Diogenes Magazin Nr. 9

Page 1

Nr. 9

Fr端hling 2012

Diogenes

Magazin

Paulo Coelho Das Leben ist eine Reise

Bibliotherapie Lesen Sie sich gesund

Ein Elefant in Venedig Donna Leon 端ber venezianische Kuriosit辰ten

Fragespiel John Irving antwortet auf Fragen von Nadine Gordimer

Miranda July Das Wunderkind 端berrascht mit ihrem neuen Buch

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

9

783257 850093



Amuse-Bouche

Dashiell Hammett

Liebesbrief eines Werbetexters

Foto Titelseite: © Magali Delporte / eyevine / picturedesk.com / Dukas; Illustration: © Tomi Ungerer

Dashiell Hammett erfand den Archetyp des Detektivs als Einzelgänger und schrieb mit Der Malteser Falke vielleicht den Kriminalroman schlechthin. Bevor er mit seinen Kriminalstories weltberühmt wurde, schrieb er Humoresken für verschiedene Zeitschriften. In diesem Frühwerk aus dem Jahr 1927, das hier zum ersten Mal auf Deutsch erscheint, steckt auch eine gehörige Portion Selbstironie, denn Hammett arbeitete in dieser Zeit selbst als Werbetexter für eine Juwelierkette in San Francisco. Liebe Maggie: Ich liebe Sie! Was ist Liebe? Nach Rossetti ist sie Alles in Allem; nach Sheffield das Salz des Lebens; nach Lucas mehr als Reichtum; nach Jerome wie Masern. Fordern Sie Ihre persönliche Broschüre an, die Ihnen verrät, was diese und andere Berühmtheiten aus allen Zeiten über die Liebe geschrieben haben! Sie ist gratis! Wollen Sie mich heiraten? Wollen Sie die Großmutter meiner Enkel werden? Oder möchten Sie es etwa lieber wie tausende andere auf die lange Bank schieben, bis es zu spät ist – und das Schicksal Sie zu einem Alter in Einsamkeit verdammt? Verlieren Sie keine Zeit! Enkel sind eine nachhaltige Investition in Gemeinsamkeit. Aber nur zu heiraten reicht nicht! Sie sollten sich fragen: Wen? Würden Sie einen Mann nur seiner schönen Augen wegen heiraten, oder weil er gut tanzt? Oder ist Ihnen nur das Beste gut genug? Es entstehen Ihnen keine Mehrkosten! Ein Mann, der gebildet ist, geistreich, witzig, fürsorglich, attraktiv, zärtlich, aufrichtig und großzügig –

ein Mann mit den marktbesten moralischen, intellektuellen und körperlichen Vorzügen – ein Mann, der in jeder Hinsicht würdig ist, nicht nur Großvater Ihrer Enkel zu sein, sondern auch Ururgroßvater Ihrer Ururenkel! All dies kann Ihnen gehören – handeln Sie jetzt! Lesen Sie, was zufriedene Kunden gesagt haben (voller Name und Anschrift auf Anfrage): »Er war so ein feiner Kerl!« – Flora B. »In den vier Jahren unserer gemeinsamen WG-Zeit hat er nicht ein einziges Mal einen Ring in der Badewanne hinterlassen!« – Paula G. »Selten habe ich in meinem Leben so viel gelacht wie in den Monaten unserer Bekanntschaft.« – Fanny S. »Er ist einer von diesen Burschen, die einfach alles wissen.« – Doris L. All dies kann Ihnen gehören! Können Sie verantworten, hier nicht zuzugreifen? Schicken Sie den Coupon noch heute ab! Der Ihre (solange der Vorrat reicht) frank

Diesen Coupon entlang der gestrichelten Linie abreißen, -schneiden oder -beißen.

Frank Whoop, B 132-F 10 3/4h 1243 Bunny Street Senden Sie mir Ihre Gratisbroschüre mit allem, was berühmte Leute je über die Liebe gesagt haben! Ich bin daran interessiert, ewiges Glück ohne zusätzliche Kosten zu erhalten. Sie dürfen mir nähere Einzelheiten telefonisch am ................................................................ in der Zeit von ....... bis ...... erläutern. Selbstverständlich verpflichtet mich ein solches Gespräch zu nichts. Name: ................................................................ Anschrift: ................................................................

Aus dem Amerikanischen von Claus Sprick Diogenes Magazin

1


Ersatz für das leidige

Editorial Der Diogenes Verlag trauert um seinen Verleger Daniel Keel, der am 13. September 2011 im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Aus diesem traurigen Anlass erinnert das Dio­ genes Magazin in einem Sonderteil an den Diogenes Gründer, der 1952 im Alter von 21 Jahren den Diogenes Verlag gründete, als Ein-MannUnternehmer und zur Untermiete bei der Bildhauerin Hildi Hess. Bald darauf stieg sein Schulfreund Rudolf C. Bettschart als Partner in den Verlag ein.

Eine Hommage 2 Diogenes Autoren erinnern sich an ihren Verleger. Mit Faksimiles aus Widmungsexemplaren.

Interne Notiz aus dem Jahr 1986 von Daniel Keel. Antwort auf die Frage der Lektorin Barbara Birrer, welches die Kriterien für ein gutes Buch seien.

»Für Dich schreibe ich weiter« 11 Anlässlich der Gedenkfeier im Zürcher Fraumünster sprachen Urs Widmer, Doris Dörrie und Leon de Winter über Daniel Keel. »Eigentlich wollte ich 16 nie Verleger werden« Ein unveröffentlichtes Gespräch mit Daniel Keel aus dem Jahr 1998

Kommentar von Hildi Hess, aufgeschrieben von Keels Frau Anna. Der Zettel hängt seit Jahrzehnten im Büro des Verlegers.

2

Diogenes Magazin

»Er war Diogenes« Pressestimmen zum Tod von Daniel Keel

24

Mag ich, mag ich nicht Drei persönliche Blätter

25

Paulo Coelho 8 verrät, wie wichtig das Reisen für sein Leben ist – und wie daraus sein neuer Roman Aleph entstand. Wir stellen den Bestsellerautor außerdem in einem Portrait vor und drucken einen Essay, in dem er von seinem Umgang mit Büchern erzählt.

Interviews John Irving

4

Bernhard Schlink

25

Lukas Hartmann

34

Andrea De Carlo

83

Amuse-Bouche Impressum Vorschaufenster

1 84 84

Foto links: © Iren Monti / Diogenes Verlag; Foto rechts: © Emanuele Scorcelletti / gamma / Getty Images

Daniel Keel (1 930 – 2011)


Diogenes Magazin Nr. 9

Inhalt

Illustration oben: © Gustave Doré; Illustration Mitte: © Patric Sandri; Foto links: © Everett Irving; Foto rechts: © Todd Cole

John Irving 4 nimmt kein Blatt vor den Mund in seinen Antworten auf Fragen, die Nadine Gordimer nie gestellt wurden.

Zelda Fitzgerald 26 Für ihren Mann F. Scott war sie die Königin der Schmetterlinge. Pietro Citati gewährt Einblick in das glamouröse, aber auch tragische Leben von Zelda, deren einziger Roman Ein Walzer für mich jetzt auf Deutsch erschienen ist.

Bibliotherapie 41 Ein Interview mit der Bibliotherapeutin Karin Schneuwly, eine literarische Hausapotheke, Auszüge aus Hansjörg Schneiders ergreifendem Nachtbuch für Astrid, Lesetipps, besondere Arztromane und mehr: Lesen Sie sich gesund!

Miranda July 64 Für ihre Fans, aber auch für viele Kritiker, ist sie die »coolste Person auf diesem Planeten«. Jetzt überrascht das Multitalent mit einem ungewöhnlichen Buch, das voyeuristisch ist und doch sehr viel über die Autorin selbst verrät.

Hommagen Donna Leon 20 lässt den Elefanten los. Eine kuriose Begebenheit aus den Stadtannalen von Venedig.

Hape Kerkeling über Loriot

76

Hansjörg Schneider über seine Schreibmaschine

80

In eigener Sache

Rubriken Lesefrüchtchen

19

Wer schreibt hier? Gewinnspiel

85

Denken mit Michel de Montaigne

24

Mag ich – Mag ich nicht Benedict Wells

86

Literarisches Kochen Mit Banana Yoshimoto

38

Die einsame Insel Fabio Volo

87

Wegen des Sonderteils zum Tod von Daniel Keel wurde das angekündigte Film-Special »Wenn Bücher Filmstars werden« in die nächste Ausgabe des Diogenes Magazins verschoben. Wir bitten um Verständnis. Diogenes Magazin

3


Foto: © Frantzesco Kangaris / Eyevine / Dukas

»Das Enfant terrible des hemmungs­ losen Erzählens« (Frankfurter Allgemeine Zeitung), »der größte Entertainer der amerikanischen Literatur« (Brigitte) feiert am 2. März 2012 seinen 70. Geburtstag: John Irving.

4

Diogenes Magazin


Interview

Fragespiel mit John Irving

Illustration: © Edward Gorey

›Während meines langen Schriftstellerlebens habe ich mir immer wieder nebenbei Fragen notiert, die Journalisten nicht stellen‹, schreibt Nadine Gordimer in ihrem Essay Fragen, die Jour­ nalisten nicht stellen. Wir haben sie John Irving gestellt. Er meint: »Die Hälfte der Fragen, von denen Nadine Gordimer behauptet, sie würden nie gestellt, sind mir zwar schon gestellt worden, aber ich beantworte sie trotzdem gern.« Und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Diogenes Magazin: Was fehlt Ihnen in Ihrem Leben am meisten? John Irving: Dass ich keine Tochter habe. Ich habe drei Söhne, die ich sehr liebe, hätte aber gern noch eine Tochter gehabt. Dafür habe ich inzwischen drei Enkeltöchter, die mir große Freude machen. Was war Ihre unverfrorenste Lüge? Darüber habe ich schon öfter gesprochen und auch geschrieben. Jahrelang habe ich behauptet, nicht wissen zu wollen, wer mein leiblicher Vater sei. Man hat mich so lange über ihn im Dunkeln gelassen, dass ich sagte, was Kinder in so einer Situation oft behaupten: Er interessiert mich sowieso nicht. Was natürlich nicht stimmte. Am schlimmsten belügt man immer sich selbst. Als Kind habe ich einfach bestritten, auf meinen leiblichen Vater neugierig zu sein. Aber natürlich hatte der fehlende Vater in Wahrheit einen immensen Einfluss auf mich, er war in meinen Büchern immer ein unerschöpfliches Thema.

Als Schriftsteller haben Sie ja einiges erreicht. Aber wie schneiden Sie als Vater ab? Ich glaube schon, dass ich ein guter Vater bin und dass meine Söhne das auch so sehen. Zwei von ihnen sind inzwischen selbst Väter. Die Probe aufs Exempel wäre vermutlich herauszufinden, ob sie selbst gute Väter sind.

Wer sich keine Sorgen macht, der leidet womöglich unter Phantasiemangel. Im Übrigen würden Ihnen alle meine Kinder sagen, dass ich ein übertrieben fürsorglicher Vater bin und mir zu viele Sorgen mache, aber ich sehe mit einer gewissen Genugtuung, dass meine zwei Söhne sich genauso viele Sorgen machen. Wer sich keine Sorgen macht, der leidet womöglich unter Phantasiemangel.

Was ist das schönste Kompliment, das Ihnen je gemacht wurde? Dass ich ein guter Vater bin natürlich. Was ist die herbste Kritik, die Sie als Schriftsteller einstecken mussten? Als gestandener Autor mehrerer Bücher wird man in der Regel von Leuten herablassend besprochen, die einem schriftstellerisch nicht das Wasser reichen können. Es ist einfach so. Ich habe zwölf Romane geschrieben. Was sollte mir da ein Kritiker beibringen können, der keinen einzigen Roman geschrieben hat? Oder meinetwegen auch ein Kritiker, der selbst mehrere »anspruchsvolle«, pseudoliterarische Bücher geschrieben hat, die keiner liest – wie sollte so jemand mir wertvolle Tipps geben können? Wie auch immer – die herben Kritiken, die ich als Schriftsteller einstecken musste, sind ohnehin irrelevant, weil sie von Nicht-Schriftstellern kamen, die nicht einmal annähernd auf Augenhöhe mit mir sind. Es gibt in diesen Kritiken so etwas wie einen Diogenes Magazin

5


6

Diogenes Magazin

Ihre schöpferische Phantasie aufzupeppen? Ich nehme keine Drogen und habe auch nie welche genommen. Inzwischen ist der einzige Alkohol, den ich trinke, Bier. Und nach einem Bier schreibe ich nicht. Keine Ahnung, was mit »schöpferische Phantasie aufpeppen« gemeint ist, aber meine Phantasie kommt ohne so etwas aus. Muss ein Schriftsteller Ihrer Meinung nach auch kochen können? Nein, ein Schriftsteller muss genauso wenig kochen können, wie ein Koch schreiben können muss.

Bei gewissen Kritikern stelle ich mir einfach vor, ich könnte sie mit einem besonders schmerzhaften Ringergriff auf die Matte zwingen und sie quälen. Sie sind 69. Wann können wir mit Ihren Memoiren rechnen? Meine Memoiren zu schreiben reizt mich nicht. Wann immer ich etwas Interessantes erlebe, lasse ich es in der Regel erstmal ein paar Jahre sacken und erfinde es dann neu, in einem Roman. Meine wenigen und immer kurzen autobiographischen Texte drehen sich um klar begrenzte Themen. So zum Beispiel der Essay über meine Großmutter, Rettungsversuch für Pig­ gy Sneed oder das Büchlein Die ima­ ginäre Freundin, das vom Ringen und Schreiben handelt. Sie sind ganz kurz, das Gegenteil von ausufernd. In diesem Stil könnte ich mir auch einen Essay oder ein Büchlein über das Lesen vorstellen, über die Bücher, die buchstäblich mein Leben verändert haben, und darüber, wie alt ich war, als ich sie las.

Aber Memoiren, eine richtige Autobiographie? Nie im Leben! Dafür ist die Realität viel zu chaotisch. Es gibt eine Stelle in David Copperfield von Charles Dickens, wo der Held merkt, dass das sogenannte wirkliche Leben viel unordentlicher ist, als er es sich vorgestellt hat. Als Jugendlicher malt er sich aus, dass es darin noch geordneter zugehen würde, als er es aus den genau komponierten Kinder- und Jugendbüchern kennt. Literatur ist für mich interessanter als die Wirklichkeit, sie war es immer und wird es immer bleiben. Glauben Sie, dass die Menschen auch weiterhin Bücher – gedruckte, gebundene Bücher – lesen werden? Die meisten E-Mails sind heute schlechter geschrieben als die Briefe, die man sich früher geschrieben hat. Der Cyberspace ist voller Müll. Aber Bücher, wie wir sie bis jetzt kennen, schön gebundene Bücher, die man anfassen kann und die auf Papier gedruckt sind, wo man Sätze unterstreichen oder seine Gedanken an den Rand schreiben kann, also diese altmodischen Bücher wird es möglicherweise bald nicht mehr geben oder nur noch in kleinen Auflagen für ein paar schrullige Sammlertypen. Was bleibt, ist sicher billiger, und zwar in jeder Beziehung billiger. Die Leute werden einzelne Kapitel oder auch nur ein paar Seiten eines Romans downloaden und danach entscheiden können, ob sie Lust oder die Kondition haben, sich das ganze Buch anzutun. Deprimierend ist das! Wäre ich heute 18 (und nicht 69), würde ich kein Romanschriftsteller werden wollen. Ich würde mich meiner ersten Liebe, dem Theater, zuwenden. Ich würde Schauspieler werden, aber auch alles lernen wollen, was hinter den Kulissen passiert. Ich würde Dramatiker werden und Regisseur – nicht Filmregisseur, sondern Theaterregisseur. Ich habe ja einige Drehbücher verfasst; wie Romanschreiben ist auch das Drehbuchschreiben eine sehr visuelle Angelegenheit, man muss sich eine Geschichte als Abfolge von Bil-

Illustration: © Edward Gorey

Grundtenor. Meine Romane sind generell lang. Was aber noch lange nicht heißt, dass sie automatisch »ausufernd« oder »breitgewalzt« sind, wie gewisse Kritiker mir vorwerfen, denn meine Romane sind genau komponiert; sie sind so lang, wie sie sein müssen. Dass die Zeit vergeht, ist in meinen Romanen ebenso wichtig wie jede Figur, die darin vorkommt. Wie wollen Sie denn einen kurzen Roman über fünfzig Jahre in einer mehrere Generationen umfassenden Familie schreiben? Meine literarischen Vorbilder sind die Romanschriftsteller des 19. Jahrhunderts, deren Romane alle lang und in der Regel sehr bildhaft sind. Details, Beschreibungen – das ist auch für mich von zentraler Bedeutung. Meine Romane sind nichts für faule Leser, für die weniger immer mehr ist. Aber wenn solche ungeduldigen, oberflächlichen Minimalisten sich dann nicht entblöden zu fordern, meine Romane müssten drastisch gekürzt und strenger lektoriert werden, entlarven sie nur ihre eigenen Vorurteile. Meine Romane sind sorgfältig komponiert und streng lektoriert. Kurzum, die schlimmste Kritik stammt von arroganten Schnöseln, die nicht auf Augenhöhe argumentieren können. Meine Bücher werden sie nicht nur überdauern, sie werden ihnen aufs Grab pissen. Wie gehen Sie mit schlechten Kritiken um? Ich war 20 Jahre lang Ringer, 24 Jahre lang offizieller Kampfrichter und, bis ich 47 wurde, auch Trainer. Bei gewissen Kritikern stelle ich mir einfach vor, ich könnte sie mit einem besonders schmerzhaften Ringergriff auf die Matte zwingen und sie quälen. Und wie ist es mit guten Kritiken, freuen Sie sich darüber? Lob tut gut, unbestritten. Aber es ist auch schnell verpufft – in der Regel brauche ich vier oder fünf Jahre für einen neuen Roman. Für mich ist das Schreiben selbst die größte Befriedigung, und diese Befriedigung hält länger vor als jedes Kritikerlob. Brauchen Sie zum Schreiben irgendwelche Drogen oder Alkohol, um


dern vorstellen. Aber eigentlich mag ich keine Filme, schon als Kind war mir das Theater lieber. Es gibt immer wieder phantastische Shakespeare- oder SophoklesInszenierungen auf der Bühne zu sehen. Wenn ich heute 18 wäre – ich würde lernen wollen, wie man Theaterstücke schreibt. Ich würde alles übers Theater wissen wollen und, wer weiß, eines Tages auch eine eigene Theatertruppe gründen, nur eine kleine – ein kleines Ensemble von Schauspielern und dazu ein eingespieltes Team von Inspizienten, Kostümbildnern, Make-up-Genies, pfiffigen Beleuchtern, Bühnenbildnern – und auf Tournee gehen. Gastspieltheater, kleines Publikum. Mit den richtigen Leuten kann man lebendiges, intensives Theater auf die Bühne bringen. Das

würde ich als junger Mensch heute machen. Nur ja nichts mit Fernsehen oder Film oder Buchhandel und Verlagswesen. Im Verlagswesen geschieht heute so viel Unerfreuliches. Die meisten Zeitschriften waren ja schon immer Mist, aber heutzutage sind es auch immer mehr Bücher. Der ganze Müll, der heutzutage veröffentlicht wird, diese Nicht-Bücher von Nicht-Schriftstellern. Ich würde Theater machen – Stücke gibt es ohnehin schon viel länger, als es Romane gibt. Und ich würde mich auf einfache Geschichten besinnen, ein paar Schauspieler zusammentrommeln und die Geschichten aufführen.

Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog

Buchtipps

John Irving Garp und wie er die Welt sah Roman · Diogenes

ca. 880 Seiten, Leinen ISBN 978-3-258-06815-3 MÄRZ 2012

Der Roman, mit dem John Irving Weltruhm erlangte, jetzt in revidierter Übersetzung und schöner Leinenausstattung. Die Geschichte von T. S. Garp, dem unehelich geborenen Sohn von Jenny Fields. Transsexuelle Footballspieler, Bären auf Einrädern, Ringer, Schriftsteller, Spießer und Randexistenzen, Männer, Frauen, Kinder und ein sehr großer Hund – sie alle werden in Irvings aberwitzig buntem Kaleidoskop zu Menschen, die den Leser nicht mehr loslassen.

John Irving Letzte Nacht in Twisted River Roman · Diogenes

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Diogenes Taschenbuch detebe 24099, 736 Seiten FEBRUAR 2012

Sie haben über ein Dutzend Romane geschrieben, die Hunderttausende gelesen haben. Millionen von Zuschauern haben die Filme gesehen, die nach Ihren Romanen gedreht wurden. Sie haben etliche Villen in den verschiedensten Ländern, etliche Yachten und natürlich etliche Autos. Nun würde ich gerne noch eine Frage stellen: Warum haben Sie nur ein einziges Mal geheiratet?

1954, ein Flößer- und Holzfällercamp in den Wäldern von New Hampshire: Der 12-jährige Danny verwechselt im Dunkeln die Geliebte des Dorfpolizisten mit einem Bären, mit tödlichen Folgen. Es folgt die abenteuerliche Odyssee eines Kochs und seines Sohnes durch halb Amerika. Ein Leben als Achterbahnfahrt – und eine furiose Saga von Verlust und Versagen, Liebe, Sehnsucht und der Flüchtigkeit des Glücks.

Diogenes Magazin

7


Innehalten. Nachdenken. Träumen. Sich ausprobieren. Sich neu entdecken. Wagen. Handeln. Gewinnen. Paulo Coelho Aleph

Wach werden.

Roman · Diogenes

Der neue Nr. 1-Weltbestseller von Paulo Coelho

Foto: © STONEIMAGES / look-foto

Mit Aleph beginnt ein neues Kapitel in Ihrem Leben!

8

Diogenes Magazin


Vorabdruck

Paulo Coelho

Eine Reise zu mir selbst Paulo Coelhos neuer Roman Aleph ist, so der Autor, »zu hundert Prozent autobiographisch. All dies sind meine eigenen Erfahrungen. Ich betrachte diesen Roman als eine Reise, eine Reise zu mir selbst.« Als Paulo Coelho in einer Lebenskrise steckte, fuhr er mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok – ein Erlebnis, das sein Leben veränderte. Aus dem Roman drucken wir einen Ausschnitt mit Gedanken über das Reisen ab.

Foto: © Dmytro Sanin

D

ie wichtigsten Lektionen im Leben haben mich die Reisen gelehrt. Im Grunde genommen bin ich schon immer wie ein Wahnsinniger gereist, seit meiner Jugend. Aber in letzter Zeit scheine ich nur noch auf Flughäfen und in Hotels zu leben – und das Gefühl von Abenteuer weicht allmählich einem tiefen Überdruss. Wenn ich mich darüber beschwere, dass ich nie länger an einem Ort bleiben kann, wundern sich die Leute: »Aber reisen ist doch so schön! Schade, dass ich nicht das Geld dafür habe!« Doch Reisen ist niemals eine Frage des Geldes, sondern des Mutes. Ich habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht, wie ein Hippie durch die Welt zu reisen: Hatte ich damals Geld? Nein. Es reichte gerade, um das Ticket zu bezahlen, dennoch waren es die besten Jahre meiner Jugend – ich aß schlecht, übernachtete auf Bahnhöfen, konnte mich wegen der Sprache nicht verständigen, war schon von

anderen abhängig, nur um eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Wenn man lange unterwegs ist, eine Sprache hört, die man nicht versteht, Geld benutzt, dessen Wert man nicht kennt, durch Straßen geht, durch die man noch nie gekommen ist, dann entdeckt man, dass das alte Ich mit allem, was es gelernt hat, angesichts all dieser neuen Herausforderungen vollkommen nutzlos ist – und man beginnt zu begreifen, dass es tief in uns selber jemand sehr viel Interessanteren, Abenteuerlustigeren gibt, der offen für die Welt und neue Erfahrungen ist. Aber dann kommt der Tag, an dem man sagt: »Jetzt reicht’s! Reisen ist nur noch Routine.« »Nein, es reicht nicht. Es wird niemals reichen«, lässt J. nicht locker. »Unser Leben ist eine unaufhörliche Reise, von der Geburt bis zum Tod. Die Landschaft verändert sich, die Menschen verändern sich, die Bedürfnisse wandeln sich, aber der Zug fährt

immer weiter. Das Leben ist dieser Zug, nicht der Bahnhof. Und was du bislang getan hast, war nicht reisen, sondern von einer Landschaft in die nächste überwechseln, was etwas vollkommen anderes ist.« Als J. zu mir sagte: »Gib die Bequemlichkeit auf und geh auf die Suche nach deinem Reich«, fühlte ich mich verraten, verwirrt und verlassen. Ich erwartete eine Lösung oder eine Antwort auf meine Zweifel, etwas, das mich tröstete und mir den Seelenfrieden wiedergab. Alle, die sich auf die Suche nach ihrem Reich machen, wissen, dass sie nichts dergleichen finden werden – nur Herausforderungen, lange Wartezeiten, unerwartete Veränderungen oder, noch schlimmer: womöglich überhaupt nichts. Ich übertreibe. Wenn wir etwas suchen, dann sucht das, was wir suchen, auch uns. Dennoch muss man auf alles gefasst sein. In diesem Augenblick beDiogenes Magazin

9


schließe ich: Wenn ich auf dieser Zugreise nichts finde, dann werde ich weiterreisen – denn ich habe begriffen, dass meine Wurzeln bereit waren, aber meine Seele ganz allmählich wegen etwas starb, das sehr schwer zu entdecken und noch viel schwieriger zu heilen ist: Routine. Routine hat nichts mit Wiederholung zu tun. Um es bei was auch immer im Leben auf irgendeinem Gebiet zu einer gewissen Meisterschaft zu bringen, muss man wiederholen und üben. Wiederholen und üben, die Technik so lange lernen, bis sie zur Intuition wird. Diese Lektion habe ich bereits als Kind gelernt, in einem kleinen Ort im Hinterland Brasiliens, wo meine Familie immer die Sommerferien verbrachte. Fasziniert sah ich dem Dorfschmied bei der Arbeit zu, wie sein Hammer auf das heiße Eisen niederging und ringsum Funken sprühten wie bei einem Feuerwerk. Einmal fragte er mich: »Findest du, dass ich immer das Gleiche mache?« Ich bejahte. »Du irrst dich. Jeder meiner Ham-

Buchtipp

merschläge ist anders, mal härter, mal sanfter. Aber das habe ich erst nach jahrelangem Üben herausgefunden, als ich an dem Punkt angelangt war, als ich nicht mehr nachdachte, sondern einfach meiner Hand die Arbeit überließ.« Diesen Satz habe ich nie vergessen. Aus dem Brasilianischen von

Maralde Meyer­Minnemann

Lebenskrisen – w

ir alle sind irgendw ann einmal betroff en. Ich war bereits ei n erfolgreicher A utor, doch glückl ich nicht. Es gab ich war da dieses große Fr agezeichen: Hatte Verbindung zu m ich die ir selbst verloren, zu meinem innere meiner Spiritualitä n Königreich, t? Ich beschloss, eine Reise zu machen. Diese Reise führte Moskau und von mich nach da aus weiter mit de r Transsibirischen nach Wladiwosto Eisenbahn k.

Roman · Diogenes

ca. 228 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06810-8 Auch als Diogenes Hörbuch JANUAR 2012

Bleiben wir unseren Träumen treu? Tun wir, was wir wirklich wollen? Der neue Nr. 1-Weltbestseller von Paulo Coelho, der in 33 Sprachen erscheint, jetzt auf Deutsch.

10

Diogenes Magazin

Vielleicht wirft di eses Buch dieselbe n Fragen auf, die Leser stellen: Was sich auch meine tue ich hier? Was ist der Sinn des Le bens? Hin und wieder m üssen wir einen Sc hritt zurücktreten unsere Vergangenh und über eit nachdenken, da rüber, wie wir un genheit nutzen kö se re Vergannnen, um unsere Gegenwart zu be reichern. Aleph steht für ei ne Wende in meine m Leben, es ist ei besonderes Buch n ganz für mich.

Fotos: © Dmytro Sanin

Paulo Coelho Aleph

Aleph beschreibt meine Erlebnisse auf dieser Reise : Ic junges Mädchen, h traf ein das mir dabei half, wieder in Verbindu selbst zu treten. ng mit mir


Jetzt neu am Kiosk! Oder bestellen Sie Ihr Probeheft einfach unter www.hoheluft-magazin.de

„Die Lüge gilt als niederträchtig und verwerflich, Wahrhaftigkeit als Tugend oder gar als Pflicht. Doch wahr ist auch: Wir lügen alle.“ Diogenes Magazin

11


Paulo Coelho ist »einer der Stars der postmodernen Weltkultur. Ein Mann mit einer magischen Wirkung auf seine Leser« (Brigitte). Der Autor hat Fans auf der ganzen Welt und nutzt virtuos die modernen Medien wie Facebook und Twitter, um mit ihnen zu kommunizieren. »Paulo Coelho ist längst kein durchschnittlicher Bestsellerautor mehr. Er ist eher so etwas wie ein globales Phänomen, dessen Wirkung mit den Mitteln der Logik nicht ausreichend erklärt werden kann. Bei Paulo Coelho verschwimmt die Grenze zwischen Magischem und Wirklichem: ein Kennzeichen seines Schreibens, mit dem er sich in bester südamerikanischer Literaturtradition befindet.« (Profil)

Paulo Coelho ist ein Phänomen. Er zählt zu den drei erfolgreichsten Autoren der Welt. Alle seine Bücher sind Bestseller – und das weltweit. Über 135 Millionen Mal wurden seine Bücher bereits gekauft, von Literaturbegeisterten, von Menschen, die sonst nie Bücher kaufen, von Menschen, die eigentlich keine Zeit haben, Bücher zu lesen, wie Politiker, Sportler, Wirtschaftsbosse oder Hollywoodstars. Julia Roberts etwa bekannte sich als Leserin und meinte: »Paulo Coelhos Art zu schreiben ist wie Musik.« 12

Diogenes Magazin

»Für mich gibt es keine Hoch- und Niedrigkultur. Kritiker kritisieren, Leser lesen. So einfach ist das.«

Foto: © Alexander Tuma / Keystone / CTK Starpix / Str

Paulo Coelho im Portrait


Der Bestsellerautor Der Alchimist, 1996 bei Diogenes auf Deutsch erschienen, war Paulo Coelhos Durchbruch als Schriftsteller und der Anfang seiner unglaublichen Karriere als Bestsellerautor. Mittlerweile hat Paulo Coelho über 115 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft, und sein Werk ist in 73 Sprachen und Dialekte übersetzt worden. Wie erklärt er sich den Erfolg? »Das ist schwer zu erklären. Für einen Misserfolg findet man 10 000 Gründe, aber keine einzige gute Erklärung für einen großen Erfolg.« Paulo Coelhos Werk wurde mit unzähligen Preisen ausgezeichnet, der Starautor ist Mitglied der Academia Brasileira de Letras, wurde 2000 in Frankreich zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und ist UN-Friedensbotschafter.

»Ich habe Angst vor Erdbeben, Flugzeugabstürzen, davor, eine Rede zu halten. Aber nicht davor, dass ich kein Buch mehr schreiben kann.«

Foto oben: © Paulo Fridmann / Corbis / Specter; Foto Mitte: © Sant Jordi Asociados; Foto unten: © IPC – Instituto Paulo Coelho

Auf dem Jakobsweg und auf Reisen Paulo Coelho Auf dem Jakobsweg Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23115, 272 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Paulo Coelho auf einer Ägyptenreise vor der Sphinx von Gizeh, 1986

1986 ist Paulo Coelho auf dem uralten Weg der katholischen Pilger nach Santiago de Compostela gewandert – ein Ereignis, das sein ganzes Leben verändern sollte. In Auf dem Jakobsweg berichtet er von den Erfahrungen dieser Reise und setzte endlich seinen Kindheitstraum in die Tat um: Schriftsteller zu werden. Sein Erstlingswerk wurde 1987 in Brasilien veröffentlich. Der große Erfolg des Buches hat zu einem Anstieg der Pilger auf dem Jakobsweg von 400 im Jahr auf 400 pro Tag geführt. Und als Anerkennung dafür hat die Regierung von Galizien eine der Hauptstraßen von Santiago de Compostela in »Rua Paulo Coelho« umbenannt. Doch nicht nur der Jakobsweg, sondern Reisen allgemein ist zentral in Paulo Coelhos Leben: »Die wichtigsten Dinge im Leben habe ich auf meinen Reisen gelernt.« Mit 23 trampte er durch Südamerika, Nordafrika und Europa. Auch heute noch ist der Autor ständig unterwegs: »Wirklich lebendig zu sein, Menschen zu treffen, auf Reisen zu gehen, das ist es, was mich glücklich macht. Nur wenn ich intensiv lebe, kann ich all die Erfahrungen und Gefühle sammeln, die mich antreiben, wenn ich einen Roman schreibe.« Diogenes Magazin

13


Der Internet-Junkie

»In Brasilien ist die reale Welt nicht von der magischen getrennt, und das hat mich seit meiner Kindheit beeinflusst.«

Paulo Coelho an seinem Schreibtisch in Rio de Janeiro. Hier entstehen seine Romane.

Brasilien Seine Bücher spielen in den Wüsten Afrikas oder der USA, in Irland, in Genf, auf dem Jakobsweg oder in der Transsibirischen Eisenbahn – und doch ist Paulo Coelho stark geprägt durch seine Heimat Brasilien. »Brasilien ist meine Art, die Welt zu sehen«, sagt der 1947 in Rio de Janeiro geborene Schriftsteller. Und auch wenn er ständig auf Reisen ist und vor allem in Europa wohnt, regelmäßig zieht es ihn zurück in seine Wohnung über dem Strand von Copacabana, von wo aus er das Meer sehen kann und die Spaziergänger, Strandverkäufer und Badenden beobachtet. 14

Diogenes Magazin

Coelho engagiert sich für sein Heimatland: Zusammen mit seiner Frau Christina Oiticica hat der Brasilianer die Stiftung ›Instituto Paulo Coelho‹ gegründet, ein Hilfswerk, das Kinder und alte Menschen unterstützt. Der Fußball-Fan hat auch maßgeblich daran Anteil, dass 2014 die Fußball-WM in Brasilien stattfinden wird. Als Barack Obama im März 2011 Brasilien einen Staatsbesuch abstattet, zitierte der US-Präsident aus Paulo Coelhos letztem Roman Schutzengel.

Foto oben: © Sant Jordi Asociados, Barcelona; Foto unten: © Guggenheim / SMCCS / © 2002 Diogenes Verlag

Paulo Coelho online auch in den Pyrenäen

Paulo Coelho nennt sich selbst einen Internet-Junkie: Kein anderer Autor nutzt die neuen Medien so intensiv wie er. Der Schriftsteller hat mehr Facebook-Freunde als Madonna (nämlich 6,6 Millionen) und wurde 2010 von Forbes zum zweitwichtigsten Prominenten auf Twitter hinter Justin Bieber gewählt. »Ich twittere morgens und abends. Wenn ich zwölf Stunden am Tag an einem Roman schreibe, bin ich manchmal sehr erschöpft. Beim Twittern kann ich mich entspannen«, erklärt Paulo Coelho, für den das Internet auch das Selbstverständnis des modernen Schriftstellers grundlegend verändert hat: »Früher hatte man folgendes Bild von Schriftstellern: Sie waren weise Menschen, die in einem Elfenbeinturm voller Wissen saßen, Unberührbare. Dieser Elfenbeinturm existiert nicht mehr. Wenn deine Leser nicht mögen, was du schreibst, dann sagen sie es dir auch. Der Schriftsteller oder die Schriftstellerin ist heute nicht mehr der Welt entrückt. Ich bin froh, dass ich im Internet mit meinen Lesern kommunizieren kann.«


Bogenschießen »Bogenschießen. Das ist die einzige Disziplin, die ich wirklich beherrsche«, behauptet Paulo Coelho. An einem improvisierten Stand im Garten, im Wald hinter seinem Haus in den französischen Pyrenäen, aber auch im Flur seiner Wohnungen in Paris oder Genf praktiziert der Autor mehrmals in der Woche Kyudo, die japanische Kampfkunst des Bogenschießens, die körperliche Kraft im Verein mit geistiger Disziplin erfordert. Deshalb ist es für Coelho weniger eine Sportart als eine Konzentrationsübung. Und vielleicht auch eine Lebensphilosophie: »Der Bogen ist das Leben: Aus ihm heraus kommt alle Energie. Der Pfeil wird eines Tages davonfliegen.«

»Man muss aufwachen, um seinem Traum zu folgen.«

Paulo Coelho in der Wüste bei Dubai

Foto oben: © Antonio Ribeiro / Veja; Foto unten: © Sant Jordi Asociados

Folge deinem Traum Schon mit dreizehn Jahren hatte Paulo Coelho einen Traum, der ihn nicht mehr loslassen sollte: Er wollte unbedingt Schriftsteller werden. Natürlich wollten seine Eltern davon nichts hören, wie könne man denn als Schriftsteller finanziell über die Runden kommen, besonders in Brasilien, wo nur eine kleine Minderheit Bücher kaufte? Wie sein Vater sollte Paulo Ingenieur werden, studierte jedoch Rechtswissenschaften, brach das Studium ab und reiste als Hippie um die Welt. Er verdiente sein Geld mit dem Schreiben von Songtexten, als leitender Angestellter bei Plattenfirmen, als Redakteur eines Musikmagazins und einer eigenen Untergrundzeitschrift, immer auf der Flucht vor seinem Traum, den er erst mit über vierzig Jahren verwirklichte. Und seitdem sind Lebensträume das Hauptthema seiner Romane: »Wir dürfen nie aufhören, zu träumen, egal wie schwierig das ist.« Denn: »Es ist wichtig, für seine Träume ein paar Kämpfe durchzustehen – nicht als Opfer, sondern als Abenteurer.« Und: »Der gute Kampf ist derjenige, den wir ausfechten, weil wir unserem Herzen folgen.« Das ist vielleicht auch der Hauptgrund für den Erfolg seiner Bücher: Paulo Coelho schreibt in einzigartiger Weise über das, was wirklich wichtig ist im Leben.

Buchtipp

Fernando Morais Der Magier Die Biographie des Paulo Coelho

128 Seiten, Pappband Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06757-6

Diogenes

720 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06752-1 JANUAR 2012

Die erste große Biographie eines der bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Menschen unserer Zeit: Paulo Coelho, jetzt als einmalige Sonderausgabe. »Ein beeindruckend umfangreiches und inhaltlich fesselndes Buch. Ein Muss für Literaturfreunde.« Bücher, Berlin »Das faszinierende Portrait eines Unangepassten.« Nürnberger Nachrichten

Diogenes Magazin

15


16

Diogenes Magazin

Foto: Eva Korinkova / Keystone / APA / CTK


Essay

Paulo Coelho

Von Büchern Auch Bücher sollten auf Reisen gehen und nicht in den eigenen Regalen verstauben, findet Paulo Coelho. Wie viele Bücher wollen wir also wirklich besitzen und behalten? Und vor allem: aus welchem Grund? Der Autor von in den meisten Regalen der Welt vorhandenen Büchern wie Der Alchimist schreibt hier über seine Idee von Besitz und Freiheit und vor allem seine Liebe zu Büchern. Eine Hommage.

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

T

atsächlich besitze ich gar nicht so viele Bücher: Vor ein paar Jahren habe ich, weil ich versuchen wollte, ein Maximum an Qualität mit einem Minimum an Dingen im Leben zu vereinbaren, einige Entscheidungen getroffen. Das soll nicht etwa heißen, dass ich mich für ein klösterliches Leben entschieden habe; ganz im Gegenteil. Aber der Verzicht auf viele Gegenstände gibt uns große Freiheit. Einige meiner Freunde (und Freundinnen) beklagen sich darüber, dass sie, weil sie zu viele Kleidungsstücke haben, Stunden mit der Auswahl ihrer Garderobe verbringen. Da ich meine auf Schwarz als Grundfarbe beschränkt habe, muss ich mich mit diesem Problem nicht herumschlagen. Aber ich will nicht über Mode sprechen, sondern über Bücher. Um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, beschloss ich, in meiner Bibliothek nur vierhundert Bücher zu behalten – einige aus sentimentalen Gründen, andere, weil ich sie immer wieder lese. Diese Entscheidung habe ich aus ver-

schiedenen Gründen getroffen, und einer davon ist, dass es mich immer traurig stimmt, wie Bibliotheken, die sorgfältig ein ganzes Leben lang aufgebaut wurden, am Ende respektlos nach Gewicht verkauft werden. Außerdem: Warum soll ich all diese Bände im Haus verwahren? Um meinen Freunden zu zeigen, dass ich gebildet bin? Als Wandschmuck? Die Bücher, die ich gekauft habe, sind in einer öffentlichen Bibliothek unendlich viel nützlicher als bei mir zu Hause. Früher konnte ich sagen, ich brauche sie, weil ich darin etwas nachschlagen möchte. Aber heute brauche ich, wenn ich eine Information benötige, nur den Computer anzuschalten, ein Passwort einzugeben, und vor mir erscheint alles, was ich brauche. Im Internet, der größten Bibliothek der Welt. Selbstverständlich kaufe ich immer noch Bücher – es gibt kein elektronisches Medium, das sie ersetzen könnte. Aber sobald ich das Buch ausgelesen habe, lasse ich es reisen, verschenke

es oder gebe es einer öffentlichen Bibliothek. Nicht, weil ich Wälder retten oder großzügig sein will: Ich glaube nur, dass ein Buch einen eigenen Weg hat und nicht dazu verdammt sein sollte, reglos in einem Regal zu stehen. Als Schriftsteller, der von Autorenrechten lebt, könnte dies ein Argument gegen mich selber sein – denn je mehr meiner Bücher gekauft werden, desto mehr Geld verdiene ich. Allerdings wäre das dem Leser gegenüber ungerecht, vor allem in Ländern, in denen die Regierungsprogramme zur Förderung des Buchverkaufs zumeist nicht den zwei wichtigsten Auswahlkriterien folgen: der Freude am Lesen und der Qualität des Textes. Lassen wir also unsere Bücher reisen, von anderen Händen berührt und anderen Augen genossen werden. Jetzt erinnere ich mich vage an ein Gedicht von Jorge Luis Borges, das von Büchern spricht, die nie wieder aufgeschlagen werden. Wo ich jetzt bin? In einer kleinen Stadt in den französischen Pyrenäen. Diogenes Magazin

17


Ich sitze in einem Café, genieße die Aircondition, denn die Hitze draußen ist unerträglich. Die Gesamtausgabe der Werke von Borges steht bei mir zu Hause, ein paar Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ich jetzt schreibe. Borges ist ein Autor, den ich immer wieder lese. Aber warum nicht den Test machen?! Ich gehe über die Straße und fünf Minuten bis zu einem anderen Café, in dem Computer stehen und das den sympathischen und widersprüchlichen Namen Cyber-Café trägt. Ich begrüße den Besitzer, bitte um ein eiskaltes Mineralwasser, öffne die Seite einer Suchmaschine, gebe ein paar

Wörter des einzigen Verses ein, an den ich mich erinnere, füge den Namen des Autors hinzu. In weniger als einer Minute erscheint vor mir das ganze Gedicht, das ich so, wie es dasteht, wiedergebe: Es gibt eine Zeile von Verlaine, an die ich mich nicht erinnern werde. Es gibt einen Spiegel, der mich zum letzten Mal gesehen hat. Es gibt eine bis ans Ende der Zeit geschlossene Tür. Unter den Büchern meiner Biblio­ thek Gibt es eines, das ich nie wieder aufschlagen werde.

Ich glaube wirklich, dass ich viele der Bücher, die ich verschenkt habe, nie wieder aufschlagen würde, weil ständig etwas Neues, Interessantes publiziert wird und ich wahnsinnig gern lese. Ich finde es großartig, dass Leute Bibliotheken haben, denn Kinder finden aus Neugier zu den Büchern. Aber ich finde es auch großartig, wenn ich bei Signierstunden Lesern mit zerlesenen Exemplaren begegne, die zigmal verliehen wurden: Das bedeutet, dass dieses Buch ebenso auf Reisen ist wie der Geist seines Autors, als dieser es schrieb. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer­Minnemann

ZU OSTERN 24. März – 1. April 2012 Glanzvoller kann das Festspieljahr kaum beginnen: in strahlendem C-Dur, mit Mozarts «Linzer» und Schumanns Zweiter Sinfonie – und mit Claudio Abbado, der «sein» wunderbares Orchestra Mozart erstmals in Luzern präsentiert. Mozart steht auch sonst im Mittelpunkt: Das britische King’s Consort widmet sich dem Requiem, Maria João Pires interpretiert beim grossen Finale das tiefgründige d-Moll-Konzert. Doch zuvor gibt es noch viel zu entdecken: Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus Wien setzen ihre beglückenden HändelAufführungen fort, András Schiff dirigiert Bachs h-Moll-Messe, und die Klangkörper des Bayerischen Rundfunks musizieren unter der Leitung von Mariss Jansons und Bernard Haitink Sinfonien von Beethoven, Brahms und Bruckner sowie Janácˇeks «Glagolitische Messe».

www.lucernefestival.ch 18

Diogenes Magazin


Serie

Lesefrüchtchen »… und dann spielten wir das Bücherspiel: Jeder las dem andern abwechselnd einen Satz aus seinem Buch vor, und die Sätze fügten sich gar schön ineinander.« Kurt Tucholsky, ›Schloß Gripsholm‹ »Als Konrad Lang zurückkam, stand alles in Flammen, außer dem Holz im Kamin.« Martin Suter, ›Small World‹ (detebe 23088). Eingeschickt von Peter Röttscher, Zürich »Eine Welt, in der eine kleine, aber mächtige Gruppe von Leuten über Leben und Tod eines Menschen entscheiden kann, ist wie ein von einem unheilbaren Krebs befallener Organismus.« Liaty Pisani, ›Der Spion und der Schauspieler‹ (detebe 23313). Eingeschickt von Hilde Barg, Mühlheim an der Ruhr

Illustration: © Edward Gorey

»Wie kann der Mensch seine angeborene Bosheit, durch Dummheit gefüttert, überwinden?« Tomi Ungerer, ›Die Gedanken sind frei‹ (detebe 23106). Eingeschickt von Christian Wolf, Oldenburg »Irgendwo am Ende der Stadt gibt es Gelächter und etwas, das Freundlichkeit und Liebe ähnelt. Dort amüsieren sich die Menschen, die nicht auf die Uhr schauen, die nicht schlafen wollen. Nur Schlaf fühlt sich gut an. Schlafen ist wie ein kleiner Tod.« Joey Goebel, ›Vincent‹ (detebe 23647). Eingeschickt von Janette Helm, Stuttgart

»Sie sind begnadet worden«, bemerkte der alte Herr noch, »der Grund dieser Gnade kann zweierlei sein, und es hängt von Ihnen ab, was er sei: die Liebe, wenn Sie an die Liebe glauben. Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden ist. Die Gerechtigkeit verdammt das Böse, die Hoffnung will bessern, und die Liebe übersieht. Nur sie ist imstande, die Gnade anzunehmen, wie sie ist. Es gibt nichts Schwereres, ich weiß es. Die Welt ist schrecklich und sinnlos. Die Hoffnung, ein Sinn sei hinter all dem Unsinn, hinter all diesem Schrecken, vermögen nur jene zu bewahren, die dennoch lieben.« Friedrich Dürrenmatt, ›Grieche sucht Griechin‹ (detebe 22514). Eingeschickt von Hannelore Mittelberger, Hörbranz (A)

Schicken Sie uns bitte Ihre Lieblingssätze aus einem Diogenes Buch. Jedes veröffentlichte Zitat wird mit einem Bücherpaket im Wert von € 50.– honoriert. Bitte per E-Mail an msc@diogenes.ch oder auf einer Postkarte an: Diogenes Magazin, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz

»›Ob sie glücklich verheiratet ist? Glück ist ein relativer Begriff‹, antwortete ich, ›oft erkennt man erst nach Jahren, dass man vor langer Zeit fünf Minuten glücklich gewesen war.‹« Aus Ingrid Noll, ›Kalt ist der Abend­ hauch‹ (detebe 23023). Eingeschickt von Ursula Winkler, Berlin »Am Ende einer Sprengung«, sagte der Steinmetz, »nachdem alle Steine schon niedergefallen sind und man meint, man könnte schon rausgehen, gibt es immer noch einen Stein, den letzten. Am Anfang ist er der, der am höchsten fliegt, und zum Schluss fällt er nach allen anderen zur Erde. Nimm dich vor solchen Steinen in acht, ja Rafael?« Meir Shalev, ›Im Haus der Großen Frau‹ (detebe 23326). Eingeschickt von Brigitte Eldlepp­ Lucas, Bergisch­Gladbach »Freiheit bedeutet nicht Unabhängigkeit. Man ist immer von irgendwem oder irgendwas abhängig. Freiheit bedeutet Furchtlosigkeit. Sich nicht zu fürchten ist die einzige Freiheit, die wir jemals erlangen können.« Aus: Astrid Rosenfeld, ›Adams Erbe‹ (Diogenes 06772, Leinen). Eingeschickt von Ute Giese

Diogenes Magazin

19


Donna Leon

Ein Elefant in Venedig? W

er nach Venedig kommt, um dort zu leben, muss sich an mancherlei gewöhnen: das ständige Zufußgehen, Brücken und Treppen hinauf und hinunter, die Fortbewegung auf den schwankenden Booten. Ja selbst das, was man sich über die Vergangenheit erzählt, schwankt, hat sich bald so, bald anders zugetragen. Dabei werden die Schwankungen desto größer, je länger das Ereignis zurückliegt. Umschlagplatz für Informationen und Gerüchte sind der Marktplatz und der Esstisch; viele Geschichten, die die Venezianer sich über ihre Stadt erzählen, werden hier aufgewärmt und wieder in Umlauf gebracht. Wie noch immer hier lebende Menschen sich während des Kriegs verhalten haben, darüber habe ich im Lauf der Jahre immer wieder neue Versionen gehört. Inzwischen war genug Zeit, jeden Venezianer zu einem leidenschaftlichen Widerstandskämpfer um­ zumünzen, von Kollaboration ist

20

Diogenes Magazin

kaum mehr die Rede; stattdessen dreht sich alles um das uralte Thema Venedigs: knallharte Geschäftemacherei. Sechsmal und von sechs verschiedenen Leuten aus drei verschiedenen Nationen habe ich eine Geschichte gehört, in der jemand, mal ein Mann, mal eine Frau, mal Jude, mal Christ, aber immer jemand in Not, für einen lächerlichen Preis eine Mappe mit Zeichnungen von Tiepolo verkauft hat (oder auch auserlesene Stiche Alter Meister). Was gleich bleibt, ist der Name des Käufers, die verzweifelte Notlage, in der sich der Verkäufer befand, der heutige Aufenthaltsort der Bilder und das Niederträchtige an diesem Handel. Venezianer haben nicht nur eine Kaufmannsseele, ihnen liegt auch die Buchhaltung im Blut: Im Archivio di Stato lagern Dokumente, die bis zu tausend Jahre alt sind. Sorgfältig aufbewahrt werden dort – zusammen mit amtlichen Erlassen, privaten Aufzeichnungen, Polizeiprotokollen und

Berichten von Spionen – Behördenund Justizakten, in denen alle Vorfälle, die Gerichtsverfahren nach sich zogen, sowie das Urteil der Richter und dessen Vollstreckung peinlich genau festgehalten sind. Den heutigen Leser mag es seltsam anmuten, wenn etwa beiläufig von Folter als sicherer Methode der Wahrheitsfindung die Rede ist, oder wenn nicht minder selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Standespersonen – wie Orwell sagen würde – ›gleicher‹ sind als andere Bürger, auch wenn Ersteres gerade wieder in Mode kommt und Letzteres sich hartnäckig durch alle Zeiten behauptet hat. Diese kuriosen Stadtgeschichten, oder vielmehr diese Geschichten aus einer kuriosen Stadt, vermitteln hoffentlich eine Vorstellung davon, wie sehr wir Heutigen dank der Unveränderlichkeit der menschlichen Natur jenen Menschen ähneln, die vor Jahrhunderten in dieser wunderlichen Stadt gelebt und gelitten haben.

Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Venedig ist einzigartig, besonders sind aber auch die Geschichten, die man sich über die Lagunenstadt erzählt. Donna Leon hat spannende Begebenheiten aus den Stadtannalen ausgewählt und daraus ein wunderbares Buch gemacht, auch weil es eine Vivaldi-CD ihres Lieblingsorchesters enthält. Hier die Geschichte des Elefanten in der Kirche Sant‘Antonin.


Diogenes Magazin

21

Illustration: Giovanni Battista Tiepolo, ›Das Mädchen mit dem Dreispitz‹, um 1755–60 © Bridgeman – Artothek; kleines Foto: Giovanni Antonio Canal (Canaletto): ›Ansicht von S. Maria della Salute‹, um 1727 / 28 © akg-images / Erich Lessing – Rahmen: © kmit – Fotolia.com


Vor Jahren hörte ich, dass es den Bürgern Venedigs verboten sei, innerhalb der Stadtgrenzen Hühner zu halten. Solche Verordnungen geben interessante Aufschlüsse über die Vergangenheit in dieser Stadt: Offenbar haben die Menschen hier einmal Hühner gehalten. Aus Berichten von Leuten, die in früheren Jahrhunderten hier durchgereist oder sesshaft gewesen sind, erfährt man von weiteren tierischen Stadtbewohnern, realen und nicht so realen. Man war nicht nur immer wieder zu Pferde unterwegs, auf in die Hausfassaden eingelassenen Steintafeln sind Bienen, Greife, Fischköpfe und immer wieder Löwen zu sehen. Damals wie heute gab es die Ratten, die ein wenig von ihrem Schrecken verlieren, wenn die Venezianer sie ›pantegane‹ nennen. Auch die Maler Venedigs hatten ein Auge für Tiere: Carpaccios gelangweilte Kurtisanen versuchen halbherzig ihre gleichermaßen gelangweilten Hunde zu unterhalten, der heilige Hieronymus wird stets mit seinem treuen Hund abgebildet, zwei Evangelisten werden als Tiere dargestellt, und 22

Diogenes Magazin

zu Füßen der Jungfrau Negropontes in der Kirche San Francesco della Vigna ist eine Schar friedlicher Vögel zu sehen. In den Archiven finden sich Berichte über andere Tiere, deren Anwesenheit in der Stadt nicht weniger seltsam ist als die des Greifen. Während der Karnevalssaison 1818 bis 1819 (beachten Sie bitte, wie lange sich vor zweihundert Jahren der Carnevale hinzog) wurde ein Elefant in die Stadt gebracht, eine Sensation, an der sich hoher Besuch ergötzte: Franz I., Kaiser von Österreich, seine vierte Frau, Karoline, und einige seiner Kinder. Zu den Lustbarkeiten, die ihre nicht sehr loyalen venezianischen Untertanen für sie inszenierten, zählte eine Flottenparade, bei der zu Ehren der hohen Gäste derart kernige Artilleriesalven abgefeuert wurden, dass

Foto oben links: Pietro Longhi, ›Der Löwenkäfig‹, 1762 (Ausschnitt) © Cameraphoto / akg-images – Rahmen: © rudi wambach – Fotolia.com; Foto oben recths: Pietro Longhi, ›Ausstellung eines Elefanten in Venedig‹ © Privatsammlung / Bridgeman Berlin – Rahmen: © kmit – Fotolia.com; Foto Mitte: Pietro Longhi, ›Das Nashorn‹, 1751 (Ausschnitt) © akg-images – Rahmen: © dred2010 – Fotolia.com

Der Elefant geht in die Kirche

die Marine nachher etlichen Hausbesitzern Schäden an ihren Fassaden und Kaminen ersetzen musste. Bedauerlicherweise wurde ein Elefantenbulle aus der für den Karneval in die Stadt geholten Wandermenagerie, die irgendwo an der Riva degli Schiavoni untergebracht war, vom Donner der Geschütze so gereizt, dass er ›schreckliche Verwüstungen‹ anrichtete. Da der Elefant immer gewalttätiger wurde – auch dank der vom Frühling geweckten ›amourösen Instinkte‹ –, beschloss man schließlich, ihn aus der Stadt zu entfernen, bevor er vollends außer Kontrolle geriet. Zu diesem Zweck brachte man am Morgen des 15. März 1819 ein nur für diesen Elefanten bestimmtes Boot an die Riva und ermunterte ihn, sich an Bord zu begeben. Aber das Wasser war rauh und die Planke wacklig, und nach vier vergeblichen Versuchen zog der Elefant es schließlich vor, auf festem Boden zu bleiben, worauf nichts anderes übrig blieb, als ihn in einem Lagerhaus an der Riva einzuschließen. In der Nacht wurde der Elefant immer unruhiger; als Camillo Rosa, sein Wärter, ihn zu beschwichtigen versuchte, verlor das Tier endgültig die Geduld, packte Rosa mit seinem Rüssel, schleuderte ihn an die Wand und trampelte zur Sicherheit auch noch auf ihm herum. Nun brach der Elefant aus seinem Gefängnis aus und rannte in Richtung Ca’ di Dio. Da ihm die Brücke dort


Buchtipps aldi-C

V Mit iv

morgens um vier Minuten nach acht – in ›un lago di sangue‹ tot zusammen. Um fünf Uhr nachmittags traf der Kadaver auf dem Lido ein, wo er auf dieselbe Art begraben werden sollte, wie man es mit altem Obst und Gemüse zu tun pflegte. Zwei Stunden später jedoch widerrief man die Anweisung und ließ das Tier zu der entweihten Kirche S. Biagio transportieren. Verhandlungen führten nach einem Tag zu dem Ergebnis, dass der Elefant für 800 Florin an das Naturhistorische Museum der Universität von Padua verkauft wurde. Noch in der Kirche wurde er gehäutet und ausgenommen, was nur möglich war, solange hinreichende Mengen an oxidierter Salzsäure, Essig, Fackelpech und Aquavit zur Verfügung standen, um den im Kirchenraum herrschenden Gestank zu bezwingen. Hundert Jahre später wurde die von Motten zerfressene Haut des Elefanten aus einem Fenster des Museums in Padua auf den Hof geworfen; Kinder aus der Nachbarschaft hoben sie auf, spielten eine Zeitlang damit und verkauften sie schließlich an einen Händler, der sie bis zu ihrer ›endgültigen Zerstörung‹ in seinem Laden ausstellte.

D

nicht sicher schien, machte er kehrt und zertrümmerte einen Obststand; nachdem er sich gesättigt und einen Caffè getrunken hatte (so steht es in den Akten), lief er zur Calle del Dose, über den Campo della Bragora und die Salizada Sant’Antonin hinauf, wo er in eine Sackgasse geriet. Er drehte um und rannte auf die Brücke von Sant’Antonin zu, aber wieder siegte seine Abneigung gegen Brücken: Statt sie zu überqueren, gelang es ihm irgendwie, in die nahegelegene Kirche einzudringen. Bei all dem feuerten Soldaten unablässig ihre Büchsen auf ihn ab, konnten dem Dickhäuter aber nichts anhaben. Die diversen städtischen, militärischen und kirchlichen Autoritäten berieten sich miteinander und ließen aus dem Arsenale eine Kanone herbeischaffen. Unterdessen nutzte der Elefant die Zeit in der Kirche zu seinem Vorteil und schob die Bänke vor dem Altar zusammen, um sich dahinter zu verschanzen. Dabei brachte er mit seinem Gewicht eine der Grabplatten im Boden der Kirche zum Einsturz und blieb mit einem Fuß in der Falle hängen. Nachdem die Kanone eingetroffen war, bohrte man ein Loch in die Seitenwand der Kirche. Zwei Schüsse krachten, und der Elefant brach –

Donna Leon Kurioses aus Venedig Mit einer Vivaldi-CD ›Il Complesso Barocco‹ Diogenes

80 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06798-9

Kurioses aus Venedig erzählt Donna Leon. Untermalt werden die besonderen Begebenheiten auf historischen Instrumenten: Virtuoses von Antonio Vivaldi, extra aufgenommen für dieses Buch von ›Il Complesso Barocco‹.

Donna Leon Tiere und Töne Auf Spurensuche in Händels Opern Mit Bildern von Michael Sowa

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz Diogenes

Foto: © Il Complesso Barocco / José Luis Martínez – Rahmen: © Serhii Novikon – Fotolia.com

144 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06763-7

Tiere und Töne – das gibt es in der Oper, in Händels Arien. Wenn Donna Leon sich weder bekochen lässt noch Krimis schreibt, dann hört sie Musik. Im vorliegenden Buch sind ihre Lieblingsarien versammelt, begleitet von 12 fabelhaften Texten über Löwe, Nachtigall, Frosch, Elefant und viele mehr. Illustriert von Michael Sowa. Mit einer CD: 12 Händel-Arien, gespielt von ›Il Complesso Barocco‹, dirigiert von Alan Curtis.

Donna Leon mit dem Ensemble ›Il Complesso Barocco‹ und dem Dirigenten Alan Curtis. Mit ihrem Lieblingsorchester hat Donna Leon zwei Bücher für Musikfreunde herausgegeben: ›Kurioses aus Venedig‹ und ›Tiere und Töne‹. Diogenes Magazin

23


Serie zwischen ihnen, und es gibt keinen so barbarischen oder mürrischen Menschen, dass er sich von ihrem Reiz nicht ein wenig berührt fühlte. Das Alter zieht noch mehr Runzeln über unsern Verstand als auf unserm Gesicht.

Michel de Montaigne Die ergiebigste und natürlichste Übung unseres Geistes ist meines Bedünkens das Gespräch. Ich sehe in seiner Pflege das Schönste, was wir im Leben tun können. Wenn man mir widerspricht, weckt man meine Aufmerksamkeit, nicht meinen Unwillen; ich nähere mich dem, der mir widerspricht, der mich unterrichtet: Die Sache der Wahrheit sollte die gemeinsame Sache beider sein.

Ob gesund oder krank, ich habe immer den Gelüsten nachgegeben, die mich drängten. Es gibt für mich kein so erfreuliches Gericht und keine so verlockende Würze wie die, welche man aus der Gesellschaft zieht. Nichts ist so schön und so recht, als richtig und gut den Menschen zu spielen, und nichts ist schwieriger, als dieses Leben leben zu können; und unsere ärgste Krankheit ist es, uns selber zu hassen und zu verachten. Eine unbedingte und gleichsam göttliche Vollkommenheit besteht darin, dass man sein Dasein so, wie es ist, genießt.

Wer gar nicht für andere lebt, lebt auch für sich selber kaum. Nichts muss man der Jugend so sehr empfehlen, wie tätig und wach zu sein. Ich tue nichts, ohne dabei fröhlich zu sein. Missfällt mir das eine Buch, nehme ich ein andres und lese es nur in den Stunden, da mir das Nichtstun lästig wird. Die Schönheit ist eine große Empfehlung im Umgang mit den Menschen; sie als Erste dient der Vermittlung

Denken mit Michel de Montaigne

24

Diogenes Magazin

+++

UTOPIE SEIT 1979

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23497, 208 Seiten »Montaigne ist eine genussvolle Lektüre für Minuten und – Medizin fürs ganze Leben.« Stuttgarter Nachrichten

Im nächsten Magazin: Ludwig Marcuse

HOMOEHE ARABISCHER FRÜHLING FRAUENBEWEGUNG DOSENPFAND AFROAMERIKANISCHER PRÄSIDENT ENERGIEWENDE GUERILLA GARDENING MAUERFALL INTERNET

Seit 32 Jahren berichtet die taz über das gute Leben und ist wie nebenbei selbst ein Teil davon geworden. Entdecken Sie die gedruckte Ausgabe fünf Wochen lang für 10 Euro im Probeabo. Das e-Paper der taz erhalten Sie einen Monat lang für 10 Euro im digitalen Abo. T (0 30) 25 90 25 90 abo@taz.de | www.taz.de/abo

Illustration: © Tullio Pericoli

Denken mit

Ein junger Mann muss seine Regeln umstoßen können, um seine Spannkraft wachzuhalten und sie vor Schimmel und Fäulnis zu bewahren; und keine Lebensart ist so töricht und schwach wie jene, die sich nach Zucht und Vorschrift richtet.

+++


Small Talk

Bernhard Schlink »Man will nicht nur ein Leben leben.« Diesem Grundsatz folgt der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink. Als Bestsellerautor (Der Vorleser, Liebesfluchten) wurde er mit unzähligen Preisen ausgezeichnet, seine Bücher erscheinen auf der ganzen Welt und haben sich millionenfach verkauft. Aber es gibt auch den renommierten Staatsrechtler Schlink, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrte und die deutsche Bundesregierung vor Gericht vertreten hat – ein Reisender zwischen den Welten. Mit seinen berührenden Sommerlügen hat er erneut sein großes Können als Erzähler unter Beweis gestellt hat.

Neben wem möchten Sie während einer Einladung zum Abendessen sitzen? Neben [der Cellistin] Isabel Masurovsky. Welches Buch hätten Sie gerne geschrieben? Der lange Abschied von Raymond Chandler. Was hält Sie in der Nacht wach? Dämonen. Wann fühlen Sie sich am freiesten? Wenn ich hohes Fieber habe.

W

er ist für Sie der perfekte Leser? Jeder Leser ist ein perfekter Leser.

Wie entspannen Sie sich? Bei einem Spaziergang am Strand, alleine.

Welche Bücher liegen zurzeit auf Ihrem Nachttisch? Anna Karenina von Leo Tolstoi und Lincoln Lawyer von Michael Connelly.

Was war der beste Rat, den ein Elternteil Ihnen gegeben hat? Was immer du tust, mach keine halben Sachen. Was würden Sie an sich ändern? Dafür ist es zu spät.

Welches Buch hat Ihr Leben verändert? Das erste von einigen Büchern, die mein Leben verändert haben, ist Rot und Schwarz von Stendhal. Wann wussten Sie, dass Sie ein Schriftsteller sein wollten? Ich wusste es, als ich jung war, vergaß es in meinen 30ern, dann erinnerte ich mich wieder daran.

Foto: © Herlinde Koelbl

Wo können Sie am besten schreiben? Mit Blick aufs Meer. Wer hat Sie literarisch beeinflusst? Ich mag besonders Gottfried Keller, Theodor Fontane, Raymond Chandler und James M. Cain.

Sind Sie stolz, ein Schriftsteller zu sein? Muss ich auf mein Schreiben stolz sein? Es genügt, dass ich dabei glücklich bin.

Bernhard Schlink Sommerlügen

Wie würden Sie Ihr Geld verdienen, wenn Sie nicht mehr schreiben könnten? Als Anwalt arbeiten.

Diogenes

288 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06753-8 Auch als Diogenes Hörbuch Ab Mai 2012 als Taschenbuch

Was ist Ihr Lieblingsort? Schloss Bürgeln. Was bedeutet es für Sie, ein Schriftsteller zu sein? Die Sätze zu lieben. kam

Diogenes Magazin

25


Pietro Citati Schön und verdammt

Ein biographischer Essay über Zelda und F. Scott Fitzgerald Diogenes

160 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06735-4

Sie waren das schönste Paar im New York der zwanziger Jahre. Und sie waren dazu verdammt, gemeinsam durch Himmel und Hölle zu gehen – F. Scott und Zelda Fitzgerald: das intime Portrait des Traumpaars der Lost Generation.

26

Diogenes Magazin

»Sie war die Amy Winehouse der Zwanziger«, so Elmar Krekeler in der ›Welt‹ über Zelda Fitzgerald – ihr Name wurde zum Inbegriff einer ganzen Generation. Die Frau von F. Scott Fitzgerald lebte den amerikanischen Traum und zerbrach daran. Jetzt kann ihr einziger, stark autobiographischer Roman ›Ein Walzer für mich‹ wiederentdeckt werden.

Foto: © Bruccoli Collection of F. S. Fitzgerald, University of South Carolina

ZELDA


Biographischer Essay

Pietro Citati

Zelda: Die Königin der Schmetterlinge »Die Welt ist ein Spiel und ich bin Deiner Liebe sicher«, schrieb sie in einem Telegramm an ihren späteren Ehemann F. Scott Fitzgerald. Das Spiel sollte Zelda leider nicht gewinnen, aber dem Leben zumindest eine Menge an heiteren, wilden, verrückten, energiegeladenen Stunden entreißen. Pietro Citati erzählt in diesem Essay aus dem bewegten und bewegenden Leben einer ungewöhnlichen Frau.

Illustration oben: © Bettmann / Corbis / Specter; Illustration Selbstportrait, 1932: © Eleanor Lanahan

V

on Zelda, als junges Mädchen, als Erwachsene, als Kranke, gibt es viele verbale Portraits, denn fast alle versuchten, ihr Geheimnis zu ergründen. Zuallererst war Zelda eine Farbe: ein klingender, bebender Fleck auf der Welt. Sie hatte schimmernde Haare wie ein Kind, entweder aschblond oder honigfarben oder dunkelgolden; ihr Gesicht war rosig oder braungebrannt, immer frisch und lebhaft, ein aufregender Klecks Schönheit in der Natur. Sie hatte die Augen eines Falken: nachdenklich, aber nicht traurig, streng, fast männlich. Am Tag glühten sie ohne Feuer: Abends waren sie erregt, schwarz, undurchdringlich, aber immer rasend vor Ungeduld gegenüber der öden Wirklichkeit, zu der sie nicht gehörte. Jemand fand, sie gleiche einer jungen Indianerin oder einer Barbarenprinzessin – sie dagegen stellte sich vor, von einem Hexenvolk abzustammen. Als Kind ermüdete sie nie. Es gefiel ihr, von oben herunterzuspringen:

vom Sprungbrett ins Schwimmbecken, von den Bäumen, auf die sie kletterte, auf den Boden. Als sie heranwuchs, tanzte sie die Nächte durch, immer in irgendwen verliebt. Die Schule langweilte sie. Sie rauchte ununterbrochen, trank Gin oder Aquavit, erzählte anstößige Geschichten. Und sie sagte, sie habe »Tausende von Männern« geküsst und werde noch weitere Tausende küssen. Was immer sie tat, es war faszinierend: ob sie nun kühn auf den

Straßen ihrer Heimatstadt Montgomery (Alabama) spazieren ging oder auf dem Golfplatz den Schläger schwang. Sie fürchtete sich vor nichts: weder vor Dingen noch vor Menschen, Abenteuern oder Ideen. Ihr unbeugsamer Mut setzte sich zu gleichen Teilen aus Kindlichkeit, Egoismus, kalter Intelligenz, Brutalität und Maßlosigkeit zusammen. Nur sich selbst beobachtete sie gern. Wenn sie anderen zuhörte, glitt auf einmal unerklärlicherweise ein seltsames kleines Lächeln der Verachtung und Gleichgültigkeit über ihr Gesicht. Das war ihr Geheimnis. Sie schuldete niemandem etwas: Ihre Rolle war es, aus dem unerschöpflichen Fundus des Lebens Geschenke, Geschenke, Geschenke zu erhalten. Die Welt war ein Abbild ihrer Schönheit, und dank ihrer Schönheit besaß sie die Welt. Sie fand, die Aufgabe einer Frau sei nicht, Ruhe auszustrahlen, wie man es sie in der Familie gelehrt hatte, sondern zu beleidigen, zu stören, Katastrophen ausDiogenes Magazin

27


Die 15­jährige Zelda

28

Diogenes Magazin

bildet war, besaß sie einen ausgezeichneten literarischen Geschmack. Zelda selbst sagte, sie sei von Dämonen besessen wie eine Hexe. In einem Brief von 1930 erinnerte Fitzgerald seine Schwägerin grausam daran, dass Zeldas Vater unter einer schweren Depression litt, ihre drei Schwestern neurotisch waren, die Großmutter sich umgebracht hatte und einige Verwandte geistesgestört waren. Auch Zeldas Bruder Anthony nahm sich 1933 das Leben. Doch gerade Fitzgerald, der seine Frau verstand wie niemand sonst, fand das richtige Wort. Am 7. Dezember 1940, wenige Tage vor seinem Tod, schrieb er an seine Tochter: »Die Geisteskranken sind immer einfach nur Besucher auf der Erde: ewig Fremde, die zerbrochene Gesetzestafeln mit sich tragen, die sie nicht lesen können.« Zelda Sayre und Francis Scott Fitzgerald lernten sich im Juli 1918 in Montgomery kennen, wahrscheinlich auf einem Ball im Country Club. Zelda

wurde achtzehn. Fitzgerald, schon fast zweiundzwanzig, war Oberleutnant der Infanterie in Camp Sheridan in der Nähe von Montgomery. An jenem Juliabend tanzten Zelda und Fitzgerald lange miteinander. Nach einer späten Version Zeldas verströmte Fitzgerald in seiner feschen, enganliegenden Uniform einen Geruch nach neuem Stoff. »Ihm nahe zu sein, mit dem Gesicht zwischen seinem Ohr und dem steifen Uniformkragen, war, als würde man in die unterirdischen Bestände eines edlen Stoffgeschäfts eingeweiht, die die Zartheit des Perkals, des Leinens und anderer, in Säcke gehüllter Luxusgüter erraten lassen.« Nach einer anderen Version Zeldas war es, als habe Fitzgerald unter den Schulterblättern »eine himmlische Stütze, durch die seine Füße in ekstatischem Schweben vom Boden abhoben, als besäße er insgeheim die Fähigkeit zu fliegen«. Zelda liebte Blumen, den Duft der Nachtfalter und der Gärten in der Abenddämmerung, die kurzen Haare und die bunten Kragenspiegel, die die jungen Offiziere ihr schenkten. Auch Fitzgerald schenkte ihr seine. Mit souveräner Gelassenheit legte Zelda sie zu Dutzenden anderen in eine große Handschuhschachtel. Im Februar 1919 fuhr Fitzgerald nach New York, wo er seine ersten Erzählungen verkaufen wollte, aber nur eine schlecht bezahlte Arbeit in einer Werbeagentur fand. Jeden Tag schrieb er an Zelda. Fast alle seine Briefe sind verlorengegangen: Wahrscheinlich hat Zelda sie vernichtet, oder sie verbrannten in dem Feuer, das Zelda das Leben kostete. Doch ein sündteures Telegramm von Fitzgerald hatte sie aufgehoben, denn sie liebte die gloriose Endgültigkeit telegraphischer Mitteilungen: »die welt ist ein spiel und ich bin deiner liebe sicher stop alles ist möglich im land des ehrgeizes und erfolgs stop meine einzige hoffnung ist dass mein angebetetes herz bald bei mir ist.« Einstweilen überschüttete Fitzgerald Zelda mit Geschenken. Zuerst ein Pyjama, ein »Mondschein«, eine

Foto: © Harold Ober Associates Inc. / Princeton University Library

zulösen. So weckte Zelda Erstaunen, Bewunderung und Schrecken bei ihren Verehrern: vor allem bei Fitzgerald, für den sie immer das lustigste und schrecklichste Schauspiel darstellte. Sie war die Königin der Schmetterlinge. Sie schien nur die Oberfläche des Lebens zu kennen, trank freudig »den Schaum oben von der Flasche«. Sie wohnte in der Einbildung, spielte ihre Rolle wie die erfahrenste Schauspielerin. Und dann plötzlich war sie eins weiter und erfasste die unbegreiflichen Gefühle zwischen Himmel und Erde. In Gesprächen formulierte sie zuerst eine Idee, mit verzückter Miene, Altstimme und einem duftenden Südstaatenakzent: Dann hielt sie die Idee auf Abstand, lächelte ihr zu; zuletzt spielte sie damit Verstecken, indem sie sie variierte und umkehrte. Sie benutzte seltene Ausdrücke, unerwartete Bilder, überraschende Vergleiche und sprang von einem Thema zum anderen wie in einem Roman von Laurence Sterne. Obwohl sie nicht ge-


Illustration: © Bruccoli Collection of F. S. Fitzgerald, University of South Carolina

»Wolke«, ein »Traum« – der ihr das Gefühl gab, einem Titelblatt von Vogue entstiegen zu sein. Dann der Verlobungsring, der Fitzgeralds Mutter gehört hatte und nun an ihrem Finger funkelte, »anmutig und weiß wie unsere Liebe«. Dann ein Fächer aus flamingofarbenen Federn: »Diese Federn«, schrieb Zelda, »diese wunderwunderbaren Federn sind das Schönste auf der Welt – so weich wie Küken und rosig wie das Licht am heimischen Herd. Ich fühle mich so reich und prächtig, wenn ich sie durch die Luft schwenke und mich darin einhülle.« Dann ein Pullover. Zuletzt schenkte Fitzgerald ihr eine mit Brillanten besetzte Platinuhr, die er erstand, nachdem er die Filmrechte an einer Erzählung verkauft hatte. »Ich habe, wie jede Nacht vor dem Schlafengehen, beschlossen«, antwortete Zelda, »dass Du der liebste, liebste Mann auf der Welt bist und ich Dich sogar noch mehr liebe als dieses köstliche kleine Ding, das an meinem Handgelenk tickt.« Zelda wollte, dass er sie trug wie einen Ring, einen Anzug, einen Fächer, eine Uhr oder eine Blume im Knopfloch. Ihr Leben lang gab sie sich wie eine leuchtende, duftende Dekoration, die man der Welt vorführen konnte. Die bangen, atemlosen Briefe, die weichen, herrlichen Geschenke überbrückten die Leere zwischen Montgomery und New York nicht. Zelda flirtete mit anderen Männern – Offizieren und sonstigen –, was Fitzgerald eifersüchtig machte: Jedes Mal, wenn er mit dem Zug nach Montgomery kam, musste er sie wieder erobern. Zelda liebte es, ihn leiden zu lassen: »Du bist so süß, wenn Du melancholisch bist. Ich liebe Deine traurige Zärtlichkeit – wenn ich Dich verletzt habe.« Mitte Juni 1919 fuhr Zelda nach Atlanta, Georgia, um an einem Golfturnier teilzunehmen. Ein paar Tage lang unterhielt sie eine Liebschaft mit einem jungen Golfchampion, Perry Adair, der ihr als Unterpfand seiner Zuneigung das Abzeichen seiner Studentenverbindung schenkte. Als sie

nach Montgomery zurückkehrte, dachte Zelda an ihren Geliebten, der in der Ferne für sie arbeitete, sie erinnerte sich an den Pyjama, den Ring und den flamingofarbenen Fächer: Sie bereute ihren Flirt und schickte Perry Adair das Abzeichen zurück, begleitet

Coverentwurf von Zelda für F. Scott Fitzge­ ralds Roman ›Die Schönen und Verdammten‹

Das Geld reichte nie. Es gelang ihnen nicht, damit auszukommen, weil sie es verschwenden, verprassen, zerstören mussten. von einem Brief »in sentimentalem Ton«, in dem sie versuchte, ihre Absage zu mildern. Mit der anderen Hand schrieb sie einen Liebesbrief an Fitzgerald. Zelda war an jenem Tag zerstreut: Sie steckte den Brief »in sentimentalem Ton« in den Umschlag für Fitzgerald und den Liebesbrief zusammen mit dem Abzeichen in den Umschlag, den sie an Perry Adair adressiert hatte. Damit war die Verwirrung noch nicht zu Ende. Kaum erhielt Perry Adair den Liebesbrief, der nicht für ihn bestimmt war, steckte er ihn zuvorkommend in einen neuen Umschlag und schickte ihn an Zeldas Verlobten im fernen New York. Fitzgerald raste vor Eifersucht und Wut und telegrafierte ihr, sie solle ihm nie wieder schreiben. Trotz des Verbots antwortete Zelda mit einem vorsichtigen, respektvollen Briefchen

ohne das gewohnte »Liebster Scott«, in dem sie zu erklären versuchte, was geschehen war: »Es tut mir so leid, Scott«, schrieb sie ohne die geringste Reue. Fitzgerald konnte nicht widerstehen: Er nahm den ersten Zug nach Montgomery. Die beiden weinten, tranken flaschenweise Gin und küssten sich leidenschaftlich im Wohnzimmer des Hauses Sayre. Fitzgerald bat Zelda inständig, ihn sofort zu heiraten, doch sie weigerte sich hartnäckig. Daraufhin fuhr er nach New York zurück, gab seine Arbeit auf und betrank sich in seiner Verzweiflung wochenlang. Dann hörte er unvermittelt zu trinken auf. Im Haus seiner Familie in St. Paul begann er, wie wild seinen ersten Roman Der romantische Egoist umzuschreiben, der schließlich unter dem Titel Diesseits vom Paradies erscheinen sollte. »Das war«, schrieb er viele Jahre später, »mein Trumpf in der Hand.« Wie er seiner Tochter gegen Ende seines Lebens schrieb, wusste Fitzgerald, dass Zelda stärker war als er und ihn manchmal für einen Schwächling hielt. Trotz der Schönheit seiner Romane erkannte er sogar an, sie habe in den höchsten Augenblicken »eine hellere Flamme, als ich sie je hatte«: die Kraft, die aus dem Wahnsinn hervorbrach. So suchte oder sehnte sich Zelda nach einem Mann, der stärker war als Scott und an den sie sich hätte anlehnen können. Sie fand ihn nie. Doch auch das Gegenteil traf zu: Obwohl sie so herrisch, stur und unbeugsam war, war Zelda nur Fitzgeralds »Kind«: mehr noch als die eigene Tochter, die er streng erzogen hatte. Die Königin der Schmetterlinge brauchte den Schutz ihres Mannes, denn nur durch ihn wurde für sie die Welt sichtbar und berührbar. Zelda und Fitzgerald waren sich zu nah, so nah, wie Menschen einander selten sind; und das Übermaß an Nähe zwischen Göttern und Menschen, wie zwischen Männern und Frauen, verbrennt die Herzen und die Leben. Sowohl als Personen als auch als Schriftsteller waren sie Komplizen. Fitzgerald schrieb Zeldas Briefe und Tagebücher ab und fügte sie heimlich Diogenes Magazin

29


Zelda zur Zeit ihrer Hochzeit, 1920

Zelda und F. Scott Fitzgerald im Februar 1921

Leutnant F. Scott Fitzgerald – 1918, dem Jahr seiner Begegnung mit Zelda Sayre

in Diesseits vom Paradies, in Die Schö­ nen und Verdammten und Zärtlich ist die Nacht ein: Er unterbreitete ihr Seite für Seite seine Erzählungen und Romane; und wenn es ihm nicht gelang, die Personen aus Der große Gatsby zu sehen, zeichnete seine Frau sie immer wieder, bis ihr die Finger schmerzten, in dem Versuch, die Bilder einzufangen, die vor der Feder ihres Mannes flüchteten. Sie waren ein und dieselbe Person, mit zwei Herzen und zwei Köpfen; und diese Herzen und Köpfe wandten sich leidenschaftlich zueinander, gegeneinander, bis sie in einem einzigen Feuer brannten. Am 3. April 1920 heirateten Fitzgerald und Zelda in New York, in der Sakristei der Saint Patrick’s Cathedral. Viele Jahre später schrieb Fitzgerald in einem Brief an seine Tochter: »Ich wusste, dass sie verwöhnt war und mir nichts Gutes bescheren würde. Ich bereute es sofort, dass ich sie geheiratet hatte.« Und an seine letzte Geliebte: »Wir wären viel glücklicher gewesen, wenn ich eine andere Frau und sie einen anderen Mann geheiratet hätte. Wir waren nicht dafür ge-

schaffen, uns zu verstehen.« Fitzgerald hatte keine Zeit für Reue. Am 3. April 1920 war es neun Tage her, dass sein Roman Diesseits vom Para­ dies herausgekommen war: In den ersten beiden Tagen verkaufte er sich dreitausendmal, und in einem Jahr waren es schon neunundvierzigtausend – für jene Zeit eine unglaublich hohe Zahl. Er hatte für die jungen Leute seiner Generation geschrieben und fühlte sich als deren Bruder. 30

Diogenes Magazin

Fotos: © Bruccoli Collection of F. S. Fitzgerald, University of South Carolina

Sie waren ein und dieselbe Person, mit zwei Herzen und zwei Köpfen; und diese Herzen und Köpfe wandten sich leidenschaftlich zueinander, gegeneinander, bis sie in einem einzigen Feuer brannten.


Foto oben: © Bruccoli Collection of F. S. Fitzgerald, University of South Carolina; Foto unten: © Archiv Diogenes Verlag

New York war in diesen Jahren ein rauschendes, klingendes Fest. Die jungen Leute spürten die Lebensfreude »in den Fingerspitzen« und ließen eine Licht- oder Musikspur hinter sich, die zehn Jahre später völlig erlosch. Zelda und Fitzgerald fühlten sich wie Kinder. Sie wussten nicht, ob sie real waren oder Romanfiguren: So badeten sie mit Kleidern in Brunnen, setzten sich bei Taxifahrten aufs Autodach, zogen sich bei Theatervorstellungen aus oder prügelten sich mit Polizisten. Sie waren nie allein. Im Hotel, zu Hause, überall waren immer zu viele Menschen: Zelda und Scott glaubten, es handle sich um echte Personen, dabei waren sie nur die Projektion der Dämonen, die sie beide in sich trugen. Fitzgerald verdiente immer mehr: achtzehntausend Dollar im Jahr, sechsunddreißigtausend Dollar im Jahr, während der größte Teil der Amerikaner von eintausendfünfhundert Dollar lebte. Sie hatten ein Kindermädchen, ein Bediensteten-Ehepaar, riesige Villen, Automobile; und sie gaben in jeder Bar großzügigere Trinkgelder als Marcel Proust. Das Geld reichte nie. Es gelang ihnen nicht, damit auszukommen, weil sie es verschwenden, verprassen, zerstören mussten. Zelda schien das Herz der bunten Show zu sein, die jemand ihr zu Gefallen inszeniert hatte. Viele Jahre später, in eine Schweizer Klinik verbannt, sagte sie, dass sie für das Leben in New York nicht »qualifiziert oder vorbereitet« gewesen sei. Auch ihr Mann sagte, Zelda fehle »die Kraft für die große Bühne«. Vielleicht zogen sie beide, ohne es zu wissen, die Dunkelheit vor. Nachts unterhielten sie sich. »Ich denke«, schrieb Fitzgerald Jahre später, »diese langen Gespräche, die wir spät in der Nacht führten, die um Mitternacht begannen und dauerten, bis wir das erste Licht des neuen Tages sehen konnten, das uns verängstigt in den Schlaf scheuchte, waren etwas Wesentliches in unserer Beziehung, eine Art von Nähe, die wir im Eheleben sonst nie erreichten.«

Die Fitzgeralds auf der Überfahrt nach Frankreich, im April 1928

Zelda mit Tochter Frances ›Scottie‹, 1933

Aus dem Italienischen von Maja Pflug Diogenes Magazin

31


»Diese Mädchen«, sagten die Leute. »Sie glauben, sie könnten machen, was sie wollen, und kämen damit durch.« – So beginnt Zelda Fitzgeralds Roman Ein Walzer für mich. Im Mittelpunkt: die betörende Alabama, die allen Männern den Kopf verdreht – und die auch Zelda heißen könnte. »Du wirst versuchen, dich in Zukunft etwas zu zügeln.« »Jawohl, Sir. Ach, Daddy!« »Mir scheint, dass du eine Menge tun kannst, auch ohne anderen Flausen in den Kopf zu setzen.« Ja, trinken und Männern den Kopf verdrehen, dachte sie bei sich.

Buchtipp

Zelda Fitzgerald Ein Walzer für mich

»Wir sind glücklich, aber es scheint uns nicht besonders wichtig zu sein. Wahrscheinlich erwarteten wir etwas Aufregenderes.«

»Unerbittlich hämmerte Alabama sich ein, das einzig Wichtige sei, sich vom Leben zu nehmen, was einem gefiel, solange man die Möglichkeit dazu hatte. Das tat sie nach Kräften.«

»Niemand wusste, wessen Party es war. Sie war schon seit Wochen im Gang. Wenn man fürchtete, die nächste Nacht nicht zu überleben, ging man nach Hause und schlief, und wenn man zurückkam, hatte eine neue Gruppe die Aufgabe übernommen, die Party in Schwung zu halten.«

»Verpflichtungen jedweder Art waren Alabama ein Dorn im Auge, eine Falle der Gesellschaft, um ihr Glück zu beschneiden und der Zeit Fesseln anzulegen.«

368 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06792-7

Der einzige, stark autobiographische Roman von Zelda Fitzgerald: Ein Walzer für mich ist die Geschichte der jungen Alabama, die neben einem berühmten Künstler ihren eigenen Lebensweg sucht: mit ihm nach Europa reist, turbulente Monate in Italien und an der Côte d’Azur verbringt und sich in einen französischen Offizier verguckt. Ihre große Leidenschaft gilt jedoch dem Ballett. Denn wie keine andere Kunstform enthält der Tanz das Versprechen von Schwerelosigkeit und Freiheit. Ein Walzer für mich kann jetzt endlich wieder neu gelesen werden: als Zeitdokument, als anrührende Autobiographie und als sinnlicher Roman – in frischer, poetischer Neuübersetzung.

32

Diogenes Magazin

»Verliebt zu sein, fand Alabama, heißt eigentlich nur, einem anderen Menschen die eigene Vergangenheit zu offenbaren, und die ist meistens ein so sperriges Paket, dass man all die losen Strippen nicht mehr allein zusammenhalten mag. Das Streben nach Liebe ist wie die Suche nach einer neuen Chance im Leben.«

ALAbAmA

Illustration: © Bettmann / Corbis / Specter

Roman · Diogenes


»Oh, nehmen wir nur die geheimen Wünsche von Mann und Frau – man träumt davon, wie viel besser es wäre, wenn man jemand anders wäre oder auch man selbst, aber unter anderen Bedingungen. Man hat das Gefühl, dass das eigene Potential noch nicht ausgeschöpft ist. Ich jedenfalls habe einen Punkt erreicht, an dem ich mich nur noch vage ausdrücken kann, das Essen keinen Geschmack mehr hat, Gerüche nur an die Vergangenheit erinnern.«

ZELDA

Illustration: © Bettmann / Corbis / Specter; Foto: © Harold Ober Associates Inc. / Princeton University Library

»Aber ich warne Sie, ich bin eigentlich immer nur dann ich selbst, wenn ich jemand anders bin, den ich mit meiner Phantasie wundervoll ausgestattet habe.« »Dagegen ist nichts einzuwenden«, antwortete der Engländer in dem unklaren Gefühl, sich auf etwas gefasst machen zu müssen. Für viele Menschen unter fünfunddreißig hat alles, was sie nicht gleich begreifen, einen sexuellen Unterton. »Und ich warne Sie, dass ich theoretisch nicht, aber im Grunde meines Herzens doch monogam bin«, fuhr Alabama fort, als sie seine Unsicherheit spürte.

Zelda in ihrem Kostüm für den ›Folly Ball‹, 1919

Diogenes Magazin

33


34

Diogenes Magazin

Illustration: Š akg-images; Foto Hintergrund: Š Fotolia.com


Interview

Ein Gespräch mit Lukas Hartmann

Der Räuber Hannikel

Foto: © Bernhard von Dierendonck

Sie waren Papierlose mit so sympathischen Namen wie Alte Lisel, Sonnenwirt, Konstanzer Hans und Schwarzer Veri und hatten allesamt kaum eine Chance auf eine bürgerliche Existenz. Doch was ist für uns heute noch so spannend an den Räubern der vorrevolutionären Epoche? Lukas Hartmann sieht eine Vielzahl von Verbindungen zu den Sinti und Roma oder zu den somalischen Piraten und erzählt in diesem Interview von seiner Faszination für Räuber und ihre Fänger – nicht nur die des 18. Jahrhunderts. Diogenes Magazin: Wie sind Sie auf die Geschichte von Hannikel gestoßen? Vor ein paar Jahren fand ich zufällig in einem Antiquariat ein Buch über die Räuberbanden zwischen Neckar und Bodensee im späten 18. Jahrhundert. Es war eine Sammlung zeitgenössischer Quellen, in denen Räuberfiguren wie die Alte Lisel, der Sonnenwirt (dem Schiller seine Novelle Der Ver­ brecher aus verlorener Ehre widmete), der Konstanzer Hans, der Schwarze Veri vorkamen. Am meisten faszinierte mich die Geschichte des Zigeuners Hannikel, die der Pfarrer Wittich in moralischer Entrüstung und mit rassistischen Untertönen nacherzählte. Hannikel, eigentlich Jakob Reinhardt, machte während beinahe zwanzig Jahren mit seinen Getreuen den »wilden Südwesten« unsicher, brach vor allem bei reichen Juden und in Pfarrhäusern ein, bis er schließlich gefasst wurde. Ein dramatischer und viel-

schichtiger Stoff, das merkte ich gleich. Er ließ mich nicht mehr los – und so begann ich zu recherchieren. Was hat Sie daran interessiert? Vieles. Zuerst der soziale Hintergrund der »Räuberei«, die Lebenssituation

Der reale »Räuberhauptmann« wurde verfolgt und dämonisiert, der literarische hingegen zum Helden gemacht. der »Zigeuner« (es waren hauptsächlich Sinti) und der »Jauner«, der Jenischen. Sie hatten in der vorrevolutionären Gesellschaft kaum eine Chance auf eine bürgerliche Existenz, sie waren Papierlose, hatten kein Heimatrecht, sie wurden herumgeschoben, aus den Territorien, in denen sie zeitweise Zuflucht suchten, ausgewiesen

und entwickelten oft, um zu überleben, eine starke kriminelle Energie. Der reale »Räuberhauptmann« wurde verfolgt und dämonisiert, der literarische hingegen, wie im Erfolgsroman Rinaldo Rinaldini des GoetheSchwagers Vulpius, zum Helden gemacht. Auch Schiller ist in den Räubern ja nicht frei von einer gewissen Verklärungsbereitschaft. Eine seltsame Diskrepanz. Die Wirklichkeit war, denke ich, viel armseliger und trauriger, als die romantische Phantasie es haben wollte. Im Roman erfahren wir aber auch viel über die andere Seite, über diejenigen, die die Zigeuner verfolgen. Ja, auch die Gegenseite hat mich interessiert, allen voran der Oberamtmann von Sulz am Neckar, Jacob Georg Schäffer, der berühmteste »Räuberfänger« seiner Zeit, der als Erster systematisch Hunderte von Steckbriefen zu Fahndungslisten zusammentrug und sie grenzüberschreitend herumDiogenes Magazin

35


36

Diogenes Magazin

Historische Zeichnung von Hannikel, eigentlich Jakob Reinhardt, Räuber, hinge­ richtet am 7. Juli 1787 in Sulz am Neckar

rungen der multikulturellen Gesellschaft spürbar ist. Nun aber zurück in die Vergangenheit: Wie haben Sie sich in die Zeit von Hannikel und Schäffer eingearbeitet, wie haben Sie für diesen Roman recherchiert? Ich habe mir Schäffers Gauner- und Diebeslisten angeschaut und damit mein Vorstellungsvermögen enorm anregen können. Ich habe mich so genau wie möglich über die Zeitverhältnisse informiert, über das Zucht- und Waisenhaus in Ludwigsburg, über die Schlösser rund um Stuttgart, über die Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland, über die Hinrichtungspraktiken usw. Dazu bin ich gereist, habe mit Fachleuten geredet, mein Notizbuch vollgekritzelt mit Fragen, Fakten, Zeichnungen. Und so hat sich allmählich die Form des Romans ergeben, haben sich die Perspektiven herausgebildet, aus denen ich erzählen wollte. Der ganze historische Hintergrund mit den äußeren Ereignissen ist authentisch beschrieben. Und was haben Sie hinzuerfunden?

Einzelne Figuren, die in den Quellen bloß als Namen auftauchen, habe ich ausgestaltet, ihnen ein eigenes Leben gegeben. Über Wilhelm Grau, den Schreiber des Oberamtmanns Schäffer zum Beispiel, ist nichts Weiteres bekannt. Er wird bei mir zu einer Hauptfigur, nimmt widerwillig teil an der Jagd auf Hannikel, er protokolliert die Verhöre, er ist ein Mitläufer, der nie offen zu rebellieren wagt. Und er setzt sich auf versteckte Weise für Dieterle ein, den jüngsten Sohn Hannikels und seiner Gefährtin, der Frankenhannesen Käther. Aus Dieterles Sicht erzähle ich die Ereignisse auf Hannikels Flucht in die Schweiz, beschreibe den Zusammenhalt des Clans, der gerade im Schreiber Grau viele Sehnsüchte weckt. Das ist alles imaginiert. Es gehört zum Wesen des historischen Romans, dass er danach fragt, wie es gewesen sein könnte, und das widerspiegelt den subjektiven Zugang des Autors zum Stoff. Was »wahr« ist, hängt nicht bloß von den Quellen, den reinen Fakten ab. Der komplexen »Wahrheit« historischer Ereignisse kann man auch mit Hilfe der Intuition nahe kommen, davon bin ich überzeugt. mdw

Buchtipp

Lukas Hartmann Räuberleben Roman · Diogenes

352 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06806-1 MÄRZ 2012

Ein fesselnder historischer Roman, der von den Zigeunerlagern in den Tiefen des Schwarzwalds bis in die Privatgemächer von Herzog Karl Eugen und seiner Franziska führt.

Zeichnung von Johann Baptist Jeele: ›Hannikel‹, 1792: © akg-images

schickte. Er war obsessiv in seinem Drang, das »Gelichter« und »Diebsgesindel« auszurotten. Und in Württemberg kamen solche Menschenjagden dem Landesherrn, Herzog Karl Eugen, zustatten; sie lenkten davon ab, in welchem Ausmaß der Herzog selbst das Land ausplünderte, um seinen verschwenderischen Lebensstil – und seine eigenen »Lustjagden« – zu finanzieren. Der Herzog drängte sich sozusagen in meine Recherchen hinein, er spielt nun auch im Roman eine gewichtige Rolle. Bei der Lektüre von Räuberleben werden auch aktuelle Bezüge spürbar, besonders, was die Situation der Sinti und Roma in Europa angeht. Ihre Verfolgung – mit dem grausigen Tiefpunkt während der Nazizeit – zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der letzten Jahrhunderte. Es ist für die Roma in vielen Ländern Europas immer noch schwierig, sich zu integrieren. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sie an ihrer Lebensweise, an ihrer Kultur festhalten. Und so sind sie unerwünscht. Man schikaniert sie, grenzt sie aus, sieht alle Fahrenden oder Halb-Sesshaften als potentielle Kriminelle. Das sehen wir am Bestreben der französischen Behörden, die Roma zu Hunderten auszuschaffen. Ich war letztes Jahr in der Ostslowakei, wo viele Roma in ghettoähnlichen Siedlungen leben. Auch gebildete Menschen, mit denen wir sprachen, wetterten plötzlich hasserfüllt gegen die Roma, wenn die Rede auf sie kam: Lauter Tagediebe, Faulenzer, Kriminelle seien es, die möglichst viele Kinder in die Welt setzten, um vom Staat Unterstützung zu erschleichen. Es fällt mir schwer, diesen Hass nachzuvollziehen. Was ich da hörte, ähnelt in seiner Vehemenz dem Antisemitismus. Aber zugleich muss ich mir eingestehen, dass auch in mir ein starkes Unbehagen entsteht, wenn ich von Roma umdrängt und angebettelt werde. Das »Fremde«, das die Roma verkörpern, macht ebenso Angst, wie es uns zu faszinieren vermag. Eine Ambivalenz, die heute in allen Gruppie-


140 Seiten Inspiration. DEZEM

B E R 20 11 D E U TS C

H LA N D

4, 80 â‚Ź Ă– ST E R

REICH

S C HW E I Z 9,50 S F R D 4,80 â‚Ź Ă– STE R R E I C H 5,90 â‚Ź N OVE M B E R 2011 DE UTS C H LAN

5, 90 â‚Ź SCHW E

Jeden Monat neu!

I Z 9, 50 S F R SOUV ERĂ„N . FRAU. SEIN.

SOU V E

ein. n.frau.s souverä

12|11

W W W.E

M O T IO

Mein WWW.E M OTI ON.D E finanzie e TÜchter solle ll una n Das alte bhängig sein. deal, da der Man htIs, nic t e n ing b br s E d ie as Geld ss die L lt ä h o S i t heur . verdient, uted e een alles schÜsnz i n DA N A R is ist fßSrC H W E I G E R iko

ch Was siEr lg fo e h c i l eine Frage glßckmich rer Haltung Paade erzählenesse

UNTER

Mein Ah

REISE

R AU. SE

IN.

N .D E

11

10|11

R Ă„ N. F

NEHM

ERIN

OKTO

2011 BER

4,80 â‚Ź â‚Ź hland DeutscĂ–sterreich 5,90sfr z 9,50

Schwei

Ausprobiert: Sex zu dritt Wohnen im Marokko-Style Kate Winslet Ăźber Kindheit Parfums fĂźr besondere Stimmungen

WE IH N EXTRA ACHTS-

TrĂźffel Unterwe & Co.: g dem Foo s mit dscout Liebling Gesche e: nk aus dem e Netz Musik: Klassik-S Neue tars

D

a-Momen

UA RN CH N, B R I T TA HDEI EI DNEAM CH

O LY M P I A S I ETG E R I N

t

Jeden Tag glĂźcklicher!

ich auf!

e auf m

Ich pass

Ein Paa r t h e ra p e u m aElMBI - HurAcimPßhPiabI NeuEtroSrSin! t SpecinSDie sinenlich Sie K neu e Werde T um l me e Zauberräfor s y b

e BaLiebe amdie EinsfĂźr kreichs ran Sind F schlechter? r e MĂźtt

auberr z t s b r e H egs auf de

SCHĂ–NES WO C H E N E N D E !

12

L SI B E LI L I KE K u

„Ich fre s aufEAWAYS michHID rden“ Ă„lter weFĂœR DEN HERBST

MEIN f AH G u A T Na a DAE-M JE e s O s M E p N HTER! IC L K GLĂœC

e Unterw tischen StraĂ&#x; n a Rom BeNeLu

x 6,20 â‚Ź

2ti0-Stxresnsg-

Italien 7,2 0 â‚Ź Spanien â‚Ź 7,20 â‚Ź 7,20 â‚Ź Spanien 7,20 â‚Ź ien 7,20 â‚Ź Span BeNeLux 6,20 â‚Ź Italien n 7,20 â‚Ź Italie x 6,20 BeNeLu

An oachi C zu

Icihch auf!

WI N GE

N

REISE , DĂœFT E S PA - B ESUCH , n e E: g e g

77x

EIT DOSSIE TSAMK . R : FR AU Mit ACHund Burn-out e s s EN Ăœ BE is s INS GLĂœ n e t Str rkenn en RI CK . PLU ueste E rschung nutz Ne S : DIE 5 HR EN SPR COACH o U er F BESTEN ING-TI ausNdG P GELT P FLĂœ ENERGI BE S EN RD F WE ER Ăœ Ă„LT E R V ER Ă„ EZ DOSSIER : WI N G EW I N N U D R. E ME IM R 40. T U NG MIT 30. MI EN

www.emotion.de

NE

m

3 1 1 0 8 4 1 9 7 0 8 3 1 0 4

4 1970 8

3 1048 03

12

MĂśchten Sie EMOTION kennenlernen? Dann bestellen Sie Ihr persĂśnliches Probeabonnement unter www.emotion.de/probeabo Diogenes Magazin

37


Literarisches Kochen

m dunklen Schaufenster eines Souvenirladens spiegelte sich das Licht eines kleinen Restaurants, das noch aufhatte. Ein Blick durch die Tür aus mattem Glas zeigte, dass es in dem Lokal nur eine Esstheke gab, an der ein einzelner Gast saß. Beruhigt schob ich die Tür auf und trat ein. Ich wollte etwas Handfestes essen und sagte mit lauter Stimme: »Einmal Katsudon, bitte!« »Das dauert aber etwas«, antwortete der Besitzer des Lokals, »ich mach es nämlich ganz frisch.« Ich nickte, während ich die ganze Atmosphäre des liebevoll eingerichteten, nach unbehandeltem Holz duftenden Lokals auf mich wirken ließ. An solchen Orten schmeckte das Essen meistens besonders gut. Als ich mich umblickte, entdeckte ich nicht weit von mir ein rosa Gästetelefon. Ich streckte die Hand aus, nahm den Hörer ab, holte, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, den Zettel mit Yuichis Nummer hervor und wählte. (…) »Hallo?«, meldete sich Yuichis Stimme. (…) Seine ruhige Stimme, die ziemlich weit weg klang, sauste durch die Leitung und durch die Nacht. Ich schloss die Augen und lauschte ihrem so lange nicht mehr gehörten Klang. Es hörte sich an wie ein trauriges Wellenrauschen. »Was gibt’s denn da, wo du bist?«, fragte ich. »Ein Denny’s. Unsinn, das war natürlich nur ein Scherz. Auf dem Berg oben gibt’s einen Schrein, der ziemlich berühmt sein soll, und hier unten jede Menge kleiner Gasthäuser und Pensionen, die Tofu-Gerichte servieren. Mönchskost oder so ähnlich nennen sie das. Ich hab es heute Abend mal probiert.« »Mönchskost … Das klingt ja richtig spannend. Was ist das denn?« »Okay, wenn’s dich wirklich interessiert. Erst mal ist alles aus Tofu. Schmeckt gar nicht schlecht, aber wie gesagt, nichts als Tofu. Mit Ei, mit Sojabohnenpaste, frittiert, mit Zitronengeschmack, mit Sesam – alles Tofu. Versteht sich von selbst, dass auch in der Suppe Tofu war, Eiertofu nämlich. Ich hab plötzlich richtig Verlangen nach was Hartem bekommen, nach etwas zum Beißen, und ich dachte mir, zum Abendessen wird’s ja wohl wenigstens ordentlich Reis geben, aber denkste! Aufgeweichten Pappreis in einer Suppe aus grünem Tee haben sie gebracht! Ich kam mir vor wie mein eigener Urgroßvater.« »So ein Zufall. Ich sitze hier auch hungrig rum.« (…) Es war seltsam, aber ich brachte es nicht übers Herz, Yuichi zu sagen, dass ich hier in einem kleinen Restaurant saß und gleich ein Katsudon essen würde. Ich hatte Angst,

38

Diogenes Magazin

ich wäre dann in seinen Augen eine Verräterin, und ich wollte ihn zumindest in der Illusion lassen, auch ich würde riesigen Hunger leiden. Im selben Moment wurde mir alles klar. Ganz deutlich stand es mir vor Augen, so nah, als könnte ich es mit Händen greifen: In dem von Tod umgebenen Dunkel waren unsere Gefühle dabei, in einer sanften Kurve aufeinander zuzustreben. Wenn sie sich jetzt verfehlten, würden sich unsere Wege wieder trennen, würden wir für alle Zeiten nicht mehr als gute Freunde sein. Was ich jedoch nicht wusste, war, wie ich jetzt reagieren sollte. Fast hatte ich das Gefühl, als wäre das gut so. »Wann fährst du denn wieder nach Hause?«, fragte ich. Yuichi schwieg einen Moment, sagte dann aber: »Bald.« Was für ein schlechter Lügner, dachte ich. Wahrscheinlich wird er seine Flucht so lange fortsetzen, bis ihm das Geld ausgeht. Und wahrscheinlich wird ihn dasselbe schlechte Gewissen wie damals bei Erikos Tod daran hindern, mich anzurufen. So ist nun mal sein Charakter. »Also dann, mach’s gut«, sagte ich. »Ja, du auch«, erwiderte Yuichi. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, wovor er eigentlich weglief. »Schneid dir nicht die Pulsadern auf«, sagte ich und lachte. »Okay«, meinte Yuichi und lachte ebenfalls. Dann sagte er »Tschüss!« und legte auf. Im nächsten Moment hatte ich das Gefühl, als wäre alle Kraft aus meinem Körper gewichen. (…) Vor meinen Augen spielte sich etwas ab, von dem ich nicht wollte, dass es zu Ende ging. Und doch geschah das gerade. Und ich konnte weder enttäuscht noch traurig darüber sein. Nur ein unsäglich dunkles Gefühl blieb zurück. (…) Endlich kam mein Katsudon. Ich sammelte meine Kräfte und nahm die Essstäbchen in die Hand. Wer Hunger hat, kann nicht kämpfen, sage ich mir. Das Katsudon sah lecker aus. Ein erster Biss, und ich wusste: Phantastisch! Wirklich phantastisch! »Das schmeckt ganz fabelhaft!«, wandte ich mich an den Wirt. »Das weiß ich«, sagte er und lachte vergnügt. Ich war zwar hungrig, aber vom Kochen verstehe ich etwas. So meisterhaft, wie es zubereitet war, war es nicht übertrieben, dieses Katsudon als Gabe des Himmels zu bezeichnen. Das Fleisch, die Brühe, die Art und Weise, wie das Ei und die Zwiebeln gekocht waren, der etwas körnige Reis – alles perfekt.

Aus dem Japanischen von Wolfgang E. Schlecht

Foto: © Basso Cannarsa / Opale

I

Aus dem Roman Kitchen


Katsudon à la Banana Yoshimoto Zutaten für zwei Personen: – ca. 300 g japanischer Rundkornreis (bei Bedarf mehr) – 2 Schweineschnitzel, je etwa 180 g (in japanischen Supermärkten oft »Tonkatsu cuts« genannt) – 1 Esslöffel helle japanische Sojasauce (optional) – 1 Esslöffel Mirin (süßer japanischer Reiswein) (optional) – 2 Shiso-Blätter julienne (optional) – Salz und Pfeffer

›Katsu‹ ist ein Homophon de s Verbs ›katsu bedeutet. Für ‹, das ›gewinne japanische Schü n‹ ler und Studen zum Ritual ge ten ist es desh worden, vor sc alb hw ierigen Prüfun Katsudon zu es gen oder Exam sen, damit sie en bei der Prüfun g Glück haben. Katsudon fü r zwei Person en

Den Reis koch en und ihn zu gedeckt beisei Die Schweinsko te stellen. teletten mit So ja, Mirin und sie ungefähr dr Shiso mariniere eißig Minuten n und liegen lassen (o Marinade: nur der als Alternat salzen und pfef iv e zur fern). Die Kot papier trockent eletten mit Hau upfen, dann m sh al tsit einem Fleischk Das Fleisch m lopfer plattiere it Maisstärke be n. st äuben, ins gesc und im Panko hlagene Ei tunk wenden, bis es en eine dicke Kru Die vorbereite menschicht au ten Koteletten fweist. 2 – 3 Minuten ru hen lassen. Zum Panieren: Eine großzügi ge Menge Öl au – 6 Esslöffel Maisstärke f eine mittlere Temperatur (1 Buchtipp 70 Grad) erhitz – 1 geschlagenes Ei en . Jedes Kotelet einzeln frittiere t n, bi s es goldbraun – genügend Panko ist, dabei einmal w enden (ca. 4 – 6 Minuten (japanische Brotkrumen) pro Stück). Dan ach das Fleisch (ca. 330 g) auf saugfähige Haushaltspapi s er legen und kr eu zweise in 1 ½ -Zentimeter -Stücke schnei Öl zum Braten (z. B. Maisöl) den. Den gekochten Reis in zwei Schüsseln geben. In jede Schüssel ein K otelett auf den Reis legen. Zwiebel-und-Ei-Garnierung: – ca. 3 dl Dashi Dashi, Mirin un d Sojasaucen ve (japanischer Fischsud) rmischen. ½ Esslöffel Öl in einer Bratp fa – 3 ½ Esslöffel Mirin nn e erhitzen und die Hälfte der vorbereiteten Banana Zwiebelringe – 1 ½ Esslöffel helle japanische hoher Hitze sa auf Yoshimoto utieren, bis sie glasig werden. Sojasauce Die Hälfte der Kitchen Dashi-Mirin-S oj – 1 ½ Esslöffel dunkle japanische Diogenes a-Mischung beifügen und sie zum Köche ln Sojasauce br ingen. Die Hälfte der Frühlingszwie beln dazugebe – ½ mittelgroße Zwiebel, geschält Zuletzt di Diogenes Taschenbuch n. e Hälfte der ge detebe 22700, 208 Seiten schlagenen Eie und in Ringe oder Halbmonde köchelnd r über die en Zwiebeln ge ben. Sobald da geschnitten Die Küche ist Aggies liebster Platz stocken beginn s Ei zu t, umrühren. D auf der Welt. Egal, ob sie blitzblank as – 1 Esslöffel Öl E i soll noch etwas flüssig se in, wenn Sie di oder wie ein Schlachtfeld aussieht, e – 2 Frühlingszwiebeln G ar nierung über eine der beiden Reisschüsseln ob es darin duftet oder ob einfach nur ge (vorzugsweise japanische), be n. Das Ganze mit den übrige n Zutaten wie der Kühlschrank brummt. Für Aggie de rh in 4-Zentimeter-Stücke ol en. Das Gericht so ist die Küche eine Insel, auf die sie fort servieren. geschnitten js mit einem Rettungsring um ihre Seele – 4 geschlagene Eier immer wieder zutreibt. Ein Roman über den kleinen Hunger nach einer warmen Mahlzeit und dem großen Hunger nach ein wenig Lebensglück.

Im nächsten Magazin: Kaschk Bademian à la Anthony McCarten Diogenes Magazin

39


Bücher ohne Risiken und Nebenwirkungen: 40

Diogenes Magazin

Foto Röntgenbild: © ICE – Fotolia.com

»Wenn es mir schlechtgeht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.« Philippe Djian


Thema

Lesen Sie sich gesund! Mit Bibliotherapie, Büchern, die helfen, dem kleinen Nick und Arztromanen Atemtherapie, Coaching, Netzwerk-, Mal- oder Gestalttherapie … Wem es seelisch schlechtgeht, der sieht sich zusätzlich noch dem Problem gegenüber, welche der vielen möglichen Therapien für ihn wohl die beste ist. Warum tun wir also nicht einfach das, was wir sonst auch tun, und greifen zum Buch?

Illustration: © Klaudia Kampa

Hinter dem Begriff ›Bibliotherapie‹ steckt die einfache Erkenntnis, dass Bücher heilen können. Vor allem in den USA und in Skandinavien wird die Bibliotherapie bereits erfolgreich in Institutionen wie Kliniken, Schulen, Gefängnissen, Rehabilitationszentren, Beratungsstellen, Kinder- und Altersheimen eingesetzt. Und nun immer mehr auch im deutschsprachigen Raum. Die Zürcher Bibliotherapeutin Karin Schneuwly erzählt in einem Interview von der fast magischen Wirkung von Wörtern und Geschichten. Aber beim Thema Krankheit darf auch praktische Hilfe nicht fehlen – und das ohne Voranmeldung, ohne Wartezimmer und völlig kostenlos. Egal wie schwer die seelischen oder körperlichen Gebrechen sind, Bücher, die Krankheiten ernst oder auch ironisch thematisieren, können helfen. Daneben gibt es spannende Lesetipps für die nächste Grippe, wenn man endlich im Bett bleiben kann und Zeit zum Lesen hat, und Arztromane der besonderen Art. Da schließlich Lachen gesund hält, gibt es noch eine Geschichte vom kleinen Nick, in der er zwar krank ist, aber sich doch pudelwohl fühlt. Diogenes Magazin

41


Interview

Bibliotherapie Besuch bei Dr. Buch

Diogenes Magazin: Was ist Bibliotherapie? Karin Schneuwly: Bibliotherapie bezeichnet die Therapieform, die sich die Kraft der gestalteten Sprache und der Geschichten zunutze macht und sich aufs Lesen stützt. Das kann ein Kriminalroman sein, ein Gedicht oder eine Liebesgeschichte, es ist das Lesen und das, was beim Lesen oder auch Hören von Geschichten passiert, das den therapeutischen Prozess in Gang bringt. Geschichten können sehr vieles: Sie können Entlastung oder Trost bringen, Möglichkeiten des Denkens und Handelns aufzeigen, Mut geben, Gefühle wecken, Erfahrungen vermitteln und Sinn stiften. Die Sprache kann uns alle in die Lage versetzen, mit den Augen eines anderen zu sehen. Sie wird also in der Bibliotherapie zum Erkenntnisinstrument für 42

Diogenes Magazin

das eigene Wahrnehmen der Welt und das Leiden an und in ihr. Woher kommt das Konzept, wer hat es erfunden, geprägt? Das ist schwer zu sagen, weil sich die Bezeichnungen für das Arbeiten mit Literatur immer wieder geändert haben. Ich würde sagen, die Anfänge der Bibliotherapie gehen zurück ins 19. Jahrhundert, als das Lesen einen festen Platz in der Medizin bekam und man begann, in Krankenhäusern Patientenbibliotheken einzurichten. Aber schon in der Antike gehörten Literatur und Heilung zusammen: Apollon ist der Gott der Dichtkunst und der Heilkunst, und auch die Katharsislehre von Aristoteles kann als Quelle der Bibliotherapie betrachtet werden. Hinter dem Ansatz steckt jedenfalls der Gedanke, dass das emotionale Leben des Menschen zentral für

seine Gesundheit ist. Zwei amerikanische Psychoanalytiker und Psychiater, Arthur Learner und Jack J. Leedy, haben in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts dazu beigetragen, dass Bibliotherapie – oder englisch Poetry Therapy – heute an verschiedenen Universitäten und Instituten gelehrt wird. Sie gehört, wie die Musikoder die Maltherapie, zu den Kreativtherapien. Was geschieht genau in einer Beratungssitzung? Watzlawick hat in seinem Buch Anlei­ tung zum Unglücklichsein sehr schön skizziert, dass die Konzentration auf ein Problem immer nur noch mehr desselben ist und somit die Situation verschlimmert. Mit einem Gespräch über ein Buch geschieht eine Ablenkung, weg von dem bestimmten Problem. Es geht in dem Gespräch nicht

Foto: © Ayse Yavas

Es braucht nicht immer ein Ratgeber zu sein, wenn das Herz schmerzt, die Motivation dahin ist oder das Leben einfach gerade keinen Spaß macht. Greifen Sie zu einem Roman! Der kann Ihr Leben, Ihre Sicht auf die Welt und damit auch Sie selbst nachhaltig verändern. Doch welcher Roman hilft in welcher Krise? Hier kann Karin Schneuwly helfen. Die Bibliotherapeutin hat immer das helfende Buch zu Hand. Dem Diogenes Magazin erklärt sie, wie dieser Beruf entstand und was ihn ausmacht.


Illustration: © Archiv Diogenes Verlag

darum, dass ein Patient das Buch be- Weit wichtiger als Kategorisierungen über das Lesen lernt man ein eigenes wertet, sondern darum, in Sprache zu wie »Ich habe Liebeskummer, ich Bewusstsein und seine Mechanismen fassen, was das Gelesene mit dem ei- habe eine Depression oder eine besser kennen. Außerdem ist die Bibgenen Leben zu tun haben könnte, zu Angst« ist mir zu erfahren, wie eine liotherapie sicher eine gute Begleitformulieren, was ihn berührt oder be- Not erlebt wird, was ein Mensch über therapie zu einer medizinischen oder unruhigt hat. Und plötzlich hat sich dieses Erleben zu sagen hat. Die per- psychotherapeutischen Behandlung. die Blickrichtung um 90 oder sogar sönliche Erlebenswelt ist etwas, das Gibt es Situationen, in denen Sie 180 Grad verändert und allerlei Neues sich immer wieder verändern und an- nicht weiterhelfen können? gezeigt. Das ist tatsächJa natürlich, das Nichthellich so, denn die Literatur fenkönnen gehört zum zeigt Möglichkeiten auf, Menschsein, und manchdie in einem Individuum mal geht es auch darum, stecken. Aber ein gutes dem ins Auge zu schauen Gespräch zwischen zwei und etwas auszuhalten. Personen ist ein KunstMir geht es ja manchmal stück, und das Gelingen auch so. Ich lese die Büist letztlich nicht durch cher mit, und sie machen Befolgen von Rezepten auch etwas mit mir. Es gibt erreichbar, sondern durch auch Leiden, die das Lesen aufmerksames Hinhören eines Buches verunmögliund Hinschauen. chen oder schwieriger maWer kommt zu Ihnen? chen. In einer schweren Mit welchen Problemen, Depression zum Beispiel Themen? kann jemand keine Bücher Bibliotherapie eignet sich lesen, da muss man warten, für Menschen, die sich in bis sich eine Öffnung ereiner Krise befinden oder gibt. mehr über sich selbst erWie finden Sie das richtifahren wollen. Ich befinge Buch für Ihren Patiende mich ja noch in der ten, wie treffen Sie seinen Ausbildung, und deshalb Geschmack? kommen bisher MenNur der Patient selbst schen zu mir, die ich über weiß, was für ihn wichtig, mein Beziehungsnetz gespannend oder bedeufunden habe. Die meisten tungsvoll ist. Ich versuche von ihnen haben schon deshalb in einem Gespräch vorher viel gelesen oder möglichst viel darüber zu mit Sprache zu tun erfahren. Ich möchte wisgehabt. Die Themen fühsen, welche Geschichten – Bücher können Medizin für Leib und Seele sein – so der Ansatz ren oft schnell von einer ich meine damit auch der Bibliotherapie. Und vielleicht sollte jeder Arzt auch Romane und konkreten Not wie Liemündlich Erzähltes – jeErzählbände in seinem Arztkoffer dabeihaben, oder unter seinem Arztkittel, wie der Medikus auf diesem kolorierten Stich von Martin beskummer, Antriebslomanden berührt, inspiriert Engelbrecht aus dem 18. Jahrhundert. sigkeit oder der Überoder Bilder in ihm geweckt zeugung, gegenüber den haben. Ich höre dabei geeigenen Ansprüchen fundamental un- passen kann, weit mehr, als uns be- nau zu, mit welchen Worten, Formuzulänglich zu sein, zu unserem allge- wusst ist. Die Literatur hilft uns dabei, lierungen und Metaphern die Person meinen Menschsein: zur Einsamkeit, dieses Potential zu entdecken. mir das erzählt. Meine Aufgabe ist es zum Tod und der Frage nach dem Wie lange dauert eine »Behandlung« dann, zum Lesen eines Buches zu verSinn des Lebens. in der Regel? führen. Die Lust spielt, wie in so vieWie gehen Sie vor? Die Bibliotherapie setzt auf die Selbst- lem, auch bei der Auswahl eines BuIch frage, wo der Schuh drückt, und heilungskräfte eines Menschen, sie ist ches eine Rolle. In dem Gespräch mit diese Frage ist der Anfang einer unge- also bezüglich der Dauer sicher eine einem leidenden Menschen geht es schriebenen Geschichte zwischen vernünftige und zukunftsträchtige darum, diese Lust, die nach meiner zwei Menschen, die Sprache benutzen Form der Therapie, aber vor allem Überzeugung in jedem von uns steckt, und von Sprache benutzt werden. auch eine Form der Prävention, denn zu finden oder wiederzufinden. Diogenes Magazin

43


Wie muss man sich den Beratungsraum vorstellen: eine riesige Bibliothek voller schöner Bücher? Das ist wahrscheinlich die Regel, aber durchaus kein Muss. Ich kann mir auch einen Spaziergang oder ein Gespräch auf einer Bank im Grünen vorstellen. Räume spielen eine große Rolle für das Befinden eines Menschen, und Bibliotheken sind da sicher nicht die schlechtesten. In Romanen ist die Bibliothek oft der Ort, wohin eine Figur sich zurückzieht, um eine andere sein zu können, als sie es in Gesellschaft von Menschen ist. Wie sind Sie zur Bibliotherapie gekommen? Zuallererst über das Lesen von Büchern. Ich habe beim Lesen schon früh selbst erfahren, dass Wörter und Geschichten eine fast magische Kraft haben können. Manche Romane oder Erzählungen spiegelten einen Teil von mir, der mir unbekannt war, oder beschrieben im Gegenteil etwas genau so, wie ich es erlebt habe, als hätte der Autor in mich hineingesehen. Das Buch ist der Ort, wo ich mich wirklich frei erfahren habe, da gab es keine Grenzen. Nach meinem Germanistikund Philosophiestudium habe ich mehrere Jahre im Literaturhaus Zürich gearbeitet. Dort habe ich erlebt, dass es auch anderen Menschen so erging, dass auch sie durch Bücher auf die Dauer angeregt und verändert wurden. Die Schriftsteller haben mit ihren Geschichten bei den Anwesenden im Publikum eigene Geschichten in Erinnerung gerufen, sie ihnen ins Bewusstsein gebracht und sehen gemacht, was sich damit alles anfangen lässt. Ich habe dann nach Begriffen gesucht, die diese Vorgänge bezeichnen. Jetzt mache ich die Ausbildung in Kunsttherapie an der EGS in Saas Fee. Gibt es Ausbildungen zum Bibliotherapeuten/zur Bibliotherapeutin? Wie sieht eine solche Ausbildung aus? Im deutschsprachigen Raum ist die Bibliotherapie längst nicht so verankert wie in den USA. Am Fritz Perls Institut in Düsseldorf gibt es den 44

Diogenes Magazin

Lehrgang in ›Integrativer Poesietherapie und Bibliotherapie‹. Die Ausbildung richtet sich an Pädagogen, Seelsorger, Psychotherapeuten und Angehörige pflegerischer, medizinischer und sozialer Berufe; sie dauert drei Jahre und umfasst Selbsterfahrung, Theorie und Praxis. Gibt es viele Bibliotherapeutinnen und -therapeuten in der Schweiz? Es gibt in der Schweiz mittlerweile einige sehr gute Kunsttherapeutinnen und -therapeuten, aber es gibt meines Wissens wenige, die sich ausschließlich auf das Arbeiten mit Literatur konzentrieren.

Ich möchte wissen, welche Geschichten – ich meine damit auch mündlich Erzähltes – jemanden berührt, inspiriert oder Bilder in ihm geweckt haben.

Welches sind Bücher, die Ihnen bisher besonders geholfen haben, und in welchen Situationen? Als Studentin war ich elendiglich verliebt in einen älteren Mann. Meine Liebe war obsessiv, ich konnte monatelang an nichts anderes denken, sonderte mich von allen Mitmenschen ab, blieb daheim und wartete auf die glückhafte Stunde eines Anrufs. Es nützte nichts, wenn ich mir die Logik der Wirklichkeit vor Augen hielt und mir eingestand, dass mir der Mann im Grunde gar nicht gefiel – ich war völlig festgefahren. Ein Bekannter gab mir Maughams Der Menschen Hörig­ keit zu lesen; die Geschichte hat mir einen Spiegel vorgehalten und mich gleichzeitig getröstet, denn ich teilte meinen Kummer mit dem armen Philip Carey. Es war für mich wichtig zu merken, dass ich nicht die Einzige war, die solche, wie ich meinte, abnorma-

len Gefühle hatte. Aber während ich die 800 Seiten las, geschah auch etwas anderes: Ich machte die Erfahrung, für die Dauer der Lektüre mit etwas anderem beschäftigt gewesen zu sein als mit meinen immergleichen kreisenden Gedanken. Die Lösung des Problems hat sich so durch die Hintertür von selbst eingeschlichen. Bei anderen Gelegenheiten lese ich immer wieder in Musils Mann ohne Eigenschaften. Er erinnert mich daran, dass es nicht nur Wirklichkeiten, sondern auch Möglichkeiten gibt. Welches Buch ist besonders beliebt bei Liebeskummer? Ein Ursache-Wirkungs-Denken halte ich im Zusammenhang mit Literatur generell für falsch, aber um das angebotene Spiel mitzuspielen, empfehle ich den Klassiker Über die Liebe. Stendhal beleuchtet darin mit viel Humor alle möglichen Schattierungen unseres Bedürfnisses, zu lieben und geliebt zu werden: Begierde, Eifersucht, Selbstliebe – alles kommt vor. Und dabei zeigt er auch mögliche Wege auf, den schmerzvollen Seiten der Liebe entgegenzutreten. Diese Lektüre lässt einen ein wenig melancholisch zurück, deshalb sollte man gleich zum nächsten Buch greifen: zum Beispiel zu Carson McCullers’ Ballade vom traurigen Café. Dabei wird man aufgefordert, darüber nachzudenken, was Liebe für einen selbst bedeutet – unabhängig vom Blick der Gesellschaft. Bei Stress, bei Depressionen, bei Selbstzweifeln, bei Trauer, bei anderen Dingen? Gut, weiter im Spiel: Bei Stress empfehle ich Alan Bennett, Die souveräne Leserin. Dieses schmale und witzige Buch führt einem vor, wie selbst die Queen, die weiß Gott einen Haufen Arbeit hat, Energie und Inspiration aus Büchern gewinnt, damit sie sich nicht in einer Rollenerwartung verliert. Bei einer depressiven Störung könnte man vielleicht einmal die Bergfahrt von Ludwig Hohl lesen, er war selbst ein großer Melancholiker, und gegen Traurigkeit hilft, so sagt man, Traurigkeit. Bei Selbstzweifeln


Illustration: © Jean-Jacques Sempé

empfehle ich das im deutschen Sprachraum erst seit kurzem zugängliche Buch Dem neuen Sommer ent­ gegen der Neuseeländerin Janet Frame. Die stark verunsicherte Erzählerin zeigt darin auf, wie schmerzhaft es ist, wenn sich der Blick von außen zu sehr in den Vordergrund drängt. Bei Trauer: Siri Hustvedts Roman Al­ les, was ich liebte. Dosierung: 1 Stunde täglich. Können Sie einkreisen, welche Art von Literatur, welche Bücher für Bibliotherapie »taugen«, oder kann jedes Buch helfen? Es geht gar nicht so sehr um bestimmte Bücher, vielmehr um den Prozess des Lesens und damit um die Frage: Was geschieht beim Lesen mit mir, was für Gefühle, Gedanken, Bilder werden in mir geweckt? Wir lernen beim Lesen auch eine spezifische Art des Verweilens, ein Verweilen, das nicht langweilig ist. Je mehr wir uns auf ein Buch einlassen, desto spre-

chender, vielfältiger und reicher erscheint es und mit ihm auch wir selbst. In meinen Augen helfen Bücher, die mich auf meine eigene Aufmerksamkeit aufmerksam machen. Was kann Literatur, was Ratgeberliteratur nicht kann? Ratgeberliteratur setzt das Lesen lediglich funktional ein, nämlich um Wissen zu vermitteln. Das ist oft ein guter Einstieg in ein Thema, aber die Ratgeberliteratur vernachlässigt das Erleben des Einzelnen und setzt auf eine Allgemeinheit, der man selbst nie wird entsprechen können. Literatur hingegen zeigt auf, dass das Leben eines Individuums aus unzähligen miteinander verwobenen Geschichten zusammengesetzt ist. Und in ihr sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Ganzes erfahrbar. Sie bietet eine Möglichkeit, das Fenster zu öffnen und unseren ganzen Erfahrungsschatz einander sichtbar zu machen. js

Buchtipp

Carson McCullers

Die Ballade vom traurigen Café Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 20142, 128 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

In der flirrenden Hitze eines trostlosen Örtchens treffen drei Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein können. Zwischen ihnen entspinnt sich eine tragische Dreiecksgeschichte, die an die elementaren Bedingungen der menschlichen Existenz rührt. Ein kleines Buch von großer Poesie.

»Wir haben doch alles, Martha, um gücklich zu sein.«

Diogenes Magazin

45


Erste Lese-Hilfe

Wo Bücher helfen Eine literarische Hausapotheke mit Lesetipps, die bei seelischen und körperlichen Gebrechen Linderung und Trost spenden können, und sei es nur deshalb, weil sie offen vom Kranksein erzählen. Ganz im Sinn von D. H. Lawrence, der sagte: »Bücher können uns von unseren Krankheiten erlösen.«

Leon deWinter Hoff Hof ffma ffman man nss Hunger Roman · Diogenes

Übergewicht ving John Ir ilde Die wichte Gesch vom ker trin Wasser Roman

es

· Diogen

robleme P e h c s Urologi chichte

s wilde Ge ent: Die Medikam Wassertrinker vom n Irving Von: Joh eiten 6S Dosis: 49 ttengang em Toile d je i e B ung: d Bogus Anwend denen Fre tsnutzes la e b h c u ich s fl , eines N hichte de die Gesc und Schwindlers t is s ie Inhalt: D es Schlawiners ein rsätze. Trumper, guter Vo d n u te meine e arm Ich kann . h ic voller Ch e ische rt unspezif atte erwide zifisch‹, al ist es e m p h al h s c n m n u a in t ›Es is ut. ›M titis. E Probe: » eschichte sehr g ezifische Prosta « te.‹ nsp itsg Geschich Krankhe war es u , einmal war eine andere is th ri th Ure r das onen, er – abe alluzinati ürfeltes H ich Tripp d n u it engew klichke tale Wir Ein bunt zusamm ork ru B » : g n Y s. Bewertu ntum und Patho ime, New nheit.« T nte ö h ia c d S ö eir m e o K end i Krankh on erheb z hilft be n a d y ir o w Muster v rm tt La liest, Örtchen ronie sta : Selbsti m stillen ein. g e n d u f k u ir a Nebenw er hauptsächlich wegzukriegen s ort :W en ten. Und upt nicht mehr d 496 Seit e 22445, a rh e b ch, deteb u b n e jetzt ü h sc s Ta Diogene

46

Diogenes Magazin

Medikament: Hoffmans Hunger Von: Leon de Winter Dosis: 416 Seiten Anwendung: 3 – 7-mal täglich (bei jeder Heißhungerattacke) Inhalt: Felix Hoffman, niederlä ndischer Botschafter in Prag, der seinen leiblichen Hunger in Fres sgelagen und seinen metaphysischen Hunger mit Spinoza still t, trifft auf Freddy Mancini, Zeu ge einer Entführung, und John Ma rks, einen amerikanischen Ostblockspezialisten. Probe: »Seine spezielle Art von Hunger wurde zusammen mit dem ersten Menschen geboren , vor vielen tausend Jahren, als Hunger und Angst noch ein einziges Wort waren. Mit vollgeschlagenem Bauch fühlte er sich wie der erste Mensch, der sich in der afrikanischen Sav anne aufrichtete und droben über dem Gras gestraft wurde durch die Abwesenheit Gottes. Bang vor allem, was da kommen sollte.« Bewertung: »Diät mit Spinoza . Ein spannender philosophische r Thriller.« Die Woche, Hamburg Nebenwirkungen: Die Erkenntn is, dass es womöglich nicht physischer Hunger ist, wenn der Magen rumort, sondern eine seelische Misere. Diogenes Taschenbuch, detebe 22831, 416 Seiten


Con Palmneie n I. Ischa M. M

In Mar eijer gine In Mem oriam

Diogen

es

Banana o Yoshimot r Mein Körpes weiß alle chten Dreizehn

Geschi

Diogenes

rung der e s s e b r e V Zur erlichen p r ö k d n u seelischen ssung Verfa

r weiß alles Mein Körpe t: en am ik Med a Yoshimoto Von: Banan eiten Dosis: 208 S hte täglich genügt chic es G ne : Schon ei Anwendung cht r Verstand ni ründe, die de G er al es m di ch n an Fade Herz hat m s ist der rote mbrüchen und Inhalt: Das r Körper. Die U de en er ch is ab l el kennt – woh e alle mit se di , en ht ic Gesch poetischen haben. ionen zu tun at tu si Grenz rt er rasend wird, verlie g ri ge z. lä tt sch be fast das Her enn ein Men n brach mir he se zu en Probe: »W an eb it rchl ontur. Das m er wieder du schnell an K schheit imm hlte mich en fü M nd e U di n il. de st daran te lb Ein Prozess, se h aus der ic s nun nahm de ich alle d ür w un s e, al st so us m eg, ürdig weit w dabei merkw .« hten : Ferne beobac uns gesund oto schreibt im Weg n sh de Yo a : »Banan eschichten Bewertung m Buch mit dreizehn G ihre Sie weist in ck.« lung und Glü arburg ei th bs zu Sel kritik.de, M ur at er lit / t rd ha Lisette Geb nen n auf die klei eres Hinhöre au en G : n e kung Nebenwir Körpers. 8 Seiten s de le be 24154, 20 Signa nbuch, dete

Tod des Partne rs

Medika m Von: Co ent: I. M. nnie Pa lmen Dosis Anwend : 400 Seiten ung beim kle insten Z : Nach Bedarf – iehen in Inhalt: der Herz Connie gegend P a überras lmens L chend a ebenspa n einem rtner Isc Auseina Herz ha Meij nd er s einem T ersetzung der A infarkt. I. M. is t die be tirbt odesfall u torin mit wegend , der sie e in e e rg beinahe selbst v roßen Liebe un Probe: d ernichte »Ich ma t. che die Ich scha Trauer z ffe ur Vollze außerha es tagsüber n itbes ic lb von d er Wohn ht, mich länger chäftigung. a ung in d er Rees ls eine Stunde Bewer traat au tung: »I. fzuhalte M Verlust n.« einer gro . ist der Versuc h ß , und wu e d n u rc L ie h be zu üb das Sch nde erle reib ringen m rschön zugleic h, dass ben. Das ist so en den uss.« A man be furchtba nne Zub im L r er / Amic a, Hamb esen nach Ate Neben m urg wirkun ge Raubt e inem de n: Heftiges, ab n Atem. e Ein Tros r befreiendes S tbuch fü c Diogene r alle Be hluchzen. s Tasche tr nbuch, d o ffenen. etebe 2 3287, 400 Seit en

sche Diogenes Ta

t hat), ngestell a s a tw n er e ht, wen ann nic schichte. d r u (n so Ge einfach lustige viele dig rot, o traurige wie n tä s en wie d in könn sel wir ebens e , s ie e t K s g ü lo in n it « erg ine ze Benjam urde rot. g und v Inhalt: chen ihn aus. E uso lusti Krankheit: Er w a n , e la g e e ie allen l hätt amen und all ählt er s ilie.« in Kiese an einer selts rz m e ja e n d e n Fam Gru ine B litt er doch im h für die ganze »Der kle h leider indern, c Probe: der auch. Doc K u B n e in d e, e hte Kin en würd Geschic andere lt seine ltmodisch kling h ä rz e a pé nicht so g: »Sem öten r r wertun wäre, wenn’s E e B s e Buch sch rbuch und sein Zeitung ein. Chroni l enes Hö e s ie rt Anderss K a als Diog g er m in h tt c u m u z tu a t ja S , u n e 9-7 M 57-0654 pé ment: B sender 978-3-2 Medika n-Jacques Sem g: Wach n n, ISBN u e k in e ir L a , w en Von: Je : 160 Seiten Neben 160 Seit Dosis e : n g e n s u h Anwend l. Auch Erwac en. erd piege w S u z n e t d hne ro o lick in , B n m fe e u d Bei je uch ka dieses B 47 Diogenes Magazin können e einer schicht Die Geeundschaft Fr es

Illustrationen: © Patric Sandri

Diogen


a Bananoto Yoshim Sly Roman

Christty y Brown Mein linkerF Fu F uß ß

es

· Diogen

ktion HIV-Infe

ent: Sly Medikam shimoto a an Yo Von: Ban 6 Seiten ern Dosis: 17 n Kranken, sond e d r fü e t d h n reu ung: Nic en und F Anwend ngehörig A e in e s für Seine ositiv ist. edanken -p IV H r e ass en G ahren, d übsinnig hi hat erf seinen tr ise in ein Land, s n a k ih a , T n : Inhalt icht dara iner Re od denken n erreden ihn zu e mit Leben und T b hen Freunde h ü ic ti ie s egt, r mys sc ssen. S dazu bew n, dem Land de s zu überla e it e w ypte kein z nach Äg das wie usetzen: rz n. e te d o n T a r in e ause eich d R d .‹ n u n e IV-positiv . Grabstätt ashi ist H k um a r T e : m m Zim daru , es geht mmung im elte durch den o ti ls S ›A ie » d : Probe schlug nen wirb Moment n Emotio In diesem ender Strom vo m, ord osphäre. fort: ›Äh Ein überb erkehrte die Atm ternder Stimme zit dv Raum un ich und fuhr mit te g ‹« a ? s n e ‹, ›Aha mach sser ist, al Musik ss es be a d soll ich m , reis in e reundesk wussts : Das Be -Erkrankung im F n e g n u irk ids Nebenw rlich mit einer A h e eiten d n u n 35, 176 S offe tebe 234 e d . , n ch e u nb umzugeh s Tasche Diogene

Diogenes

Behinderung Medikament: M ein linker Fuß Von: Christy Br own Dosis: 192 Seite n Anwendung: M ehrmals täglich lesen, bis man einmal von Herzen gela cht hat Inhalt: Die erst aunliche Geschi chte von Christy Dublin fast völli Brown, 1932 in g gelähmt gebo ren, der in eine gesteckt werde Irrenanstalt n soll. Seine M utter kämpft fü und Behörden. r ihn gegen Ärzt e Probe: »Da stan d er auf dem Fu ßboden vor mir. plumpen wacke Zittrig, mit ligen Seitenlinie n und einer sehr Mittellinie. Aber ungeraden es war der Buch stabe ›A‹. Ich bl Ich sah einen Au ickte auf. genblick lang da s Gesicht meine Tränen auf ihre r Mutter, n Wangen. Dann bückte sich mei hob mich auf se n Vater und ine Schultern.« Bewertung: »C hristy Brown w ar spastisch ge die Muskeln se lähmt, unfähig, ines Körpers zu bewegen. Nur Zehen seines lin die ersten beid ken Fußes geho en rchten seinem tippte er seinen Willen. Mit ihne Weltbestseller.« n Brigitte, Hambu rg Wirkungen: Ei n frühes, umso beeindruckende für die Intergra res Plädoyer tion von Behind erten. Macht Be und Familienmitg troffenen liedern Mut, au ch durch Christy unerschütterlich Browns en Humor und Op timismus. Diogenes Tasche nbuch,

Martin Small WSuter orld Roman

· Diogen es

Alzheim er

Medikam ent: S Von: Ma mall World rtin Sute r Dosis: 3 3 6 Seiten Anwend u n g : 1- ma wenn die Verzweif l täglich, lung ü Erkrankte n zu gro ber den ß wird

ls Dioge nes Hörb uch

48

Diogenes Magazin

detebe 22768, 192 Seiten

Inhalt: E rst sind es Klein Kühlsch igk rank. Ba ld vergis eiten: Konrad L ihm die ang legt st er den Krankhe aus Vers N it – Alzh eh eimer – amen der Frau, die er he en seine Briefta raubt, de Probe: iraten w s sto stärk »Konrad ill. Je m che in den er komm , de aufgehö ehr Neu en frühe rt hatte, r, als sie sich ke gedä s te Erinne auc nn Sachen, rungen a chtnis bis sie s h gepflegt gew enlernten, imme uf. ie in irkt r elegan seltener. t und, na Seine Fin die Wäsche od hatte, begann s c hd ich zu ve er ge als sie ih rnachläs em er mit dem n in eine rnägel waren u die Reinigung g T sigen. E ngepfleg m Anflu ab. Er ra Nägel zu r trug die rinken g vo sie t, und als schneide selben sie ihn d rte sich schlech n, stellte n Ärgerlichkeit in der H t arauf au (etwas, and und was ihr fmerksa und immer hatte ke sich heraus, da immer ö m mach ss er es ine Ahnu te, fte nic ng, was Bewertu er damit ht konnte. Er s r passierte) bat, nein, n tand da tun sollte Geschic g: »Martin Sute mit der N sich die .« hte rs Roma agelsche n ist kein schöner, eines Alzheime re e Besch r-Patien all das g re te ib leichzeit n u , n is g t e nicht Kri ig und n mi und n ines klinischen F och viel Nebenw ich alle mehr.« irkung: R oger An t Gesellschaftsro s, ist nicht die Mensch T deregg / en langs rost und Verstä Sonntag man – er ist, vie ndnis fü am verlie sZeitung l r die Betr ren, sch , Zürich offenen on vor s einem T u Diogene n d ihre A s Tasche od. ngehörig nbuch, d en, die e etebe 23 088, 336 inen lieb Seiten, a en uch a


Molière

Der ein gebi Krankeldete Die Ga unereie des Scap n pino Deutsch von Ha

ns Weige l

Diogen es

Hypocho ndrie

Medikam t: Der ein gebil Von: Moli dete Kranke ère Dosis: 16 Anwendu 0 S e iten ng: 1-ma l tägli damit es erst gar n ch vor dem Aufs te icht anfä ngt zu zw hen, Inhalt: U icken mgeben von zahll dabei krä osen Arz ftig neiflasch der von ta ausgebeutet von en, ›umso m usend ein rgt‹ und gebildete edizinischen Sch bedauern arlatanen n swert wie Leiden ge , ist unerträgli plagte Arg ch. an ebens o Probe: » Toin viel Spaß ette: Der Herr M agister u mit Ihrem nd der He Körper. D Herren. Ic rr ie beste h möchte Melkkuh Doktor haben die Dokto eigentlic sind Sie ren gern h fehlt, d für die ein ass Argan: S chweig, u Sie so viele Med mal fragen, was Ih se ikamente ngebilde n Sache, d tes Gesc brauchen en ie ärztlich höpf, es . en Versc is tn hreibung en zu bek icht deine Nebenw ritteln.« irkunge n: Niedri Placebo-E gere Arztr ffekt. echnunge n – ohne Dio genes Ta schenbuch , detebe

20205, 1 60 Seiten

Anthony McCarten Superhero Roman · Diogenes

ak Ida Cermge Ich klat nich

ngen mit Begegnu in Selbsteit der Krankhgnissen zeu hen cher Mensc schöpferis

e · Goethetzsche Freud · Gid · Nie ne · Kafka Gorki · Hei · Pascal · Proust G Novalis · Stif ter u. a. ffter Rilke Sti

Diogenes

Illustration: © Patric Sandri

Krankheit e nicht nt: Ich klag Medikame a rm k Von: Ida Ce en eit S richt Dosis: 336 Krankenbe in e ch li g ä T : g Anwendun en wie he Mensch sc ri fe p ö h , wie sc , Mansfield t zeigt auf, klage nich afka, Keats K h he , Ic ic e : rl in lt e e a rp H h , In Goethe ke ihre kö , il e R id r e G men, d d o u , ob Zusam al, Proust etwa Fre Frage nach valis, Pasc r o d e N il d , b t e lt h h e e g sc Nietz ihrem W en, und erlebt hab Leiden und g n n e h ku ic n rl ra e Erk körp chen ihrem hänge zwis ge kann bestehen. ? Diese Fra it e kh n ra K rten. Dem nt seine st beantwo t der Patie lb b e se rl e e d n ie e Probe: »W sondern nur der Leid rzt, Wort zu.« nicht der A t das erste m m ko ögen n e d Leiden hlungsverm inem Einfü e in d E n . u d ir kt em Ta tern w g: »Mit ein ivierten Leser begeis n s vom u e rt d e n E w n e B den kult cht letzte s ri a sp d , s n e e n b n e .« geschri s Buch, de eit und Tod d tröstliche en, Krankh b Le starkes un r e b ü enschen Sieg des M Wien , e . Die Press Arztbesuch ngst vorm A ie d t m 336 Seiten kung: Nim tebe 21093, Nebenwir henbuch, de

Krebs bei einem K ind Medikament: Supe rhero Von: Anthony McCart en Dosis: 304 Seiten Anwendung: Nur mi t Taschentüchern les en – für die Lachtränen un d die Tränen der Rü hrung Inhalt: Die Welt bra ucht Helden. Aber sie ht so ein Superheld ein vierzehnjähriger aus: schmächtiger Junge, der an Leukämie erkrankt ist und ste rben wird? Probe: »Zum ersten Mal will er etwas üb er diese Krankheit herausfinden. Will wissen, was das für ein Ding ist, das seine eigenen Firewalls üb erwunden und sich in sein System geha hat, was da so gnad ckt enlos seine sämtlic hen Dateien, Progra und Betriebssystem mme e zerstört.« Bewertung: »Es ist eine dunkle Komödie . Es geht ums Trotzd nicht um Trauer. Un em, d um die ewige Fra ge, worauf es anko Leben.« Peer Teuw mmt im sen / Tages-Anzeiger, Zürich Nebenwirkung: Sp ende an die Kinderkr ebshilfe, damit diese schreckliche Krankh eit endlich geheilt we rden kann. Diogenes Tas chenbuch, detebe 237 33, 304

Seiten, auch als Dio genes

Hörbuch

sc Diogenes Ta

Diogenes Magazin

49


Hansjörg Schneider

Nachtbuch für Astrid Mit Bildern von Anna Keel

Von der Liebe, vom Sterben und von der Trauer darüber, den geliebten Menschen verloren zu haben. Schreiben als Therapie. Hansjörg Schneider hat mit Nachtbuch für Astrid ein bewegendes Trostbuch geschrieben – für sich und für Leser, die ihren Partner verloren haben. Basel, 27. 11. 97 Heute am späten Morgen werde ich mit meinem Sohn zusammen auf dem Friedhof Hörnli die Asche meiner Ehefrau A. Schneider-Hauri abholen. Ich werde die Urne zuerst in ihr Zimmer unter das Klavichord stellen, das sie vor gut einem Jahr gekauft hat. Dieses Klavichord hat für A. ein neues Leben bedeutet. Sie hat Stunden genommen, hat zart geklimpert, erst Tonleitern, dann die ersten Sonatinen. Sie hatte vor, ihr weiteres Leben mit selbstgespielter Musik zu verschönern. Am 22. November, vor fünf Tagen, ist sie im Basler Kantonsspital gestorben. Am 29. November, in zwei Tagen, findet die Abdankung statt. Die Urne werde ich später einmal, auf ihren Wunsch hin, nach Carona im Tessin mitnehmen und auf dem Friedhof in eine Nische stellen. Auch meine Urne wird dort einmal Platz finden, wenn ich es dann noch will und Zeit finden werde, meinen Entscheid bekanntzugeben. 50

Diogenes Magazin

Im Moment helfen mir nur Wörter, die ich aufschreibe. Gespräche helfen mir nicht, sie öden mich an. Ich versuche, ein Tagebuch zu führen, um mich zu retten. Basel, 29. 11. 97 Heute Nachmittag um 15 Uhr findet in der St.-Leonhards-Kirche die Abdankung statt. Die Band unseres Sohnes wird Country-Musik spielen. Unsere Tochter wird den Lebenslauf lesen. Zwei Kollegen von A. werden ihren beruflichen Werdegang schildern. Das alles gefällt mir, so will ich es haben. Aber ich fürchte die Trauergäste, die mir bestimmt alle kondolieren wollen. Vielleicht werde ich auf den First des Kirchendachs hinaufklettern und hinunterrufen, wer mir sein Beileid ausdrücken wolle, solle sich zu mir hinauf bequemen. Oder ich könnte wegrennen, und die Trauerhorde sprintet hinter mir her, um mich zu fassen. Ich renne durch die Stadt auf die Mittlere Brücke, von dort springe

ich in den Rhein. Ich nehme an, niemand wird mir folgen. Heute Morgen im Allschwiler Wald ist plötzlich der Wind in die Baumkronen gefahren und hat die letzten Blätter über mich gestreut. Ich habe mir vorgestellt, dass A. mich mit diesem hellen Laub segnet. Ich habe gejauchzt, um meine Dankbarkeit zu zeigen. Es ist mir fast unmöglich, ihren Tod ohne Mythen zu ertragen. Wenn man nicht an den offiziellen christlichen Mythos glaubt, so schafft man sich einen eigenen. Am liebsten hätte ich ihren immer noch warmen, dürren Leib genommen, ihn geschultert und irgendwohin in den Wald getragen, um ihn zu begraben. Aber das geht nicht, der Tod ist eine öffentliche Angelegenheit. Die Trauerraben verlangen ihr Recht. Basel, 30. 11. 97 Es war doch gut, eine öffentliche Abdankung zu machen. Es waren un-


Illustrationen: © Anna Keel

glaublich viele Leute da, die Kirche war voll. Das Kondolieren ging gut vonstatten. Die Trauerhorde war noch trauriger als ich, was mich fast erheiterte. Das Leichenmahl fand im Restaurant Kunsthalle statt. Meine Freunde und Kollegen Jürg Federspiel, Thomas Hürlimann, Werner Lutz, Tadeus Pfeifer und Urs Widmer waren auch da. Das hat mich stolz gemacht, stolz für A. Es gibt drei Arten, die Hilflosigkeit einem trauernden Mann gegenüber, der seine langjährige Geliebte verloren hat, auszudrücken. Erstens: Aktion Zwetschgenkuchen. Die befreundeten Frauen backen Zwetschgenkuchen und stellen sie dem Trauernden vor die Tür, in der Hoffnung, er möge sich ins Leben zurückfressen. Zweitens: Aktion viel Kraft. Die Kondolanten wünschen dem Trauernden viel Kraft, in der Hoffnung, er möge mit Kraft den Tod überwinden. Das geht natürlich nicht. Es hilft nichts als Trauer. Drittens: Aktion Wie geht’s? Die Kondolanten wollen dem Trauernden helfen, indem sie sich nach seinem Zustand erkundigen. Das ist Stumpfsinn. Man sieht ja, wie es ihm geht. Er ist am Ende. Gut waren die jungen Leute, Cousins und Cousinen und Freundinnen und Freunde unserer Kinder. Das war eine starke Gruppe, die munter drauflosgeschwatzt hat, wie es sich gehört. Auch A.s Freundinnen haben mich beeindruckt. Das war ein schöner Weibertisch, still und andächtig. Ich habe mich zu ihnen gesetzt. Basel, 2. 12. 97 Ich bin nicht bei A. gewesen, als sie starb. Ich habe sie um drei nachmittags verlassen, um im Allschwiler Wald zu joggen. Ich mache das jeden Tag, ich habe Rückenprobleme. Anschließend habe ich mich in unserer Wohnung für eine Stunde hingelegt. A. hat zwar gebettelt, ich solle bei ihr bleiben. Sie hat gefragt: Wer trägt mich, wenn ich hier hinausmuss?

Anna Keel, Atelier­Interieur mit Mandarinenbäumchen vor Schneelandschaft, 1996

»Ich habe beim Verfassen dieses Berichts nicht groß auf stilistische Feinheiten geachtet, ich habe auf Authentizität geschaut. Es ist ein Tagebuch meiner Trauer. Ich könnte Astrid auch einen Stein setzen. Aber da ich nicht Steinmetz bin, sondern Schriftsteller, schicke ich ihr dieses Buch nach in den Tod.« Hansjörg Schneider

Diogenes Magazin

51


Meine Schwester ist bei ihr geblieben. Sie hat mich ungern gehen lassen. Aber ich habe gedacht, ich müsse auch zu mir selber schauen, damit ich nicht zusammenbreche. Um halb fünf hat mich meine Schwester angerufen, ich lag in meinem Bett und schlief. Sie hat gesagt: Jetzt ist A. gestorben. Ich habe die Tür zum Balkon aufgerissen und laut hinausgerufen: Komm hierher, komm hierher! Ich bin sofort ins Spital gefahren, habe das Haupt und die Füße meiner toten Geliebten geküsst, so wie das einem Ehemann zusteht. Zu meiner Schwester habe ich gesagt, sie solle das Fenster aufmachen. Eine Krankenschwester hat mir mitgeteilt, eine Leiche dürfe höchstens zwei Stunden in einem Spitalbett liegen bleiben, dann müsse sie abtransportiert werden in den Kühlraum. Dem Arzt, der mich gefragt hat, ob ich den Leichnam zur Obduktion freigeben würde, habe ich klipp und klar gesagt: Nein. Das hat mich erstaunt, denn selbstverständlich, so behaupte ich, ist es mir egal, was mit meiner Leiche geschehen wird. Aber in diesem Fall war ich stur, sie war schon zu sehr versehrt worden. Ich habe dann immer wieder mit A. geredet, zu Hause im Bett, am Morgen

im Wald. Bis ich gemerkt habe, dass dies nicht richtig war. Ich habe gemerkt, dass ich sie ziehen lassen sollte. Sie musste weg von mir, in eine andere Wirklichkeit hinein, sie wollte das so. Meine Anrufe haben sie bloß verwirrt. Ich rede jetzt noch ab und zu mit ihr, aber nicht mehr, um ihre Wiederkunft zu beschwören. Ich lerne jeden Tag mehr, die traurige Tatsache, dass ich sie nie mehr sehen werde, auch gefühlsmäßig zu begreifen. Mit dem Verstand schaffe ich es, aber mein Gefühl wehrt sich gegen diese finale Erkenntnis. Daher beziehen die Religionen ihre Verführungskraft. Wie schön ist die Vorstellung, A. habe jetzt zwei Flügel und eine Querflöte und blase mit auf einer himmelblauen Wolke. Dass sie in der Hölle schmort, könnte ich mir, auch wenn ich christlichen Glaubens wäre, nicht vorstellen, obschon ich sie ein paarmal zum Teufel gewünscht habe. Sie bestand in ihrem Herzen aus Liebe. Es ist ein Blödsinn zu meinen, ein toter Mensch lebe weiter, weil er in der Erinnerung der Hinterbliebenen bleibe. Was da weiterlebt, ist die Erinnerung und nicht der tote Mensch. Diese Erinnerung muss sich mit dem wirklichen Wesen des Toten keineswegs decken.

DIE AUTORENZEITSCHRIFT

FÜR

Einige Wochen vor ihrem Tod hat sie mir gesagt, ich sei der einzige Mensch, dem sie sich ganz gezeigt habe. Was ich als umfassendste Liebeserklärung verstanden habe, die man jemandem machen kann. In mir könnte A. also weiterleben, weil sich meine Erinnerung an sie mit ihrem Wesen wohl weitgehend deckt. Aber sie lebt nicht in mir weiter, sondern irgendwo anders, wo ich nicht hinreiche. Da hilft nichts, sie ist weg. Das ist auch richtig so. Man soll die Toten nicht auf ungehörige Weise vom Leben aus zu stören versuchen. Als vor Jahren ein guter Freund von mir, der Regisseur Reto Babst, der mich zum ersten Mal aufgeführt hat, im Sterben lag, hat er mir gesagt, dass er auf das, was im Tod auf ihn warte, gespannt sei. Er freue sich darauf, Shakespeare zu begegnen. Ich habe ihm geantwortet, das sei wohl nicht so einfach, da ja die erste Person, an die sich alle eben verstorbenen Theaterleute wenden würden, Shakespeare wäre. Er müsse also mit tagelangem Anstehen und Drücken und Ellbögeln rechnen. Es gibt Menschen, die sich im Sterben darauf freuen, ihrem bereits verstorbenen Ehepartner zu begegnen. Aber es würde zu unschönen Eifersuchtsszenen im Jenseits führen, wenn da neben dem lange vermissten Ehepartner bereits die ehemalige Geliebte

POLITIK, WIRTSCHAFT

UND

freue mich auf «jedeIchAusgabe!»

K U LT U R

Thomas Hürlimann, Schriftsteller

Mehr lesen. Besser leben. Jetzt abonnieren unter www.schweizermonat.ch.

Ne

u

Diogenes Magazin

So

:

» atche n ä o r

sp ge rM en r e h uto isc nd A

e nd

rb

r u rassays e E t i n,

m

«Lritike K

52

it

eil

e ag


oder der ehemalige Geliebte sitzt und Händchen hält. Und Eifersuchtsszenen haben im Jenseits nichts zu suchen.

Illustration: © Anna Keel

Ich habe eine Grippe. Offenbar habe ich mich bei den Kondolenzküssen anläßlich der Abdankung angesteckt. Meine Trauer hat sich in Krankheit verwandelt. Sie hilft mir, diese Tage zu überstehen. Ich werde von Freundinnen mit Teigwaren und Gehacktem beliefert. Einmal ist mein Sohn über Nacht zu mir gekommen, um mich zu behüten. Ich liege flach, wie im Grabe. Ich trinke Unmengen Tee, um den Schweiß, der aus mir herausdrückt, zu ersetzen. Vielleicht sollte ich aufhören zu rauchen. Denn wie mir scheint, will ich weiterleben. Basel, 3. 12. 97 Ich frage mich, ob es aus ist mit meinem Schreiben. Ich meine nicht die Auftragsstücke, die kann ich weiterhin machen. Das ist Handwerk, das beherrsche ich. Ich meine Romane und Stücke, die aus meiner eigenen Seele kommen. Kommt da noch etwas, oder tropft nur Trauer heraus? Das Schreiben eines Stückes ist der Gipfel der Hybris, die reine Anmaßung der Welt und den Menschen gegenüber, die man erfindet und auf die Bühne stellt. Woher soll ich jetzt diese Hybris nehmen, und woher die Lust? Es scheint mir, dass sich die Geldnot wieder einmal als heilsam erweisen wird. Ich werde in den nächsten Jahren schlicht zu wenig Geld haben, wenn ich nichts schreibe. A. und ich haben uns zwei Nester gekauft, wir waren Nestkäufer. Das Bauernhaus im Elsass und ein Haus mit zwei Zimmern samt Küche in Carona. Wir haben vorgehabt, nach A.s Pensionierung das Elsässer Haus zu verkaufen und die meiste Zeit in Carona zu leben. Sie hat sich gefreut auf die trockene Tessiner Luft, die ihr jeweils schon am ersten Tag den Rheumatismus weggehaucht hat. Jetzt hocke ich da mit zwei Häusern, für die ich die Hypothekarzinsen bezahlen muss. A.

Anna Keel, Blatt, das Wurzeln macht. Pfannenstiel, Januar 1996

hat die eine Hälfte bezahlt, sie hat alles Finanzielle geregelt. Allein kann ich das nicht. Was soll ich überhaupt mit diesen Häusern? Basel, 5. 12. 97 Wäre ich Deutschlehrer oder Zeitungsredaktor geworden, so hätte ich jetzt eine feste Stelle mit festen Verpflichtungen. Ich würde am Morgen um neun auf der Redaktion antreten, ich würde um elf an der Konferenz teilnehmen, ich würde redigieren usw. Diese Arbeit würde mich ablenken und in die Realität eingliedern. Nur abends, wenn ich nach Hause käme, würde mir die leere Wohnung zu schaffen machen, und ich würde mich erinnern an die sterbende A. In der Nacht würde ich Schlaftabletten schlucken, da ich ja morgens wieder fit sein müsste. Da ich selbständig unternehmender Schriftsteller bin, habe ich diese Ablenkungsmöglichkeiten nicht. Wenn ich am Abend nicht einschlafen kann, bleibe ich am Morgen eben länger im Bett. Wenn sich die Erinnerung an die

sterbende A. vor mein Auge drängt, gebe ich dieser Erinnerung nach, bis die Trauer mein Auge trübt. Das Trauern ist im Moment meine Hauptbeschäftigung. Ich bin zu hundert Prozent wehleidig. Ob das Beschreiben dieses Wehs literarisch etwas taugt, ist mir egal. Mir hilft dieses Schreiben, es ist im Moment die einzig mögliche Therapie. Ich erinnere mich, wie wir, als die Kinder noch klein waren, über Mittag manchmal in die benachbarte Wirtschaft gegangen sind, um zu essen. Die Kinder herausgeputzt, sie bestaunten mit großen Augen den schwarz gekleideten Kellner. Spaghetti und Salat, für A. und mich einen Dreier Roten. Eine schöne Familie waren wir, fast alltäglich anzuschauen, aber festlich gestimmt. Gestern bin ich bei meinem Sohn zum Abendessen gewesen. Er lebt mit einer Frau und deren Sohn zusammen, der mich als Großvater akzeptiert. Eine gemütliche Atmosphäre, die drei waDiogenes Magazin

53


ren lieb zu mir. Aber ich hockte als trauriger Rabe unter ihnen. Ich habe mich bald verabschiedet, um mich in meine Leintücher einzurollen. Der Gegenstand meiner Trauer entfernt sich jeden Tag mehr von mir, ich wage kaum noch, ihn beim Namen zu nennen, so weit ist er schon weg. Ich bin mir bewusst, was ich tue. Ich will hinhören auf dieses Entschwinden, solange ich noch einen Ton vernehme. Ich habe schon mehrere Freundinnen und Freunde vergrault, weil ich ihre Einladung zu Sauerkraut und Rippchen – die Zeit der Zwetschgen ist vorbei – abgelehnt habe. Aber so ist es: Da ich einsam bin, will ich es auch sein. In der Nacht erwache ich mehrmals, ich nehme keine schweren Brummer, nur leichte Schlaftabletten. Da ich vor etwas mehr als dreißig Jahren nur mit hohen Valiumdosen überlebt habe, kenne ich die planierende 54

Diogenes Magazin

Wirkung von Psychopharmaka und will das nicht mehr. Ich will diese Zeit wachen Auges durchstehen. Ich erwache morgens um fünf in der Gewissheit, ins Spital fahren zu müssen, um A. die Füße zu waschen. Oder ich glaube, den Auftrag erhalten zu haben, um 16 Uhr beim Oberarzt anzutreten, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ich träume meines Wissens nie von A. direkt, ich träume von Aufträgen und Verpflichtungen. Dann will ich aufstehen, um das Nötige in die Wege zu leiten. Und dann fällt mir ein, dass ihre Urne im Zimmer nebenan steht. An Arbeit ist im Moment nicht zu denken. Auch wenn ich eine Auftragsarbeit mache, hängt meine Seele darin. Ich gehöre zu den Schriftstellern, die über Jahrzehnte hinweg geschrieben haben, und immer mit Lust. Ich bin Schriftsteller geworden, weil ich gern schreibe. Für mich war Schrei-

Illustration: © Anna Keel

Anna Keel, Bananenpalmenblüte und Blatt von Dani. Los Angeles, Juni 1998

ben nie eine Qual, ich habe aus Liebe geschrieben. Es ist mir immer etwas in den Sinn gekommen, auch deshalb, weil ich zwischen den verschiedenen Sparten gewechselt habe. Schreiben war für mich ein Spiel. Ich konnte das nur leisten, weil ich immer geliebt habe und geliebt worden bin. Wir haben zwar häufig gestritten, wir haben gegeneinander gekämpft. Aber die Grundlage, der Lebenspakt, dass wir uns lieben, war immer da. Wir haben uns nie lebenslange Liebe versprochen, das wäre uns ein verlogener Greuel gewesen. Wir waren stets auf dem Absprung, wussten aber beide, dass wir nicht loskommen würden voneinander. Wir fanden uns immer wieder aufs Neue, da wir diese Liebe brauchten. Das mag paradox tönen, aber so war unsere Liebe. Wir haben zwar mehrmals von Scheidung gesprochen und einmal sogar eine Vereinbarung unterschrieben. Wir haben aber nie an Vollzug gedacht. Auf diesem Fundament habe ich geschrieben. Ich habe in den letzten dreißig Jahren mit Wörtern gespielt. Ich habe die Gattungen gewechselt wie ein Zehnkämpfer, habe mich vom Roman mit einem Theaterstück erholt, von der Reportage mit einem Drehbuch. Ich habe damit genügend Geld verdient, um meinen Beitrag an die Familienkosten zu bezahlen. Ich bin oft ins Ausland abgehauen, um mich nicht einschweizern zu lassen. Ich bin regelmäßig heimgekommen, um den Kontakt nicht zu verlieren. In diesem provisorischen Chaos, das A. organisatorisch im Griff hatte, habe ich mich frei gefühlt. Schreiben heißt, sich die Freiheit zu nehmen, die man sich nehmen will. Zum Beispiel die Freiheit, bestimmte Sätze aufzuschreiben. A. war stets meine erste Leserin. Ich werde mich neu organisieren müssen. Nicht nur finanziell, sondern existentiell. Ich muss einen neuen Grund suchen, mit Wörtern zu spielen. Vielleicht liegt ein Grund darin, dass ich meine Trauer überwinden


muss, wenn ich weiterleben will. Und dazu bin ich im Moment entschlossen. Basel, 6. 12. 97 Ich merke, dass das Schreiben in dieses Heft schwierig wird. Der rote Faden fehlt, die Ordnung. Die Auseinandersetzung mit etwas außerhalb von mir. Es ist nichts da, das mich in geistige Bewegung setzen könnte. Es ist eine Einöde in mir, eine Trostlosigkeit, eine ausweglose Hilflosigkeit. Ich überlebe, das ist alles. Offenbar stehe ich immer noch unter Schock. Erst der Schock von jenem 25. August, als wir zusammen in die Notfallstation fuhren, noch immer einigermaßen frohgemut, da wir dachten, sie habe Asthma. Das stundenlange Warten, die Spitalmaschine, die uns in den Griff nahm. Die Fluchtgedanken zwischendurch, A. hat gesagt: Komm, wir gehen. Dann half ich mit, sie in die Tomographie zu schieben. Wieder das Warten oben in der Notfallkoje. Gegen 23 Uhr der Auftritt des Professors, der die Diagnose mitteilte: Bronchialkrebs. Er riet zur Chemotherapie, dringend, es sei eine kleinzellige Krebsart, die zwar schnell wachse, die aber gut auf Chemotherapie anspreche. Ich sagte: Gut, das machen wir. Sie nickte, sie war entschlossen zu leben. Ich habe sie um eins in der Frühe verlassen. Sie lag in einem NotfallDoppelzimmer. Nebenan lag eine junge Frau, die das Schlüsselbein gebrochen hatte. Sie hatte Besuch von einer Freundin, die beiden wisperten und kicherten. Nach zwei oder drei Tagen – ich weiß es nicht mehr genau, ich habe diese Zeit verdrängt – aufs Neue der Gang in die Tomographie. Diagnose: Metastasen im Gehirn. Es folgten die drei Monate, die ihr noch gegeben waren, bis ihre Energie aufgebraucht war. Eine wechselvolle Zeit, manchmal voller Hoffnung, dann wieder verzweifelt. Sie hat versucht, sich selber anzulügen, und manchmal ist das dieser unbestechlichen Dame tatsächlich gelungen. Sie hat dann von einer wunderschönen

Zukunft erzählt, und ich gab mir alle Mühe zuzustimmen. Sie ist wieder nach Hause gekommen, und ein paar Mal sind wir in den Allschwiler Wald gefahren. Sie hat sich dort auf eine Bank gesetzt und sich gefreut. Ich war so gestresst, dass ich einmal rasant aus einer Seitenstraße hinausgefahren bin, direkt in einen schweren Lieferwagen hinein, der von rechts kam. Totalschaden an meinem Fiat Panda, eine schwere Thoraxprellung, der Sicherheitsgurt hat mich aufgefangen. Eines Tages hat sie gesagt, dass es jetzt nicht mehr gehe und dass sie ins Spital wolle. Sie war so schwach, dass sie von zwei Männern in den Krankenwagen getragen werden musste. Es folgte der Bescheid, dass die Chemotherapie nichts nütze und eingestellt werde. Sie hat kaum mehr gegessen und nur noch wenig getrunken. Beruhigungspillen, Morphiumspritzen. Sie haben sie an keinen Schlauch mehr gehängt, sie haben sie möglichst schnell sterben lassen. Sie ist am 22. November ruhig entschlafen. Sie hat mich nur noch Vogel genannt. Ich habe das gern gehört. Ich habe den Kopf auf ihr Spitalbett gelegt, und sie hat meinen Hinterkopf gestreichelt. Wir haben uns schöne Sätze gesagt. Manchmal hat sie versucht zu singen, um die trübe Stimmung zu vertreiben. Sie hat gesungen wie ein Kind. Dann lag sie tot da, noch immer warm, das Gesicht vom Tod gezeichnet, aber noch nicht entstellt. Da habe ich Abschied genommen von ihrem Leib. Ihr Tod war zwar eine Erlösung für uns alle, aber es folgte der zweite Schock. Sie war nicht mehr da, sie würde nie mehr da sein. Eine einfache Tatsache, die wir alle kennen. Diese Gewissheit voll und ganz zu akzeptieren, ist indessen enorm schwierig. Man sucht Ausreden, Ausflüchte. Vielleicht ist unsere Liebe doch stärker als der Tod? Sie ruhe sanft.

Buchtipps

Hansjörg Schneider Nachtbuch für Astrid

Von der Liebe, vom Sterben, vom Tod und von der Trauer darüber, den geliebten Menschen verloren zu haben

Diogenes

128 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06808-5

Nach dem Tod seiner Frau führte Hansjörg Schneider ein Jahr lang Tagebuch. Entstanden ist ein schonungslos offenes Buch über den Tod – und über eine große Liebe. Ein Trostbuch für schwere Lebenssituationen.

Über den Tod

Poetisches und Philosophisches von Homer · Boccaccio · Erasmus Montaigne · Shakespeare Mozart · Schopenhauer Balzac · Tolstoi Čechov · Simenon · Orwell Č Highsmith · McCullers Süskind · Mrożek Mroż Mro żek żek Dürrenmatt u.a. Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23799, 208 Seiten

Man kann den Tod zwar nicht verstehen – doch man kann versuchen, ihn in Worte zu fassen, über ihn und gegen ihn anzuschreiben. Im Lauf der Lektüre dieser Texte quer durch die Weltliteratur entsteht nicht nur ein Panoptikum des Todes zwischen memento mori und carpe diem, eine kleine Kulturgeschichte des Todes von den alten Ägyptern bis in unser 21. Jahrhundert, sondern auch die Einsicht, dass zur Ergründung des Lebens immer auch der Gedanke an den Tod gehört – denn »philosophieren heißt sterben lernen« (Plato).

Diogenes Magazin

55


Simenon Drei Zimmer in Manhattan

Martin Suter Der Koch

Dick & Felix Francis Schikanen

Italo Svevo Ein Leben

Ausgewählte Romane Band 25 Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24125, 240 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 23999, 320 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Diogenes Taschenbuch detebe 24096, 432 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24079, 544 Seiten

Sie treffen sich eines Nachts zufällig in New York: Kay, die junge Exfrau eines Botschafters, und François Combe, der alternde Schauspieler. Beide sind gestrandet, einsam, sie brauchen einander und machen sich doch das Leben schwer. Eine Liebesgeschichte von erschütternder Eindringlichkeit – die einzige in seinem Werk, die Simenon gut ausgehen lässt.

Politische Intrigen, Exotik, Liebe und Sinnlichkeit … »Was für ein Jammer, dass man Bücher nicht essen kann. Martin Suters neuer Roman wäre einer der ersten, den man sich auf der Zunge zergehen lassen müsste. Gekonnt verknüpft Suter Finanzkrise, Bürgerkrieg und Kochkunst zu einem packenden Roman.« Brigitte, Hamburg

Geoffrey Mason ist erleichtert, als sein Mandant – ein brutaler Schläger – hinter Gitter kommt. Doch Freiheit und Strafe liegen nur einen Richterspruch voneinander entfernt: Als das Gericht das Urteil revidiert, wird das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient zum Alptraum …

Zwar ist Alfonso Nitti nur ein kleiner Bankangestellter. Doch jenseits beruflicher Subordination gibt es ja noch die Welt des freien Geistes. Mit einer moralphilosophischen Schrift will er das abendländische Denken revolutionieren, seinen Ruhm mehren und die Herzdame für sich gewinnen … Schonungslos seziert dieser moderne Klassiker die Psyche des kleinen Mannes.

Ingrid Noll Ehrenwort

Henri Alain-Fournier

Donna Leon Schöner Schein

Der große Meaulnes

Fabio Volo Einfach losfahren

Mit einem Essay von Ludwig Harig

Commissario Brunettis achtzehnter Fall

56

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24095, 336 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch, JANUAR 2012

Diogenes Taschenbuch detebe 24098, 352 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Diogenes Taschenbuch detebe 23361, 336 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24081, 288 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

Drei Generationen unter einem Dach: Student Max, die Buchhändlerin Petra, Ingenieur Harald und Willy Knobel, hochbetagt. Trautes Heim, Glück allein? Zwischen Maxiwindeln und mörderischer Eisenstange spielt diese bitterböse Kriminalkomödie. Ingrid Noll erzählt von einer Familie, die das Altern anpackt – auf unkonventionelle Art.

Nichts als schöner Schein – das denken sich wohl die Leute, wenn sie »la Superliftata« in der Calle begegnen. Brunetti aber merkt, dass sich hinter den starren Zügen von Franca Marinello Geheimnisse verbergen. Nicht anders als hinter den feinen Fassaden von Venedig: Den Machenschaften der Müllmafia auf der Spur, entdeckt Brunetti die Kehrseite der Serenissima.

Freundschaft, Liebe, Verlust, Angst, Verrat – zwei Jungen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Ein Roman zwischen Traum und Wirklichkeit, Geborgenheit und Unbehaustsein, Kindheitsnostalgie und Tatendrang. 1913 erschienen, beschreibt er wie nur wenige Werke die Stimmung jener Generation, die im Ersten Weltkrieg zugrunde gehen sollte.

Leben wie ein Straßenbahnführer? Mit vorgegebener Strecke und genau festgelegtem Fahrplan? Will Michele das wirklich? Federico jedenfalls nicht. Die Geschichte zweier Freunde, zweier Lebenswege, zweier Lieben – reich an starken Bildern und Gefühlen und doch lausbübisch und charmant erzählt.

Diogenes Magazin


Happy Ends Liebesgeschichten, die gut ausgehen

von Isabel Allende, T.C. Boyle, Philippe Djian, Elke Heidenreich, Doris Dörrie, Anna Gavalda und anderen

Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 24161, 304 Seiten JANUAR 2012

Genug mit ewigem Herzschmerz, Treulosigkeit, gebrochenen Herzen und geplatzten Träumen! Autoren wie Doris Dörrie, T. C. Boyle, Ingrid Noll, Philippe Djian, Anna Gavalda und viele mehr sorgen dafür, dass trotz vorhersehbarem glücklichem Ende keine Langeweile aufkommt. Ein doppeltes Happy End, für Liebende und Leser.

Grippe? Endlich Zeit zum Lesen Der Winter kommt, und die erste Erkältung lässt garantiert nicht lange auf sich warten ... Das einzig Gute am Kranksein: Endlich kann man sich absolut hemmungslos dem Lesen all der Bücher widmen, die sich schon seit Monaten auf dem Nachttisch stapeln. Alles schon ausgelesen und immer noch krank? Hier finden Sie aktuelle Büchertipps.

Lukas Hartmann Finsteres Glück Roman · Diogenes

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Diogenes Taschenbuch detebe 24094, 320 Seiten

Das Leben des achtjährigen Yves wird in einer einzigen Sekunde brutal entzweigerissen. Die Psychologin Eliane Hess nimmt sich des Jungen an, der als Einziger aus seiner Familie einen Autounfall überlebt hat. Ein berührender Roman über Geborgenheit und Verlust; über die Familienbande, denen wir nicht entkommen, und diejenigen, die wir uns selbst erschaffen.

Diogenes Magazin

57


Erzählung

René Goscinny & Jean-Jacques Sempé

Der kleine Nick ist krank G

estern ging es mir noch ganz gut, nämlich ich konnte eine Menge Rahmbonbons essen und Himbeerbonbons und Kuchen und Bratkartoffeln und Eis. Aber auf einmal mitten in der Nacht ist mir ganz schlecht geworden – wieso, weiß ich auch nicht. Heute Morgen ist der Doktor gekommen. Als er in mein Zimmer reinkam, habe ich geweint, aber mehr aus Gewohnheit, denn ich kenne ihn gut. Der Doktor, der ist toll nett, und es gefällt mir, wenn er seinen Kopf auf meine Brust legt und mich abhorcht, denn er ist ganz kahl und ich sehe seine glänzende Glatze dicht unter meiner Nase, und das ist sehr lustig. Der Doktor ist nicht lange dageblieben, sondern er hat mir einen Klaps auf die Backe gegeben – nicht feste – und hat zu Mama gesagt: »Setzen Sie ihn auf Diät. Und vor allem: Er soll im Bett bleiben und sich ausruhn.« Und dann ist er weg. Mama hat gesagt: »Du hast gehört, was der Doktor verordnet hat. Ich

58

Diogenes Magazin

hoffe, dass du brav und gehorsam bist.« Ich habe zu Mama gesagt, sie kann ganz ruhig sein. Nämlich ich hab Mama sehr gern, und ich tu immer, was sie sagt. Das ist auch besser, denn sonst gibt’s Theater. Ich hab mir ein Buch geholt und hab angefangen zu lesen. Das Buch war prima, fast auf jeder Seite ein Bild, und es handelte von einem kleinen Bären, der sich im Wald verirrt, wo die Jäger sind. Ich lese ja lieber CowboyHefte, aber meine Tante Pulcheria schenkt mir zu meinem Geburtstag immer solche Bücher mit kleinen Bären, kleinen Hasen, kleinen Katzen und anderen kleinen Tieren. Meine Tante Pulcheria scheint ’ne richtige Schwäche zu haben für so was. Ich war gerade an der Stelle, wo der böse Wolf kommt und den kleinen Bären fressen will, da ist meine Mama reingekommen mit Otto, meinem Klassenkameraden, der immer Hunger hat. »Sieh mal, Nick, dein kleiner

Freund Otto ist gekommen, um dich zu besuchen! Ist das nicht reizend von ihm?« – »Tag, Otto«, habe ich gesagt, »prima, dass du gekommen bist.« Mama hat gesagt, ich soll nicht immer ›prima‹ sagen. Und dann hat sie die Schachteln gesehen, die Otto unter dem Arm trug. »Was hast du denn da mitgebracht, Otto?«, hat sie gefragt. »Schokolade«, hat Otto geantwortet, und Mama hat gesagt, es ist sehr nett von ihm, aber sie möchte nicht, dass er mir Schokolade schenkt, weil ich auf Diät gesetzt bin. Otto hat zu Mama gesagt, er denkt nicht daran, mir die Schokolade zu schenken, sondern er hat sie mitgebracht, um sie aufzuessen, und wenn ich Schokolade will, dann soll ich gehen und mir welche kaufen, nee wirklich, im Ernst. Mama hat Otto groß angeguckt und sie war vielleicht ein bisschen erstaunt, aber dann hat sie geseufzt, und sie hat gesagt, na ja, wir sollen schön brav sein, und dann ist sie gegangen. Otto, der hat sich neben mein Bett gesetzt

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Nick soll im Bett liegen und ausruhen, hat der Doktor gesagt. Aber das wäre ja langweilig. Prima hingegen ist es, dass Otto zu Besuch kommt und Schokolade mitbringt. Und prima ist es, im Bett zu lesen oder etwas mit Papas altem Füller zu malen. Nur die Mama sieht am Ende des Tage dann etwas krank aus, und frische Schlafanzüge gibt es auch keine mehr.


und hat mich angesehen, ohne was zu sagen, und dabei seine Schokolade gegessen. Da hab ich auf einmal auch Appetit gekriegt. ÂťOtto, gibst du mir auch ein StĂźck Schokolade?ÂŤ – ÂťWieso? Du bist doch krank!ÂŤ, hat Otto gesagt. Ich habe gesagt, das ist gar nicht prima von ihm, und Otto hat gesagt, ich soll nicht immer ›prima‚ sagen, und er hat sich zwei StĂźcke Schokolade auf einmal in den Mund geschoben, und da haben wir uns gehauen. Mama ist reingekommen und sie sah gar nicht sehr freundlich aus. Sie hat uns getrennt und hat mit uns geschimpft, und dann hat sie gesagt, Otto soll nach Hause gehen. Ich war enttäuscht, als Otto wegging, denn wir vertragen uns gut, aber ich habe gedacht, ich will lieber nicht mit Mama streiten, denn sie sah wirklich nicht freundlich aus. Otto hat mir die Hand gegeben und er hat gesagt, tschĂźs, bis bald und dann ist er gegangen. Ich mag ihn gern leiden – ein prima Kumpel, der Otto. Wie Mama mein Bett gesehen hat, hat sie angefangen zu schreien. Ich hatte nicht gesehen, dass etwas Schokolade auf die BetttĂźcher gekommen war, als wir uns gehauen haben, und ich hatte auch Schokolade am Schlafanzug und in den Haaren. Mama hat gesagt, es ist unerträglich mit mir, und dann hat sie das Bett neu bezogen,

und mich hat sie mitgenommen ins Badezimmer. Sie hat mich mit dem Schwamm gewaschen und mit KĂślnisch Wasser, und ich hab einen frischen Schlafanzug anziehen mĂźssen, den blau gestreiften. Dann hat Mama mich wieder ins Bett gebracht, und sie hat gesagt, ich soll sie nicht noch einmal betrĂźben. Wie ich allein war, habe ich wieder weitergelesen in dem Buch mit dem kleinen Bären. Der bĂśse Wolf hat den Bären nicht gefressen, weil einer von den Jägern dazwischengekommen ist, und der hat den Wolf niedergeschlagen, aber dann ist ein LĂśwe gekommen, und der wollte den kleinen Bären auch fressen, und der kleine Bär hat den LĂśwen nicht gesehen, weil er gerade Honig fraĂ&#x;. Ich hab von der Geschichte allmählich Hunger gekriegt. Ich wollte schon rufen, aber ich habe gedacht, ich will Mama nicht schon wieder stĂśren, also bin ich aufgestanden, und ich habe gedacht, vielleicht ist noch was im Eisschrank. Im Eisschrank war tatsächlich allerhand, denn bei uns zu Hause ist das Essen gut. Ich habe mir ein HĂźhnerbein genommen, schĂśn kalt, ein StĂźck Sahnetorte und eine Flasche Milch. ÂťNickÂŤ, hat jemand hinter mir gerufen, und ich habe einen Schreck gekriegt und alles fallen lassen. Das war Mama, die gerufen hat. Sie hatte wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass

ich in der Kßche war. Ich habe vorsichtshalber etwas geweint, weil Mama so aussah, wie wenn sie richtig bÜse ist. Da hat sie nichts gesagt, sondern sie hat mich ins Badezimmer gebracht und hat mich mit dem Schwamm abgewaschen und mit KÜlnisch Wasser und dann hat sie mir einen frischen Schlafanzug angezogen, nämlich der, den ich anhatte, war ganz voll Milch und Sahnetorte. Mama hat mir den rot karierten Schlafanzug angezogen; und dann hat sie mich schnell ins Bett gebracht, denn sie musste die Kßche sauber machen. Wie ich wieder im Bett war, habe ich keine Lust mehr gehabt weiterzulesen von dem kleinen Bären, den alle

C:J

Illustration: Š Jean-Jacques SempÊ

ART ARCHITECTURE DESIGN

spring summer 2011

http://jambookscout.blogspot.com

DER BĂœCHERSCOUT FĂœR KIDS

dbW^"?V ]gZhV [“g &% : jgd ^c`a# Wd KZghVcY @dbW^"?V]gZhVWd b^i _Z ' 6jh\VWZc ?6B jcY ' 6jh\VWZc bn?6BN# Oj WZhiZaaZc jciZg/ d[[^XZ5_Vb"ejWa^XVi^dch#Xdb

DER BĂœCHERSCOUT / THE BOOK SCOUT

?6B b n?6BN @

spring summer 2011

NEU

http://myjamy.blogspot.com

Diogenes Magazin

59


fressen wollen, und ich habe gedacht, schreibt Papa auch nicht mehr mit ich habe schon genug angerichtet ihm. Man kann prima Explosionen durch das dämliche kleine Biest. Aber damit malen, aber ich habe auch sonst ich habe auch keine Lust gehabt, ein- überall Tinte gehabt, auf dem Deckfach so rumzuliegen, ohne was zu tun. bett und auf den Betttüchern zum Und da habe ich mir gedacht, ich male Beispiel. Mama war böse, und mit ein bisschen. Ich habe mir aus Papas dem Papier, das hat ihr auch nicht geSchreibtisch geholt, was ich brauchte. fallen. Ich glaube, das Zeug, was auf Von dem schönen weißen Papier habe der anderen Seite draufgeschrieben ich nichts genommen, wo oben in der war, ist irgendetwas Wichtiges für Ecke Papas Name in Glanzbuchsta- Papa. ben draufsteht. Ich habe gedacht, Mama hat gesagt, ich soll aufstehen, sonst schimpft er bestimmt mit mir, und sie hat das Bett frisch bezogen und ich habe lieber anderes Papier ge- und dann hat sie mich ins Badezimnommen, wo was draufgeschrieben mer gebracht. Sie hat mich mit dem war, aber die Rückseite war noch frei. Bimsstein abgeschrubbt und dann mit Ich habe Papas alten Füllhalter ge- dem Schwamm und dann mit dem nommen, der sowieso nichts mehr Rest, der noch in der Kölnisch-Wastaugt. ser-Flasche drin war. Und nachher hat Dann bin ich ganz schnell wieder sie mir ein altes Hemd von Papa überin mein Zimmer gelaufen und hab gezogen, nämlich es war kein frischer mich ins Bett gelegt. Ich habe ganz Schlafanzug mehr für mich da. tolle Sachen gemalt: Kriegsschiffe, die Am Abend ist der Doktor noch mit Kanonen auf Flugzeuge schießen, mal da gewesen. Er hat seine Glatze und die Flugzeuge explodieren in der auf meine Brust gelegt, und ich hab Luft, und eine Burg und eine Masse ihm die Zunge rausstrecken dürfen Leute, die angreifen, und eine Masse und er hat mir einen Klaps auf die BaLeute, die oben stehen und den an- cke gegeben und hat gesagt, ich bin dern allerhand Sachen auf den Kopf gesund und kann aufstehn. Aber wir werfen, und das sind die Verteidiger. haben wirklich Pech mit dem KrankIch bin sehr beschäftigt gewesen, und sein bei uns zu Hause. Der Doktor Mama ist reingekommen, vielleicht hat gesagt, meine Mama sieht schlecht war sie beunruhigt, weil ich so still ge- aus und sie soll sich hinlegen und Diät wesen bin. Da hat sie aber wieder an- leben. Aus dem Französischen von gefangen zu schreien. Papas Füllhalter Hans­Georg Lenzen Anz. Ellwanger 178x80Tinte, Diogenes:Layout 1 29.07.11 10:51 Uhr Seite 1 verliert wirklich etwas deshalb

Goscinny

Sempé

Der kleine

und sein Luft Luftballon f ballo ft on

Diogenes

160 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-01139-5 Auch als Diogenes Hörbuch

Zehn prima Abenteuer, in denen Nick lesewütig wird (das ist eine Krankheit), von Mama einen Mädchenpullover geschenkt bekommt, beim Preisausschreiben ein Auto gewinnt (fast) und einen Zirkus gründet (ebenfalls fast). Und am Schluss wird Nick sogar unbesiegbar.

OBERFRANKEN – EIN STREIFZUG 2012 Attraktiver Wandkalender mit großformatigen Aufnahmen und Detailansichten aus teils ungewohnter Perspektive. Fotos: Elisabeth von Pölnitz-Eisfeld. Format 58 x 48 cm € 16,80

AUF DEM WEG NACH WAHNFRIED Zeitgeschichte mit dem Blick für Details. € 15,90

WAGNERCHECK 2.0 Wagner-Opern humorvoll erklärt. € 7,90

ELLWANGER DRUCK UND VERLAG • DIESELSTRASSE 15 • 95448 BAYREUTH • TEL. 0921/500-206 • FAX 0921/500-110 • E.MEYER@ELLWANGER-ONLINE.DE

60

Diogenes Magazin

Illustration: © Jean-Jacques Sempé

BAYREUTHER FESTSPIELKALENDER 2012 Mit Szenenfotos aller Inszenierungen 2011 und zwölf informativen Zwischenblättern. Vorwort von Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. Format 58 x 48 cm € 29,90

Buchtipp


Lesetipps

Arztromane in Weiß Der Arztroman – nur Kitsch? Der Blick in einschlägige Lexika lehrt uns, dass Arztromane im ärztlichen Milieu spielen (aha) und der Trivialliteratur zugeordnet werden. Wie im sogenannten Frauenroman steht dort die Liebe, meist »die ganz große«, im Zentrum des Geschehens. Das Publikationsformat ist der Heftroman, der den Autor in seiner künstlerischen Freiheit beschneidet, und das betrifft nicht nur die Handlung, sondern auch den Umfang, der aus technischen Gründen auf 128 Seiten beschränkt ist. Die Le-

˘ Cechov Krankenzimmer Nr. 6 Erzählung eines Unbekannten Kleine Romane II

John Irving Gottes Werk und Teufels Beitrag

serschaft sind Frauen, deren Bildungsstand als ganz besonders niedrig gilt, unterboten werden sie nur noch von den Berg- und Heimatromanleserinnen. Wirklich? Es geht auch anders, literarisch und spannend: Die Arztromane mit den weißen Umschlägen erzählen mitreißende Lebensgeschichten und räumen mit dem Trivialmythos der Halbgötter in Weiß auf. Dass diese Bücher sich nicht nur an Frauen richten, muss wohl nicht extra betont werden.

Walter E. Richartz Tod den Ärtzten

Diogenes

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 20268, 208 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 21837, 848 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 20795, 208 Seiten

Anton Čechov schöpfte für seinen kurzen Roman Kran­ kenzimmer Nr. 6 aus seinen Erfahrungen als Arzt. Er beschreibt die Verwicklungen des vermeintlich gesunden Dr. Ragin mit seinem Patienten Ivan Dmitric Gromov und widmet sich den großen Fragen nach Schuld und Verantwortung, Gott und Welt, Körper und Geist. In John Irvings weltberühmtem Roman Gottes Werk und Teufels Beitrag geht das Waisenkind Homer bei seinem Ziehvater Dr. Wilbur Larch in die Lehre, der illegal Abtreibungen vornimmt, und erfährt, was es heißt, zwischen Gut und Böse entscheiden zu müssen.

976 Seiten, Leinen im Schuber ISBN 978-3-257-06729-3

»Krankheiten – die gibt es nicht! Sie sind eine Erfindung der Ärtzte!«, so Walter E. Richartz in der beißenden Satire über die ›Ärtzte‹, die mit den ›Ärzten‹ ohne zweites ›t‹ nicht zu verwechseln sind. W. Somerset Maugham schildert in seinem autobiographisch geprägten Entwicklungsroman Der Menschen Hörigkeit den verschlungenen und schwierigen Lebensweg des Medizinstudenten Philip Carey zum Arzt.

Diogenes Magazin

61


Infos unter www.3satmagazin.de 62

Diogenes Magazin

Jetzt l e d n a im H ! h c i l t l erh채


www.online-merkur.de

Ketzer, Außenseiter, Dandy, Exzentriker, Querulant, Genie, Dissident, Querdenker – in einer Gesellschaft, die sich kollektiv als nonkonformistisch imaginiert, ist es schwierig ein »echter« Nonkonformist zu sein.

Bestellungen über

Diogenes

Magazin

Illustration: © Loriot

Das wird man wohl noch sagen dürfen!

Das ›Diogenes Magazin‹ gibt es nicht am Kiosk, sondern nur im Buchhandel – oder im Abo bequem frei Haus.

Das Diogenes Magazin erscheint 3 × im Jahr als Abo (3 Ausgaben) für nur € 10.– (D / A) oder sFr 18.– (CH) (Weitere Länder auf Anfrage) So können Sie das Diogenes Magazin abonnieren:

❶ per Abo-Postkarte ❷ per E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch ❸ per Fax +41 44 252 84 07 ❹ auf unserer Homepage: www.diogenes.ch

www.online-merkur.de

Ich abonniere das Diogenes

Sag die Wahrheit!

Magazin, ab Nr. 10

Name

Warum jeder ein Nonkonformist sein will, aber nur wenige es sind

Vorname Geburtsdatum Straße / Hausnummer Land / PLZ / Ort Telefonnummer / E-Mail Ich zahle per Rechnung für 3 Hefte € 10.– (D / A) oder sFr 18.– (CH) – weitere Länder auf Anfrage Rechnungsanschrift siehe oben Abweichende Lieferadresse: Name

SONDERHEFT

Vorname

MERKUR

Straße / Hausnummer

DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR EUROPÄISCHES DENKEN HERAUSGEGEBEN VON KARL HEINZ BOHRER UND KURT SCHEEL

Land / PLZ / Ort

KLETT-COTTA

Telefonnummer / E-Mail

Doppelheft 748 / 749 September / Oktober 2011 € 21,90 / sFr 29,90

Ich möchte von Diogenes weitere Informationen per E-Mail oder schriftlich (nicht telefonisch) erhalten. (Ihre Daten dienen ausschließlich internen Zwecken und werden nicht an Dritte weitergeleitet.) Abo Service: Schwarzbach Graphic Relations GmbH, Tegernseer Landstraße 85, 81539 München, Deutschland, Telefon +49 (0)89 64 94 36-6, Fax +49 (0)89 64 94 36-70, E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb von 2 Wochen ohne Begründung schriftlich widerrufen. Das Abonnement verlängert sich automatisch. Kündigung bis 8 Wochen vor Ende Bezugszeitraum möglich. Die Preise sind inkl. Versandkosten, Preisänderungen vorbehalten. Stand Oktober 2011

Datum / Unterschrift DiogenesOkt11_1_3hoch_4c_SP.indd 1

02.09.11 11:36

Diogenes Magazin

63


Vorabdruck

Miranda July

Es findet dich

Foto: Š Brigitte Sire

Miranda July kommt mit ihrem Drehbuch nicht weiter und trĂśdelt ziellos herum. Doch wer nicht sucht, findet manchmal das Wesentliche. Ein Vorabdruck aus Miranda Julys neuem Buch Es findet dich: das erste Kapitel und eines von zehn Interviews.

64

Diogenes Magazin


I

n den ersten beiden Jahren, die wir zusammen waren, schlief ich jede Nacht bei meinem Freund, schaffte aber kein einziges Kleidungsstück, nicht ein Söckchen, nicht eine Garnitur Unterwäsche, in seine Wohnung. Das bedeutete, dass ich tagelang dieselben Kleidungsstücke trug, bis ich endlich dazu kam, in meine verwahrloste, kleine Höhle ein paar Straßen weiter zurückzugehen. Nachdem ich mir frische Sachen angezogen hatte, spazierte ich dann wie in Trance herum, hypnotisiert von dieser Zeitkapsel meines Lebens vor ihm. Alles war noch so, wie ich es zurückgelassen hatte. Bei manchen der Lotions und Shampoos hatten sich die Bestandteile in wächserne Schichten getrennt, aber im Badezimmerschränkchen lagen immer noch die extra-extra-großen Kondome meines Exfreunds, mit dem der Verkehr schmerzhaft gewesen war. Ein paar Lebensmittel hatte ich weggeworfen, doch die haltbaren, die weißen Riesenbohnen, der Zimt und der Reis, warteten alle auf den Tag, da ich mich erinnern würde, wer ich eigentlich war, eine alleinstehende Frau, und heimkehren würde, um ein paar Bohnen einzuweichen. Als ich schließlich doch irgendwann meine Kleider in schwarze Plastiksäcke stopfte und zu ihm verfrachtete, fühlte ich mich ziemlich verwegen – so wie damals, als ich mir in der Highschool die Haare abgeschnitten hatte, oder als ich die Uni schmiss. Es war unüberlegt und konnte nur böse enden, aber scheiß drauf. Mittlerweile lebe ich seit vier Jahren bei meinem Freund (die beiden Jahre, die ich dort ohne meine Kleidung gewohnt habe, nicht eingerechnet), und wir sind verheiratet, daher betrachte ich sein Haus nun als mein Haus. Oder so gut wie. Ich bezahle weiterhin die Miete für die kleine Höhle, und fast alles, was ich besitze, ist dageblieben, unangetastet. Nur die extra-extra-großen Kondome habe ich letzten Monat entsorgt, nachdem ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie ich sie gefahrlos einem Obdachlosen mit großem Penis

schenken könnte. Ich behalte die Wohnung, weil die Miete günstig ist und ich dort schreibe; sie ist jetzt mein Büro. Und die weißen Bohnen, der Zimt und der Reis lassen sozusagen das Licht für mich an, für den Fall, dass alles in einer Katastrophe endet oder ich mich auf einmal besinne und zurückkehre zu meiner angestammten Position als der einsamste Mensch, der je gelebt hat. Diese Geschichte spielt 2009, unmittelbar nach unserer Hochzeit. Ich schrieb im ›kleinen‹ Zuhause an einem Drehbuch. Ich schrieb am Küchentisch oder in meinem alten Bett mit den Laken aus dem Secondhand-

Das Lustige an meiner Bummelei war, dass ich das Drehbuch beinah fertig hatte. Laden. Besser gesagt – jeder, der in jüngster Zeit etwas zu schreiben versucht hat, kennt das –, ich hatte an diesen Orten alles fürs Schreiben vorbereitet, doch stattdessen klickte ich mich durchs Internet. Es hatte eine gewisse Berechtigung, weil eine der Figuren in meinem Film ebenfalls an etwas werkelte, einer Choreographie nämlich, sich aber, anstatt zu tanzen, auf YouTube Tänze anschaute. Meine Bummelei war also gewissermaßen Recherche. Als wüsste ich nicht längst, wie sich das anfühlte: so, als sähe ich mich selbst aufs offene Meer hinaustreiben, zu fasziniert von den Wellen, um nach Hilfe zu rufen. Ich war neidisch auf ältere Schriftsteller, die in ihrer Disziplin noch sattelfest hatten werden können, ehe das Internet kam. Ich hatte davor nur Zeit für ein Drehbuch und ein Buch gehabt. Das Lustige an meiner Bummelei war, dass ich das Drehbuch beinahe fertig hatte. Ich war wie ein Mensch, der Drachen besiegt und Gliedmaßen eingebüßt und Sümpfe durchquert hatte und nun endlich das Schloss vor sich sah.

Ich konnte bereits, winzig klein, Kinder erkennen, die vom Balkon aus mit Fähnchen winkten – ich musste nur noch ein Feld überqueren, um sie zu erreichen. Doch da war ich plötzlich sehr, sehr müde. Die Kinder trauten ihren Augen nicht, als ich auf die Knie sank und dann vornüber aufs Gesicht schlug, mit weitgeöffneten Augen. Regungslos sah ich Ameisen bei einem Loch zu, die geschäftig ein und aus schwärmten, und ich wusste, dass wieder aufzustehen mir tausendmal mehr abverlangen würde als der Drache oder der Sumpf, daher versuchte ich es erst gar nicht. Ich klickte mich einfach von einer Sache zur nächsten zur nächsten. Der Film handelte von einem Paar, Sophie und Jason, das einen sehr alten und kranken Straßenkater namens Paw Paw adoptieren will. Der Kater wird rund um die Uhr betreut werden müssen wie ein neugeborenes Baby, allerdings für den Rest seines Lebens; das können sechs Monate sein, oder auch fünf Jahre. Ihren guten Absichten zum Trotz graut Sophie und Jason vor dem drohenden Verlust ihrer Freiheit. Deswegen streichen beide einen Monat vor der Adoption sämtliche Ablenkungen aus ihrem Leben – sie kündigen ihre Jobs und ihren Internetanschluss – und konzentrieren sich ganz auf ihre Träume. Sophie möchte einen Tanz choreographieren, Jason engagiert sich in einer Umweltinitiative und verkauft Bäume von Tür zu Tür. Während der Monat verstreicht, erfasst Sophie eine fortschreitende, beschämende Lähmung. In einem Moment der Verzweiflung beginnt sie eine Affäre mit einem Fremden – Marshall, einem spießigen Fünfzigjährigen aus dem San Fernando Valley. In seiner Suburbia-Welt muss sie nicht sie selbst sein; solange sie sich dort aufhält, wird sie es nie mehr versuchen (und daran scheitern) müssen. Für Jason bleibt die Zeit stehen, als Sophie ihn verlässt. Er bleibt bei 3 Uhr 14 hängen und hat nur noch den Mond zum Reden. Der Rest des Films schildert dann, wie sie zu sich selbst finden und nach Hause kommen. Diogenes Magazin

65


Vielleicht, weil mir selbst ein wenig das Selbstvertrauen fehlte, als ich an dem Drehbuch schrieb, und weil ich gerade geheiratet hatte, geht es in dem Film letztlich um Glauben, in erster Linie um den Alptraum, keinen zu haben. Es war erschreckend leicht, sich eine Frau auszumalen, die an sich selbst scheitert, aber an Jasons Storyline biss ich mir die Zähne aus. Zu seinen Szenen fiel mir nichts ein. Eins wusste ich: Am Ende des Films würde ihm aufgehen, dass er die Bäume nicht verkaufte, weil er glaubte, es nütze etwas – er war sogar sicher, dass es dafür längst zu spät war –, sondern weil er diesen Ort, die Erde, liebte. Es war ein Akt der Hingabe. Ein bisschen wie schreiben oder jemanden lieben – manchmal weiß man nicht, ob es sich lohnt, aber daran festzuhalten kann mit der Zeit unerwartet sinnstiftend sein. Ich kannte also den Anfang und das Ende – ich musste mir nur einen glaubwürdigen Mittelteil zusammenphantasieren, den Teil, in dem Jasons Klinkenputzen ihn in Kontakt zu Fremden bringt, vielleicht sogar in ihre Häuser, wo er eine Reihe interessanter, brüllend komischer oder transformativer Gespräche führt. Diese Dialoge gingen mir sogar leicht von der Hand; ich schrieb sechzig verschiedene Entwürfe zu sechzig verschiedenen Baumverkaufsgesprächen, und jedes einzelne hatte ich wirklich genial gefunden. Jedesmal war ich überzeugt gewesen, das Puzzleteil gefunden zu haben, das zur brüllend komischen, transformativen Vollendung der Geschichte noch gefehlt hatte. Jedesmal hatte ich reumütig in mich hineingegluckst, wenn ich das Drehbuch stolz Leuten mailte, an deren Meinung mir etwas lag, und mir dabei gedacht: Puh, manchmal kann es ja reine Folter sein, aber wenn man den Glauben nicht verliert und dranbleibt, kommt am Ende doch das Richtige des Weges. Jeder dieser E-Mails schickte ich einen Tag, manchmal auch nur eine Stunde später weitere E-Mails hinterher – »Betreff: Nicht den Entwurf lesen, den ich dir ge66

Diogenes Magazin

schickt habe!! Neue Fassung folgt bald!!« So viel zum Glauben. Ich lag auf dem Feld und sah den Ameisen zu. Ich googelte meinen eigenen Namen, als würde die Antwort auf mein Problem sich in irgendeinem Blog verstecken, in dem man lesen konnte, wie nervig ich war. Alkohol hatte ich nie ganz verstanden, was die meisten Menschen befremdete, aber wenn ich jetzt abends vom ›kleinen‹ Zuhause heimkam, sprach ich möglichst nicht mit meinem Mann, bevor ich ein Schlückchen Wein getrunken hatte. Ich hatte 35 Jahre lang in intensivem Einklang mit mir selbst gelebt, und jetzt hatte ich genug davon. Ich diskutierte mit anderen über Alkohol wie

In L. A. verkauft jem and eine Jacke. Die Jacke ist aus Leder. Außerdem groß und schwarz. über eine neue Teesorte, die ich bei Whole Foods entdeckt hatte: »Es schmeckt eklig, aber es macht einen entkrampfter und angenehmer im Umgang – probiert es mal aus!« Außerdem entwickelte ich eine freudlose Vorliebe für Hausarbeit. Ich spülte Geschirr, und zwar laut. Ich kochte aufwendige Mahlzeiten, die ich mit giftiger Gequältheit auftischte. Anscheinend war das alles, wozu ich momentan imstande war. Ich erzähle Ihnen das alles, damit Sie nachvollziehen können, warum ich mich so auf die Dienstage freute. Dienstag war der Tag, an dem das PennySaver­Heftchen in der Post war, versteckt zwischen zahllosen Gutscheinen und anderen Werbeprospekten. Ich las es beim Mittagessen, und zwar – da ich es nicht besonders eilig hatte, mich wieder ans Nicht-Schreiben zu machen – für gewöhnlich in einem Zug von vorn bis zu den Immobilienanzeigen ganz hinten. Ich studierte jedes Angebot eingehend,

nicht als Käuferin, sondern als neugierige Bürgerin von Los Angeles. Jede Anzeige war wie ein sehr kurzer Zeitungsartikel. Letzte Neuigkeiten: In L. A. verkauft jemand eine Jacke. Die Jacke ist aus Leder. Außerdem groß und schwarz. Der Anbieter schätzt ihren Wert auf zehn Dollar. Der Anbieter ist sich aber nicht allzu sicher, was den Preis betrifft, denn er wäre auch bereit, andere, niedrigere Preise in Betracht zu ziehen. Ich wollte mehr wissen, darüber, wie der LederjackenAnbieter dachte, wie er so den Tag verbrachte, über seine Hoffnungen und seine Ängste – aber davon stand nichts da. Dafür stand dort seine Telefonnummer. Hier hatten wir einerseits mein erzählerisches Problem mit Jason und den Bäumen, und andererseits diese Telefonnummer. Die ich unter anderen Umständen niemals gewählt hätte. Ich brauchte definitiv keine Lederjacke. Aber an jenem Tag wollte ich auf keinen Fall wieder an den Computer. Nicht nur wegen des Drehbuchs, auch wegen des Internets und seiner Sogwirkung. Also griff ich zum Hörer. Ein unausgesprochener Grundsatz bei Kleinanzeigen besagt, dass man die Nummer nur anrufen darf, um über den angebotenen Artikel zu reden. Aber es gilt auch immer noch ein anderer Grundsatz, und zwar der, dass wir in einem freien Land leben, und ich legte es darauf an, meine Freiheit zu fühlen. Vielleicht war es meine einzige Gelegenheit für heute, mich frei zu fühlen. In meiner paranoiden Welt glaubt jeder Ladenbesitzer, ich würde stehlen, jeder Mann hält mich für eine Prostituierte oder eine Lesbe, jede Frau hält mich für eine Lesbe oder für arrogant, und jedes Kind und jedes Tier erkennt, wie ich wirklich bin, nämlich böse. Daher achtete ich, als ich anrief, darauf, nicht ich selbst zu sein. Ich erkundigte mich nach der Lederjacke mit einer Stimme, die ich dem kleinen Beaver aus der Sitcom Leave It To Beaver entlehnt hatte. Ich hoffte auf die gleiche amüsierte Toleranz, mit der man ihm begegnete.


Am anderen Ende war ein Mann mit einer gedämpften Stimme. Mein Anruf überraschte ihn nicht, natürlich nicht, er hatte ja die Anzeige aufgegeben. »Sie ist noch zu haben. Sie können mir ein Angebot machen, wenn Sie sie gesehen haben«, meinte er. »Okay, super.« Eine Pause entstand. Ich berechnete die ungeheure Entfernung zwischen dem Gespräch, das wir führten, und dem Punkt, zu dem ich wollte. Dann sprang ich. »Eigentlich hab ich mich gefragt, ob ich, wenn ich vorbeikomme, um mir die Jacke anzusehen, auch ein Interview mit Ihnen machen könnte, zu Ihrem Leben, überhaupt zu Ihrer Person. Ihren Hoffnungen, Ihren Ängste …« Meine Frage erntete die Art von Schweigen, die gellt wie ein Alarm. Ich fügte rasch hinzu: »Natürlich würde ich Sie für Ihren Zeitaufwand entschädigen. Fünfzig Dollar. Es würde nicht mal eine Stunde dauern.« »Okay.« »Okay, super. Wie heißen Sie?« »Michael.«

Seit 70 Jahren das Beste aus Literatur, Kunst, Musik, Fotografie, Film, Architektur, Design und Gesellschaft.

Buchtipp

MIRANDA JULY — ES FINDET DICH MIT FOTOGRAFIEN VON BRIGITTE SIRE DIOGENES

ca. 224 Seiten, Broschur mit Klappen ISBN 978-3-257-02097-7 MÄRZ 2012

Schräg, komisch, herzzerreißend, entwaffnend, ehrlich: zehn Interviews, in denen die Schriftstellerin, Künstlerin und Filmemacherin Miranda July ebenso viel über sich selbst verrät wie über die Menschen, mit denen sie spricht.

Miranda is missing Chronik einer Suche

abo@du-magazin.com

+41(0)44 266 85 62

www.du-magazin.com

Diogenes Magazin

67


Foto: © Autumn de Wilde / Icon / Dukas

Als der Diogenes Verlag vor drei Jahren Miranda Julys Erzähldebüt ›Zehn Wahrheiten‹ veröffentlichte, schrieb die ›Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung‹: »Ihre Kunst wurde gelobt, ihr Spielfilm gefeiert, jetzt schreibt sie auch noch tolle Kurzgeschichten: Wer ist Miranda July?« Heute, nach ihrem zweiten Spielfilm, Kunstprojekten in der ganzen Welt, unter anderem an der Biennale in Venedig, und ihrem neuen Buch ›Es findet dich‹, bleibt Miranda July weiterhin wunderbar geheimnisvoll. Hier einige Versuche der Kritik, das Wesen der Miranda July zu ergründen: »Sie ist so etwas wie ein Gesamtkunstwerk« (Brigitte), »ein Elfenwesen, ein Puck, eine Pinocchia – Marionette ihrer eigenen Phantasie« (Der Tagesspiegel), »der Star der schrägen Künste« (Maxi), oder ganz einfach: »Miranda July ist die Künstlerin der Stunde« (Süddeutsche Zeitung).

68

Diogenes Magazin


Vorabdruck

Andrew Ochsenfrosch-Kaulquappen 2,50 Dollar / Stück – Paramount – Mittlerweile hat Miranda July beschlossen, das Drehbuch beiseitezulassen und jeden Penny­ Saver­Inserenten zu treffen und zu interviewen, der dazu bereit ist. In Paramount trifft sie den 17-jährigen Andrew, der per Kleinanzeige Kaulquappen verkauft, und verwickelt ihn in ein Gespräch über glückliche Ochsenfrösche, sein Zuhause, seine Ängste und seine Zukunftsträume. Dabei erfährt der Leser mindestens ebenso viel über Miranda wie über Andrew. Ein Vorabdruck aus Es findet dich, dem erstaunlich persönlichen neuen Buch von Miranda July.

Foto: © Brigitte Sire

W

enn mich jetzt Freunde fragten, wie es mit dem Drehbuch laufe, konterte ich mit der guten Neuigkeit von meinem neuen Job als Reporterin einer nichtexistenten Zeitung, für die ich Leute interviewte, die ich über ein kurz vor der Einstellung stehendes Werbeheftchen fand. Und da ich von der Mehrheit der Leute, die ich anrief, eine Absage erhielt, waren diejenigen, mit denen ich mich traf, keine reinen Zufallsbekanntschaften – wir hatten einander erwählt. Paramount lag weit jenseits von allem, was ich unter L.A. verstand. Ich machte einfach, was das GPS mir sagte, und dann war ich da. Es war heißer als dort, wo ich wohnte; der funkelnagelneue Straßenbelag verdeckte nur notdürftig die Wüste. Ich war viel zu früh dran, deswegen kurvte ich in den Straßen herum, an Reihen identisch aussehender Häuser vorbei. Ich konnte mir den Mann, der sie gebaut hatte, gut vorstellen – den Hammer in der einen Hand, schlug er sich mit der anderen zum tausendsten Mal vor die Stirn, als er einen Schritt zurücktrat,

sein jüngstes Werk begutachtete und feststellen musste, dass es schon wieder genau so geworden war wie das letzte Haus, das er gebaut hatte, gleich nebenan. Ich hasse es auch, wenn ich immer wieder dieselbe miese Idee habe, daher konnte ich es ihm nachfühlen. Mir erschien die Gegend ziemlich unwirtlich für Ochsenfrösche, die noch ganz am Anfang stehen, Kaulquappen. Ich hetzte zurück zu der Adresse, mittlerweile war ich zu spät. Ich verspäte mich immer, und zwar immer, weil ich zu früh da bin.

Andrew war, wie sich herausstellte, ein Siebzehnjähriger mit drei Teichen im Garten. Jungs im Teenageralter waren mir schon immer unbegreiflich gewesen, und ich hatte sie seit der Highschool möglichst gemieden. Aber Andrew war der eine Typ Teenager, mit dem ich vertraut war: der liebe, wunderliche Einzelgänger. Mein Bruder hatte während der Highschoolzeit auch Teiche angelegt. Andrews Teiche waren voller Wasserhyazinthen und spezieller Fische, die Mückeneier fressen. Ja, richtige Seerosenpolster schwammen im Sonnenlicht friedlich auf dem Wasser, und die Frösche wirkten so glücklich, wie Vorstadtfrösche nur sein können. Miranda: Wie hast du die gemacht? Andrew: Ich hab einfach gegraben. Miranda: Hast du vorher etwas über Teiche gelesen, oder wie hast du das hinbekommen? Andrew: Gelesen eigentlich nicht. Ein paar Leute haben mir gesagt, wie. So hab ich das nach und nach ausgetüftelt. Miranda: Und was gefällt dir daran? Diogenes Magazin

69


Andrew: Weiß auch nicht. Ist irgendwie relaxend. Wenn ich da so draufgucke, das entspannt mich total. Ich nickte und tat so, als sei ich relaxt. Ich betrachtete das auf dem Wasser tanzende Sonnenlicht und praktizierte ein paar Sekunden lang Leib-Seele-Integration, indem ich lautlos hyperventilierte. Miranda: Hast du schon einmal eine Anzeige im PennySaver aufgegeben? Andrew: Hatte ich noch nie versucht. Der kommt immer am Mittwoch oder Donnerstag. Ich sah das Heftchen da liegen und sagte mir: »Versuch es doch mal damit.« Es sollte bloß mal ein Probelauf sein. Hat aber eigentlich ziemlich gut geklappt. Miranda: Ach, tatsächlich? Gab es Käufer für die Kaulquappen? Andrew: Ja. Die sind richtig beliebt. Die Leute waren ganz geschockt, weil sie zuerst keine Kaulquappen sehen konnten. Miranda: Die Kaulquappen sind also hier? Andrew: Lassen Sie mich mal die Pflanze hier wegnehmen, dann können Sie sie sehen. Er hob ein Büschel tropfender Wasserpflanzen hoch und fischte mit der hohlen Hand eine Kaulquappe heraus. Miranda: Wow, die sehen ja schon ganz schön froschig aus. Ich hatte sie mir kleiner vorgestellt. Das muss doch aufregend sein, wenn du dann auf einen Schlag jede Menge – äh, wie schnell geht das denn? Andrew: Die Metamorphose? Miranda: Ja. Andrew: Ziemlich schnell. Ich würd mal sagen, der hier braucht nur noch ein paar Wochen. Miranda: Hab ich da das richtige Bild im Kopf – die mit diesem großen, weißen Dingsda, die ein Geräusch machen wie – na, das Geräusch mache ich lieber nicht. Andrew: Genau die. Miranda: Das wird ja sensationell werden – überall diese Töne. Andrew: Ja, überall. Ist total laut. Miranda: Eine nette Überraschung für die Nachbarn. 70

Diogenes Magazin

Andrew beobachtete aufmerksam eine Taube, die einen Landeplatz suchte und sich dann nervös neben dem Teich niederließ. Andrew: Sehen Sie sich die Taube an. Das hab ich vorher noch nie gesehen. Die Teiche ziehen allerlei Getier an. Sie ziehen alle möglichen Tiere an. Miranda: Was denn noch für welche? Andrew: Eidechsen. Miranda: Na, der Großteil der Stadt ist wohl nicht besonders einladend für Tiere, deswegen ist hier so was wie ein kleines …

Und wenn jetzt, auf einmal, Löwen und Antilopen kommen würden?

Andrew: Genau, ein Biotop für sie. Miranda: Und wenn jetzt, wo wir hier so stehen, auf einmal, sagen wir, Löwen und Antilopen kommen würden? Andrew: Das wär irre. Miranda: Was machen denn deine Eltern? Sind sie auf der Arbeit? Andrew: Mein Dad hat gerade seine Stelle bei der Stadtverwaltung verloren. Er hat in Buena Park gearbeitet, gleich neben Knott’s Berry Farm. Er war da Hausverwalter. Jetzt ist er gekündigt worden und sitzt zu Hause. Wir verbringen jetzt mehr Zeit mit ihm. Meine Mutter arbeitet bei Kaiser. Ich musste dringend aus der Sonne, deswegen gingen wir nach drinnen. Wir schlichen uns an dem fernsehenden Vater vorbei in Andrews Zimmer. Ich zog automatisch die Tür hinter uns zu, denn welcher Teenager lässt schon seine Zimmertür offen? Undenkbar. Aber dann erschien es mir seltsam – ich war ja eine völlig Fremde –, und ich machte sie wieder einen Spalt auf. Miranda: Haben deine Eltern irgendwelche Vorstellungen, was du

jetzt nach dem Schulabschluss anfangen sollst? Hast du einen Plan? Andrew: Aufs College gehen, eine gute Ausbildung machen, einen Beruf finden. Miranda: Wo gehst du denn hin? Andrew: Long Beach. Ich bin schon eingeschrieben. Ich hab die ganzen Broschüren und so. Miranda: Und was möchtest du studieren? Andrew: Ich möchte gerne was mit Flugzeugbau oder so machen, an Motoren arbeiten, was in der Art. Ich weiß nicht genau. Irgendwas, wo ich mit den Händen arbeite, Mechaniker vielleicht. Miranda: Und mal abgesehen vom Beruf, abgesehen von Schule und Beruf, was hast du für ein Bild von deiner Zukunft? Andrew: Bild? Miranda: Was stellst du dir vor? Andrew: Für die Zukunft? Miranda: Ja, ganz egal was. Er starrte an die Decke, um ein Bild heraufzubeschwören, als hätte ich ihn aufgefordert, tatsächlich in seine Zukunft zu schauen. Andrew: Ich seh mich eher, denk ich mal, im Wald und so – in den Bergen, was in der Richtung, wo es Tiere gibt. Miranda: Also vielleicht nicht gerade hier. Andrew: Nein, hier nicht. Etwas bewegte sich in Andrews Terrarium; ich hielt es für eine Schildkröte, doch dann sah ich genauer hin. Miranda: Wah! Andrew: Ja, das ist meine Spinne. Miranda: Ist das eine Tarantel? Andrew: Ja. Aber sie beißt nicht. Keine Sorge. Miranda: Okay. Gut zu wissen, dass ich eine Tarantel hinter mir habe. Okay, was war der glücklichste Moment bisher in deinem Leben? Andrew: Der glücklichste Moment? Das war eindeutig die Party zum Schulabschluss, die meine Mom und mein Dad für mich gegeben haben. Miranda: Sie waren bestimmt verdammt stolz.


Fotos: © Brigitte Sire

Andrew: Ja. Sie sind stolz. Das war eins meiner Ziele, der Highschoolabschluss. Miranda: Ist es dir schwergefallen? Andrew: Na ja, für mich war’s eigentlich nicht besonders schwer. Ich war in einer Fördergruppe, da verlangen die Lehrer nicht allzu viel von einem. Da ist es einfach. Miranda: War es zu einfach? Andrew: Ja, zu einfach. Es hätte ruhig schwieriger sein können. Die versuchen gar nicht, einem was beizubringen, weil sie glauben, man könne den Stoff, den sie durchnehmen, eh nicht verarbeiten. Miranda: Weißt du, warum du Förderunterricht hattest? Andrew: Nein. Ich war seit 2000 in der Gruppe. Miranda: Das heißt … seit du acht warst. Andrew: Ja. Sie haben mir bloß meine Unterlagen ausgehändigt, und da steht, ich könne mir Sachen schlecht merken. Miranda: Stimmt das denn? Andrew: Da steht, ich würde im Unterricht bloß träumen. Vermutlich kommt der Lehrer darauf, weil ich nicht mit den anderen in der Gruppe

rede, weil ich die nicht kenne. Ich sitze einfach da und mach meine Aufgaben und rede mit keinem. Der Lehrer muss wohl denken, ich würde träumen, weil ich nicht mit anderen kommuniziere. Miranda: Worüber hättest du denn gerne mehr gelernt? Andrew: Naturwissenschaft, würd ich sagen. Bei uns im Unterricht haben wir nie Experimente gemacht. Wenn man einigen der Kids in der Fördergruppe ein Messer oder so was gibt, dann spielen die damit rum, und weil sie nicht allen von uns getraut haben, haben sie uns wohl erst gar kein Material zum Experimentieren und so in die Hände gegeben. Das hat mich irgendwie geärgert. Wir konnten nie Experimente machen, während die anderen Projekte und alles Mögliche machen durften. Uns haben sie es nicht mal versuchen lassen. Miranda: Dabei wärst du in Biologie so gut gewesen und – Andrew: Ein paar anderen Sachen. Einfach bescheuert. Miranda: Das ärgert mich richtig. Andrew: Es hat mich auch geärgert. Miranda: Es gibt nicht viele Jungs in deinem Alter, die eine ganze Teich-

landschaft anlegen und alles darin am Leben halten. Ich frage mich, inwiefern dein College sich nach dieser Akte richten wird oder ob du so was wie einen Neuanfang machen kannst. Andrew: Die werden sich danach richten. Meine Studienberaterin hat mir gesagt, ich soll die ganzen Unterlagen ins Sekretariat bringen und nach dem Förderprogramm fragen. Miranda: Wäre es denn so viel einfacher, Flugzeugmechaniker zu werden als zum Beispiel Park Ranger oder so? Ich meine, wenn du die Wahl hättest. Andrew: Ich weiß nicht. Das soll ja ziemlich schwierig sein. Und ich bin auch nicht in allem richtig gut. Wenn ich was mache, möchte ich auch wissen, dass ich es schaffen kann. Wenn ich denke, dass ich es auf lange Sicht superschwer damit haben werde, lasse ich es lieber. Miranda: Na ja, vor allem, wenn sie dir dauernd einreden, du wärst nicht gut genug – wie sollst du da lernen, dich durchzubeißen? Immerhin bist du jetzt beinahe erwachsen – ein paar Vorteile hat das schon. In der Highschool hat man so gut wie keine Rechte, aber am College … Diogenes Magazin

71


72

Diogenes Magazin

ßen, die nur noch ein paar Wochen warten müssen. Andrew: Das könnte man so sagen, eine Kaulquappe. Für einen Moment konnte ich die Zeit so empfinden, wie er sie empfand – sie war endlos. Es machte gar nichts, dass seine Träume von einem

Eigentlich bist du auch wie eine Kaulquappe, die kurz davor steht, sich zu verwandeln. Leben in wilder Natur in einer ganz anderen Richtung lagen als der Flugzeughangar, auf den er zusteuerte, denn es blieb noch Zeit genug für zahllose Leben. Es konnte immer noch alles geschehen, darum konnte keine Entscheidung völlig falsch sein. Ich mit meinen fünfunddreißig Jahren hatte jetzt genau die umgekehrte Empfindung. Auf der Rückfahrt von Paramount kam ich mir uralt vor, wie die Figuren in meinem Drehbuch. Sophie: In fünf Jahren sind wir schon vierzig.

Jason: Vierzig ist praktisch schon fünfzig, und nach fünfzig kommt nur noch Kleingeld. Sophie: Kleingeld? Jason: Ja, im Sinne von: Es reicht nicht mehr ganz für etwas, das man wirklich gerne hätte. Ich wusste, dass das eigentlich nicht stimmte, aber dies war der lähmende Gesamteindruck. Es blieb nicht mehr genug Zeit, um Fehler zu machen oder einfach etwas zu tun, ohne zu wissen, warum. Alles, was ich ab jetzt unternahm, musste eine noch unfassbarere Herausforderung sein als alles vorherige, ein haarsträubender Gedanke, da ich mich schon immer und von Anfang an übernommen hatte. Mein erster professioneller – das heißt, an ein hypothetisches Publikum gerichteter – künstlerischer Versuch war ein Theaterstück, das auf meinem Briefwechsel mit einem Gefängnisinsaßen basierte. Mit vierzehn hatte ich begonnen, Franko C. Jones Briefe zu schreiben. Ich hatte seine Adresse (na, wo schon?) in den Kleinanzeigen gefunden, in einer heute offenbar abgeschafften Rubrik namens ›Gefängnis-Brieffreundschaften‹. Als ich kleiner war, hatte mein Dad mir

Fotos: © Brigitte Sire

Andrew: Ja. Jetzt kommt es allein auf mich an. Es war verlockend, ihm mit ein paar guten Ratschlägen beizuspringen – ich stand etwa zwei Sekunden davor, ihm ein Praktikum bei meinem Bruder anzubieten, der Sumpfgebiete renaturiert. Aber es war so typisch für mich, bei jedem Menschen gleich sein Problem anzuvisieren und dabei alles, was ihn oder sie sonst noch ausmachte, zu übersehen. Also schärfte ich meinen Blick für das, was Andrew sonst noch war, außer ein Opfer des Systems. Andrew war ein bisschen wütend, aber überwiegend war er stolz. Deswegen änderte ich meine Taktik: Ich sagte das Gegenteil von dem, was ich meinte, und es kam der Wahrheit näher. Miranda: Wir erwischen dich also gerade in einer spannenden Phase deines Lebens. Andrew: Ja, eine ziemlich gute Phase. Miranda: Es klingt vielleicht ein bisschen blöd, aber eigentlich bist du doch auch wie eine Kaulquappe, die kurz davor steht, sich zu verwandeln. Andrew: Ja, das stimmt. Miranda: Du bist eine von den gro-


AZ_EMMA_Diogenes_56x250 26.09.11 16:25 Seit

zum Einschlafen Die Leben des Billy Milligan vorgelesen, die wahre Geschichte eines Räubers und Vergewaltigers mit multipler Persönlichkeitsstörung (mein Vater las mir vorzugsweise Bücher vor, die ihn selbst interessierten). Meine Sympathie für Sträflinge entsprach also sozusagen einer Familientradition; möglicherweise hatte ich den ersten Brief an Franko nur geschrieben, um etwas zu machen, was mein Dad interessant fände. Aber dann schrieb ich ihm weiter, jede Woche, drei Jahre lang. Die Kluft zwischen einem achtunddreißigjährigen Mörder, der das achtzehnte Jahr seiner Haftstrafe in Florence absitzt, und einer sechzehnjährigen Gymnasiastin aus Berkeley, Kalifornien, hat geradezu lyrische Ausdehnungen, wie der Ozean oder der Weltraum. Sie zu überbrücken, erschien mir als eines der wenigen heiligen oder transzendenten Dinge, die ich probieren konnte. Ich versuche schon so lange, seit Jahrzehnten, den Deckel ein wenig zu lüften, einen Blick unter den Rand des Lebens zu erhaschen und es auf frischer Tat zu ertappen – wobei ›es‹ nicht Gott ist (denn das Wort ›Gott‹ stellt eine Frage und beantwortet sie dann sogleich, ohne einem Zeit zum Nachdenken zu lassen), aber doch etwas in der Richtung. In unseren Briefen schrieben wir über Schulnoten, Gefängnisrevolten (Franko nahm mir auf Kassette auf, wie sich so etwas anhörte), meine Freundinnen ( Johanna, Jenni), seine Freunde (Lefty, One-Eye) und auch über sonst alles in unserem Leben – außer Sex, das hatte ich gleich zu Beginn für tabu erklärt. Ich schrieb das Stück, weil ich unsere Beziehung nicht erklären konnte. Gespräche darüber nahmen stets ein schlechtes Ende, und ich hatte Sehnsucht danach, auf umfassendere Weise verstanden zu werden. Ich suchte per Anzeige in einem kostenlosen Wochenblatt Schauspieler und lud zum Vorsprechen in einen Reggae-Club ein. Die Rolle des Franko besetzte ich mit einem Drogenberater Mitte drei-

ßig, und die Figur, die mich darstellen sollte, wurde von einer Latina Anfang zwanzig namens Xotchil gespielt. (Meine Überlegung war, dass ich als Regisseurin eher ernst genommen würde, wenn ich nicht selber mitspielte – etwas, das ich mittlerweile allzu oft vergesse.) Wir probten auf meinem Dachboden und brachten das Stück, The Lifers, im ›924 Gilman Street‹ auf die Bühne, einem Punk-Club. Ich lieh mir Stühle aus einer Kirche, und auf denen saß ich dann mit meinen Freundinnen und Freunden, meinen Eltern und den Freunden meiner Eltern und ein paar verdutzten Punkrockern. Gemeinsam sahen wir uns diese Inszenierung meiner unmöglichen Freundschaft und der unbeholfenen spirituellen Sehnsüchte darin an. Ich war so elektrisiert, vor lauter Scham und Stolz zugleich, dass ich nach etwa zwei Dritteln des Stücks aufstand und mich an den Rand der Bühne schlich. Ich weiß nicht genau, was ich dort tun wollte – vielleicht die Aufführung stoppen oder die Inszenierung mittendrin völlig umschmeißen. Der Drogenberater warf mir von der Bühne aus drohende Blicke zu, und ich verzog mich wieder auf meinen Sitz. Ich würde es einfach über mich ergehen lassen müssen. Aus dem Amerika­

nischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann

Buchtipp

Miranda July Zehn Wahrheiten Stories · Diogenes

Diogenes Taschenbuch detebe 23938, 272 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

»Was für unglaubliche Geschichten: so zärtlich, so schonungslos, pure Zauberei.« Der Spiegel

Daniel Keel war EMMA-Leser. Anna auch. Und Sie?

EMMA im Diogenes Angebot 2 zum Preis für 1! 6 Monate EMMA für nur 10 Euro. Oder 20 Franken.

Zu bestellen bei:

emma@zenit-presse.de

T + 49 711/725 22 85 Und werfen Sie einen Blick auf

www.emma.de Diogenes Magazin

73


Oliver Voss

Ei n b e s o Tag verdi eine beso Zeitung: SONNTAG Es ist der Tag, der nich ts von uns erwartet, aber alles für uns tut: der Sonntag. Er bringt uns viel frei e Zeit – und die richtige Zeitung. Mit dem entspannten Überblick über all das, was in der Woche zu kurz kam: Politik, Sport, Kultur, Reisen und vieles mehr. Apropos Reisen: WELT am SONNTAG reist direkt zu Ihnen. 4x kostenlos. Ein fach anrufen: Tel. 0 800/8 50 80 30.

Gebührenfrei aus dem deutschen Fest

74

Diogenes Magazin

netz. Oder einfach unter www.wams.de/

lesen


nderer ent ndere Diogenes Magazin

75


76

Diogenes Magazin

Foto: Š Wolfgang Kunz


Zeichnung von Loriot im Diogenes Gästebuch, 1963

Hommage

Hape Kerkeling über Loriot

Ein Nilpferd namens Melanie Hape Kerkeling, 46, bewarb sich im Alter von zwölf Jahren für die Rolle des Dicki Hoppenstedt, Spross der TV-Familie in Loriot VI. Er wurde nicht genommen, was seiner weiteren Unterhaltungskarriere und seiner Bewunderung für Loriot jedoch keinen Abbruch tat.

Z

um ersten Mal begegnete ich Loriot 1989 bei einem verregneten Dreh für eine Show mit Michael Schanze am Starnberger See. Mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten teilten Herr von Bülow und ich uns einen sehr ungemütlichen Wohnwagen, der leicht schräg auf einer matschigen Uferwiese stand und nur mit dem Nötigsten ausgestattet war. Nämlich: einer beigefarbenen Sitzgruppe sowie steingrauer Auslegeware. Darüber hinaus gab es ein Stockbett – »Modell Andante«, welches übrigens »etwas stramm in der Rückenlage« war, wie das bei Loriot hieß. Da besagte Sitzgruppe nicht einladend und die Wartezeit lang war, hielten wir es für angebracht, liegend auf unseren Einsatz zu warten. Herr von Bülow entschied sich für das obere Bett, ich nahm das untere. Selbstverständlich! Was für eine herrlich absurde Situation, wie aus einem seiner Sketche.

Erstaunt war ich darüber, dass der große Loriot nicht im Geringsten gegen diese miese Unterbringung rebellierte, sondern den Umstand mit einem Lächeln akzeptierte und mich – damals gerade mal 24 Jahre alt – mit großer Offenheit und Freundlichkeit behandelte.

Für unsere Nation war Loriot so etwas wie ein heimlicher Bundespräsident. So lagen wir da wie zwei Buben im Landschulheim, die aus purer Langeweile einen Streich planen, denn irgendwann sagte Loriot: »Herr Kerkeling, was meinen Sie? Man wird sicherlich erwarten, dass wir in der Show etwas Komisches zum Besten geben. Sollten wir beide nicht, auch

angesichts des Wetters, einfach sagen: Wir sind heute nicht komisch?« Ich musste sehr laut über diesen Vorschlag lachen. »Darf ich Ihr Lachen als Einverständnis werten!?«, hakte er nach. »Gerne! Genau so machen wir das, Herr von Bülow!«, stimmte ich seinem Vorschlag zu. War dieser Mann in jenem Moment wirklich 40 Jahre älter als ich? Eine halbe Stunde später saßen wir nebeneinander in einem mobilen Maskenwagen, um für die Show geschminkt zu werden. Ein aufgekratzter WDR-Redakteur stürmte herein und auf Loriot zu und brachte den Wagen und uns Insassen dadurch schwer zum Schaukeln. Wild gestikulierend redete er auf Loriot ein: »Herr von Bülow, nur damit Sie es wissen, Sie können heute hier so richtig Gas geben, es darf richtig krachen und lustig werden!« Loriot blieb gelassen und verkündete mit feierlichem Unterton: »Herr Diogenes Magazin

77


78

Diogenes Magazin

Buchtipps

Das große Loriot Buch Gesammelte Geschichten in Wort und Bild Diogenes

600 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-02068-7

Loriot

Loriot blieb gelassen und verkündete mit feierlichem Unterton: »Herr Kerkeling und ich haben beschlossen: Wir sind heute nicht komisch!«

Das Frühstücksei

Gesammelte dramatische Geschichten mit Doktor Klöbner und Herrn Müller-Lüdenscheidt, Herrn und Frau Hoppenstedt, Erwin Lindemann u.v.a.

Diogenes

288 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-02081-6

Für alle, die Loriot lieben: Loriots gesammelte Geschichten in Wort und Bild und die dramatischen Geschichten als prächtige Geschenkbände.

Loriot Bitte sagen Sie jetzt nichts Gespräche Diogenes

256 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06787-3

»Sa-gen-haft! Vermutlich benötigen wir überhaupt keine Biographie von Loriot. Was es über das Leben des Vicco von Bülow zu wissen gibt, hat er selbst in den Gesprächen erzählt. Der Rest ist Lachen.« Süddeutsche Zeitung, München

Fotos: © Wolfgang Kunz

Kerkeling und ich haben beschlossen: Wir sind heute nicht komisch!« Der Redakteur wurde blass und der Regen – zumindest in meiner Erinnerung – noch heftiger. Es wurde dann aber doch eine sehr unterhaltsame Show, gerade wegen dieser kuriosen Entscheidung. Michael Schanze fragte mich irgendwann: »Sag mal, Hape, gibt es eine neue Kunstfigur von dir?« Und ich antwortete: »Ja, Hannilein hat jetzt eine Schwester, und die heißt Melanie.« Da lautete Loriots knapper Kommentar: »Melanie, wäre das nicht auch ein entzückender Name für ein Nilpferd!?« In der darauffolgenden halben Stunde konnte ich nicht mehr eingeblendet werden, da ich vor einem monströsen Lachkrampf kapitulieren musste. Das Nilpferd namens Melanie! Erst an seinem Todestag kam mir diese Begebenheit nun wieder in den Sinn, als ich mir zugleich einen meiner Lieblingssketche von Loriot ansah: Das Bild hängt schief! Selbst an seinem Todestag musste ich laut und herzhaft darüber lachen. Das Bild hängt schief! Kein anderer Sketch beschreibt uns Deutsche besser. Er ist eine Zustandsbeschreibung dieser unserer Bundesrepublik. Auf eine internationale Karriere hat Loriot ja immer verzichtet, da er nach eigenem Bekunden Worte wie ›Sitzgruppe‹ oder ›Auslegeware‹ für nicht ins Englische übersetzbar hielt. Aber für unsere Nation war er so etwas wie ein heimlicher Bundespräsident. Hätte er jemals tatsächlich zur Wahl gestanden, er wäre vollkommen zu Recht im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt worden. Dieser liebenswürdige, menschenfreundliche, kluge, gebildete und edle Preuße! Das Bild hängt schief! Wie froh muss er gewesen sein, als er dieses Meisterwerk im Kasten hatte, denn in einer Talkshow äußerte er einmal, scheinbar nebenbei: »Ich bin immer glücklich, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin.« Danke, Loriot!


Psychologie Heute im Testabo Sichern Sie sich die nächsten drei Ausgaben Psychologie Heute! + 3 Ausgaben Psychologie Heute zum Sonderpreis + regelmäßig weiterlesen, wenn’s gefällt + Nur 13,– €

(statt 19,50 €)

Jetzt

3x

testen!

3H

EFT

EZ

UM

SO

ND

ERP

REI

S

PSYCHOLOGIE HEUTE Was uns bewegt.

www.psychologie-heute.de Diogenes Magazin

79


Illustration: © Tomi Ungerer

Im Mai 2011 schloss im indischen Mumbai die weltweit letzte Fabrik für mechanische Schreibmaschinen. Hansjörg Schneider, vor allem durch seine Hunkeler-Kriminalromane bekannt, tippt seit jeher seine handgeschriebenen Manuskripte auf einer Hermes 3000 ins Reine. Die persönliche Hommage an seine alte Schreibmaschine drucken wir natürlich als Faksimile ab.

80

Diogenes Magazin


Diogenes Magazin

81


Mit Ihnen Literatur entdecken. Montags Dienstags Mittwochs Donnerstags Freitags

14.05 Uhr 14.05 Uhr 14.05 Uhr 14.05 Uhr 21.05 Uhr 14.05 Uhr

HörSpiel – Hörgeschichten für das Kino im Kopf Schwiiz und quer – Für Liebhaber von Mundart und Brauchtum HörBar – Literatur fürs Ohr WortOrt – Orte und ihre Geschichten Schnabelweid – Die Schweiz und ihre Mundarten BuchZeichen – Weckt die Lust am Lesen www.drs1.ch

82

Diogenes Magazin


Small Talk

Andrea De Carlo Kein Geringerer als Italo Calvino

Welches Buch hat Ihr Leben verändert? Die drei Musketiere von Alexandre Dumas, als ich neun war. Es enthielt alles, was einen Roman spannend macht: Figuren, Gefühle, Szenerie und Handlung.

hat ihn entdeckt, und Altmeister Alberto

Moravia

nannte

ihn

»schon vollkommen«, als 1981 sein Romandebüt Creamtrain erschien. In den seither vergangenen dreißig Jahren pflegt Andrea

Welches Buch sollte ein Mann der Frau schenken, in die er verliebt ist? Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald.

De Carlo ein Leben voller Gegensätze: der Rückzug in seinen abgelegenen Wohnturm bei Urbino,

Welches Buch sollte eine Frau dem Mann schenken, in den sie verliebt ist? Madame Bovary von Gustave Flaubert.

die Existenz als Maler, Journalist, Fotograf unter anderem in New York oder auch Afrika und – zum Glück – das Schreiben seiner Bücher, von denen im Frühjahr sein

Was gefällt Ihnen an Mailand? Dass es keine echten Mailänder gibt, da fast alle zugewandert sind.

neuestes erscheinen wird: Sie und Er. Ein großer Liebesroman über die Suche nach Wahrheit und Ehr-

Wo haben Sie Ihre letzten Ferien verbracht? In London.

lichkeit in einer Liebe, die kaum möglich scheint.

W

o schreiben Sie am besten? Schreiben kann ich fast überall, tue es aber am liebsten vor einem Fenster, so dass mein Blick beim Aufschauen übers Land oder über eine städtische Szenerie schweifen kann.

Foto: © Grazia Ippolito / Opale

Was stört beim Schreiben am meisten? Anrufe, Lärm, ganz generell alles, was mich ablenkt. Über welche Themen sollte man nicht schreiben? Ich glaube, dass man über alles schreiben darf und muss, unter der Bedingung, dass man ehrlich mit sich selbst und den anderen ist.

Was kochen Sie, wenn Sie jemanden einladen? Pasta al pesto, ZucchiniKarotten-Klößchen, Apfelkuchen.

Andrea De Carlo Sie und Er

Roman · Diogenes

656 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06809-2 MÄRZ 2012

Bier oder Wein? Wein während des ganzen Jahres; Bier im Sommer, wenn ich ganz erhitzt von einem Spaziergang nach Hause komme. Was ist die schlimmste Frage in einem Interview? Alle Fragen, die mein Gefühlsleben betreffen. kam /Aus dem Italienischen

von Silvia Zanovello

Diogenes Magazin

83


Vorschaufenster

Arthur Conan Doyle. Der zweite Teil der Verfilmung von Guy Ritchie: Sherlock Holmes. Spiel im Schatten mit Robert Downey Jr. und Jude Law. Kinostart: 22.12.2011. Miranda July führte in ihrem Film The Future Regie, schrieb das Drehbuch und ist in der Hauptrolle neben Hamish Linklater zu sehen. Seit Oktober in den deutschen Kinos Kinostart Schweiz: 15.12.2011. Martin Suter. Seit Ende Oktober laufen die Dreharbeiten für Martin Suters Roman Der Teufel von Mailand. Regie: Markus Welter. Geplante TV-Ausstrahlung: Ende 2o12. F. Scott Fitzgerald. Regisseur Baz Luhrmann dreht seit September eine 3D-Neuverfilmung von Der große Gatsby mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire und Carey Mulligan. Kinostart: 2012. John Irving. 90-minütige Kinodokumentation John Irving und wie er die Welt sieht zu seinem 70. Geburtstag. Regie: André Schäfer, Florianfilm. Kinostart: 1.3.2012. Tomi Ungerer. Produzent und Regisseur Stephan Schesch verfilmt in enger Zusammenarbeit das Kinderbuch Der Mondmann als Animationsfilm. Mit den Stimmen von Katharina Thalbach, Ulrich Tukur, Corinna Harfouch, Ulrich Noethen u. a. Kinostart geplant: 2012. Brad Bernstein dreht eine amerikanische Dokumentation von 85 Minuten: Far Out Isn’t Far Enough: The Tomi Ungerer Story. Geplante Fertigstellung: Frühjahr 2012. 84

Diogenes Magazin

Ausstellungen

Ehren-Herausgeber: Daniel Keel (1930 – 2011) Geschäftsleitung: Katharina Erne, Ruth Geiger, Stefan Fritsch, Daniel Kampa, Winfried Stephan Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Mitarbeiterinnen dieser Ausgabe: Nicole Griessman, Cornelia Künne (ck), Martha Schoknecht (msc), Julia Stüssi (js)

Zeichnung von Tomi Ungerer zu seinem 80. Geburtstag im November 2011

Das Musée Tomi Ungerer in Straßburg zeigt zu Ungerers 80. Geburtstag Tomi Ungerer und seine Meister. Inspirationen und Dialoge bis 19.2.2012. Das Markgräfler Museum Müllheim präsentiert bis zum 29.1.2012 eine Auswahl von Zeichnungen, Postkarten, Plakaten und Souvenirs. Tomi Ungerer. Satiricon. Das satirisch-komische Werk ist im Caricatura Museum Frankfurt zu sehen, vom 8.12.2011 bis 18.3.2012. F. K. Waechter. Zeichenkunst im Kieler Stadtmuseum Warleberger Hof, bis 19.2.2012. Reiner Zimnik. Das Olaf Gulbransson Museum Tegernsee zeigt eine Retrospektive, vom 22.1.2012 bis 18.3.2012. Jean-Jacques Sempé. Sempé, un peu de Paris mit 300 Originalzeichnungen und Texten des Autors, Hôtel de Ville Paris, bis 11.2.2012. Charles Dickens. Eine Ausstellung zu seinem 200. Geburtstag 2012 im Museum Strauhof Zürich vom 14.12.2011 bis 4.3.2012. Cézanne – Renoir – Picasso und Co. Kunsthalle Tübingen, bis 29.1.2012. Von Renoir bis Picasso – Künstler der École de Paris vom 3.12.2011 bis 3.3.2012 in der Kunstsammlung Jena.

Grafik-Design: Catherine Bourquin Fotograf: Bastian Schweitzer Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien (Zürich) Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessman Freier Mitarbeiter: Jan Sidney (sid) Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Martha Schoknecht (msc@diogenes.ch) Zurzeit gilt Anzeigenliste Oktober 2011. Abo-Service: Christine Baumann (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die auf Seite 63 eingedruckte Abokarte. Abonnementspreise: € 10.– für drei Ausgaben in Deutschland und Österreich, sFr 18.– in der Schweiz, andere Länder auf Anfrage. Beim Gewinnspiel sind Mitarbeiter/-innen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Programmänderungen vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktionsschluss: 30.9.2011 / ISSN 1663-1641 Diogenes Magazin Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Tel. +41 44 254 85 11, Fax +41 44 252 84 07 Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann leider keine Korrespondenz geführt werden.

Gewonnen haben Schreibtisch-Gewinnspiel aus dem Diogenes Magazin Nr. 7: Den Hauptpreis, ein signiertes Exemplar von Tiere und Töne von Donna Leon und einen 200-Euro-Diogenes-Büchergutschein hat Christoph Anczykowski aus Waiblingen gewonnen. Je ein signiertes Exemplar des Buches haben gewonnen: Ruth Bosshard, Gais (CH); Jörn von Weihe, Bremen; Ingrid Blomeyer, Höhenkirchen-Siegertsbrunn; Volker-Detlef Pieske, Hannover, und Maria-L. Hagenau, Hamburg. Herzlichen Glückwunsch!

Illustration: © Bosc

Kino & TV

Impressum


Schreibtisch

Gewinnspiel

Fotos: © John Foley / Opale

D

ieser Schriftsteller braucht eine massive elektrische IBM-Schreibmaschine, die viel einstecken kann, denn die hohen Manuskriptstapel auf dem Tisch zeigen, dass hier keine Gedichte oder Kurzgeschichten enstehen, sondern erzählerische Epen, die oft 1000 Seiten lang sind. Was nicht verwundert, ist doch kein Geringerer als Roman-Großmeister Charles Dickens der Lieblingsschriftsteller des gesuchten Autors, der außerdem noch ein Faible hat für Kampfringen, Bären und Wien (wo er zeitweise studiert hat). Auch nach dem Schreiben des ersten Satzes (der bei unserem Autor jeweils der letzte ist!) hört das Ringen mit den Worten nicht auf, weshalb auf einer Art Altar in greifbarer Nähe ein umfangreiches Wörterbuch liegt, in dem alle Wörter schlummern, die die exzentrischen Figuren – zuletzt ein Koch und sein Sohn in einem Flößercamp – zum Leben erwecken.

Schicken Sie die Antwort bis zum 31. Mai 2012 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag Lösung Diogenes Magazin Nr. 7: Patricia Highsmith

Wer schreibt hier?

Gewinnspiel ›Wer schrieb hier?‹ Sprecherstr. 8 · 8032 Zürich · Schweiz

Wir verlosen 10 x Die vollständige Fernseh­Edition von Loriot in der DVD-Box (Warner Brothers) und Das große Loriot Buch (Diogenes). Als Hauptpreis zusammen mit einem 250-Euro-Diogenes-Büchergutschein.

Das große Loriot Buch Gesammelte Geschichten in Wort und Bild Diogenes

Diogenes Magazin

85


Mag ich – Mag ich nicht

Benedict Wells Das nächste Diogenes Magazin erscheint im Mai 2012. Auf dem Cover: der englische Shooting-Star Anna Stothard. Reisen mit Büchern – aber mit Stil. Wir zeigen modische Büchertaschen, geben Ratschläge für Ferienlektüre, die man auf jeden Fall einpacken sollte, und berühmte Autoren verraten Geheimtipps über die Stadt, in der sie wohnen und schreiben: etwa Martin Suter über Zürich oder Benedict Wells über Barcelona. Außerdem: Mit Patricia Highsmith auf Grand Tour durch Europa, mit Henry David Thoreau zurück zur Natur und mit Andrej Kurkow auf ostalgische Zeitreise.

Nr.10

Sommer 2012

Diogenes

Magazin Anna Stothard Eine Engländerin in L. A. Reisetipps Martin Suter über Zürich Arnon Grünberg über New York Benedict Wells über Barcelona Amélie Nothomb über Paris u. a.

Mit Andrej Kurkow

auf ostalgische Zeitreise

Filmspecial: Bücher als Filmstars

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

9

783257 850109

Mag ich:

Mag ich nicht:

In Barcelona mit Freunden am Ätzender Zynismus und totale Strand sitzen. Ein gelungenes Gleichgültigkeit. Hektik. Dribbling beim Fußball. Han Solo. Religiöser Fanatismus. AC MaiDie zwei Gerichte kochen, die ich land und Berlusconi. Volksmusikkann. Mit einer hübschen Frau tansendungen. Neid. Rosa Polozen. Was riskieren. Durch die Stadt hemden. Indiskretion. Medien, schlendern und dabei Musik hören. die das Privatleben von Menschen Den Englischen Garten in München, an die Öffentlichkeit zerren. das Eigenthal in der Schweiz, Berlin Klingeltöne. Flugzeuge. Was aus im Sommer. Melancholie. Holden MTV geworden ist. Arroganz Caulfield. Nachts Kaffee machen und intellektuelles Gehabe jeglicher und schreiben. Katzen. Britische Art. Wenn Leute extra betonen, sie und amerikanische Sitcoms. Die hätten Humor. Rühr- und SpiegelZufriedenheit, wenn man gerade eier. Absurd gutgelaunte Radioeine Stunde laufen war. Konzerte moderatoren. Banker. Die Atmovon Arcade Fire. Truman Capotes sphäre in Kliniken. Den Niedergang Liste von »Was ich nicht mag«. der Simpsons. Fast alle deutschen Spider-Man. Ausschlafen. Die groComedyserien. Abkürzungen wie ßen Boxkämpfe im Schwergewicht. »supi«. Menschenaufläufe und Mit meinen kleinen Cousins und Massenbewegungen. Reality-TV und Cousinen rumhängen und ihnen Castingshows. Sebastian Deislers Unsinn erzählen. Den Geruch von frühes Karriereende, er war der Beste. Basilikum. Billy Wilder und die guBesoffene im Zugabteil. Politikerten Drehbücher des alten Hollywood. fotos und Slogans auf Wahlplakaten. Wenn Menschen im Kino weinen und Heavy Metal. E-Books. Sterben. dann hinterher wieder cool tun, weil sie glauben, man hätte es nicht gesehen. Songs schreiben. John Irving. Mit Freunden die Nacht durchmachen und gemeinsam den Sonnenaufgang erleben. Grundgesetz und Verfassungsgericht. Auf einem Berg stehen und tief einatmen. Wenn Frauen Von Benedict Wells sich an einen lehnen. ist gerade Fast genial erschienen. Es ist Freiheit.

der dritte Roman des gerade einmal 28-Jährigen und sein erster, der es von null auf Platz 6 der Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat.

Im nächsten Magazin: Marion Gräfin Dönhoff 86

Diogenes Magazin

Foto: © Roger Eberhard

Vorschau


Serie

Fabio Volo auf der einsamen Insel Jeder kennt die Frage: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« Im jedem Diogenes Magazin stellen wir einem Autor diese Frage. Und um es ein wenig spannender (und bequemer) zu machen, darf er mehr als nur ein Buch auf die Insel mitnehmen. Roman Philip Roth, Portnoys Beschwerden

Möbelstück Stuhl Technisches Gerät Spülmaschine

Sachbuch Pier Paolo Pasolini, Lutherbriefe

Kleidungsstück Badehose

Lyrik Pedro Salinas, Die Stimme, die ich dir verdanke

Parfum den Duft meiner Freundin Spiel Karten

Theaterstück Edmond Rostand, Cyrano de Bergerac Erzählung / Kleiner Roman Ágota Kristóf, Das große Heft

Lebenspartner eine Frau Lebensretter Jesus Fabio Volos Millionen­Bestseller aus Italien ›Noch ein Tag und eine Nacht‹: »hinreißend hintersinnig« (SonntagsZeitung, Zürich)

Gesprächspartner Jesus

Jazz Chet Baker

Streitpartner Jesus

Pop / Rock: Nick Drake

Briefpartner meine Mutter

Radiosender Radio Deejay

Lieblingsessen (nichtsüß) Spaghetti Napoli

Nachbar egal, nur möglichst weit weg von mir

Film Harold und Maude

Lieblingsessen (süß) Crema catalana

Haustier Hund

TV-Serie Seinfeld

Lieblingsgetränk (nichtalkoholisch) Wasser

Joker-Artikel: Was würden Sie noch mitnehmen? Kerzen zum Lesen, DVD-Recorder, um mir die Filme anschauen zu können, CD-Player, um die Musik hören zu können, ein Schiff, um wieder wegzukommen, eine Idee, um diese Liste abzuschließen, einen Füller, der schreibt, denn dieser hier hat bald keine Tinte mehr

Zeitung keine Zeitschrift Internazionale

Illustration: © Chaval; Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

TV-Sender keinen

Schauspieler Edward Norton Schauspielerin Meryl Streep Klassik Erik Satie Oper Gaetano Donizetti, Der Liebestrank

Lieblingsgetränk (alkoholisch) Rotwein Gemälde Andrea Mantegna, Cristo morto Musikinstrument Gitarre

Im nächsten Magazin: Donna Leon Diogenes Magazin

87


Daniel Keel 1930 – 2011


Diogenes

Magazin

Daniel Keel 1930 – 2011



Daniel Keel 1930 – 2011 »Mit zwanzig versuchte ich selber zu schreiben und zu malen. Ich musste feststellen, dass mein Talent nicht reichte. Ich wurde Vermittler von solchen, die es besser können, also Hebamme, Butler, Banker in einem. Wurde Verleger von Büchern, die hoffentlich auch ein paar anderen gefallen.« Daniel Keel

Foto Titelseite: © Robert Zumbrunn, Zürich; Foto: © Iren Monti / Diogenes Verlag

»Eigentlich bin ich optimistisch, denn schließlich wird der große Mythos von dem Menschen, der einem anderen eine Geschichte erzählt, nicht so schnell verschwinden. Immer wieder wird jemand das Bedürfnis haben, einem Freund eine seiner Ideen, einen seiner Träume zu erzählen.« Federico Fellini

Diogenes Magazin

1


Hommage an Daniel Keel »Für viele ist ein Verlag ein Geschäft, aber für mich muss ein Verlag eine Fa­ milie sein, und in dieser Familie muss es einen Familienführer geben, und das war für mich immer Daniel Keel. Ich habe ihn 1957 getroffen, als er noch sehr jung war. Wir sind zusammenge­ wachsen, mit viel Dünger. Ich könnte jeden Tag dankbar sein dafür, dass ich so einen Menschen getroffen habe mit so viel Talent, Sensibilität und Begeis­ terung.« Tomi Ungerer

»Daniel Keel ist einer der wenigen Verleger, die ich kenne, der eigentlich alles liest, was er veröffentlicht. Er kann sich ebenso gut für Balzac und für Flaubert begeistern wie für mo­ derne Schriftsteller.« Friedrich Dürrenmatt

»Daniel Keel schrieb mir im Jänner 1953 einen Brief. Er sei zweiundzwan­ zig Jahre alt, habe gerade einen Verlag für humoristische Bücher gegründet, sein erstes Erzeugnis sei ein kleines Buch mit Zeichnungen von Ronald Searle und ob ich Material für ein ähn­ liches Unternehmen habe. Im Mai lie­ ferte ich die Zeichnungen in Zürich 2

Diogenes Magazin

ab. Am Bahnhof stand ein Jüngling, fast ein Knabe noch, er wirkte etwas schüchtern und etwas schlau und hat­ te etwas von einem Theologen an sich. Gar so sehr hat er sich seither gar nicht verändert. Er wohnte in der Zürcher Merkurstraße in einem alt­ modischen Untermietzimmer in einer altmodischen Wohnung in einem alt­ modischen Haus und hatte seine Buchhaltung in einem alten Persilkar­ ton unter seinem altmodischen Bett. Im Gang der Wohnung lagen große Stöße einer arabisch gedruckten Zeit­ schrift, deren Adressat seit einem Jahrzehnt verstorben war, die aber un­ verdrossen immer noch aus dem Ori­ ent an ihn geschickt wurde. Er führte mich dann in ein alkoholfreies Res­ taurant namens ›Frohsinn‹ zum Essen aus, und ich schenkte ihm eine kleine Zeichnung. Diese maßvolle gegensei­ tige Generosität haben wir seither bei­ behalten. Meine Eindrücke schienen mir günstig und merkwürdig, und ich hatte keine Bedenken, mich diesem Anfänger anzuvertrauen, war ich doch selbst einer. Seither bin ich beim Dio­ genes Verlag, habe mich noch nie ge­ stritten und habe noch nie einen Ver­ lagsvertrag gelesen und halte nichts von der Mitbestimmung der Autoren. Vielleicht ist das ein Kompliment für den Verleger und Freund.« Paul Flora

Foto Dürrenmatt: © Edouard Rieben; Foto Ungerer: © Jürg-Peter Lienhard; Foto Flora: Archiv Diogenes Verlag

Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld sagte einmal: »Ich denke oft, wäre ich Autor, würde ich von Diogenes verlegt sein wollen.« In ihren Erinnerungen an den Verleger und Freund Daniel Keel bekräftigen Diogenes Autoren seinen Ausspruch.


Foto Leon: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto Fellini: Archiv Diogenes Verlag; Foto Schlink: © Isolde Ohlbaum; Foto Simenon: © Peter Brüchmann

»Wir lernten uns vor zwei Jahrzehnten kennen: eine sehr unsichere amerika­ nische Akademikerin und ein be­ rühmter Schweizer Verleger, dem am gedruckten Wort mehr zu liegen schien als am gesprochenen. Hände schütteln, lächeln, ein paar Worte. Bei unserer nächsten Begegnung fielen schon einige Worte mehr, und dann noch mehr, und aus Mr. Keel wurde unversehens Danny. Im Lauf der Jahre wurde Danny zum Freund und schließlich zu einem Menschen, den ich sehr gern hatte und dem ich vollkommen vertrauen konn­ te. Ihm und Ruedi Bettschart bin ich zu ewigem Dank verpflichtet, nicht nur, weil sie meine Karriere als Schrift­ stellerin auf den Weg gebracht haben, sondern auch für ihren klugen Rat und den Großmut, den sie mir vom ersten Tag an entgegenbrachten. Danny liebte Bücher und Ideen und Schönheit, so wie er Scharfsinn und Eleganz im Denken liebte. Er hatte auch einen herrlichen Schalk, wofür das schönste Beispiel seine Antwort auf die Frage eines Interview­ ers ist, ob er wirklich nur Bücher ver­ lege, die ihm gefallen: »Soll ich etwa Bücher verlegen, die mir nicht gefal­ len?« Er fehlt mir jetzt schon, und immer werden mir die Unterhaltungen mit ihm fehlen, in denen er auch so wun­ derbar schweigen konnte, und mir wird die Ungezwungenheit fehlen, die sich zwischen uns entwickelt hatte; mir wird die Gesellschaft eines gro­ ßen Mannes fehlen.« Donna Leon

»Ich bin Daniel Keel sehr dankbar, denn seit dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte, hatte ich im Laufe der Jahre immer mehr Gründe, ihn zu schätzen. Ich bin ihm dankbar, weil er etwas zu meinen Filmen hinzugefügt hat, wodurch man sie vielleicht tiefer verstehen kann, sie sympathischer fin­ det. Wenn meine Filme auf dem deut­ schen Markt einen gewissen Respekt, eine gewisse Achtung und Sympathie genießen, so verdanken sie das zum Teil auch der editorischen Arbeit des Diogenes Verlags, der mit seinen Bü­ chern über meine Filme meine Arbeit reicher, wichtiger gemacht hat. Ich bin glücklich darüber, dass ich Daniel Keels Freund bin. Ich bewundere sei­ ne Integrationskraft. Es gibt Ge­ schöpfe, die genauso wichtig wie die Künstler sind, indem sie die Möglich­ keit bieten, die Arbeit eines Künstlers entstehen, wachsen zu lassen. Und Daniel ist einer von diesen, ein Verei­ niger, ein Anziehungspunkt.« Federico Fellini

»Wenn es in Märchen Verlage gäbe … sie wären in einer Stadt an einem See gelegen, würden von einem klugen, scheuen Patriarchen und seinem be­ dächtigen Freund geführt, es gäbe ei­ nen Edlen, der die Kraft eines Ritters mit der Bescheidenheit eines Knap­ pen vereint, und eine Prinzessin, die die Gazetten und Journale bezaubert, es gäbe in allen Zimmern Tätige und Tüchtige, bei denen man verweilen und mit denen man reden wollte, und allüberall stünden große Körbe mit rotbackigen Äpfeln. Es wäre wie im Diogenes Verlag.« Bernhard Schlink

»Es ist nicht meine Schuld, dass die wenigen Briefe, die ich Ihnen schreibe, Gratulationsschreiben sind. Sie sind selbst schuld. Alles, was Sie machen, machen Sie perfekt.« Georges Simenon in einem Brief an Daniel Keel Diogenes Magazin

3


»Er gehörte zu den wenigen Men­ schen, die mein Leben verändert ha­ ben. Kurz vor Silvester 1996 rief mich in Guatemala ein Herr mit leiser Stim­ me an und stellte sich als ›Keel‹ vor. Er gratulierte mir zu meinem Manu­ skript Schneebälle im Mai und sagte den einfachen und atemberaubenden Satz: »Ich werde mich starkmachen für dieses Buch.« Ein Versprechen, das er auf grandiose Art gehalten hat. Bereits im nächsten Jahr erschien das Buch unter dem Titel Small World, 4

Diogenes Magazin

den er gewählt und von dem er mich mit sanfter Gewalt überzeugt hatte. Es war der Anfang meines neuen Le­ bens als Romanautor, das er immer mit Rat und Ermunterung begleitet hat. Daniel Keel war der Mann im Vordergrund und der Mann im Hin­ tergrund des Diogenes Verlags. Der Mann im Hintergrund wird er wohl für uns alle bleiben.« Martin Suter

»Daniel ging es, denke ich, immer nur um den Text oder den Menschen. Wenn der Mensch ein Autor war, der seiner Ansicht nach unterhaltsame, intelligente Texte schrieb, deren Rech­ te womöglich noch frei oder irgend­ wann zu haben waren, umso besser. Aber alles drum herum, Bedeutung, Herkunft, waren beim Menschen wie beim Text egal. Die Bedeutung eines Textes maß er an der Freude und Er­ kenntnis, die ihm – und nur ihm – die Sätze bereiteten, und die Bedeutung eines Menschen an der Freude und Erkenntnis, die ihm ein Gespräch mit dem Menschen bereitete. Welchen li­ teraturtheoretischen Über­ oder Un­ terbau ein Text besaß, in welchem his­ torischen Zusammenhang er stand, was die Kritiker fanden, ob er von Ludwig dem Soundsovielten oder Würsten handelte, von der Sehnsucht nach Glück oder Hitler: Die Sätze mussten funkeln. Ob ein Mensch Pro­ fessor oder Portier war, ob er sich mit Mozart oder Fußball auskannte, ob er

Foto McEwan: © Roeland Fossen; Foto Coelho: © Ayse Yavas / Keystone; Foto Suter: © Christian Kaufmann; Foto Arjouni: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

»Er war eine bedeutende Persönlich­ keit, ein Visionär, von grenzenloser intellektueller Neugierde und Weltof­ fenheit. Auf diesen Tugenden baute er ein literarisches Monument, den Dio­ genes Verlag, seinen Beitrag zur Lite­ ratur im deutschsprachigen Raum Man wird ihn überall dort vermis­ sen, wo es Menschen gibt, die Litera­ tur lieben – ob es die Klassiker sind oder zeitgenössische Autoren. Wir kannten uns seit den 1970er­ Jahren. Er war immer mehr als nur mein Verleger, er war ein guter Freund, und ich bin mir sicher, dass er vielen Diogenes Autoren ebenso sehr fehlen wird wie mir. Die Welt ist ärmer ohne ihn. Wir können uns damit trösten, dass sein Lebenswerk über­ dauern wird – so lange Menschen Bü­ cher lesen.« Ian McEwan

»›… vor allem wohl, dass uns ein neu­ es Zeitalter der Aufklärung nottut, dass wir aus unserem politischen Sys­ tem den Anspruch auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und Freiheit fallen las­ sen und ihn durch das Suchen nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und nach Freiheit zu ersetzen haben, durch die Vernunft.‹ Diese Worte stammen von Fried­ rich Dürrenmatt, der wie zahllose Autoren stolz darauf war, dass Daniel Keel seine Bücher im Diogenes Verlag veröffentlicht hat – einem der letzten unabhängigen Verlage Europas. Daniel hat sich immer für Gerech­ tigkeit, Freiheit und Vernunft einge­ setzt. Heute, am 13. September, erfahre ich, dass er von uns gegangen ist, um bei seiner Frau Anna im Paradies zu sein. Ich habe seinen Sinn für Humor bewundert, seine Persönlichkeit, seine Hingabe, seine Freundlichkeit.« Paulo Coelho


Foto Highsmith: © Simone Sassen; Foto Noll: © Isolde Ohlbaum

aus New York oder Klein Dings kam: Das Herz musste groß sein, und na­ türlich sollten auch die Sätze am Ess­ tisch nicht völlig matt bleiben. Als in­ telligenter Mensch verließ er sich bei Büchern wie bei Menschen auf sein Herz und seine Nase. Und anders geht’s ja auch gar nicht. Wenn man, wie ich, glaubt, dass das Beste, was Literatur leisten kann, eine Bestätigung oder Ausformulierung dessen ist, was man bis zur Lektüre nur ahnte oder nur heimlich sich ge­ traut hat zu denken – also dass Litera­ tur im besten Fall Mut macht, den ei­ genen Weg zu gehen –, dann war Daniel wie eins der für mich wichtigs­ ten Bücher. Oft sprach er in leichten, unprätentiösen, genauen Sätzen aus, was mir vorher nur undeutlich durch den Kopf geschwebt war. Ob gewollt oder nicht, er stärkte mir den Rücken, mein Zeug so zu machen, wie ich es für richtig hielt. Mehr kann man sich von einem Verleger und Freund nicht wünschen.« Jakob Arjouni

»Ich denke, wir verstehen uns sehr gut. Es gefällt mir, dass er mich sonntags anruft, wenn wir beide arbeiten. Für ihn ist der Sonntag wie jeder andere Wochentag, was die Arbeit betrifft. Weil wir beide arbeiten, verstehen wir uns so gut. Meist fahre ich geschäftlich nach Zürich. Er war bislang erst einmal in meinem Haus. Viel mehr kann ich dazu nicht sagen.« Patricia Highsmith

»Natürlich ist jeder Mensch einzigar­ tig und hinterlässt im Todesfall eine schmerzliche Lücke. Bei Daniel Keel ist jedoch ein weit größerer Kreis be­ troffen, denn er ist nicht nur für Fami­ lie und Freunde, sondern auch für Autoren, Mitarbeiter und unendlich viele Leser unersetzlich. Als ich vor über zwanzig Jahren mein erstes Manuskript an den Dioge­ nes Verlag geschickt hatte, rief er mich an. Für ein Greenhorn wie mich war alles neu, ich hatte keine Ahnung, wer dieser Herr Keel überhaupt war. Ge­ duldig erklärte er es mir, unprätentiös und sachlich, wenn es um die eigene Person ging. Dann begann er mich auszuhorchen: neugierig, listig, völlig offen und so charmant und witzig, dass ich jegliche Scheu verlor und ihm nach anfänglichen Hemmungen völlig vertraute. Wahrscheinlich wird es meinen Kollegen ähnlich ergangen sein, denn er rief stets an, nachdem er ein neues Manuskript gelesen hatte. Erst wurde gratuliert, dann kamen Überlegungen zum Titel und schließlich Verbesse­ rungsvorschläge. Für Schriftsteller wird es meistens heikel, wenn am ge­ rade erst entstandenen Werk etwas auszusetzen ist. Daniel Keel sagte ein­ mal, dass jede Mutter ihr Neugebore­ nes für das schönste auf Erden hält und man sich hüten sollte, es als Wechselbalg zu bezeichnen. Als erfah­ rener Fuchs wusste er, wie ein guter Lehrer Kritik so behutsam formuliert, dass sie auch von einem empfindsa­ men Schüler angenommen wird. Sein

Urteil war nie verletzend, sondern im­ mer einleuchtend, so dass ich viel von ihm gelernt habe. Wie gern denke ich an die Abende zurück, an denen ich bei Keels am Esstisch saß. Anna Keel sorgte stets für ein wunderbares Menu, ohne mo­ dischen oder ungemütlichen Schnick­ schnack, sondern von bester Qualität und wohltuendem Understatement; ich habe nie bessere und humorvollere Gastgeber kennengelernt. In heiterer Atmosphäre wurde diskutiert, gelacht und bisweilen auch ein wenig geläs­ tert. Wie in seinen Büchern kam auch bei solchen Gesprächen keine Lange­ weile auf. Daniel Keel war nämlich ein begnadeter und erfrischend ironischer Erzähler, aber ebenso auch ein auf­ merksamer Zuhörer. Wenn seine Au­ toren eine originelle Idee hatten oder gar Details eines geplanten Projekts verrieten, war er ganz Ohr, seine Äug­ lein blitzten hinter den Gläsern, und seine berühmte Nase witterte eine heiße Fährte. Meine Kollegen, deren Bücher bei anderen Verlagen erscheinen, haben mich oft beneidet. Denn wo gab es noch in der deutschsprachigen Bü­ cherwelt einen Verleger, der jedes Ma­ nuskript las, seine Autoren wie in eine Familie aufnahm und sich zu unser aller Glück mit einem Stab kompeten­ ter Mitarbeiter umgab, die in seinem Sinn sein Lebenswerk fortführen wer­ den. Auch seine Söhne haben die kre­ ativen Gene der Eltern geerbt und werden uns noch mit brillanten Ein­ fällen überraschen.« Ingrid Noll

Diogenes Magazin

5


6

Diogenes Magazin

Er und Anna waren ein ideales Paar, gerade weil sie so unterschiedlich wa­ ren und einander in dieser Unter­ schiedlichkeit liebten: zurückhaltend ›und etwas schlau wirkend‹, wie Paul Flora geschrieben hat, der eine; lei­ denschaftlich und vor Lebenslust sprudelnd die andere. Anna Keels Tod vor einem Jahr bedeutete den großen, nicht wettzumachenden Verlust im Leben ihres Partners. Aber da sind ja noch die beiden Söhne, von denen, will mir scheinen, der eine die bedäch­ tige Genauigkeit des Vaters, der ande­ re eher das beschwingte Temperament der Mutter angenommen hat. Bei meinem letzten Besuch im Hause Keel, vor vier Jahren, war der Gastgeber schon schwer sehbehindert und auf eine gute Art lebensmüde: voll leiser Zuversicht, dass das beizei­ ten gefundene Führungsteam fortset­ zen würde, was ihm gelungen war. In seinem Geist, mit eigenem Kopf. Da­ niel Keel starb im Glauben an die Un­ sterblichkeit: die des Buches, ›das eine gute Geschichte gut erzählt‹.« Erich Hackl

»Mein Sohn ist zurzeit – ich weiß nicht, weshalb – von allem fasziniert, was mit materiellem Reichtum zu tun hat. Gold, Geld, Schmuck, Edelsteine, Schätze etc. ›Ich will einmal ganz reich werden‹, sagt er. Darauf ich: ›Reich muss man nicht sein. Es genügt, wenn man genug zum Leben hat. Viel wichtiger ist, dass man ein anständiger Mensch ist, und gesund und gescheit

Foto Hackl: © Timón Solinís; Foto Süskind: © Philipp Keel / Diogenes Verlag

»In der gewaltigen Chronik des Dio­ genes Verlags, die Daniel Kampa vor acht Jahren herausgegeben hat, schreibt Daniel Keel in der für ihn ty­ pischen Mischung aus Prägnanz, Witz und Selbstgewissheit: ›Mit zwanzig versuchte ich selber zu schreiben und zu malen. Ich muss­ te feststellen, dass mein Talent nicht reichte. Ich wurde Vermittler von sol­ chen, die es besser können, also Heb­ amme, Butler und Banker in einem.‹ Dann listet er zwölf Gedanken auf, die er sich ›im Lauf der Jahre über Produkt und Markt‹ zu eigen gemacht hat, darunter einige, die einem Lieb­ haber der Unterhaltungsliteratur – der leichten, die kratzt, wo es nicht juckt – wohl anstehen; und andere, kühne, für deren Verlautbarung man ihn auch jetzt noch umarmen möchte: ›Das Le­ ben besteht aus Veränderungen. Man sollte diese sogar beschleunigen. Re­ volte ist immer fruchtbar. Billigung führt zu Indifferenz.‹ Oder: ›An das Neue, das nur aussieht wie das Alte, muss man sich erst gewöhnen.‹ Man darf als Autor – Gabriel Gar­ cía Márquez hat davor gewarnt – ei­ nen Verleger nicht über den grünen Klee loben. Allerdings fallen mir, im Gedenken an Daniel Keel, eine ganze Reihe von Vorzügen ein. Als erster sein Grundsatz, nicht Bücher, son­ dern AutorInnen zu verlegen, der ein geschäftliches Risiko bedeutete, aber à la longue klug war, dem Verlag ein klares Profil gab und die Sorgen der Schreibenden ein wenig minderte. Der zweite bestand in seiner Fürsorglich­

keit, mit der er sich gelegentlich, durch einen Anruf oder ein paar Zei­ len, in Erinnerung hielt. Einfach so – nicht um ein neues Manuskript einzu­ mahnen oder vorgeblichem Schlend­ rian Einhalt zu gebieten. Keels dritte Tugend war seine Großzügigkeit: Sie kam nicht nur den Autorinnen und Autoren zugute, de­ nen hin und wieder Blumensträuße, Kisten mit Wein, prächtige Werkaus­ gaben ins Haus geliefert wurden, son­ dern begünstigte auch sonstige Teil­ haberInnen der Verlagsarbeit – Buch­ händlerinnen, Journalisten, angehende Literaturwissenschaftler, ganze Schul­ klassen, mittellose Veranstalterinnen und Lizenznehmer in prekären Ver­ hältnissen. Der Erfolg, der den Diogenes Ver­ lag seit Patrick Süskinds Roman Das Parfum (1985) begleitet, hat Keel und seinen Kompagnon Rudolf C. Bett­ schart nicht dazu verleitet, aufs Ge­ winnmachen um jeden Preis zu setzen. ›Es ging nie darum, immer größer zu werden‹, schreibt Bettschart in der er­ wähnten Verlagschronik, ›eher, nicht zu groß zu werden.‹ Wie viel Kraft dieses Bestreben den Verlegern in einer durch die technologischen Neu­ erungen, den ungeheuren Konzentra­ tionsdruck und die Erpressungsversu­ che der Warenketten beförderten Krise abverlangt hat, lässt sich nur er­ ahnen. Einzigartig war Keels Vermögen, die MitarbeiterInnen über Jahrzehnte und durch Generationen für sein Ver­ ständnis von Kunst und Literatur zu begeistern. Mir ist es immer schwer­ gefallen, im Verlag Konflikte, Zwistig­ keiten oder einfach nur schlechte Lau­ ne auszumachen, die es doch auch gegeben hat, wie sich in Kampas Chronik nachlesen lässt. Gestritten wurde, in meiner Erinnerung, nur bei Keel zu Hause, an einem unvergess­ lich turbulenten Abend zum Beispiel über das Verhalten der Schweiz ge­ genüber dem Dritten Reich. Da er­ wies sich der Weltbürger Daniel Keel als kritischer Patriot, der dem negati­ ven Generalurteil seiner Frau heftig widersprach.


und glücklich mit dem Leben, das man führt.‹ ›Jaja‹, sagt er darauf, ›ich weiß schon. Aber noch besser als all das und arm sein, ist doch all das und obendrein noch reich sein …‹ – und jetzt kommts –: ›so wie der Herr Keel.‹ ›Wieso ist der Herr Keel so reich?‹, frage ich. ›Weil er dieses riesige Haus hat‹, sagt er, ›mit den vielen unbekannten Zim­ mern, die noch kein Mensch alle gese­ hen hat, und diesem riesigen Garten.‹

Foto Jägersberg: © Horst Tappe / www.horst-tappe.com; Foto Walker: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag; Zeichnung von Saul Steinberg. © 2011 The Saul Steinberg Foundation, New York / ProLitteris, Zürich

›Der Garten ist winzig‹, sage ich. ›Nein, ist er nicht, er geht nämlich hinter der Hecke noch weiter, und dann kommt gleich der Hubschrau­ berlandeplatz. Und dann hat der Herr Keel diesen riesigen Fernseher in ei­ nem Extrazimmer, da durfte ich zwei Stunden Video schauen, das ist auch nicht ganz billig, und das darf ich zu Hause nie. Und er hat eine Dienerin mit einer weißen Schürze, die bringt ihm das Abendessen. Und er hat dir zwei schwarze Hemden und eine blaue Jacke geschenkt; und er hat un­ ser Hotel bezahlt. Und als wir weg­ gingen, hat er sogar noch gefragt, ob er uns ein Taxi bezahlen soll, so reich ist er. Und außerdem schickt er dir einmal im Jahr das ganze Geld, von dem wir leben, weil du arbeitest ja nicht, du stehst ja immer in der Küche herum und kochst, oder hockst in dei­ nem Zimmer und rauchst Zigaretten und trinkst Tee. Und all das kann der Herr Keel nur, weil er so anständig ist und so reich.‹ So weit mein Sohn. Was soll ich da entgegnen? Gar nichts. Also schließe ich mich seiner Hochachtung an. Und wenn er einmal werden will wie der Herr Keel – mir soll’s recht sein.« Patrick Süskind

»Gelernt: Wir sind aus Erde geschaf­ fen. Ein schönes Symbol aus der Bibel für die Schöpfungsgeschichte. Und wahr, denn natürlich hat uns die Erde hervorgebracht, wie alle anderen Le­ bewesen (was für ein schönes Wort!). Naturwissenschaftler könnten es er­ klären: Wir sind bewegte Erde. Und da kommen manchmal unterschiedli­ che Klumpen zusammen, Daniel Keel und ich zum Beispiel. Er hat mich zu kneten versucht, mit der Ausdauer des Erfahreneren, und ich ihn, mit dem Furor des Jüngeren, zu belehren. Das war natürlich amüsant. Als das Telefon läutete, über das mir sein Tod mitgeteilt wurde, stürzte ein Haus­ geist aus Weinkorken mit einer zur Lunte gezogenen auf den Korken pla­ cierten Papierserviette, geklebt auf ei­ nen Knorrbrühpilzwürfel, der wieder­ um auf ein, an eine Schwarzwalduhr denken lassendes, Holzpodest geklebt war, aus der Höhe über dem Bild mit dem Weseler Rathaus drauf, das ich als Kind immer für den Sitz des Ra­ diohauses Gustav Jägersberg gehalten hatte, mit einem Plopp zu Boden. Das Radiohaus Gustav Jägersberg hatte das Bild vom Weseler Rathaus ledig­ lich aus Anlass einer Teilnahme an ei­ nem Schaufensterwettbewerb über­ reicht bekommen. Es gab dieses Radiohaus Gustav Jägersberg in einer Vorstadtstraße von Wesel auch nur zwei Jahre, dann war es pleite. Das Bild mit dem Weseler Rathaus hängt bei mir an der Wand, und darüber hat­ te ich den guten, die Lunte schwin­ genden Hausgeist aus Weinkorken

angebracht, weil ich mein Leben schreibend damit zugebracht habe, dass das Radiohaus Gustav Jägersberg endlich Einzug in das Weseler Rat­ haus erhält. Daniel Keel hat mir dabei geholfen. Jetzt, wo der Hausgeist ge­ stürzt und Daniel Keel gestorben ist, rede ich viel öfter mit ihm, aber sanf­ ter, und lese ihm was aus dem immer­ währenden Einzug des Radiohauses Jägersberg in das Weseler Rathaus vor, und ich frage ihn zu diesem und je­ nem, und er rät mir und er rät mir vor allem ab, und ich höre ihm heute be­ gieriger und geduldiger zu als jemals zuvor.« Otto Jägersberg

»Dass ich Daniel Keel begegnet bin und er meine Bücher verlegt hat, emp­ finde ich als großes Privileg. Er hat ein phantastisches und erfülltes Leben ge­ habt, und sein Erbe, der Diogenes Verlag, mit seinen Büchern, Autoren und Lesern, macht ihn unsterblich.« Martin Walker

Diogenes Magazin

7


Eine schöne Tradition von Schriftstellern ist es, ihrem Verleger eine Widmung ins druckfrische Exemplar hineinzuschreiben. Hier einige Beispiele von Widmungsexemplaren aus Daniel Keels Privatbibliothek.

Für Daniel

Erinnerung an den 27. April 1980 für meinen Lieblingsverleger.

Ich danke Ihnen,

Eric Ambler

dafür, dass Sie das Feuer entfacht, die Flamme genährt und Holz nachgelegt haben, für Ihren Blick – den eines Dichters, für ihren Geist – den eines Malers, dafür, dass ich an Ihrem großen Unternehmen teilhaben darf. Auf ewig dankbar, Anthony McCarten Zürich: 2007

Lieber Daniel, willkommen im Hotel New Hampshire John Irving Ich bin sehr stolz darauf, von Ihnen verlegt zu werden, und davon überzeugt, dass dies der Beginn einer engen Freundschaft und AutorVerleger-Beziehung ist. Zu Ihrem Geburtstag 1982

Lieber Danny, Du willst es nicht wahrhaben, aber diese Bücher sind allein Dein Werk. Love, Donna

8

Diogenes Magazin


Für Daniel – Ich bin begeistert, ein kleiner Teil von Diogenes zu sein. Vertrauen Sie weiter auf Ihre Nase! Joey Goebel, der stolz ist, Sie zu kennen 6.4.05

Für Anna & Daniel Mit Bewunderung und Zuneigung, und ewiger Dankbarkeit dafür, dass du mein BESTER Verleger auf der ganzen Welt bist! John Irving Zürich, 24.2.02

Widmungszeichnung von Paul Flora, 2008

Für Daniel und Anna – Grüße an alte Freunde Einem großartigen Verleger, dem großartigsten Freund

Herzlich Ian

Federico Juli 1993 Diogenes Magazin

9


10

Diogenes Magazin

Foto: Š Horst Tappe / RDB


Doris Dörrie

Für Dich schreibe ich weiter Ich möchte über Dani reden und nicht über mich, aber ich kann es leider nicht vermeiden, denn ich verdanke Dani mein zweites Leben, mein Schreibleben, mein Diogenes­ Leben, mein Leben mit der Familie Keel. Davon möchte ich erzählen. Ohne Dani würde ich keine Bücher schreiben.

Foto: © Mathias Bothor / photoselection.de

Vor mehr als 25 Jahren erzählte ich in einem Interview, dass ich zu meinen Filmen immer erst Kurzgeschichten schrieb, und kurz darauf klingelte das Telefon in meiner Wohnge­ meinschaft in München, und ein Herr, der sehr langsam und mit Schweizer Akzent sprach, sagte, er wolle diese Ge­ schichten gern lesen, denn er habe einen Verlag. Den Verlag kannte ich gut, mein Bücherregal war größ­ tenteils gelb­schwarz mit all meinen Hammetts, Chandlers, Ross Macdonalds, Highsmiths, Carson McCullers’. In ei­ ner Mischung aus Angst und Ehrfurcht lehnte ich schnell und entschieden ab. »Dann komme ich Sie besuchen«, sag­ te der Herr am Telefon langsam. Ich erinnere mich daran, wie ich Dani in meinem kaputten, zugemüllten Auto vom Bahnhof abholte und er kein Wort darüber verlor, sondern lachte. In mein Lieblingsrestaurant wolle er gehen, sagte er, aber ich hatte gar keins. Das sagte ich nicht, sondern schleppte ihn in das einzige japanische Restaurant von München, weil ich angeben wollte. Er aß nichts. Ich erstickte fast an meinen Sushi. Er betrachtete mich amüsiert und fragte, warum ich ihm die Geschichten denn nicht zu lesen geben wolle. Weil ich Angst hatte, dass sie schlecht sind. Aber das sagte ich nicht. Dani sagte: »Zei­ gen Sie mir, wie Sie wohnen.«

Wir fuhren in meine Wohngemeinschaft, er setzte sich in die Küche, betrachtete mich, rauchte, sprach wenig und wartete lächelnd. Er war etwas beunruhigend, dieser Herr aus Zürich, und gleichzeitig war seine ruhige Neugier wie ein konzentrierter Lichtstrahl, der auf mich fiel und mich so seltsam zum Leuchten brachte. Ein Licht wie eine große, innere Taschenlampe, und wenn er sie auf einen gerichtet hatte, ging das Licht nie mehr aus. 25 Jahre lang rief er mich regelmäßig an. Unsere Telefonate verliefen immer gleich. Ich fragte ihn: »Dani, wie geht es dir?« Und er antwortete immer: »Beschissen.« Und lachte. Und dann sagte er: »Was machst du? Schreibst du?« Er druckte meine ersten Geschichten, wollte keine Korrek­ turen, und als ich anbot, er könne doch aber Dinge verän­ dern, überraschte er mich mit dem Satz: »Der Autor hat das letzte Wort.« Das erschien mir als Filmsklavin völlig absurd. Er musste es für mich immer wieder wiederholen, weil ich es so unglaublich fand: Der Autor hat das letzte Wort. In Wirklichkeit hast Du das letzte Wort, Dani. Du fragst uns: Was macht ihr? Schreibt ihr? Du und Deine so begeis­ terungsfähige Anna habt uns alle, all Deine Autoren uner­ müdlich ermuntert und ermutigt. Mit Deinem niemals er­ müdenden Interesse, Deiner Fürsorge, Deiner wirklich tiefen Neugier auf unsere Geschichten und unsere seltsa­ men Gehirne. Deiner wilden, verrückten Liebe. Ich danke Dir. Ich danke Dir von Herzen. Für Dich schreibe ich weiter. Diogenes Magazin

11


Urs Widmer

Dani Keel ist tot. Wer ihn in seinem letzten Lebensjahr ge­ sehen hatte, konnte nicht völlig überrascht sein – und doch war sein Tod für mich von einer bestürzenden Plötzlich­ keit. Damit hatte ich nicht gerechnet, noch nicht. Obwohl er klein, noch kleiner, gebückt und sehr leise geworden war (er, der Asthmatiker, war nie ein Brüllhals gewesen), hatte er auf mich irgendwie ewig gewirkt. Unsterblich. Natürlich wusste er vom Tod – sein Verlagsprogramm ist voller Titel, die vom Tod handeln –, trotzdem denke ich, dass mein liebevoller Irrtum – Dani unsterblich – auch da­ mit zusammenhing, dass er sich auch nicht viel anders sah. Er war, jedem Hinweis der Wirklichkeit zum Trotz, nie alt. Wie denn! Sein Vater war 98 geworden, er war mit 70 noch ein Sohn. Er war auch bei denen, die er schätzte, ja verehrte, gern der Jüngere: Friedrich Dürrenmatt und Federico Fel­ lini allen voran, die nahe Freunde wurden. Patricia High­ smith oder Georges Simenon, bei denen das schon schwie­ riger war. Die Freunde Paul Flora, Victor von Bülow oder Maurice Sendak waren seinem eigenen Alter schon näher; immerhin noch einen Hauch älter. Und seine ganz großen Götter waren, wie sich das für Götter gehört, eh längst im Himmel. Montaigne, Balzac, Čechov. Von Diogenes zu Sinope ganz zu schweigen. Wir Junge – ich zum Beispiel bin erst 73 – waren ein nur halbwegs tauglicher Ersatz für die Alten. Natürlich hatte er uns gern. Aber wir hatten ihm nichts voraus, im Gegenteil. Dani war nicht gern der Ältes­ te. – Ich glaube, er bemerkte seine eigene Sterblichkeit – mit voller Wucht und unwiderruflich – zum ersten Mal bei Annas Tod. Er war ein Schock für ihn, von dem er sich nicht mehr erholt hat. Genau ein Jahr nach ihr ist auch er gestorben. Was hatten wir für herrliche Nachtessen an der Eleono­ renstraße. Wunderbare Speisen, untadelige Rotweine. Al­ lein der Gedanke, dass wir nie mehr an seinem und Annas 12

Diogenes Magazin

Esstisch sitzen werden! Wie schön war das. Da war Dani in seinem Element, erzählte, ließ sich erzählen, wusste auch noch eine Anekdote von Künstlern oder Verlegern. Alles lebte, war lebendig in jedem Gesprächsmoment. Anna üb­ rigens war in diesen Tischgesprächen genauso wichtig wie er. Wie oft hat er mir gesagt – eher wenn Anna nicht zuhör­ te –, wie sehr er Annas Malkunst bewundere. Der Reich­ tum ihrer Produktion und ihr produktives Chaos mussten ihm auch imponieren, weil sie ein Spiegel seiner eigenen obsessiven Arbeit waren. Dani mochte keine Ansammlungen mit mehr als sieben Menschen. Manchmal sagte er auch: drei. Hier, unsere trau­ rige Feier heute, er ist gewiss gottfroh, dass er nicht dabei sein muss. – Er redete auch nicht gern öffentlich. Dabei war er, wenn er es dann doch einmal tat, der beste Redner der Welt. Ich erinnere mich an eine Rede, die er vor einer Schar von internationalen Verlegern und Büchermenschen hielt, auf Englisch!, in einer so echten Verlegenheit vor sich hin improvisierend, dass diese wie ein souveränes Stilmittel wirkte – und es möglicherweise sogar war, denn er hielt ei­ nen Zettel in der Hand, den er allerdings nicht ein einziges Mal anschaute, und am Ende seiner Rede, die vom 50­jäh­ rigen Jubiläum seines Verlags handelte, sagte er leise, ihm sei das Leben wie ein einziger Nachmittag vorgekommen. Ein kleiner Luftstoß, und schon sei alles vorbei. Ich sah gestandene Kollegen mit den Tränen kämpfen, und auch mir schoss das Wasser in die Augen. Aber er war ja nicht nur mein Freund, er war auch mein Verleger. Ich erinnere mich sogar, dass ich mich zu Beginn – wir haben uns, denke ich, 1966 kennengelernt – ein biss­ chen dagegen wehrte, ihn zu heftig als Freund zu erleben. Ganz einfach, weil ich dachte, es sei nicht gut, mit jeman­ dem richtig befreundet zu sein, von dem man auch – in nicht unerheblichem Maß – abhängig ist. Aber widersteh

Foto: © Isolde Ohlbaum

Daniel Keel ist tot


Foto oben: © Candide Lang; Foto unten: Archiv Diogenes Verlag

einmal dem listigen Charme Danis. Seiner Großzügigkeit. Seinem Witz. Widersteh jemandem, der mit dir zur Ga­ lanacht der Zauberer geht – wir taten das jedes Jahr – und dort neben dir sitzt und sich freut wie ein Kind, wenn das Kaninchen erneut aus dem Zylinder kommt. Der die Auto­ ren liebt wie ein Verliebter, die Autorinnen, und leidet – mit einer ebenso heftigen Energie –, wenn eine Autorin, ein Autor ihm wieder einmal tüchtig zusetzt. Item, irgend­ wann war es um mich geschehen. – Als Verleger, Freund­ schaft hin oder her, war er ein hellwacher Leser. Er konnte begeistert sein, oh ja, so sehr, dass er durchaus »Gfallt mr ganz guet« murmelte. Aber er sagte dir auch, wenn ihm etwas nicht gefiel. Weil er aber unerschütterlich treu war, druckte er auch ein Buch, das ihm nicht so sehr zusagte. Er war kein Missionar, und für ihn war klar, dass die Autoren die Bücher schreiben und nicht er. Sein Kunstwerk war der Verlag, die Inhalte der Bücher und auch die Art, wie sie daherkamen, waren für ihn etwas sehr Persönliches, ein Geständnis an die Freunde – und logischerweise ließ er sich in dieses Geständnis nicht gern dreinreden. Er konnte ganz schön stur sein. Er hatte Gott sei Dank Ruedi. Ruedi C. Bettschart. Es ist in der Tat so, dass man von Danis unglaublichen Erfol­ gen mit dem Diogenes Verlag nicht sprechen kann, ohne von Ruedi zu sprechen. Ein ganzes Leben lang war Dani nicht ohne Ruedi zu denken und, umgekehrt, Ruedi auch nicht ohne Dani. Das Bild von den Zwillingen ist oft be­ müht worden. Sie sind, sie waren natürlich keine. Das Großartige war dennoch, dass zwei so verschiedene Men­ schen so viel Gemeinsames hatten, dass sie ein Leben lang am gleichen Strick zogen, zuweilen der eine an einem Ende, der andre am andern, meist aber in der gleichen Richtung. Oh ja, manchmal flogen auch die Fetzen, ihr Verlag war und ist keine Wohlfühlzone, obwohl ich mich in ihm im­ mer wohl fühle. Er war und ist ein Ort der Auseinanderset­ zungen. Dani war ein Liebhaber des produktiven Streits, und Ruedi bot ihm tadellos Paroli. Es ging nie darum, dass einer der beiden gewinnt. Der Verlag sollte gewinnen. Ach ja, Daniel Keel war einer, der einfach kein lang an­ haltendes Pathos zuließ. Seine Art hat sich in meine Rede eingeschlichen, aber jetzt, wo ich hier stehe, fühle ich umso deutlicher und mit dem ganzen Ernst und der Trauer des Endgültigen, vor welchem Verlust wir alle stehen. Möge es dem Verlag, an dem er mit seinem ganzen Herzen hing, noch lange gutgehen. Einen wie ihn, wie unsern Dani, wer­ den wir dennoch nie mehr haben.

Diogenes Magazin

13


Leon de Winter

Daniel Keel begegnete ich 1993 zum ersten Mal. In Frankfurt, auf der Buchmesse. 1993 waren die Niederlande Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse. Im Vorfeld hatten sich viele deutschsprachige Verlage um einen niederländischen Au­ tor bemüht. Ich stand auf der Rangliste der begehrten nie­ derländischen Autoren nicht sonderlich weit oben. Nach intellektualistischen Anfängen hatte ich mich zu einem re­ lativ traditionellen Erzähler entwickelt. Ich konnte einfach nicht anders. Ein renommierter Verlag in München war mit seiner Su­ che nach einem Holländer spät dran und geriet so – ein wenig verzweifelt darüber, dass er die großen Namen ver­ passt hatte – an mich. Meine Bücher verkauften sich in den Niederlanden zwar ganz gut, aber ich gehörte nicht zur li­ terarischen Avantgarde. Aber besser ein zweitrangiger Holländer als gar kein Holländer, muss man sich gedacht haben. Das Buch, das man herausgeben wollte, war der dünnste Roman, den ich bis dato geschrieben hatte. Ein überschaubares Risiko. Nachdem man die Übersetzung gelesen hatte, fiel die Entscheidung, den Roman nur als Taschenbuch herauszu­ bringen. Für eine Buchpublikation auf dem deutschen Markt wohl so etwas wie eine Ejaculatio praecox. Mein Ro­ man wurde nicht besprochen. Er verschwand noch vor Be­ ginn der Buchmesse von der Bildfläche. Da begegnete ich Daniel. Auf der Buchmesse. Ich gehörte zu einem ganzen Heer niederländischer Schriftsteller, die von Staats wegen nach Frankfurt ge­ schickt wurden, um für die niederländische Literatur zu werben. Eine Handvoll davon war im Frankfurter Hof un­ tergebracht – die schicke Elite der niederländischen Litera­ tur. Ich fand mich in einem Hotel in der Nähe des Haupt­ bahnhofs wieder. Ich war ein Erzähler, folglich gehörte ich zwischen türkische Wechselstuben und Beate­Uhse­Filia­ len. Ich hatte schon einige Tage Buchmessenfrust hinter mir. Kaum jemand interessierte sich für mich. Jedes Mal, wenn 14

Diogenes Magazin

ich am Schaufenster von Beate Uhse vorüberkam, erwog ich, meine Schriftstellerlaufbahn an den Nagel zu hängen. In der Hitze der späten, lauten Treffen in der Bar vom Frankfurter Hof, wo ein Glas Wein so viel kostete wie die Zwanzigtausend­Kilometer­Inspektion bei einem Porsche, kam ich mir verloren vor. In meinem Buch kam ein Porsche vor. Seriöse Autoren schreiben nicht über Porsches. Beim Münchner Verlag schämten sie sich für mich. Dann sagte jemand, dessen Namen ich nicht preisgeben kann, dass er mit Daniel Keel gesprochen habe. Daniel Keel sei mein Buch aufgefallen, und er wolle mit mir reden. Wer war Daniel Keel? Ich hatte noch nie von ihm gehört, in der deutschsprachigen Verlagswelt kannte ich mich nicht aus. Ich wusste aber schon, dass man als Autor gefälligst nicht mit fremden Verlegern redet. Auf den Steintafeln der litera­ rischen Welt steht das folgende Gebot an erster Stelle: Du sollst keinen anderen Verleger haben neben deinem eige­ nen Verleger; ihn sollst du anbeten und über alles lieben. Und das zweite Gebot lautet: Du sollst den Namen deines Verlegers nicht unehrerbietig im Munde führen. Ich traf mich mit Daniel Keel. Ich war ein unglücklicher Autor, und ich durfte den großen Mann vom Diogenes Ver­ lag treffen, Daniel Keel, das Orakel von Zürich, den Zaube­ rer aus der Sprecherstraße. Der Mittler hatte mich über Daniels Reputation aufgeklärt. Daniel ist ein eigensinniger Mensch, hatte er gesagt, und ein Mensch mit einer außerge­ wöhnlichen Intuition. Wenn ich an diese erste Begegnung zurückdenke, sehe ich einen schmalen, dunklen Gang vor mir, und in diesem Gang einen Mann mit sehr kurzem Haar, mit hellen, lachenden Augen und mit einem Gesicht, das vor Vergnügen und Neugierde strahlte. Daniel hatte Interesse an meinem Buch, wie er den Mittler hatte wissen lassen. Daniel schaute der Schalk aus den Augen, als er sich mit mir unterhielt. Sein Ausdruck war der eines Robin Hood, eines Till Eulenspiegel. In dieser Tradition fröhlicher Kämpfernaturen stand Daniel. Daniel sprach sehr, sehr lei­ se. Ich dachte, das habe damit zu tun, dass es sich bei unse­

Foto: © Marco Okhuizen / laif

Ciao, großer Mann


rem Treffen um ein geheimes Treffen handelte. Durch den dunklen Gang, in dem wir uns befanden, zogen Geräusche aus anderen Räumlichkeiten, an die ich mich nicht im Ent­ ferntesten erinnere. Befanden wir uns in irgendeinem ab­ seits gelegenen Gang in einer der Messehallen? Im Frank­ furter Hof? Im Hessischen Hof? Ich sehe nur Daniel vor mir. Oder doch, ich sehe auch andere Silhouetten, von Mit­ arbeitern Daniels, die Ausschau hielten, und auch den Mittler, der mich hierher gelotst hatte, alle mit dem Rücken zu uns, damit zufälligen Passanten die Sicht auf uns ge­ nommen wurde. Denn Daniel war ein Verleger, und ich war ein Autor, und wir waren dabei, einen anderen Verleger zu verraten. »Sie mögen Ihr Buch nicht«, flüsterte Daniel mir zu. »Sie wissen nicht, wie sie so eine Geschichte herauszuge­ ben haben. Aber ich weiß es.« Ich konnte nicht viel darauf erwidern. »Ich möchte Ihrem bisherigen Verlag die gesamte Aufla­ ge abkaufen. Das ist nicht sehr viel, denn sie haben nur we­ nige Exemplare gedruckt«, flüsterte Daniel. »Ich lasse die gesamte Auflage schreddern, und dann gebe ich den Ro­ man neu heraus. So, wie es sich gehört. Ich weiß, wie es sich gehört.« »Wie wollen Sie das anstellen?«, fragte ich zaghaft. »Ich mache ihnen ein Angebot. Ich gehe zu ihnen und sage: Das Buch von de Winter passt nicht zu euch. Ich kau­ fe euch die gesamte Auflage ab, und ihr lasst ihn gehen.« Ich hörte ihm mit angehaltenem Atem zu. Daniel war kaum zu verstehen. Wir waren Verschwörer. Seine Augen funkelten, denn Verschwörungen anzuzetteln, fand er un­ terhaltsam und spannend. 1993 war Daniel dreiundsechzig Jahre alt, aber sein Blick war der eines selbstbewussten Zehnjährigen, der sich sicher ist, dass er fliegen könnte, wenn er nur die richtigen Flügel hätte. »Ihr Buch ist unterhaltsam«, sagte Daniel. »Ich mag die Bemerkung in Ihrem Roman, ›ein Jude in einem Porsche‹, das war sehr geistreich. Ihr Buch ist nicht langweilig. Ich bin gegen Langeweile, vor allem in der Literatur. Was hal­ ten Sie von meinem Vorschlag?« Ich stammelte – mit genauso leiser Stimme –, dass ich es mir noch überlegen und mich mit meinem Mittler beraten müsse. Aber viel Zeit ließ Daniel mir nicht. »Lassen Sie es mich dann heute Abend wissen«, flüsterte er lächelnd, wohl wissend, dass ich seinen Vorschlag nicht ablehnen konnte. Er gab mir die Hand und ging, sofort umringt von sei­ nen Mitarbeitern, die ihn wie Bodyguards begleiteten. Er strahlte Kraft aus. Ein Mann auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und doch sprach er mit der leisesten Stimme, die ein Mensch hervorbringen kann. Ich war davon überzeugt, dass er immer leise sprach, weil er sich seiner geheimen Mission bewusst war, seines Feldzugs gegen die Langewei­ le in der Literatur.

Mit ihm ins Gespräch zu kommen bedeutete, Teil seines Kampfes gegen Snobismus und Intellektualismus zu wer­ den. Er war ein Intellektueller, aber kein Intellektualist. Er war ein Connaisseur, ein Genießer, aber kein Snob. Manch­ mal, wenn ich Daniel am Apparat hatte, hob sich seine Stimme kaum vom üblichen Rauschen in der Leitung ab. Wenn er anrief, setzte ich mich immer in ein stilles Zimmer und lauschte hochkonzentriert, mit zugekniffenen Augen dem sanften Wogen seiner Worte. Die Literaturpolizei durfte nicht wissen, dass wir uns über spannende, unter­ haltsame und zu Herzen gehende Geschichten unterhiel­ ten, Geschichten, auf die Daniel sehnsüchtig wartete, denn er wusste, dass auch die Menschheit sehnsüchtig auf solche Geschichten wartete. Wenn ich den Telefonhörer abnahm und sein »Hallo?« hörte, mit dieser etwas heiseren Stimme, die das o von »hal­ lo« in die Länge zog und ein wenig sang, »hallo­o«, ein Doppel­o also, dann war klar, dass ein buchstäblich atem­ loses Gespräch seinen Anfang nahm. Und Daniel verab­ schiedete sich immer mit einem »Ciao, Leon«. Hallo­o. Ciao. Daniel setzte sein Vorhaben um. Er kaufte dem Verlag die gesamte Restauflage meines Romans Supertex ab – gan­ ze acht Exemplare waren weggegangen. Dort erklärten sie Daniel für verrückt. Er gab den Roman neu heraus, so, wie das Buch seiner Meinung nach herausgegeben zu werden hatte. Er machte ein Buch daraus, wie nur er es konnte, ge­ schmackvoll, hochwertig. Derselbe Text, aber anders her­ ausgegeben. Nach Daniels Geheimrezept. Er machte einen Erfolg daraus. Vor acht Monaten, am sechsten Februar dieses Jahres, sah ich Daniel zum letzten Mal. Er war kleiner, weniger gewor­ den, konnte sich nur mühsam bewegen. Bei ihm zu Hause durfte ich mit ihm zu Mittag essen. Er sprach noch leiser als sonst, und um ihn verstehen zu können – auch, damit er mein Gesicht besser erkennen konnte –, beugte ich mich weit zu ihm hinüber, so dass wir Nase an Nase saßen. Da­ niel erlaubte mir, ganz nahe zu kommen, nein, ich musste ganz nahe kommen. Er freue sich auf meinen nächsten Ro­ man, flüsterte er, und er habe viel Gutes über den neuen Roman meiner Frau gehört. Er trug eine Brille, die seine Augen sehr groß machte. Dadurch hatte er etwas von einer Eule, der Eule, die er einst zum Logo seines Diogenes Ver­ lags erkoren hatte. Wir redeten über das Älterwerden. Er fand es nicht schön. Er sprach von Fellini. Er ermunterte mich, so viel wie möglich zu schreiben. Ich konnte ihn kaum verstehen, aber wir saßen ja schon Nase an Nase, noch näher ging nicht. Er war schwach, aber er bestand darauf, mich hinauszu­ begleiten. »Ciao«, sagte er mit aller Kraft, die er noch besaß. Er wusste nicht, dass ich weinte, als ich mit dem Taxi ins Hotel zurückfuhr. Ciao, großer Mann. Diogenes Magazin

15


16

Diogenes Magazin

Foto: Š Serge Cohen


Das erste Verlagssignet gezeichnet von Daniel Keel

Daniel Keel im Gespräch mit Martin Meggle

Eigentlich wollte ich nie Verleger werden Ein kleines Häuschen auf dem Lande in der Nähe von Zürich war Daniel Keels Rückzugsort. Hier konnte er in aller Ruhe lesen, begleitet vom Bimmeln der Kuhglocken, und hier fand 1998 auch dieses bislang unveröffentlichte Gespräch statt, in dem der Diogenes Verleger aus seinem Leben erzählt und dabei einen weiten Bogen schlägt – von seiner Kindheit, seinen verlegerischen Überzeugungen, Beinah-Pleiten und Erfolgen bis hin zu Spaghetti und gutem Rotwein. Martin Meggle: Sie sind ein Verleger, der seinen Erfolg nicht in der Öffentlichkeit zelebriert, sondern lieber zurückgezogen agiert, diskret. Daniel Keel: Ich bin gern im Hinter­ grund und ziehe dort die Fäden. Sie pflegen eine persönliche Beziehung zu Ihren Autoren. In meinem Fall deckt sich die Sympa­ thie für das Buch mit der Sympathie für den Schöpfer. Letztlich lebt man ja mit den Autoren. Man sieht sie zwar nur selten, aber einmal im Jahr kreu­ zen sie alle auf. Dann gehen wir zu­ sammen essen oder laden sie zu uns nach Hause ein. Vertrauen zwischen dem Autor und seinem Verleger ist wichtig, damit das Klima ensteht, in dem ein Werk gedeihen kann. Haben Sie bisher gern Interviews gegeben? Nein. Früher war ich schweißgebadet, wenn ein Journalist kam. Sind Sie menschenscheu? Ja, sehr! Aber manchmal kann ich es mir nicht leisten. Ich habe einen Hor­ ror vor der nächsten Frankfurter Buchmesse, weil die Schweiz Gast­ land ist und besonders beachtet wer­

den wird. Meistens treffe ich meine Kollegen im Hotel. Ich gehe nirgend­ wo hin. Mir ist die Messe zu groß und zu lärmig. Reisen Sie gern? Ich bin immer gern und viel gereist. Aber in letzter Zeit gibt es immer mehr zu tun. Der Erfolg bringt auch Arbeit mit sich. Gäbe Ihr Leben Stoff für einen Roman her? Nein. Für Außenstehende ist mein Leben furchtbar langweilig, ähnlich dem Leben von Autoren, die nur schreiben. Welchen Traum haben Sie sich noch nicht erfüllt? Nochmals mit dem Auto ein paar Wo­ chen ziellos durch die südfranzösi­ sche und andalusische Provinz zu fah­ ren. Was hindert Sie daran? Dass ich nicht mehrere Wochen weg­ gehen kann. Sind Sie unentbehrlich? Nein, es ist einfach zu viel zu tun. Und ich müsste es teuer bezahlen. Die Manuskripte würden sich stapeln. Im Jahr bekommen wir rund 2 000 bis

3 000 unverlangt eingesandte Manu­ skripte, in die man hineinschauen muss. Es könnte ja etwas dabei sein. Aber im Schnitt ist nur jedes dritte oder vierte Jahr ein Buch darunter, das wir drucken können oder wollen. Können Sie das näher erläutern? Wie trennen Sie die Spreu vom Weizen? Die wirklich Guten und Schlechten erkennt man schnell. Die mittleren Autoren, die nicht schlecht sind, aber auch nicht richtig gut, sind die Zeit­ raubendsten. Immer hofft man, jetzt kommt es endlich. Aber dann zerkrü­ melt die Geschichte. Die Lektorinnen erzählen mir oft, die ersten vierzig Seiten sind etwas mühsam, aber nach­ her wird es spannend. Das ist nicht gut! Vierzig Seiten, das ist schon viel. In der Literatur sind die ersten Sätze oft entscheidend – wie bei Anna Karenina. So erging es mir auch mit Ingrid Noll. Die Lektorin sagte, lies die erste Seite! Es gibt viele Autoren, die große Sti­ listen sind, aber die nichts zu erzählen haben. Die konstruieren und kopflas­ tig und langweilig sind. Aber wenn einer erst einmal einen Namen hat, Diogenes Magazin

17


genannt. Ich habe befürchtet, dass mir die Leute irgendwann schreiben wür­ den, wie Herrn Rowohlt und Herrn Piper. Hinter Diogenes kann ich mich verstecken. Was zieht Sie immer wieder auf diesen Bauernhof in die ländliche Abgeschiedenheit? Hier auf dem Land arbeite ich besser als in der Stadt, weil ich in Ruhe gelas­ sen werde. Gott sei Dank kann nie­ mand meine Telefonnummer heraus­ finden. Aber dieses permanente Gebimmel der Kühe, geht Ihnen das nicht manchmal auf die Nerven? Daran bin ich gewöhnt. Ich bin auf dem Land mit Glocken aufgewachsen und kann sogar gut dabei schlafen. Misten, melken, heuen, Kartoffeln setzen und ernten – das habe ich frü­ her alles gekonnt. Was bedeutet für Sie Luxus? Nichts. Außer, dass ich hin und wie­ der in ein anständiges Hotel gehen kann. Ich koste nicht viel, was Klei­ dung und Essen anbelangt. Ich esse

wenig. Anna, meine Frau, kocht jeden Tag Spaghetti, wir führen kein Luxus­ leben. Wir haben viel Besuch, aber da gibt es auch Spaghetti und vielleicht einen Fisch, und fertig. Ein paar gute Flaschen Bordeaux sind mein ganzer Luxus. Die bekomme ich aber meis­ tens zum Geburtstag geschenkt. Bedeutet Ihnen Mode etwas? Mode interessiert mich sehr, weil ich als gescheiterter Maler ein sehr opti­ scher Mensch bin. Aber in den Mode­ magazinen blättere ich mit viel Ver­ druss, weil ich die Models so hässlich finde. Sie sind das Gegenteil von Ele­ ganz. Sie werden geschwärzt im Ge­ sicht. Sie sind mager, haben keinen Busen, keinen Hintern. Sie sind schlecht fotografiert, ganz bewusst verwackelt, flau. Ich gehe ungern einkaufen, »shop­ pen«, was ja viele Frauen lieben. Ich hasse diese Verkäufer, die einem sagen, das trägt man aber schon lange nicht mehr, was Sie da anhaben. Jetzt trägt man Bundhosen. Ich sage, mir gefal­ len die Bundhosen nicht. Ich hätte

Daniel Keel 1950 als junger Buchhändler in der Zürcher Buchhandlung Orell Füssli. Daniel Keel steht Hildi Hess in ihrem Atelier in der Mühlebachstraße Modell, 1953.

18

Diogenes Magazin

Fotos: Archiv Diogenes Verlag

kann er machen, was er will, und viele schlechte Bücher schreiben. Was ist für Sie entscheidend, wenn es um anspruchsvolle Kunst geht? Große Kunst setzt emotional etwas in Bewegung. Wenn ich etwas Geniales von Mozart, Beethoven oder von Schubert höre, rührt mich das zu Trä­ nen. Echte Kunst hat immer auch eine kulinarische Seite. Folgen Sie einer bestimmten Maxime bei der Beurteilung eines Buchs? Man muss versuchen, es so zu lesen, als hätte man nie vorher eines gelesen. Man muss sich eine gewisse Unschuld, eine Unbefangenheit und kreative Naivität bewahren. Die Kritiker sind so verdorben vom vielen Mist­Lesen, dass sie nicht mehr wissen, was gut und was schlecht ist. Es gibt nur weni­ ge Kritiker, die ein unbefangenes Ur­ teil abgeben. Empfinden Sie den erstaunlichen und anhaltenden Erfolg ihres Verlags manchmal auch als eine Last? Ja. Erfolg ist auch lästig. Darum habe ich meinen Verlag nicht Keel­Verlag


gern einen normalen Schnitt. Dann belächeln sie einen und stellen einen bloß. Oder umgekehrt: Ich ziehe eine Hose an oder ein Hemd, das mir zu groß ist, eine Hose, die mir um den Hintern flattert, und der modisch an­ gezogene, aber in meinen Augen äu­ ßerst schlecht gekleidete junge Mann sagt: Das steht Ihnen ausgezeichnet. Aber ich sehe im Spiegel einen Clown. Besitzdenken ist Ihnen fremd? Besitz ist mir lästig. Besitz macht ab­ hängig. Den Namen Diogenes habe ich gewählt, weil er nichts brauchte. Niemand weiß, ob die Geschichte mit der Tonne wahr ist. Es kann ja auch symbolisch sein. Die Athener nann­ ten ihn den Hund. Er hat so gelebt, als wenn er die Wäsche nicht wechseln würde. Das ist alles nicht wichtig. Wichtig ist, was man denkt. War Diogenes ein Intellektueller? Er war ein echter Intellektueller. Aber er hat sich nicht so benommen wie heute ein Intellektueller, der auf Kon­ gresse geht, an Preisverleihungen teil­ nimmt und sich sponsern lässt.

Lesen Sie gern? Eigentlich nicht. Ursprünglich war ich ein schlechter Leser ohne große Lesebildung. Ich war über acht Jahre Buchhändler. Aber ich muss gestehen, dass ich damals nicht viel gelesen habe. Dürrenmatt war mein Lieblingsautor. Auch Autoren wie Kästner und Hil­ desheimer mochte ich sehr. Hildes­ heimer hatte das Buch Lieblose Legenden geschrieben, das sich verkaufte wie warme Semmeln. Wie funktioniert Ihr Verlag? Haben Sie ein System? Wir haben ein altmodisches System, denn der Verleger hat das Sagen. Schon immer habe ich das Programm letztlich allein verantwortet. In vielen großen Verlagen ist der Chef, der In­ haber, der Verlagsleiter ein Geschäfts­ mann, ein Manager, der das Lesen, das heißt, die Hauptsache, delegiert. Man schickt die Lektoren zum Einkauf auf die Messen. Es werden horrende Vor­ schüsse gezahlt, an denen schon man­ cher Verlag verblutet ist. Das Pro­ gramm wird von verschiedenen Leuten

zusammengebastelt. Der Verleger nickt nur und sagt: Okay, mach mal. Früher haben die Verleger das Pro­ gramm bestimmt, nicht die Lektoren oder die literarischen Berater. An welche Verleger denke Sie da? Der alte Rowohlt zum Beispiel be­ geisterte sich für einen Tucholsky. Bis zum Schluss hat er seine Autoren ge­ fördert und gepflegt. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Als Verleger reicht es nicht, die Bücher bloß zu drucken und zu schauen, was passiert. Das ist zu wenig. Nehmen Sie auch Einfluss auf die Gestaltung Ihrer Bücher? Ja. Auch die Umschläge bestimme ich. Lange habe ich das ganz allein ge­ macht. Die Entscheidung liegt immer noch bei mir. Aber die Lektorinnen helfen mir, Motive zu finden. Von den Italienern habe ich mir ab­ geschaut, alte und neue Bilder von Malern auf den Umschlag zu setzen. Bilder, die nicht unbedingt die Ge­ schichte, den Plot, aber die Stimmung, die Atmosphäre wiedergeben.

Fotos: Archiv Diogenes Verlag

Daniel Keel auf einer Exkursion an die Ostsee, 1949

Anfang der 1960er-Jahre in New York und in Spanien

Diogenes Magazin

19


Wie sieht eigentlich der Schreibtisch des Verlegers Daniel Keel aus? Am Anfang habe ich alle Briefe liegen gelassen, weil ich mir nicht sicher war, was ich sagen wollte. Ich bin dem aus­ gewichen. Es war mir zu schwierig. Wie haben Sie das Chaos letztlich bewältigen können? Fellini hatte immer einen leeren Schreibtisch. Er hat seine Post sofort erledigt, alles weggeschmissen, der Se­ kretärin diktiert. Wirklich wichtige Briefe hat er in die Tasche gesteckt und drei Tage mit sich herumgetragen, bis sie antwortreif waren. Ich sagte mir, diese Methode kannst du dir von Fellini abschauen, um die Post sofort zu erledigen. Bei Dürrenmatt hat mich beeindruckt, dass er einfach kei­ ne Briefe mehr beantwortete. Er sagte: Das kostet mich zu viel Zeit. Ich schreibe langsam und nicht gut. Mich kostet das Briefeschreiben drei Wochen, weil ich so ein Pingel bin. Wenn ich schon schreibe, dann muss es sitzen. Wie kommunizieren Sie denn am liebsten mit Ihren Autoren? Ich bin ein furchtbarer Telefonierer. Einen Großteil meiner Zeit verbringe ich mit den Autoren am Telefon. Mir geht der Briefwechsel auch zu lang­ sam. Ich bin sehr ungeduldig und sehr nervös. Ich mag das Gespräch, die spontane Reaktion, bei der ich sofort weiß, was der andere meint. Was ist für Sie die Todsünde eines Autors? Schlecht oder überhaupt nicht zu schreiben. Sogenannte Autoren, die sagen, ich schreibe mal einen Roman, ich habe da eine Idee für einen Film oder ein Theaterstück. Das sind Kaf­ feehausliteraten. Ich habe viele Möch­ tegernkünstler kennengelernt. Die Begegnung und Zusammenarbeit mit Federico Fellini hat Spuren in Ihrem Leben hinterlassen … Fellini ist neben Dürrenmatt eines der wenigen Genies, die ich kennenge­ lernt habe. Er spielt in meinem Leben eine große Rolle. Er sagte: In den Fil­ men sage ich die Wahrheit, im Leben bin ich ein Lügner. Er hat sich gern versteckt, er war ein großer Legen­ 20

Diogenes Magazin

denbilder. Und es hat mir immer im­ poniert, wie er seine Spuren ver­ wischt – aus Spieltrieb. Verspüren Sie gelegentlich auch die Lust, Ihre Spuren zu verwischen? Ich habe nicht so viel zu verwischen wie Fellini. Keiner wusste genau, wie Fellinis Alltag aussah. Das war nur an­ ders, wenn er einen Film drehte, dann waren immer 200 Leute um ihn her­ um. Es war wie im Zirkus. Was bewundern Sie besonders an seinen Filmen? Bei Fellini kann man über die trau­ rigsten Sachen immer auch lachen. Ich liebe tragikomische Werke. Gibt es etwas Schöneres, als die Leute zum Lachen zu bringen? So ähnlich hat es auch Fellini gesagt. Für mich ist Hu­ mor nicht Fasching oder Karneval, wo man sich auf die Schenkel klopft und den ganz Tag herumhüpft. Humor ist eine geistige Haltung. Meine Autoren sind mit wenigen Ausnahmen humor­ voll. Fellini hat übrigens auch gezeich­ net … Mit Zeichnungen und Cartoons haben Sie ja begonnen. Die ersten acht Jahre habe ich fast nur Zeichner verlegt. Der erste war der englische Cartoonist Ronald Searle, Paul Flora und Loriot kamen früh dazu. Ich interessierte mich damals mehr für bildende Kunst als für Lite­ ratur. Steckt in Ihnen eine Künstlernatur? Bis ich zwanzig war, versuchte ich zu malen. Ich war der Meinung, ich sei ein Künstler, ein malender, eine Weile auch ein schreibender, habe drei Ge­ dichte geschrieben, zehn Zeilen eines Romans und etwa sieben Bilder ge­ malt. Dann merkte ich, dass das nicht mein Leben, mein Beruf sein konnte, weil ich kein Talent hatte. Ich wäre ein falscher Künstler geworden, ein Mon­ key­Artist. Als Sie als Verleger anfingen, was war da Ihr Ziel? Ich muss gestehen, dass ich kein kon­ kretes Ziel hatte. Aber man muss schon eine gewisse Portion Geschäfts­ tüchtigkeit mitbringen und realistisch rechnen bzw. spielen können. Abge­

sehen von den Inhalten der Bücher ist auch das geschäftliche Spiel reizvoll wie im Casino. Es geht dabei aber nicht darum, ob man Geld verliert oder gewinnt, sondern darum, einen Autor zu fördern, dem man im Mo­ ment wenig Chancen ausrechnet, der vielleicht zu früh da ist – man muss etwas riskieren. Schließlich ist jeder einmal unbekannt gewesen. Einen Autor nicht nur entdecken, sondern ihn auch bekannt machen – das ist die edelste Aufgabe des Verlegers, das Schönste an diesem Beruf. Aber die meisten Menschen sind Gewohn­ heitstiere und scheuen das Risiko. Als Verleger sind Sie zusammen mit Ihrem Kompagnon Rudolf C. Bettschart viele Risiken eingegangen. Wir sind beide relativ unschweizerisch, Abenteurer eigentlich. Bettschart ist sehr großzügig und risikofreudig. Ich bin eher zu vorsichtig in materiellen Dingen. Aber nicht beim Programm, da habe ich immer wieder etwas aus­ probiert. Stand Ihr Verlag jemals kurz vor dem Untergang? Dreimal waren wir von der Pleite be­ droht. Einmal drängte uns die Bank, ein verklausuliertes Papier zu unter­ schreiben, was bedeutet hätte, dass wir die Firma verlieren. Ich habe nicht unterschrieben und gesagt, wir stellen uns auf den Kopf, um den Laden zu behalten. Der Diogenes Verlag behauptet bis heute seine Unabhängigkeit. Eine Leistung, für die Sie von vielen bewundert werden. In New York gibt es kaum noch Verla­ ge, die konzernfrei sind. Hier gibt es zwar neue, kleine Verlage, die es aber nicht leicht haben, vor allem wegen des Vertriebs und der Werbung. Die Konzerne sind mächtig, sie können so hohe Vorschüsse zahlen, wie sie wol­ len, und kaufen zusammen, was sie können von den Verlagen aus den 50er­, 60er­Jahren. Rowohlt, S. Fi­ scher – alle sind aufgekauft, auch viele alte Schweizer Verlage. Damit haben wir nichts zu tun. Uns geht es im Mo­ ment so gut wie noch nie. Wir haben Reserven, eine saftige Backlist.


Loriot und Daniel Keel treffen sich zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse, 1954.

Foto links: © Federico Fellini; oberes und unteres Foto: Archiv Diogenes Verlag

Daniel Keel und Federico Fellini auf dem Set von ›Amarcord‹ in Cinecittà, Rom, 1973. Daneben: Mit Freund und Geschäftskompagnon Rudolf C. Bettschart, 1977

Wie reagierten Sie eigentlich damals, als Ihnen das Manuskript von Patrick Süskind, Das Parfum, angeboten wurde, das zum Bestseller wurde und einen Meilenstein in der Verlagsgeschichte darstellt? Ich sagte zu Süskind, wir verkaufen 50 000. Süskind meinte: Sie sind ver­ rückt, das Buch ist zu kompliziert. Wer interessiert sich für Parfumfabri­ kationen? 5 000 genügen. – Wir haben Millionen verkauft. Wenn in der Zeitung steht, dieser Bestseller ist nach dem typischen Muster gestrickt – dieses Muster exis­ tiert nicht. Sonst gäbe es nur Gris­ hams, nur Bestseller. Gott sei Dank gibt es kein Erfolgsrezept. So kann man weiterspielen. Wie soll es nach Ihnen weitergehen? Haben Sie die Nachfolge geregelt? Weil wir jetzt schon 68 sind, werden wir ständig danach gefragt. Wir haben noch nie so viel Lust gehabt weiterzu­ machen. Man könnte ja sagen, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Aber was mache ich dann? Das ist mein Lebensinhalt.

Haben Sie als Verleger eine Philosophie? Meine Philosophie ist es, Autoren durchzuziehen, mich total einzuset­ zen für sie, alles zu machen, alle Rech­ te zu bekommen, wenn möglich. Sachbücher machen wir nicht, weil ich nichts davon verstehe. Wir hätten den Archipel Gulag von Solschenizyn haben können. Aus politischen Grün­ den wollte der Anwalt einen Verlag in der Schweiz finden. Aber das war kein Roman, sondern ein wichtiges politi­ sches, historisches Dokument, das nicht unbedingt bei uns erscheinen musste. Ich wollte mich nicht stören lassen. Außerdem durfte das Buch nicht vorher gelesen werden. Das ist gegen meine Auffassung. Bücher, die wir nicht zuerst begutachten können, mache ich in der Regel nicht. Man musste also die Katze im Sack kaufen. Das alles hat mir nicht gepasst, und ich habe abgesagt. Wie hat Ihr Kompagnon darauf reagiert? Bettschart fand das empörend. Er war stinksauer und sagte, wir hätten min­

destens eine Million verloren. Wir hatten ja immer Geldmangel, weil vie­ le Bücher, die ich raushaute, nicht gin­ gen. Es ist heute noch so, dass drei Viertel der Bücher in den roten Zahlen sind. Aber ein Viertel geht so gut, dass es alles andere mitfinanziert. Das sind, glaube ich, die Früchte dieser Philoso­ phie, Autoren durchzuziehen. Wir haben viele Standbeine. Wirtschaft­ lich ist die Backlist enorm wichtig. Aber auch für das Gesicht des Verlags. Was für Menschen waren Ihre Eltern? Wurden Sie streng erzogen? Meine Eltern waren sehr fromme, ka­ tholische Leute. Ich gehöre nicht zu den Katholiken, die jammern, die Kir­ che habe ihre Kindheit verpfuscht. Ich bin nicht geschädigt. Meine Mutter kam eigentlich aus einer halbprotes­ tantischen Familie. Ich hatte eine gute Beziehung zu meinen Eltern, obwohl wir viel gestritten haben. Sie waren mir zu konservativ. Wenn wir gemein­ sam in der Kirche waren, habe ich auf dem Heimweg oft über die Predigt geschimpft. Und meine Mutter sagte dann, in jeder noch so schlechten Pre­ Diogenes Magazin

21


Seitensprung gab. Die meisten Bücher, die ich später gedruckt habe, wären in seinem Verlag undenkbar gewesen. Spürten Sie eine Berufung, Verleger zu werden? Eigentlich wollte ich nie Verleger wer­ den. Ich habe 1952 dieses eine Buch von Ronald Searle gemacht, Weil noch das Lämpchen glüht, als ich Buch­ händler war. Dürrenmatt habe ich da­ für gewinnen können, ein Vorwort zu schreiben, als Lokomotive, denn Sear­ le war damals außerhalb Englands vollkommen unbekannt. Da habe ich Blut geleckt und wollte weitermachen. Es war zwar kein großer Erfolg, aber ich habe die Auflage von 3000 Exem­ plaren in zwei Jahren verkauft. Dann fing ich meine erste Taschenbuchreihe an, die eigentlich keine richtige war, weil die Bücher gebunden waren: die Diogenes Tabus. Gemeint war: Dio­ genes Taschenbuch. Der Verlag ist organisch gewachsen. Im ersten Jahr habe ich ein Buch ge­ macht. Im zweiten wurde ich ins Han­ delsregister eingetragen. Dann wurde aus dem Hobby allmählich ein Beruf, eine Firma. Aber all das war ganz un­ ernst und unorthodox.

Inwiefern? Ich wollte einfach selbständig sein. Ich war zu faul, Sachen zu machen, die mir nicht gefielen. So kam mir die Idee, das auszubauen, aber ein Pro­ gramm hatte ich noch nicht. Acht Jahre lang saß der Verlag in ei­ nem möblierten Zimmer. Zuerst war ich allein, dann nahm ich mir eine hal­ be Sekretärin und mietete mir das Zimmer nebenan. Dann wurde aus der halben eine ganze Sekretärin. Ge­ schlafen habe ich in demselben Zim­ mer. Die ersten anderthalb Jahre konnte ich von den fünf Büchern nicht leben. Darum habe ich halbtags in einem juristischen Fachverlag gear­ beitet und Prospekte korrigiert, so dummes Zeug gemacht und 500 Fran­ ken im Monat verdient, von denen ich leben musste, bis nach drei bis vier Jahren Rudolf C. Bettschart dazustieß, mein Jugendfreund. Wie kam es dazu? Zunächst hat Bettschart als Freund­ schaftsdienst am Abend meine Buch­ haltung gemacht, die vorher nur aus einem Milchbüchlein bestand, in dem Einnahmen und Ausgaben erfasst wurden. Ich bin immer schon ein

Daniel Keel mit seiner Ehefrau, der Malerin Anna Keel, 1984 Daniel Keel 1965 in seiner Galerie, die er zwischen 1960 und 1980 betrieb

22

Diogenes Magazin

Daniel Keel an seinem Schreibtisch, 2000

Foto links: © Robert Zumbrunn; Foto Mitte: © Hanns-Jörg Anders / Stern; Foto rechts: © Philipp Keel, Zürich

digt findest du mindestens einen gu­ ten Gedanken. Da kann man schlecht widersprechen. Wie kamen Sie zum ersten Mal in Kontakt mit der Verlagswelt? Ich habe immer Verlagsluft mitge­ schnuppert. Mein Vater war sein Le­ ben lang bei einem katholischen Schweizer Verlag angestellt. Er hat Schulbücher betreut und Gesangbü­ cher für die Kirche. Meine Mutter war radikal. Sie hat alle Papiere verbrannt, Verträge, Manuskripte, Programme, weil es ihr lästig war im Haus. Sie sag­ te: Das brauchen wir nicht, Kunst ist überflüssig. Dabei war sie eine Künst­ lernatur, ohne es zu wissen. Wenn sie sprach, war sie sehr poetisch, sehr ko­ misch. Wurden Sie im Verlag Ihres Vaters eingespannt? Als junger Mann habe ich in den Feri­ en bei meinem Vater im Büro ausge­ holfen. Das war alles noch sehr be­ scheiden. Es ging darum, Texte aus Rezensionen auszusuchen, einen Pro­ spekt zu entwerfen. Mein Vater hat auch Romane gedruckt, schwarz­ka­ tholische Romane, in denen es keine Scheidung, keine Trennung, keinen


schlechter Rechner gewesen. Er bot mir an, dass er die Buchhaltung des Verlags führen könnte, von der ich keine Ahnung hatte. Er war damals noch im Eisenhandel tätig. Als er bei mir in Zürich Autoren wie Tomi Un­ gerer und Loriot kennenlernte, sagte er, das ist ja viel spannender als in mei­ nem Eisenhandel. Und Ihr Verlag entwickelte sich weiter … Wir sind dann schnell gewachsen und mussten aus der 5­Zimmer­Wohnung ausziehen, die ich gemietet hatte. Ei­ nes Tages kam Bettschart und sagte: Die Bilanz ist gut. Du kannst dir einen Gebrauchtwagen kaufen. Du musst jetzt nicht mehr in dem anderen Ver­ lag dein Geld verdienen. Ein paar Jah­ re später wurde er mein Partner und mit 49% am Verlag beteiligt. Ich habe das Sagen, weil ich den Laden gegrün­ det habe und den Inhalt bestimme. Die jahrzehntelange erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihrem Kollegen Bettschart hat sicher auch den kontinuierlichen Erfolg Ihres Verlags begünstigt. Mit Ruedi verbindet mich eine alte Freundschaft. Er ist ein genialer Orga­ nisator und lässt mich mein Pro­ gramm machen. Außerdem hat Ruedi ein natürliches Urteilsvermögen, wenn er Bücher liest. Ihre Freundschaft reicht zurück bis an den Anfang Ihres Lebens. Wir sind am selben Tag geboren. Un­ sere Mütter waren befreundet und ha­ ben uns in Einsiedeln zusammen im Kinderwagen spazieren gefahren. Wir waren gemeinsam im Kindergarten und in der Schule. Das klingt nach Fügung … Bettschart behauptet, ich sei 2 Stun­ den und 20 Minuten älter. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Bettschart erzählt, Sie hätten sich als Kinder oft gestritten. Und Ruedi hat ein gutes Gedächtnis! Ich kann mich überhaupt nicht erin­ nern. Ich weiß nur, dass wir bei den Pfadfindern in derselben Gruppe wa­ ren und dass er ein wunderbarer Freund war. Ruedi wird jetzt behaup­ ten, wir hätten uns schon im Kinder­

garten gestritten. Ich behaupte, dass ich frühzeitig aus dem Kindergarten weggelaufen bin. Am Schluss weiß kein Mensch mehr, was war. Haben Sie einen Spitznamen? Im Verlag gibt es vielleicht heimlich einen Spitznamen. Benutzt werden oft nur die Initialen. Ich bin »dk«, und der Bettschart ist »RCB«. Bei den Pfadfindern nannten sie mich Mickey, nach Mickey Mouse, weil ich diesen Sinn für Groteskes und Komisches hatte. Dafür habe ich immer noch ei­ nen besonderen Nerv. Hatte Ihre Vorliebe für Humor und Satire für den Verlag Konsequenzen? Wir haben eine lange Zeit darunter ge­ litten, ein sogenannter Humor­Verlag zu sein, weil ich die ersten Jahre nur Karikaturen gemacht habe und Zeich­ nungen. Das war wie ein Makel im deutschen Buchhandel. Als wir dann mit Literatur anfingen, wollte man uns das weniger abnehmen als einem Suhrkamp oder Hanser Verlag. Das E­ und U­Denken ist etwas Verheeren­ des, über das ich mich hinweggesetzt habe. Was glauben Sie, wie andere Verleger über Sie denken bzw. was Ihren Ruf unter Verlegern ausmacht? Ich weiß nicht, ob sie mich wirklich ernster nehmen oder ob sie nur beein­ druckt sind von unseren Bestsellern. Aber ich habe eigentlich nie darauf spekuliert, auf den Bestsellerlisten zu landen wie Verleger, die ungelesen Bestseller aus Amerika einkaufen und hoffen, dass das bei ihnen auch so viel bringt. Ich habe weder mit großen Vorschüssen noch mit Ahnungen Bestseller gemacht, sondern immer mit Büchern, zu denen ich sowieso gestanden habe, die ich selbst gern ge­ © Martin Meggle, 1998 lesen habe.

Buchtipps

Lustig L Lu stig ist das Ver Ve erl rlege ger ge erl rleb e en Verlegerleben Briefe B Br r ief ri efe fe von und an Daniel Ke Keel K el Diog oge og gen enes e Diogenes

336 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05620-4

Briefe von und an Daniel Keel »Eine vergnügliche Lektüre. Eine große Verlegerpersönlichkeit.« NZZ

Zwei Freunde, ein Verlag Für Rudolf C. Bettschart und Daniel Keel zum 80. Geburtstag Diogenes

288 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05619-8

Die Festschrift zum 80. Geburtstag von Rudolf C. Bettschart und Daniel Keel, die im Oktober 2010 erschien.

Diogenes Eine illustrierte Verlagschronik 1952 –2002

mit Bibliographie Aufgezeichnet von Daniel Kampa

992 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05600-6

Zeichnung von Daniel Keel, 1954

50 Jahre Diogenes: eine Verlagsge­ schichte in Bildern und Büchern. Mit über 1600 Illustrationen und einer Gesamtbibliographie aller erschiene­ nen Diogenes Bücher 1952 – 2002.

Diogenes Magazin

23


»Zwischen U und E passt immer noch ein D: Dafür sorgt der Diogenes Verlag.«

Felicitas von Lovenberg / FAZ

Pressestimmen zum Tod von Daniel Keel »Er war ein Verleger aus Leidenschaft, dem das Kalkül stets fremd geblieben war. So war er denn als Verleger weniger der Geschäftsmann als vielmehr ein genauer, hellhöriger und wohl auch schneller Leser. Dankbar, mit Hingabe, aber ebenso fordernd wie fördernd. Ohne davon ein großes Aufheben zu machen, hat er die Grenzen zwischen Unterhaltungs­ und ernster Literatur beiseitegewischt. Und vielleicht wie keinem Verleger zuvor ist es ihm gelungen, aus seinen Büchern einen wiederer­ kennbaren Markenartikel zu machen. Daniel Keel zählte zu den bedeutendsten Verlegerper­ sönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte.« Roman Bucheli / Neue Zürcher Zeitung »Was bleibt von Daniel Keel? Nicht nur eine schier unüber­ sehbare Menge an großartigen Büchern. Nicht nur Auto­ ren, die er gefunden oder erfunden hat. Nicht nur ein Un­ ternehmen, das in der Branche einzigartig dasteht. Keel hat etwas geschaffen, wovon die meisten Verleger nur träumen: einen unverwechselbaren ›Brand‹. Diogenes­Titel sind die, nach denen der eilige Kunde im Laden oder am Bahnhof greift, weil er der Marke vertraut. Sie werden gekauft und gelesen, allein weil es Diogenes­Titel sind. Auch das ist Daniel Keels Werk.« Martin Ebel / Tages-Anzeiger, Zürich »Nicht nur inhaltlich gab er seinem Verlag ein unverwech­ selbares, verschmitzt lächelndes Gesicht. Er etablierte die Marke Diogenes bereits zu einer Zeit, als im Verlagswesen noch niemand an derlei dachte. Angefangen bei den wei­ ßen Umschlägen mit ihrem hohen Wiedererkennungswert, dem taschenfreundlich kleinen, vertrauenerweckend stäm­ migen Format bis hin zu den originellen Werbesprüchen schuf er eine Verlagsidentität, bei der Pfiff und Klasse eine für deutschsprachige Verhältnisse selten gelungene Mi­ schung eingingen. Kein Verlag hat so viele Menschen so zum Lachen ge­ bracht wie dieser, und dass uns nur die allerwenigsten Häu­ ser über Jahrzehnte ein so konsequent die Leser erreichen­ des Programm beschert haben, mag man auch darin 24

Diogenes Magazin

bestätigt sehen, dass keiner so häufig zum Liebling der Buchhändler gewählt wurde wie Diogenes.« Felicitas von Lovenberg / Frankfurter Allgemeine Zeitung »Die erzählende Literatur war seine große Liebe. ›Von Sachbüchern verstehe ich nichts‹, hat der Begründer eines der erfolgreichsten europäischen Verlagshäuser ganz unko­ kett gesagt. Daniel Keel war ein beliebter, ja geliebter Chef, und das nicht allein. Die Wiederentdeckung und sorgfälti­ ge Edition großer Erzähler war eine seiner Leidenschaften. Mehr als 4 500 Bücher hat der Verlag bis heute publiziert, gut 860 Autoren aufgenommen – mit einer Gesamtauflage von mehr als 200 Millionen Exemplaren. Verkaufserfolg mag nicht alles sein, doch wenn er sich wie hier mit Quali­ tät paart, ist eigentlich wenig daran auszusetzen.« Der Spiegel, Hamburg »Im deutschsprachigen Raum ist Diogenes in den letzten Jahrzehnten zum Synonym für literarisches Prestige – et­ was weniger elitär als der Suhrkamp Verlag von Siegfried Unseld – und gutes Design geworden.« La Vanguardia, Barcelona »Addio a Daniel Keel. Er war persönlich mit Großen wie Fellini, Dürrenmatt, Simenon oder Patricia Highsmith be­ freundet. Diogenes gilt heute als einer der größten rein bel­ letristischen Verlage Europas.« Corriere della Sera, Mailand »›Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht.‹ Dieser Ratschlag mag nicht sonderlich schweize­ risch klingen, aber Daniel Keel, der Gründer des finanziell und geistig unabhängigen Diogenes Verlags, entsprach auch nicht dem Klischee des typischen Schweizers. Seine Anfän­ ge als Verleger waren ebenso außergewöhnlich wie sein Um­ gang mit den Autoren, denen er die Treue hielt. Und sie dankten es ihm, indem sie bei ihm blieben. Sein Leben lang bewahrte er sich seinen Humor, einer seiner Lieblingssprü­ che: ›Die Vernunft verfolgt mich, aber ich bin schneller‹.« The Times, London


Mag ich – Mag ich nicht

Daniel Keel Mag ich:

Mag ich nicht:

Wälder, Bäume, alten Jazz, Meer, Wüste, Fellini, Orangensaft, Dürren­ matt, Frau und Kinder, die Sonne, Geschichten, Toblerone, Hitze, den Süden, Italien, Sizilien, Palermo, alte Filme, Alec Guinness und Fred Astaire, Paris ohne Pariser, Dichter und Denker, Ludwig Marcuse, tele­ fonieren, Frankfurter Würstchen mit Meerrettich, Mozart, Schubert, Jeans, Bordeaux, Käse

Die Nacht, Frühjahr, Herbst und Winter, Innereien, Tiefschürfendes, Gewitter, Sylt, Inseln überhaupt, Nebel, Regen, jede Art Feiern und Festtage, Wild, Muzak, Maschinen, Milch, Telefonbeantworter, Schne­ cken, Haustiere, Krankheiten, Mar­ zipan, Leni Riefenstahl, Hans Albers, deutsche Schlager, American Expres­ sionists, Salvador Dalí, Designer

Illustration: © Anna Keel; Foto oben und unten: Archiv Diogenes Verlag; Foto Mitte: © Monica Beurer / Emma, Köln

Daniel Keel (1967), portraitiert von seiner Frau Anna, die ein Jahr vor ihm im Alter von 70 Jahren starb

Zwei Jahre vor seinem Tod füllte Daniel Keel das Fragebuch ›Alles über mich‹ seines Sohns Philipp aus, dessen zwei letzte Seiten hier abgedruckt sind. Der Schlusssatz: »Das Leben ist hart und bunt.«

Diogenes Magazin

25


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.