) Milch

Haustier Struppi

TV-Serie Downton Abbey, alle Folgen, einschließlich der Weihnachtsspecials Schauspieler Christoph Waltz Schauspielerin Laura Carmichael

Getränk (alkoholisch) Wodka

Im nächsten Magazin: Astrid Rosenfeld 28

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Joker Jede Menge Kissen und Decken, und, wenn ich darf, noch ein Ruderboot

Foto: © NN oben: © Chaval; Foto: © Jens Schünemann Illustration

Film Der talentierte Mister Ripley


Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Diogenes Taschenbücher für den Sommer Geschichten für die schönste Zeit des Jahres:

Für alle, die doch lieber zu Hause bleiben:

Diogenes Taschenbuch detebe 24190, 288 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24044, 384 Seiten

Hinterhältige Geschichten vom Meer:

Sommerfrische statt Asphalt:

Für alle, die in den Ferien Schlaf nachholen wollen:

Hinterhältige Reisegeschichten:

Diogenes Taschenbuch detebe 23902, 416 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Diogenes Taschenbuch detebe 24083, 368 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24025, 320 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 23949, 320 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Macht nicht nur am Strand eine gute Figur:

Kein Sommer ohne Strandflirt:

Im Strandkorb ohne Lesestoff? Undenkbar:

Für alle Wolkengucker und Tagediebe:

Diogenes Taschenbuch detebe 24085, 288 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24084, 320 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24189, 288 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24188, 288 Seiten

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Richard Dehmel

Radlers Seligkeit Wer niemals fühlte per Pedal, dem ist die Welt ein Jammertal! Ich radle, radle, radle. Wie herrlich lang war die Chaussee! Gleich kommt das achte Feld voll Klee. Ich radle, radle, radle. Herrgott, wie groß ist die Natur! Noch siebzehn Kilometer nur. Ich radle, radle, radle. Einst suchte man im Pilgerkleid den Weg zur ew’gen Seligkeit. Ich radle, radle, radle. So kann man einfach an den Zeh’n den Fortschritt des Jahrhunderts sehn. Ich radle, radle, radle. Noch Joethe machte das zu Fuß, und Schiller ritt den Pegasus. Ick radle!

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Portfolio

Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Tour de Sempé

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beklagte sich der Autor Léon Bloy bei seinem Verle­ ger über den geringen Absatz seiner Bü­ cher. »Was wollen Sie?«, fragte der Verleger. »Seit sich die Leute für das Fahrrad begeis­ tern, haben sie keine Zeit mehr zum Le­ sen.« Natürlich hat das Fahrrad dem Lesen nicht geschadet, im Gegenteil. In der neuen Dio­ genes Anthologie Fahrradfreunde erzählen Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Urs Wid­ mer, Andrea Camilleri oder Axel Hacke hin­ reißende Fahrradgeschichten. Illustriert hat das Buch Jean-Jacques Sempé, von dem wir hier ein zeichnerisches RadfahrerPortfolio zeigen.

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Alphonse Allais

Ein Radweg um die Welt

Fahrradfreunde

Buchtipp

a 240 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06863-4

Fahrradfreunde ist eine Hommage auf das Fahrrad – und all jene, die gerne in die Pedale treten. Mit hinreißenden Geschichten über erste Fahrversuche, Radtouren übers Land, ob beschaulich allein oder romantisch zu zwein, über die Tücken des Tandemfahrens, fiese Fahrraddiebe und rasante Radrennen, ja sogar über den hässlichen Stiefbruder des Fahrrads, den Ergometer. Zauberhaft illustriert vom Fahrrad­ liebhaber unter den Zeichnern schlechthin: Jean-Jacques Sempé. »Mein bester Freund? Ob man es glaubt oder nicht: Das war mein Fahrrad.« Henry Miller

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Wer mit dem Fahrrad um die Welt reisen will, trifft in Anbetracht der heutigen Verkehrsverhältnisse auf tausenderlei Schwierigkeiten, die keiner Erörterung bedürfen. Darum fragt sich ja längst alle Welt, warum es nicht eine durchgehende, völlig ebene, ununterbrochene Fahrbahn um unseren Globus geben kann, eine Art erdumschließendes Band. Bisher verharrte die reizende Idee im Bereich des Utopischen. Nun aber steht dank einer Allianz von Wissenschaft und Kapital ihre Verwirklichung bevor. Es hat sich nämlich eine große Gesellschaft gegründet, die Société Gé­ nérale der weltumspannenden Viadukte für den Radfahrer, Kapitalbedarf 1 000 000 000 Francs.


Illustrationen: © Jean-Jacques Sempé

Denn mittels einer Milliarde, einer lumpigen kleinen Milliarde, lässt sich dieses großartige Projekt ins Werk setzen. Die zu erwartenden Gewinne sind unausdenklich. Stellen Sie sich eine fabelhaft leichte, endlose, auf Bambuspfeilern schwebende Hochstraße vor! Wie ungemein elegant sich das ausnehmen wird, und so japanisch! Der Fahrbahnboden soll aus leichtem Teakholz bestehen, das mit Pegamoid beschichtet ist, einem unverwüstlichen, wasserfesten und unbegrenzt befahrbaren Material. Zur Überquerung der Meere werden die Pfeiler auf riesigen Schwimmkörpern ruhen, deren heliko-epizykloidale Form sie vor nahezu jeglicher Erschütterung bewahrt. Die Ingenieure der Société Générale der weltumspannenden Viadukte für den Radfahrer versprechen, den ersten Streckenabschnitt bis zur Weltausstellung 1900 fertigzustellen. Die Trasse wird folgende sein: Paris (Courbevoie) – Brest – Halifax – Vancouver – Hawaii – Japan – China – Asien – Kaukasus – Russland – Deutschland – Paris (Courbevoie). Alle hundert Kilometer soll der Radreisende ein hochkomfortables Etablissement vorfinden, das gleichzeitig Hotel, Restaurant, Versorgungsund Reparaturstützpunkt ist (für sämtliche Streckenabschnitte im Ganzen etwa fünfhundert Etablissements dieser Art, von welchen die Société sich unermessliche Gewinne verspricht). Natürlich wird eine unter solchen Umständen vorgenommene Weltreise nicht geeignet sein, Land und Leute der durchmessenen Erdteile, ihre Fauna, Flora, Bodenschätze, Sprachen, Kunstwerke usw. usw. zu erkunden. Was die Société Générale der weltumspannenden Viadukte für den Radfahrer übrigens auch nicht erstrebt. Diese bezweckt lediglich, den geschätzten Haltern von Fahrrädern und leichten Motorgefährten das lange Reisen angenehmer zu machen sowie dem weltweiten Sparerwillen eine Geldanlage zu bieten, wie es in einem Jahrhundert keine zweite gibt.

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Aus dem Französischen von Christel Gersch

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Serie

Martin Walker

Brunos Lieblingssongs »Viel Musik gab es nicht zu hören im katholischen Waisenhaus, in dem Bruno Courrèges – heute Chef de police von Saint-Denis in Martin Walkers Périgord-Krimis – seine Kindheit verbracht hat. Die begegnete ihm erst beim Militär. Heute hört er viel Radio. Einen Fernseher hat er nicht, dafür aber eine stattliche CD-Sammlung. Die meisten davon sind Geschenke von Freunden: Symphonien von Beethoven und Brahms, Bach-Fugen, Mozart-Konzerte. Vom Bürgermeister gibt es jedes Jahr eine CD zu Weihnachten, zuletzt PucciniArien, die Bruno begeistert haben. Dass YouTube nichts mit der Londoner U-Bahn zu tun hat, weiß er mittlerweile auch. Eine Revolu­ tion seiner Hörgewohnheiten.« Martin Walker wirft für das Diogenes Magazin einen Blick in Brunos Musiksammlung. 4. Dire Straits: Sultans of Swing Bruno erinnerte sich, diesen Titel zum ersten Mal bei einem seiner Auslandseinsätze gehört und auf Anhieb gemocht zu haben; und zwar in der Kantine eines französischen Militärstützpunkts an der Elfenbeinküste. Doch als Isabelle ihm auf YouTube die Live-Mitschnitte verschiedener Versionen des Stücks und der langen Gitarrensoli zeigte, berührte ihn der Song, als hörte er ihn zum ersten Mal.

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6. Juliette Gréco: Les feuilles mortes Auch dieses Lied hörte Bruno zum ersten Mal im Haus des Barons. Zwar war ihm die Sängerin bereits ein Begriff, doch dieses Chanson veranlasste ihn, sich in der Bibliothek von Saint-Denis ein Exemplar ihrer Autobiographie Je suis faite comme ça (So bin ich eben) auszuleihen und sich ausführlicher mit der Geschichte Frankreichs in den 1950erund 60er-Jahren zu beschäftigen. 7. Eric Clapton: Layla Er hatte den Song bereits in einer Kaserne im Radio gehört. Doch endgültig in seine Erinnerung brannte er sich in den Keller-Tanzclubs von Sarajewo ein, wo die Musik laut aufgedreht wurde, um den Lärm der einschlagenden Artilleriegeschosse zu übertönen.

2. Jacques Brel: Le port d’Amsterdam Eines der ersten Stücke, die Bruno dank Isabelle auf YouTube begegnet sind. Für Bruno ist Jacques Brel der größte Chansonnier überhaupt – und derjenige, bei dem er es am meisten bedauert, ihn nie live gesehen zu haben. Dieses zutiefst poetische Lied über Seeleute, Säufer, Huren und menschliche Begierden ist von David Bowie und vielen anderen eindrucksvoll interpretiert worden. Doch nur wenn Brel selbst es in seiner rauhen, kompromisslosen Art singt, ist es wirklich elektrisierend. 3. Eurythmics: Sweet Dreams (Are Made Of This) Den Song hörte Bruno zum allerersten Mal in der Wohnung von Pamela. Das gleichnamige Album war Teil ihrer selbst zusammengestellten Kollektion von Lieblingsstücken, die sie in den 1980erund 90er-Jahren als Jugendliche in Großbritannien gehört hatte.

de Gaulle in LKW-Konvois ins Gefängnis gefahren wurden, sangen sie – und zwar dieses Chanson.

5. Edith Piaf: Je ne regrette rien Es ist unmöglich, in Frankreich aufzuwachsen, ohne diesem klassischen PiafChanson irgendwann einmal zu begegnen. Für Bruno schwingt darin allerdings noch etwas anderes mit, seit ihm sein Freund, der Baron, von den französischen Legionären und Fallschirmjägern in Algier erzählt hat. Als sie nach ihrem fehlgeschlagenen Militärputsch gegen

8. Blondie: Atomic Brunos Lieblingssong als Teenager. Wie viele junge Franzosen lernte er durch Popmusik mehr Englisch als in seiner gesamten Schulzeit. Zwei Zeilen daraus – »Make it magnificent« und »Your hair is beautiful« – hat er nie vergessen. 9. Yves Montand: Le chant des partisans Es gibt viele Versionen dieser Hymne der französischen Résistance, die 1943 von Anna Marly komponiert wurde und auf ein russisches Volkslied zurückgeht. Sie wurde zur Erkennungsmelodie von

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

1. Charles Trenet: Que reste-t-il de nos amours? Geschrieben und erstmals aufgenommen 1942 während der nationalsozialistischen Besetzung von Paris. Es gehört mit seiner wehmütigen Melodie zu den großen französischen Liebesliedern. Bruno hörte es zum ersten Mal bei einem Abendessen im Haus des Barons; später nahm ihn der Freund mit zu einer Vorführung von François Truffauts Film Baisers volés – der Titel entstammt einer Zeile dieses Lieds. Bei Bruno weckt es bittersüße Erinnerungen an den glücklichen Sommer seiner Affäre mit Isabelle.


Honneur et Patrie, der Sendung, die Radio BBC von London aus für die Mitglieder der Widerstandsbewegung ausstrahlte. Bruno findet Montands Version auf dem Album Les Grandes Chansons besonders beeindruckend: Das Geräusch marschierender Stiefel zu den Klängen des nationalsozialistischen Horst-WesselLieds wird hier nach und nach von den Stimmen der Partisanen übertönt. Bruno kann es sich nicht anhören, ohne dass ihm die Tränen in die Augen steigen. 10. Joan Baez: Love Song to a Stranger Der Song versetzt Bruno zurück in die Zeit seiner Liebesaffäre mit Katarina, als er als Angehöriger der UN-Friedens­ truppen in Bosnien stationiert war. Katarina sang das Lied in ihrem Zimmer und begleitete sich selbst auf der Gitarre. Viele Jahre später stieß Bruno bei YouTube auf eine phantastische Pariser Liveaufnahme von Joan Baez von 1973. 11. Josipa Lisac: Niz polje idu, babo, sejmeni Ein bosnisches Volkslied im Stil der Sevdalinka. Diese Musik half den Bosniern, den Krieg zu überstehen, und wurde von vielen Politikern bei ihren Bemühungen zur Einigung des Landes instrumentalisiert. Dieses Lied ist wichtiger Bestandteil der kulturellen Identität Bosniens, und Bruno erinnert es an die Belagerung Sarajewos und an eine fehlgeschlagene UN-Mission, die Frieden bringen sollte, wo er nicht zu erreichen gewesen war. 12. Ultravox: Vienna Ein weiteres Rock-Video, das Bruno durch YouTube kennengelernt hat: Er und Isabelle verbrachten einen langen Vormittag im Bett, während sie im Internet durch einige ihrer Lieblingssongs surfte. 13. Francis Cabrel: Hors-Saison Die gleichnamige CD war eine der ersten, die Bruno für sich selbst kaufte, nachdem er den Song im Radio gehört hatte: ein winterliches Klagelied über eine vergangene Sommerliebe, angesichts des eisigen Meers, das in den Hafen einer

Küstenstadt brandet. Bruno fand es schrecklich traurig, mochte aber die Poesie dieses Lieds, ebenso die anderen Balladen auf der CD und allgemein Cabrels Mischung von Rock und Blueselementen aus dem amerikanischen Süden. 14. Angus und Julia Stone: Draw Your Swords Bruno hört gern Musik, wenn er die von ihm trainierten Tennis- und RugbyTeams der Schule mit dem Kleinbus zu Spielen fährt. Die Jugendlichen wetteifern seit kurzem darin, ihm neue Musik mitzubringen, die ihm gefallen könnte. Dieses Stück mochte er sehr, und inzwischen ist er ein Fan. 15. Coldplay: Clocks Auch diesen Song lernte er durch die Kinder kennen, denen er das Tennisspielen beibringt. Er hörte ihn zum ersten Mal auf der Fahrt zu einem Turnier in Bergerac.

19. Lotte Lenya: Surabaya Johnny Durch Horst wurde Bruno auch ein Fan der Musik Kurt Weills in der Interpretation von Lotte Lenya. Er hatte bereits von Mackie Messer gehört; Surabaya Johnny war jedoch eine echte Entdeckung für ihn. 20. Ali Farka Touré: Ai Du Diesen Song und damit eine ganz neue Musikrichtung entdeckte Bruno während seiner Stationierung in Westafrika. Er war auf Urlaub in Bamako und hingerissen von den malischen Musikern und ihrem Blues, den sie erfunden zu haben schienen. Zuerst hörte er in seinem Stammclub Salif Keita mit Stücken aus dessen Album Moffou; an einem anderen Abend erlebte er Ali Farka Touré. Die Musik­kassette, die er kaufte, ging bald kaputt. So war eine der ersten CDs, die Bruno sich nach seiner Rückkehr nach Frankreich beschaffte, Farka Tourés Album Tamala. Aus dem Englischen von

Michael Windgassen

16. U2 & Pavarotti: Miss Sarajevo Bruno hielt sich im besetzten Sarajewo auf, als die Band U2 ihre Europatournee über den lokalen Fernsehsender in ein Studio mit Publikum übertragen ließ. Die Gruppe stoppte das Projekt, als sie erfuhr, dass die Menschen auf dem Weg zum Studio Gefahr liefen, von Heckenschützen erschossen zu werden. 17. k. d. lang: I Dream of Spring Bruno hörte diesen Song erstmals bei einem Abendessen bei Pamela; Fabiola brachte die CD Watershed mit. Bruno hatte noch nie etwas von der Sängerin gehört und stellte fest, dass Fabiola nicht nur alle CDs von k.d. lang besaß, sondern auch sämtliche Texte auswendig kannte. 18. Die Toten Hosen: Tage wie diese Bruno sah sich mit seinem Freund, dem deutschen Archäologen Horst, ein deutsches Fußballspiel im Fernsehen an und interessierte sich brennend für den Song, den die Fans im Stadion sangen. Horst übersetzte ihm den Text; Bruno fand das Stück wunderbar dynamisch und hatte den Refrain gleich verinnerlicht.

432 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06862-7 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book Das Périgord ist ein Paradies für Schlemmer, Kanufahrer und Liebhaber des süßen Lebens. Doch im April, kurz vor Beginn der Feriensaison, stören ein höchst profitables Touristikprojekt, Satanisten und eine nackte Frauenleiche in einem Kahn das beschauliche Leben an den Ufern der Vézère. Und Bruno, Chef de police von Saint-Denis, stören zusätzlich höchst verwirrende Frühlingsgefühle.

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Arnon Grünberg, 1971 in Amsterdam geboren, lebt und schreibt in New York. Sein in 17 Sprachen übersetzter Erstling, Blauer Montag, wurde in Europa ein Bestseller. Neben allen großen nieder­ ländischen Literaturpreisen wie dem Anton-Wachter-Preis, dem AKO-Litera­ turpreis, dem Libripreis und dem Cons­ tantijn-Huygens-Preis für sein Gesamt­ werk erhielt Arnon Grünberg 2002 den NRW-Literaturpreis.

Foto: © Roger Eberhard

»Sehr wahrscheinlich ist Grünberg ein Genie, ein literarischer Jahrhun­ dertglücksfall ...« Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Interview

Der jüdische Messias

Illustration: Dilek Sisli / © Alef Yayinevi

Arnon Grünbergs Jüdischer Messias ist ein bestürzendes, ein sehr böses und rasend komisches Buch über anständige Menschen, die schreckliche Dinge tun. Endlich erscheint es nun auf Deutsch. Schon oft hat der niederländische Autor mit Wohnsitz in New York landläufige Auffassungen von Liebe und Judentum zertrümmert, und das tut er auch in diesem Roman, mit entlarvendem Humor. Ein Gespräch mit dem Freigeist. Ihr Roman, Der jüdische Messias, handelt von einem jungen Schweizer, Enkel eines SS-Manns, der es zu seiner Mission erklärt, das Leid der Juden zu mildern, und selbst zum Judentum konvertiert. Dieser Xavier Radek ist ein einsamer junger Mann mit einem Schuldkomplex von biblischem Ausmaß und sehr hohen Idealen, die jedoch, vorsichtig formuliert, in die Irre führen. Was halten Sie von Idealen, was von Ideologien? Ganz ohne Ideale geht es nicht. Sobald das Ideal aber religiöse Züge annimmt, kann es leicht gefährlich werden. Ein Idealist, der die Unvollkommenheit der Menschen und der Welt nicht akzeptiert, wird früher oder später zum Fanatiker. Idealismus ist oft der Anfang von Fanatismus. Man sagt ja gemeinhin, wir leben in einer Zeit ohne Ideologien, jedenfalls im Westen. Das stimmt nicht ganz. Der Kapitalismus ist auch eine Ideologie. Vielleicht ist eine Gesellschaft ganz ohne Ideologien unmöglich. Sobald die Ideologie aber zum Götzen ge-

macht oder als absolute Wahrheit propagiert wird, wird es unheimlich. Ich bin eher ein Skeptiker. Sie scheinen nicht viel vom Missionieren zu halten, ist das richtig? Nein, ich bin, muss ich gestehen, in vielerlei Hinsicht ein Libertin. Die Medizin ist oft verheerender als die Krankheit.

Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich bin auch kein aggressiver Atheist. Wie halten Sie es mit der Religion? Ich bin religiös erzogen worden. Meine Mutter war und ist religiös, ohne wirklich an Gott zu glauben. Mein Vater war Agnostiker. Ich habe sehr viel gelernt im Religionsunterricht, durch die Beschäftigung mit Religion. Ich bin kein religiöser Mensch mehr, aber ich bin auch kein aggressiver Atheist. Diese Mühe, die Leute sich geben, um zu beweisen, dass es Gott nicht gibt, ver-

stehe ich nicht. Das ist mir irgendwie zu primitiv. Schon bei den griechischen Tragödiendichtern lesen wir über Götter, es gibt also wohl etwas, das über den Menschen steht. Wir können das Schicksal nennen oder Gott, das ist mir egal. Aber zu glauben, dass wir das Schicksal sind, das ist reiner Hochmut. Sind Konvertiten die größten Fanatiker? Bestimmt. Es gibt etliche Parallelen zwischen Hitler und ihrer Hauptfigur, Parallelen, die darüber hinausgehen, dass beide mäßig begabte Maler sind. Xaviers Liebe zu den Juden hat furchtbare Konsequenzen, Hitlers Hass auf die Juden mündete in den Völkermord. Kann Liebe ähnlich zerstörerisch sein wie Hass? Primo Levi hat einmal geschrieben, dass nicht Hass das Gegenteil von Liebe ist, sondern Gleichgültigkeit. Liebe kann sehr destruktiv sein. Ich habe öfter über solche Lieben geschrieben, zum Beispiel in Tirza. Wir glauben, Diogenes Magazin

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dass Liebe nur etwas Gutes und Schönes ist. Aber das ist ein Missverständnis, vielleicht sogar reine Ideologie. Hass allein ist keine erschöpfende Erklärung für den Völkermord. Mich interessiert, wie jemand, der sich selbst für einen guten Menschen hält, für einen liebenden Menschen, zu schrecklichen Taten imstande sein kann. Warum anständige Leute böse Sachen tun. Das ist interessant. Übrigens gibt es viele Diktatoren, die sich als Künstler verstanden haben. Stalin schrieb ja Gedichte, Saddam hat am Ende seines Lebens einen Roman geschrieben. Es ist ja auch wirklich verlockend, die Wirklichkeit als Gesamtkunstwerk zu sehen. Aber ein rein ästhetischer Blick auf die Dinge ist unmenschlich. Zurück zu Ihrer Frage: Ja, aus Liebe kann leicht Hass werden. Sie wissen vermutlich, dass Hitlers Mein Kampf – in Ihrem Roman das »verbotene Buch« von »Du-weißtschon-wem«, das Xavier und sein jüdischer Freund Awrommele ins Hebräische übersetzen wollen – mittlerweile online komplett auf Deutsch verfügbar ist, in gedruckter Form ist es aber nach wie vor in Deutschland verboten. Das ist eine schwierige Sache. Es gab ja Gründe, das Buch zu verbieten. In Amerika kann es allerdings jeder kaufen. Zum Beispiel auf amazon.com. Amazon schickt das Buch jedoch nicht nach Deutschland.

Es ist Zeit für eine wissenschaftliche Edition. Und die wird auch kommen. Der Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger hat Teile aus Mein Kampf vorgetragen. Das ist fabelhaft. Daniel Keel, der verstorbene Diogenes Verleger, hat mir davon erzählt. Ihr Umgang mit dem Holocaust ist nicht sonderlich behutsam in Der jüdische Messias. Oder besser: Sie lassen ihre Figuren Drastisches über den Völkermord denken und sagen. Ich

Wir glauben, dass Liebe nur etwas Gutes und Schö­ nes ist. Aber das ist ein Missverständnis, vielleicht sogar reine Ideologie. musste oft – wenn auch verschämt – sehr laut lachen. Darf man Witze über den Holocaust machen? Wir haben keine andere Wahl. Es ist falsch, den Holocaust jenseits der Geschichte zu sehen, aus dem Holocaust etwas zu machen, das man nicht mehr anfassen darf. Wir sollten uns damit auseinandersetzen. Und ein guter Roman soll immer auch unbequem sein. Übrigens gibt es sogar in der »Lagerliteratur« viel Ironie. Imre Kertész ist sehr ironisch, genauso wie Tadeusz Borowski, ein polnischer Schriftsteller, den ich für sehr bedeutend halte. Er

war in Auschwitz und hat über seine Zeit im KZ mit viel bösem Witz geschrieben. Das ist großartig. Wirklicher Humanismus ist humorvoll und manchmal vielleicht auch zynisch. Wollen Sie Ihre Leser aufrütteln mit diesem Roman, sie schockieren? Aufrütteln ja. Schockieren, hm. Ingeborg Bachmann hat geschrieben, dass die Empörung in uns sein soll, wenn nicht, dann sei uns nicht mehr zu helfen. Die Wirklichkeit ist schockierend. Der Schriftsteller sollte uns daran erinnern. Einige Leser mögen das schwierig finden oder sogar unangenehm, aber ich betrachte das, verzeihen Sie den Ausdruck, als meine Aufgabe. Der jüdische Messias ist bereits in etlichen Ländern erschienen. Auch in Israel? Nein, dort noch nicht. Aber in den USA, Frankreich, Holland usw. Die Reaktionen waren positiv. Ich bin nirgendwo bedroht worden. Sie sind der Sohn deutscher Juden. Ihre Mutter war in mehreren Konzentrationslagern interniert, Ihr Vater hat den Krieg in Verstecken überlebt. Haben Sie zu Hause über diese Zeit gesprochen? Meine Mutter manchmal, mein Vater nie. Ich zitiere immer wieder gern einen Satz meiner Mutter. Wenn sie sehr böse war, mit meinem Vater, oder mit mir, oder mit meiner Schwester, sagte sie oft: »In Auschwitz war ich glücklicher als bei euch.«

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Wie empfinden Sie den Umgang der Deutschen mit dem Holocaust? Die Vergangenheitsarbeit war ziemlich erfolgreich, aber man soll sich nicht zu früh ausruhen.

Buchtipp

640 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06854-2 Auch als Diogenes E-Book

Xavier Radek, Enkel eines SS-Manns, zieht aus, das Trösten zu lernen. Doch wie kann er die Juden von ihrem Leiden erlösen? Zunächst einmal muss er selbst einer werden. Xavier lässt sich beschneiden und widmet sich gemeinsam mit seinem jüdischen Freund Awrommele der Übersetzung von Mein Kampf ins Hebräische, und er geht noch viel weiter … Arnon Grünbergs Roman ist eine bitterböse Farce und ein Angriff auf so ziemlich alle wohlbehüteten Tabus.

Diogenes Hörbuch Gelesen von Helmut Qualtinger »Ein glänzender, umwerfend komischer Kabarettist.« Alfred Polgar »Das Pointenfeuerwerk des Spotts lässt die Gesellschaft in ihrer ganzen Lächerlichkeit erstrahlen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

1 CD

Illustration: © Tomi Ungerer

1 CD, Spieldauer 77 Minuten Gelesen von Helmut Qualtinger ISBN 978-3-257-80157-6

Höhepunkte aus den legendären Aufnahmen und Liveauftritten von Helmut Qualtinger. Und nebenbei eine kleine Geschichte Österreichs ›in Pantoffeln‹ von der k.u.k Zeit über den Ersten Weltkrieg und den ›Anschluss‹ bis zur Nachkriegszeit. Mit dabei sind der legendäre Herr Karl, der ewige Wiener Spießer und Querulant, und der dummschlaue Travnicek. Außerdem liest Qualtinger aus Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit und Adolf Hitlers Mein Kampf.

Wie den mit dem Staat Israel? Sehr kompliziert. Fast niemandem gelingt es, ein normales Verhältnis zum Staat Israel zu haben. Nicht den Deutschen, nicht den Juden. Dieser Staat ist ja eine permanente Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Kann ein Jude ein Faschist sein? Ein Jude kann alles sein. Auch ein Faschist. Das Gegenteil zu behaupten, wäre antisemitisch. Haben Sie Sympathien für Ihre Figuren? Haben Sie Mitleid mit ihnen, ihrem Scheitern? Sympathie. Ich lebe ja mit diesen Figuren – monatelang. Sogar sehr viel Sympathie. In Ihrem Roman Tirza heißt es einmal, Sartre variierend: Die Hölle, das sind nicht die anderen, das ist man selbst. Das gilt wohl auch für die Figuren im Jüdischen Messias. Sie sind sich selbst wie entfremdet. Auch ihr Verhältnis ihren Mitmenschen gegenüber ist gestört. Gibt es echte Empathie in der Welt Ihrer Romane? Doch, die gibt es. In Tirza und auch in diesem Buch. Aber es gibt auch De­ struktivität und eine Gesellschaft, die nicht immer ganz erfolgreich funktioniert. Wir sind ja vor allem ein Produkt der Umstände. Die Figuren im Jüdischen Messias sind allesamt sehr unglücklich. Sie haben einmal geschrieben: »Glück heißt, für sich alleine existieren zu können.« Glauben Sie das wirklich? Kann man überhaupt alleine existieren? Der Mensch ist doch ein Gesellschaftstier. Vor diesem Hintergrund: Ist unsere Suche nach Glück von vornherein zum Scheitern verurteilt? Hoffnung gibt es immer, aber muss man denn immer glücklich sein? Man sollte sich nicht dauernd fragen, ob man glücklich ist. Sicher ist der Mensch ein Gesellschaftstier, aber es ist auch herrlich, mal ganz alleine zu sein. Man sollte sich nicht abhängig machen von Anerkennung, Bestätigung von außen. Oscar Wilde hat einmal geschrieben: »Es gibt kein unmoralisches Buch. Entweder ein Buch ist gut geschrieben oder schlecht geschrieben. Das ist alles.« Was würden Sie Wilde entgegnen? Dass er recht hat – wie so oft. ck

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Impressum Verleger: Philipp Keel Geschäftsleitung: Katharina Erne, Ruth Geiger, Stefan Fritsch, Daniel Kampa, Winfried Stephan Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Stellvertretende Chefredakteurin: Cornelia Künne (ck@diogenes.ch) Redaktion: Nicole Griessmann (ng), Martha Schoknecht (msc) Grafik-Design: Catherine Bourquin Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien (Zürich) Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessmann Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Martha Schoknecht (msc@diogenes.ch) Abo-Service: Christine Baumann (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die auf Seite 59 eingedruckte Abokarte. Abonnementspreise: € 10.– für drei Ausgaben in Deutschland und Österreich, sFr 18.– in der Schweiz, andere Länder auf Anfrage. Beim Gewinnspiel sind MitarbeiterInnen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktionsschluss: 15. März 2013 / ISSN 1663-1641 Diogenes Magazin Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Tel. +41 44 254 85 11, Fax +41 44 252 84 07 Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Korrespondenz geführt werden.

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Jakob Arjouni, München, 2003

Mit John Irving nach einer Lesung im Deutschen Theater Berlin, 1995 Winfried Stephan, Mitglied der Geschäftsleitung im Diogenes Verlag, verleiht Jakob Arjouni die Goldene Eule, das von Tomi Ungerer gestaltete Diogenes Ehrenzeichen, für eine Million verkaufte Bücher. Zürich, 14. März 2011 In seinem Garten in Südfrankreich, fotografiert von seiner Ehefrau Miranda, 2006

1987, im Alter von 23 Jahren. Im selben Jahr erschien Jakob Arjounis erster Roman, Happy birthday, Türke! im Diogenes Verlag

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Foto oben links: © Isolde Ohlbaum / laif; Foto oben rechts: © Anna Keel; Foto Mitte links: © Miranda Junowicz; Foto Mitte rechts: © Ruth Geiger / Diogenes Verlag; Fotos unten: © Archiv Diogenes Verlag

Mit seinem Verleger und Freund Daniel Keel (1930 – 2011) vor dem Musée Balzac in Paris, 2003


Nachruf

Jakob Arjouni 1964 – 2013

22 Jahre alt war er, als sein erster Roman Happy birthday, Türke! bei Diogenes erschien. Am 17. Januar 2013 erlag Jakob Arjouni seiner Krebserkrankung. Er wurde 48 Jahre alt. Die folgende Rede hielt sein lang­jähriger Freund Christian Seiler bei der Beerdigung am 26. Januar 2013 in Berlin. Wir trauern um unseren Freund und Autor.

Foto: © F.A.Z.-Foto / Frank Röth

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anchmal war es auch so leicht, wie es aussah. Ich erinnere mich an einen Buchmessen-Abend in Frankfurt, frühe neunziger Jahre, Jakob hatte gerade Ein Mann, ein Mord am Start, als wir abends mit einer DiogenesRunde in irgendeinem prächtigen Gasthaus saßen und tranken und scherzten. Bier, Wein, Schnaps, und Jakob war so in Fahrt, dass er die Gesellschaft spielend und brillant unterhielt, noch ein Scherz, eine Anekdote, noch eine Pointe, noch ein Glas. Als wir gegen vier Uhr früh schwankend vom Tisch aufstanden, waren die Augen von Winnie Stephan, der damals Jakobs Lektor war, vor Freude und Schnaps rotgeweint, und Winnie nahm Jakob das Versprechen ab, dass »wir das morgen Abend auf jeden Fall wiederholen müssen«.

Diese Geschichte erzählte Jakob bis zuletzt gern, auch wenn die Euphorie brüsk geendet hatte, als Jakob beim Heimkommen ins Hotel ausprobierte, wie man sich als Rockstar fühlt, und versuchte, den Fernseher auf die Straße zu werfen. Er vergaß allerdings, das Antennenkabel auszustecken, so dass der ehrgeizige Plan scheiterte. Die Nacht ging ohne großen Knall in den Kater des nächsten Tages über. Für Kater und ähnliche Knautschzustände war Jakob mindestens so begabt wie für Euphorien. Am Anfang dachte ich, dass das zur Rolle gehört, die er sich als Autor von Büchern ausgesucht hatte, in denen Rausch und Absturz so selbstverständlich waren wie Sonnenaufgang und Platzregen im Dschungelbuch. Aber das stimmte nicht. Die Phasen, in denen er sich ver-

knittert, angekränkelt und übermüdet am liebsten vor den Fernseher zurückzog, um sich Wiederholungen von Fußballspielen oder zweitklassigen Tennispartien reinzuziehen, gehörten genauso zu ihm wie die unwiderstehlichen Auftritte vor Publikum und Freunden. Wenn man nicht genau hinsah, wirkte, was er machte, so leicht, so spielerisch. Auf den ersten Blick war Jakob dieser hübsche, junge Kerl, der mit kaum zwanzig Jahren Happy birthday, Türke! geschrieben hatte und dem völlig zu Recht die Herzen der Leser und Kritiker zuflogen. Er war so talentiert. So witzig. So ein guter Beobachter. In den Nachrufen, die letzte Woche in den Feuilletons erschienen, wurde völlig korrekt die bahnbrechende Rolle gewürdigt, die Jakob und seine Figuren Kayankaya, Magic Hoffmann oder der Diogenes Magazin

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»heilige Eddy« in der neuen deutschsprachigen Literatur spielen. Nur: Zugeflogen ist Jakob sein Können nicht. Er war von Beginn an ein ernsthafter, erwachsener Schriftsteller im Gewand eines lässigen, jungen Burschen. Er hatte beim Schreiben nie eine Masche. Er setzte seine Figuren in Welten aus, in denen sie irgendwie zurechtkommen mussten, so wie er selbst. Wie sie das taten, war interessant – aber vor allem tröstete es ihn, den Autor, den Freund seiner Helden. Immer wieder sprach Jakob von diesem »Trost«, vom Gefühl, bei Kayankaya und den anderen »zu Hause« zu sein. Das war natürlich der Befund dessen, der dieses »Zuhause« im wirklichen Leben so lange nicht bekommen hatte. In den letzten Wochen vor seinem Tod schrieb Jakob noch drei kurze Erzählungen, in denen er mit erschütternder Härte dokumentiert, wie sehr ihm als Kind ein Zuhause gefehlt hat. Das hatte Spuren hinterlassen. Jakob konnte massiv und selbstbewusst auftreten, aber hinter dieser Fassade war er ein hochsensibler und ängstlicher Mensch, ein Allroundphobiker. Er hatte Angst, mit der U-Bahn zu fahren, über eine zu hohe Brücke zu gehen oder einen Aufzug zu benützen, und die Idee, ein Flugzeug für eine seiner zahlreichen Reisen zu benützen, kam ihm erst, als er seine künftige Frau Miranda und damit das Phänomen des Transkontinentalfluges kennengelernt hatte. Manchmal hatte er Angst, allein zu sein. Auf Lesereisen bekam er nachts in Provinzhotels Panikattacken. Jakob musste eine Menge dafür tun, um sich wohlzufühlen. Mit sich selbst hatte er es nicht immer leicht, aber er war talentiert für Freundschaften, weil erst Freundschaften ihm die Sicherheit gaben, geschätzt und geliebt zu werden. Seine Freunde waren ihm Familie. Er fand diesen Familienanschluss bei vielen, die heute hier sind, und bei manchen, die es nicht mehr sind, wie bei Daniel Keel, dem langjährigen Verleger von Diogenes, der Jakobs Vaterfreund war. Ich habe nie einen Freund gehabt, der sich so fallen lassen konnte wie er und gleichzeitig nicht die geringsten Skrupel hatte, etwas Misslungenes oder 42

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Fragwürdiges misslungen oder fragwürdig zu nennen. Er war anspruchsvoll, in jeder Hinsicht. Mir wird in Zukunft besonders der Gedanke daran fehlen, »was Jakob dazu sagt«: zu meinen Sorgen und Problemen. Zu Pep Guardiola bei Bayern München. Dazu, wie unser Leben jetzt weitergehen soll. Seine Meinung zu Träumen, Beziehungen, Politik, Büchern, Restaurants und Fußballspielen war immer originell, nie angekränkelt von Images, Trends oder, was Fußball betrifft, auch von der Realität. So wie er auf dem Markt seine eigenen Lieferanten suchte, schräge Weine bevorzugte, das Huhn mit Zitrone so kochte, wie ihm das einfiel und nicht wie es das Kochbuch wusste, machte sich Jakob sein Bild von Menschen und

Er war von Beginn an ein ernsthafter, erwachse­ ner Schriftsteller im Gewand eines lässigen, jungen Burschen. deren Ideen und Sorgen. »Ich hab viel nachgedacht über das, was du mir gesagt hast …« ist ein Satz, ohne den Jakob nicht auskam. Er war ein autonomer Denker, und er hatte sein eigenes, gesetztes Tempo, um jenseits von Schlagfertigkeit und Wortwitz auf etwas zu kommen, was interessant war und vor allem richtig. Es gab Momente in den vergangenen sechs, sieben Jahren, in denen Jakob staunend und überwältigt die Familie betrachtete, die Miranda und er gegründet hatten. Viele Jahre lang hatte er es nicht für möglich gehalten, dass man so leben und dieses Leben mögen könnte. Er war Miranda zutiefst dankbar dafür. Besonders überrascht war er darüber, wie großartig es sich anfühlte, Vater zu sein. Wer Jakob und seinen Sohn Emil zusammen erlebt hat, weiß, wie innig die beiden Tom & Jerry gucken konnten oder wie zwei alte Korsen miteinander über das Leben sprechen. Jakob genoss das Glück mit seinen Kindern, auch wenn er darunter litt,

seiner ältesten Tochter Elsa nicht ein ebenso aufmerksamer Vater gewesen zu sein wie Emil und Lucy. Er war noch nicht so weit gewesen. Und er hatte nicht viel Zeit, es zu sein. Am Tag bevor Jakob an der Bauchspeicheldrüse operiert wurde und der letzte Zweifel verschwand, dass seine Beschwerden vielleicht doch nicht von einem bösartigen Karzinom stammen könnten, sagte er noch mit einem Rest von hoffnungsvollem Zweifel, mehr eine Frage als eine Feststellung: »Wenn das Krebs ist, werde ich wohl Courage haben müssen.« Er sprach dieses Wort »Courage« vorsichtig und unbeholfen aus, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, was es wirklich bedeuten sollte, aber er hatte recht: Die beschissene Krankheit zwang ihn zu einer Courage, die er nie und nimmer haben wollte. Er wäre so gern ängstlich geblieben. Über den Tod sprach Jakob kaum, und wenn, dann nur in Nebensätzen. Er wollte im Schlaf sterben. Dass die Kinder deutsch sprechen. Dass Miranda seinen Tod verwindet. Es liegt nichts Tröstliches in Jakobs frühem Abschied. Als wir ihn vergangene Woche noch einmal sehen durften, sagte Mirandas Mutter Myrna angesichts des blassen, schönen Mannes, der da ausgestreckt lag mit einem weißen Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, und dem roten Tuch in der rechten Hand, das er immer dabeihatte, wenn er auf Reisen ging: »What a waste.« Was für eine Verschwendung. Wir müssen Jakobs Familie trösten, so gut wir können, und seinen Kindern erzählen, was für einen großartigen Vater sie hatten. Uns selbst trösten vielleicht Jakobs Bücher, in denen Jakobs Freunde wohnen, mit denen wir ja noch immer so oft am Tresen stehen können, wie wir wollen. Die räumen uns das Pathetische schon herunter, das Rätseln nach einem ungefähren Sinn oder mysteriösen Botschaften in dieser Tragödie. Kayankaya sagt auf die Frage, woran er glaubt: »Keine Religion, keine Sternzeichen, keine warmen Steine oder Glückszahlen. Wenn ich Halt brauche, nehme ich mir ein Bier.« Okay.

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Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag


Interview

Der letzte Gentleman

Illustration: © Edward Gorey / Edward Gorey Charitable Trust

Joey Goebel, der 32-jährige Vater eines kleinen Jungen, stand noch ganz unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse von Newton, Connecticut, als wir im Dezember mit ihm über sein neues Buch Ich gegen Osborne sprachen – ein (Anti-)Highschool-Roman, der von einem jungen Mann im Mittleren Westen erzählt, der sehr wütend ist: wütend auf das Mädchen, in das er verliebt ist, wütend auf seine Mitschüler, die nichts als Sex im Kopf haben, wütend auf sein Land und die dort herrschenden Konven­ tionen – und der seinem Autor darin nicht unähnlich ist. Dein neuer Roman, Ich gegen Os­ borne, erzählt aus dem Leben des 16-jährigen James Weinbach, eines sehr zornigen jungen Mannes. Du selbst bist schon eine Weile kein Schüler mehr und hast bereits drei Romane veröffentlicht: Einer setzt sich mit der heutigen Medienindustrie ausein­ ander (Vincent), ein anderer handelt von einer Truppe rebellierender Außenseiter (Freaks). Und dein letzter Roman, Heartland, erzählt die Geschichte einer typisch amerikanischen Familie, mit ihren emotionalen, aber auch politischen Verstrickungen. Wie bist du auf die Idee gekommen, gerade jetzt einen (Anti-)Highschool-Roman zu schreiben? Der Zeitpunkt schien mir richtig. Ich habe schon mit 28 Jahren begonnen, über diesen Stoff nachzudenken. Auf der einen Seite war ich noch nah genug dran, um zu wissen, wie es sich anfühlt, ein Teenager zu sein, auf der anderen Seite schon weit genug weg, um die nö-

tige Distanz zu wahren. Hätte ich diesen Roman mit 24 Jahren geschrieben, wäre nicht viel mehr daraus geworden als eine einzige Hasstirade, ein einziges F… you gegen die Highschool, die Jugendkultur, gegen den Konformismus. Das alles steckt zwar auch in meinem Buch, aber ich hoffe, meine Leser werden sehen, dass da noch mehr ist … Wie ist es dir auf der Highschool ergangen? Oh, das war eine schwierige Zeit … Nicht ganz so schlimm vielleicht wie in meinem Roman, aber doch fast. Die Schule war riesig, fünfhundert Schüler – allein in der Senior Class. In meinem letzten Jahr hat man mich zum originellsten Schüler gewählt. Irgendwie war ich also bei den meisten beliebt. Allerdings vermutlich aus den falschen Gründen. Ich glaube, viele haben mich bloß für einen Freak gehalten. Jeden Tag hatte ich dieselbe schwarze Lederjacke an. Die Haare trug ich vorne kurz, hinten lang. (Und

in den späten 90ern waren Vokuhilas schon lange nicht mehr in.) Das war mein ironischer Kommentar auf die white-trash-Kultur Kentuckys. Aber das hat natürlich niemand verstanden. Der Abschlussball spielt eine wichtige Rolle in deinem Buch – und im Leben fast jedes amerikanischen Teenagers. Was ist daran so besonders? Vermutlich sehen viele Amerikaner darin eine Art Initiationsritus – von der Jugend hin zum Erwachsenendasein. Für mich allerdings ist diese Veranstaltung nur eine weitere »Institution« unter vielen, die wir verehren sollen. Eine Verehrung, die uns von frühester Kindheit an eingetrichtert wird. Und deshalb ist es auch nur logisch, dass sich viele amerikanische Teenager minderwertig fühlen, wenn sie nicht an diesem angeblich so einschneidenden Ereignis teilnehmen. Nur um das klarzustellen: Ich wollte meinen Abschlussball eigentlich schwänzen, aber in allerletzter Minute Diogenes Magazin

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Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

hat mich meine Mutter doch dazu gebracht, hinzugehen. James ist ein ziemlich altmodischer Kerl. Er nimmt keine Drogen, trinkt keinen Alkohol. Er beschließt sogar, Sex – auch den Gedanken daran – ganz aus seinem Leben zu streichen (hält aber nur eine Stunde durch). Er trägt Anzug statt Khaki-Shorts. Er hört Oscar Peterson und Frank Sinatra statt Justin Timberlake oder Britney Spears. Er glaubt an die romantische Liebe. Und – anstößiger geht es kaum – er liest Bücher. Was hat dich an dieser Figur fasziniert? Oh, da gibt es viele Dinge. All das, was du beschreibst, zum Beispiel. James ist für mich ein echter Rebell, denn er geht seinen ganz eigenen Weg. Er ist so etwas wie ein Anti-Anti-Held. Leider gehört er einer aussterbenden Spezies an, er ist die Personifikation eines Lebensstils, einer Haltung, die es so nicht mehr gibt … zumindest nicht mehr in Amerika. Einer der Arbeits­ titel für den Roman war übrigens The Last Gentleman – Der letzte Gentleman. James hat Stil, er ist romantisch, er ist kultiviert. Ein Mensch wie er würde im Mittleren Westen von heute vermutlich weggesperrt werden. James leidet am Umgang der Menschen miteinander. Wie geht es dir damit? Nun ja, ich bin auch nicht immer nur nett. Aber dennoch: Mir geht es ganz ähnlich wie James. Ich glaube, wir sind heutzutage mehr mit uns selbst beschäftigt als je zuvor. Viel zu viele Menschen kümmern sich nur noch um ihre eigenen Angelegenheiten, sind ständig mit ihren Smartphones zugange. Es scheint fast zur sozialen Norm geworden zu sein, sich nicht mehr um das zu kümmern, was um einen herum vor sich geht, nur noch um das Display vor der eigenen Nase. Was missfällt dir am meisten an anderen Leuten? Gedankenlosigkeit finde ich furchtbar. Ich wundere mich sehr oft darüber, wie viele Menschen sich offenbar gar nicht vorstellen können, dass andere auch Gefühle haben. Mitgefühl hingegen, vor allem dann, wenn es bedingungslos ist, bewundere

ich sehr. Darum bemühe ich mich ständig. Und das tut auch James. Wie schafft man es bloß, all diese Menschen zu mögen, die einem das Leben schwermachen? Wenn vom »American Way of Life« die Rede ist, denken einige Menschen noch an Begriffe wie die Würde des Einzelnen, Optimismus, Idealismus, die Suche nach Unabhängigkeit und Freiheit. Was fällt dir dazu ein? Ich will wirklich nicht als der stereo­ type nonkonformistische Autor dastehen, der auf sein Land eindrischt. Es ist

großartig, hier zu leben. In meinem Heimatort gibt es jede Menge sehr nette Leute, auch wenn das nicht zu dem zu passen zu scheint, was ich vorhin gesagt habe. Aber ich beantworte deine Fragen eben auch fünf Tage nach dem Massaker in Newton, Connecticut, und das verdüstert meine Sicht auf dieses Land. Also, nein, ich würde diese wunderbaren Begriffe nicht auf die USA anwenden. 9  /11, die Rezession, die zahllosen Gewaltverbrechen, Arbeitslosigkeit – Angst und Sorge gehen um in diesem Land. Verzeih bitte, ich weiß natürlich, dass es uns in Amerika verhältnismäßig gutgeht, aber … Kinder sind doch heilig! Es ist einfach furchtbar traurig, was da geschehen ist. Sehr, sehr traurig. Es geht viel um Sex in deinem Roman. Den Umgang der Amerikaner mit Sexualität empfindet so mancher als heuchlerisch. Es gibt in den USA eine gigantische Pornoindustrie, es gibt den Spring Break, die Frühlingsferien, in denen Studenten wahre Se-

xorgien feiern. 95 Prozent der Amerikaner haben Sex vor der Ehe, und doch halten 36 Prozent Sex vor der Ehe für falsch. Viele Amerikaner verdammen Verhütungsmittel und Abtreibungen. Was hältst du von dieser Denkweise des Sex-for-me-but-notfor-thee? Ich verstehe, was du meinst … Ich habe da etwas Interessantes bei meiner ersten Europareise erlebt. Auf einem Flug von Österreich nach Deutschland lagen an Bord Playboy-Hefte aus. Die Pressechefin von Diogenes, Ruth Geiger, erklärte mir, das sei nicht weiter ungewöhnlich. Wer weiß, vielleicht ist es wirklich gesünder, Sexualität genau so zu behandeln: wie irgendein weiteres Magazin, das irgendwo rumliegt. Anstatt etwas Obszönes daraus zu machen oder Produkte damit verkaufen zu wollen, zum Beispiel miese Musik … Du scheinst sehr wenig von der amerikanischen Mainstreamkultur zu halten, das wird schon in Vincent und Freaks deutlich, und jetzt wieder in Ich gegen Osborne. Ist es schlimmer geworden seit 1999, dem Jahr, in dem dein Roman spielt? Was gefällt dir noch an der Popkultur? Die TV-Serie Mad Men. Jede einzelne Episode ist eine literarische Short Sto-

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432 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06853-5 Auch als Diogenes E-Book

Er ist ein Unikat in einer Welt, in der sich jeder durch Originalität abheben will. Der Einzige, der sich noch nach etwas sehnt und dafür kämpft: James Weinbach, 16 Jahre alt. Der neue Roman von Joey Goebel zieht der amerikanischen Partygesellschaft den Stecker!

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Ob du dich selber erkennst? Du tust es sicher, sobald du mehr Gebrechen an dir als an den andern entdeckst. Liebe ist darum so schön, weil sie vor Selbstliebe schützt. Große Menschen sind Inhaltsverzeichnisse der Menschheit. Es ist am Ende das Beste an der Religion, dass sie Ketzer hervorruft.

Denken mit

Friedrich Hebbel

Sind wir nicht Flammen, welche rastlos brennen Und alles, alles, was sie auch umwinden, Verzehren nur, doch nichts umarmen können?

Das ganze Leben ist ein verunglück- Die Kunst ist eine zusammengepresster Versuch des Individuums, Form te Natur und die Natur eine auseinanzu erlangen. dergelaufene Kunst.

Mensch, ergründe die Welt und nicht die Bücher, wie viel sie Auch enthalten, es ward stets aus der Welt ja geschöpft, Und, du magst es mir glauben, ich habe es selber erfahren, Sagt sie dir es nicht auch, ist es für dich nicht gesagt. Nur vom Überfluss lebt das Schöne, dies merke dir, Dichter, Hast du nicht etwas zu viel, hast du mitnichten genug.

Friedrich dieWelt, Welt,und und nicht Bücher FriedrichHebbel Hebbel Ergründe Ergründe die nicht diedie Bücher

Die Dummheiten platter Köpfe sind Das Leben ist ein Traum, der sich immer unfreiwillige Parodien von der selbst bezweifelt. Weisheit der Gescheiten; denn nicht einmal darin sind sie originell. All solche spitzen Gedanken sind nur Versuche, sich der Wahrheit zu beDie Freundschaft der meisten Men- mächtigen. Oft blinkt das reine Gold schen ist eine Vorbereitung auf die heran, aber das Netz zerreißt unter Feindschaft. seiner Last, es ist nur für Goldfische gemacht! O Gehirn! O Herz! Was du teurer bezweifelst, die Lüge oder die Wahrheit? Jene kostet dein Ich, diese doch höchstens dein Glück.

aa 240 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06737-8

Im nächsten Magazin: George Orwell 48

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ry. Jede einzelne hat etliche Bedeutungsebenen. Und Don Draper ist wohl eine der großartigsten amerikanischen Figuren überhaupt. Um die Serie massentauglich zu machen – um dieses Phänomen geht es auch in meinem Roman Vincent –, wurde das Ganze stark geschönt. Wer die Serie kennt, weiß, was ich meine: Ausstattung und Schauspieler sind sehr ansehnlich. Es gibt heute großartige Serien wie Freaks and Geeks, Lost und Parenthood. Viele Kinofilme sind allerdings schlechter. Und die Popmusik – na ja … Aber Schluss jetzt, ich habe schon genug geschimpft. Belassen wir es dabei: Das Fernsehen heute ist viel, viel besser! All deine Romane spielen im selben Bundesstaat. Was ist so besonders an Kentucky – einmal abgesehen davon, dass du dort lebst? Dass es nicht New York ist. Ich mag New York wirklich sehr – ein magischer Ort. Aber warum muss jeder beschissene Roman, Film, jede Fernsehserie uns davon erzählen, wie cool und aufregend das Leben dort ist? Auch deswegen bin ich glücklich darüber, dass meine Bücher in Europa so erfolgreich sind. Ihr scheint zu verstehen, dass New York oder Los Angeles, so wunderbar sie auch sind (und sie sind wirklich wunderbar), recht wenig mit Amerika zu tun haben. Die alles entscheidende Frage zum Schluss: Wie war dein eigener Highschool-Abschlussball? Ich war mit einer Freundin, Becky, dort, aber wir sind schnell wieder abgehauen, um im Wohnwagen eines Freundes zu feiern. Die meiste Zeit habe ich dort vor mich hingetanzt zur Musik von The Dead Milkmen, mit einem Bier in der Hand. Ein Mädchen hat versucht, mich anzugraben, aber irgendwann hat sie verstanden, dass ich lieber allein sein wollte. Mir ist schon klar, dass ich etwas sonderbar bin. Übrigens ist dieser Roman auch ein Tribut an die Punk-Band The Dead Milkmen und ihren Song I against Osborne, der den Kern meines Romans erfasst: stark und selbstbewusst zu sein, eine klare Haltung zu den Dingen einzunehmen, sich zu wehren, aber immer auf eine stilvolle Art und Weise –wie ein echter Gentleman. ck

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Foto: © Ursula Edelmann / ARTOTHEK

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1: Langbeinige Kuh 2: Kamel balanciert Bücher zur Verbesserung der Körperhaltung; Ersatz­lösung: Bücherbrett eines Exzentrikers

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Gemeinsame Schicksale 1) Wurden inhaftiert 2) Erblindeten 3) Kamen im Krieg um 4) Belgischer Herkunft 5) Begingen Selbstmord 6) Starben im Duell 7) Starben in Zürich 8) Schrieben auf Englisch, das nicht ihre Muttersprache war

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Literarische Todesfälle 1) Nimmt Arsen 2) Erschießt sich 3) Wirft sich vor den Zug 4) Geht ins Meer 5) Ersticht sein Bildnis und stirbt dabei 6) Ersticht sich

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Fotos: Š Lorenzo Pesce


Leseprobe

Fulvio Ervas

Wenn Andrea die Welt regieren würde Ein Vater und sein autistischer Sohn erleben ge­ meinsam ein Abenteuer, das so wunderbar, schwie­ rig und unvorhersehbar ist wie der Junge selbst. Und Vater und Sohn einander näherbringt.

Halb voll oder halb leer, dieses Dilemma wäre unbekannt. Flaschen und andere Behältnisse müssen immer entweder leer oder voll sein und die Kugelschreiberminen alle drin oder alle draußen, nie halb so, halb so, sonst geht immer ein Stift kaputt und einer nicht. Dieses Risiko muss vermieden werden. Von T-Shirts oder Pullovern mit Reißverschluss würde abgeraten, denn es ist schnell passiert, dass dieser ein wenig offen steht. Bitte, Reißverschlüsse entweder auf oder zu. Schluss auch mit den ewigen Haarspaltereien, ob es warm oder kalt ist. Ein bisschen Entschlossenheit kann nie schaden. Niemand soll glauben, er könne eine Pizza so essen, dass er sie einfach in Stücke schneidet, irgendwo anfängt und einen beliebigen Bissen zum Mund führt. Zuerst isst man nämlich die weiße Mozzarella, dann das grüne Basilikum und zum Schluss, aber erst ganz zum Schluss, den Boden mit der Tomatensoße. Dreihundertfünfundsechzig Mal im Jahr wäre Tag der Schokolade. Diese Regel wäre immerhin leicht einzuhalten. Thermostaten würden nicht geduldet. Entweder ist die Heizung abgestellt oder voll aufgedreht. Übergangszeiten sind eine Katastrophe. Kirchtürme würden mit automatischen Seifenblasenspendern ausgerüstet, jeden Freitag Seifenblasen in Hülle und Fülle, um das Wochenende anzukündigen, und auch jeden Montag, um den Wochenbeginn zu feiern, Feuerwerk an Silvester, bei Sonnenwende, bei Tagundnachtgleiche und zu jedem Anlass, wenn es finanziell drinliegt. Eine Tyrannei mit absolut klaren Regeln. Vorgegeben von einem hochsensiblen Tyrannen, der seine Freiheit braucht. Aus dem Italienischen von Maja Pflug

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Buchtipp

Foto: © Franco Antonello

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anche Leute sagen, dass das Leben mit einem autistischen Kind fremdbestimmt sei. Ja, dass man einer Art Tyrannei zum Opfer falle. Wenn ich mir vorstelle, was passieren würde, wenn Andrea die Welt regierte, muss ich lachen. Als Erstes hätten die Wochen eine Farbe. In der roten Woche Bahn frei für den Handel mit Karotten, Orangen, Tomaten. Subventionen nur für diese Produkte und totales Fahrverbot für Lastwagen mit Broccoli, Wirsing oder Erbsen. Wenn aber die grüne Woche anbricht, füllen sich die Geschäfte mit dem vorher nicht erlaubten Gemüse; die Kisten mit Orangen werden unverzüglich nach Sizilien zurückgeschickt und die Karotten eine um die andere wieder in die Erde gesteckt. Natürlich genau da, wo man sie herausgezogen hat, schließlich haben aus Frankreich stammende Karotten in der Gegend von Ferrara nichts zu suchen. Nie gäbe es eine lila Woche, zum Leidwesen aller Fans von Pflaumen und Auberginen.

320 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06851-1 Auch als Diogenes E-Book

Abenteuer Leben: Die wahre Geschichte eines Vaters, der Zugang zu seinem autistischen Sohn sucht und ihm eine Stimme schenkt. Der Bestseller aus Italien – ein intensives, berührendes, lebensbejahendes Buch.

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Literarisches Kochen

Terrine à la Hugo Loetscher I

ch war dabei, wie besagter Pâté, das heißt besagte TerDas heißt, man braucht einen Wolf. Aber als Vertreterin rine, gemacht wurde. Und wes das Herz voll ist, des der zeitgenössischen Intelligenzija besitzest du ohne Zweigeht der Mund über. Das gilt auch auf kulinarischer Ebefel einen Wolf, durch den man alles drehen kann, nur dass ne: Wes der Magen voll ist – nein, ich sehe, das Bild ist ein du ihn für diesmal nicht am Schreibtisch, sondern am Kübisschen gewagt. chentisch befestigen musst. Du machst dich zur Verteidigerin des einfachen RezepAber jetzt kommen wir zum »man nehme«. Man nehtes. Wenn du wüsstest, wie einfach dieses Rezept ist. Es ist me zum Beispiel Reste. Reste von Siedfleisch. Und dann geradezu eine Aschenbrödel-Terrine, wenn du willst. ein bisschen Schweinefleisch. Und dann Leber: vom HaZugegeben, die Umwege könsen und von den Hühnern und nen etwas kompliziert sein. Man von den Gänsen. Diese Leber ist braucht nämlich Schweineja keineswegs teuer – à propos schmalz. Nicht jenes Schmalz billig: Es braucht auch noch etoder jenes Fett, das man in den was Bouillon. Da kannst du die Läden oder auch beim Metzger Knochen des Huhnes, das du im kaufen kann. Das eignet sich geRömertopf gebraten hast, auskorade fürs Kochen oder Braten. chen. Ich würde sagen: Knochen Nein, es muss schon richtiges im Wert von etwa 95 Rappen. Schweineschmalz sein, mit so Aber jetzt können wir beginrichtig Grieben drin, das man nen. Wir tun – sofern du nicht auch aufs Brot streichen könnte. mitmachen willst, sind mit »wir« Und das ist nicht leicht zu beimmer der Mann im Mond und schaffen. Am ehesten noch, wenn ich gemeint –, wir tun also ein Bauer gerade schlachtet. Du Speckwürfel in die Pfanne und hast sicher verstanden: Um sibraten sie, wir lassen sie fast aus. 208 Seiten, Leinen cherzugehen, ziehst du eine Sau Dann tun wir Zwiebeln und ISBN 978-3-257-06847-4 auf, und beim Schlachten machst Knoblauch hinein, braten darin Viel mehr als ein Kochbuch: Zwei geistreiche Genießer, Alice du dann jenes Fett, das für die das Fleisch und drehen das GanVollenweider und Hugo Loetscher, Terrine notwendig ist. ze einmal durch den Wolf. Dann plaudern aus der Küche. Rezepte, Kultur­geschichtliches, Literarisches, Und dann brauchst du auch braten wir die verschiedenen LePersönliches, gewürzt mit dem Salz der Begeisterung und noch Gänsefett. Das ist, glaube bern und tun auch die in den dem Pfeffer des Humors. ich, schon leichter zu kriegen. Wolf. An Kräutern sind BasiliZudem gibt es so einfache Rekum und Estragon zu empfehzepte, um eine Gans in deinem schlichten Sinne zu braten, len. Dann lässt du die verschiedenen Schmalze, oder wie dass du bei diesem Bratprozess ohne Zweifel auch zum immer der Plural von Schmalz heißen mag, ebenfalls durch unerlässlichen Gänseschmalz kommst. den Wolf; zum Schluss ein bisschen Cognac und ganz weUnd dann sollte man noch etwas vom Huhn haben: nig Curry. Und was du jetzt hast, das tut man dann in ein Wenn du ein Huhn im Römertopf brätst, dann bleibt doch Bain-Marie. Und darin lässt man es etwa so lange, wie du am Boden immer ein gewisser Rest zurück. Der eignet für die Übersetzung von fünf mittelschweren Seiten mosich bestens für die Terrine. dernistischer italienischer Prosa brauchst. Dann nimmst Aber abgesehen von der Sau und dem Gänsebraten und du das Ganze heraus. Essen kannst du es nicht, es muss dem Hühneressen ist dann die Zubereitung der Terrine abkühlen – aber dann, dann ist die Terrine ganz vorzügganz einfach: lich.

Foto: © NN

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Serie

Die Romane von Georges Simenon Sie sind Expeditionen in die mensch­ liche Seele. Ihre Sprache ist einfach, klar, komplex und subtil zugleich. Verbrechen geschehen aus Gründen: aus Habgier oder Eifersucht, aus Rache, aus Angst. Klassenunterschiede spielen eine entscheidende Rolle: Wohlanständig fassadisierte Bürger töten arme Leute, wenn sie fürchten, dass die ihnen etwas wegnehmen könnten; umgekehrt werden Habenichtse skrupellos und gemein, wenn sie meinen, so die Chance ihres Lebens zu ergreifen. Kaum je ist ein Mensch, was zu sein er vorgibt, und Simenon beobachtet sie alle ganz genau, ihre Träume, ihr Versteckspiel, ihre Finten, ihre Leidenschaften, ohne sie roh zu entblößen.

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Nach dem Lesen Simenons weiß man auch, was an den sogenannten Schwedenkrimis so öde ist, an ihrem sozio- und psychopathischen Personal und ihren Blutrünstigkeitsexzessen, mit denen das Publikum gleichermaßen aufgepeitscht wie abgestumpft wird: Sie folgen den Gesetzen der Fernsehdramaturgie. Das Publikum kann sich an Effekten hinter Glas erregen und sich an empathiefreien Emotionen berauschen. Nichts berührt, nichts geht unter die Haut, nichts entfaltet Wirkung. Mit Simenon lernt der Mensch sich und seine Spezies kennen, und das ist tatsächlich aufregend.

mehr Inhalt und neuen Perspektiven auf Gesellschaft, Politik und Kultur.

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Vom Multitalent Wiglaf Droste erschien zuletzt 2012 Sprichst du noch oder kommunizierst du schon? in der Edition Tiamat. Bei Diogenes kann man ihn als Spre­ cher der Romane Der Malte­ser Falke und Das große Umlegen von Dashiell Hammett erleben, und als Lyriker in der Anthologie Mit Gedichten durchs Jahr.

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Foto: Š Fred Herzog


Essay

Donna Leon über Ross Macdonald

Mein LieblingsKrimiautor Wie viele Bücher kranken doch daran, dass die Figuren toterklärt sind, noch bevor sie auftreten dürfen. Ganz anders die Kriminalromane von Ross Macdonald, den Donna Leon als Nachfahren von Charles Dickens verehrt – geht es doch im Werk beider Schriftsteller um Geheimnisse, die weit zurückliegen: »Je mehr Lew Archer, Macdonalds brillanter Privatdetektiv, die Gegenwart zu verstehen versucht, desto energischer streckt die Vergangenheit ihre Hände nach ihm aus.«

Foto klein: Aufnahme aus Santa Barbara, CA; Foto: © Bettmann /CORBIS; Foto gross: © Julien Chatelin / laif

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how, don’t tell!« Das ist die wichtigste Regel für Romanschriftsteller. Du sollst keine langwierigen Erklärungen abgeben. Was geschieht, soll sich aus der Handlung erschließen. Sag dem Leser nicht, was für ein Mensch eine bestimmte Romanfigur ist: Lass ihn das Innenleben durch aufschlussreiche Gesten oder Worte erahnen. Ein Meister dieser Kunst ist Ross Macdonald. Kaum ein Schriftsteller lässt seine Leser so beiläufig und gekonnt ins Innere seiner Figuren blicken. Raffiniert beschränkt Macdonald seine erzählerischen Kommentare auf ein Minimum und erlaubt den Figuren in seinen Büchern, sich selbst – oder den anderen – mit Worten zu entlarven, die sie bald einander entgegenschleudern, bald wie nebenbei fallenlassen. Für Krimis gilt eine weitere Regel: Der Plot soll sich wie ein Pfeil auf sein Ziel zubewegen. Natürlich kann der Pfeil mit List und Tücke ein wenig von seiner Bahn abgelenkt werden und

kleine Umwege beschreiben, doch das Ziel darf nie aus dem Blick geraten, stets muss es um die zugrunde liegenden Motive gehen, um den Täter, um die Aufklärung des Verbrechens. Auch hierin ist Macdonald mustergültig: Er ist geradezu der Wilhelm Tell des Plots. Souverän versteht er es, den Pfeil aus der Bahn zu lenken. Ganz gleich, was für Umwege seine Pfeile machen – und wenn sie zwanzig Jahre brauchen, um ihr Ziel zu erreichen –, stets treffen sie am Ende ins Schwarze. Die Literaturkritik ergeht sich in müßigen Spekulationen über die literarischen Vorfahren von Schriftstellern und weist manchen die sonderbarsten Ahnen zu. So wurde Homer zum Großvater nahezu aller, die eine Geschichte in chronologischer Abfolge erzählen, und Proust soll durch Jungfernzeugung jeden hervorgebracht haben, der seinen Figuren ins Herz oder in den Kopf sehen kann. Macdonalds Stammbaum lässt sich, zumindest was

das Entwerfen von Plots anbelangt, bis zu Charles Dickens zurückverfolgen. In Bleakhaus liegt des Rätsels Lösung zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit zurück; in Große Erwartungen wird das Geheimnis um Pips unbekannten Wohltäter erst am Ende des Buchs gelüftet, und auch hier geht es um weit zurückliegende Ereignisse. Wie Dickens beginnt Macdonald seine Lew-Archer-Romane mit einem aktuellen Ereignis: Ein Erbe ist nicht aufzufinden, ein Testament wird angefochten, ein Erbstück wird gestohlen … Sowie aber Lew Archer den Fall übernimmt, kann man sicher sein, dass der Pfeil des Plots, auch wenn er von der Gegenwart in die Zukunft gerichtet ist, den Weg über die Vergangenheit nimmt und das eine oder andere Opfer findet. Er saust in der Zeit zurück, eine oder zwei Generationen, bis er auf Ereignisse oder Personen stößt, die die Gegenwart nach wie vor unheilvoll überschatten. Goyas Schreckensbilder – ein Diogenes Magazin

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schwinden eines Gemäldes aus ihrem Haus aufzuklären, fährt Archer eine Privatstraße hoch, um mit den Besitzern zu sprechen, Jack und Ruth Biemeyer, und findet sie auf dem Tennisplatz neben dem weitläufigen Anwesen, wo sie spielen wie »Gefängnisinsassen auf dem Exerzierhof«. »Show, don’t tell«: Das gilt auch für die Schilderung der Schauplätze. Da heißt es dann etwa: »Wir wanderten ans andere Ende des Empfangsraums.« Und Mrs. Biemeyer macht einzig folgende Bemerkung, warum ihr das Fehlen des Bildes nicht sofort aufgefallen ist: »Ich komme nicht jeden Tag in diesen Raum.« Nur für den Fall, dass Archer noch immer nicht begriffen hat, wie reich seine Auftraggeber sind, klagt Biemeyer: »Man wird doch wohl in einem Bau, für den man vierhunderttausend Dollar hingeblättert hat, irgendwo seine Ruhe haben dürfen.« Das Buch spielt 1976, als man für so einen Betrag sehr viel größere Häuser – Biemeyer bezeichnet seines wohlgemerkt als »Bau« – kaufen konnte als heutzutage.

Foto: © Fred Herzog

Vater, der seine Kinder verschlingt, vergeblich reißen sie die Arme hoch, sie können dem Tod nicht entgehen – geben eine Ahnung von dem, was Lew Archer aufdecken wird. »Schon oft hatte ich Fälle bearbeitet, die wie durch Risse im festen Boden der Gegenwart zu darunter verborgenen Schichten der Vergangenheit führten« (1963 in Gänsehaut). Immer wieder werden Archer aktuelle Fälle anvertraut, mit deren Lösung seine Auftraggeber die Hoffnung auf eine sicherere Zukunft verbinden. Fast immer jedoch fällt der erste Dominostein in die entgegensetzte Richtung, Richtung Vergangenheit, gefährdet das Ansehen der Beteiligten und bringt alte Wahrheiten ins Wanken. Der Geruch des Todes, den die enthüllten Geheimnisse verströmen, teilt sich alsgleich der Zukunft mit, und es taucht eine Leiche nach der anderen auf. Ross Macdonald hat so viele gute Bücher geschrieben, dass die Wahl schwerfällt, doch Der blaue Hammer ist wohl sein Meisterwerk. Angeheuert von einer reichen Frau, um das Ver-

Archer bekommt den Auftrag, das Bild wiederzufinden, das als ein Werk von Richard Chantry gilt, einem stadtbekannten Maler, der vor über zwei Jahrzehnten verschwunden ist. Die Tochter der Biemeyers hat ein Verhältnis mit Fred Johnson, einem ewigen Studenten, der sich leidenschaftlich für Chantrys Werk interessiert. Ein klassischer Macdonald-Anfang: Eine junge Frau schwebt in Gefahr, ihr Geliebter hat fragwürdige Motive für sein Interesse an ihr, und schon drehen sich die Zeiger der Uhr um eine Generation zurück. Je mehr Archer die Gegenwart zu verstehen versucht, desto energischer streckt die Vergangenheit ihre Hände nach ihm aus. Bald stößt Archer auf das erste Mordopfer, einen Mann, der Chantrys Namen flüstert, bevor er stirbt. Warum aber nennt ein Sterbender Chantrys Namen, wenn dieser seit Jahren tot sein soll, und wie kann der Sterbende kurz vor seinem Tod ein Bild verkauft haben, das Chantry offenbar erst vor kurzem gemalt hat? Die auf dem bewussten Bild porträtierte Frau erweist sich als Mildred Mead; vor Jahrzehnten haben sich die Männer um sie gerissen. Ihre Gegenwart, das Porträt und ihre Abwesenheit prägen das Buch, viele Männer erliegen ihrer starken erotischen Ausstrahlung, auch Archer, der sympathischerweise nicht nur eine Schwäche für Frauen hat, sondern auch deren Stärken zu schätzen weiß. Als er einer jungen Journalistin begegnet, heißt es: »Im Vorübergehen ließ sie die Luft erbeben. Das Beben setzte sich in meinem Körper fort.« Und wenig später finden sie sich in einem Hotelzimmer wieder. Die Art und Weise, wie Archer sein Interesse an Frauen bekundet, mag aus heutiger Sicht seltsam altmodisch wirken, wobei man sich fragt, wann eigentlich Bewunderung, Ehrerbietung und Beschützerinstinkt aus der Mode gekommen sind. Auch sexuelle Handlungen deutet Macdonald, dem Goldenen Zeitalter der Kriminalliteratur treu, zwar an, beschreibt sie aber nicht. Archer ist kein Fanatiker auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit, kein Kämpfer für die Unterdrückten, und doch schimmert ab und an seine Geis-


teshaltung durch: »Hier und da lagen statt toter Männer Liebespaare im Gras, und das war gut so.« Vom Scheitern seiner Ehe spricht er stets mit Bedauern und gibt sich selbst die Schuld daran. Er schildert die Menschen, auch die schlechten, mit Anteilnahme, mit Verständnis für ihre Schwächen, und hat unendliches Mitgefühl mit denen, die im Leben den Kürzeren gezogen haben. Ebenso deutlich ist seine Verachtung für die Mächtigen und Hochmütigen, aber auch ihnen erlaubt er, sich ihr Grab selbst zu schaufeln; er zeigt sie, wie sie sind, was jeden Kommentar überflüssig macht. »Jeden Tag sterben Menschen«, erwidert Jack Biemeyer auf die Warnung, dass das Leben einer jungen Frau auf dem Spiel stehe. Wie bei Dickens rächt sich auch bei Macdonald am Ende alles. Die Schurken können morden und verstümmeln, so viel sie wollen, ihr Geheimnis kommt dennoch ans Licht – sobald Archer einmal anfängt, in der Vergangenheit herumzuwühlen, deckt er Tatsachen auf, aus denen sich Vermutungen und Zusammenhänge ergeben, die am Ende zur Enthüllung führen. Getragen wird dies von einer Prosa, deren Eleganz und Dichte jeden Schriftsteller vor Neid erblassen lassen muss. Auf jeder Seite finden sich unnachahmliche Formulierungen und verblüffende Bilder. Junge Polizisten treten »in sommerlich heller Kleidung, aber mit winterlich finsteren Gesichtern« auf. »In ihren Augen blitzte Interesse auf und jenes Überlegenheitsgefühl, das Lügner denen gegenüber empfinden, die sie belügen.« Ein Zimmer wirkt nach einer Party »völlig verkatert«. »Die Abendröte breitete sich über dem Meer aus wie ein Steppenbrand, der sich vom Wasser zu nähren vermochte.« Fast auf jeder Seite der Archer-Romane gibt es Beispiele für die große Kunst dieses Schriftstellers. In Gänsehaut wimmelt es davon: »Ein junger Mann mit ungepflegtem Bart und rebellischem Blick sah aus wie jemand, der alles verweigert, nicht nur den Kriegsdienst.« »Kincaid war ein verängstigter Mann, dem sein Status so wichtig war wie früheren Generationen ihr Seelenheil.« Man könnte in Versuchung geraten, ihm solche Wen-

dungen zu stehlen; leider jedoch gehört diese Prosa so eindeutig ihm, dass Lew Archer den Diebstahl im Handumdrehen aufklären würde. Heutzutage kommt kaum ein Kriminalroman ohne drastische Sex- und Gewaltszenen und seitenlange Beschreibungen von Obduktionen aus – umso erfrischender ist es dann, einen Autor wiederzulesen, der wie die alten Griechen keine Gewalt auf die Bühne bringt, dessen Interesse nicht der Gewalt als solcher gilt, sondern der Frage, wie es dazu gekommen ist und wie sie das Leben all derer zerstören konnte, die mit ihr in Berührung kamen.

Hinter jeder Enthüllung verbirgt sich das nächste Rätsel. Archer aber ermittelt unerbittlich weiter. Der blaue Hammer führt wie die anderen Lew-Archer-Romane in immer größere Untiefen, je hartnäckiger Archer zu ergründen versucht, was geschehen ist und warum. Hinter jeder Enthüllung verbirgt sich das nächste Rätsel, und oft steht am Ende ein Mord. Ein Mann ist ertrunken, eine Leiche wird exhumiert, und bei allen möglichen Leuten stellt sich heraus, dass sie nicht sind, was sie zu sein scheinen oder schienen. Archer aber ermittelt unerbittlich weiter, ebenso getrieben von dem Wunsch, vergangene und aktuelle Ereignisse zu verstehen, wie von seinem Mitgefühl für die Menschen, die von diesen Ereignissen verfolgt und vernichtet werden. Auf den letzten Seiten des Buchs wird das ganze abscheuliche Gespinst aus Eifersucht, Bosheit und einer ungesunden Verquickung von Panik und Habgier, die sich Liebe nennt, in Fetzen gerissen und enthüllt die monströsen Formen, die menschliche Schwäche annehmen kann. Archer – der ungewollt als Racheengel herhalten musste – hat für die Trümmer dieser Existenzen nur Mitleid übrig. Macdonalds Meisterschaft besteht darin, beim Leser die gleiche Empfindung auszulösen.

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Buchtipp

432 Seiten, Paperback ISBN 978-3-257-30015-4

Lew Archer ermittelt – und blickt in die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft. Ein Klassiker des hard-boiled Krimi neu übersetzt, mit einem eigens für diese Ausgabe geschriebenen Nachwort von Donna Leon. »Der amerikanische Detektiv: verewigt durch Hammett, verfeinert durch Chandler, auf dem Zenit bei Macdonald.« New York Times Book Review

336 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06858-0 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Nicht nur das Wasser in den Kanälen der Serenissima ist vergiftet … Ein toter Mann, der von niemandem vermisst wird. Ein teurer Lederschuh am Fuß der Leiche. Brunetti muss all seine Menschenkenntnis aufbieten, um seinen einundzwanzigsten Fall zu lösen, der ihn bis aufs Festland nach Mestre führt. »Ein tolles, beklemmendes Buch einer engagierten Tierschützerin.« Österreich, Wien

Aus dem Englischen von Werner Schmitz Diogenes Magazin

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Serie

Lesefrüchtchen »Lies viel, vergiss das meiste wieder, und sei schwer von Begriff!« Michel de Montaigne, ›Denken mit Montaigne‹ (detebe 23497). Ein­ geschickt von Mathias Ruhtenberg, Emmendingen »Er ist undenkbar, und was undenkbar ist, kann auch nicht möglich sein, weil es keinen Sinn hat. Es ist, als ob der Ort sich selber erdacht hätte. Er ist nur. Sinnlos wie die Wirklichkeit und unbegreiflich wie sie und ohne Grund.« Friedrich Dürrenmatt, Turmbau: ›Das Hirn‹ (detebe 23069). Ein­ geschickt von Mirka Machel, Lemgo »Vielleicht muss man Menschen manchmal aus der Ferne betrachten, um zu wissen, wie sehr man sie liebt.« Astrid Rosenfeld, ›Elsa ungeheuer‹. Eingeschickt von Annette Pfannenschmidt aus der Buchhandlung Karmann, Schlüchtern

Landleben – ein Lesebuch für das Wochenende oder die Ferien auf dem Land – oder eine Sehnsuchtslektüre für alle, die in der Stadt bleiben müssen.

Diogenes Taschenbuch detebe 24083, 368 Seiten

Der Berg ruft – Schriftsteller schreiben darüber, und wir folgen ihnen. Bergglühen versammelt die schönsten Berg­ geschichten aus vielen Jahrhunderten.

Diogenes Taschenbuch detebe 24216, 288 Seiten

Wanderlust lädt ein, über das Wandern zu lesen, in allen Facetten: als Natur­ erlebnis oder Pilgergang, aber auch als Spaziergang oder Flanieren in der Stadt. Diogenes Taschenbuch detebe 24186, 288 Seiten

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»Es gibt nichts Glücklicheres als die Arbeit. Und Liebe, gerade weil sie das äußerste Glück ist, kann nichts anderes als Arbeit sein. Wer also liebt, der muss versuchen, sich zu benehmen, als ob er eine große Arbeit hätte: Er muss viel allein sein und in sich gehen und sich zusammenfassen und sich festhalten; er muss arbeiten; er muss etwas werden!« Rainer Maria Rilke

»Und wenn du ein Buch magst, dann merk dir einen großartigen Satz daraus – vielleicht deinen Lieblingssatz. So kannst du dir merken, wie die Geschichte geklungen hat, die dich zu Tränen gerührt hat.« John Irving, ›In einer Person‹ (Diogenes Hardcover). Eingeschickt von Florian Benedikt Schraml, Untermeitingen »Das Leben muss noch kommen. Es wird mir sitzen wie angegossen, wie ein Brautkleid, das mir der allerbeste Schneider auf den Leib geschneidert hat.« Arnon Grünbergs, ›Der Heilige des Unmöglichen‹ (detebe 24097). Eingeschickt von Berit Kaufmann, Hamburg

»Du redest davon, dass du ein Buch schreiben willst, aber am Ende kaufst du dir lieber den Porsche …« Woody Allen als Ike in ›Manhattan‹ (detebe 20821)

»Zweifeln Sie am Leben? Fragen Sie sich, ob es überhaupt der Mühe wert ist? Schauen Sie in den Himmel: Er ist für Sie da. Schauen Sie jedem Menschen auf der Straße ins Gesicht: Diese Gesichter sind für Sie da. Und die Straße selbst, der Erdboden unter der Straße und die glühende Kugel aus Feuer unter dem Erdboden: All diese Dinge sind für Sie da.« Miranda July, ›Zehn Wahrheiten‹ (detebe 23938). Eingeschickt von Franz Sieber, Bad Abbach / Peising

»›Absinth macht blind‹, sagt meine Frau. ›Wie Liebe. Aber bei der Liebe findet man erst den Rückweg nicht mehr, mit Absinth verläuft man sich schon auf dem Hinweg.‹« Urs Widmer, ›Liebesnacht‹ (detebe 21171). Eingeschickt von Iris Treiber, Karlsruhe

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Illustration links: © Carl Moos; Illustration oben: © Tomi Ungerer

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Ein Autor – Eine Stadt

Hamburg mit Friedrich Dönhoff Für viele Hamburger gilt: entweder westlich oder östlich der Alster. Friedrich Dönhoff ist ein Westler, das zeigen diese Tipps. Sein Ham­ burg liegt zwischen St. Pauli und Grindelviertel. Auch Seeluft, sein neuer Krimi, spielt in der Hansestadt: Am Fischmarkt, direkt an der Elbe, ist die Leiche eines Reeders gefunden worden – ein Krimi, der nach Meer riecht. Ein Fall für Kommissar Sebastian Fink. 368 Seiten, Paperback ISBN 978-3-257-30013-0 Auch als Diogenes E-Book

Harrys Hafenbasar

Erichstraße 56 20359 Hamburg Telefon: +49 171 4969169

Uebel und Gefährlich Im Krieg rannten die Hamburger zum Hochbunker und suchten hinter meterdicken Wänden Schutz vor den Bomben. Heute strömt das amüsiersüchtige Volk herein, um das Leben zu feiern. Der Musik­ club Uebel und Gefährlich befindet sich im obersten Stockwerk; das Programm reicht von Techno über Jazz bis zu Singer-Song­ writer-Konzerten. Ballsaal, Turmzimmer und Erker bieten Platz für 1000 Gäste; von der Dachterrasse gibt es einen wunderbaren Blick auf Hamburg, der nach einer durchtanzten Nacht, wenn die Sonne aufgeht, am schönsten ist. Diesen Ort habe ich als Schauplatz für eine wilde Partynacht gewählt, an der Kommissar Sebastian Fink in dem Buch Der englische Tänzer teilnimmt. Feldstraße 66 20359 Hamburg Telefon: +49 157 38276469 Diogenes Taschenbuch detebe 24018, 304 Seiten Auch als Diogenes E-Book

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Foto oben: © Marvin Zilm; Foto Mitte: © privat; Foto unten: © privat; Foto unten klein: © picture alliance / Jazz Archiv / Michael Reimers

Seit über 800 Jahren landen Seefahrer aus aller Welt in Hamburg. Vieles von dem, was sie aus der Ferne mitgebracht haben, ist hier versammelt: in Harrys Hafenbasar, gegründet vor Jahrzehnten vom Seemann Harry Rosenberg, und zwar als Tauschbörse. Der wunder­ same Basar hat sich inzwischen zu einem verwinkelten Labyrinth ausgewachsen. Damit niemand verloren geht, weisen Pfeile auf dem Boden den Weg durch dieses Durcheinander aus verstaubtem Nippes und finsteren Kuriositäten. Ein Rundgang kann viele Stun­ den dauern – wenn man sich die Zeit nimmt, den Geschichten aus fernen Kulturkreisen nachzuspüren. Achtung: Wer Angst vor Voo­ doo-Puppen, Schrumpfköpfen und riesigen Spinnen hat, sollte lie­ ber draußen bleiben.


Kunstkiosk Im Kunstkiosk in St. Pauli verkaufen Künstler ihre kleinen und grö­ ßeren Werke, die nicht nur schön zum Ansehen sind, sondern meist auch einen praktischen Nutzen haben: handgenähte Handyta­ schen, kleine Wundertüten zu Themen wie Glück, Freunde, Liebe; buntbedruckte Fahrradsattelschoner, seltsame Feuerzeuge – hun­ derte Sachen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind liebevoll gestaltete Unikate in limitierter Auflage, die in keinem Kaufhaus und keinem Souvenirshop zu finden sind. Das Sortiment wandelt sich ständig. Ich komme regelmäßig vorbei, denn hier ist der Blick auf die Welt immer neu, oft komisch – und das macht gute Laune. Paul-Roosen-Straße 5 22767 Hamburg Telefon: +49 40 37429522

Planten un Blomen

Foto oben: © privat; Foto Mitte: © Mauritius images / ib / dbn; Foto Mitte klein: © Berndt Andresen / Planten un Blomen 2012; Foto unten: © privat

Wie ein langer bunter Teppich zieht sich der Park entlang der alten Wallanlagen von der Alster fast bis zur Elbe. Hier gibt es zahlreiche versteckte Winkel, in denen man ganz allein sein kann, umschlos­ sen von dichtem Grün. Nach mühseliger Arbeit am Schreibtisch erhole ich mich hier rasch. Mit der wandernden Sonne verändern sich das Licht, die Farben und die Eindrücke, was etwas Magisches hat. Viele Eingänge führen in den Park, aber egal, wo man wieder rauskommt – man hat das Gefühl, etwas ruhiger und vielleicht so­ gar ein wenig klüger geworden zu sein. St.Petersburger Straße 28 20355 Hamburg Telefon: +49 40 42854

Café Leonar Am frühen Morgen ist das Café ein beschaulicher Ort, in dem nur die Anwohner zu verkehren scheinen. Eine Handvoll Menschen, die hier still sitzen, vertieft in die Lektüre der Zeitungen oder in eines der Bücher, die für die Gäste im Regal bereitstehen. Später füllt sich der Raum, es wird gesprochen, diskutiert, gelacht, und am Abend gibt es Lesungen oder Musik. Vielleicht ist es die Atmosphäre eines Jüdischen Salons, die hier herrscht. Und genau so war es gedacht, als die Betreiber 2007 das Café Leonar eröffneten. Das Restaurant, das köstliche jüdische Spezialitäten anbietet, ist vorzüglich. Und nebenbei erwähnt: Der Kaffee ist der beste in der Stadt. Grindelhof 87 20146 Hamburg Telefon: +49 40 41353011

Diogenes Taschenbuch detebe 23747, 320 Seiten Auch als Diogenes E-Book

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Vorschaufenster Kino &  DVD Nagy. Mit Mia Wasikowska und Cate Blanchett. Kinostart: 2014. Martin Walker. Günter Schilhan drehte die 45-minütige Fernsehdokumentation Martin Walker – Mein Périgord. Produktion ORF/3sat, 2012. Seit Ende März 2013 auf DVD in der 3satEdition erhältlich. Außerdem jetzt auf DVD: Am Ende eines langen Tages nach dem Roman Superhero von Anthony McCarten und die AnnaKarenina-Verfilmung von Joe Wright, mit Keira Knightley und Jude Law.

Gewonnen haben men. Mit Hannelore Elsner und Nadja Uhl in den Hauptrollen. Patricia Highsmith. Die Dreharbeiten für Carol / The Price of Salt sind für Frühjahr 2013 angesetzt. Regie: John Crowley. Drehbuch: Phyllis

Ausstellungen Tomi Ungerer. Anlässlich des 50. Jahrestags des Elysée-Vertrags (22.1.2013) präsentiert die Ausstellung Vom Duell zum Duo Werke von deutschen und französischen Kari­ katuristen wie F. K. Waechter und Tomi Ungerer. Museum Tomi Ungerer, Straßburg, 12.4. bis 14.7.2013. Chaval, Paul Flora, Jean-Jacques Sempé. Unter dem Titel Stauber revisited werden 80 Originale Jules Staubers ergänzt mit Zeichnungen von Zeitgenossen wie Paul Flora, Chaval und Sempé. Cartoonmuseum Basel, bis 26.5.2013. so leben sie noch heute – 200 Jahre »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm. Museum Strauhof, Zürich, bis 9.6.2013. Saul Steinberg. The Americans. Ausgestellt werden seine Wandarbeit, die als Collage für die Weltausstellung in Brüssel 1958 entstand, sowie thematisch verwandte Zeichnungen und Illustrationen. Museum Ludwig, Köln, bis 23.6.2013. Paul Cézanne. Die Ausstellung Wolken. Welt des Flüchtigen 62

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widmet sich den ver­schiedenen Darstellungsweisen der Himmels­ gebilde. Unter anderem mit Werken von Paul Cézanne. Leopold Museum, Wien, bis 1.7.2013. Pablo Picasso. Große Retrospektive Die Picassos sind da! mit Werken aus den Beständen des Kunstmuseum Basel, der Fondation Beyeler und Basler Privatsammlungen. Kunstmuseum Basel, bis 21.7.2013. Wilhelm Busch, Loriot, Ronald Searle, Tomi Ungerer und F. K. Waechter. Zum Museums­ jubiläum werden unter dem Titel 75 Jahre Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst 200 Werke aus dem haus­eigenen Bestand in Hannover ausgestellt, bis 29.9.2013. Niklaus Meienberg. Eine Ausstellung anlässlich des 20. Todestages (22.9.2013) Warum Meienberg? Pourquoi Meienberg? im Kulturraum am Klosterplatz, St. Gallen, 16.8. bis 29.9.2013, anschließend in der Zentralund Hochschulbibliothek Luzern, 26.11.2013 bis 15.1.2014.

Schreibtisch-Gewinnspiel aus dem Diogenes Magazin Nr. 11: Den Hauptpreis, Gefährliches Spiel – Commissario Brunetti ermittelt von Ravensburger zusammen mit den 18 Sonderbänden 20 Jahre Commissario Brunetti, hat Michael Graf aus Neubeuern gewonnen. Je 1 x Gefährliches Spiel haben gewonnen: Susanne Wartenberg aus Umkirch, Adamidis Demetrious aus Reutlingen, Erika Lohe aus Zürich, Gottfried Lenk aus Plauen, Karl Sonderegger aus Urdorf, Maika Tarja von Weihe aus Ritterhude und Brigitte Stettler-Tettü aus Bern. Herzlichen Glückwunsch! SuF_Diogenes_56x80,5

21.03.2013

14:31

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SINN UND FORM Herausgegeben von der Akademie der Künste

NIKE WAGNER Wagner feiern? · FRIEDRICH DIECKMANN Wagner und kein Ende · WOLF LEPENIES Peter Wapnewski und das Wissenschaftskolleg I. M. LANGE Mein Freund Walter Benjamin · WOLFGANG GRAF VITZTHUM Stefan George und die Demokratie · MARTIN MOSEBACH Stefan Georges Religion · HEINZ SCHLAFFER Das Panorama der Irrtümer. Flauberts »Versuchung des heiligen Antonius« · JÖRG MAGENAU Gespräch mit PÉTER NÁDAS · KORNELIA KOEPSELL Bei den Schalmeken · W. SOMERSET MAUGHAM Betrachtungen über ein gewisses Buch · KLAUS FERENTSCHIK Miniaturen aus Kalininberg & Königsgrad · ELMAR JANSEN BarlachTheater und Suhrkamp-Kultur · GEORG KLEIN Niedersachse auf Zeit PEDRO KADIVAR Landschaften des Exils

Heft 2/2013 für 9 € · Zwei Probehefte für 10 € bestellung@sinn-und-form.de Tel. 030 / 423 66 06 · Fax 42 85 00 78 www.sinn-und-form.de

Illustration: © Bosc

F. Scott Fitzgerald. Seit dem 16.5.2013 im Kino: 3D-Verfilmung von Der große Gatsby mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan. Regie und Drehbuch: Baz Luhrmann. Françoise Dorner. Sandra Nettelbeck führte Regie und schrieb das Drehbuch bei der deutsch-belgischen Adaption von Die letzte Liebe des Monsieur Armand / Mr. Morgan’s Last Love. Mit Michael Caine, Clémence Poésy, Gillian Anderson. Kinostart: Juli 2013. Die Dreharbeiten zur Verfilmung von Martin Suters Roman Der Koch beginnen Ende August 2013. Regie: Ralf Huettner. Drehbuch: Ruth Toma. Kinostart: 2013 / 2014. Doris Dörrie hat zu ihrem Roman Alles inklusive eine Drehbuchfassung entwickelt und wird diese als Regisseurin im Sommer 2013 selbst verfil-


Schreibtisch

Wer schrieb hier?

Fotos: Diogenes Archiv

M

ein Leben ist in Perioden von fünfzehn Tagen eingeteilt. In jeder Periode wird ein ganzer Roman verfasst.« So hat der gesuchte Autor einmal sein Schreiben, also sein Leben, beschrieben. Rot markierte Tage auf seinem Wandkalender galten dem Schreibprozess, blaue der Überarbeitung. Sämtliche seiner veröffentlichten Bücher aufzulisten würde diese Rubrik sprengen. So sei bloß gesagt, dass er nicht nur immer, sondern auch überall schrieb: auf Reisen, vor allem in Hotelbadezimmern (der stillste Ort überhaupt, wie er sagte), an seinen Wohnorten in Europa und Übersee, aber auch an Bord seines Bootes ›Ginette‹ – dort schrieb er den ersten Roman um seine berühmteste Figur, einen passionierten Pfeifenraucher. Auch unser Autor war Raucher, der seine Rauchebenso wie seine Schreibutensilien pflegte: »Jeden Tag spitzte ich meine 60 Bleistifte … Diese Arbeit machte mir genauso viel Spaß wie das Schreiben.«

Gewinnspiel Schicken Sie die Antwort bis zum 30. September 2013 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag Gewinnspiel ›Wer schrieb hier?‹ Sprecherstr. 8 · 8032 Zürich · Schweiz

Wir verlosen zehn Mal die DVD-Box Donna Leon – Krimi Collection, die 16 Filme enthält. Als Hauptpreis zusammen mit einem 250-EuroDiogenes-Büchergutschein.

Lösung Diogenes Magazin Nr. 11:

Jean-Jacques Sempé Diogenes Magazin

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Mag ich – Mag ich nicht

Laura de Weck Vorschau Das nächste Diogenes Magazin erscheint Ende September 2013. Auf dem Cover: Paulo Coelho, der Literaturstar aus Brasilien – Gastland der Frankfurter Buchmesse 2013. Biographie – ein Spiel? Urs Widmer, Leon de Winter, Erich Hackl und Connie Palmen zeigen ganz unterschiedliche Möglichkeiten, über sich selbst zu schreiben. Außerdem: Donna Leon über die Geheimnisse der venezianischen Gondel, Grandios-Unbekanntes von Loriot, Ian McEwan über den Glauben an die Literatur … und vieles mehr.

Mag ich:

Mag ich nicht:

Spielen. Berauschende Müdigkeit. Menschen. Harmonie ohne Langeweile. Sprache. Sinnstiftendes. Heimat. Geheimnisse. »Gschprützte Wysse«. Drama (im Theater). Langfristiges Denken. Leute, die schnell essen. Lust. Mittendrin sein. Einen Tag für mich haben. Schnee. Ferien machen. Tun. Frische Wäsche. Kunst. Vorfreude. Silvester feiern zu müssen. Adrenalin. Rennen. Sich freuen, weil andere sich freuen, ohne zu wissen, warum.

Verlieren oder gewinnen. Lähmende Müdigkeit. Tiere. Aus Langeweile Streit. Böse Blicke. Heiliges. Tourist sein. Verrat. Kaffee. Drama (im Leben). Kurzsichtiges Handeln. Geizig belegte Sandwiches. Tod. Anfangen und beenden. Einen Abend für mich haben. Kälte. Ferienerzählungen. Erklären, weshalb ich etwas tue. Nichtraucherbars. Kunstkacke. Enttäuschung. Die Schuhe ausziehen zu müssen, wenn man in eine Wohnung reinkommt. Angst. Fliegen. Verärgert sein, weil andere sich über etwas ärgern, und somit über sich selbst verärgert sein, weil man sich ja nun auch ärgert und damit verärgerter ist als alle anderen.

Nr.14

Herbst 2014

Diogenes

Magazin

Paulo Coelho

der Literaturstar aus Brasilien

Biographisches Erzählen Urs Widmer, Leon de Winter, Erich Hackl und Connie Palmen erzählen aus ihrem Leben

Loriot Spätlese. Unbekannte Zeichnungen und Einblicke in sein Gästebuch

Ian McEwan

und sein Glaube an die Literatur

4 Euro / 7 Franken

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783257 850147

Im nächsten Magazin: Leon de Winter 64

Diogenes Magazin

Foto © by Gunter Glücklich – www.guntergluecklich.com

»Lieblingsmenschen ist ein großartiges Stück«, befand Wolfgang Höbel im Spiegel. Nun erscheint das erste Stück vom »Riesentalent« und »Schweizer Versprechen für die Theaterzukunft« (Das Magazin, Zürich) als Diogenes Taschen­ buch. Und Laura de Weck schreibt nicht nur rasante Theaterstücke über Phänomene des Zeitgeists und scheiternde Kommuni­kation, sie ist auch Kolumnistin beim Zürcher Tages-Anzeiger und steht selbst immer wieder als Schauspiele­ rin auf der Bühne.


Man munkelt Als Jugendlicher war Daniel Keel, der 1952 im Alter von nur 23 Jahren den Diogenes Verlag grün­ dete, in seinem Innerschweizer Heimatort Ein­ finder­ siedeln Redakteur der lokalen Pfad­ zeitung Haarus. Die beliebteste Rubrik der Zeitschrift, die der junge Redakteur höchstper­ sönlich schrieb, hieß ›Man munkelt‹. Hier wur­ den Interna aus der Pfadfindergruppe Einsiedeln ausgeplaudert. Diese Tradition führen wir nun im Diogenes Magazin fort, versteckt hinter dem Lese­ zeichen auf der letzten Heftseite. Denn die Indis­ kretionen, die hier ausgeplaudert werden, sollen ja nicht von jedem gelesen werden.

Old School

497 Druckaufträge im Jahr 2012 Die Diogenes Herstellungsabteilung, von Res Schenk geleitet, hat mit tat­ kräftiger Unterstützung von Monika Boss, Peter Frei, Karin Sirera und Vera Züger 2012 ganze Arbeit geleistet: 497 Druckaufträge wurden vergeben, das heißt 497 Mal wurde (vor allem in Deutschland) eine Druckmaschine für Diogenes in Bewegung gesetzt, um Bücher zu produzieren. Wobei die Auflagen bei den fast 500 Titeln unterschiedlich üppig ausfallen: von Kleinstauflagen von 500 Exemplaren im Digitaldruck, um wenig nachge­ fragte Juwelen aus der Backlist liefer­ bar zu halten, bis zu Startauflagen von 200 000 Exemplaren für neue Roma­ ne der Bestsellerautoren Paulo Coel­ ho, Donna Leon oder Martin Suter.

Illustration oben links: © Paul Flora; Illustration links: © Tomi Ungerer; Foto unten Mitte: © Benedict Wells; Illustration unten Mitte: © Chaval; Fotos Mitte oben: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag; Foto rechts: © Martha Schoknecht / Diogenes Verlag

Schullektüre

Tomi Ungerers Kinderbücher sind auch Schullektüre, zum Beispiel die Geschichte von Teddybär Otto, der einen Weltkrieg überlebt. Die herzer­ greifende Parabel über Toleranz und Freundschaft wurde kürzlich in einer französischen Grundschule gelesen. Die Lehrerin bat alle Kinder, dem Au­ tor zu schreiben, was sie daran am meisten beeindruckt hat. Tomi Unge­ rer freute sich besonders über den Brief eines neunjährigen Jungen: »Die nackten Frauen auf den Bildern auf der letzten Seite des Buchs«.

ruch des Papiers. Und ich liebe alte Buchhandlungen. Vielleicht wird das alles irgendwann digitalisiert und ver­ schwunden sein, aber dann will ich mich sehr dagegen gewehrt haben. Der mehrmals gelesene Roman mit Eselsohren, hineingekritzelten Be­ merkungen und dem Kaffeefleck auf der Titelseite erzählt jedenfalls selbst eine Geschichte, er ist wie ein alter Freund. Ein E-Book dagegen bleibt immer nur eine Datei.« Wie lautet noch gleich die be­ rühmte Einleitung der Asterix-Hefte: »Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern be­ setzt … Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.« Um den widerspenstigen jungen Autor zum E-Book zu bekehren, fuh­ ren Mario Schmuki und Daniel Kam­ pa (links) vom Verlag nach Barcelona. Die Verhandlungen, die genau 90 Mi­ nuten dauerten, wurden im Stadion des F. C. Barcelona im Camp Nou geführt – leider ergebnislos.

E-Books Inzwischen gibt es über 260 Diogenes Titel auch als E-Books, und jeden Monat werden es mehr. Doch ausge­ rechnet vom jüngsten Diogenes Au­ tor Benedict Wells (* 1984) gibt es keine E-Bücher, denn er weigert sich, dass seine Romane wie Becks letzter Sommer und zuletzt Fast genial auf dem Bildschirm gelesen werden: »Für mich sind Bücher mehr als nur der Text. Gerade die Diogenes Romane mit ihren weißen Covern und dem wunderbaren Leineneinband vermit­ teln mir ein Gefühl der Vorfreude, das ich als Leser nicht missen will. Ich liebe das gedruckte Buch, das man aufklappen und umblättern kann, das man an den Strand mitnimmt oder nach Jahren auf dem Dachboden wie­ derfindet. Ganz abgesehen vom Ge­

Lückenbüsser

Die Zahl

Personalgespräche

»Immer schon habe ich jene lockeren Dichter bewundert, die mit den Ma­ nuskripten ihrer Meisterwerke, von denen sie keine Kopien besaßen, un­ bekümmert U-Bahn fuhren oder Sauftouren durch Vorstadtkneipen veranstalteten. Natürlich waren die Manuskripte dann weg …«. So be­ ginnt Urs Widmers Erzählung Das Paradies des Vergessens, die er 1990 seinem Verleger Daniel Keel widmete. Ein Manuskript verloren hat Urs Widmer noch nie während seiner schriftstellerischen Laufbahn, die 1968 mit Alois begann. Und das, obwohl er genau wie die Dichter in seiner Er­ zählung ziemlich entspannt mit sei­ nen Manuskripten umgeht: Widmer, der immer noch eine Schreibmaschine benutzt, pflegt die schöne Tradition, dem Verleger höchstpersönlich sein Manuskript zu überreichen, von dem es nie eine Sicherheitskopie gibt. Zum Glück wohnt er nur drei Straßen vom Verlag entfernt. Jahrzehntelang hat Widmer Daniel Keel sein jeweils neu­ es Manuskript gebracht; im März nun überreichte er Philipp Keel seinen au­ tobiographischen Roman Reise an den Rand des Universums, der im Herbst bei Diogenes erscheinen wird. Auf dem Foto wird Urs Widmer übri­ gens von Susanne Dorn, der langjäh­ rigen Assistentin von Daniel Keel, heute Assistentin von Philipp Keel, begrüßt.

Rudolf C. Bettschart (RCB), gemein­ sam mit Philipp Keel Verleger des Diogenes Verlags, im Dialog mit Ruth Wälti (rw), die in diesem Herbst ihren 80. Geburtstag feiert und seit 35 Jah­ ren für Diogenes arbeitet – zunächst im Vertrieb angestellt für die Lager­ buchhaltung, heute für die Postzu­ stellung im Verlagshaus zuständig. Zürich, 1993, rw wird 60. RCB: »Du kannst hier arbeiten, bis du 70 bist.« Zürich, 2003, rw wird 70. RCB: »Dir geht es doch gesund­ heitlich gut, mach einfach weiter, bis du 80 bist.« Zürich, 2013, rw wird 80. rw: »Ich arbeite bis Ende Oktober, dann werde ich 80.« RCB: »Wieso denn? Dann bleibst du jetzt halt, bis du 90 bist. Sind wir uns einig?« Ad infinitum … Herzlichen Glückwunsch, liebe Ruth Wälti, und vielen Dank für alles!


»Diogenes: Immer eine gute Adresse für anspruchsvolle und spannende Unterhaltung.« Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart

Foto Andersch: © Mario Max / Diogenes Verlag; Foto Dürrenmatt: © Jutta Engel / Stadtarchiv Stadt Schweinfurt; Foto Highsmith: © SLA Bern; Foto Roth: © IMAGNO / Gerhard Trumler; Foto Ringelnatz: © Bernd Schlüsselburg, Stadt Cuxhaven; Foto Tucholsky: © privat; Foto Balzac: © Ignatius Wooster / Fotolia.com; Foto Chandler: © Brian Williams

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