Diogenes Magazin Nr. 11

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Nr. 11

Herbst 2012

Diogenes

Magazin

Jakob Arjouni

schickt seinen Ermittler Kayankaya zum fünften Mal auf den Frankfurter Kiez

Die grüne Insel am Ende der Welt

Anthony McCarten über Katherine Mansfield und Neuseeland

Sehnsüchtig erwartet:

Neue Romane von John Irving, Martin Suter und Ingrid Noll

Ohne Brunetti, trotzdem spannend:

Donna Leon hat für Cecilia Bartoli einen Musikkrimi geschrieben

Sonderteil

60 Jahre Diogenes

4 Euro / 7 Franken

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Von Sultanen, Haremsdamen und anderen Herrschern des Orients.

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Geschichte erleben mit GEO


Raymond Chandler

Inspiration Inspiration ist »das Licht einer wunderbaren Einsicht« (Descartes), »man hört, man sucht nicht, man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt« (Friedrich Nietzsche). Nur wenigen Schriftstellern schenkt die Muse einen Kuss. Aber es gibt auch solche, die nichts von ihrer Zärtlichkeit wissen wollen: Autoren, deren Bücher Raymond Chandler tunlichst meidet.

Foto Titelseite: © Roger Eberhard; Illustrationen: © Paul Flora

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ch bekomme dauernd Aufsätze zu Gesicht, in denen Schriftsteller sich darüber auslassen, dass sie grundsätzlich nie auf Inspiration warten; sie setzen sich einfach jeden Morgen um acht an ihren kleinen Schreibtisch, ob’s regnet oder ob die Sonne scheint, ob sie einen Kater haben oder einen gebrochenen Arm oder was weiß ich sonst, und knallen ihr bisschen Pensum hin. Wie leer ihr Kopf auch sein mag und wie öde alles, was ihnen durch die Gedanken trudelt, mit solchem Quatsch wie Inspiration haben sie nichts im Sinn. Ich entbiete ihnen meine Bewunderung und gehe ihren Büchern sorgfältig aus dem Weg. Ich hingegen, ich warte auf Inspiration, obwohl ich sie nicht unbedingt bei diesem Namen nenne.

Ich glaube, dass alles Schreiben, das auch nur etwas Leben in sich hat, aus dem Solarplexus kommt. Es ist harte Arbeit insofern, als man hinterher todmüde sein kann, sogar total erschöpft. Im Sinne bewusster Bemühung freilich ist es überhaupt keine Arbeit. Wichtig ist dabei vor allem eins: Der Berufsschriftsteller sollte einen bestimmten Zeitraum haben, sagen wir mindestens vier Stunden am Tag, wo er nichts anderes tut als schreiben. Er muss nicht unbedingt schreiben, und wenn ihm nicht danach ist, dann sollte er’s auch nicht versuchen. Er kann aus dem Fenster schauen oder einen Kopfstand machen oder sich auf dem Fußboden schlängeln, aber er soll nicht lesen, Briefe schreiben, in Zeitschriften blättern oder Schecks ausfüllen. Entweder schreiben oder gar nichts.

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Buchtipp

432 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06831-3

Was wissen Sie über Lessing? Was über Kleist? Die Fakten sind oft schnell vergessen – doch diese mit lebhaftem Strich skizzierten Porträts prägen sich ein. Denn Böhmer richtet seinen Blick auf das Innerste des Schriftstellers, auf den Ursprung seiner Inspiration.

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Ersatz für das leidige

Editorial

»Die Buchhändler sind alle des Teufels, für sie muss es eine eigene Hölle geben.« Johann Wolfgang Goethe (mit ›Buchhändler‹ sind Verleger gemeint) »Es ist leichter, mit Christus über die Wogen zu wandeln, als mit einem Verleger durchs Leben.« Friedrich Hebbel

Wer war Diogenes? 94 Über den Namensgeber des Verlags Das allererste Diogenes Buch Daniel Keel und Ronald Searle

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Martin Suter 18 Sein neuer Roman Die Zeit, die Zeit handelt von einem Mann, der die Zeit zurückdrehen will, um den Tod seiner geliebten Frau ungeschehen zu machen. Martin Suter über seinen eigenen Umgang mit der Zeit und über Zeit­experimente in der Literatur.

Eine Verlagschronik 100

Interviews

»Sie gehen mit einem Buch um, wie ein Kolonialwarenkrämer mit seinen Backpflaumen. Man hat wirklich ein Kreuz mit Euch Verlegern …« Honoré de Balzac

Philipp Keel 108 Der neue Diogenes Verleger stellt sich vor

Jakob Arjouni 4

Tomi Ungerers Bücherbilder

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John Irving 22

»Verleger sind keine Menschen, sie tun nur so.« Kurt Tucholsky

Doris Dörrie 112 liegt das Erzählen im Blut

Christian Schünemann 35

»Auch ein Verleger ist ein Mensch.« Siegfried Unseld in einem Brief an Thomas Bernhard

Bernhard Schlink 114 Sein Selbstverständnis als Autor

»Ein Verleger ist eine Mischung aus Irrenhaus- und Zirkusdirektor.« Daniel Keel 2

60 Jahre Diogenes

Diogenes Magazin

Daniel Keel (1930 – 2011) 116 Der Diogenes Gründer auf der einsamen Insel

Martin Suter 18

Annalena McAfee 82 Philipp Keel 108

Impressum  Vorschaufenster

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Illustration links: © Ronald Searle; Illustration Mitte: © Tomi Ungerer; Foto rechts: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Im ersten Diogenes Buch, dem Cartoonband Weil noch das Lämpchen glüht von Ronald Searle, das vor 60 Jahren erschien (mehr dazu auf Seite 96), ist folgende Zeichnung abgedruckt, die wir mit fundierten Zitaten über einen dubiosen Berufsstand komplettieren:


Diogenes Magazin Nr. 11

Illustration: © Saul Steinberg / Saul Steinberg Foundation / 2012 ProLitteris, Zürich; Foto links: © Isolde Ohlbaum / laif; Illustration Mitte: Jean-Jacques Sempé; Foto rechts: © Isolde Ohlbaum / laif

Inhalt

Jakob Arjouni 4 Endlich: Kemal Kayankaya ist zurück. Jakob Arjouni über seine Beziehung zu Kayankaya, Kopf- und Bauch­ entscheidungen und stilbewusste Schriftsteller. Außerdem: ein Auszug aus dem neuen Kayankaya-Roman Bruder Kemal und ein Porträt des Schnüfflers von Christian Seiler.

Paulo Coelho 30 Eine Begegnung mit dem Tod Anna Stothard 32 über den Horror Vacui Donna Leon und Cecilia Bartoli 36 Eine musikalisch-literarische Entdeckung: Agostino Steffani

Auf hoher See 70 Ingrid Nolls neuer hinterhältiger Familienroman Über Bord spielt zur See. Darin geht so einiges über Bord, nicht nur die Illusion einer letzten Liebe. Die Schriftstellerin erzählt von ihren eigenen Seereisen. René Goscinny zeigt uns augen­ zwinkernd in Wort und Bild das seltsame Treiben an Bord eines ›Traumschiffs‹ und wie man eine Kreuzfahrt ohne größere Blessuren übersteht.

Neuseeland literarisch 50 Neuseeland ist Ehrengast auf der dies­jährigen Frankfurter Buchmesse. Der neuseeländische Schriftsteller Anthony McCarten über die Geschichte seiner Heimat, das Wesen seiner Lands­leute – und über Leben und Werk eines neuseeländischen Klassikers: Katherine Mansfield, Meisterin der Short Story. Außerdem: Katherine Mansfields letzte Erzählung Der Kanarienvogel und ein Auszug aus ihrem Tagebuch.

Rubriken Die einsame Insel Petros Markaris Daniel Keel

Kopfnüsschen Denkspiele 43 116

80

Top 10 Songtexte 86 von Astrid Rosenfeld

Ein Autor – Eine Stadt 44 Istanbul mit Petros Markaris

Petros Markaris 40 über die Finanz- und Wertekrise

Lesefrüchtchen 90

Denken mit Ludwig Marcuse 66

Wer schreibt hier? Gewinnspiel

Martin Walker 46 über frühe Menschen und Künstler

Literarisches Kochen 68 John Irving

Mag ich – Mag ich nicht 120 Fabio Volo

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»Ein großer, phantastischer Schriftsteller, der genau und planvoll und lesbar schreibt.« Maxim Biller.

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Foto: © Isolde Ohlbaum / laif

Jakob Arjouni, geboren 1964 in Frankfurt am Main, lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Berlin und Südfrankreich. Zuletzt erschien sein Roman Cherryman jagt Mr. White bei Diogenes.


Interview

Jakob Arjouni im Gespräch mit Christian Seiler

Kayankaya ist zurück

Illustration: Heinz Ita

Gerade mal 23 Jahre alt war Jakob Arjouni, als sein Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya zum ersten Mal ermittelte in Happy Birthday, Türke!. Ein hochgelobtes Debüt. Nach vier Fällen zog sich der deutsch-türkische Schnüffler zurück. Zehn Jahre später ist er wieder da. Wie sein Autor ist er älter geworden, entspannter – und in festen Händen ist er auch. Ein Gespräch über Figuren, die einen nicht loslassen, Instinkt und Stilbewusstsein beim Schreiben, Georges Simenon und Richard Yates, die Neugier auf Menschen und die Freundschaft mit Büchern. Nach zehn Jahren treffen wir in Bruder Kemal den Privatdetektiv Kemal Kayankaya wieder. Warum? Ich glaube, ich hatte Lust, nach Hause zu kommen. Mich auf vertrautem Terrain mit jemandem zu bewegen, den ich seit langem kenne und mag. Wie vertraut bist du mit Kayankaya denn? Er ist schließlich mit den Jahren eine ziemlich andere Figur geworden, älter und milder – und du hast zwischendurch einige andere Romane geschrieben, in denen er nicht vorkam. Ich habe ein bisschen in Kismet rumgelesen, dem letzten Kayankaya-Roman. Den habe ich vor zehn Jahren geschrie-

ben, aber beim Wiederlesen war es, als hätte ich ihn gestern abgeschlossen. Kayankaya war mir sehr präsent. Es gibt meine erste Schreib-Phase, die geht ungefähr bis Magic Hoffmann, da weiß ich nicht mehr viel. Da gehören die ersten drei Kayankaya-Romane dazu und die Theaterstücke. In die Romane habe ich wegen Namen und alten Geschichten reingeguckt, die in Bruder Kemal angedeutet werden – und war schon erstaunt: wie viel Zeit seitdem vergangen ist … Hast du den Schriftsteller Jakob Arjouni wiedererkannt? Das kann ich literarisch nicht beurteilen. Einerseits ist das zu lange her –

Happy Birthday, Türke! ja fast schon dreißig Jahre, du lieber Himmel! –, andererseits bin ich immer noch viel zu nah dran. Das wäre so, als müsste ich Bilder bewerten, die ich als Kind gemalt habe. Die ersten Bücher sind halt anders. Sehr viel jünger. Ich habe den ersten Krimi mit neunzehn geschrieben, das merkt man dann schon. Aber man merkt auch, dass ein Grundton da ist, den es auch heute noch gibt. Ein Abstand, eine Skepsis gegenüber der Welt. Humor natürlich. Aber auch der Humor ändert sich ja zum Glück mit dem Alter. Es stehen viele gute Witze in Happy Birthday und Mehr Bier. Diogenes Magazin

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auch sein. Meistens habe ich Fragen zu ihnen. Warum sie sich so oder so verhalten. Was sie denken, welche Träume oder Ängste sie haben und warum. Dann suche ich mir den Rahmen. Ein gutes Beispiel ist Max in Chez Max, meinem Zukunftsroman. Mit ScienceFiction hab ich nie etwas zu tun gehabt … … nie SF gelesen? Nur die Klassiker. H. G. Wells und Jules Verne und ein bisschen Stanisław Lem, als ich sechzehn war. Das Genre interessiert mich auch nicht – aber für die Figur, für einen völlig korrekten Spießerverbrecher schien mir so eine rosige, ziemlich faschistische BioCorn­flakes-Welt der passende Rahmen zu sein. Kayankaya ist die richtige Figur, wenn ich mich wohlfühlen will. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil er für mich tatsächlich wie ein Bruder ist. Du sagst, dass Kayankaya immer bei dir ist und in Gedanken bei dir auftaucht. Wird er denn nicht eifersüchtig, wenn du so sympathische Gauner wie den Eddy in Der heilige Eddy erfindest, der auf einem ähn­ lichen Terrain unterwegs ist wie Kayan­kaya? Es gibt ein Zitat von Fitzgerald, der sagt, dass man über einen Schriftsteller keine Biographie schreiben kann, weil er zu viele ist. Ich finde, das stimmt. Ich bin auch relativ viele. Und das verträgt sich miteinander. Ich glaube, Eddy und Kayankaya könnten sich durchaus vertragen. Aber genauso gut könnte Kayankaya Eddy einbuchten. Mir ist unlängst etwas Interessantes aufgefallen, und zwar deshalb interessant, weil es keinesfalls geplant war: In keinem Kayankaya-Roman bringt Kayankaya jemanden in den Knast. In Happy Birthday lässt er den Bruder laufen, in Mehr Bier findet er überhaupt keinen, bei Ein Mann, ein Mord ist der Verbrecher sein bester Freund, in Kismet ist es er selbst. Es gibt in den Büchern natürlich Verbrecher, aber es kommt nie zum klassischen Showdown: »Jetzt bring ich Sie mal zur Wache.« Auch deshalb also: Er würde den Eddy nicht ins Gefängnis bringen. Vom Ergebnis her betrachtet: Was steckt da für eine Moral dahinter?

Foto: © Isolde Ohlbaum / laif

Freut mich, aber wie gesagt, das kann ich nicht beurteilen. Mir ist im Nachhin­ ein aufgegangen, dass ich den Kayankaya ganz schön nah an mich rangelegt habe, viel näher als die meisten anderen Figuren, über die ich geschrieben habe. Wahrscheinlich war das die einzige Möglichkeit, eine Figur wie Kayankaya entstehen zu lassen. War das eine bewusste oder eine unbewusste Entscheidung? Es ist geschehen. Um bewusste oder intellektuelle Entscheidung geht’s beim Schreiben sehr wenig, bei mir jedenfalls. Sondern? Ganz viel um Instinkt, um Gefühl, und darum, dass ich mich wohl fühle mit einer Figur oder einer Geschichte. Ich hätte über den Kayankaya nie so selbstverständlich schreiben können – Frankfurter mit türkischen Eltern und einem Hang zu speziellen Milieus –, wenn ich der nicht auch bis zu einem gewissen Punkt gewesen wäre. Als ich ihn jetzt bei Bruder Kemal wiedergetroffen habe, war das so, als würde ich einen alten, sehr guten Freund wiedertreffen. Vertraut? Ganz vertraut. Wie Familie. Wie funktioniert bei dir das Finden eines Themas? Du hast schließlich schon sehr viele Themen auf sehr unterschiedliche Weise behandelt, Entwicklungsromane, Science-Fiction, sogar Märchen geschrieben. Was braucht es, damit sich ein Thema und die passende Form konkretisieren? Lustprinzip. Wie gesagt, das sind eigentlich nie bewusste Entscheidungen. Ausschlaggebend ist, zu welcher Art von Figur es mich aus irgendeinem Grund gerade hinzieht, und in welchem Rahmen ich glaube, diese Figur am besten erzählen zu können. Es geht ja immer nur um Figuren. Das mag von außen anders aussehen, denn es gibt manchmal einen Fall, manchmal ist ein Buch politisch, es kann sogar eine Fee auftauchen. Aber am Ende geht es immer nur um Figuren, also um Menschen. Was fasziniert dich an diesen Figuren so, dass du ein Buch über sie schreibst? Mich faszinieren eben Menschen, und so muss das bei einem Schriftsteller ja


Kayankaya entwickelt seine Moral von Fall zu Fall, von Moment zu Moment neu, und anders geht’s ja auch gar nicht. Vorgegebene Moralmuster funktionieren in der Praxis ja nur höchst selten. War dir nach diesen zehn Jahren seit Kismet klar, wie Kayankaya heute sein muss, oder musstest du dir darüber erst den Kopf zerbrechen? Er ist doch ein ziemlich anderer geworden. Ich fand es immer merkwürdig, wenn Figuren in Krimis oder anderen Serien immer gleich alt und von der Wirklichkeit unverändert sind. So wie Tim und Struppi. Ich bin ja kein großer Krimi­ leser, inzwischen lese ich eigentlich nur noch Simenon und Charles Willeford. Und diese beiden gehen mit ihren Hauptfiguren auch immer tiefer in deren Lebensgeschichten hinein, lassen sie altern. Es war für mich überhaupt keine Frage, das mit Kayankaya genauso zu machen. Alterslos sind Fernsehpolizisten, die über zehn Jahre funktionieren müssen, und man merkt nur, dass die Schauspieler älter werden, nicht aber die Figuren. Oder die Frauen in Sex and the City, da werden nicht mal die Schauspielerinnen älter. Eine Kopf- oder eine Bauchentscheidung? Die einzige Kopfentscheidung war, dass ich keinen Roman über das Thema Altern schreiben wollte. Kommissare in Rente wissen nichts mit sich anzufangen, und plötzlich liegt eine Leiche vor ihrer Tür – das interessiert mich nicht. Kayankaya ist älter in Bruder Kemal, ganz natürlich, weil wir das eben werden, und weil für mich Kayan­ kaya einer von uns ist. Kayankaya ist also nicht künstlich, sondern mit dir gealtert. Er ist beziehungsfähiger und ein bisschen milder geworden. Gilt das auch für dich? Klar, das ist bei den meisten so und bei mir auch. Ich könnte heute nicht mehr über den jungen Kerl schreiben, der sich dauernd rumprügelt und die große Klappe hat wie der Kayankaya früher – soweit ich mich erinnere. Hast du dich denn früher geprügelt? Nein, so eine physische Kraft, das war nur Wunschdenken – im Ernst: Kayankaya ist ja kein Doofer, im Gegenteil. Es wäre also völlig unerklärlich, wenn er mit fünfzig nicht rausgekriegt hätte,

wie er ein paar Euro mehr macht und bessere Sachen zu essen bekommt. Es wäre allerdings auch nicht glaubwürdig, wenn er in der Zwischenzeit als Privatdetektiv Millionen gemacht hätte und im Immobiliengeschäft tätig wäre … Natürlich nicht. Und zwar nicht deshalb, weil er so was vielleicht nicht gekonnt, sondern weil er es nicht gewollt hätte. Dafür ist er einfach nicht der Typ. Es mag solche originellen Entwicklungen, Veränderungen im Leben geben, aber normal ist das eher nicht. Und mich interessiert das Normale, nicht das Besondere. Oder vielleicht: das Besondere im Normalen. Jedenfalls: Wichtige Merkmale von Kayankaya waren immer Verlässlichkeit, Bodenständigkeit, eine gewisse Spießigkeit. Was soll der mit Millionen und ’nem Pool? Ein Bier und ein gutes Würstchen, das mag er.

Kayankaya ist mir viel näher als die meisten anderen Figuren, über die ich geschrieben habe. Wendest du beim Schreiben spezielle Techniken an, oder lässt du dich von der Geschichte treiben? Ich kann nicht länger als zwei, drei Stunden pro Tag hochkonzentriert sein. Wenn ich aber nicht hochkonzentriert bin, kann ich nicht schreiben. Wenn ich in einer Schreibphase bin, ist das ein bisschen wie bei einem Hundertmeterläufer: Der arbeitet ja auch nicht nur die zehn Sekunden während des Rennens. Der bereitet seinen Lauf vor, trainiert, ernährt sich bewusst, denkt an das Rennen, geht den Lauf im Kopf durch – so ist das bei mir auch ein bisschen. Ich bereite mich den Rest des Tages auf die drei Stunden vor, in denen ich schreibe. Du sitzt auf dem Sofa und starrst in die Luft und siehst deine Geschichte? So klischeehaft? Etwa so, meistens gehe ich spazieren. Ab einem gewissen Alter war es halt so, dass ich nicht mehr Fußball spielen ge-

hen konnte, weil ich mich auf die eine Stunde vorbereitete, die ich am Abend noch schreiben wollte. Wie entstanden die ersten Romane, als du kaum zwanzig warst? Das war so ein Rauschschreiben. Ich wusste zwar, dass ich den Roman nicht in einer Nacht fertig kriegen würde, aber ich hab es versucht. Allerdings bin ich bald daraufgekommen, dass zum Romaneschreiben vor allem Durchhaltevermögen gehört und dass das sehr viel mit Pausen zu tun hat. Mit Ausruhen und Sich-nicht-verrückt-machenlassen. Aber der Traum ist schon immer noch da: ein Roman in einer Nacht, in einem Zug, in einer sich steigernden Stimmung – wie ein glückliches Saufen bis zum Umfallen. Vor allem, wenn du Simenon so liebst, der seine Romane tatsächlich in ein bis zwei Wochen schrieb. Ja, Simenon ist beängstigend. Eine Woche schreiben, eine Woche nachdenken, was der nächste Roman sein könnte, in der nächsten Woche diesen Roman aufschreiben. Und jedes Mal ist der Roman gut, oder schlimmstenfalls nicht schlecht. Wenn du über längere Zyklen – ein, zwei Jahre – an einem Roman schreibst, lässt du dich dann von aktuellen Ereignissen beeinflussen? In Hausaufgaben kam zum Beispiel die damals intensiv diskutierte WalserDebatte vor … Kommt natürlich auf die Figuren an. Figuren ändern sich nicht, bloß weil gerade eine Debatte stattfindet. Wenn die auch meine Figuren interessiert, lasse ich mich allerdings auch gerne aktuell inspirieren. Ich bin kein Autor, der aus dem Zettelkasten arbeitet. Was heißt das genau? Ich habe nie auch nur einen einzigen Dialog an der Würstchenbude aufgeschrieben. Und selbst wenn ich mir irgendwelche Sätze gemerkt habe, um sie irgendwann mal anzubringen, Witze, Dialoge, Vergleiche, hat das nie funktioniert. Weil Schreiben so viel mit Rhythmus zu tun hat, jede Geschichte ihren ganz eigenen, zwingenden Fluss entwickelt, und da kann man dann nicht einfach irgendwas von irgendwann – und sei es noch so hübsch – einfach reinquetschen. Diogenes Magazin

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Wie entsteht dieser Rhythmus? Der Rhythmus ist bei einem Roman ziemlich schnell klar. Nach fünf, spätestens zehn Seiten kommst du als Autor da nicht mehr raus. Kannst du das ein bisschen technischer beschreiben? Zuallererst geht es um das richtige Wort. Mehrere richtige Wörter bilden einen hoffentlich richtigen Satz, der für sich alleine funktioniert. Darauf folgt der nächste Satz. Entweder die bauen aufeinander auf, verhalten sich in gewisser Weise zwangsläufig zueinander und schaffen eine Spannung, dass du Lust hast, den dritten Satz zu lesen, oder sie sind so gemütlich und beliebig, dass es dir egal ist, wie es weitergeht. Die Spannung entsteht im Satz, das hat oft gar nicht so viel mit Inhalt zu tun, glaube ich. Gute Autoren – oder jedenfalls, was ich dafür halte – erzeugen einen Sog, indem jeder Satz den nächsten ankündigt, geradezu erzwingt. Bei so einem Text denkt man: Der kann nur so, genau so da stehen. Wie vergewisserst du dich dieses Rhythmus? Ich lese viel laut. Ich sitze an meinem Schreibtisch und überprüfe, ob der Text fließt. Das heißt natürlich nicht, dass der Text glatt wäre, manchmal muss es Pausen oder eine Pointe geben. Es hat viel mit Musik zu tun. An welchen Musiker denkst du bei dieser Definition von Rhythmus? An den für mich größten lebenden: Keith Jarrett. Ich weiß nicht, ob der erklären kann, warum er das Piano plötzlich fünf Sekunden ruhen lässt und dann wieder mit der Melodie beginnt oder mit dem Rhythmus und es stimmt. Es stimmt halt. Das ist beim Schreiben genauso. Kann man das in eine Theorie fassen? Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die ganzen Germanisten sich sehr schwertun, das Vergnügen an Literatur zu erklären, so wie die ganze Kunsttheorie an die Kunst nicht rankommt. Auch der Schriftsteller selbst kommt an das eigene Geheimnis nicht ran. Denn warum er diesen Rhythmus hat und nicht einen anderen, diese Melodie, diesen Blick auf die Welt, diese Geschichten und nicht ganz andere, die er erzählen will 8

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und erzählen muss, weiß auch er nicht. Glaube ich jedenfalls. Weißt du’s? Ich weiß nur, wenn es stimmt. Wenn es für mich stimmt. Warum? Keine Ahnung. Du näherst dich den eigenen Texten also wie ein Leser? Absolut. Ich muss mich mit meinen Texten am allermeisten unterhalten. Wenn ich dann auf eine Pointe stoße, eine formale oder inhaltliche, ist das ein großes Vergnügen für mich. Fällt dir das Schreiben im richtigen Rhythmus leicht? Es ist Kleinarbeit. Das ist der Grund, warum ich so langsam schreibe, warum ich hochkonzentriert sein muss. Es ist kein Problem, schnell irgendeinen langatmigen, beliebigen Text hinzuhauen. Aber auf den Punkt zu kommen, das braucht Zeit und ist harte Arbeit. Man muss sich und die Sätze immer wieder überprüfen und in Frage stellen.

Ich habe nie auch nur einen einzigen Dialog an der Würstchenbude aufgeschrieben. Simenon schafft es, mit ganz kurzen, scheinbar banalen Sätzen, eine Welt entstehen zu lassen … Genau, er beschreibt eine Straße mit einem Küchengeruch, ein Milieu, eine Welt: Darum geht’s. Ich glaube, Literatur – und alle Kunst – ist Konzentration oder Destillation, wie beim Schnaps­ brennen. Und die natürliche Sehnsucht des Schriftstellers ist es, die ganze Welt, seine ganzen Erfahrungen, Wünsche, Träume, das eigene Leben, alles in den einen, einzigen Satz zu brennen. Da trifft sich die Sehnsucht des Erzählers mit der des Lyrikers. Einige amerikanische Kollegen haben gerade mit sehr breiten 800-SeitenRomanen enormen Erfolg. Ja, aber das kommt mir meistens vor wie Fotorealismus. Franzen ist so ein Fall. Da wird dann alles bis zum letzten Eckchen höchstgenau beschrieben und ausgeleuchtet. Das Gegenteil von Kon-

zentration. Ich find’s stinklangweilig und irgendwie feige. Nach dem Motto: Möglichst viele Sätze, dann gehen die schlechten unter, und ein paar gute werden schon dabei sein. Es gibt natürlich lange Romane, wo fast jeder Satz sitzt. Bei Flaubert oder Richard Yates. Wie muss ein Buch losgehen, damit du es weiterliest? Es muss im Detail stimmen, die Wörter, die Sätze. Ich lese am Anfang immer nur eine Seite. Diese Seite ist das Versprechen, das mir das Buch gibt. Wenn mir diese Seite also erzählt, dass es hier eigentlich nur um Handlung geht und die vielleicht erst in hundert Seiten richtig startet, verlässt mich augenblicklich die Geduld. Aber wenn auf der ersten Seite zwischen den Wörtern und Sätzen eine Spannung entsteht, egal, um was es geht, dann lese ich gerne weiter. Für welchen 800-Seiten-Roman gilt das? Für Die Elenden von Hugo zum Beispiel, aber den hab ich, zugegeben, schon vor einiger Zeit gelesen. Damals habe ich während der letzten Seiten geweint. Auch was Zeitgenössisches? Ich mochte Eine Geschichte von Liebe und Finsternis von Amos Oz sehr. So würden den Roman wahrscheinlich nicht viele bezeichnen, aber für mich war’s ein echter Schmöker. Ich habe am Ende abends immer extra wenig Seiten gelesen, damit ich noch länger etwas davon habe. Liest du auch Bücher, bei denen du dich plagen musst? Nicht mehr, und auch früher kaum. Lesen ist für mich Genuss und mein Verhältnis zu Büchern ein sehr sinnliches. Entweder ich liebe ein Buch oder nicht. Ich muss nicht den neuen Soundso lesen. Da geht es mir mit Büchern wie mit Menschen. Ich verbringe meine Zeit auch möglichst nur mit Menschen, die ich mag. Mit denen ich Spaß habe, die mich inspirieren, die ich liebe. Wo etwas über den reinen Zeitvertreib hinaus passiert. Du nimmst also den Begriff ›Unterhaltungsliteratur‹ wörtlich. Dass der Begriff so abfällig verwendet wird, finde ich absurd. Jeder Autor versucht zu unterhalten, sonst würden die


Foto: © Isolde Ohlbaum / laif

Leser die Bücher ja sofort weglegen. Aber ich mag keine Bücher, die nur die Zeit vertreiben. Ein bisschen mehr muss da schon sein. Da fällt mir einmal mehr Simenon ein. Du schlägst ein Buch auf, und da sind dieselben Straßen, dieselben Figuren, die du schon kennst, und trotzdem packt es dich, inspiriert – und unterhält dich. Ich fand übrigens immer schön, dass im Wort ›unterhalten‹ das Wort ›halten‹ steckt. Und genau das sollte ein Buch für mich sein: Halt gebend, Mut machend, Rücken stärkend. Du liest manche Bücher immer wieder von Neuem. Was findest du beim Wiederlesen darin? Ich bin älter geworden, habe neue Erfahrungen gemacht, womöglich meine Sicht auf die Welt geändert – und dann lese ich auch ein Buch anders und neu. Ich kann vielleicht andere Schichten, andere Ecken sehen. Oder auch nicht. Vielleicht gibt’s keine anderen Schichten, vielleicht hat das Buch genau damals in einem bestimmten Alter mir alles gegeben, was es für mich hatte. Aber manchmal geht auch was Neues auf. Und bei den mir liebsten Büchern geht bei jedem Wiederlesen etwas Neues auf. Ich nehme da wieder die Musik und Keith Jarrett als Beispiel: die Platte A Melody at Night With You habe ich zum ersten Mal gehört – super –, zum zweiten Mal gehört – super –, dann habe ich sie eine Million Mal gehört – und jedes Mal, egal, wie ich mich gerade fühle, geht ein neues, und wenn auch noch so kleines Türchen auf. Und so ist es auch bei den Büchern, die ich immer wieder lese. Wie ein Kind. Das liest seine Lieblingsbücher auch mindestens fünfzig Mal. Von welchen Autoren? Dashiell Hammett, Tobias Wolff, Charles Willeford, Čechov, Jörg Fauser, Maupassant, Frank O’Connor, Heine und natürlich Richard Yates. Sehr deprimierend, Yates … Ja, aber so unfassbar gut geschrieben. Yates hat einen Rhythmus in seinen Worten, einen Sog im Schreiben. Der schreibt über die schlimmsten, düstersten Sachen, über Dinge, die du nicht wissen willst, die mir beim Lesen zum Teil viel zu nahe gehen. Du weißt von Anfang an, es geht immer nur abwärts,

wie in der griechischen Tragödie, es gibt sicher kein Happy End, keine Erlösung, und trotzdem … ich muss weiter immer weiterlesen. Auf trockene, böse Art ist Yates übrigens oft sehr lustig, finde ich zumindest. Aber er verkneift sich jeden Scherz zur Auflockerung, es gibt bei ihm nichts umsonst. Dabei fällt mir ein, ich habe oft gesagt, Humor sei für mich nichts anderes als Abstand – bei Yates stimmt das ziemlich hundertprozentig. Der Humor liegt bei ihm in der sehr genauen, pointierten, kühlen Beschreibung, und die kriegt man nur mit Abstand hin. Du hast früher einmal gesagt, Bücher ohne Humor kannst du nicht lesen. Hab ich gesagt, stimmt aber nicht. Simenon ist zum Beispiel sicher kein Meister des Humors, und trotzdem lese ich ihn begeistert. Nach einer Weile stimmt ja fast alles nicht, was man so sagt. Was liest du, während du selbst gerade an einem Buch schreibst? Fast nur Simenon. Das ist wie Wasser trinken. Das beeinflusst mich nicht, und wenn doch – hoffentlich. Simenon hat einen jederzeit verträglichen Stil? Ich habe ein Problem mit dem Wort ›Stil‹. Hammett sagt, sobald er begriffen hatte, dass er Stil hat, konnte er nicht mehr schreiben. Das verstehe ich sehr gut. Wenn man eine bestimmte, formale Art hat, an die Dinge heranzugehen, wird es langweilig. Auch Simenon hat einen gewissen Stil, aber er hat sich darüber nicht so viele Gedanken gemacht. Sondern? Er macht, was wir alle machen, wenn wir bei einem Abendessen eine Geschichte erzählen: Wir wollen sie so schnell und unterhaltsam wie möglich und so tiefgründig wie nötig erzählen, damit die anderen am Tisch nicht wegschlafen. Das hat mit Respekt für unsere Zuhörer zu tun. Beim Schreiben gehört sich das auch. Statt Stil benutze ich lieber das Wort ›Mittel‹. Jeder hat seine Mittel, um eine Geschichte zu erzählen, und die sucht man sich nicht aus. Denkst du an dein Publikum beim Schreiben? Bei Lesungen zum Beispiel Diogenes Magazin

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kriegst du viel Applaus für deine präzis gesetzten Pointen, legst du die mit diesem Hintergedanken im Text an? Schreiben und Vorlesen sind zwei völlig verschiedene Berufe. Das Auftreten musste ich erst lernen, das jagte mir auf den ersten Lesereisen richtig Angst ein. Inzwischen macht mir Vorlesen Spaß. Aber es hat nicht das Geringste mit dem Schreiben selbst zu tun. Beim Schreiben zählt nur der Inhalt. Ich würde keinen Witz hinschreiben, nur um einen Witz zu machen. Die Geschichte muss das verlangen. Beim Schreiben denke ich nie an einen Leser – außer an mich selbst natürlich. Ich bin noch immer mehr Leser als Schreiber und muss mich selbst ununterbrochen unterhalten. Wenn du jetzt mit Kayankaya am Schreibtisch sitzt: Was muss der für dich tun? Er muss mich überraschen. Das heißt: Ich muss mich überraschen. Eine schizophrene Situation. Es sitzen also drei Personen am Tisch: der Schreiber, der Leser und die Figur. Klingt ein bisschen irre und ausgedacht, ist es aber nicht. Ich habe es zuerst so erlebt und erst später Worte dafür gefunden. War das von Anfang an so? Schon als ich in Frankreich an Happy Birthday, Türke! schrieb, war es genauso. Ich habe viel getrunken und die ganze Nacht geschrieben und hatte einen Riesenspaß dabei, weil ich wissen wollte, was sich der Kayankaya als Nächstes ausdenkt. Viele Schriftsteller arbeiten streng nach Konzept. Wie machst du das? Ich weiß den Anfang, und ich weiß – wie jetzt beim Krimi – den Plot. Der erzählt sich in zwei Sätzen, mehr ist das nicht. Dann schreibe ich von vorne nach hinten, logisch. Denn um den Sätzen einen Rhythmus zu geben, kann ich ja den dritten nicht vor den ersten zwei schreiben. Was dem Kayankaya dann während der Geschichte widerfährt, ob er sich verliebt oder pleitegeht, ob er den Mörder findet oder nicht, selbst ob das dann überhaupt noch wichtig ist, weiß ich nicht. Die Figuren beginnen ihr Eigenleben zu führen. Sie verhalten sich zueinander, und das tun sie durch mich. Aber ich kann den 10

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Kayankaya nicht zwingen, sich in eine Frau zu verlieben, nur weil ich sie auftreten lasse. Wenn ich es wichtig finde, dass er sich verliebt, muss ich eine Frau hinschreiben, in die er sich verlieben kann. Bekommt jedes Buch im Vorfeld ein spezielles Thema? Ja, wobei: Viele Themen gibt’s ja nicht. Es geht um Freundschaft, Liebe, Altern, Tod, Jugend, Krankheit. Vielleicht noch zwei, drei andere. Eifer-

Der Autor soll während der Geschichte, die er erzählt, die Klappe halten.

sucht. So ein Thema habe ich dann jeweils als Grundgeräusch. Bei Bruder Kemal zum Beispiel habe ich während des Schreibens immer gesagt, es geht um Religion. Kann man sagen, man könnte aber auch etwas ganz anderes sagen. Das spielt anfangs eine Rolle, aber im Grunde geht es dann wie immer ganz schnell nur noch um die Figuren und darum, ihnen möglichst nahe zu kommen. Religion war einfach nur eine Möglichkeit, mich dem Kayan­ kaya neu zu nähern.

Im besten Fall sind Bücher Freunde, die man ins Regal stellen kann. Das Blöde ist, dass sie einem nicht die Hand halten können. Bruder Kemal hinterfragt jede Form von Gläubigsein. Eigentlich geht es um etwas, was alle ernsthaften Schriftsteller tun: Du hinterfragst durchgesetzte Bilder. Religionen aller Art und Herkunft sind in den letzten Jahren ja wieder eine mächtige, die Welt bestimmende Sache geworden. Elfter September, Mohammed-Karikaturen, Tea-Party, Bushs Kreuzzug im

Irak, arabischer Frühling. Oder in Deutschland: Wer bekennt sich neuerdings nicht alles zum Papst oder irgendeinem Glauben. Und die meisten nehmen die Sache ungeheuer ernst, auch die Religionsgegner. Ich halte es da hundertprozentig mit Ricky Gervais: »Thank God I’m an atheist.« In Bruder Kemal wird Religion als Business und Entertainment beschrieben. Religion als Möglichkeit, Geld zu verdienen und sich abzulenken. Wie steht denn Kayankaya zur Religion? Das war für mich der Anfang des Romans. Wie geht Kayankaya mit dem Thema um? Er hat türkische Eltern, ist von Geburt Muslim. Da habe ich mich drauf gefreut. Was passiert, wenn die anderen ihm mit gewissen Erwartungshaltungen begegnen? Und es hat mir Spaß gemacht, ihm dabei zuzusehen, wie er unbelästigt vom Religionskram mit seiner Arbeit weitermacht und sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Das entspricht nun eins zu eins der Art, wie du selbst mit diesem Kram umgehst. Ich hoffe es. Und ich hoffe, grundsätzlich immer freier von Ansichten und Absichten zu werden. Im Leben, aber noch mehr beim Schreiben. Beim Schreiben musst du jede Situation sachlich durchdenken: Wer hat welche Beweggründe? Was motiviert die Figuren, so zu handeln, wie sie handeln? Und nicht: Was motiviert den Autor? Der Autor soll während der Geschichte, die er erzählt, die Klappe halten. Er ist eigentlich nur für die Mathematik zuständig, für das Gleichgewicht, den Rhythmus, die Form. Ansichten und Absichten soll er seinen Figuren überlassen. Kannst du das ein bisschen genauer erklären? Sagen wir’s so: Wenn ich bei einem Buch die Absicht des Autors erkenne, dann interessiert mich die ganze Geschichte nicht mehr, auch wenn die Absicht noch so richtig ist, selbst wenn sie einfach nur darin besteht, einen unterhaltsamen, guten und möglichst gewichtigen Roman zu schreiben. Oft sind das ja dann diese perfekten Schreibwerkstatt-Bücher, stimmt alles – originelle Hauptfigur, perfekte


Dramaturgie, Thema ernst, Sprache heiter, ein bisschen ironisch, ein bisschen gewagt –, interessiert mich null. Aber wenn ich merke, dass einer nicht anders kann, als jetzt diese – und zwar genau diese – Geschichte zu erzählen, weil er ein Geschichtenerzähler ist, weil er unbewusst etwas von sich erzählen will oder weil er jemandem Freude machen möchte, und wenn er das so gut und so kurzweilig tut, wie’s geht und wie er’s eben kann – das finde ich die höchste Form der Literatur. Wenn ich ein Beispiel geben müsste, was diesem Ideal ziemlich nahekommt, würde ich Heine-Gedichte nennen. Welchen Effekt hat gute Literatur? Ich finde, Bücher sollten Mut machen. Die Bücher von Richard Yates zum Beispiel machen inhaltlich bestimmt nicht so viel Mut. Aber einfach, dass es jemanden gibt – oder gab –, der die Dinge so gesehen hat wie du, lässt dich nicht so alleine sein mit deinen Beobachtungen, deinen Ängsten, deinen Sehnsüchten. Im besten Fall sind Bücher wie Freunde. Freunde, die man ins Regal stellen kann, das ist das Gute. Das Blöde ist, dass sie einem nicht die Hand halten können. Könnte es sein, dass dein nächstes Buch wieder ein Kayankaya ist? Jedenfalls habe ich mich im letzten Jahr sehr wohl mit der Figur gefühlt. Und vielleicht sind ja noch ein paar Fragen offen. Oft habe ich, wenn ein Buch einmal fertig ist, Lust auf etwas Neues. Das ist diesmal nicht so. Aber eine richtige Idee habe ich auch noch nicht. Und vielleicht kommt ja morgen jemand ganz anderes um die Ecke – ein charmanter Henker, eine schwatzsüchtige Geheimagentin, ein Junge wie mein Sohn –, und ich denke: Mit dieser Person will ich jetzt sofort unbedingt viel Zeit verbringen, zwei, drei Jahre, ganz egal. Da wäre der Kayankaya dann erstmal wieder weg, da hätte ich keine Wahl, das ist wie sich verlieben.

Foto: © Peter Loewy

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Über Kayankaya

Christian Seiler

Ein Freund Er ist ein bisschen was über fünfzig und längst ein Klassiker. In Bruder Kemal ermittelt er zum fünften Mal, nach seinem Debüt 1987 in Happy Birthday, Türke! Ein kleines Porträt des furiosen Privat­detektivs Kemal Kayankaya, geschrieben von Christian Seiler, einem Fan der ersten Stunde.

W

enn der Privatdetektiv Kemal Kayankaya einen Auftrag annimmt, geht der Welt ein Licht auf. Der Mann ist hell. Er hat Mumm. Sein Witz ist schneidend und hinterlässt Spuren, gleich hinter dem ersten Affektlachen, wenn der Scherz bitter zu schmecken beginnt. Kayankayas Schlagfertigkeit ist hohe Kunst. Das Bittere ist die Wirklichkeit. Kayankaya wird am 11. August 1957 in der Türkei geboren. Seine Mutter Ülkü stirbt bei der Geburt, sein Vater Tarik geht nach Deutschland und heuert bei der Frankfurter Müllabfuhr an. Der Junge kommt mit. Drei Jahre später überfährt ein Postauto den Vater. Kemal wird von einem deutschen Pä­ dagogenehepaar adoptiert. Er wächst in einer durch und durch deutschen

Umgebung auf, macht Abitur und bewirbt sich 1980 für eine Lizenz als Privatdetektiv, die er »merkwürdigerweise« auch bekommt. »Manchmal«, räsoniert Kayankaya in Happy Birthday, Türke!, »macht der Job sogar Spaß.« In Happy Birthday ermittelt Kayankaya im Drogenmilieu, in Mehr Bier unter rabiaten Umweltschützern, in Ein Mann, ein Mord in der Schattenwelt von Asylanten. Er handelt sich von ungemütlichen Zeitgenossen eine Menge Ohrfeigen ein und vergisst auch nicht, auszuteilen. Weil er aussieht wie ein Türke, wird er im Kiez schon mal gefragt, ob die Polizei, harhar, jetzt eine Fremdenlegion habe. Wenn ihn jedoch eine Türkin auf Türkisch anspricht, muss er sich als Diogenes Magazin

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Landsmann zu erkennen geben, der »Türkisch wegen besonderer Umstände weder sprechen noch verstehen« kann. Die Zuhälter, Schlepper, Kleinkrimi­ nellen, die Alltagsrassisten und die Bekloppten, denen Kayankaya über den Weg läuft, haben eines gemeinsam: Kayankaya hat nichts gegen sie, eigentlich. Er interessiert sich nicht dafür, woher sie kommen und warum sie tun, was sie tun. Aber er weiß ziemlich genau, ob sie in Ordnung sind, Elende oder Arschlöcher. Mit denen, die in Ordnung sind, ist er gern Freund und trinkt bei Gelegenheit ein paar Bier, selbst wenn er sie eigentlich hinter Gitter bringen müsste. Mit den Elenden hat er Mitleid, weit über alle Konventionen hinaus. Mit den Arschlöchern aber legt er sich an, auf Gedeih und Verderb. Nicht, dass ihm das immer gut bekäme – Kayan­ kaya holt sich regelmäßig seine Beu-

len –, aber der Kampf gegen die wirklich Unanständigen, ob sie nun Polizisten sind oder knallharte Gangster im Frankfurter Bahnhofsviertel, ist der Ausdruck seines Kampfes um das, was er intuitiv als Gerechtigkeit empfindet. Gerechtigkeit ist, auch wenn Kayankaya das so nie sagen würde, sein Treibstoff, sein genuines Thema. Er selbst, oft angeschippert, mehrheitlich pleite und kleinen krummen Geschäften nicht abgeneigt, ist ein zutiefst moralischer Mensch. Moral ist schließlich am Ende nur das, was man nach Abwägung aller Fakten richtig findet, und Fakten abwägen kann Kayankaya wie ein Apotheker. Der junge Kayankaya ist ein ziemlich verwegener Held, der sich schneller mit bösen Jungs schlägt als vielleicht notwendig, sicher mehr trinkt, als ihm gut tut, und ein bisschen einsamer ist,

als ihm lieb ist. In Kismet, dem vierten Kayankaya-Roman Jakob Arjounis, ist Kayankaya dann gut zehn Jahre älter, ein bisschen schwerer und langsamer, aber, wenn notwendig, nicht weniger entsichert als eh und je. Das hilft, weil er es immerhin mit der Mafia aufgenommen hat. Heute ist Kemal Kayankaya ein unrasierter Mann von Mitte fünfzig mit leichtem Hang zum Übergewicht, was ziemlich sicher mit den Bieren und den Würsten zusammenhängt, die er in den schönen Stunden zu sich nimmt, und ›Fitnessstudio‹ kann er natürlich immer noch nicht buchstabieren. Seine Lakonie – Kayankaya bezeichnet den trockenen Humor, den er selbst in den ungelegensten Situationen nicht ablegen kann, tiefstapelnd als »müde Witze reißen« – ist eine verdeckte Variante von Lebensweisheit, ein vorurteilsloses Misstrauen gegen alle, die

Fotos: © Fred Prase

Fotografien auf diesen Seiten von Fred Prase (1946 – 2003). Jahrelang ermittelte Fred Prase als Polizeihauptkommissar im Frankfurter Bahnhofsviertel mit seinen Stundenhotels, Bars und Bordellen. Das Fassbinder-Zitat: »Was man nicht ändern kann, sollte man wenigstens beschreiben«, führte zu seiner Entscheidung, den Kiez fotografisch festzuhalten.

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etwas zu verbergen haben, dividiert durch die milde Skepsis, mit der er sich morgens im Spiegel selbst betrachtet. Kayankaya ist längst nicht mehr der einsame Wolf der frühen Tage. Da ist eine Deborah mit ziemlich viel Vergangenheit und Kinderwunsch, und Kayan­kaya ist seltsam angerührt von der Vorstellung, doch noch in so etwas wie Familie hineingerutscht zu sein. Allein, dass er nicht augenblicklich in den Sonnenuntergang reitet und sich

aus der Geschichte verabschiedet wie Lucky Luke, zeigt deutlich, wie stark das Heimweh nach Aufgehobenheit ist, das diesen Mann am Ausgang seiner besten Jahre bisweilen heimsucht. Im neuen Roman Bruder Kemal sondiert Kayankaya religiöse Angelegenheiten und stellt als guter Nihilist wenig überrascht fest, dass es mit dem Glauben derer, die am lautesten beten (oder sich über die lauten Beter noch lauter beschweren), nicht weit her ist.

Also fragt er sich selbst, woran es zu glauben lohnt. Er tut es nicht laut, sondern zwischen den Zeilen, und er kommt zu einem Ergebnis, von dem er als junger Ermittler niemals geträumt hätte, als er, der Whiskeytrinker, maximal an die Wunder glaubte, die drei Aspirin bewirken. Die Antwort lautet: Scheiße. Es gibt etwas. Keine Ahnung, was, aber irgendwas gibt es. Ganz sicher. Man kann zum Beispiel an diesen Kumpel glauben, der alle paar Jahre auftaucht, ohne sich angemeldet zu haben. Dann ist er da, und es ist mindestens so schön wie immer, auch wenn nicht mehr die ganze Nacht getrunken wird, weil – Kayankaya kriegt einen warmen, nicht weiter zu entschlüsselnden Blick – dann mal gut ist. Dann hörst du wieder eine Zeitlang nichts von ihm. Aber er kommt wieder, ganz sicher. Er vergisst dich nicht.

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Auftritt Kemal Kayankaya

Foto: © NN

Privatdetektiv. Geboren 1957 in der Türkei. Aufgewachsen in Deutschland. Wohnhaft in Frankfurt. Familienstand: ledig. Humor: trocken. Gerechtigkeitssinn: aus­geprägt. Gewaltbereitschaft: hoch. Eine Entwicklungs­geschichte zwischen Bahnhofs- und Bankenviertel, Würstchenbude und Buchmesse in fünf Romanen.

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Vorabdruck

Jakob Arjouni

Das ist die Hölle! A

uf dem Weg zur Messe kam im Taxi mit einem Mal sogar richtig gute Stimmung auf. Rashid erkundigte sich bei Katja Lipschitz, der Pressechefin des Verlags, wer noch alles käme, Lutz Dingsbums vielleicht oder der »witzige Bodo«, wie viele Interviewtermine er habe, wo man vor der Veranstaltung am Abend noch schnell was essen könne, und schien sich zu freuen wie ein Kind, auch wenn er zwischendurch immer wieder stöhnte: »Gott, wird das anstrengend!« Zu mir sagte er: »Sie werden sehen, die Buchmesse, das ist die Hölle!« Und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Die Buchmesse war nicht die Hölle, sie roch nur ein bisschen so. In den riesigen Hallen breiteten sich über mehrere Stockwerke, jedes mit einer Fläche von etwa zwei Fußballfeldern, Stellwand an Stellwand gefühlte Millionen Verlagsstände bis in die letzte Ecke aus. Dazwischen schob sich durch Gänge und Stände, über Rolltreppen, in Toiletten und durch Eingangstüren pausenlos ein schwitzendes, ungewaschenes, par-

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fümiertes, alkoholgetränktes, verkatertes, mit Haargel beschmiertes Menschengewühl. Aus Würstchen-, Pizza-, Chinapfannen-, Thaicurry- und Bratkartoffelbuden zog Fettdampf über die Köpfe, unsichtbare Heizungen schienen bis zum Anschlag aufgedreht – vielleicht produzierten aber auch nur

Die Buchmesse war nicht die Hölle, sie roch nur ein bisschen so. die vielen Körper die Wärme –, und für Frischluft sorgten ausschließlich die paar wenigen auf- und zuschlagenden Eingangstüren. Dazu drangen aus der kleinen Verpflegungskammer des Maier Verlags schräg hinter mir die Ausdünstungen von auf der Wärmeplatte vor sich hin schmorendem Filterkaffee, verschmähten Ei- und Harzer-Käse-Brötchen, deren Aromen sich im Laufe des Tages immer deutlicher hervortaten, sowie eines selbstgebackenen Kokos-Bana-

nen-Kuchens, den ein junger US-amerikanischer Autor den Verlagsmitarbeitern mitgebracht hatte, »For you, guys, for all the amazing work you do!«, und der aus Bountys und faulem Obst zu bestehen schien. Der Stand des Maier Verlags war ungefähr fünfundzwanzig Meter lang und fünf Meter breit. An den Wänden hingen Autorenporträts und Plakate von Buchumschlägen, in mehreren Regalen lagen stapelweise Neuerscheinungen, zum Sitzen gab es einfache Holzbänke und -stühle, dazu kleine runde Tische, auf jedem zwei Schalen mit Keksen und Salzgebäck. Ein etwa fünf Meter breites Wandstück in der Mitte des Stands sowie der Tisch und die vier Stühle davor unterschieden sich vom Rest der Einrichtung. Hier schmückten die Wand ein Fischernetz, zwei Plastikhummer, ein Plastiktintenfisch, eine Glasflasche mit Flaschenpost, eine kleine Boje und fünf ins Netz gehängte Exemplare des neuen Romans von Hans Peter Stullberg: Eine okzitanische Liebe. Der Tisch war ein klassischer französischer Bistro-

Foto: Archiv Diogenes Verlag

Kemal Kayankaya, der Frankfurter Privatdetektiv, ermittelt wieder und bewegt sich dabei auf fremdem Terrain, denn bei ihm zu Hause liest nur seine Freundin: Das Buch des marokkanischen Autors Malik Rashid hat in der arabischen Welt für große Aufregung gesorgt, geht es darin doch auch um die gleichgeschlechtliche Liebe unter Muslimen. Rashid fürchtet um sein Leben. Er engagiert Kayankaya als Leibwächter. Gemeinsam fahren sie zur Frankfurter Buchmesse ...


tisch mit Eisenfuß und Marmorplatte, die Stühle waren Gartenklappstühle aus Holz in den Farben Rot und Gelb. »Die Farben Okzitaniens«, wie uns Katja Lipschitz erklärte. Rashid hatte bei unserer Ankunft die besondere Präsentation von Stullbergs Roman trocken mit »wegen der Rückenbeschwerden« kommentiert. Mit seinem eigenen Roman Die Reise ans Ende der Tage war ein ganzes Regal vollgestellt, darüber ein Zitat aus Le Monde: »Selten sind inhaltliche Relevanz und formaler Ausdruck eine so vollendete Symbiose eingegangen.« »Ein toller Satz«, sagte Katja Lipschitz. »Tja, Le Monde ist eben immer noch Le Monde«, pflichtete Rashid bei. Und ich sagte: »Man bekommt sofort Lust zu lesen.« Katja Lipschitz warf mir einen ausdruckslosen Blick zu, ehe sie in die Ecke neben der Verpflegungskammer deutete. »Da, haben wir uns gedacht, sitzen Sie. Von dort haben Sie den ganzen Stand gut im Blick und bleiben relativ unauffällig. Malik wird seine Interviews mit Journalisten und Gespräche mit Lesern und Buchhändlern an dem Tisch vor Ihnen führen.« »Wunderbar«, sagte ich und stellte meine Tasche mit gebügeltem Hemd und Nadelstreifenanzug für die Abend­ veranstaltung mit Herrn Doktor Breitel neben den mir zugedachten Stuhl. Rashid schob seinen schwarz glänzenden Rucksack mit einer kleinen aufgenähten kanadischen Stoffflagge und der roten Aufschrift Vancouver International Writers Festival unter den Tisch, erklärte uns, er gehe mal kurz guten Tag sagen, und begann eine Runde über den Stand, um die Verlagsmitarbeiter zu begrüßen; die weiblichen mit Umarmung und Küsschen rechts, Küsschen links, die männlichen mit kräftigem Handschlag. »Tolles Buch, Malik!« – »Ungeheuer berührend!« – »Ganz wichtiger Text.« – »Mein Favorit dieses Jahr.« Während Katja Lipschitz sich abwandte, um zu telefonieren, sah ich mich nach Möglichkeiten um, notfalls mit Rashid in Deckung zu gehen. Vor uns der Gang mit dem ständigen, gleichmäßigen Strom von Buchmesse-

besuchern, rechts die Tische des Maier Verlags, an denen Verlagsmitarbeiter mit Geschäftspartnern Verkaufszahlen, Buchmarktentwicklungen, Persona­ lien, gemeinsame Veranstaltungen und den jüngsten Buchmesseklatsch besprachen – »Gretchen Love!« – »Nächste Woche soll sie auf der Sachbuch-Bestsellerliste sein.« – »Ein Wahnsinn!« – »Ein Skandal!« –, und gleich links neben uns die Stellwand zum Nachbarverlag. Daran Rashids Werberegal mit ungefähr dreihundert Exemplaren seines Romans, dem groß ausgedruckten Le­ Monde-Zitat und einem Foto, auf dem Rashid den Kopf in drei Finger stützte und so amüsiert und überlegen guckte wie bei meinem Eintreffen in der ›Harmonia‹-Lounge.

»Tolles Buch, Malik!« »Ungeheuer berührend!« »Ganz wichtiger Text.« »Mein Favorit dieses Jahr.« Blieb als mögliche Deckung nur die Verpflegungskammer. Bis wir allerdings die Schiebetür hinter uns aufund zugekriegt und uns zwischen Brötchentabletts und Wasserkästen geschmissen hätten, wäre ein halbwegs entschlossener Attentäter mit einem vom nächsten Pizzawagen entwendeten Messer längst mit Rashid fertig und wieder im Besuchergewühl untergetaucht gewesen. Neben der Abendgarderobe befanden sich in meiner Tasche noch ein Baseballschläger, Pfefferspray und Handschellen. Ich zog den Reißverschluss auf und legte den Griff des Baseballschlägers so auf die Taschenkante, dass ich ihn möglichst schnell zu fassen bekam. Außerdem nahm ich meine Pistole aus dem Rückenholster und schob sie in die rechte Seitentasche meiner Cordjacke. Niemand würde die Waffe sehen, und ich konnte durch die Jacke schießen. »Sie werden damit hoffentlich vorsichtig sein.« Katja Lipschitz trat vor mich und deutete auf meine Jackentasche. »Ich habe Sie beobachtet. Ich meine, es gibt auch überschwengliche

Fans, die wollen Malik vielleicht umarmen …« »Tja, da haben sie Pech gehabt. Ich knall ganz gerne ’n bisschen rum, wissen Sie. Gerade hier am Besuchergang, irgendwen erwischt man da immer. Übrigens: Haben Sie die Drohbriefe dabei?« Wir sahen uns an. Nach einer Pause fragte Katja Lipschitz: »Haben Sie eigentlich eine Frau?« »Sie meinen, ob ich schwul bin?« »Nein, ich meine, ob jemand mit Ihnen zusammenlebt?« »Sie werden staunen: seit über zehn Jahren in festen Händen, gemeinsame Wohnung, keine Affären, jedenfalls, was mich betrifft – darum bin ich ja so ausgeglichen, leicht genießbar, ein Mann umhüllt von weiblicher Nestwärme. Tut mir leid, falls Sie Interesse hatten.« Katja Lipschitz lachte kurz auf. »Was ist jetzt mit den Drohbriefen?« »Würden die Briefe an Ihrer Vorgehensweise irgendwas ändern?« »Ja. Ich würde wissen, ob ich mich auf die Informationen meiner Auftraggeberin verlassen kann.« Wieder machte sie eine Pause. Von einem der Nebentische des Maier Verlags hörte ich: »Hier, die SMS: Platz 1!« – »Ich fass es nicht!« – »Also ehrlich gesagt, ich hätte nichts dagegen, auch mal so eine Gretchen Love im Programm zu haben, kann man doch als Kunst verkaufen.« – »Spermaboarding als Kunst? Ich weiß nicht.« – »Das ist der Titel? Spermaboarding?« – »Ja, und noch irgendwas dazu.« Schließlich sagte Katja Lipschitz: »Malik hat vor ein paar Wochen erzählt, er habe solche Briefe bekommen. Leider hat er sie bisher nicht mitgebracht. Ich habe ihn mehrere Male darum gebeten.« Sie betrachtete mich herausfordernd. »Zufrieden?« Ich zuckte mit den Achseln. »Ist mir völlig egal, was ihr Leute anstellt, um den Buchverkauf anzukurbeln. Aber es gehört nun mal zu meinem Job, einigermaßen genau einzuschätzen, wie groß die Gefahr ist, in der sich die zu schützende Person und ich befinden. Nun gehe ich noch mehr davon aus, Diogenes Magazin

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dass wir einen eher ruhigen Nachmittag verbringen werden.« Es kostete sie einen Augenblick Überwindung, dann sagte sie: »Schön, dass Sie das so entspannt sehen. Tut mir leid, die Arbeit mit Autoren …«, sie zögerte, »… na ja, ist nicht immer frei von Eigenheiten, Überraschungen – verstehen Sie?« »Klar – weil die Kerle zu viel nachdenken.« Sie lächelte müde. »Na, dann ist ja gut«, und sah auf die Uhr. »Ich muss wieder ans Telefon. Wenn Sie irgendwas brauchen, wenden Sie sich bitte wie besprochen an mich. Bis später.« Kurz darauf ließ sich Rashid am Tisch vor mir nieder und bekam von der jungen, in einen adretten blauen

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Hosenanzug gekleideten Assistentin von Katja Lipschitz eine Tasse vor sich hingeschmorten Filterkaffee und ein Stück Kokos-Bananen-Kuchen serviert. »Danke, mein Schatz.« Er zwinkerte ihr zu. »Mhmm, riecht der gut. Hoffentlich schreibt der junge Kollege so gut, wie er backt.« »O ja«, sagte die Assistentin freundlich lächelnd, »ein tolles Buch, sehr berührend. Wenn Sie noch irgendwas brauchen, sagen Sie bitte Bescheid. Der Mann von der Bamberger Allgemeinen kommt in fünf Minuten.« »Was ist mit dem Wochenecho-Interview?« »Wir sind immer noch dran, Herr Rashid. Katja macht, was sie kann. Das Problem ist: Der Redakteur, mit dem das Interview vereinbart war, musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Tut mir leid. Sobald es Neuigkeiten gibt, bekommen Sie Bescheid.« Sie wandte sich zu mir: »Darf ich Ihnen auch ein Stück Kuchen bringen?« »Danke, nur ein Glas Wasser bitte.« Während die Assistentin das Glas Wasser aus der Verpflegungskammer hinter mir holte und mich eine Wolke Harzer-Käse-mit-Banane-Geruch aus der offenen Tür umfing, drehte sich Rashid zu mir um, ein Blick zur Verpflegungskammer: »Süß, nicht wahr?« Danach hielt er die Kuchengabel wie ein kleines Schwert in die Höhe. »Wo-

Zweites Foto von o.: © Keystone; übrige Fotos: Archiv Diogenes Verlag

Bilder von oben nach unten: Diogenes Stand auf der Frankfurter Buchmesse, 1973. Tomi Ungerer (ganz links) und Daniel Keel stehend mit Bierglas, Diogenes Stand auf der Frankfurter Buchmesse, 1962. Daniel Keel (rechts) am Diogenes Stand auf der Frankfurter Buchmesse, 1957.

chenecho-Interview! Wenn das klappt, dann geht die Auflage ...« Er beschrieb mit der Gabel einen steil ansteigenden Strich. »Prima«, sagte ich. Wenig später brachte Katja Lipschitz’ Assistentin den Journalisten der Bamberger Allgemeinen an Rashids Tisch. Ein fülliger, unrasierter, ungekämmter, gemütlich wirkender Mittvierziger in ausgetretenen Schuhen und einem so zerknitterten Regenmantel, als hätte er darin die Nacht verbracht. Er ließ seine anscheinend schwere Umhängetasche auf den Boden plumpsen und begrüßte Rashid überschwenglich: »… ist mir eine große Ehre … Freue mich sehr … begeistert … Was für ein mutiges Buch … Danke für die Zeit, die Sie mir opfern …« Rashid bemühte sich, die Komplimente so weit wie möglich zurückzugeben: »…  freue mich auch sehr  … Danke für Ihre Zeit … Bamberger Allgemeine, tolle kleine Zeitung …« Dann hob der Journalist ein altertümliches Aufnahmegerät aus seiner Umhängetasche – »Tja, zu modernerer Technik reicht’s bei der Bamberger Allgemeinen noch nicht« –, brauchte fünf lange Minuten, um das Gerät zum Laufen zu bringen, und fing schließlich an, seine auf einen kleinen Zettel voller Essensflecken notierten Fragen zu stellen. Es war Rashids erstes Interview, dem ich beiwohnte, es sollten noch acht an diesem Nachmittag folgen – mit dem Rüdesheimer Boten, dem Storlitzer Anzeiger, der Studentenzeitung Randale, mit Radio Norderstedt und noch irgendwem –, und so wenig sympathisch mir Rashid war, so sehr sollte er mir trotzdem spätestens nach dem dritten, vierten Interview leidtun. »Lieber Malik Rashid«, fuhr der Mann aus Bamberg nach ein paar belanglosen Fragen zu Rashids Geburtsort und Biographie fort, »ich pack den Stier jetzt mal gleich bei den Hörnern: Ist der meisterhafte, aufwühlende Roman Die Reise ans Ende der Tage nicht vor allem das subtile Coming-out eines nordafrikanischen Mannes, der lange genug in Europa gelebt hat, um sich der religiösen und traditionellen Ketten seiner Heimat nun auch öffentlich


und sozusagen stellvertretend für viele gleich- … ich sag mal … -gepolte Männer zu entledigen?« »Bitte …?« Rashids Mund blieb offen. Er schien tatsächlich völlig überrascht. Bestimmt hatte er damit gerechnet, dass das Thema von Journalisten angesprochen würde. Dass es der Kern nicht nur seines Auftakt-, sondern auch aller weiteren Interviews an seinem ersten Buchmessetag werden sollte, darauf war er ganz offensichtlich nicht vorbereitet gewesen. Da konnte er noch so viel erklären, dass die homosexuelle Liebe seiner Hauptfigur zu einem Strichjungen einem Gemisch aus sexueller Frustration, Sehnsucht nach Freiheit, Lust am Verbotenen und höchstens zu einem geringen Anteil natürlicher Veranlagung entsprang und dass er, Rashid, sich als Schriftsteller einfach einen Konflikt ausgedacht habe, mit dem er den aktuellen Zustand der marokkanischen Gesellschaft beschreiben könne – das Einzige, was die meist eher unvorbereitet wirkenden und preiswert gekleideten Männer und Frauen aus Bamberg und Storlitz interessierte, war: BEKENNT SICH DER MUSLIMISCHE AUTOR ÖFFENTLICH ZU SEINER HOMOSEXUALITÄT?

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Buchtipp Die Zeitschrift der Kultur

Nr. 828

Jedes Jahr zehn spannende Premieren abo @ du-magazin.com +41 71 272 71 80 www.du-magazin.com

240 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06829-0 Auch als Diogenes E-Book

Kayankaya ist zurück: älter, cooler – und liiert. Ein Mädchen verschwindet, und der Frankfurter Detektiv soll einen muslimischen Schriftsteller beschützen. Zwei scheinbar einfache Fälle, doch zusammen führen sie zu Mord, Vergewaltigung, Entführung.

Glaube Das Mysterium menschlicher Existenz

Die Zeitschrift der Kultur

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23.07.12 13:30


Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, lebt in Spanien, Guatemala und in der Schweiz. In diesem Jahr erscheinen gleich zwei Bücher des ungemein produktiven Schweizer Bestsellerautors: ein Band mit Kolumnen aus der Business Class, Abschalten. Die Business Class macht Ferien, und der Roman Die Zeit, die Zeit.

Foto: © Gaby Gerster

»Martin Suter ist geglückt, was es in der deutschen Literaturszene nur selten gibt: Er verwischt souverän die Grenzen zwischen Unterhaltung und Literatur mit elegant und scheinbar mühelos erzählten Geschichten.« NDR Kultur, Hannover

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Interview

Martin Suter im Gespräch

Wo nehmen Sie bloß die Zeit her?

Illustration: © Tomi Ungerer

Die Zeit, die Zeit ... der Titel von Martin Suters Roman ist Programm: Sein Held will die Zeit buchstäblich zurückdrehen, weil er den Tod seiner geliebten Frau nicht verwinden kann – und dabei scheut er keine Mühen. Wie Suter selbst es mit seiner Zeit hält, ob beim Schreiben, Lesen oder Leben, und wie viele Stunden sein Tag hat, erzählt er in diesem Interview. Diogenes Magazin: All Ihre Romane befassen sich mit exi­ stentiellen Fragen, zumeist mit Identitätsproblemen, Persönlichkeitsveränderungen, die das Leben Ihrer Protagonisten auf den Kopf stellen – Small World, Die dunkle Seite des Mondes, Der perfekte Freund, Lila, Lila – aber auch mit dem Verhältnis von Wahrheit und Lüge, wie in Der letzte Weynfeldt. In Ihrem neuesten Roman geht es um das Phänomen der Zeit. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen? Die Zeit interessiert mich seit meiner Jugend. Ich habe leidenschaftlich Zeitreisegeschichten gelesen, und die Frage, was passiert, wenn man in die Vergangenheit reisen und dort etwas verändern könnte, was die Auswirkungen auf die Gegenwart wären, hat mich immer fasziniert. Mein erstes Kinodrehbuch, Jenatsch für Daniel Schmid, war ein Zeitreiseabenteuer, und mein erster

veröffentlichter Roman, Small World, auch. Glauben Sie an das Vergehen der Zeit? Ist Zeit lediglich eine physikalische Maßeinheit? Ich glaube schon, dass es nicht die Zeit ist, die vergeht, sondern wir und alles andere es sind, die vergehen. Nur: In der Praxis macht es keinen spürbaren Unterschied. Heilt die Zeit alle Wunden, wie es das Sprichwort behauptet? Nein. Aber sie hilft, dass man mit seinen unverheilten Wunden leben lernt. Was halten Sie von dem im Buch beschriebenen Experiment, die Zeit zurückzudrehen? Glauben Sie, dass man Ereignisse auf diese Art und Weise ungeschehen machen kann? An das, was man in einem Roman beschreibt, muss man auch ein wenig glauben. Und sei es nur während des Beschreibens.

Haben Sie selbst auch zuweilen das Bedürfnis, die Zeit zurückzudrehen? Wer nicht! Kennen Sie andere Zeitexperimente in der Literatur oder im Film? H. G. Wells, Die Zeitmaschine. Daphne Du Maurier, Ein Tropfen Zeit. Robert Zemeckis, Zurück in die Zukunft I – III. Alles wunderbare Zeitreisen. Wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert, welche Bücher haben Sie gelesen? Mussten Sie sich auch mit obskurem Gedankengut auseinandersetzen? Ich recherchiere immer gleich: Vor allem während des Schreibens, kaum davor. So steht man nicht wie der Esel am Recherchenberg. Das Gedankengut, mit dem ich mich auseinandersetzte, war gar nicht so obskur. Alles klang recht einleuchtend und bodenständig. In Albert Camus’ Roman Die Pest wird eine Möglichkeit beschrieben, Diogenes Magazin

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wie man die Zeit strecken kann. Es reiche, eine lange Zugfahrt stehend im Gang zu verbringen. Haben Sie einen persönlichen Trick? Manchmal denke ich, es helfe, einen sehr regelmäßigen Lebensrhythmus einzuhalten. Immer wieder die gleichen Orte zu besuchen und den gleichen Menschen zu begegnen, um so die Veränderungen klein zu halten. Wenn man alle paar Stunden in den Spiegel schaut, altert man ja auch langsamer. Dann wiederum finde ich, auf diese Weise verschmelze alles zu einem einzigen Ganzen, die Lösung sei, immer wieder etwas völlig anderes zu machen, um das ganze Leben mit Marksteinen zu versehen. In welchen Lebenssituationen vergeht die Zeit für Sie besonders schnell, in welchen besonders langsam? Wie wohl bei uns allen: am lang­samsten beim Warten, am schnellsten beim Altern. Tragen Sie immer eine Uhr? Und wenn ja, wie oft schauen Sie täglich darauf? Ich trage immer eine, doch ich schaue nicht so oft darauf. Aber nur, weil ich die meiste Zeit des Tages am Computer verbringe, wo oben rechts immer die Zeit läuft und läuft. Warum leiden so viele unserer Zeitgenossen an permanenter Zeitknappheit? Und kann man daran etwas ändern? Es ist wohl tatsächlich ein zeitgenössisches Problem. Vielleicht liegt es daran, dass wir heute die Möglichkeit haben, so viel in einen Tag zu packen, so schnell die Standorte zu wechseln, so viele Informationen zu empfangen und zu verbreiten. Man könnte daran schon etwas ändern: radikal im Jetzt anstatt im Morgen und Übermorgen leben. Aber wer kann das schon? Ich nicht. Hat sich Ihr Umgang mit Zeit im Laufe Ihres Lebens verändert? Wenn man älter wird, wird man sich der Zeit immer bewusster. Erstens, weil sie einem langsam ausgeht. Zweitens, weil man immer mehr Vergangenheit und immer weniger Zukunft hat. Aber trotzdem schaffe ich es nicht, bewusster mit der Zeit umzugehen. Wenn Sie H. G. Wells’ Zeitmaschine besteigen könnten, wohin würden 20

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Sie reisen? An einen anderen Zeitpunkt in Ihrem Leben? In eine andere Epoche? Oder würden Sie womöglich gar nicht einsteigen wollen? Auf jeden Fall nicht in die Zukunft. Vergessen Sie die Zeit eher beim Lesen oder beim Schreiben? Beim Schreiben. Ein berühmtes Bonmot von Karl Kraus lautet: »Wo nehm ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen?« Was antworten Sie jemandem, der sagt, er habe keine Zeit, Bücher zu lesen? Ich gehöre leider ab und zu auch zu denen.

Das kann ich nicht sagen. Aber in Guatemala hat die Zeit am wenigsten Bedeutung. Der Titel Ihres Romans Die Zeit, die Zeit klingt wie ein Vers aus einem Gedicht. Woher stammt er? Ich habe die Zeilen »Die Zeit, die Zeit / ihre Reise ist weit / sie läuft und läuft / in die Ewigkeit« als Knabe einem Mädchen ins Poesiealbum geschrieben. Aber ich finde nicht heraus, wo ich ihn abgeschrieben habe. kam / kb

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Buchtipp

Radikal im Jetzt anstatt im Morgen oder Über­morgen leben. Wer kann das schon? Ich nicht. Woher nehmen Sie bloß all die Zeit? Sie haben nach Ihrem Erfolgsroman Der Koch aus dem Jahr 2010 zwei Romane um den Gentleman-Gauner Johann Friedrich von Allmen geschrieben, und obendrauf zwei Drehbücher. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden? Ich glaube, es war nur ein Drehbuch, Giulias Verschwinden hatte ich schon geschrieben. Aber sonst stimmt die Statistik. Aber so gewaltig ist das nicht: Der Koch war im Herbst 2009 fertig. Ich habe also in den vergangenen drei Jahren neben dem Drehbuch – eine Arbeit von vielleicht sechs Wochen – drei Romane von insgesamt etwa 700 Seiten geschrieben, das sind im Schnitt keine zwanzig Zeilen pro Tag. Daran überarbeitet man sich nicht. Folgen Sie einem strengen Zeitplan beim Schreiben? Wenn ich an einem Roman bin, schon. Dann schreibe ich täglich, vormittags und nachmittags, wie ein Büroangestellter. Nicht, weil ich so fleißig bin, sondern, weil ich so ungeduldig bin. Sie leben und schreiben in Ibiza, Guatemala und Zürich. Vergeht die Zeit unterschiedlich schnell für Sie an diesen drei Orten?

304 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06830-6 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

»Etwas war anders, aber er wusste nicht, was.« Anfangs begreift Peter Taler nur, dass im Haus gegenüber, in dem der achtzigjährige Knupp wohnt, sonder­ bare Dinge vor sich gehen. Er beginnt zu beobachten – und merkt erst spät, dass er selbst beobachtet wird und längst in die Geschehnisse auf der anderen Seite der Straße verstrickt ist. Ist es verrückt, wenn einer glaubt, die Zeit lasse sich ›zurückdrehen‹? Es ist verrückt, denkt Taler, als er begreift, was sein Nachbar vorhat. Knupp, der vor zwanzig Jahren seine Frau verloren hat, ist davon überzeugt, dass man nicht wie Orpheus ins Totenreich hinab­steigen muss, um einen geliebten Menschen ins Leben zurückzuholen. Er hat eine Theorie und kann sich dabei sogar auf berühmte Leute berufen. Allerdings ist die Umsetzung nicht ganz einfach. Um nicht zu sagen: schier unmöglich. Taler soll ihm dabei helfen. Liebes­geschichte, Thriller und Zeitreise: ein geistiges Abenteuer, das für die Zeit der Lektüre die Welt auf den Kopf stellt.


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Sortimentsbuchhandel (ohne E-Commerce)

Umsatz im Buchmarkt nach Vertriebskanal

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Umsatz in Mrd. € Versandbuchhandel (einschließlich Internet)

Buch und Buchhandel in Zahlen Sonstige 1,83 (+1,7%) Verlage direkt

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Der Stapel mit Neuerscheinungen 2011 wäre etwa

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Buchwichtigsten Daten rund ums Buchgeschäft. Börse produktionNeu: ein ausführliches Kapitel zum E-Book-Markt.

Gestaltung und Illustration: Sabine Zander Textkonzept: Christoph Schröder www.infografik-hamburg.de

sche Jahrbuch des Börsenvereins – bündelt die

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Quedlinburg Sachsen-Anhalt

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ÜBERSETZUNGEN INS DEUTSCHE: DIE WICHTIGSTEN SPRACHEN ENGLISCH 10,4% FRANZÖSISCH 6.0% JAPANISCH ITALIENISCH 3.0% SCHWEDISCH 2,1% ZAHL DER ÜBERSETZUNGEN (ERSTAUFLAGE) 10. 716 (-0,4%)

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© Börsenblatt. Dieses Poster erscheint als redaktionelle Beilage im Börsenblatt, Heft 25 vom 21. Juni 2012. Redaktion: Sandra Schüssel, Sabine Cronau, Jana Lippmann

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Gemeinden mit der niedrigsten Buchkaufkraft

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Bad Soden am Taunus Hessen

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Ausgaben für Bücher Quellen: Arena der Rekorde: Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhandel 2012/13, Mitglieder Börsenverein, Orte über 100.000 Einw., Statistisches Bundesamt; Unter den Lesern: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, 2011, Bevölkerung Deutschland ab 14 Jahren; Marktplatz: Weihnachtsgeschenke: Handelsverband Deutschland, 2011; Buchkaufkraft: infas geodaten, LOCAL® 2012, Gemeinden ab 20.000 Einw.; Börse: Belletristik, Kinder- und Jugendbuch, Schulbücher: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein; E-Books: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Verbraucherpanel Media Scope Buch, ohne Schul- und Fachbücher; Messehallen: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein und Börsenblatt; Flughafen/Airport: Lizenzen: Börsenverein, 2012; Übersetzungen: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein; Ideenfeld: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Verbraucherpanel Media Scope Buch, ohne Schul- und Fachbücher; E-Werk: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Panel Services; Platz der Umsätze: Buchmarkt: Börsenverein, 2012; Fachmedien: Deutsche Fachpresse 2012; Filmwirtschaft: Statista, PwC German Entertainment and Media Outlook 2011; Computer- und Videospiele: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware, 2012; Musikindustrie: Bundesverband Musikindustrie, 2012; Themenpark: Börsenverein, 2012, auf Grundlage Media Control GfK International, nur Sortiment und Warenhäuser (Barumsatz), E-Commerce; An den Vertriebswegen: Börsenverein, 2012

ahren; erein; erein, 2, auf ssoft-

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Köln

etwa einmal pro Woche/ alle 14 Tage

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Hamburg Stuttgart Frankfurt am Main

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Arena der Rekorde

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pro Buchhandlung

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0,19 (-12,7%) 0,18 (-13,1%) Wer liest wie oft? Wo gibt es die meisten Buchhandlungen pro Einwohner? Gesamtumsatz Ist Berlin auch Verlagshauptstadt? Und viele weitere Fragen: Vier Statistik9,601 (-1,4%) 82.048 (-2,7%) Linien führen durch den Bücherdschungel. – Bitte einsteigen! Belletristik (Hardcover)

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Sortimentsbuchhandel (ohne E-Commerce)

Umsatz im Buchmarkt nach Vertriebskanal

4,78 (-3,0%) 49,7%

Umsatz in Mrd. € Versandbuchhandel (einschließlich Internet)

1,71 (+2,3%)

Verlage direkt

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Sonstige Verkaufsstellen

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Warenhäuser Buchgemeinschaften

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Verkaufte E-Books (Publikumsmarkt) Umsatzanteil E-Book (Publikumsmarkt)

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Werte 2011 für Deutschland. Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Klammern. Die Broschüre Buch und Buchhandel in Zahlen und die hier abgebildete Grafik als DIN A3-Plakat sind bei der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH bestellbar (Telefon 069 1306 550 in Frankfurt am Main).

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757.000 540.000 2010

Quellen: Arena der Rekorde: Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhandel 2012/13, Mitglieder Börsenverein, Orte über 100.000 Einw., Statistisches Bundesamt; Unter den Lesern: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse, 2011, Bevölkerung Deutschland ab 14 Jahren; Marktplatz: Weihnachtsgeschenke: Handelsverband Deutschland, 2011; Buchkaufkraft: infas geodaten, LOCAL® 2012, Gemeinden ab 20.000 Einw.; Börse: Belletristik, Kinder- und Jugendbuch, Schulbücher: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein; E-Books: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Verbraucherpanel Media Scope Buch, ohne Schul- und Fachbücher; Messehallen: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein und Börsenblatt; Flughafen/Airport: Lizenzen: Börsenverein, 2012; Übersetzungen: Deutsche Nationalbibliografie, VLB, 2011, Berechnungen Börsenverein; Ideenfeld: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Verbraucherpanel Media Scope Buch, ohne Schul- und Fachbücher; E-Werk: E-Book-Studie Börsenverein, 2012, auf Grundlage GfK Panel Services;Platz der Umsätze: Buchmarkt: Börsenverein, 2012; Fachmedien: Deutsche Fachpresse 2012; Filmwirtschaft: Statista, PwC German Entertainment and Media Outlook 2011; Computer- und Videospiele: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware, 2012; Musikindustrie: Bundesverband Musikindustrie, 2012; Themenpark: Börsenverein, 2012, auf Grundlage Media Control GfK International, nur Sortiment und Warenhäuser (Barumsatz), E-Commerce; An den Vertriebswegen: Börsenverein, 2012

Gestaltung und Illustration: Sabine Zander Textkonzept: Christoph Schröder www.infografik-hamburg.de

© Börsenblatt. Dieses Poster erscheint als redaktionelle Beilage im Börsenblatt, Heft 25 vom 21. Juni 2012. Redaktion: Sandra Schüssel, Sabine Cronau, Jana Lippmann

Broschur, 140 Seiten, € 39.50 Bestellbar unter www.mvb-online.de/bubiz

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Interview

John Irving

Was wir begehren, prägt uns

Billy Abbott, der Protagonist und Ich-Erzähler von In einer Person, ist bisexuell. Was glauben Sie, warum Bisexuelle so selten in der Literatur vorkommen? Die bisexuellen Männer, die ich früher gekannt habe, waren weder schüchtern noch verunsichert. (Das gleiche gilt für die bisexuellen Männer, die ich jetzt kenne.) Ich würde sogar sagen, dass sowohl meine ältesten als auch meine jüngsten bisexuellen Freunde zu den selbstsichersten Männern gehören, die ich kenne. Und doch schlug bisexuellen Männern – besonders aus meiner Generation – von allen Seiten Misstrauen entgegen. Ihre schwulen Freunde sahen in ihnen Schwule, die sich ein Hintertürchen offenhalten, nicht aufs Ganze gehen oder sich nicht vollständig outen wollten. Die meisten Hete22

Diogenes Magazin

ro-Männer bemerken an einem bisexuellen Mann nur den homosexuellen Anteil; vielen Hetero-Frauen erscheint ein Bi-Mann doppelt unzuverlässig – der könnte sie ja sowohl wegen einer anderen Frau als auch wegen eines schwulen Typen sitzenlassen! Bisexualität besetzt das, was Edmund White den ›Zwischenraum‹ nennt – das, was ›zwischen zwei bekannten Gegenpolen liegt‹. Ich empfinde es als müßig, darüber zu spekulieren, warum andere Autoren keine bisexuellen Hauptfiguren haben. Ich weiß nur, dass ich schon immer etwas für sexuelle Außenseiter übrighatte. Auch Schriftsteller sind Außenseiter, zumindest wird von uns erwartet, ›distanziert‹ zu sein. Und mich faszinieren sexuelle Außenseiter nun mal besonders. Da wären der schwule Bruder in

Das Hotel New Hampshire, die schwulen (bei der Geburt getrennten) Zwillinge in Zirkuskind, die transsexuellen Figuren in Garp und wie er die Welt sah und jetzt wieder in In einer Person (diesmal als markantere, eigenständigere Figuren). Ich mag diese Leute; sie ziehen mich an, und ich sorge mich um ihre Sicherheit – darum, wer sie hassen und ihnen Schaden zufügen könnte. Charles Dickens’ Große Erwartungen hat in mehr als einer Hinsicht einen enormen Einfluss auf Billy. Welche Bücher haben Sie geprägt? Wie Billy habe ich einen Teil meiner Kindheit hinter den Kulissen eines Kleinstadt-Theaters verbracht; meine Mutter, die – in so mancher Hinsicht – nicht wie Billys Mutter war, war auch Souf­ fleuse. Mein frühestes Interesse am Geschichtenerzählen rührt vom

Foto: © Isolde Ohlbaum

Für Außenseiter hat er seit jeher Sympathien – er fühlt sich als einer von ihnen. So handelt auch John Irvings dreizehnter Roman In einer Person von Menschen, die am Rande stehen. Hier erzählt er von seiner Liebe für die Romane des 19. Jahrhunderts, davon, wie er seine eigenen Roman­themen findet und sie ihn, aber auch von der Aids-Krise im New York der achtziger Jahre und seinem Unverständnis gegenüber sexueller Intoleranz.


Theater her, und im Geiste habe ich mich als Schauspieler gesehen (auf der Bühne, nie im Film), bevor ich mich als Romanautor sah. Aber Große Erwartungen und andere Werke von Dickens weckten in mir den Wunsch, auch solche handlungsstarken Romane mit großem Personal wie in der Prosa des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Man könnte hier auch Hardy, Melville, Hawthorne und Flaubert nennen, Thomas Mann, Tolstoi oder Dostojewskij. Bevor ich jedoch alt genug war, diese Romane schätzen zu lernen, habe ich Shakespeare- und Sophokles-Aufführungen gesehen; Stücke mit viel Handlung. Jahrhunderte bevor die ersten Romane geschrieben wurden, hat das Theater Geschichten erzählt. In Ihrem neuen Roman schildern Sie die Folgen von Aids am Beispiel New Yorks. War es schwierig für Sie, diese Phase der Geschichte einzufangen? Wenn Sie ›schwierig‹ in puncto Recherche meinen: nein. Andere Romane waren da sehr viel anspruchsvoller, weil ich mich in eine fremde Materie einarbeiten musste. Aber schwierig war es trotzdem – für mich persönlich. Ich habe von 1981 bis 1986 in New York gelebt, war zu Beginn der Aids-Krise da, habe (junge und alte) Freunde an die Seuche verloren. Bei manchen dieser Erinnerungen hätte ich mir gewünscht, sie nie wieder hervorkramen zu müssen. Zum Glück habe ich zwei gute Freunde, Schriftstellerkollegen, von denen ich wusste, dass sie das Manuskript lesen – mir sozusagen beim Schreiben über die Schulter schauen. Ich weiß nicht, ob ich mich an In einer Person gewagt hätte, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich mich auf diese Freunde als Erstleser verlassen konnte: Edmund White und Abraham Verghese. Wenn mir ein Fehler passiert, würde er ihnen auffallen; auf ihr Urteil kann ich mich vollkommen verlassen. Sie haben mir den Rücken gestärkt, mir den freien Zugang zum Stoff ermöglicht, sie waren mein Sicherheitsnetz. In einer Person enthält einige der Zutaten, die Ihre Leser mittlerweile von Ihnen erwarten: Ringen, Auslandsaufenthalt in Wien, Verlust der kind-

lichen Unschuld, einen fehlenden Elternteil, Internate in Neuengland, Abweichungen von der sexuellen Norm etc. Was zieht Sie immer wieder zu diesen Motiven und Schauplätzen hin? Nun ja – da gibt es zum einen die Themen oder ›Motive‹, für die ich mich freiwillig entscheide, und dann die, die sich für mich entscheiden. Mit dem Ringen kenne ich mich aus: Ich habe zwanzig Jahre lang als Leistungssportler auf der Matte gestanden und war als Trainer tätig, bis ich 47 war. Das Leben in einem Internat in Neuengland und als Auslandsstudent in Wien – all das kenne ich einfach sehr gut. Dafür entscheide ich mich, weil ich unendlich viel aus jener Zeit im Gedächtnis gespeichert habe.

Diese Dinge suche ich mir nicht aus. Sie verfolgen mich; sie suchen mich heim. Aber der »Verlust von kindlicher Unschuld« oder der »fehlende Elternteil«, und auch die sexuellen Außenseiter /  oder Sonderlinge, die mich in und  meinen Romanen immer wieder beschäftigen – tja, diese Dinge suche ich mir nicht aus. Sie verfolgen mich; sie suchen mich heim. Den Alptraum, der einen um vier Uhr morgens weckt, kann man sich nicht aussuchen, oder? Dieser Alptraum verfolgt einen stets aufs Neue. Gibt es autobiographische Gründe dafür, dass Bibliotheken so wichtig für Billy Abbotts Entwicklung sind? Ich mag Bibliotheken. Dort habe ich früher gelesen, geschrieben, mich darin versteckt. Bibliotheken sind Orte der Stille – für mich damals genau richtig. Ich bin in Bibliotheken gegangen, um meine Ruhe zu haben. So vieles am Schriftstellertum ist Suche nach dem Alleinsein – ja, sogar das Bedürfnis, allein zu sein. In Buchhandlungen ist es nicht das Gleiche; dort geht es geselliger zu. Ich war ein ungeselliges Kind. Bibliotheken waren meine Höhle.

War der Schreibprozess bei diesem Roman anders als bei Ihren vorigen Büchern? Haben Sie auch diesmal, wie man es von Ihnen kennt, den letzten Satz zuerst geschrieben? Ich fange immer mit dem Schluss an, mit den letzten Sätzen – normalerweise mit mehr als nur einem letzten Satz, oft ist es ein ganzer Absatz (oder zwei). Ich verfasse ein Ende und schreibe daraufhin, als wäre dieses Ende eine Melodie, die ich die ganze Zeit höre – ganz gleich, wie viele Jahre später ich sie erreiche. Das Ende von In einer Person ist ein Refrain – die Wiederholung von etwas, das Miss Frost zu Billy gesagt hat, und Billy gibt es an Kittredges zornigen Sohn weiter. Es ist ein Ende in wörtlicher Rede. So etwas habe ich auch früher schon gemacht: In Gottes Werk und Teufels Beitrag wird der Segensspruch wiederholt, den der alte Arzt den Waisen vor dem Einschlafen sagt – dieses Echo des »Ihr Prinzen von Maine, ihr Könige Neu­ englands«-Refrains. Das erinnert an den wiederkehrenden Schlussvers eines Kirchenlieds. Und dann gibt es noch das Echo eines frühen Satzes in Witwe für ein Jahr, den Marion ihrer Tochter gegenüber am Ende des Romans wiederholt: »Weine nicht, Schätzchen. Wir sind es nur, Eddie und ich.« Das Ende meines neuen Romans ist wieder ein sogenanntes Refrain-Ende, das den Leser an die Stelle zurückführt, wo diese Worte zum ersten Mal fallen. Es müssen Worte sein, an die sich der Leser erinnert! In einer Person ist Ihr dreizehnter Roman. Haben Sie einen Lieblings­ roman von John Irving? Ich habe drei Kinder; keines davon ist mein Lieblingskind. Man liebt sie alle. Aber über meine Romane kann ich sagen: Die letzten acht, ab meinem sechsten Roman Gottes Werk und Teufels Beitrag, sind handwerklich besser als die ersten fünf – besser komponiert und geschrieben. Ich weiß auch, warum. Erst nach der Veröffentlichung von Garp und wie er die Welt sah (meinem vierten Roman) konnte ich mich hauptberuflich dem Schreiben widmen; erst nachdem ich Das Hotel New Hampshire (meinen fünften Roman) Diogenes Magazin

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© Illustration Serge Bloch, Foodfoto Reinhard Hunger, Styling Volker Hobl, Porträtfoto Jo Jankowski

Kochen à la Karte. Das Kochquartett aus dem Süddeutsche Zeitung Magazin (40 Rezeptkarten, Format: 14 cm x 20 cm x 5 cm) Ist Ihnen heute nach Mangopudding und Hollerkücherl? Oder haben Sie mehr Lust auf Ananassalat und Zitronenhuhn? Das Kochquartett bietet Ihnen: vierzig Rezeptkarten von vier Spitzenköchen – sortiert nach zehn verschiedenen Geschmacksnoten von Chili bis Zitrone. Eine kunterbunte Kartensammlung mit tollen Rezepten, die man sofort nachkochen möchte. Allesamt aus der beliebten Kochkolumne des Süddeutsche Zeitung Magazin von Anna Schwarzmann, Christian Jürgens, Anna Sgroi und Tim Raue.

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Zentrum Magazin der Süddeutschen Zeitung, Fürstenfelderstr. 7, 80331 München. Diogenes


geschrieben hatte, gewöhnte ich mir an, acht oder neun Stunden am Tag zu schreiben. Es ist ein Unterschied, ob man die ganze Zeit schreibt oder ob man nur einen Teil seiner Zeit damit zubringt. Ihr neuer Roman beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Toleranz, insbesondere mit der LGBT (lesbischschwul-bisexuell-transgender)-Community, in einem Zeitraum ab den späten fünfziger Jahren bis in die Gegenwart. Was weckte in Ihnen den Wunsch, über ein so heftig umstrittenes Thema zu schreiben? ›Wunsch‹ trifft es nicht ganz; vielleicht motivierte mich diesmal eher das Gefühl, ich ›müsste‹, oder ›sollte‹, eine bestimmte Geschichte schreiben. Als ich Ende der siebziger Jahre Garp und wie er die Welt sah geschrieben hatte, war ich erleichtert: Das war ein zorniger Roman; das Thema Intoleranz gegenüber sexuellen Abweichungen ließ mir keine Ruhe. Garp ist radikal, was Politik und was Gewalt angeht. Ein Mann wird von einer Frau ermordet, die Männer hasst, seine Mutter von einem Mann, der Frauen hasst. Geschlechtsspezifische Mordanschläge als Reaktion auf eine falsch verstandene sogenannte sexuelle Befreiung der sechziger Jahre; damals wollte ich sagen: »Und warum hassen sich Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung immer noch gegenseitig?« Ich hätte nie gedacht, dass ich noch mal auf das Thema zurückkommen würde. In einer Person ist kein so radikaler Roman wie Garp, es geht um eine persönlichere Erfahrung – Billy habe ich zum IchErzähler gemacht, damit die Geschichte persönlicher wird. Er ist ein einsamer Mann. »Was wir begehren, prägt uns«, sagt er – erstes Kapitel, erster Absatz. Später – über 300 Seiten weiter in seiner Geschichte – heißt es dann: »Ich wusste, nicht eine Person konnte mich vor dem Wunsch retten, mit Männern und Frauen Sex zu haben.« Er beklagt sich nicht, er sagt nur, wie es ist. Ich bin nicht der Meinung, dass die Rechte Schwuler – oder die der Bisexuellen – oder der Transgender-Leute – so ›heftig umstritten‹ sind, wie Sie sagen. Ich halte die Leute, die sexuelle Identität nicht als ein Bürgerrecht akzeptieren

können, für moralische und politische Fossilien. Die sexuell Intoleranten werden aussterben – sie wissen es nur noch nicht. Über die Jahre haben Sie mit Ihren Romanen Redensarten geprägt: »Pass auf den Sog auf«, »Halt dich fern von offenen Fenstern«, »Gute Nacht, ihr Prinzen von Maine – ihr Könige Neuenglands« etc. Wie kommen Sie auf diese Sprüche? Zu Anfang von In einer Person gibt es auch so einen Satz. »Alle Kinder lernen, sich chiffriert zu unterhalten.« Oder Miss Frosts Aufforderung an Billy, die er am Romanende wiederholt: »Mein lieber Junge, bitte steck mich nicht in eine Schublade. Ordne mich nirgends ein …« In meinen Romanen gibt es immer solche refrainartigen Sätze. Sie erzeugen einen Widerhall in meinem Kopf; ich kann sie nicht vergessen. Denken Sie an die Rolle des Chors in der antiken Tragödie oder an das, was die Narren, die Spaßmacher und Hexen in Shakespeares Stücken sagen: Diese Figuren kommentieren nicht nur das Geschehen, sondern werfen Schatten voraus – sie geben eine Vorahnung von dem, was kommen wird. Ich mag solche Vorausdeutungen; so ein Satz steht ganz am Anfang von In einer Person, wenn es heißt: »Ach ja, die Zeiten ändern sich, und sie ändern sich unsanft im rauhen Klima der Kleinstädte des nördlichen Neuengland.« Wir sind noch viele Seiten von der Stelle entfernt, wo Miss Frost geächtet wird, aber das ist eine Vorwarnung. Haben Sie ein neues Buch in Arbeit? Ich habe das Glück, immer zwischen mehreren Storyideen wählen zu können. In der Regel gibt es zwei oder drei (sogar bis zu vier) Romane, die nur darauf ›warten‹, der nächste zu sein. Manchmal wartet so ein Roman viele Jahre; doch ich wähle nicht immer den, der am längsten im Hinterkopf schlummert. Oft fällt die Entscheidung nach dem Kriterium, wie viel ich über den Schluss weiß – wie deutlich oder undeutlich ich das Ende des Romans vor mir sehe. Die Idee zu In einer Person habe ich sechs oder sieben Jahre lang mit mir herumgetragen (wenn nicht länger), bevor ich im Sommer 2009 mit der Niederschrift begann. Noch im

Juni 2009 hätte ich nicht geglaubt, dass In einer Person der nächste Roman wäre – aber dann sah ich plötzlich das Ende vor mir, und damit die ganze Geschichte. Für meine Verhältnisse habe ich diesen Roman sehr schnell geschrieben – in nur zwei Jahren. Aber ich musste auch kaum recherchieren – der Aufwand ist meist ungleich größer –, und diese Figuren und ihr Schicksal hatten mich schon fast ein Jahrzehnt lang begleitet. Zurzeit befasse ich mich mit vier verschiedenen Romanideen, habe mich aber noch für keine entschieden: eine Gespenster­ geschichte, eine Wundergeschichte, eine Liebesgeschichte, eine Adoptions­ geschichte. Aus dem Amerikanischen von

·

Hans M. Herzog

Buchtipp

736 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06838-2 Auch als Diogenes E-Book

»So spiele ich in einer Person viele Menschen, und keine ist zufrieden.« Shakespeare, Richard II. Die ganze Welt ist eine Bühne … William Dean jr., genannt Billy, Sohn eines verschollenen GI und einer Souffleuse, verbringt seine Jugend hinter und auf der Bühne des groß­ väterlichen Kleinstadttheaters in Neuengland. In den düsteren Dramen von Shakespeare und Ibsen lernt er seine Familie – und sich selbst – in unerwarteten Rollen kennen, die ihn beunruhigen, aber auch faszinieren. Keiner ist der, der er zu sein scheint – zuallerletzt er selbst. William will nicht Schauspieler werden, sondern Schrift­ steller, und um herauszufinden, wer er wirklich ist, macht er sich auf die Suche nach seinem Vater. Eine abenteuerliche Reise um die halbe Welt beginnt – von New York über San Francisco bis nach Hamburg und Wien.

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Foto: Š NN

Wenn sich alle fangen wir an 26

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Foto: Š NN

einig sind, zu zweifeln. SPIEGEL-Leser wissen mehr. Diogenes Magazin

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Ein Leser & Eine Leserin

Brunos Heimat

Martin Walker spricht immer besser deutsch. Während einer Lesung vor 200 Buchhändlerinnen und Buchhändlern in Stuttgart aus Delikatessen, seinem neuesten Fall für Bruno, verriet er seine Lernmethode. Er hört ganz einfach die deutschen Hörbücher seiner eigenen Romane – denn so kann er auch ihm unbekannte deutsche Wörter erraten, weil er das Buch ja selbst geschrieben hat. Die Stimme von Johannes Steck, der für Diogenes die vier Bruno-Romane eingelesen hat, gefalle ihm ausgezeichnet, so Martin Walker. Außerdem lese er sehr deutlich.

Vielleicht kann der gebürtige Schotte, der in Washington und im Périgord lebt, seine Deutschkenntnisse demnächst sogar im Périgord nutzen, falls er einen deutschen Nachbarn bekommt. In einem Immobilieninserat in der Zeit wird jedenfalls das Périgord bereits als »Inspektor Bruno’s Heimat« angepriesen, um Deutsche für den Kauf eines Hauses zu ködern. 28

Diogenes Magazin

Wer einen Arbeitsplatz hat, der so aussieht wie auf dem Foto und für Ohren und Augen wenig angenehm ist, der greift zur Entspannung gerne zum Buch. Hans Peter Geerdes, besser bekannt als H. P. Baxxter und Frontmann der Musikgruppe Scooter, hat dem Zürcher Magazin verraten, was er macht, wenn er nicht im Studio ohrenbetäubende Musik aufnimmt oder auf der Bühne unter Lasern ins Mikrophon schreit: »Zu Hause ist mein Abendprogramm sehr entspannt – unter der Woche jedenfalls. Filme schauen, essen gehen, in einer Zeitschrift blättern. Im Winter sitze ich oft vor dem Kamin, trinke Tee und lese. Fachbücher über englische Oldtimer zum Beispiel – meine Leidenschaft. Mitunter hatte ich acht. Von meinem 73er Jaguar E-Type werde ich mich nie trennen. Manchmal schmökere ich auch in einem Roman von Paulo Coelho und Thomas Bernhard.«

Viel Zeit zum Lesen hatte Aung San Suu Kyi – gezwungenermaßen. Sie zählt zu den bedeutendsten politischen Widerstandskämpfern unserer Zeit. Seit den 1980er-Jahren setzt sie sich für die gewaltlose Demokratisierung ihrer Heimat Myanmar (ehemals Birma) ein. Immer wieder wurde Aung San Suu Kyi von der Militärführung in Gewahrsam genommen. Fünfzehn lange Jahre ihres Lebens verbrachte sie unter Hausarrest, die Begründung: »sie gefährde die staatliche Sicherheit«, bis sie 2010 endlich und hoffentlich endgültig freigelassen wurde. Ihre erste Auslandsreise nach 24 Jahren führte sie auch nach Paris. In einem Interview mit dem Fernsehsender TF1 erzählte sie von ihrem Leben in der Gefangenschaft. »Wenn man so viel Zeit nur mit sich selbst verbringt, ist Selbstdisziplin außerordentlich wichtig. Es ist wichtig, dass man etwas für sich tut, bei dem man nicht auf andere angewiesen ist. Musik hören, malen oder lesen. Ich habe in der Gefangenschaft viele Romane von Georges Simenon gelesen, auch um mein Französisch nicht zu verlernen. Ich liebe die Menschlichkeit seiner Figuren.« Bei ihrem Besuch im Élysée wenig später überreichte ihr Präsident François Hollande ein Geschenk: das Gesamtwerk des belgischen Romanciers. Hier muss man sich noch ein wenig gedulden. Zwar ist die Maigret-Gesamtausgabe in 75 Bänden weiterhin lieferbar, aber bislang sind von den geplanten 50 Bänden der Non-MaigretEdition erst 35 Bände erschienen. Zum Glück folgt jeden Monat ein weiterer.

Illustration o. links: © Tomi Ungerer; Foto o. links: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag; Foto o. Mitte: © Mario Schmucki / Diogenes Verlag; Illustration u.: © Jean-Jacques Sempé; Foto u.: © Christophe Loviny / CORBIS

Schaufenster


Fanpost

Diogenes-Du Die Zeitschrift der Kultur

Nr. 829

Über das Erzählen – Sechzig Jahre Diogenes

Über ungewöhnliche Fanpost eines Lesers freute sich Tim Krohn, von dem vier Romane als Diogenes Taschenbücher erschienen sind, darunter der Roman Vrenelis Gärtli – ein virtuoses, lustvolles Spiel mit Mythen und ein literarisches Denkmal für den bekanntesten Berg des Glarnerlandes: Vrenelisgärtli. Urs Mattle schickte ein Foto mit den Worten: »Guten Tag Herr Krohn. Vor zwei Wochen hatte ich un-

erwartet Gelegenheit einen Besuch beim Vrenelisgärtli zu machen: Nach dem vielen Neuschnee waren leider von Vreneli keine Spuren mehr zu sehen … Ich bin seit ein paar Jahren Fotograf und Kameramann bei Patrouille Suisse. Der Pilot der PC-7 ist übrigens Dani Hösli (Kommandant der Patrouille Suisse), er stammt ebenfalls aus dem Glarnerland.«

Du, die Schweizer Kulturzeitschrift, hat dem Diogenes Verlag zum Sechzigsten die September-Ausgabe gewidmet: Im reich bebilderten Heft erzählen Diogenes Autoren wie Donna Leon, Ingrid Noll, Joey Goebel vom Erzählen. Urs Widmer erinnert sich an Diogenes Gründer Daniel Keel. Und einen Blick hinter die Verlagskulissen gibt es auch.

Schöner Lesen »So etwas wird uns das E-Book nie bieten können: Das Gefühl eines Leineneinbandes, das Lesebändchen, den Schuber. Das, was ein schönes Buch ausmacht. Ein solches ist der kleine Band Eine Rose für Emily mit dem der Diogenes Verlag an den vor fünfzig Jahren gestorbenen William Faulkner erinnert«, so die Nürnberger Nach-

richten. Das stimmt so sehr, dass wir hier ein Foto all der schönen Schuberbändchen zeigen, die bei Diogenes erschienen sind: Die Gesammelten Stücke von Anton Čechov, Erzählungen H. Lawvon Carson McCullers, D.  rence, Ray Bradbury und F. Scott Fitzgerald und die Grüne Insel mit irischen Meister­erzählungen.

DIE AUTORENZEITSCHRIFT

FÜR

POLITIK, WIRTSCHAFT

UND

freue mich auf «jedeIchAusgabe!»

K U LT U R

Du Heft über Diogenes

» atche n o rä

Foto: © Urs Mattle

Thomas Hürlimann, Schriftsteller

M es ertoreng h u isc d A

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Mehr lesen. Besser leben. Lesezeitschriften im Doppelpack. Jetzt abonnieren! www.schweizermonat.ch

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Diogenes Magazin

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Paulo Coelho

Sie haben noch dreißig Tage

A

lle Ärzte waren sich einig, die Dia­­gnosen eindeutig: Zwei Herzarterien seien blockiert. Man gab mir noch einen guten Monat. Ich begann, über mein Leben nachzudenken. Der Tod ist eine schöne Frau, immer an meiner Seite. Ich weiß, eines Tages wird sie mich küssen. Sie ist eine Begleiterin, die mich daran erinnert, nichts auf später zu verschieben: »Tu es jetzt, tu es jetzt, tu es jetzt.« Ihre Stimme ist nicht drohend, nur beharrlich. Es kommt, sagt sie, nicht darauf an, wie lange ich lebe, sondern wie ich lebe.

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Diogenes Magazin

Ich war einmal in der Mojave-Wüste gestrandet, die Wasservorräte gingen zur Neige, und ich hatte keinen dieser Ratgeber gelesen, die einem erklären, wie man unter solchen Bedingungen überlebt. Einmal verirrte ich mich beim Bergwandern in den Pyrenäen. Beide Male glaubte ich, dass ich es nicht mehr schaffen würde, aber es ging gut aus. Vor fünf Monaten ließ ich einen medizinischen Check-up machen. Von allein wäre ich nie darauf gekommen, eine gute Freundin hatte mich ein-

dringlich darum gebeten. Ihr Vater war gerade gestorben, nun beschwor sie alle ihre Freunde, eine Herzuntersuchung machen zu lassen. Ich sagte: »Ich bin doch kein Hypochonder.« Sie bestand trotzdem darauf. Also meldete ich mich zu einem Belastungs-EKG an, bei dem man sich auf einem Ergometer abstrampelt. »Herr Coelho«, sagte der Arzt, »Sie haben noch dreißig Tage zu leben. Zwei Arterien sind blockiert.« Ich sagte: »Was?« Und dann: »Sind Sie sicher? Ich spüre nichts.«

Foto: © Sant Jordi Asociados, Barcelona

Es war nicht mehr als ein medizinischer Check-up. Doch die Diagnose, die Paulo Coelho vor einigen Monaten bekam, war erschütternd. Er konnte es nicht glauben, konsultierte etliche Ärzte. Das Ergebnis war jedes Mal dasselbe: Noch einen Monat habe er zu leben. Der brasilianische Schriftsteller blickt im Angesicht des Todes zurück auf seine Vergangenheit: Wie habe ich gelebt? Habe ich Liebe erfahren? Bin ich meinen Träumen gefolgt?


Illustration: © Tomi Ungerer

die die Dinge erst erleben müssen, um darüber schreiben zu können, wie Hemingway und Baudelaire. Ich muss meine Themen erfahren haben. Mein erstes Buch habe ich mit vierzig geschrieben – in einem Alter, in dem manche bereits daran denken, kürzer zu treten, fing ich ein neues Leben an. Das Buch hieß Auf dem Jakobsweg. Ich schreibe noch immer. Wenn es nur ums Geld gegangen wäre, hätte ich vor fünfzehn Jahren aufgehört, mit dem Alchimisten. Das Schreiben ist meine Berufung, etwas, was ich mit aller Energie und Hingabe tue. Am 29. November dachte ich also: »Ich habe Liebe erfahren, ich habe alles getan, was ich tun wollte, ich habe meinen Auftrag erfüllt, mein Glück gefunden. Wenn ich morgen sterbe, werde ich mit Freude aus dieser Welt gehen.« Im Grunde hat es nichts damit zu tun, ob man an ein Leben im Jenseits glaubt. Jeder will dem Tod mit Anstand und Würde begegnen. Offensichtlich – ich schreibe gerade diese Zeilen – bin ich nicht gestorben. Die Katheteruntersuchung ergab, dass drei Arterien total verstopft waren. Der Arzt öffnete sie mit Hilfe eines Ballons und legte drei Stents, kleine Metallröhrchen, die die Arterien offenhalten. Als ich aus der Narkose erwachte, sagte er: »Übermorgen können Sie Golf spielen.« Ich sagte, dass ich mehr vom Bogenschießen hielte. Seitdem führe ich mein Leben wie gewohnt weiter. Ich halte allerdings eine Art Diät. Ich habe auch ein GPS dabei, wenn ich in den Bergen unterwegs bin, sicherheitshalber. Meine Frau und ich unternehmen viele Bergwanderungen. Manchmal frage ich mich, wo ich jetzt wäre, wenn diese Freundin mich nicht genötigt hätte, zum Arzt zu gehen. Christina und ich steigen weiterhin Berghänge hinauf, aber inzwischen behalte ich die Koordinaten im Auge, nur für den Fall, dass wir uns verlaufen.

Buchtipps

D E R A LC H I M I S T

192 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06840-5 Auch als Diogenes Hörbuch

Das erfolgreichste Buch von Paulo Coelho – jetzt als Geschenkausgabe

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ALEPH

ALEPH

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Aus dem Englischen von Matthias Fienbork Dieser Artikel erschien zuerst in ›The Spectator‹, London.

VERÄNDERUNGEN

Erkenne, was in dir vorgeht, und du wirst wissen, was in allen anderen vorgeht.

Buch-Kalender 2013 VERÄNDERUNGEN

Die Welt wird in diesem Augenblick zugleich geschaffen und zerstört. Wen auch immer du getroffen hast, er wird wiederauftauchen, Die Welt wird in diesem Augenblick zugleich geschaffen und zerstört. wen auch immer du verloren hast, er wird zurückkommen. Wen auch immer du getroffen hast, er wird wiederauftauchen, Erweise dich der würdig, die dirhast, zuteilwurde. wen Gnade auch immer du verloren er wird zurückkommen. Erkenne, was in dir vorgeht, und du wirst wissen, was in allen anderen vorgeht. Erweise dich der Gnade würdig, die dir zuteilwurde.

Ein inspirierender Begleiter durch das Jahr – ein Tage-Buch mit Auszügen aus der Gedank Ein inspirierender Begleiter en durch das Jahr – ein Tage-Buch mit Auszügen aus der Gedank welt eines derenmeistgelesenen P A U L O C O E L H O gilt für Millionen Leser auf

Buch-Kalender 2013

»Es ist ein schleichender Herzinfarkt«, sagte der Arzt. »Diese beiden Arterien sind zu neunzig Prozent verstopft.« Ich erwiderte, dass ich rasch noch ein, zwei andere Ärzte konsultieren wolle. Es war jedes Mal das gleiche Ergebnis. Bei derart verstopften Arterien würde ich in einem Monat sterben. Zwei Tage später hatte ich einen Termin. Alles hinge davon ab, was die Untersuchung ergeben würde. Der Chirurg würde entscheiden, ob eine Angioplastie, also eine Erweiterung der Arterien mittels Ballonkatheter, oder ein Bypass erforderlich wäre – wenn mir überhaupt noch zu helfen sei. Einen ganzen Tag, den 29. November, saß ich mit dem Tod zusammen. Als Christ glaube ich, dass mich das Lamm Gottes nicht fragen wird: »Wie viele Sünden hast du begangen?«, sondern: »Wie sehr hast du geliebt?« Ich empfand eine tiefe Dankbarkeit, dass ich die letzten 33 Jahre mit meiner Frau Christina hatte teilen dürfen. Nicht viele Menschen finden die Liebe ihres Lebens. Mir war dies vergönnt. (Ich brauchte allerdings vier Ehen, um sie zu finden.) Christina und ich haben Liebe in ihrem tiefsten Sinn erfahren, dieses Gefühl von Vertrautheit und Hingabe. Ja, ich habe wirklich geliebt. Habe ich gelebt? Ich gehöre zu den Babyboomern und habe alles mitgemacht – Sex, Drogen, Rock ’n’ Roll. Ich war ein Hippie, ein Aussteiger, ein großer Kummer für meine Eltern. 1974 wurde ich von der brasilianischen Militärregierung wegen ›subversiver‹ Aktivitäten verhaftet. Ich hatte diese verrückten Jahre überlebt und am Ende beschlossen, das zu tun, was mir wirklich wichtig war: Ich wurde Schriftsteller. Ich habe oft gezweifelt, wenn mir jemand sagte: »Von der Schriftstellerei kann man nicht leben.« Aber ich spürte, dass es nicht ums Geldverdienen ging. Mir ging es darum, wie ich leben wollte. Es gibt zweierlei Schriftsteller – diejenigen mit einer ausgeprägten Phantasie wie Proust oder Joyce und solche,

Autoren der Welt. der ganzen Welt als Alchimist des Wortes und als

VERÄNDERUNGEN Buch-Kalender 2013

welt eines der meistgelesenen der Schriftsteller unserer Zeit. P A U L O Ceiner OELH O einflussreichsten gilt für Millionen Leser auf Autoren der Welt. der ganzenSeine Welt als Alchimist des Wortes als Bücher sind nicht nurund international auf allen einer der einflussreichsten Schriftsteller unserer Zeit.und die Themen Bestsellerlisten. Seine Reflexionen Seine Bücher sind nicht nur international auf allen seiner Bücher regen weltweit Leser zum Bestsellerlisten. Seine Reflexionen und die Themen Nachdenken und zu einem neuen Blick auf die seiner Bücher regen weltweit Leser zum Welt und dazu, Nachdenken und an zu einem neuenihren Blick eigenen auf die Weg zu suchen. Welt an und dazu, ihren eigenen Weg zu suchen.

Die kolumbianische Künstlerin C A T A L I N A ATA L Iihre N A Bilder von der Die kolumbianische E S T R AKünstlerin D A hat C sich für ESTRADA hat sich Natur für ihrein Bilder vonHeimatland der üppigen ihrem inspirieren üppigen Natur in ihrem Heimatland inspirieren lassen. Heute ist sie international berühmt und lebt lassen. Heute ist sie international berühmt und lebt in Barcelona. Ihr staunender Blick auf die Welt in Barcelona. Ihr staunender Blick auf die Welt widerspiegelt sich in derihrer Farbenpracht ihrer Bilder. widerspiegelt sich in der Farbenpracht Bilder.

264 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06825-2

Tage-Buch und Lebensbegleiter mit Auszügen aus der Gedankenwelt eines der meistgelesenen Autoren der Welt

Diogenes Taschenbuch detebe 24170, 208 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch

»Schutzengel zeigt Paulo Coelho verletzlich und authentisch wie nie.« News, Wien

Diogenes Magazin

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Foto: © Andri Pol

Anna Stothard, 1983 als Kind eines Journalisten und einer Schriftstellerin in London geboren, aufgewachsen in Washington, Peking und New York, hat nach Pink Hotel wieder einen Roman abgeschlossen, der im kommenden Jahr bei Diogenes erscheinen wird. Zwei Jahre lang studierte sie in L. A. Drehbuchschreiben. Ihre Wohnung lag ganz in der Nähe von Charles Bukowskis liebstem Schnaps­laden. Heute lebt sie wieder in London.

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Diogenes Magazin


Anna Stothard

Die Leere nach dem Buch Eigentlich kennt sie diesen Zustand: Als Anna Stothard ihren letzten Roman Pink Hotel in die Welt entließ, ihren Roman also zum ersten Mal aus den Händen gab, ging es ihr ganz ähnlich wie jetzt bei ihrem soeben vollendeten Roman, der im Herbst 2013 bei Diogenes erscheinen wird: Sie findet sich nicht mehr im Leben zurecht und weiß nichts mit sich anzufangen. Ein Bericht aus der Schreibwerkstatt.

Illustration: © Paul Flora

I

ch schreibe am selben Tisch, an dem ich schon als Kind Märchen hinten in mein Matheheft gekritzelt habe. Spuren von Kugelschreiberherzen sind noch im Holz zu erkennen, die Käst­ chen für Drei gewinnt, gespielt mit der Spitze eines Winkelmessers, und ein Schwung wütender Kerben von was auch immer für einer Enttäuschung. Vor ein paar Jahren habe ich den Tisch weiß gestrichen, doch die Konturen ju­ gendlicher Langeweile sind geblieben. Nicht, dass man normalerweise die Oberfläche meines Schreibtisches über­ haupt zu sehen bekäme: Ich bin unordentlich, umgeben von Festungen aus alten Notizbüchern, unlesbaren Postits, Kaffeetassen und stapelweise Zeitungen, aufgehoben aus unerfindlichen Gründen. Wenn ich allein zu Hause bin, sitze ich an diesem alten Schreibtisch, aber sobald irgendjemand da ist,

verziehe ich mich. Am liebsten gehe ich dann ins Café Nero in der Frith Street, das nach geröstetem Kaffee und Schweiß riecht. Umgeben von den Geräuschen fremder Menschen arbeite ich wunderbar, aber ich kann keinen klaren Gedanken fassen, sobald jemand in der Nähe ist, der mir etwas bedeutet.

Ich dachte, ich würde erleichtert sein. Ich hatte vergessen, dass hier der Spaß aufhört. Unglücklicherweise habe ich vor zwei Tagen meinen neuesten Roman einem Freund zum Lesen geschickt. Es ist zwar nur ein Entwurf, aber dennoch ist dies wahrscheinlich der unangenehms­

te Moment bei der Entstehung eines Buchs. Eineinhalb Jahre hat man sich in einer erfundenen Welt vergraben, ei­ nen ganzen Haufen Alter Egos bei Laune gehalten und ein ausgeklügeltes Netz falscher Erinnerungen gewoben. Wie oft bin ich nachts aufgewacht, habe Stücke eines Dialogs vor mich hin­ gemurmelt und mich geweigert, ›echte‹ Freunde zu treffen, weil die erfunde­ nen so anspruchsvoll sind. Und dann wird mir meine Obsession aus den Händen gerissen (ich bin ein bisschen melodramatisch, ich habe das Manu­ skript selbst abgeschickt, nahezu frei­ willig). Seither habe ich das ständige Bedürfnis, mich bis zur Besinnungslo­ sigkeit zu betrinken und Fremde in der Schlange an der Supermarktkasse an­ zuquatschen. Ich dachte, ich würde er­ leichtert sein. Ich hatte vergessen, dass hier der Spaß aufhört. Diogenes Magazin

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Diogenes Taschenbuch detebe 24179, ca. 416 Seiten Erscheint im November

Buchtipp

Für alle, die jeden Tag des Jahres lesen wollen

368 Seiten, Paperback ISBN 978-3-257-30007-9 Auch als Diogenes E-Book

Bücher können auch Kalender sein 365 Geschichten oder Gedichte für jeden Tag des Jahres

Das hinreißende Debüt einer jungen und ausdrucksstarken Stimme aus England: Sommer, Sonne, Kalifornien – sie ist 17, als sie vom Tod ihrer Mutter erfährt, die sie nie gekannt hat. Mit einer Handvoll Briefe und Fotos verlässt sie ihre Heimatstadt London und macht sich auf die Suche nach dem Menschen, der ihre Mutter gewesen ist. Diese Reise in die Vergangenheit ist zugleich der Beginn eines neuen Lebens und einer großen Liebesgeschichte. »Unglaublich gut. Anna Stothard schreibt vollendet und fesselnd.« The Times, London

Wenn ich nicht schreibe, ist mein geschundener alter Schreibtisch geradezu unheimlich aufgeräumt, und ich kann sogar die herzförmigen Narben in der rechten oberen Ecke sehen. Ich fühle mich eingeengt und bin mir mehr als bewusst, dass ich mich in einer Art Lakune befinde, in der ich unkluge Entscheidungen treffe: Ich gebe meine letzten Ersparnisse für ein One-WayTicket oder einen asymmetrischen Haarschnitt aus und schreibe theatralische Gast-Blogs voller verkrampfter Sätze mit Ausdrücken wie ›Lakune‹ (was nichts anderes als Hohlraum heißt) und Phrasen wie ›mein Leben steht kopf‹. Den Tiefpunkt erreichte ich gestern, als ich ›Babys‹ googelte – nicht anders, als wenn man ›Edelstahltoaster‹ googeln würde –, und erst auf der achten Bildseite wurde mir klar, dass mich schwängern zu lassen vermutlich auch nicht der richtige Weg ist, um die Zeit zwischen zwei Büchern totzuschlagen. Ich hätte wissen können, dass es nicht angenehm sein würde, mein Buch wegzugeben. Schließlich bin ich, als ich Pink Hotel das erste Mal verschickt habe, auf dem Rückweg von der Post in einem Zeitungsladen umgekippt und fand mich auf dem schmutzigen Boden wieder – mit einer Beule an der Stirn, Staub im Mund und einer Lücke in meinem Leben, die die Form eines Romans hatte. Der Schreibprozess hat­ te bei Pink Hotel im Sommer nach meinem Studienabschluss begonnen, in dem Moment, als ich die Art-décoLobby eines ›echten‹ pinkfarbenen Hotels in Venice Beach, Los Angeles betrat. Er endete, weniger glamourös, damit, dass ich ohnmächtig auf dem Boden lag, Staub spuckend und flu­ chend (bis jetzt habe ich keine medizi­ nische Erklärung für diese Reaktion). Es sollte mich also nicht überraschen, dass meine Augen blutunterlaufen sind und mein Urteilsvermögen etwas wacklig, seit ich meinen neuen Roman aus den Händen gegeben habe. Es ist ein schrecklich verwirrendes Durcheinander. Trotz allem: Ich kann es kaum erwarten, meinen Roman zu­ rückzubekommen, um ihn weiter zu über­ar­beiten. Aus dem Englischen von Kati Hertzsch

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Diogenes Magazin

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Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Diogenes Taschenbuch detebe 24155, 832 Seiten

Wenn das Schreiben gut läuft, ist es, als hätte ich einen Nerv gefunden, den ich kitzle, um mich selbst zu stimulieren. Das reine Vergnügen ist auch das nicht, aber ich fühle mich auf dem richtigen Weg und bin wie befreit. Ich webe also so nah an der Wahrheit wie möglich, dieses Netz aus falschen Erinnerungen, das einerseits mir gehört, andererseits aber auch nicht. Denn sobald ich jemanden um eine zweite Meinung bitte und der Druck, den ich jeden Morgen verspürt habe, verschwunden ist, habe ich keine Ahnung mehr, wie ich mich verhalten soll. Genau genommen fühle ich mich gerade regelrecht krank und ein bisschen benommen. Mein Leben steht kopf, und ich habe furchtbares Lampenfieber, denn in diesem Moment blättert vielleicht jemand anderer in der U-Bahn durch meine falschen Erinnerungen, verbringt einen Moment mit meiner Obsession, bevor er mittagessen geht.


Serie

Small Talk

Christian Schünemann Gehen Sie bei Rot über die Straße? Ja – obwohl Roland Barthes immer davor gewarnt hat. Und starb, weil er von einem Auto angefahren wurde.

Herausforderungen hat er schon immer gesucht: Während seines Slawistikstudiums zog es Christian Schünemann nach Moskau und Bosnien-Herzegowina, später besuchte er eine Journalistenschule, wurde Storyliner für Daily Soaps und endlich Krimiautor. »Kriminalromane gibt es wie Sand am Meer. Umso erfreuter stimmt es die Leser, wenn sie in ein neuartiges Milieu eintauchen dürfen und einem überraschenden Helden begegnen. So wie in den Romanen von Christian Schünemann. Dort ist es ein Frisör, der ungewollt zum Kriminalisten wird«, lobte etwa der WDR. Daily Soap ist der vierte Fall des charmanten Tomas Prinz.

Was würden Sie an sich ändern? Weniger Zeit mit Schlafen zuzubringen, wäre schon mal eine Sache. Wein oder Bier? Ja. Und gern auch einen Whisky. Welche Musik hilft Ihnen beim Schreiben? Nur die Ruhe hilft. Erlaubt ist ein Rauschen: Meeresrauschen und das Rauschen von Spül- und Waschmaschine.

Welchen Film haben Sie als Letztes im Kino gesehen? Belgrad Radio Taxi von Srdjan Koljevic.

Was haben Sie aus Romanen gelernt? Mit jeder guten Geschichte ist es wie mit dem Leben – leider irgendwann zu Ende.

Wann bekommen Sie Herzklopfen? Vor einer Lesung, vor einem Rendezvous, wenn die Lektorin anruft, wenn die Bank anruft – also immer, wenn das Schäfchen noch nicht im Trockenen ist.

Was tun Sie am Abend als Letztes? Ganz zuletzt – die Augen zu. Das erste Diogenes Buch, das Sie gekauft haben? Wahrscheinlich Das Parfum oder ein Roman von John Irving.

Bewundern Sie jemanden? Meistens ist der Respekt größer.

Foto: © Peter Peitsch / peitschphoto.com

Wenn man Ihnen irgendwo auf der Welt ein Büro zum Schreiben zur Verfügung stellen würde, wo würde dieser Ort sein? In Frank Lloyd Wrights Haus ›Fallingwater‹, Pennsylvania, USA, das in einen Wasserfall hineingebaut wurde. Mit welchem Schriftsteller, tot oder lebendig, würden Sie am liebsten ein Abendessen verbringen? Nikolaj Gogol. Falls er unpässlich sein sollte (was gut möglich ist), würde ich auch sehr gerne mit Roland Barthes speisen.

Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt? Gregor Weber, Kochen ist Krieg! Beste Schulnote – worin? Textiles Gestalten – sehr gut. Ihr Traumberuf? Schriftsteller. Diogenes Taschenbuch detebe 24052, 240 Seiten

Ihr Lieblingsfilm? Swimmingpool. Und wenn Sie nach einer Serie gefragt hätten: Brothers and Sisters. kam / ng

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Cecilia Bartoli und Donna Leon, die Primadonna assoluta und die Lady of Crime in gemeinsamer musikalischliterarischer Mission: Agostino Steffani, ein lang vergessener Barockkomponist. Cecilia Bartoli singt seine Arien auf ihrer neuen CD Mission. Donna Leon erzählt seine Lebensgeschichte in ihrem neuen Kriminalroman Himmlische Juwelen, der auch ohne Commissario Brunetti packend ist.

Agostino Steffani 1654  1728 36

Diogenes Magazin

Foto groß: © Uli Weber; Foto klein: © akg-images

«Als ich für mein neues Aufnahmeprojekt auf die wunderbare Musik Agostino Steffanis stieß, der ein geheimnisumwittertes Leben führte, wusste ich sofort: Das ist ein Fall für Donna Leon.« Cecilia Bartoli


Seine diplomatischen Missionen führten den italienischen Komponisten und Kirchenmann Agostino Steffani auch nach München, Hannover, Frankfurt und Düsseldorf.

Donna Leon

Von Schönheit überwältigt Schon lange sind Cecilia Bartoli und Donna Leon miteinander befreundet. Eines Tages stieß die Mezzosopranistin auf die Spur des italienischen Barockkomponisten Agostino Steffani und erzählte der musikbegeisterten Schriftstellerin von ihrer Entdeckung. Donna Leons Neugier war geweckt und wurde immer größer, je mehr sie von seinem Leben erfuhr, einem Leben voller Widersprüche zwischen Kirche, Musik und Geheimdiplomatie. Eigentlich ein guter Stoff für einen spannenden Roman ...

Foto: © akg-images

Z

weimal in meinem Leben hat mir ein Genie am Wegesrand aufgelauert und mich überwältigt. Das erste war Patrick O’Brian, Autor von zwanzig Seefahrerromanen um Captain Aubrey, der es in der Flotte Lord Nelsons mit den verruchten Franzosen aufnahm; das zweite Agostino Steffani, Priester, Diplomat und Komponist. Bis vor etwa zwanzig Jahren im New Yorker ein Artikel über O’Brian erschien, war er – um mich der Sprache des Spionageromans zu bedienen – ein Schläfer: Kenner lobten ihn in den höchsten Tönen, es gab eine kleine Kultgemeinde, stets wurde er als einer der besten lebenden Autoren von historischen Romanen genannt, aber eine Berühmtheit war er nicht. Agostino Steffani, der im 18. Jahrhundert Opern und Duette, Orchesterund Kirchenmusik komponierte, ist ebenfalls ein Schläfer. Immer wieder findet sein Name in Artikeln über Barockmusik Erwähnung und im Zusam-

menhang mit Komponisten, für deren Schaffen er von Bedeutung war. Erwähnt wird auch sein jahrzehntelanges Bemühen – im Auftrag des Vatikan – um die Rückführung Norddeutschlands in den Schoß der katholischen

Wie beiläufig erwähnte Cecilia, die verwickelte Geschichte könnte als Vorlage für eine Art Roman dienen. Kirche. Es gibt vereinzelte Aufnahmen seiner Werke, und immer mal wieder wurde eine Oper aufgeführt, aber eine Berühmtheit war er so wenig wie O’Brian. Bis er Cecilia Bartolis Aufmerksamkeit erregte. Auch sie stieß hin und wieder auf Steffanis Namen und hörte Musik von ihm, was ihre Neugier weck-

te und ihre Entdeckerfreude. Wie vor Howard Carter beim Fund der Grabkammer Tutanchamuns taten sich auch vor Cecilia ›wunderbare Dinge‹ auf. Enthusiasmus ist ebenso ansteckend wie beflügelnd. Während Cecilia die Arien und Kammerduette für Mission auswählte, erzählte sie mir von Steffani und meinte, eine Krimiautorin müsste eigentlich fasziniert sein von den vielen Fragen, die sein Leben aufwerfe. Obwohl er Italiener war, verbrachte er fast sein ganzes Leben in Deutschland. Während Europa noch von der Reformation erschüttert wurde, versuchte Steffani, Norddeutschland für die katholische Kirche zurückzugewinnen, und scheiterte. Er war ein Kirchenmann, ein allem Anschein nach ernster, nüchterner Mensch, und geriet in den größten Sexskandal seiner Zeit – weil die Liebenden seine Opernverse als Geheimcode benutzten. Steffani, Priester und Bischof dem Namen nach, könnte möglicherweise ein Kastrat geDiogenes Magazin

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wesen sein. Er stand auf vertrautem Fuß mit Königen, Herzögen und Prinzen, aber niemand scheint ihm wirklich nahegestanden zu haben. Je mehr Belege für die Unstimmigkeiten in seinem Leben Cecilia mir schickte, desto größer wurde mein Interesse, eine Erklärung zu finden, die das alles auf einen Nenner brachte. Und dann erwähnte sie die zwei Truhen aus Steffanis Besitz, die nach seinem Tod in den Vatikan gerieten und erst unlängst wiederentdeckt wurden. Ein reizvolles Puzzle! Und wie beiläufig bemerkte Cecilia, die verwickelte Geschichte könnte ohne weiteres als Vorlage für eine Art Roman dienen. »Eine Art Roman.« – »Eine Art Roman?« Warum eigentlich nicht? Und da geschah es, dass Caterina Pellegrini, eine italienische Musik­ wissenschaftlerin, die Steffanis Papiere untersuchen sollte, auf dem Weg zur Marciana-Bibliothek in meinem Arbeitszimmer vorbeischaute. Ich ging hinter ihr her, um ihr über die Schulter zu sehen: Was würde sie in den Archiven entdecken? In einer der großartigsten Bibliotheken der Welt? Gab es dort Antworten auf die vielen Rätsel in Steffanis Leben? Voller Tatendrang machte sie sich auf den Weg und fand schließlich: Himmlische Juwelen. Aus dem

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Buch- und CD-tipp

CD, Universal Music Germany

304 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06837-5 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Kann ein Venedig-Roman ohne Brunetti spannend sein? Selbstverständlich … solange Donna Leon erzählt. Eine faszinierende Mischung aus Wahrheit und Fiktion: Caterina Pellegrini liebt ihre Heimatstadt Venedig ebenso wie die Musik. Als sich ihr die Chance bietet, in der Fonda­zione Musicale Italo-Tedesca zwei verschollene Truhen mit dem Nachlass eines Barockkomponisten zu begutachten, ist sie Feuer und Flamme. Der ehedem berühmte Agostino Steffani entpuppt sich als schillernde Gestalt. War er womöglich in den berühmtesten Mordfall seiner Zeit verwickelt? Nicht nur Caterina ist neugierig auf die Schätze, die sich hinter den Dokumenten verbergen könnten …

Nach der Grammy-prämierten CD Sacrificium über die Neapolitaner Kastraten begibt sich Cecilia Bartoli auf die Spuren eines geheimnisvollen Barockkomponisten: Agostino Steffani. Bis ins 18. Jahr­hundert bewundert und beliebt, ist er heute so gut wie unbe­ kannt. Nun hat Cecilia Bartoli eine neue CD mit seinen hinreißenden Arien eingespielt: eine sensationelle Wiederentdeckung.

Die CD zum Buch, das Buch zur CD – in einer opulenten Deluxe-Ausgabe mit vielen Fotos, Hintergrundinfor­ mationen und Bonustrack 384 Seiten, Leinen im Schuber mit CD. Universal Music Germany. Erhältlich im Buch- oder Musikfachhandel.

Amerikanischen von Werner Schmitz

Musik hören mit Donna Leon

V Mit iv

80 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06798-9

Illustration: © Michael Sowa

144 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06763-7

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aldi-C

Donna Leon erzählt Il Complesso Barocco musiziert

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Fotos: Š akg-images; Artwork: Š Universal Music Germany


Essay

Petros Markaris

Als ich in Griechenland mein Projekt angekündigt hatte, eine Ro­ mantrilogie über die griechische Krise zu schreiben, fragte mich eine junge griechische Journalistin: »Herr Markaris, Sie wollen drei Romane über die Krise schreiben?« »Eine Trilogie sind eben drei Romane«, antwortete ich. »Und Sie glauben, dass die Krise so lange dauern wird?«, fragte sie entrüstet. Inzwischen ist klar, dass es nicht bei einer gewöhnlichen Trilogie bleiben wird. Ich habe drei Varianten vor Augen: Entweder füge ich der Trilogie noch einen Epilog hinzu, der das Ende der Krise illustriert, oder ich mache aus der Trilogie eine Tetralogie. Es könnte aber auch sein, dass ich die erste Trilogie abschließe und mit einer neuen beginne. Das wäre die schlimmste Variante. Zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich nicht, welche von den drei Varianten am wahrscheinlichsten ist. Mit dem Projekt der »Krisentrilogie« wollte ich ja einerseits die Mechanismen und andererseits die Entwicklung der Krise und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung darstellen. Für einen Autor ist es riskant, wenn er sich mit aktuellen Themen beschäftigt, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Die Artikel, die Reden und die Interviews, in denen ich mich über die Krise geäußert habe, waren eine willkommene Hilfe. Denn darin habe ich die Krise nicht nur den Lesern zu erklären versucht, sondern auch mir selbst. Sie haben mir geholfen, einen klaren Kopf zu bewahren und die Krise in den Romanen mit Blick auf ihre Ursprünge und Ursachen zu beschreiben. Ich war von Anfang an überzeugt, dass die Krise gekommen war, um zu bleiben. Sie würde uns nicht so schnell verlassen, und ich würde Zeit genug haben, um drei Romane zu verfassen. Seien wir aber ehrlich: Keiner hat ihr Ausmaß und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung vorausgesehen. Wir hatten keine Ah40

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nung, was da auf uns zukam. Hauptsächlich weil die Pasok-Regierung den Bürgern nie die ganze Wahrheit sagte. Sie versuchte sie zu beruhigen, indem sie ihnen versicherte, dass jede neue Maßnahme, egal, ob es um Kürzungen der Löhne und Renten ging oder um neue Steuern, die letzte sei. Es kamen aber immer neue Maßnahmen und Sparpakete dazu. Diese falsche Politik der Besänftigung traf die Griechen völlig unvorbereitet, sie verunsicherte und empörte sie. Wenn eine finanzielle Krise ausbricht, dann fragen sich die Leute immer, warum es so weit gekommen ist und wer die Schuld dafür trägt. Die Gründe liegen im Falle der griechischen Krise weit in der Vergangenheit. Der monströse Staatsapparat, der Griechenland heute lahmlegt, ist das Produkt einer Entwicklung, die in der Zeit nach dem Bürgerkrieg Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre begonnen hat. Viele Menschen in Griechenland und anderswo gehen jedoch irrtümlicherweise davon aus, dass das heutige Desaster eine Folge der Misswirtschaft der letzten dreißig Jahre ist. Das stimmt nicht. Wenn man den geschichtlichen Aspekt beiseite­ lässt, dann gelangt man, wie viele Deutsche und andere Ausländer, zu einer falschen Schlussfolgerung: dass nämlich die Griechen allesamt korrupt sind. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die politischen Eliten von der frühen Nachkriegszeit bis heute die Hauptschuld am Zusammenbruch des Landes tragen. Sie haben durch ihre Klientelmentalität das Land an den Rand des Abgrunds gebracht. Allerdings bin ich Schriftsteller und nicht Politikwissenschaftler. Auch deswegen ist mir der kulturelle Aspekt der Krise sehr wichtig, nicht nur in Bezug auf Griechenland, sondern auch auf die EU. Im Folgenden komme ich darauf zu sprechen, wie sich diese kulturelle Krise im Alltag bemerkbar macht, ob in Brüssel, in Berlin oder in Athen.

Foto: © DUKAS / CONTRASTO

Die Krise hat das letzte Wort


A

nthi ist zehn Jahre alt und Niki sieben. Sie sind die Töchter des griechischen EU-Vertreters in Brüssel. Beim Frühstück spricht die Familie Griechisch. In der Schule sprechen die Mädchen Deutsch. Wenn sie von der Schule nach Hause kommen, erwartet sie die französische Studentin, die sie betreut. Mit ihr sprechen sie Französisch. Beim Abendessen schließt sich der Kreis, und sie sprechen wieder Griechisch. Jedes Mal, wenn ich die Familie in Brüssel besuche, frage ich mich, ob dieser dreisprachige Alltag eine EU-Realität ist, ob die Integration so weit fortgeschritten ist, dass die Bürger der verschiedenen Länder miteinander in mehreren Sprachen umgehen können. Diese Mehrsprachigkeit spüre ich auch, wenn ich Lesungen in Deutschland, in Italien oder in Spanien mache. Ich werde immer wieder gebeten, eine Widmung auf Griechisch zu schreiben. Das zeigt, die Europäer lernen mittlerweile neben Englisch, Deutsch oder Französisch auch andere europäische Sprachen. Wer aber daraus den Schluss ziehen wollte, die Kommission in Brüssel sei eine Art europäisches Modell in Kleinformat, der täuscht sich gewaltig. Immer wenn ich in Brüssel bin, muss ich an meinen Vater denken, der mich in eine österreichische Schule in Istanbul schickte, weil er, in Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, fest davon überzeugt war, dass Deutsch sich als internationale Unternehmersprache etablieren würde. Es wird nicht einmal in der Kommission Deutsch gesprochen, obwohl Deutschland den größten finanziellen Beitrag in der EU leistet. Zwar sind die Sprachen aller Mitgliedsländer gleichrangig in der EU, gesprochen wird aber überwiegend Englisch wie überall sonst in der Welt. Das Land, das der EU gelegentlich größte Sorgen bereitet, verleiht ihr seine Sprache. Die sprachliche Vielfalt in der Familie des griechischen EU-Vertreters ist eine Ausnahme. Belgien selbst liefert das beste Beispiel, dass sprachliche Vielfalt nicht unbedingt Offenheit und Integration bedeutet. Flamen und Wallonen leben in Distanz zueinander und

ohne große Sympathien füreinander. Sie streiten über jeden Quadratzentimeter sprachlichen Raums. Brüssel ist der Sitz einer Weltorganisation, der Nato, und zweier europäischer Institutionen, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments. Die Stadt hat diese besondere Stellung durch ihre Unauffälligkeit erworben. Anstatt die Konkurrenz zwischen London und Paris auszufechten, waren die politischen Führer der fünfziger und sechziger Jahre klug genug, das unauffällige Brüssel zu wählen. Dieser Charakterzug ist den Belgiern immer zugutegekommen. Als ich einen belgischen Abgeordneten der

Das Verhältnis zwischen dem Süden Europas und den mittel- und nordeuropäischen Ländern hat sich seit dem Beginn der Krise zunehmend verschlechtert. Grünen fragte, wieso ein dem europäischen Publikum unbekannter Politiker wie Herman Van Rompuy zum Präsidenten des Europäischen Rats gewählt worden ist, antwortete er ohne Zögern: »Er ist nett, gutmütig, meidet Kontroversen und ist vor allem unauffällig.« Die Unauffälligkeit hat den Vorteil, Spannungen zu verdecken. Die Spannung zwischen Wallonen und Flamen ist nicht die einzige in Europa. Spannung existiert auch zwischen dem Baskenland und Kastilien in Spanien, zwischen dem Süden und dem Norden in Italien. Von alledem merkt man in Brüssel auf den ersten Blick gar nichts. Während meiner Jugend war Istanbul eine Stadt mit vier Sprachen. Es wurde Türkisch, Griechisch, Armenisch und die Sprache der sephardischen Juden gesprochen. Von Integration war trotzdem nichts zu spüren. Die vier Ethnien lebten in Parallel­ gesellschaften. Auch Brüssel ist eine Stadt mit Parallelgesellschaften. Die Ausländer, die in den drei EU-Organi-

sationen arbeiten, haben wenig Kontakt zu den Belgiern. Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben zwar Kontakt zur Europäischen Kommission, dieser ist aber, außerhalb von offiziellen Anlässen, auf die nationale Ebene beschränkt. Die Deutschen verkehren mit den Deutschen, die Griechen mit den Griechen, die Italiener mit den Italienern und so weiter. Die Politiker und Bürger Europas sind empört, wenn Migranten in Parallelgesellschaften leben und sich nicht integrieren wollen. Dabei leben die Vertreter dieser Länder in Brüssel auch in Parallelgesellschaften. Das Europäische Parlament kommt der Integration am nächsten. Dort wird offen diskutiert, und die Parlamentarier sind zugänglich, weitgehend frei von Vorurteilen. Vielleicht, weil die Parlamentarier weniger ins politische Tagesgeschäft der EU verwickelt sind als die Funktionäre der Kommission. Vielleicht auch, weil sie nicht in allen Fragen dieselbe Meinung wie die Kommission vertreten und mitunter die Kommission offen kritisieren. Das Verhältnis zwischen dem Süden Europas und den mittel- und nordeuropäischen Ländern hat sich seit dem Beginn der Krise zunehmend verschlechtert. Das spiegelt sich auch auf der Ebene der Funktionäre aus den verschiedenen Mitgliedsländern. Die Griechen fühlen sich von den anderen Mittel- und Nordeuropäern, ob zu Recht oder zu Unrecht, oft gedemütigt. Sie haben zunehmend das Gefühl, dass sie mehr toleriert als akzeptiert werden. Die Deutschen wiederum leiden an einer Art ›griechischer Erschöpfung‹. Die Griechen sind ihnen eine Last, und sie glauben, dass sie mit ihnen nie fertig werden. Sogar Funktionäre aus dem Süden versuchen sich von den Griechen abzugrenzen. Die Italiener und die Spanier wollen nicht mit den Griechen gleichsetzt werden. Das wird von den Politikern der südeuropäischen Staaten bei jedem Anlass betont, und es wird auch von den Funktionären dieser Staaten in der EU übernommen. Man könnte diese Haltung mit fehlender Solidarität erklären. Die Solidarität existiert zwar auf finanzieller EbeDiogenes Magazin

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ne. Nicht nur Griechenland bekommt großzügige Unterstützung von der EU. Sie fehlt aber auf menschlicher Ebene. Doch fehlende Solidarität wäre eine zu einfache Erklärung. Was in der europäischen Einigung vernachlässigt wurde, waren die Werte. Die Herausforderung für die Gründerväter der europäischen Einigung war, aus einem Kontinent mit unterschiedlicher nationaler Geschichte, unterschiedlicher Kultur und unterschiedlichen Traditionen eine Gemeinschaft zu gründen, die auf gemeinsamen Werten beruhte. Die ursprüngliche Gemeinschaft, die EWG, war nicht nur eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft. Die gemeinsamen europäischen Werte waren das Bindeglied, der gemeinsame Nenner, für die Einigung der Staaten unter einem Dach. Diversität mit gemeinsamen Werten war das Ziel. Wir haben seit der Einführung des Euro diese Werte vernachlässigt und Europa mit dem Euro identifiziert. Und jetzt, mit der Rettungsaktion für den Euro, werfen wir die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord. Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte. Das Schengen-Abkommen hat zwar die Grenzen zwischen den Staaten aufgehoben, aber was kennt die große Mehrheit der Europäer schon von Italien, außer der Toskana, von Spanien, außer Mallorca, oder von Griechenland, außer Kreta und den Kykladen? Jetzt, in Zeiten der Krise, merkt man, wie sehr das Verständnis für die kulturelle Diversität fehlt. Die Griechen hatten in den Zeiten des europäischen Wachstums ein enges Verhältnis zu den Deutschen. Jetzt sind sie empört, weil die Deutschen sie mit Arroganz behandeln. Und die Deutschen sind ihrerseits gekränkt, weil ihre griechischen Freunde sie in der letzten Zeit so kühl grüßen und auf Distanz gehen. Weil ich seit langen Jahren als eine Art Vermittler zwischen Deutschen und Griechen gelte, bekomme ich das Klagelied von beiden Seiten zu hören. Sowohl die Deutschen als auch die Grie42

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chen haben recht, nur kann man es ihnen schwer erklären, weil auf beiden Seiten das Verständnis für die kulturelle Basis des anderen fehlt. Das lässt den Raum für Vorurteile und Ressentiments offen. Man irrt sich, wenn man glaubt, dass die Krise in Europa nur eine finanzielle ist. Wir erleben auch eine Krise der europäischen Werte. Die finanzielle Krise hat dazu beigetragen, dass wir sie überhaupt wahrnehmen. In den offiziellen Kontakten in Brüssel wird das verschwiegen oder hinter guten Umgangsformen versteckt, aber in privaten Gesprächen tritt es offen hervor. Statt wegen der Krise zusammenzurücken, entfernen

keine europäische Großstadt wäre, sondern vor allem, weil die deutschen, französischen und englischen Politiker ihre Metropolen wichtiger nehmen als Brüssel. Brüssel ist aber unser Spiegelbild. Wir sollten es genauer betrachten. Aber ohne Schminke, bitte.

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Auszug aus ›Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland‹

Buchtipps

Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte. sich die verschiedenen Kulturen vonein­ ander. Brüssel ist der Ort, wo man dieses Versagen aus der Nähe betrachten kann. Worüber redet man in Brüssel? Über die Krise natürlich. In der Kommission und im Parlament, in den Cafés und Restaurants, überall hat die Krise das letzte Wort, wobei die Stimmung immer wechselt. Es gibt ja auch fast jeden zweiten Tag eine neue Meinung oder ein neues Statement von Olli Rehn oder von Mario Draghi oder irgendeinem anderen hohen europäischen Funktionär, wobei die Parole, zumindest nach außen hin, lautet: »Wir schaffen das schon.« Diese Zuversicht wirkt gespielt. Denn es passiert fast immer etwas, und die gute Stimmung kippt. Zuletzt war es die Herabstufung der Bonität Frankreichs und anderer EU-Staaten. Nach jeder schlechten Nachricht machen sich die Politiker und die Kommission daran, neue Pläne zu schmieden oder die alten zu revidieren. Dazu passt die erste Strophe eines Lieds aus Brechts Dreigroschenoper: »Ja, mach doch einen Plan / Sei nur ein großes Licht / Dann mach noch einen zweiten Plan / Geh’n tun sie beide nicht.« Brüssel ist nicht so wichtig wie Berlin, Paris oder London. Nicht, weil es

432 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06841-2 Auch als Diogenes E-Book

Teil 2 der Krisentrilogie nach Faule Kredite: Reiche Griechen zahlen keine Steuern. Arme Griechen empören sich oder verzweifeln. Ein Unbekannter handelt. Mit Drohbriefen, Schierlings­ gift und Pfeilbogen – im Namen des Staates. Kostas Charitos ermittelt.

176 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-06836-8 Auch als Diogenes E-Book

Er hat die Krise kommen sehen. Schon 2004 fragte er anlässlich der Olympiade: »Wer soll das bezahlen?« Die griechische Tragödie kommentiert von Petros Markaris, in zwölf Artikeln und einem Interview, in Erwartung des bitteren Endes – und eines Neubeginns.


Serie

Petros Markaris

auf der einsamen Insel Jeder kennt die Frage: »Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen?« In jedem Diogenes Magazin stellen wir diese Frage. Und um es ein wenig spannender (und bequemer) zu machen, darf Petros Markaris mehr als nur ein Buch auf die Insel mitnehmen.

Gemälde Juan Miró, Nocturne

Roman Stendhal, Die Kartause von Parma

Photo ein Bild meiner Tochter Sachbuch Eric Hobsbawm, Wie man die Welt verändert. Über Marx und den Marxismus

Musikinstrument keins Möbelstück meinen Schreibtisch

Lyrikband Jiannis Ritsos, Gedichte Technisches Gerät meinen CD- / DVD-Spieler

Theaterstück William Shakespeare, Maß für Maß

Kleidungsstück einen Regenmantel Erzählung Edgar Allan Poe, Der Untergang des Hauses Usher

Klassik Gustav Mahler, 4. Symphonie

Zeitung Süddeutsche Zeitung

Jazz Take the A-Train (Duke Ellington, Count Basie, Glenn Miller, Lionel Hampton, Benny Goodman)

Zeitschrift The New York Review of Books

Spiel Monopoly Lebenspartner meinen Laptop Lebensretter Kommissar Kostas Charitos

Radiosender keinen

Pop / Rock Manos Hadjidakis   and The New York Rock & Roll Ensemble, Reflections

Film Theo Angelopoulos, Der Blick des Odysseus

Essen (nicht süß) Gemista

Streitpartner meinen griechischen Verleger Samis Gavrielides

TV-Serie keine

Essen (süß) Ekmek Kadayif

Briefpartner keinen

Fernsehsender keinen

Illustration: © Bosc; Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Parfum keins

Schauspieler Bruno Ganz

Gesprächspartner Eleni Torossi

Nachbar keinen

Schauspielerin Meryl Streep

Getränk (nicht alkoholisch) Orangensaft

Haustier Can, meinen Kater

Oper Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte

Lieblingsgetränk (alkoholisch) Scotch

Joker-Artikel meine FaustÜbersetzung

Im nächsten Magazin: Joey Goebel Diogenes Magazin

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Ein Autor – Eine Stadt

Istanbul mit Petros Markaris Petros Markaris führt uns an seine Lieblingsorte der Millionen­me­tropole. Hier in Istanbul ist er als Sohn eines Armeniers und einer Griechin geboren. Seine Familie lebte eine Zeitlang auf den Prinzeninseln. Das hieß für den jungen Petros täglich drei Stunden Schifffahrt auf dem Marmarameer. Drei Stunden, die er zu nutzen wusste: Die Hausaufgaben erledigte er konsequent auf dem Schiff.

Verlorenes Istanbul im Café Ara Mitten im Szeneviertel Beyoğlu, gleich neben der Istiklal Caddesi, der Hauptstraße des Viertels, liegt das kleine Café Ara: ein Treffpunkt für Literaten, Filmschaffende, Journalisten und Studenten bei Tag und Nacht. Das Café gehört dem weltberühmten Magnum-Fotografen Ara Güler. In der Türkei wurde er zum ›Fotografen des Jahrhunderts‹ gekürt. Man nennt ihn auch ›das Auge Istanbuls‹. Mit seiner Kamera fing er das Stadtleben der fünfziger und sechziger Jahre ein: Straßenhändler, Fischer, Handwerker, Passanten, Leute in Lokalen, Kinder und Alte – und schuf einen neuen Stil in der türkischen Fotografie. Seine großen schwarz-weißen Stadtansichten schmücken die Wände des zauberhaften Cafés. Tosbag Sok. 8/A

Die traditionelle ›Istanbuler Küche‹ wurde von griechischen und armenischen Köchen geprägt. Der Grieche Koço war einer von ihnen. Das Restaurant Koço auf der asiatischen Seite liegt etwas ab vom Schuss, aber die Reise lohnt sich: Ein typisches Fischrestaurant mit dem Charme der alten Zeit. Man speist auf einer alten Holzveranda, mit Blick aufs Marmarameer oder auf die Fotogalerie, die Szenen aus dem Leben Atatürks zeigt. Von hier aus sieht man auch die Prinzeninseln, auf denen ich meine Kindheit verbracht habe. Mein Lieblingsgericht ist der Fischeintopf Buğlama: ein im Dampf gegarter Fisch mit Tomaten, grünen Peperoni, Champignons, Dill, Lorbeer mit Schafskäse drauf. Köstlich! Davor isst man Meze und trinkt verdünnten Raki. Afiyet olsun! Caferağa Mh., Moda Caddesi 265, Kadıköy 44

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Foto oben links: © Infinite XX – Fotolia.com; alle anderen Fotos: © Ruth Geiger / Diogenes Verlag

Fischeintopf im Restaurant Koço


Schlemmen in der Saray-Konditorei Morgens bin ich oft im Café Saray. Typisch ist Menemen, eine Eierspeise, die in der Regel zum Frühstück gegessen wird, aber auch zu jeder anderen Tageszeit mundet, zum Beispiel als Meze zu Raki. Menemen enthält Eier, Tomaten, grüne Paprika und Zwiebeln und ist mit schwarzem und rotem Pfeffer gewürzt. Zubereitet und serviert wird das Gericht in einem Pfännchen. Wer danach noch Lust auf Zuckerwerk hat, ist hier richtig. Das Café ist ein Schlaraffenland für Liebhaber orientalischer Süßigkeiten! Ich empfehle Fırında Sütlaç, einen Milchreis, der im Ofen gebacken wird, mit karamellisierter Oberfläche, oder Künefe, ein gebackenes Dessert aus dünnen Teigfäden, mit Schafskäse gefüllt, in Zuckersirup getränkt und mit gehackten Pistazien bestreut. Istiklal Cad. 173

Chora-Kirche und -Museum Immer wieder bewundere ich die einmaligen Fresken und Mosaiken, die mit ihrem Detailreichtum zu den bedeutendsten byzantinischen Bildwerken zählen. Unter der Herrschaft der Osmanen wurde aus der Kirche eine Moschee, heute ist sie ein Museum. Unbeschwert genieße ich die Taxifahrt an den Rand der Altstadt, vorbei an der Theodosianischen Landmauer. Auf dem Weg zurück in die Stadt mache ich einen Umweg über den Pierre-Loti-Hügel im Stadtteil Eyüp. Der französische Schriftsteller und Reisende Pierre Loti ging jedes Mal, wenn er nach Istanbul kam, in das kleine, damals noch schäbige Café, um den herrlichen Blick auf das Goldene Horn zu genießen. Kariye Camii Sok., Kariye Meydani, Edirnekapi

Foto unten rechts: © Jason – Fotolia.com; alle anderen Fotos: © Ruth Geiger / Diogenes Verlag

Yerebatan-Zisterne Byzanz, Konstantinopel, Istanbul: Die Stadt ist durchdrungen von Geschichte. Unser Spaziergang führt uns vorbei an der Hagia Sophia in eine byzantinische Zisterne, die auch Versunkener Palast genannt wird. Ein beeindruckendes Bauwerk. Als Kind beschlich mich immer ein zwiespältiges Gefühl, wenn ich dort hinabstieg. Alles war feucht, dunkel, kühl und unheimlich, aber ich tauchte in eine längst versunkene Welt ein. Damals konnte man noch mit einem Ruderboot hindurchfahren. Das Wasser kam aus dem ›Belgrader Wald‹ westlich von Istanbul. Das Gewölbe wird von acht Meter hohen Säulen mit überwiegend korinthischen Spolien­ kapitellen getragen. Auch heute noch zieht es mich oft hinab zu diesem unterirdischen Kunstwerk. Yerebatan Caddesi 7, Sultanahmet, Fatih Diogenes Magazin

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Foto: © Jean-Daniel Sudres / Hemis / CORBIS


Essay

Martin Walker

Das Tal der Höhlen und Schlösser Martin Walker führt uns durch seine Wahlheimat, das Vézère-Tal im Périgord, zu den etwa 17 000 Jahre alten Höhlenmalereien von Lascaux, zur Fundstelle des Cro-Magnon-Menschen, der vor 40 000 Jahren auf der Bildfläche erschien und den Neandertaler ablöste. Von den Ursprüngen unserer Zivilisation, großen historischen Rätseln und einem frühzeitlichen Kunstwerk erzählt Walker, bekannt geworden durch seine Bruno-Krimis, auch in seinem neuen Roman Schatten an der Wand.

Foto: © Hans-Peter Siffert / weinweltfoto.ch

N

ie werde ich den Moment vergessen, als ich die Höhlen von Lascaux zum ersten Mal sah. Der Höhlenführer hatte uns mit seiner Taschenlampe geleuchtet, ihren Strahl aber nur auf die Stufen und den Boden unter unseren Füßen gerichtet. Dann hatte er die Lampe ausgemacht, es war plötzlich stockdunkel, und wir verloren jedes Zeitgefühl. Als der Mann die Lampe wieder einschaltete, schienen die Höhlenwände auf einen Schlag zum Leben zu erwachen. Über, neben und hinter mir tauchten drohend wie aus dem Nichts große Auerochsen auf – so dass ich mich wie von einer riesigen Herde umzingelt fühlte. Erschrocken fuhr ich herum und sah eine Herde von Auerochsen, Pferden und Hirschen geradewegs auf mich zu galoppieren. Erst dann machte ich auch die Umrisse anderer Tiere aus: ein ziegenartiger Steinbock und eine dunkle

Silhouette, die an einen Bären erinnerte. Doch was mich am meisten überwältigte, war der Eindruck von Bewegung und urtümlicher animalischer Kraft, von überbordendem Leben. Die Malereien wirkten einerseits sehr realistisch, weil man auf Anhieb die dargestellten wilden Tiere erkannte, und andererseits ab­ strakt, da den Künstlern Form, Farbe und Bewegung offenbar wichtiger gewesen waren als eine naturgetreue Darstellung. Nach und nach erfasste ich die Kunstfertigkeit der Höhlenmaler: wie sie durch einen kleinen Abstand zwischen Bein und Körper den Eindruck von Bewegung schufen und wie gekonnt sie den Eindruck von Perspektive erweckten. »Ich habe meine Meister gefunden«, hatte Picasso gesagt, als er die Höhle kurz nach ihrer Entdeckung im Jahr 1940 besuchte. Und er stellte ernüchtert fest, dass die Menschheit in

17 000 Jahren künstlerischen Schaffens nicht viel weiter gekommen sei: »Wir haben nichts dazugelernt!« Die wahren Alten Meister – das waren die unbekannten Künstler von Lascaux: Zu dieser Einsicht kommt die erschütternde Erkenntnis, dass sie kein primitives, kulturloses Volk waren, sondern Leute mit einem dem unsrigen vergleichbaren künstlerischen Gespür und einer durch und durch modernen Auffassung von Gestalt und Form, Farbe und Bewegung. Ihr Werk spricht zu uns über die Jahrtausende hinweg, und seine Kraft und Schönheit ist schlicht atemberaubend. Die gesamte Höhle ist ein Meisterwerk, das von Abbé Breuil, dem angesehenen französischen Archäologen und Priester, zu Recht als ›die Sixtinische Kapelle der prähistorischen Menschheit‹ bezeichnet wurde. Sie ist das unbestrittene Juwel in dem an präDiogenes Magazin

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wickeln – sie handelte von Europas fortschrittlicher Bevölkerung, die die primitiven Höhlenmenschen verdrängt hatte. Doch wie kam es dazu, dass die Cro-Magnon-Menschen vor mehr als 40 000 Jahren im Tal erschienen und die Neandertaler innerhalb von 10 000 Jahren von der Bildfläche verschwanden? Lag es an der Evolution, oder starben sie aufgrund von Nahrungsknappheit, Krankheit oder Krieg aus – oder vielleicht gar wegen Völkermord? Liegt

Die wahren Alten Meister – das waren die unbekannten Künstler von Lascaux.

hier der Ursprung der biblischen Geschichte von Kain und Abel? Aufgrund von DNA-Analysen wissen wir heute, dass es neben gemeinsamen kulturellen Fertigkeiten auch genetische Überkreuzungen zwischen Neandertaler und Cro-Magnon gab. Der heutige Mensch ist nicht das Produkt eines langen Gemetzels, in dessen Verlauf irgendwann auch der letzte Neandertaler hingeschlachtet worden wäre – das beruhigt mich sehr hinsichtlich meiner Urahnen! Die beeindruckende und spannende Geschichte unserer Vorväter und ihr Marsch durch die Zeiten erschließt sich hier im Vézère-Tal ganz unmittelbar und konkret – sie sind spürbar gegenwärtig.

Vor allem durch die Malereien und Ritzzeichnungen, die sie vor 30 000 Jahren neben den lebensnotwendigen Werkzeugen zu schaffen begannen und deren Zweck offensichtlich ein primär ästhetischer, vielleicht auch spiritueller war. Zur Rolle dieser Kunstwerke gibt es viele Theorien, aber kaum gesicherte Fakten. Abbé Breuil ging davon aus, dass sie eine Art Jagdzauber beschwören sollten. Die bei den Behausungen gefundenen Tierknochen liefern jedoch Hinweise darauf, dass die meisten der in Lascaux dargestellten wilden Tiere gar nicht gejagt wurden. Die Menschen ernährten sich vor allem von Rentieren, von Fisch und einigen Wildpflanzen und -früchten. Auch lebten sie nicht in den Höhlen, sondern nutzten diese für verschiedene andere Zwecke. Überwiegend scheinen sie in Wigwam-ähnlichen Unterkünften gewohnt zu haben oder im Schutz von Felsvorsprüngen, die zu niedrig waren, um als Höhlen bezeichnet zu werden. Obwohl die Höhlenzeichnungen von Lascaux während einer kurzen warmen Phase zwischen zwei Eiszeiten (mit einem unserem heutigen vergleichbaren Klima) entstanden, lebte der Großteil der Cro-Magnon-Menschen wie die heutigen Ewenken in Sibirien. Sie jagten Rentiere, die ihnen Fleisch und Felle lieferten und aus denen sie Seile und knöcherne Werkzeuge fertigten. Trotzdem sind Rentiere in den Höhlenmalereien nur sehr selten dargestellt. Trotz all unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse – Ausgrabungen, Karbon-Zeitbestimmung und DNA-Analyse – bleibt vieles, was unsere frühen Vorfahren betrifft, rätselhaft. Dieses Rätsel ist aber auch Teil ihrer Faszination – und trägt zur Einzigartigkeit dieses Tals bei, in dem ich lebe und in dem meine Bruno-Romane spielen. Im Herbst dieses Jahres erscheint die Übersetzung meines Romans Schatten an der Wand, in dem ich versuche, ein Bild jener menschlichen Gemeinschaft zu entwerfen, die die meisterhaften Höhlenzeichnungen von Lascaux hervorgebracht hat. Bruno selbst taucht in diesem Roman nicht auf, dafür begegnen uns einige alte Bekannte aus den Bruno-Romanen, etwa der deutsche

Foto oben: © François Pugnet / Kipa / CORBIS; Foto unten: © Pierre Vauthey / Sygma / CORBIS

historischen Höhlen, Gräbern und Siedlungsstätten überreichen VézèreFlusstal; nirgendwo auf der Welt erfahren wir mehr über unsere Herkunft und unsere Urahnen als hier, dem einzigen Ort, an dem Menschen 40 000 Jahre lang ohne Unterbrechung gelebt haben. Ein großer Teil unseres Wissens über unsere früheste menschliche Vergangenheit stammt von hier. Bei La Micoque in der Nähe von Les Eyzies finden sich Feuersteine aus der Zeit des Homo Erectus, die mehr als 200 000 Jahre alt sind. Unter dem Felsendach von La Ferrassie stieß der große französische Archäologe Denis Peyrony 1909 auf mehrere Grabmäler von Neandertalern, eins davon barg zwei Erwachsene, vier Kinder und einen Fötus. Der Schädel des Mannes ist bis heute das besterhaltene Exemplar, das wir besitzen, und die Knochenstruktur der vor 70 000 Jahren bestatteten Neandertaler lieferte den Wissenschaftlern den entscheidenden Beweis dafür, dass unsere Vorfahren sich schon damals aufrecht fortbewegten. Außerdem zeigte die Art des Begräbnisses, dass sie ihre Toten wertschätzten, ihnen die letzte Ehre erwiesen. Ein kleines Stück weiter oben im Tal, gleich hinter dem Bahnhof von Les Eyzies, befindet sich die originale CroMagnon-Fundstelle. Sie wurde 1868 von Eisenbahnarbeitern entdeckt. Auf Okzitanisch, das hier in der Gegend gesprochen wird, heißt Cro-Magnon so viel wie ›große Höhle‹. Darin wurden die Überreste eines Mannes und einer Frau gefunden, deren Schädel sich deutlich von denen der Neandertaler unterschieden. Ihnen fehlten die typischen knöchernen Augenüberwülste, und ihre Schädel waren hoch und gewölbt. Ihre Skelette waren größer und feingliedriger, und um ihre Hälse waren Tierzähne und Muscheln drapiert, die sie offenbar als Halsketten trugen. Zu der Zeit, als Europa mit der Gründung weltumspannender Imperien beschäftigt war, veranlasste der Vergleich der ›wilden‹ Neandertaler mit den offenbar kultivierteren CroMagnon-Menschen einige Gelehrte dazu, eine rassistische Legende zu ent-


Illustration: © Jean-Jacques Sempé

Archäologe Horst Vogelstern und seine Geliebte Clothilde Daunier, die als Kuratorin am Museum für Frühgeschichte in Les Eyzies arbeitet. Gemeinsam versuchen sie, das Geheimnis eines neu entdeckten Höhlengemäldes zu lüften. Es handelt sich um eine bemalte Steinscherbe, die – ohne jeglichen Hinweis auf ihre Herkunft – einem der großen Londoner Kunst­auk­ tions­ häuser zum Verkauf angeboten wird. Stammt sie aus einer bisher unentdeckten Höhle? Wie hat man sie vom Fundort entfernt? Und warum ist sie gerade jetzt aufgetaucht? Die Zusammenführung von ferner Vergangenheit und Gegenwart ist der Schlüssel zur Lösung des Rätsels, und ich hoffe, mein Roman vermittelt den

Buchtipp

Lesern die Faszination und die Ehrfurcht, die ich angesichts der Höhlen und ihrer Kunstwerke empfinde. Vor allem wünsche ich mir, dass der Roman etwas vermittelt, wovon ich persönlich überzeugt bin: dass unsere frühesten Vorfahren gar nicht so weit von uns entfernt sind. Und dass das große Erbe, das sie uns mit ihrer Kunst hinterlassen haben, noch heute die Kraft hat, uns erschauern zu lassen und uns zutiefst zu bewegen. Aus dem Engli· schen von Michael Windgassen

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ca. 592 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06843-6 Auch als Diogenes E-Book

Ein Thriller aus dem Périgord – diesmal ohne Bruno, Chef de police. Eine Höhlenzeichnung – fünf Menschen, die sie besitzen wollen. Wer die Zeichnung findet, hat den Schlüssel zur Aufklärung eines Verbrechens, während der Résistance begangen, von dem bis heute niemand wissen darf.

»Sehr schön, was Sie da machen, aber Ihre Galerie ist etwas ab vom Schuss ...«


»Anthony McCarten zählt zu den aufregendsten literarischen Exporten aus Neuseeland.« International Herald Tribune, Paris Anthony McCarten, 1961 im neusee­ ländischen Plymouth geboren, lebt heute in London. Mindestens einmal im Jahr fliegt er nach Hause, ans andere Ende der Welt. Und das, obwohl er sich nach der Reise jedes Mal so fühlt, als seien ihm die Hirnnerven durchtrennt worden.

Diogenes Taschenbuch detebe 24208, 368 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Jeff Delpe lebt wie McCarten in England. Sein wahres Leben aber findet im Internet statt: Hier verdient er viel Geld, und hier kämpft er auch gegen die Geister, die ihn nicht loslassen: die Schule, die Mädchen, der Tod seines Bruders. Sein Vater will nicht noch einen Sohn verlieren und loggt sich in die ihm fremde Welt der unbegrenzten Möglichkeiten ein. Die Fortsetzung von McCartens erfolgreichem Roman Superhero

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Foto: © Isolde Ohlbaum / laif

464 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06794-1 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Neuseeland, ein verlottertes Provinzstädtchen am anderen Ende der Welt. Drei unschuldige Mädchen, die plötzlich schwanger sind. Von Außer­irdischen, versichern sie. Ein spannender Roman über Wunder, Täuschungen und die Geschichten, die wir erfinden, um uns vor der Wahrheit zu schützen. Und eine phantastische Liebesgeschichte.


Über Neuseeland

18 601 Kilometer trennen Frankfurt von Wellington. Vom 10. – 14. Oktober 2012 kommen sie zusammen: Neuseeland ist Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

Anthony McCarten

Der Kiwi ist ein seltsamer Vogel Die ersten Siedler, hauptsächlich arme Briten und Iren, wollten ein besseres Britannien aus dem Land im Südpazifik machen. Aber sie hatten nicht bedacht, dass ihnen das Land und seine Ureinwohner feindlich gesinnt sein könnten. Schwere Zeiten für die Pioniere – es ging ums bloße Überleben –, prägende Zeiten für den Nationalcharakter der Neuseeländer, wie Anthony McCarten, selbst einer von ihnen, zu berichten weiß.

Foto: © Ken.jp / flickr.com

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indestens einmal im Jahr fliege ich nach Hause. Zwölftausend Meilen hin, zwölftausend Meilen zurück. Mir würde etwas fehlen, sollte ich einen Besuch auslassen. Ich würde gern viel öfter hinfahren, wenn man sich nach einem Flug dieser Länge nicht jedes Mal so fühlen würde, als seien einem die Hirnnerven durchtrennt worden. Mein Zuhause? Neuseeland. Die Reisedauer? Von meiner Wohnung (in London) sind es etwa 36 Stunden, und das auch nur, wenn man die Reise an einem Stück macht, was der schiere Wahnsinn ist. Nehmen wir den notwendigen Zwischenstopp in Los Angeles oder Hongkong hinzu, dann reden wir schon von der Lebensspanne kleiner Säugetiere. Deshalb hat Neuseeland sich einiges bewahren können: Es hat noch den geheimnisvollen Reiz aller weit entfernten, kaum bekannten Orte, vergleichsweise wenig Einwohner (ideal, um

Zufallsbekanntschaften und Verkehrsstaus zu vermeiden), eine (trotz heftiger Angriffe) weitgehend intakte Landschaft, global gesehen eine ge­ ringe Bedeutung (wofür die Neuseeländer sich schämen), einen ausgeprägten Hang zum Antiintellektuellen, (worauf sie stolz sind) und zu guter Letzt den (wohlverdienten) Ruf, ein unglaublich schönes Land zu sein. Der Besucher kommt in Auckland an, dem einzigen wirklich internationalen Flughafen des Landes (Wellington und Christchurch zählen nicht, denn von da geht es nur nach Australien und in die Antarktis: beides keine echten Länder – und diese Bemerkung über das benachbarte Australien ist gleich ein schönes Beispiel für die Rivalität zwischen den Aussies und den Kiwis; eine grundlose Rivalität, aber wann hätte es dafür je einen Grund gebraucht?). Wenn man über dem blauen Wasser und den Grüppchen von kleinen Küs-

teninseln heranschwebt, sieht man bald – sofern es nicht regnet – Blech­ dächer mit jeweils einem halben Morgen Land dazwischen, Häuser und Gärten mit dem obligatorischen Zitronenbaum und der Plastikschaukel für die Kinder, Häuser, deren Betonauffahrten die Besitzer, allesamt Bastler­ typen, selbst gegossen haben, und schwarze Straßen, die sich die Berge hinaufschlängeln, von denen aus man, wie fast überall hier, das Meer sehen kann. Ein Land im Südpazifik. Eines, das weit weniger europäisch ist, als es sich die ersten Siedler vorgestellt haben, damals in den 1840er-Jahren: weiße Briten, Iren auf der Flucht vor der großen Hungersnot, ein paar beflissene norddeutsche Missionare. Sie alle wollten in der Südsee ein besseres Britannien bauen, einen Garten Eden, den sie beackern konnten, ohne die grausigen Fehler bei der »Entdeckung« Amerikas und Indiens zu wiederholen. Dieses Diogenes Magazin

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Glaube mir, liebe Tante, ich werde nie vergessen, wie Mutter am Fluss ankam. Dort lag ein Kanu (ein ausgehöhlter Baumstamm), der uns den Tongaporutu hinaufbringen sollte. Mutter sagte: »Das überlebe ich nicht.« Dann kamen ihr die Tränen, und das kann ihr keiner verdenken.

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Nicht viele Frauen hätten solch eine Reise gewagt. Aber in mancher Prüfung hat sie bewiesen, was für eine tapfere Frau sie ist. Als wir die Kanufahrt hinter uns hatten, ging es weiter in den wilden Urwald, die letzte Meile zu unserem »Zuhause im Busch«, das aus »Pungas« (einem Baumfarn) gebaut war. Das Holz ist sehr weich; aus den Stämmen, etwa acht Zoll im Durchmesser, werden die Wände gezimmert. Für das Dach nimmt man Nikau-Wedeln (etwas Ähnliches wie Palmen), obwohl sie nicht wasserfest sind. Von der Decke hingen Drähte, daran unsere Kessel und Kochtöpfe. Die Betten bauten wir aus Pungas, deren Blätter dienten als Matratze; der Tisch war aus grob behauenem Holz, die Schemel einfache Holzklötze. (Ein schönes Zuhause war das!) Schließlich rodete Vater 200 Morgen Urwald, alles mit der Axt, und wir bekamen 40 Milchkühe. Meine Mutter molk sie und verkaufte die Butter. Vater war meist nicht da – er baute überall im Land neue Straßen. Er hat nie auf der Farm gearbeitet, nicht eine Kuh gemolken. Meine Mutter musste allein auf uns sieben aufpassen – im-

mer nur Arbeit und kein Vergnügen, so war das damals. Das sind die Menschen, die Neuseeland gegründet haben. Sie nennen es »God’s own Country«. Vielleicht ist es das heute, aber damals bei den ersten Siedlern, da war das Leben hart, ganz besonders für die Frauen. Diese Entbehrungen sorgten dafür, dass die Neuseeländer, ob Mann oder Frau, hart im Nehmen sind – auch heute noch: Der typische Neuseeländer redet nicht viel und psychologisiert noch weniger, er lacht zwar gern, aber ist nur selten ausgelassen. Als die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield im Jahr 1907 von ihrer ersten, aufregenden Reise nach England und Deutschland zurückkehrte (die Schiffspassage dauerte 100 Tage pro Strecke, der Reisende von heute möge sich also nicht beschweren), war sie enttäuscht von Wellington, ihrer Geburtstadt, die damals noch keine fünfzig Jahre alt war, und schimpfte darüber, dass es dort nicht das nötige Maß an Kultiviertheit gäbe: Ich schäme mich für das junge Neuseeland. Der ganze Speck, in den ihr

Foto links: © Jim Barber / CORBIS; kleines Foto: © Blaine Harrington III / CORBIS; Foto Mitte: © Tobias Hauser / laif

Vorhaben geriet jedoch schnell in Vergessenheit: Die Einwanderer mussten erkennen, dass es für europäische Kultur europäischen Boden brauchte und sehr viel mehr Europäer. Die eingeborenen Maori waren alles andere als begeistert, als die Weißen aus ihren Booten sprangen und »Ich beanspruche dieses Land für die Königin [Viktoria] und für England« riefen, und machten den Neuankömmlingen sehr deutlich, dass dieses Land nicht ohne Blutvergießen zu haben war. Für die Pioniere begannen schwere Zeiten. Sehr schwere Zeiten sogar. In einem Brief an seine Tante mütterlicherseits zu Hause in Irland berichtet mein Großvater Tom Walsh (in meiner Erinnerung ein schweigsamer, geheimnisvoller Mann) über das Leben der Neuseeländer Anfang des 20. Jahrhunderts:


Foto rechts: © Berthold Steinhilber / laif; kleines Foto: © Armin Akhtar / laif

Hirn gepackt ist, muss weg, bevor sie überhaupt anfangen können, etwas zu lernen! Wir brauchen zwei oder drei Leute, die sich zusammentun – an Straßenecken, in den Läden, Häusern, Teestuben – und über Vers und Form und Atmosphäre diskutieren. Aber diese Leute beherrschen ja noch nicht einmal das ABC! Für die literarischen Salons, die Mansfield herbeisehnte, war im Alltag der Pioniere kein Platz. Es ging ums Überleben. Land musste bestellt werden, Sümpfe trockengelegt, Straßen gebaut. Aus einem Traum entstand eine moderne Nation, und das ohne einen einzigen Traktor, ohne auch nur eine Maschine. Und wer nahm diese gewaltige Bürde auf sich? Ein paar hunderttausend Paare: Männer und Frauen, die sich aus jugendlichem Optimismus, Mut oder Einfalt freiwillig gemeldet hatten. Fast alle waren arm oder zumindest minderbemittelt. Wenn man hier etwas erreichen wollte, dann nur durch harte körperliche Arbeit, geistiger Höhenflüge bedurfte es nicht. Wohl den Müttern, die ein Dutzend Kinder ohne Rat und Ärzte großziehen konnten. Jeder Neuseeländer von

heute, dessen Wurzeln in diese Zeit zurückreichen (und so lange ist es noch nicht her), hat einen Familienfriedhof voller Grabsteine für die Kinder, die bei der Geburt gestorben sind oder mit drei, fünf, zehn Jahren. Kaum jemand wurde damals alt genug, um zu heiraten und die nächste Generation von Kämpfernaturen in die Welt zu setzen. Zäh, wie sie waren, wussten die Neuseeländer, dass sie fast alles aus eigener Kraft erreichen konnten. Das hatten sie bereits bewiesen. Und so ging das 20. Jahrhundert dahin. Aus dem europäischen Experiment wurde ein pazifisches. Der englische Anstrich blätterte ab, es bildete sich eine eigene Identität heraus, die sich nicht vom englischen Mutterland ableitete, sondern auf der Verwandtschaft mit den polynesischen Nachbarn beruhte und der eigenen langen Maori-Tradition. Das junge Land gewann neuen Stolz aus seiner alten Kultur, die viel älter war als die Flagge, die die Kolonialisten gesetzt hatten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts flirtete Neuseeland sogar mit dem Fortschritt: Es war der erste Staat, in dem Frauen wählen durften (1893), das erste Land, das sich dem Wohlfahrtsstaatsprinzip

verpflichtete (1937). Später, ein politisches Wagnis, legte es sich mit einer Großmacht an, als es US-Kriegsschiffen nur Zugang zu neuseeländischen Häfen gewährte, wenn die Amerikaner versicherten, keine Kernreaktoren an Bord zu haben. Heute – und das ist ein Wunder, bedenkt man, wie wenig Steuerzahler es gibt – hat Neuseeland alles, was ein Land braucht. Zu den Errungenschaften zählen Opernhäuser, Ballett­ ensembles, Theater und eine blühende Literaturszene. Komm zurück, liebe Katherine Mansfield! – Sieh dir an, was aus deinen Leuten geworden ist, vier Millionen sind es heute, und hör dir an, wie sie an den Straßenecken über Vers, Form und Atmosphäre diskutieren! Sieh dir an, wie sich die »Kiwis« entwickelt haben – den spöttischen Spitznamen haben sich die Neuseeländer selbst gegeben, und sie sind stolz darauf: Denn der Kiwi ist ein seltsamer Vogel, ein Vogel, der nicht fliegen kann, aber doch ein Vogel, einer, den es nur hier gibt, auf den drei neuseeländischen Inseln North, South und Stewart. Aus dem Englischen von Manfred Allié

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Der literarische Klassiker aus Neuseeland – Katherine Mansfield

Foto: © Peter Day

Oft wird sie in einem Atemzug mit englischen Schriftstellern wie Thomas Hardy, Virginia Woolf oder T. S. Eliot genannt. Geboren wird sie jedoch 1888 in Wellington, Neuseeland. 1903 geht sie nach London und reüssiert bald als Schrift­stellerin. Die Meisterin der Short­story stirbt 1923, erst 34 Jahre alt, in Fontainebleau.

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Über Katherine Mansfield

Anthony McCarten

Das Wunderbare hinter den Dingen Ihr Leben und ihr Schreiben waren eine Flucht aus der Vereinzelung: Früh verlässt Katherine Mansfield ihre neuseeländische Heimat und taucht ein ins Treiben der Londoner Bohème. Sie hat Beziehungen zu Männern und Frauen, erleidet eine Fehlgeburt, das Scheitern einer Ehe und erkrankt schwer an Tuberkulose. Schon zu Lebzeiten sorgte sie für Aufsehen: durch ihren Lebensstil, vor allem aber durch ihre Erzählkunst, wie Anthony McCarten, ihr Landsmann, in seinem biographischen Essay erzählt.

Foto: © Isolde Ohlbaum / laif

T

uberkulose. Sie alle erkrankten daran: Catull, Voltaire, Molière, Johnson, Keats, Balzac, Čechov (die Liste ist unvollständig, es fehlen, um nur einige wenige zu nennen: Kafka, Maupassant, Austen und sämtliche BrontëSchwestern); ein jeder von ihnen starb daran. Man gewinnt den Eindruck, dass es sich für große Schriftsteller gehörte, an Tuberkulose zu erkranken. Wie ein ungebetener Gast nistet sich die Krankheit im Körper ein, um Stück für Stück das zerbrechliche Mobiliar zu zerstören. Am Ende löst ein einziges Räuspern einen ganzen Blutschwall aus. Man sollte denken, dass die innere Zerstörung dem Kranken das Leben zur ständigen Qual macht, ihn wütend werden lässt, sprachlos. Doch die Krankheit befähigte die neunundzwanzigjährige Katherine Mansfield, das Wunderbare hinter den Dingen zu sehen. Nach der Diagnose im Jahr 1917 sah sie Wunder, wohin sie auch blickte. Ihre Hingabe an das schiere Staunen,

diese Offenbarungen fanden zunächst zögernd Eingang in ihr Werk, bald aber strömten sie. Die Krankheit, die Mansfield einem Alltag entrückte, den sie sich stets besser gewünscht hatte, führte sie in die Todeszone, einen sublimen Lebensraum, dessen Bewohner sich der Betrachtung der letzten Dinge widmen. Dort ist es den Glücklichsten vergönnt, die Welt mit einem Maß an Ehrfurcht wahrzunehmen, das nur der empfindet, der weiß, dass er sie bald verlassen wird. In der Todeszone wird das Leben zur Essenz seiner selbst: Der Baum vor dem Fenster ist der Inbegriff eines Baumes, ein Kind wird zum Sinnbild der Kindheit, die kleinste Geste löst eine wahre Oper an Emotionen aus. Katherine Mansfield schrieb fast jedes ihrer besten Werke in dieser Zone. Die Krankheit, die sie allmählich verzehrte, eröffnete ihr zugleich einen neuen Blick auf die Welt. Zuvor hatte sie sich nur zu gern zynisch und kritisch gegeben. Allzu oft wirkte ihr Betragen

mutwillig oder rücksichtslos – sie verließ ihren ersten Ehemann am Hochzeitsabend, und so mancher misstraute ihr, fürchtete sich vielleicht sogar vor ihr. D. H. Lawrence geriet dermaßen in Rage, dass er schrieb: »Du bist eine widerwärtige Schlange; ich wünsche Dir den Tod.« Aber die Gewissheit, dass ihre Tage gezählt waren, ließ Mansfield milder werden; sie wurde eine begeisterte, geradezu hymnische Verehrerin des Augenblicks und der kleinen Dinge, die so große Bedeutung erlangen können. Sie suchte und fand die ganze Welt vor ihrer Nasenspitze. Kleine, zarte, funkelnde Meisterwerke entstanden. Sie sicherten ihr einen Platz unter den großen Autoren der Moderne; schlicht erzählte Geschichten, subtil und psychologisch scharf beobachtet. Meist kreisen sie um einen Augenblick jäher Erkenntnis. Ihr kam es vor, als hätte sie nie gewusst, wie die Nacht eigentlich war. Bis jetzt war sie dunkel und stumm Diogenes Magazin

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Mansfield nahm die Witterung auf. In der Todeszone hatte sich ihre Aufmerksamkeit geschärft. Die Welt versetzte sie in Erstaunen. Bis zu ihrem letzten qualvollen Atemzug schrieb sie wie beseelt durch diese neugewonnene, ungekannte Sensibilität. Kathleen Mansfield Beauchamp kam als Provokateurin auf die Welt. Niemand hatte es leicht mit ihr. Geboren im Jahr 1888 als drittes von fünf Kindern einer angesehenen und wohlhabenden Familie in Wellington – eine erst vierzig Jahre zuvor gegründete Kolonialsiedlung –, verbrachte sie eine glückliche Kindheit. Doch mit ihrem lebhaften, rebellischen Wesen stand sie einer Kultur, die so eng und blass, so pragmatisch und unliterarisch war wie die ihre, schon früh kritisch gegenüber. Über ihre Landsleute schrieb sie später: Sie »beherrschen ja noch nicht einmal das ABC«. Als begabte Cellistin schickten ihre Eltern die erst 14-Jährige für drei Jahre nach London; und dort, am Queen’s College, schrieb sie die ersten Geschichten und Gedichte; sie bescherten ihr den Posten der Chefredakteurin der Schülerzeitung. In Berichten an ihre Eltern 56

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bezeichneten ihre Lehrer sie als »impulsiv«, »störrisch«, »aufsässig« und, was noch beunruhigender war, als ein Mädchen »voller Ideen«. Zurück in Neuseeland war sie todunglücklich. Dem Vaterland entfremdet und dürstend nach Kultur schrieb sie an Ida Baker, die einzige echte Freundin, die sie in London gefunden hatte: Die Vorstellung, stillzusitzen und auf einen Ehemann zu warten, ist abstoßend. Ich wünschte, ich hätte Macht über die Umstände. Ich bin ganz und gar krank vor Kummer und Trauer – hier –, das ist ein Alptraum. Wie man sich jemals wünschen kann, hier zu leben, das kann ich mir nicht vorstellen –

Sie kam als Provokateurin auf die Welt. Niemand hatte es leicht mit ihr. Empört über die simple Tatsache, dass Neuseeland nicht England war, beschloss sie, ihr Geburtsland zu verlassen. Nur so schien es ihr möglich, sich in der Phantasie mit ihrer Heimat zu befassen. Auch ihren Namen ließ sie zurück. Von ihrem achtzehnten Lebensjahr an nannte sie sich Katherine Mansfield,

Foto: © Robert Holmes / CORBIS

gewesen, oft sehr schön, o ja, aber auch etwas traurig. Feierlich. So würde die Nacht nie wieder sein: Sie hatte sich in ihrer strahlenden Helle gezeigt.

und unter diesem Namen bestieg sie zum zweiten Mal ein Schiff nach England. Ihr Leben wie ihre Literatur waren eine einzige Flucht aus der Vereinzelung in die Universalität; zunächst bedeutete das die Abkehr von Neuseeland und die Rückkehr nach Europa, später überwand sie das traditionelle Erzählen des 19. Jahrhunderts und schuf etwas völlig Neuartiges, das, wie James Joyce einmal sagen sollte, in der Schmiede der eigenen Seele gehärtet worden war. In London tauchte sie fünfzehn Monate lang in die Welt der Bohème ein. Sie verdiente Geld mit Darbietungen auf Partys. Tanzte kurzzeitig in einer Revuetruppe. Hatte Affären – mit Männern und Frauen. Wurde schwanger von einem, heiratete einen anderen, verließ beide. Schrieb fast nichts. Ein »sinnloses und schäbiges Intermezzo«, das ihr dennoch half, sich von gewissen naiven Vorstellungen zu lösen, derer sich gerade jemand aus den Kolonien häufig schämt. Als Katherines Mutter Annie Beau­ champ von der gescheiterten Ehe ihrer Tochter erfuhr, reiste sie nach England. Sie vermutete, Katherines Freundschaft mit Ida Baker – die sie für lesbisch hielt (was sie nicht war) – sei die Ursache für das leichtfertige Verhalten ihrer Tochter. Es gibt so manchen Grund, Deutsch­land zu besuchen, ein eher ungewöhnlicher ist die Suche nach einem Mittel gegen lesbische Neigungen. Annie verfrachtete Katherine in den bayrischen Badeort Bad Wörishofen, dessen Wasser angeblich »unharmonische Regungen« wie Homosexualität heilte. Dann trat sie die Heimreise an und ließ die schwangere Katherine allein in dem Bad zurück, wo sie tagtäglich mit kaltem Wasser übergossen wurde. In der Pension Müller brachte sie ganz allein ihr Kind zur Welt. Es war tot. Sie verbrachte noch mehrere Monate in Deutschland. Eine glücklose Affäre mit einem polnischen Übersetzer führte immerhin dazu, ihr Interesse an den Werken Anton Čechovs zu wecken, dessen Dramen und Erzählungen damals in England so gut wie unbekannt waren.


Foto: © Robert Holmes / CORBIS

Čechovs größte Neuerung, derentwegen er vielen als Erfinder der modernen Kurzgeschichte gilt, besteht darin, in minimalistischer Prosa und mit einem Mindestmaß an Handlung – er vertraute ganz auf seine Figuren – die starken Unterströmungen zu enthüllen, die scheinbar belanglosen Ereignissen zugrundeliegen. Anstelle der üblichen chronologischen Aneinanderreihung von Handlungselementen rückte er Augenblicke der Erkenntnis und Erleuchtung in den Vordergrund, und das innerhalb eines engen zeitlichen Erzählrahmens. Es war die Geburt der Vorstellung, dass eine Kurzgeschichte »ein Stück Leben« sein soll. Die Erzählungen von Čechov – der ebenfalls an Tuberkulose litt und im Alter von vierundvierzig Jahren starb – hatten einen gewaltigen Einfluss auf Mansfields. Zurück in England, allein und unglücklich, begann sie die Arbeit an ihrem ersten Band mit Erzählungen und vollendete ihn rasch. In einer deutschen Pension erschien 1911 und behandelt ihre Erlebnisse in Bayern. Die Geschichten sind düster und allzu satirisch, journalistisch unterkühlt – sie selbst empfand sie später als unreif –, aber die Familienbeziehungen, die sie dort in all ihrer Verlogenheit bloßstellt, sind doch scharf beobachtet. Auf der Suche nach einer festen Bleibe, wo sie sich ganz auf das Schreiben konzentrieren konnte, bezog sie eine Wohnung mit der ihr treu ergebenen Ida Baker, und jetzt, da sie Zugang zu den literarischen Kreisen hatte, nahm sie einige längst überfällige Korrekturen an ihrem Leben vor. Sie gewöhnte sich das Rauchen an. Sie ließ sich die Haare so kurz schneiden, dass sie aussah wie eine japanische Puppe. London im Jahre 1912 schwirrte von neuen Ideen – insbesondere, was die Rolle der Frau anging –, aber kaum jemand hatte den Mut, diese Ideen tatsächlich zu leben. Katherine war gern eine Ausnahme. Sie lebte die freie Liebe. Plauderte in vornehmer Gesellschaft mit der Unbekümmertheit der Ausländerin. Bald wurde sie zum Sinnbild – für die neue Stimmung, die neue Frau, eine neue Geisteshaltung. Sie entwarf ihre eigenen Kleider, ganz ohne allen vikto-

rianischen Zierrat und Firlefanz. Sie änderte wieder ihren Namen, und das gleich mehrfach, von Katya zu Kysienka, Katarina, Kathy Schönfeld (die Germanisierung ihres Mädchennamens Beauchamp), dann wieder zurück zu Katherine, stets auf der Suche nach einer Identität, die ihr ruheloses und unbehaustes Wesen ausdrückte.

»Oh, ich möchte, dass für einen Moment unser unentdecktes Land vor den Augen der Alten Welt aufblitzt.« Trotz allem fand sie Zeit zum Schreiben und versenkte sich immer tiefer in den Čechov’schen Minimalismus. Sie schickte eine Reihe neuer Erzählungen (u. a. Die Frau im Kaufladen, Die kleine Gouvernante) an die literarische Vierteljahresschrift Rhythm, deren Herausgeber John Middleton Murry zum Mittelpunkt ihres Lebens werden sollte, zunächst als Lektor, später als ihr zweiter Ehemann. Mit diesen Erzählungen gewann sie nicht nur neue Leser, sie verschafften ihr auch Zugang zu einer Gruppe von aufstrebenden Literaten, die unter dem Namen ›Bloomsbury Group‹ berühmt wurde und der Modernisierer wie H. Lawrence, T.  S. Eliot, Lytton D.  Strachey und Virginia und Leonard

Woolf angehörten. Bertrand Russell bewunderte ihren Verstand und wäre gern ihr Liebhaber gewesen; Virginia Woolf war eifersüchtig auf ihre Schreibkunst – das erste und einzige Mal, dass sie auf einen Autor neidisch war – und bekannte sich zu einer gewissen Zuneigung, »auf meine sehr eigene Weise«. In Werken von Christopher Isherwood und Aldous Huxley tauchte Katherine sogar als literarische Figur auf, und als Lawrence Liebende Frauen schrieb, nahm er sie als Vorbild für die Gestalt der Gudrun. Sie vermochte selbst schwer zu beeindruckende Menschen wie Frieda Lawrence davon zu überzeugen, dass sie »mehr über die Wahrheit wusste als irgend ein anderer Mensch«. Sie zog mit Murry zusammen. Ida Baker blieb jedoch immer in der Nähe und war gern zu Diensten (als platonische Freundin, Therapeutin, Putzfrau); weitere Geschichten entstanden. Millie und Ole Underwood zeigen Neuseeland in einem gnadenlosen Licht; düster und schwer ist das Leben der Figuren in der Wildnis. In Paris, wo Katherine und Murry gemeinsam das Bohèmeleben erprobten, schrieb sie Etwas Kindliches, aber sehr Natürliches, die anmutig-zarte Geschichte von Harry, »beinah achtzehn«, der sich auf einer Zugfahrt in Edna, »sechzehn gewesen«, verliebt. Zaghaft träumen sie von einer gemeinsamen Zukunft, beschließen gar, ein Diogenes Magazin

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idyllisches Cottage bei London zu mieten. Harry richtet das Häuschen her, doch Edna taucht nicht auf. Natürlich nicht. Harry steht am Tor und wartet, er wartet auf eine Wirklichkeit, die niemals eintreten wird. Im Jahr 1913, als Katherine und Murry das Geld ausging und der Weltkrieg drohte, kehrten sie nach England zurück und bezogen ein Cottage gleich neben dem der Lawrences. Schon bald jedoch störten Rivalität und Eifersucht (Lawrence soll Murry Avancen gemacht haben, die dieser jedoch zurückwies) das Leben in der Kommune. Und Katherine schrieb nicht mehr. Schon zu Anfang ihrer Beziehung zu Murry litt sie unter seinem gehemmten Wesen. Schnell begriff sie, dass sie längere und regelmäßige Auszeiten von ihm brauchen würde, um arbeiten zu können. 1915 kehrte sie nach Paris zurück und schrieb Murry von dort jeden Tag einen Brief. (Bis zu ihrem Tod sollte sie ihm täglich schreiben.) Sie begann eine Affäre mit dem französchen Romancier Francis Carco, die sie rasch beendete. Dennoch überließ er ihr später seine Pariser Wohnung, in der sie einen Monat lebte und schrieb. In Eine unbesonnene Reise, die Erzählung spielt in Zeiten des Krieges, verarbeitete sie dieses Intermezzo, doch erst drei Jahre später fand sie die passende, weit eindrucks-

vollere Form dafür, in Je ne parle pas français. Als ahnte sie, dass sie in Murrys Gegenwart nicht würde schreiben können, begann sie vor der Rückkehr nach England hastig mit der Arbeit an einem Roman. Aloe sollte von ihrer Familie in Neuseeland, den Beauchamps, handeln, aber sie suchte vergeblich nach einem angemessenen Ton, einem Stil, der ihrem Wunsch nach einer neuen, freieren, impressionistischen Erzählweise entsprach. Ihre zwiespältige Haltung zu Neuseeland verhinderte, dass die Geschichte in Schwung kam. Zurück in London bei Murry, bekam Katherine wichtigen Besuch. Ihr Lieblingsbruder Leslie, der in einem britischen Regiment in Frankreich diente, kam auf Fronturlaub nach London. Es war das letzte Mal, dass die Geschwister sich sahen. (Leslie starb einen Monat später an der Front, seine letzten, im Fieberwahn gesprochenen Worte waren: »Halt mir den Kopf hoch, Katie, mir fällt das Atmen so schwer.«) Als spürten Bruder und Schwester, dass sie beide sich der Todeszone näherten, waren sie während Leslies Aufenthalt unzertrennlich; sie verbrachten ganze Nachmittage miteinander und schwelgten in Erinnerungen an ihre Kindheit in Wellington. Leslies Tod verwandel­te Katherines Schreiben vollständig. Vol-

ler nostalgischer Kindheitserinnerungen schwanden all ihre Vorbehalte gegenüber der Heimat. Katherine war nun bereit, Neuseeland über alle Maßen romantisch zu verklären. Ja, ich will über mein Heimatland schreiben, bis mein Vorrat erschöpft ist. Nicht nur, weil ich eine heilige Verpflichtung meiner Heimat gegenüber habe, weil mein Bruder und ich dort geboren sind, sondern auch, weil ich in Gedanken all die vertrauten Orte mit ihm durchstreife. Ich sehne mich danach, sie im Schreiben wieder zum Leben zu erwecken. Ach, die Menschen die wir dort lieb hatten – auch von ihnen will ich erzählen. Oh, ich möchte, dass für einen Moment unser unentdecktes Land vor den Augen der Alten Welt aufblitzt. …  Aber alles muss mit einem Sinn für das Geheimnisvolle erzählt werden, mit einem Glanz, einem Nachglühen … Sie arbeitete Aloe um zu Prélude, einer brillant gebauten Novelle, der ersten bedeutenden Erzählung ihrer reifen Phase. Čechovs Einfluss ist darin unverkennbar – das Vokabular ist einfach, die Erzählweise direkt, unzweideutig, die Handlung den Charakteren untergeordnet. In einer anderen Geschichte aus dieser Zeit, Der Wind weht, zeich-

Nach über 40 Jahren endlich wieder

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»In meiner Kindheit gab es eine besondere Art von Wandkalendern, an die ich mich jedes Jahr in den Wintermonaten erinnere, wie man sich an Weihnachtsbäume und Großmütter erinnert, an Bilderbücher und Bonbons, an alle Personen und Dinge, die einen Glanz, eine Süße und eine Wärme hatten.« Joseph Roth, Gedicht von Wandkalendern


net sie ein lebendiges, romantisch überhöhtes Bild ihrer Kindheit in Wellington, geradezu trunken vor Nostalgie. Die Liebe hatte Einzug in ihr Werk gehalten. Doch es ist fraglich, ob man ihr heute noch so viel Achtung zollen würde, wenn ihre Karriere an diesem Punkt zu Ende gewesen wäre. Erst die Erzählungen, die jetzt folgen, haben Katherine Mansfield unsterblich gemacht. Sie alle kreisen um einen existentiellen Augenblick bewusster oder unbewusster Offenbarung und sind durchdrungen von einer neuen Zartheit und Intensität, geprägt vom Krieg und dem eigenen nahen Tod. Es war der Anfang von Mansfields fruchtbarster Schaffensphase. Sie schrieb einhundert Rezensionen für die von Murry herausgegebene Zeitschrift Athenaeum und viele Erzäh­ lungen, unter ihnen Meisterwerke wie Miss Brill, Der Fremde und Die Töchter des jüngst verstorbenen Colonel Pinner. Um jeden Atemzug rang sie mittlerweile und schrieb doch in dieser Zeit die schönsten Neuseelandgeschichten ihres Lebens. An der Bucht, Ihr erster Ball, Das Gartenfest, Das Puppenhaus – sie zeugen von einer spät erwachten Liebe, von Sehnsucht und Vergebung; die Nähe des Todes schärfte Mansfields Bewusstsein davon, was sie zu geben hatte und was sie sagen wollte.

Ihre letzte vollendete Erzählung ist Der Kanarienvogel. Nach Stationen in Bandol, San Remo, Menton und Montana-sur-Sierre wohnte sie nun im sechsten Stock des Victoria Palace Hotel in der Rue Blaise Desgoffe in Paris, wo sie vergeblich auf neue Kräfte hoffte. Aus ihrem Zimmer blickte sie auf die Fenster gegenüber. Die Frau … hat einen Weidenkäfig voller Kanarienvögel. Wie kann man die Schönheit ihres flinken kleinen Lieds in Worte fassen, das, wie es scheint, direkt aus dem Gemäuer aufsteigt? Ich frage mich, wovon sie wohl träumen, wenn sie am Abend zugedeckt werden, und was ihr hastiges Flattern bedeutet… Ich denke, meine Geschichte für Dich wird von Kanarienvögeln handeln. Der große Käfig mir gegenüber hat mich absolut fasziniert. Ich denke & denke über sie nach – über ihre Gefühle, ihre Träume, über das Leben, das sie hatten, bevor man sie einfing … Worte können die Schönheit des hohen, schrillen kleinen Lieds nicht beschreiben, das direkt aus dem Gemäuer aufsteigt … Sie identifiziert sich mit den Vögeln und macht schließlich ihren Frieden mit dem Gefängnis der menschlichen Existenz und mit der Unabwendbar-

keit des Todes. In einem letzten Brief schreibt sie: Aber die Wahrheit ist wohl, dass manche Menschen eingesperrt und andere frei sind. Man tut besser daran, sich mit seinem Käfig abzufinden und nichts weiter darüber zu sagen. Ich kann es – ich will es. Und ich finde es wirklich unverzeihlich, wenn man seine Freunde mit einem ›Ich kann nicht raus‹ langweilt. Sie stirbt am 9. Januar 1923 im französischen Fontainebleau, gerade einmal vierunddreißig Jahre alt. Die Sammlung Das Gartenfest und andere Geschichten erschien wenige Wochen nach ihrem Tod. Mehr als jedes andere ihrer Werke besiegelte es ihren Ruhm als Neuerin, als literarische Impressionistin, als eine der Ersten, die die tranche de vie-Technik in die englische Literatur einführten, eine Meisterin der Darstellung wundersamer Erscheinungen im Alltäglichen. Was kann man auch tun, wenn man dreißig ist und an der eigenen Straßenecke plötzlich von einem Glücksgefühl, von einem Gefühl reinen Glücks überwältigt wird …

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Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié

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Tagebuch

Katherine Mansfield

Alles ist gut Einige Seiten aus meinem Tagebuch. Sie sollen dir keinen Kummer bereiten. Diese Geschichte nimmt ein glückliches Ende – wirklich und wahrhaftig.

14.10.1922 Heute Morgen habe ich nachgedacht. Ich glaube, dass ich die Dinge klarer sehe, wenn ich versuche aufzuschreiben … wo ich stehe. Seit ich wieder in Paris bin, bin ich so krank wie nie zuvor. Gestern dachte ich gar, ich müsse sterben. Das ist keine Einbildung. Mein Herz ist so furchtbar müde, wie zusammengeschnürt, dass ich es kaum weiter schaffe als bis zum Taxi und wieder zurück. Ich stehe mittags auf und gehe um halb sechs wieder zu Bett. Ich versuche »zu arbeiten«, sporadisch, aber die Zeit dafür ist vorbei. Ich kann nicht arbeiten. Seit April habe ich eigentlich nichts mehr getan. Warum? Manoukhins Behandlung hat zwar eine positive Wirkung auf meine Blutwerte, mein Aussehen, meine Lungen, aber meinem Herzen geht es keinen Deut besser. Und die »Verbesserung« meines Zustands verdanke ich wohl hauptsächlich dem Umstand, 60

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dass ich hier im Victoria Palace Hotel das Leben einer Leiche führe. Mein Geist ist beinah verbraucht. Mein Lebensquell führt nur noch so viel Wasser mit sich, dass er nicht ganz versiegt. Fast alles an meinem verbesserten Zustand ist Schein, Komödie. Wozu? Kann ich gehen? Nur kriechen.

Ich kann meine Seele genauso wenig heilen wie meinen Körper. Ja, meine Seele noch viel weniger. Kann ich irgendetwas tun, mit meinen Händen, meinem Körper. Gar nichts. Ich bin hoffnungslos krank. Was ist mein Leben? Das Dasein eines Parasiten. Fünf Jahre sind vergangen, und meine Fesseln sind enger denn je. Ach, jetzt, da ich schreibe, bin ich schon etwas ruhiger. Gott sei Dank kann ich schreiben. Ich habe schreckliche Angst vor dem, was ich tun werde. Alle Stimmen der Vergangenheit beschwören mich, es nicht zu tun. Bogey

sagt, Manoukhin sei ein Wissenschaftler. Er tue seinen Teil. Nun müsse ich meinen Teil beitragen. Aber, was soll das heißen? Ich kann meine Seele genauso wenig heilen wie meinen Körper. Ja, meine Seele noch viel weniger. Und ist nicht Bogey selbst, obwohl munter und bei bester Gesundheit, oft deprimiert wegen ein paar Furunkeln im Nacken. Fünf Jahre im Gefängnis. Jemand muss mir helfen, auszubrechen. Wenn das ein Ausdruck von Schwäche ist, dann ist es eben so. Nur wer einfallslos ist, nennt es Schwäche. Ich bin hilflos. Aber wer wird mir helfen? Damals in der Schweiz hat er gesagt: »Ich bin hilflos.« Natürlich ist er das. Ein Gefangener kann nicht einem anderen helfen. Ob ich an die Medizin als Allheilmittel glaube. Nein. Niemals. An die Wissenschaft? Nein. Niemals. Die Vorstellung, man könne geheilt werden wie eine Kuh, selbst wenn man keine Kuh ist, ist naiv und lächerlich. In all den Jahren hier habe ich jemanden gesucht, der ebenfalls dieser Überzeugung ist. Gurdjieff scheint meine Mei-

Foto: © Private Collection / Roger Viollet, Paris / The Bridgeman Art Library

Die Schriftstellerin ist schwerkrank, die Tuberkulose zehrt an ihren Kräften: Etliche Therapien hat sie schon hinter sich, die letzte bei dem Esoteriker Gurdjieff steht ihr noch bevor. Drei Monate später stirbt sie in seinem »Institut« in Fontainebleau. Diese Zeilen aus ihrem Tagebuch, die von ihrem Leid, aber auch von ihrem Lebenswillen erzählen, will sie ihrem Mann schicken, dem Schriftsteller John Middleton Murry (›Bogey‹) – sie erreichen ihn erst nach ihrem Tod.


nung zu teilen, ja, von diesen Dingen unendlich mehr zu wissen als ich. Warum also zögern? Aus Angst. Angst wovor? Davor, Bogey zu verlieren? Vermutlich. Um Himmels willen, stell dich den Dingen. Was hast du jetzt von ihm? Was ist eure Beziehung? Er spricht mit dir – manchmal –, dann geht er wieder fort. Seine Gedanken für dich sind zärtlich. Er träumt von einem Leben mit dir – irgendwann –, wenn das Wunder geschehen ist. Du bist ein Traum, aber keine Realität für ihn. Denn du bist keine Realität. Was teilt ihr miteinander? Beinahe nichts. Und doch ist da ein süßer, tiefer Strom in meinem Herzen aus Liebe und Sehnsucht nach ihm. Aber wozu das alles – so wie die Dinge stehen? Ein Leben mit mir, die ich krank bin, wäre schlicht eine Qual, mit einigen wenigen glücklichen Momenten. Das ist kein Leben. Seit ich krank bin, versuche ich vor ihm zu verbergen, was wirklich mit mir passiert (mit ein, zwei desaströsen Ausnahmen). Ich hätte ihn damit konfrontieren sollen. Ich konnte es nicht. Und deswegen kennt er mich nicht. Er kennt nur die Wig [Murrys Spitzname für Mansfield], der es irgendwann schon besser gehen wird. Nein. Du weißt genau, dass ihr, Bogey und du, nur ein Traum seid, von dem, was sein könnte. Und es kann niemals, niemals Wirklichkeit sein, wenn du nicht gesund wirst. Und du wirst nicht gesund werden, indem du dir Dinge vorstellst oder auf sie wartest oder denkst, du könntest selbst das Wunder zustande bringen. Wenn dir also der Großlama von Tibet Hilfe verspricht – wie kannst du da zögern? Wage etwas! Wage alles! Kümmere dich nicht mehr um die Meinung anderer. Tu, was auf Erden das Schwerste für dich ist. Handle eigenständig. Stell dich der Wahrheit. Es stimmt wohl, Čechov hat es nicht getan. Ja, aber Čechov ist tot. Und, um ehrlich zu ein, wie viel wissen wir denn aus seinen Briefen von ihm? War das wirklich alles? Natürlich nicht. Glaubst du wirklich, er hatte keine Sehnsüchte, nur weil er sie kaum je mit einem Wort erwähnt? Dann lies die letzten Briefe. Diese letzten Briefe sind schrecklich,

wenn man sie ohne Sentimentalität betrachtet. Er hat alle Hoffnung aufgegeben. Da gibt es keinen Čechov mehr. Die Krankheit hat ihn verschlungen. Das mag unsinnig für all jene klingen, die nicht krank sind. Sie sind diesen Weg nie gegangen. Wie könnten sie verstehen, wo ich stehe? Ein Grund mehr, mutig alleine weiterzugehen. Das Leben ist nicht einfach. Obwohl wir alle immerzu vom Mysterium des Lebens reden, wünschen wir uns doch, es möge ein Kindermärchen sein. Nun also, Katherine, was meinst du mit Gesundheit? Und wozu brauchst du sie?

Ich wünsche mir einen Garten, ein kleines Haus, eine Wiese, Tiere, Bücher, Bilder, Musik. Und aus alldem heraus möchte ich schreiben. Antwort: Unter Gesundheit verstehe ich die Fähigkeit, ein erfülltes, erwachsenes, lebendig-atmendes Leben zu führen, eng verbunden, mit dem, was ich liebe – der Erde und ihren Wundern, dem Meer, der Sonne. All dem, was wir meinen, wenn wir von der äußeren Welt sprechen. Ich will in sie eingehen, ein Teil von ihr sein, in ihr leben, von ihr lernen, alles abstreifen, das nur angenommen, oberflächlich an mir ist, um ein waches, offenes menschliches Wesen zu sein. Ich möchte die anderen verstehen, indem ich mich selber verstehen lerne. Ich möchte all das sein, dessen ich fähig bin, damit ich (und hier halte ich inne und warte und warte, vergeblich – es gibt dafür nur einen Ausdruck) ein Kind der Sonne werde. Es ist falsch, darüber zu reden, dass man anderen helfen will, ein Licht vorantragen möchte. Ein Kind der Sonne. Damit ist genug gesagt. Und ich möchte arbeiten. Woran? Ich wünsche mir so sehr, mit meinen Händen, meinen Gefühlen, meinem Verstand zu arbeiten. Ich wünsche mir einen Garten, ein kleines Haus, eine Wiese, Tiere, Bücher, Bilder, Musik. Und aus alldem heraus – als Ausdruck

all dessen – möchte ich schreiben. (Selbst wenn ich dann über Taxifahrer schreibe. Das tut nichts zur Sache.) Warmes, hingebungsvolles Leben – ganz im Leben verwurzelt sein –, lernen, wissen wollen, fühlen, handeln. Das wünsche ich mir. Nichts weniger als das. Danach muss ich streben. Ich habe dies für mich geschrieben. Jetzt wage ich, es Bogey zu schicken. Er kann damit tun, was er möchte. Er muss sehen, wie sehr ich ihn liebe. Und wenn ich sage, dass ich Angst habe, soll dir das keinen Kummer bereiten, Liebster. Wir alle haben Angst in Warteräumen. Wir müssen sie hinter uns lassen, und wenn der andere Ruhe bewahrt, ist das Hilfe genug. All das klingt sehr angestrengt und ernsthaft. Aber jetzt, da ich es durchkämpft habe, empfinde ich es nicht mehr so. Ich bin glücklich – tief im Innersten. Mögest auch du glücklich sein. Am Montag fahre ich nach Fontainebleau. Dienstagabend oder Mittwoch in der Früh bin ich wieder zurück. Alles ist gut.

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Aus dem Englischen von Cornelia Künne

Buchtipp

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Vordergründig passiert nicht viel in den hier versammelten Geschichten, die Mansfield in den letzten Jahren ihres Lebens geschrieben hat und die zum Besten gehören, was in diesem Genre je erreicht wurde. Und doch erzählen sie in einem scheinbar beiläufigen Ton zartester Heiterkeit, vom Drama des Lebens: von heftiger Liebe, die jäh enttäuscht wird, vom Glück und seiner Flüchtigkeit, von der Vereinzelung des Menschen.

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DOSSIER

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25 AKT

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Wer großzü gig ist, bekommt mehr

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Erzählung

Katherine Mansfield

Der Kanarienvogel

Illustration: © Tomi Ungerer

Wie ein kleiner Vogel im Käfig habe sie sich gefühlt, als sie ihre letzte Geschichte, eine Hommage an Flauberts Schlichtes Herz, schrieb, sagte Katherine Mansfield einmal. Und doch ist die Geschichte einer alten Frau, die das einzige Wesen, das sie je geliebt hat, betrauert, frei von Bitterkeit. Denn tief in ihrem Herzen, so Mansfield, habe es gesungen. … Sehen Sie den großen Nagel rechts von der Haustür? Selbst jetzt noch mag ich kaum hinschauen, doch bring’ ich’s nicht über mich, ihn rauszuziehen! Ich möchte gern denken, dass er immer dort bliebe, auch wenn ich nicht mehr da bin. Manchmal hör’ ich, wie die Leute, die nach mir hier wohnen, zuein­ander sagen: »Dort muss mal ein Käfig gehangen haben!« Und das tröstet mich; dann denke ich, er ist nicht ganz vergessen. … Sie können sich nicht vorstellen, wie wunderschön er sang! Gar nicht wie andere Kanarienvögel. Und das bilde ich mir nicht etwa bloß ein. Vom Fenster aus habe ich oft gesehen, wie die Leute an der Gartenpforte stehen blieben, um ihm zuzuhören, oder wie sie sich beim Jasmin über den Zaun lehnten und eine ganze Zeit lang zuhörten, so hingerissen waren sie. Wahrscheinlich kommt es Ihnen verrückt vor – aber nicht, wenn Sie ihn gehört hätten –, doch mir schien es wirklich immer, dass er ganze Lieder sang – mit einem Anfang und einem Ende. Wenn ich zum Beispiel am Nachmittag mit meiner Hausarbeit fertig

war und eine andre Bluse angezogen hatte und meine Näharbeit hier auf die Veranda brachte, dann hüpfte er immer hopp-hopp-hopp von einer Stange auf die andre, klopfte gegen die Gitterstäbe, wie um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, nippte einen Schluck Wasser wie jeder Sänger und stimmte dann ein so herrliches Lied an, dass ich

Vielleicht kommt es nicht so sehr darauf an, was man in dieser Welt liebt. Aber etwas lieben muss man. die Nadel sinken lassen musste, um ihm zuzuhören. Ich kann’s nicht beschreiben – ich wollte, ich könnt’s. Dabei ging’s jeden Nachmittag so, und immer war mir, als hätte ich jeden Ton verstanden. … Ich habe ihn geliebt! Und wie ich ihn geliebt habe! Vielleicht kommt es nicht so sehr darauf an, was man in dieser Welt liebt. Aber etwas lieben muss man. Natürlich hatte ich immer mein

kleines Haus und den Garten, aber aus irgendeinem Grund genügte mir das nicht. Blumen haben ihre eigene, wundervolle Sprache, aber Mitgefühl kennen sie nicht. Den Abendstern – den hab’ ich geliebt. Klingt Ihnen das töricht? Nach Sonnenuntergang bin ich immer in den Hof gegangen und hab’ auf ihn gewartet, bis er über dem dunklen Eukalyptus aufgegangen ist. Dann hab’ ich geflüstert: »Da bist du also, mein Guter!« Und genau in jenem ersten Moment schien er für mich allein zu leuchten. Er schien zu verstehen, was mich bewegte – etwas, was wie Sehnsucht und doch keine Sehnsucht war. Vielleicht Trauer – ja, eher wie Trauer. Aber weshalb denn Trauer? Es gibt vieles in meinem Leben, wofür ich dankbar sein muss. … Doch nachdem er in mein Leben gekommen war, vergaß ich den Abendstern. Ich brauchte ihn nicht mehr. Aber es war sonderbar. Als der Chinese, der immer an die Tür kommt und Vögel verkaufen will, ihn in seinem kleinen Käfig hochhielt, flatterte er nicht ängstlich herum, wie die armen Diogenes Magazin

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kleinen Stieglitze, sondern er piepste nur einmal ganz leise, und ich – genau wie ich’s dem Stern über dem Eukalyptus immer zugeflüstert hatte – sagte: »Da bist du also, mein Guter!« Von dem Augenblick an war er mein. … Selbst in der Erinnerung wundert es mich, wie er und ich miteinander lebten. Sowie ich frühmorgens nach unten kam und das Tuch von seinem Käfig zog, begrüßte er mich mit einem schläfrigen kleinen Ton. Ich wusste, er meinte: ›Missie! Missie!‹ Dann hängte ich seinen Käfig draußen an den Nagel und machte für meine drei jungen Burschen das Frühstück zurecht, und ich holte ihn erst wieder herein, wenn wir das Haus ganz für uns allein hatten. Nachdem ich das Geschirr abgewaschen hatte, begann eine richtige kleine Vorstellung. Ich breitete auf der einen Tischecke eine Zeitung aus, und sowie ich den Käfig draufstellte, schlug er wie ein Verzweifelter mit den Flügeln, als wüsste er nicht, was käme. »Du bist ein richtiger kleiner Komödiant!«, schalt ich dann. Ich schrubbte den Einsatz, streute frischen Sand drüber, füllte seine Körner- und Futternäpfchen und klemmte etwas Vogelmiere und eine halbe Paprikaschote zwischen die Stäbe. Und ich bin ganz sicher, dass er jede Einzelheit dieser kleinen Prozedur begriff und schätzte. Er war nämlich von Natur überaus reinlich. Nie hat er seine Stange bekleckert. Und man musste nur sehen, wie er sein Bad genoss – dann wusste man sofort, dass er einen geradezu leidenschaftlichen Sauberkeitsfimmel hatte. Sein Bädchen kam immer zuletzt hinein. Und kaum hing es drin, da stürzte er sich förmlich hinein. Zuerst spreizte er den einen Flügel, dann den andern, dann tauchte er den Kopf ein und besprengte seine Brustfedern. Er hatte die ganze Küche voll Wassertropfen gespritzt, aber er wollte noch immer nicht heraus. Meistens sagte ich zu ihm: »Das genügt jetzt wirklich – du spielst dich nur auf!« Und endlich hüpfte er heraus, und auf einem Bein stehend, begann er sich trocken zu zupfen. Schließlich schüttelte er sich noch einmal, wippte und piepste und reckte die Kehle – oh, ich kann’s kaum ertragen, daran zu denken. Es war immer die Zeit, in der ich die Mes64

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ser putzte, und es schien mir fast, als sängen auch die Messer, wenn ich sie auf dem Brett blank rieb. … Gesellschaft, verstehen Sie – das bedeutete er für mich. Eine einzigartige Gesellschaft! Wenn Sie allein gelebt haben, werden Sie einsehen, wie kostbar so etwas ist. Ich hatte natürlich meine drei jungen Burschen, die abends zum Essen kamen, und manchmal blieben sie hinterher im Esszimmer und lasen die Zeitung. Aber ich konnte nicht von ihnen erwarten, dass sie sich für die hunderterlei Kleinigkeiten interessierten, die zu meinem Alltag gehörten. Warum auch? Ich bedeutete ihnen ja nichts. Eines Abends hörte ich sogar, wie sie auf der Treppe von mir als ›Vogelscheuche‹ sprachen. Macht nichts. Es machte mir nichts aus.

Gesellschaft, verstehen Sie – das bedeutete er für mich. Eine einzigartige Gesellschaft. Nicht ein bisschen. Ich versteh’s gut. Sie sind jung. Warum sollte ich’s übelnehmen? Aber ich erinnere mich, dass ich an jenem Abend besonders dankbar war, nicht ganz allein zu sein. Nachdem sie weggegangen waren, hab’ ich’s ihm erzählt. Hab’ zu ihm gesagt: »Weißt du, wie sie deine Missie nennen?« Und er hat seinen Kopf auf die Seite gelegt und mich mit seinen glänzenden Äuglein angeschaut, bis ich lachen musste. Ihm schien es Spaß zu machen. … Haben Sie sich je Vögel gehalten? Wenn nicht, dann muss Ihnen das alles vielleicht übertrieben vorkommen. Die Leute glauben immer, Vögel seien herzlos und kalt – nicht wie Hunde und Katzen. Meine Waschfrau, wenn die montags kam, wunderte sich, weshalb ich mir keinen ›netten Foxterrier‹ hielte, und sagte: »Ein Kanarienvogel kann einen doch nicht trösten, Miss!« Stimmt nicht. Stimmt überhaupt nicht! Ich kann mich an eine Nacht erinnern: Ich hatte einen furchtbaren Traum gehabt – Träume können schrecklich

grausam sein –, und noch, nachdem ich wach war, konnte ich ihn nicht abschütteln. Daher zog ich mir meinen Morgenrock über und bin in die Küche hinunter, ein Glas Wasser trinken. Es war eine Winternacht, und es regnete sehr. Vermutlich war ich noch halb im Schlaf, denn mir schien es, dass durchs Küchenfenster – es hatte keine Stores – die Finsternis hereinspähte und spionierte. Da fand ich es auf einmal unerträglich, dass ich niemanden hatte, dem ich hätte sagen können: »Mir hat was Furchtbares geträumt!« oder »Steh mir bei vor der Finsternis!« Eine Minute hab’ ich sogar die Hände vors Gesicht geschlagen. Und plötzlich hör’ ich ein kleines ›Piep! Piep!‹. Sein Käfig stand auf dem Tisch, und das Tuch war ein bisschen verrutscht, so dass ein Lichtspalt in den Käfig fiel. ›Piep! Piep!‹, sagte das liebe Kerlchen noch mal ganz leise, als wollt’s mir sagen: ›Ich bin hier, Missie! Ich bin hier!‹ Und das hat mich so wunderbar getröstet, dass ich beinah geweint hätte. … Und jetzt ist er nicht mehr da. Nie wieder will ich mir einen Vogel halten, auch kein andres Tier. Wie könnte ich wohl? Als ich ihn fand, wie er mit matten Augen und verkrampften Krällchen auf dem Rücken lag, und als ich begriff, dass mein kleiner Liebling nie wieder für mich singen würde, da war mir, als würde etwas in mir sterben. Mein Herz war ausgeleert, leer wie sein Käfig. Ich werd’s verwinden. Natürlich. Ich muss ja. Mit der Zeit kann man alles verwinden. Und die Leute sagen immer, ich hätt’ eine fröhliche Gemütsart. Da haben sie ganz recht. Dafür bin ich Gott dankbar. … Immerhin, auch ohne krankhaftes Grübeln und Nichtloskommen von – von Erinnerungen und dergleichen muss ich doch gestehen, dass das Leben was Trauriges zu haben scheint, finde ich. Es ist schwer zu sagen, was es eigentlich ist. Ich meine nicht den Kummer, den wir alle kennen: Krankheit und Armut und Sterben. Nein, es ist etwas anderes. Es ist da – tief innen ist es, ein Teil von einem selber – wie der eigene Atem. Und wenn ich mich noch so sehr abrackere und plage – sowie ich aufhöre mit der Arbeit, weiß ich, dass es da ist und wartet. Ich frage


mich oft, ob alle Menschen das spüren. Man weiß ja nie. Aber ist es nicht seltsam, dass in all seinen fröhlichen kleinen Liedern es gerade das war – diese Trauer – oder was sonst –, was ich gehört habe? Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack

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Diese Ausgabe versammelt 74 Erzäh­ lungen der Neuseeländerin, angefangen bei den frühen satirisch-scharfen Porträts, die auf Mansfields eigenen bitteren Erlebnissen in einem deutschen Kurort basieren, bis hin zu den berühmten, in Neuseeland und England angesiedelten Charakter- und Genre­ studien (Glück, An der Bucht, Das Gartenfest, Der Kanarienvogel).

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Weshalb ist Freundschaft so selten? Weil es, unter dem harten Gesetz des Wettbewerbs, Kraftverschwendung ist, im Nebenmenschen etwas anderes Wo Augen und Ohren übersatt sind, zu sehen als einen Konkurrenten oder hat das Gehirn nie Hunger. einen Alliierten. So ist ›Freundschaft‹ meistens: Spießgesellenschaft. Es liegt im Wesen des Akademischen, nur das Tote zu berücksichtigen; ganz Viele Rezensenten können schreiben, sicher ist man nur dessen, was sich aber nicht lesen. nicht mehr rühren kann. Hinknien ist noch kein Beweis – weDie Vernunft macht immer heller, in der für einen Gott noch für einen welchem Dunkel wir leben. Gläubigen; nur dafür, dass einer nicht mehr stehen kann. Widersprüche sind kein Einwand gegen einen Menschen. Das Wort Indi- Z – A gibt es nicht. Die Letzten werviduum meint nur: Unteilbarkeit, den nie die Ersten sein. nicht: Harmonie der Teile.


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ALPINE LEBENSART Diogenes Magazin

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Literarisches Kochen

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»Hier, Cookie«, hatte May gesagt. »Honig für deinen Pizzateig.« »Ich hab’s mir anders überlegt«, hatte er zu ihr gesagt, doch in Wirklichkeit tat er keinen Honig in den Teig, weil er May die Genugtuung nicht gönnte. In der Küche des Vicino a Napoli hatte Paul Polcari ihm als Erstes sein Rezept für Pizzateig gezeigt. Außer Mehl, Wasser und Hefe hatte Nunzi immer ein wenig Olivenöl in den Teig gegeben, höchstens ein, zwei Esslöffel pro Pizza. Paul hatte dem Koch beigebracht, etwa genauso viel Honig wie Öl hinzuzufügen. Das Öl machte den Teig seidig-glatt – wenn die Kruste dünn war, konnte man sie backen, ohne dass sie trocken und spröde wurde. Der Honig – wie er beinahe selbst herausgefunden hätte – verlieh der Kruste einen leicht süßlichen Beigeschmack, ohne dass man den Honig herausgeschmeckt hätte. Tony Angel setzte selten einen Pizzateig an, ohne daran denken zu müssen, wie er beinahe selbst auf den Honig als Zutat ­seines Rezepts gekommen war. An die dicke Dot und die noch dickere May hatte er schon seit Jahren nicht mehr gedacht. An jenem Morgen, als er in seiner Küche in Brattleboro an sie dachte, war er neunundfünfzig. Wie alt mochten die alten Zicken wohl sein?, fragte er sich. Bestimmt über sechzig.

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Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog

Foto: © NN

orgens, wenn er seinen Pizzateig zubereitete, hörte der Koch gern Radio. Nunzi hatte ihm beigebracht, einen Pizzateig immer zweimal gehen zu lassen, was eine alberne Angewohnheit sein mochte, die er aber beibehielt. Paul Polcari, ein hervorragender Pizzabäcker, hatte Tony Angel erzählt, zweimal sei besser als einmal, das zweite Mal sei aber nicht unbedingt notwendig. In der Küche des Kochhauses in Twisted River hatte dem Pizzateig des Kochs eine Zutat gefehlt, die er inzwischen für unerlässlich hielt. Vor langer Zeit hatte er den Sägewerksarbeiterfrauen – Dot und May, diesen alten Zimtzicken – gesagt, die Kruste könnte schon ein wenig süßer sein. Dot (diejenige, die ihn durch einen Trick dazu gebracht hatte, sie zu begrapschen) sagte: »Du spinnst, Cookie – du machst den besten Pizzateig, den ich je gegessen habe.« »Vielleicht muss ein wenig Honig hinein«, hatte ihr der Koch entgegnet. Allerdings hatte er gerade keinen Honig mehr, weshalb er stattdessen ein wenig Ahornsirup hineintat. Was keine gute Idee war – man schmeckte den Ahorn durch. Dann hatte er die Idee mit dem Honig vergessen, bis May ihn daran erinnerte. Als sie ihm das Honigglas reichte, hatte sie ihn absichtlich mit ihrer dicken Hüfte angerempelt. Der Koch hatte May ihre Bemerkung über IndianerJane nie verziehen – als sie sagte, sie und Dot seien nicht »indianisch genug« für ihn.

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Pizzateig mit Honig à la John Irving

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Zutaten für 2 – 3 Personen: – 275 g griffiges Mehl – ½ Würfel frische Hefe (ca. 20 g) – 125 ml lauwarmes Wasser – 2 TL flüssiger Honig – 2 gestrichene TL Salz – 1 EL Olivenöl – Mehl für die Arbeitsfläche – Fett für das Blech

Zubereitung ssel oder auf eine Das Mehl in eine Schü d in die Mitte Arbeitsfläche geben un Hefe einbröckeln eine Mulde drücken. ßen. Den Honig und das Wasser dazugie d alles mit den in die Mulde geben un lz und Olivenöl Fingern vermengen. Sa em glatten Teig dazu­geben, alles zu ein r bemehlten verarbeiten. Teig auf de kräftig mit den Arbeitsfläche 5 Minuten Pizzateig wieder in Händen kneten. Den d mit etwas Mehl die Schüssel geben un feuchten Tuch bestäuben. Mit einem inuten an einem abgedeckt etwa 40 M sen. warmen Ort gehen las luft vor­heizen. Den Ofen auf 225°C Um mehlten Arbeits­ Den Teig auf einer be . Auf ein gefettetes fläche dünn aus­rollen mit einer Gabel Pizza­blech geben und nn nach Wunsch Löcher einstechen. Da n Ofen ca. 12 Minubelegen und im heiße ten knusprig backen.

Foto: © rimglow – Fotolia.com

Teig in ein Tipp: Den abgedeckten fülltes Wasch­ mit heißem Wasser ge becken stellen.

Diogenes Taschenbuch detebe 24099, 736 Seiten Auch als Diogenes E-Book Von der Sehnsucht und der Flüchtigkeit des Glücks. Die Odyssee eines Kochs und seines Sohns durch New Hampshire und halb Amerika, ausgelöst durch eine tragische Verwechslung. Die Geschichte einer großen Liebe und vieler kleiner. »Man liest mit Wonne und fühlt sich rätselhaft getröstet.« Annemarie Stoltenberg / NDR, Hannover

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Im nächsten Magazin: Kochen mit dem kleinen Nick Diogenes Magazin

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Interview

Ein Gespräch mit Ingrid Noll

Über Bord

Foto: privat

Spätestens seit Agatha Christies Krimi Tod auf dem Nil wissen wir: Auf Schiffen lässt es sich gar prächtig morden. Und auch in Ingrid Nolls neuem hinterhältigem Familienroman Über Bord bildet ein Kreuzfahrtschiff die Kulisse für ein Verbrechen. Die Schriftstellerin hat Erfahrung mit dem Reisen zu Wasser. Wie sie die Zeit an Bord verbringt, erzählt sie in diesem Interview. Diogenes Magazin: Wann haben Sie Ihre erste Kreuzfahrt gemacht, und welche Erinnerungen haben Sie daran? Im Jahr 2000 wurden mein Mann und ich zum ersten Mal zu einer noblen Kreuzfahrt eingeladen; wir haben inter­ essante Menschen kennengelernt, auch Kollegen und Künstler sowie sehr nettes Personal. Unter anderem besuchten wir englische Gärten, irische Pubs, schottische Schlösser und viele Inseln. Skara Brae, eine steinzeitliche Siedlung auf Orkney, hat mich besonders beeindruckt. Wie viele Kreuzfahrten folgten danach? Insgesamt waren es sechs, durch das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee und das Schwarze Meer. Reykjavík und Odessa, Istanbul und Lissabon, St. Petersburg und Venedig, St. Tropez und Trondheim, Monte Carlo und Marseille, Barcelona und Brügge, Korfu

und Korsika, Tallinn und Constanza, norwegische Fjorde, Palmenstrände an der Riviera, Eisberge vor Spitzbergen und noch vieles mehr habe ich auf diese Weise ganz bequem besichtigen und erleben können.

Es gibt immer ein paar Snobs und Querulanten, aber die Mehrheit besteht aus angenehmen Zeitgenossen. Wie unterscheidet sich eine Lesung an Bord von einer in einer Buchhandlung oder in einem Theater? Nun, zu einer Lesung an Land kommen die Fans. Touristen, die sich auf eine Kreuzfahrt begeben, haben natürlich nicht meinetwegen gebucht, deswegen kann niemand erwarten, dass alle Passagiere zur Lesung strömen.

Andererseits gewinnt man ein ganz neues Publikum, denn Vorträge und Lesungen finden nur an den Seetagen statt, wenn die Gäste Zeit und Lust dafür haben. Zu Hause wäre vielleicht mancher zu bequem, das gemütliche Sofa zu verlassen. In Ihrem neuen Roman präsentieren Sie eine wundervolle verschrobene Kreuz­ fahrtgesellschaft – neben den Hunde­psychiatern Valerie und Ansgar, die einen depressiven Hund per Seebestattung beisetzen, sind da auch noch der Glitzermann, die Außerirdische, das rote Toupet und Dicky, das Kind. Werden sich einige Ihrer ehemaligen Mitpassagiere wiedererkennen? Falls ja, dann ist das ebenso wenig beabsichtigt wie in meinen anderen Büchern, und bis jetzt hat sich noch nie jemand beschwert. Mit Sicherheit gibt es auf jedem Schiff auch ein paar Snobs, Querulanten oder Nervensägen, aber Diogenes Magazin

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Die Seekrankheit, vor allem nach einem vorzüglichen Diner. Was das Spannendste? Und was das Langweiligste? Die Häfen sind für eine Landratte wie mich das Größte. Langweilig, aber notwendig, finde ich die obligaten Rettungsübungen.

Buchtipps

336 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06832-0 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Neues von der Grande Dame des deutschen Krimis – ein Familienroman mit Risiken und Nebenwirkungen. Eine marode Villa, Geldsorgen, eine betagte Mutter, eine Tochter mit unpassendem Freund, eine langweilige, schlechtbezahlte Stelle – so sieht Ellens trister Alltag aus. Da taucht ein gutaussehender Mann auf und behauptet, ihr Halbbruder zu sein. Die Einladung zu einer MittelmeerKreuzfahrt erscheint Ellen als Höhe­ punkt ihres Lebens. Doch auf hoher See geht nicht nur die Illusion einer letzten großen Liebe über Bord …

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Diogenes Magazin

Sie hatten Ihren Roman bereits fertig geschrieben, als das Unglück der Costa Concordia geschah – hätten Sie das Buch sonst anders geschrieben? Nein, denn auf keiner meiner Reisen ist es bisher zu einer gefährlichen Situation gekommen. Ein berühmtes Buch von David Foster Wallace, in dem er eine selbst erlebte Kreuzfahrt beschreibt, heißt Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. Gilt das auch für Sie? Ich hatte das Glück, auf kleinen feinen Schiffen unterwegs zu sein, wo es die ständige Belästigung durch einen fragwürdigen Amüsierbetrieb niemals gab. Einen gigantischen Kahn mit Disko und Entertainment bis zum Umfallen möchte ich auf keinen Fall entern. Denken Sie, dass Sie mit Über Bord wieder zu einer Lesung auf einem Schiff eingeladen werden? Schon passiert, im nächsten Sommer ist es wieder so weit. kam

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400 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06827-6

Diogenes Taschenbuch detebe 23796, 384 Seiten

Majestätische Luxusliner, fremde Länder, elegante Kapitäns-Dinners, spannende Bordbekanntschaften oder Landausflüge: Wer eine Kreuzfahrt macht, der kann was erleben – und erzählen. Wie es weitgereiste Schrift­ steller in diesem Buch tun, von F. Scott Fitzgerald, John Updike und David Foster Wallace bis Jonathan Franzen. Die ideale Lektüre für angenehme Stunden in der Schiffsbibliothek oder im Liegestuhl auf dem Oberdeck, als Einstimmung vor der Einschiffung, aber auch für alle, die lieber nur im Kopf reisen.

Jedes Jahr schließt Miss Reid im Winter ihre Teestube in einem berühmten englischen Erholungsort und geht auf Winterkreuzfahrt. Diesmal reist sie auf der ›Friedrich Weber‹, einem Fracht­ schiff, das auch einige Passagiere mitnimmt, und das Ziel ist Cartagena. Die geschwätzige Engländerin ist nach einer Weile die einzige Frau an Bord. »›Ich akzeptierte jede Erfahrung, die ich unterwegs machte‹, sagte der unermüd­ liche Reisende. Seine Erzählungen geben Mut, ebenso durchs Leben zu gehen.« Die Weltwoche, Zürich

Illustration: © Loriot

die Mehrheit besteht aus angenehmen Zeitgenossen. Für Schriftsteller sind natürlich spleenige Exzentriker ein gefundenes Fressen, aber die Passagiere in Über Bord entspringen durchweg meiner überbordenden Phantasie. Im Übrigen heißt das edle, aber fiktive Schiff im Roman RENA nach jenem Flüchtlingsdampfer, auf dem unsere Familie 1949 von Shanghai nach Europa gelangte, einem Seelenverkäufer ohne jeglichen Komfort. Ist ein Kreuzfahrtschiff eigentlich ein guter Ort für einen Mord? Und ob! Mehr noch als ein Kuhstall, ein Lehrerzimmer oder der Großstadtdschungel ist die weite Welt voll günstiger Gelegenheiten. Ein Schiff hat darüber hinaus den Vorteil, dass unliebsame Mitmenschen auf hoher See nicht entrinnen können und man sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen kann. Was ist das Gefährlichste an einer Kreuzfahrt?


Weitaus mehr als nur Zahlen:

Die Welt in Zahlen 2012 Das Jahrbuch von brand eins und statista.com 256 Seiten, 22 Euro. Entwicklungen, Rekorde, Statistiken und Trends aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Außerdem: Bundesländer-Special. Alles über Land und Leute, was sich in Zahlen sagen lässt. Erhältlich im Bahnhofsbuchhandel oder auf www.brandeins.de

AM PIANO 19. – 25. November 2012

Leon Fleisher | Nino Gvetadze | Katia und Marielle Labèque | Paul Lewis | András Schiff | Jean-Yves Thibaudet, Chamber Orchestra of Europe, Bernard Haitink | Daniil Trifonov | Varvara

Piano Off-Stage 20. – 25. November 2012 Paolo Alderighi | Jérôme De Carli | Lluís Coloma | Jan Eschke | Marque Lowenthal | Simon Mulligan | Lisa Otey | Johnny Varro | Jon Weber | Robi Weber

www.lucernefestival.ch

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René Goscinny

»Und mit diesen Typen soll ich drei Wochen auskommen?, seufzt innerlich jeder. Ein Kleinkind, in seiner Reaktion spontaner als seine Eltern, verkündet heulend, es will nach Hause, und bezieht als letzte Erinnerung ans Festland seinen ersten Klaps auf der Reise.« René Goscinny erzählt von den tragikomischen Absonderlichkeiten des Lebens auf See und zeigt in Wort und Bild, wie man eine Kreuzfahrt ohne bleibende Schäden an Körper und Geist übersteht.

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Foto: © NN Nach einem Entwurf von IMAV éditions, Paris Illustration:

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig


Foto o. links: © Arthur Schatz / Getty Images; Foto o. rechts: © David Boyer / National Geographic Stock / Getty Images; Foto u. links: © L. Raoult u. A. Reboul; Foto u. rechts: Alle Rechte vorbehalten

»Ein ziemlich trister Verein, diese künftigen Passagiere. Selbst wenn sie einen Luxusdampfer gebucht haben, sehen sie eher aus wie Emigranten, die vor einer Krise fliehen, weil die Kartoffelernte schlecht war.«

Wir legen ab

»Nach Erledigung der Formalitäten bewegt man sich schließlich auf die Gangway zu; ein letzter Moment der Unsicherheit, bevor man festen Boden verlässt: Sind die Koffer auch mitgekommen? Haben wir nichts vergessen? Und dann, nach wenigen Metern, ist man an Bord!«

»Die Wettervorhersage spielt an Bord begreif­ licherweise eine wichtige Rolle und stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Wenn das Schiff schwankt, schwanken alle, die Leute, die sich sonst höchstens flüchtig für das Barometer interessieren (»Liebling, es fällt, soll ich den Regenmantel anziehen?«), reagieren höchst empfindlich auf eine frische Brise, unter der sich der Meeresspiegel kräuselt und der Whisky im Glas zu zittern beginnt.«

Diogenes Magazin

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Litzen und Tressen »Ach ja, die Kommandobrücke! Da kann man den Wachoffizier beobachten, der, seitdem die Besucher auf der Brücke sind, mit dem Fernglas angespannt den Horizont absucht; man kann das Steuer aus der Hand des Steuermanns übernehmen und das Gefühl haben, Herr und Meister über das Schicksal der ganzen schwimmenden Menschenansammlung zu sein.«

»Man darf sich vor keiner Schmeichelei scheuen, um sich das Wohlwollen des Zahlmeisters zu sichern. Der Barmann ist die zweitwichtigste Figur; er mixt bei allen wichtigen Dingen an Bord mit, er hat die besten Verbindungen zu allen Zollbeamten der ganzen Welt.«

Bingo

Fotos o.: © Archives Anne Goscinny; Fotos u: © Collections Association French Lines

»Deckspiele sind, wie der Name schon sagt, nur an Bord möglich, denn für diese dümmliche Unterhaltung würde sich an Land niemand interessieren, trotzdem gibt es kein Schiff, das nicht für diese Sorte Spiele komplett ausgerüstet wäre.«

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Frauen und Kinder zuerst

Zweites Foto von o.: © Sasha / Getty Images; Drittes Foto von o.: © Nick Meninger; oberstes und unterstes Foto: © Archives Anne Goscinny

»Die erste Veranstaltung besteht kurioserweise in einer Demonstration, wie man das Schiff im Katastrophenfall verlässt. Die ›Weitgereisten‹ haben sofort beschlossen, an der Übung nicht teilzunehmen; mit ihrem verächtlichen Lächeln wollen sie offenbar andeuten, dass sie im Falle eines Schiffbruchs nicht gewillt sind, sich von der Panik anstecken zu lassen. Im Gegenteil: Man wird die Schwimmweste an eine verängstigte Dame abgeben, man wirft sich in den Smoking, leert das letzte Glas Whisky und singt den Choral Näher mein Gott, zu Dir!.«

»Diese Musiker sind merkwürdig blasse Leute. Sie leben irgendwo in der Tiefe des Schiffes, man sieht sie niemals im Freien und in Zivil. Von großer Bedeutung sind sie im Falle eines Schiffbruchs, denn sie geben dem Vorgang eine gewisse Würde, eine Klasse, die von der Mehrzahl der technischen Medien mit ihren majestätischen Abschiedshymnen nicht erreicht wird.«

Girlanden und Papptrompeten »Der Kapitän ist ein emeritierter Walzerkönig, der Quartiermeister tanzt einen hocherotischen Tango, der Schiffsarzt ist für indonesische Tänze zuständig, und der Maschinenmeister ist Charles­ ton-Fachmann.« »Der Animateur verteilt Papierhüte, Matrosenmützen, Zylinder und Dreispitze, und der Bordfotograf hält die Szenen fest, die morgen am Anschlagbrett, Deck C, neben dem Zahlmeisterbüro zu sehen sind.«

Diogenes Magazin

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Landgänge »Ob mit dem Bus, im Taxi oder auf dem Esel – das Exkursionsprogramm hat ein oder zwei Stunden zur freien Verfügung vorgesehen, damit die Passagiere ihre kleinen Einkäufe tätigen können.«

»Hier zeigt sich übrigens wieder das erstaunliche Zusammengehörigkeitsgefühl der Passagiere, die, wenn sie sich in den Gassen begegnen, voller Freude Wiedersehen feiern und sich gegenseitig ihre Einkäufe zeigen, obwohl sie sich gerade erst getrennt haben.«

Buchtipp

»Ich liebe Schiffsreisen, besonders wenn der Bartresen genauso lang wie das Schiff breit ist (und ich dann auch).« René Goscinny – der Erfinder von Asterix und dem kleinen Nick – beschreibt in seinem Logbuch augenzwinkernd und anhand eigener Erlebnisse die Vergeblichkeit der Alltagsflucht auf einem ›Traumschiff‹ bei einer Ozeanüberquerung. Eine Art Selbsthilfebuch in Wort und Bild für alle Kreuzfahrt-Urlauber und solche, die es noch werden wollen.

»Auf dem Schiff hat sich alles verändert: In den Gängen, vor den Kabinentüren stapeln sich die Gepäckstücke, die von den Trägern aufgenommen werden. Die Liegestühle sind von den Decks verschwunden und damit die eleganten Ruhezonen und die Klatschzirkel, wo Damen und Ordensschwestern vereint über ihre Mitreisenden herzogen. Jetzt balancieren auch die ersten fröstelnden Passagiere über die Gangway. Ein tristes Häufchen. Man kann sich kaum vorstellen, dass sie von einer luxuriösen Kreuzfahrt kommen.« Aus dem Französischen von Hans Georg Lenzen

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Diogenes Magazin

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Fotos: © Archives Anne Goscinny

184 Seiten, Pappband, Vierfarbendruck ISBN 978-3-257-06826-9

Alle Passagiere von Bord!


Diogenes Taschenbuch detebe 24206, 400 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Diogenes Taschenbuch detebe 23276, 672 Seiten Auch als Diogenes E-Book

Die Morde an mehreren Bankern lassen die griechische Finanzwelt erzittern. Die Krise trifft inzwischen jeden, auch die, die sich in Sicherheit wähnten – und Kommissar Charitos steckt mittendrin. Die Krise mit ihren Auswüchsen beschert Kostas Charitos mehr Arbeit und Hektik denn je. Geduld und Sorgfalt wären angesagt, doch dafür hat niemand Zeit. Denn Zeit ist Geld, und Geld gibt’s keins.

Livio ist verliebt in Misia, doch sie liebt Marco, der ihre Gefühle zwar erwidert, doch vor Bindung ebenso zurückscheut, wie er das Establishment fürchtet. Dennoch: Trotz bewegter Zeiten reißen die Bande zwischen den dreien nicht.

Diogenes Taschenbuch detebe 24200, 288 Seiten Auch als Diogenes E-Book Erscheint im November

Die wahre und unglaubliche, aberwitzige und traurige Geschichte von Meir Shalevs Großmutter Tonia und dem Staubsauger, den ihr Schwager ihr aus Amerika geschickt hat. Aufgezeichnet von ihrem schelmischen, liebenden, staunenden Enkel.

Diogenes Taschenbuch detebe 24210, 288 Seiten Erscheint im November

Die besten Storys von Henry Slesar, der die Pointen zu setzen wusste wie niemand sonst und hartgesottene Männer das Gruseln lehrte. Geschichten, wie sie das Leben selbst nie ganz hinkriegt, augenzwinkernd erzählt von einem »friedfertigen Mann mit ungewöhnlicher krimineller Begabung – natürlich nur auf literarischem Gebiet« (Alfred Hitchcock).

Diogenes Taschenbuch detebe 24217, 256 Seiten Erscheint im November

Diogenes Taschenbuch detebe 24218, 256 Seiten Erscheint im November

Illustrationen: © Tomi Ungerer

Alle Jahre wieder: Diesmal gibt zum Fest der Nächstenliebe auch jede Menge Leichen und kriminelle Aktivitäten. Mehr Vendetta als Lametta also. Eine schöne Bescherung bereiten uns mit ihren Geschichten Åke Edwardson, Martin Walker, Ingrid Noll, Simon Beckett und viele andere beliebte Autoren.

Weihnachten ist ja schon schlimm genug, und zu allem Überfluss wird es immer langwieriger. Um die zähe Vorweihnachtszeit, die gefühlt schon am Ostermontag beginnt, besser zu verkraften, gibt es auch in diesem Jahr einen Band mit hinterhältigen Weihnachts­ geschichten voller Pleiten, Pech, Pannen und Christbäumen – von Martin Suter, Daniel Glattauer, Georg Kreisler und und und.

Diogenes Taschenbücher

Geschenke zum Lesen Diogenes Magazin

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Serie

Kopfnüsschen »Cogito ergo sum« – was heißt das noch mal? Natürlich: »Ich denke, also bin ich.« Das war der erste Grundsatz des Philosophen René Descartes. Einige mehr oder weniger schwierige Denkaufgaben zum Sich-selbst-Finden oder auch -Verlieren gibt es hier zum Entspannen oder Anregen der grauen Zellen. 5 9

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Drudel-Test Hier ist Ihre Phantasie gefragt. Was ist auf den folgenden Bildern zu sehen? 2

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Farben-Rätsel Bunte Titel auf weißen Büchern: Finden Sie die fehlenden Farben in den Buchtiteln!

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Philippe Djian Schwarze Tage, weiße Nächte

Raymond Chandler

Der König in Gelb

Dashiell Hammett Rote Ernte

Roman · Diogenes

Diogenes

Roman · Diogenes

Diogenes Magazin

Gottfried Keller Der grüne Heinrich

Ross Macdonald Der blaue Hammer

Carson McCullers Spiegelbild im goldnen Auge

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Zweite Fassung

Roman · Diogenes

Illustrationen: © Jiří Slíva; Sudoku: © Puzzle Company GmbH für Diogenes Magazin

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Kreuzworträtsel Klubs, Organisationen

Top-Level- Connie, Domain Autorin von Spanien ’Luzifer’

Bez. für Verheiratete

Agatha, Autorin von ’Villa Nachtigall’

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chin. kriminelle Geheimorg.

4 vorher, früher

ProminenTop-LevelFlächentensiedlung ehem. Namass (Plur.) Domain am Strand me Tokios Lichtenstein bei L.A.

extrem Wahlmögstarke Nei- lichkeit, Vorgungen kaufsrecht

Heino, lat. Wort für vielseitiger Jungfrau dt. Mime

weibliches Fabelwesen

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Kurzrufname von Eduard

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Jack, Autor von ’Der Seewolf’ Gerichtsbarkeit: heimliches Gericht

Insel vor Dalmatien (Ital.)

med. Bez. für Schlagader

engl. Wort für Tor

Dick, Autor John, Auvon ’Wein- tor von ’Zirprobe’ kuskind’

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bekannGebühr für ter See in StrassenSchottland: benutzung Loch ...

Ort im Nordosten von Mallorca

Chemikerkürzel für Erbium

Martin, Autor von ’Business Class’

Abk. für in Ordnung

einschränkendes Wort, lediglich

Jason, Autor von ’Stalking’

Währungskürzel für Schweizer Franken

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Kirchen- recht: Ergebnis eiBerufung ner Addition in ein Amt Abbau z.B. von Kohle a.d. Erdoberfläche japan. Elektronikkonzern ind. Gott des Feuers

Abk. Abonnement

Landeanflugverfahren (Abk.)

Abk. loAbk. Transbäuerligarithmus aktionscher Besitz naturalis nummer

Abk. Elektrokardiogramm Glocke in London: Big ...

Ingrid, Autorin von ’Die Apothekerin’

amerik. Kuckuck, Madenhacker Abk. Neues Testament

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Charles, Autor von ’David Copperfield’

Kurzwort für e. Bewohner Thailands

Abk. Leutnant

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kanad. Wapitihirsch

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Musik auf einen Grundton bezogen

ein (sehr) scharfes Gewürz

Bete und arbeite - ... et labora

kurzer, spontaner Schmerzlaut Init. des Schauspielers Moore

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Abk. des Int. Luftverkehrsverband

männliche Anrede

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Ursprungsbez. für franz. Weine

Mulde (an vergletscherten Hängen)

den Atomkern betreffend

kurz für Fahrrad

Aktionärsvereinigung (Abk.)

ugs. für ansprechen; belästigen

Norbert, MotorsportChef von Mercedes OnlineDienst von Microsoft (Abk.)

Name der Filmfabrik der ehem. DDR

Abk. District of Columbia

Abk. Eufeierlicher Abk. Süd- ropäische Brauch, Atomgesüdost Zeremonie meinschaft

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alle Haushaltsgefässe

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Dynastie des chin. Kaiserreichs

Susanna, Geflügel- Autorin von produkt ’Kopfi n den Wolken’

engl. Wort für Geist, Witz

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schwed. Möbelhauskette

Initialen der Sängerin Turner

engl. Wort für ich, mich, mir

Georges, eine Schöpfer d. franz. Wort weibl. Er- ’Kommissar für sehr wachsene Maigret’

religiöser Lehrer d. Hindus

Kürzel für den Strichcode

int. Auto-Z.: San Marino

Anwesen, Gebäude

Jörg, Autor von ’Alles wird gut’

Spielkartenfarbe

Stadt im Westen Finnlands

Gegenteil von Export

Charlotte, Autorin von ’Jane Eyre’ Vorn. vom ’Topmo14 del’ Klum

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engl. Wort für sie

kurz: Allg. Geschäftsbedingung

locker, unbefestigt, schlaff Kurzwort jap. Stadt für Durch- auf der Inlichtbilder sel Shikoku

Einfriedung für das Vieh

Organisation, regelt das Weltkulturerbe Friedrich, Autor von ’Der Chinese’

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öffentliches Verkehrsmittel

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Autoren und ihre Jobs Kreuzworträtsel: © Puzzle Company GmbH für Diogenes Magazin; Illustration: © Jiří Slíva

Die meisten erfolgreichen Schriftsteller haben zunächst einen anderen Beruf erlernt. Kaum ein Schriftsteller, den die brotlose Kunst von Beginn an ernährt hat. Weisen Sie jedem Autor den Job zu, den er hatte, bevor er vom Schreiben leben konnte.

a. Werbetexter 1. Friedrich Glauser b. Jockey 2. Max Frisch c. Gefängniswärter 3. Anton Čechov d. Direktor einer Ölfirma 4. John Irving e. Matrose 5. Martin Suter f. Arzt 6. Theodor Fontane Trainer für Ringer h. 7. Andrej Kurkow c Copyright PuzzleCompany GmbH. Alle Rechte vorbehalten. i. Privatdetektiv 8. Dashiell Hammett j. Lehrer 9. Dick Francis Lösungen k. Gärtner 10. Lukas Hartmann l. Architekt 11. Joachim Ringelnatz m. Apotheker 12. Philippe Djian n. Kassierer an einer Autobahnmautstelle 13. Raymond Chandler

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Serie Astrid Rosenfeld

Top 10 Songtexte And do I have to do just one And can I choose again if I should lose the reason?

1. Leonard Cohen Anthem Ring the bells that still can ring Forget your perfect offering There is a crack in everything That’s how the light gets in.

7. Kiss Great Expectations You watch me singing this song You see what my mouth can do And you wish you were the one I was doing it to.

2. Phosphorescent It’s Not Supposed to Be That Way And like those other little children You’re gonna dream a dream or two But be careful what you’re dreamin’ ’Cause soon your dreams’ll be dreamin’ you.

8. Bob Dylan Visions of Johanna The peddler now speaks to the countess Who’s pretending to care for him Sayin’, ›name me someone that’s not a parasite And I’ll go out and say a prayer for him‹.

3. Tom Waits Innocent When You Dream It’s such a sad old feeling The fields are soft and green It’s memories that I’m stealing But you’re innocent when you dream.

5. The Velvet Underground Stephanie Says Stephanie says that she wants to know Why it is though she’s the door She can’t be the room. 6. Nico The Fairest of the Seasons I want to know do I stay or do I go

400 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06772-9 »Zwei Generationen, die eine große Liebe, das Dritte Reich. Astrid Rosenfeld hat sich viel vorgenommen und erschafft fern von Kitsch eine sensationell universelle Geschichte, die noch lange nachklingt.« Bayrischer Rundfunk

Im nächsten Magazin: Top 10 Klassiker von Hartmut Lange 86

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10. The Rolling Stones Ruby Tuesday There’s no time to lose, I heard her say Catch your dreams before they slip away Dying all the time Lose your dreams And you will lose your mind Ain’t life unkind?

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Foto: © Bastian NN Schweitzer / Diogenes Verlag

9. Janis Joplin Kozmic Blues Don’t expect any answers, dear, For I know that they don’t come with age, no, no. Well, ain’t never gonna love you any better, babe. And I’m never gonna love you right, So you’d better take it now, right now.

4. Timber Timbre Lonesome Hunter Well, you have every reason to be frightened Since you been reading my mind Who am I to deny this moment And who am I to even question it? There is a cross on a mountain, baby There is a cross glowing over your head.


»Ewig währt am längsten.« Der Sammelschuber für die ersten drei Jahrgänge des Diogenes Magazin Illustration: © Loriot

Diogenes

Magazin Das Diogenes Magazin gibt es nicht am Kiosk, sondern nur im Buchhandel – oder im Abo bequem frei Haus.

Das Diogenes Magazin erscheint 3 × im Jahr (Januar / Mai / September) So können Sie das Diogenes Magazin abonnieren: ❶ per Abo-Postkarte ❷ per E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch ❸ per Fax +41 44 252 84 07 ❹ auf www.diogenes.ch

D Nr.1

Sommer 2009 Euro 2.– sFr 3.50

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D Nr.2

Herbst 2009

Ich abonniere das Diogenes Magazin, ab Nr.  12 Ich bestelle den Diogenes Magazin Leerschuber (85000) Ich bestelle den Diogenes Magazin Schuber gefüllt mit 9 Ex. (84999)

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In der Küche mit Donna Leon Maigret contra Bond Ian Fleming trifft Georges Simenon Auf Reisen mit Arnon Grünberg, Lukas Hartmann und Benedict Wells Lesen: Martin Suter und Ingrid Noll über das erste Mal www.diogenes.ch

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Hand aufs Herz Anthony McCarten gibt Auskunft

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Name

Große Zeichner Patrick Süskind über Sempé Zu Besuch bei Tatjana Hauptmann Ein Interview mit Maurice Sendak

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Winter 2009

Inspiration: Wie kommen Autoren zu ihren Ideen?

Diogenes

Magazin

Vorname

www.diogenes.ch Euro 2.– /sFr 3.50

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783257 850024

Geburtsdatum

D Nr. 4

Sommer 2010

Straße / Hausnummer

Diogenes

Martin Suter Sein neuer Roman Der Koch

Magazin

Land / PLZ / Ort

25 Jahre Das Parfum Geschichte eines Weltbestsellers Anna Gavalda Eine Liebeserklärung an Tomi Ungerer

Telefonnummer / E-Mail

Zu Besuch bei John Irving

www.diogenes.ch Euro 2.– /sFr 3.50

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14:43 Seite 1

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Heikko Deutschmann und Daniel Brühl lesen Martin Suter

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Hans Korte liest Bernhard Schlink Diogenes

Anna Thalbach liest F. Scott Fitzgerald Magazin Burghart Klaußner liest Ian McEwan Mario Adorf, Senta Berger und andere lesen Joseph Roth Helmut Qualtinger liest H.D. Thoreau Rufus Beck liest Der kleine Nick Roger Willemsen liest Die kleine Alice

»Ian McEwan wagt das schwierige Kunststück, Wissenschaft und Politik mit deftiger Komödie zu verbinden. Und es gelingt ihm großartig.« Nick Cohen / The Guardian, London

8 CD

Ian McEwan Solar Roman

Kleiner Roman

»Eine ausgesprochen unterhaltsame, kurzweilige und letztlich auch moralische Geschichte.« ndr Kultur, Hamburg

6 CD

Roman

Diogenes Hörbuch Gelesen von Helmut Qualtinger

1 CD

Per-

Joseph Roth foDie Legende rati vom heiligen Trinker on Erzählung

Diogenes Hörbuch

Diogenes Hörbuch Gelesen von Daniel Brühl

Martin Suter Der Koch

Diogenes Hörbuch Gelesen von Mario Adorf »Joseph Roths letzte Lebensphase muss rauschhaft in jeder Hinsicht gewesen sein. Die Legende vom heiligen Trinker liest sich wie die Versöhnung mit dem eigenen Schicksal.« Süddeutsche Zeitung

Martin Suter Lila, Lila

5 CD

1 CD

»Bernhard Schlink ist einer der erfolgreichsten und einer der vielseitigsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart.« Volker Hage / Der Spiegel

Gelesen von Anna Thalbach

Bernhard Schlink

7 CD

Roman

Diogenes Hörbuch

Goscinny

Das Helmut Qualtinger Hörbuch Von Kaiser Franz Joseph zu Herrn Karl Weltgeschichte in Pantoffeln

»Nick ist ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann. Ein Freund fürs Leben. Alt werden? Stillhalten? Ohne uns.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

1 CD

Sempé

Der kleine

Gelesen von Rufus Beck

»Ein glänzender, umwerfend komischer Kabarettist.« Alfred Polgar »Das Pointenfeuerwerk des Spotts lässt die Gesellschaft in ihrer ganzen Lächerlichkeit erstrahlen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Diogenes Hörbuch

Gelesen von Hans Korte

»Eine Liebesgeschichte und Satire rund ums Buch – brillant.« Focus »Mit dem Plot von Lila, Lila ist Martin Suter ein raffiniertes Kunststück gelungen.« Neue Zürcher Zeitung

»Der erste Roman, der das ›System Hollywood‹ erforschte und beschrieb. Inklusive einer schmetterlingszarten Liebesgeschichte von perfekter Schönheit.« Barbara Rett / Die Presse, Wien

F. Scott Fitzgerald Die Liebe des letzten Tycoon

Sommerlügen im Das Diogenes Magazin Abonnement: Praktisch nach Hause geliefert, egal wo Sie wohnen. im Zirkus

4 CD

Roman

Diogenes Hörbuch

Gelesen von Roger Willemsen

Eine der berühmtesten Kindergeschichten der Welt, vom Autor selbst für die Kleinsten der Kleinen neu erzählt: »Jetzt ist es mein Ehrgeiz, von Kindern gelesen zu werden, die zwischen null und fünf Jahre alt sind.« (Lewis Carroll)

1 CD

Illustration: © Bosc

Diogenes Hörbuch Gelesen von

Heikko Deutschmann

Anton Čechov Ein Duell

Illustration: © Tomi Ungerer

Diogenes Hörbuch

Lewis Carroll Die kleine Alice Diogenes

244 Hörbücher mit Hörprobe:

Sommer-Spaß Spiele, Tests, Kreuzworträtsel

Nr.5

Herbst 2010

Diogenes

Magazin

www.diogenes.ch Euro 4.– /sFr 7.–

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783257 850048

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Falz

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»Wenn ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich mir Bücher. Wenn etwas übrig bleibt, Wir gratulieren Ingrid Nollmir Essen und Kleidung.« kaufe ich zum 75. Geburtstag

Erasmus von Rotterdam

Der letzte Sommer Eine neue Erzählung von Bernhard Schlink

Joseph von Eichendorff Jeremias Gotthelf

Stendhal Mythisches Gestein: Rolf Dobelli und Donna Leon über den neuen und alten Gotthardtunnel

Jules Verne Nikolai Gogol

Ein Leben wie ein Roman: Paulo Coelho Kurt Tucholsky

D Diogenes Magazin

»Wie kaum ein anderer hat Anton ◊echov auf den Pulsschlag des modernen Lebens gehorcht, sein literarisches Werk ist für das 20. Jahrhundert wegweisend geworden.« Neue Zürcher Zeitung

4 CD

Erzählung

Gelesen von Burghart Klaußner

© IMAV, Paris

Diogenes Hörbuch Gelesen von Ulrich Matthes

Anton Čechov Die Dame mit dem Hündchen

D

www.diogenes.ch Johann Wolfgang Goethe 4 Euro / 7 Franken

Dante Alighieri 9

783257 850055

Theodor Fontane Homer

Leo Tolstoi

Nr. 7

Sommer 2011

Diogenes

Bitte frankieren

Diogenes Verlag AG Diogenes Magazin Sprecherstrasse 8 8032 Zürich Schweiz

Joseph Conrad

Wilhelm Busch

Magazin 1569 Bücher von 4.90 bis 480 Euro:

Georges Simenon

Die abgebildeten Münzen aus: Geld und gute Worte. Schriftstellerporträts auf Münzen von Homer bis Beckett. Augewählt und kommentiert von Jan Strümpel. © 2008 by Steidl Verlag, Göttingen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Otto Sander und Ulrich Matthes 85006_diogenes_magazin_nr6_us_Layout 1 27.10.10 lesen Anton ¢echov

Sommer-Reisen Im Périgord mit Martin Walker Am Nordpol mit Ian McEwan Couch-Surfing mit Arnon Grünberg In Istanbul mit Yadé Kara

783257 850031

Jörg Fauser Dashiell Hammett Tatjana Hauptmann Tim Krohn Hartmut Lange Donna Leon Hugo Loetscher Ian McEwan Jean-Jacques Sempé Emil Steinberger Martin Suter Tomi Ungerer Wim Wenders Urs Widmer

Schonen Sie Ihre Augen!

Lassen Sie andere lesen:

Paulo Coelho Rolf Dobelli Friedrich Dürrenmatt Joey Goebel John Irving Donna Leon Petros Markaris Ian McEwan Ingrid Noll Bernhard Schlink Hansjörg Schneider Jean-Jacques Sempé Martin Suter H.D. Thoreau

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Nr.6

Frühling 2011

Diogenes

Magazin

Ian McEwan »Natürlich glaube ich nicht, mit meinem Roman die Welt retten zu können«

Wenn Bücher klingen … Tomi Ungerer, Jean-Jacques Sempé, Donna Leon, Philippe Djian u.a. über ihre Leidenschaft für Musik

Zwei Freunde, ein Verlag Die beiden Diogenes Verleger haben ihren 80. Geburtstag gefeiert

Was ist der größte Luxus? Exklusiv-Interview mit dem neuen Serienhelden von Martin Suter

D Diogenes Magazin

Falz

Sommerzeit – Lesezeit Mit Urs Widmer nach Timbuktu, mit Doris Dörrie nach Torremolinos und mit Hansjörg Schneider nach Basel

Nr. 8

Herbst 2011

Diogenes

Magazin

Alles inklusive! Multitalent Doris Dörrie

4 Euro / 7 Franken

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Faule Kredite in Griechenland Petros Markaris hat die Krise zum Krimi gemacht

Loriot im Gespräch

Nr. 9

Frühling 2012

Ingrid Noll und Percy Adlon über Tomi Ungerer

www.diogenes.ch 4 Euro / 7 Franken

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Lesen Sie sich gesund

Ein Elefant in Venedig Donna Leon über venezianische Kuriositäten

Fragespiel John Irving antwortet auf Fragen von Nadine Gordimer

Film-Special Wenn Bücher Filmstars werden

www.diogenes.ch

Land / PLZ / Ort Telefonnummer / E-Mail Ich möchte von Diogenes weitere Informationen per E-Mail oder schriftlich (nicht telefonisch) erhalten. (Ihre Daten dienen ausschließlich internen Zwecken und werden nicht an Dritte weitergeleitet.)

80 Jahre Tomi

Diogenes

Bibliotherapie

Straße / Hausnummer

Bitte sagen Sie jetzt nichts

Magazin

Paulo Coelho Das Leben ist eine Reise

Vorname

4 Euro / 7 Franken

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www.diogenes.ch

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www.diogenes.ch

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Martin Walker Leben und Schreiben im Périgord

Summer Looks & Books Welches Buch passt zu welcher Strandmode?

Ich zahle per Rechnung (weitere Länder auf Anfrage) sFr 18.– (CH) für 3 Hefte € 10.– (D / A) oder € 7.– (D / A) oder sFr 10.– (CH) zzgl. Versandkosten für 1 Leerschuber € 25.– (D / A) oder sFr 40.– (CH) für einen gefüllten Schuber zzgl. Versandkosten Abweichende Lieferadresse:

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Auch gefüllt er­hältlich mit den ersten neun Ausgaben des Diogenes Magazin

Abo-Service: Schwarzbach Graphic Relations GmbH, Tegernseer Landstraße 85, 81539 München, Deutschland, Telefon +49 (0)89 64 94 36-6, Fax +49 (0)89 64 94 36-70, E-Mail: diogenesmagazin@diogenes.ch Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb von 2 Wochen ohne Begründung schriftlich wider­ rufen. Das Abonnement verlängert sich automatisch. Kündigung bis 8 Wochen vor Ende Bezugszeitraum möglich. Preisänderungen vorbehalten. Stand August 2012

Datum / Unterschrift

4 Euro / 7 Franken

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Das neue Sonderheft jetzt am Kiosk!

LOGIE PSYCHO PACT OM HEUTE C tellen: s direkt be 7 314 50

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PSYCHOLOGIE HEUTE compact Diogenes Magazin

www.psychologie-heute.de

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0 / 44 Telefon 03 447 314 51 Fax 030 / op@ E-Mail: sh e ie-heute.d g lo o ch sy p gie-psycholo p o h .s w ww heute.de


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Raymond Chandler

Dashiell Hammett Rote Ernte

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Roman · Diogenes

Ross Macdonald Der blaue Hammer

Carson McCullers Spiegelbild im goldnen Auge

Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Der König in Gelb

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Mittel

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Gottfried Keller Der grüne Heinrich

1: Schmollendes Elefantenpaar 2: Tennisball (fehlerhaftes Sück) 3: Bibliothek, die durch ein E-Book ersetzt wurde 4: Frau Raiss hat verschlafen und fehlt im morgendlichen Stau

Zweite Fassung

Roman · Diogenes

Kreuzworträtsel F F E E V E R E C H G E H E H L E D E F R A U T S H E P I K M E G N U K O R A N U R

Heino, lat. Wort für vielseitiger Jungfrau dt. Mime

weibliches Fabelwesen Klubs, Organisationen

Illustration: © Bosc; Sudoku / Kreuzworträtsel: © Puzzle Company GmbH für Diogenes Magazin

vorher, früher

Bez. für Verheiratete

Agatha, Autorin von ’Villa Nachtigall’

Jack, Autor von ’Der Seewolf’

Einfriedung für das Vieh Kurzrufname von Eduard

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Georges, eine Schöpfer d. franz. Wort weibl. Er- ’Kommissar für sehr wachsene Maigret’ engl. Wort für sie

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alle Haushaltsgefässe

religiöser Lehrer d. Hindus

Spielkartenfarbe

ugs. für ansprechen; belästigen Mulde (an vergletscherten Hängen)

Abk. für Erdgeschoss

den Atomkern betreffend

V I R G O Gerichtsbarkeit: heimliches Gericht Jörg, Autor von ’Alles wird gut’

R engl. Wort für Tor

G O A L

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Bete und arbeite - ... et labora

Martin, Autor von ’Business Class’

einschränkendes Wort, lediglich

Jason, Autor von ’Stalking’

M O A P N E T I S T I E O N D O N I Z F A U S E S W M D E S C H extrem Wahlmögstarke Nei- lichkeit, Vorgungen kaufsrecht

A L M E R I A D E L O N I B R H A U S E R M I T D E F A I R R I A T N M A C H E N E A R E C H S U T E R I O S T A R R S F Top-Level- Connie, Domain Autorin von Spanien ’Luzifer’

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chin. kriminelle Geheimorg.

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Charlotte, Autorin von ’Jane Eyre’

med. Bez. für Schlagader

Vorn. vom ’Topmo14 del’ Klum

Insel vor Dalmatien (Ital.)

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locker, unbefestigt, schlaff

Kurzwort jap. Stadt für Durch- auf der Inlichtbilder sel Shikoku

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Name der Filmfabrik der ehem. DDR

Abk. District of Columbia

bekannGebühr für ter See in StrassenSchottland: benutzung Loch ...

Ort im Nordosten von Mallorca

Aktionärsvereinigung (Abk.)

Chemikerkürzel für Erbium

ein (sehr) scharfes Gewürz

S C H L 9

Initialen der Sängerin Turner

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Ingrid, Autorin von ’Die Apothekerin’

Währungskürzel für Schweizer Franken

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Dynastie des chin. Kaiserreichs

Abk. Abonnement

Abk. für in Ordnung

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schwed. Möbelhauskette

Abk. loAbk. Transbäuerligarithmus aktionscher Besitz naturalis nummer

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Kürzel für den Strichcode

Ursprungsbez. für franz. Weine

Abk. des Int. Luftverkehrsverband

männliche Anrede

Stadt im Westen Finnlands

kurz für Fahrrad

Dick, Autor John, Auvon ’Wein- tor von ’Zirprobe’ kuskind’

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kurz: Allg. Geschäftsbedingung

Susanna, Geflügel- Autorin von produkt ’Kopfi n den Wolken’

engl. Wort für ich, mich, mir

engl. Wort für Geist, Witz

Organisation, regelt das Weltkulturerbe Friedrich, Autor von ’Der Chinese’

U A N G E B S E C A O N T T E I R V A O S D K A A T I L I N O R N

Gegenteil von Export

int. Auto-Z.: San Marino

Anwesen, Gebäude

B E R N H A R D 1

ProminenTop-LevelFlächentensiedlung ehem. Namass (Plur.) Domain am Strand me Tokios Lichtenstein bei L.A.

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Abk. Neues Testament

Abk. Eufeierlicher Abk. Süd- ropäische Brauch, Atomgesüdost Zeremonie meinschaft

R L A U S E R U S U I I M P O R T K A A U E H T S A M A R O S U M M E I N G L C T D K T H A I B O G C A A N E K G A B E N L L A N I T B U S 9

Norbert, kurzer, Motorsport- spontaner Chef von SchmerzMercedes laut

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OnlineDienst von Microsoft (Abk.)

Init. des Schauspielers Moore

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kanad. Wapitihirsch

Kirchen- recht: Ergebnis eiBerufung ner Addition in ein Amt

Abbau z.B. Charles, von Kohle Autor von a.d. Erd- ’David Copoberfläche perfield’

Musik auf einen Grundton bezogen

japan. Elektronikkonzern

Kurzwort für e. Bewohner Thailands

ind. Gott des Feuers

Landeanflugverfahren (Abk.) Abk. Elektrokardiogramm Glocke in London: Big ...

Abk. Leutnant

amerik. Kuckuck, Madenhacker

Autoren und ihre Jobs 1. Friedrich Glauser – k. Gärtner; 2. Max Frisch – l. Architekt; 3. Anton Čechov – f. Arzt; 4. John Irving – h. Trainer für Ringer; 5. Martin Suter – a. Werbetexter; 6. Theodor Fontane – m. Apotheker; 7. Andrej Kurkow – c. Gefängniswärter; 8. Dashiell Hammett – i. Privat­ detektiv; 9. Dick Francis – b. Jockey; 10. Lukas Hartmann – j. Lehrer; 11. Joachim Ringelnatz – e. Matrose; 12. Philippe Djian – n. Kassierer an einer Autobahnmautstelle; 13. Raymond Chandler – d. Direktor einer Ölfirma

öffentliches Verkehrsmittel

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Serie

Transhelvetica Schweizer Magazin für Reisekultur

Lesefrüchtchen »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Ihre stümperhaften Gedichte hier hinein schreiben, hätte ich Ihnen niemals dieses Heft geschenkt. Ich hatte vielmehr gedacht, dass dieses Heft Ihnen dazu dienen würde, kluge und nützliche Sätze abzuschreiben, die Sie in verschiedenen Büchern gelesen haben.« Daniil Charms

»Alles Glück will Ewigkeit? Wie alle Lust? Nein, dachte er, es will Stetigkeit. Es will in die Zukunft dauern und schon das Glück der Vergangenheit gewesen sein. Phantasieren Liebende nicht, dass sie sich schon als Kinder begegnet sind und gefallen haben?« Bernhard Schlink, ›Sommerlügen‹ (detebe 24169). Eingeschickt von Anne Peters-Strache, Michelstadt »Weißt du, welchen Fehler man immer wieder macht? Den, zu glauben, das Leben sei unwandelbar, und wenn man einmal einen Weg eingeschlagen hat, müsse man ihn auch zu Ende gehen. Das Schicksal hat viel mehr Phantasie als wir.« Susanna Tamaro, ›Geh, wohin dein Herz dich trägt‹ (detebe 23030). Eingeschickt von Marie-Luise Schäfer, Seelze »Ohne Schaumberg, hatte Deborah neulich gesagt, gehe ja kaum mehr was im deutschen Kaffeegeschäft. Der Milchschaum auf dem Kaffee

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Diogenes Magazin

habe den Bierschaum als deutschen Schaum Nummer eins klar abgelöst.« Jakob Arjouni, ›Bruder Kemal‹ (Diogenes Hardcover) »Wir leben in einem Zeitalter der Überarbeitung und der Unterbildung, in einem Zeitalter, in dem die Menschen so fleißig sind, dass sie verdummen.« Oscar Wilde, ›Extravagante Gedanken‹ (detebe 21648). Eingeschickt von Michael Graf, Neubeuern »›Ist dein Computer noch an?‹ ›Wie die Liebe des Heiligen Geistes erhellt er stets meine Wege.‹« Donna Leon, ›Himmlische Juwelen‹ (Diogenes Hardcover) »Kunst ist starker Wein, und es gehört ein starker Kopf dazu, um ihn zu ertragen. Das göttliche Feuer brennt am hellsten in denen, die seine Glut durch nüchternen Verstand dämpfen.« W. Somerset Maugham, ›Die Macht der Umstände‹ (Erzählung: ›Das fremde Samenkorn‹) (detebe 20334). Eingeschickt von Thomas Eichhorn, Leipzig

Schicken Sie uns bitte Ihre Lieblings­­ sätze aus einem Diogenes Buch. Jedes veröffentlichte Zitat wird mit einem Bücherpaket im Wert von € 50.– honoriert. Bitte per E-Mail an msc@diogenes.ch oder auf einer Postkarte an: Diogenes Magazin, Sprecherstr. 8, 8032 Zürich / Schweiz

Transhelvetica

Schweizer Magazin für Reisekultur

Traumreisen & Abenteuer in der Schweiz Am Kiosk oder auf transhelvetica.ch

Illustrationen: © Tomi Ungerer

»Nach dem Umsturz machen sich zwei Straßenkehrer an ihre Arbeit. Da sagt der eine Arbeiter zum andern: ›Ich habe gemeint, nach der Revolution würden die Herren die Straße kehren.‹ Worauf der zweite antwortet: ›Aber wir sind doch jetzt die Herren.‹« Hugo Loetscher, ›Die Papiere des Immunen‹ (detebe 21659). Eingeschickt von Peter-Alexander Fiedler, Weimar


Auf die Sätze, fertig, los! D

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er Vorhang öffnet sich. Ich trete an die Rampe. Ich erschieße mein Publikum. Ich verbeuge mich. Der Applaus kommt vom Band. F. K. Waechter

as Mädchen küsste den Frosch und wurde zur Kröte. Ennio Flaiano

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in Kurzsichtiger macht eine Liebeserklärung; vorher aber sagt er: Ehe ich anfange, geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie die und die wirklich sind. Friedrich Hebbel

ie kaufte drei Paar Eheringe, alle in der gleichen Größe. Astrid Rosenfeld

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in junger Mann hatte eine Million Mark beisammen, legte sich darauf und erschoss sich. Anton Čechov

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as Ungeheuer war etwa 100 Fuß lang und lächelte an beiden Enden. Nikolaus Heidelbach

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Buchtipp

r machte sie glücklich und nahm ihr damit das Einzige, wozu sie Talent hatte. Connie Palmen

atient: »Ich schreibe einen Brief.« Direktor: »Wem schreiben Sie denn?« Patient: »Mir.« Direktor: »Was steht denn drin?« Patient: »Das weiß ich doch nicht, der Brief ist noch nicht angekommen.« Friedrich Dürrenmatt

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ie geht’s, sagte ein Blinder zu einem Lahmen. Wie Sie sehen, antwortete der Lahme. Georg Christoph Lichtenberg

er Einzige, der hier gut aufgelegt war, war der Telefonhörer. Dann klingelte es. Otto Jägersberg

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mmer wenn er den Mond sah, musste er an sie denken. Er konnte sich nicht erinnern, wie lange schon er das Haus nur noch bei Neumond verließ. Petra Hartlieb

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Diogenes Taschenbuch detebe 24223, ca. 288 Seiten

222 allerschnellste Geschichten in einem Mini-Buch, ein literarischer Weltrekord. Mit vielen Klassikern und vielen neuen Geschichten von Martin Walker, Joey Goebel, Ingrid Noll, Astrid Rosenfeld, und und und.

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enn du nicht abhaust, such ich mir einen andern. Raymond Chandler

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Die Jubiläums-Edition

10.-

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60 Jahre Diogenes – dazu das Geschenk für leidenschaftliche Leser: 12 Erfolgs­bücher in ele­ganten Leinenbänden – einzeln oder im Schuber zum Jubiläumspreis.

12 Bände in Kassette 3928 Seiten, Leinen ca. € (D) 100.– / sFr 140.–*/ € (A) 100.– ISBN 978-3-257-05720-1

Illustration: © Tomi Ungerer

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Sonderteil

60 Jahre

Foto: Š NN Š Tomi Ungerer Illustration:

Diogenes

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60 Jahre Diogenes

Daniel Keel in seinem Element, fotografiert von Tomi Ungerer in Kanada, 1973

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Er war genügsam, unangepasst und sah sich als Kosmopolit – Weltbürger. Seine philosophischen Überzeugungen kennen wir hauptsächlich aus über­lieferten Anekdoten. Die bekannteste ist wohl die von »Diogenes in der Tonne«, der Alexander um einen kleinen Gefallen bittet. Freiheit, Bewusstheit und die Freude am Leben bildeten die Kerngedanken seiner Ethik. Daniel Keel war der bedürfnislose Philosoph so sympathisch, dass er seinen Verlag nach ihm benannte. Obwohl Diogenes nichts Schriftliches hinterlassen hat. »Sein Geist aber lebt.«

»Die Lehre des Diogenes war keineswegs das, was wir heute unter ›zynisch‹ verstehen – im Gegenteil. Diogenes suchte Tugend und moralische Freiheit in der Wunschlosigkeit: Sei gleichgültig gegenüber Gütern, die das Glück zu verschenken hat, und du wirst frei von Furcht sein.« Bertrand Russell

»Ich stelle mir jenen Diogenes, der als Kultur-Verächter verschrien ist, eher als einen zarten, empfindlichen Menschen vor, dem vor all den Komplikationen graute, die mit den Wonnen eines Palastes verbunden sind. Da wohnte er schon lieber in der Tonne – aus purer Genuss-Sucht.« Ludwig Marcuse

»Er zündete bei Tage ein Licht an und sagte: ›Ich suche einen Menschen.‹« Diogenes Laertios Loriot

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Diogenes Magazin

Foto: © Tomi Ungerer / Diogenes Verlag; Illustration o. links: © Chaval; Illustration o. rechts: © Bosc; Illustration u.: © Loriot

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Wer war Diogenes?


Illustration Mitte links: © Bob van den Born; Illustration o. links: © Jean-Jacques Sempé; Illustration o. rechts: © Paul Flora; IIllustration u. links: © Tomi Ungerer; lllustration u. rechts: © Daniel Keel

»Als man den Diogenes fragte, wo er nach seinem Tod begraben sein wolle, antwortete er: ›Mitten auf das Feld.‹ Was, versetzte jemand, willst du von den Vögeln und wilden Tieren gefressen werden? ›So lege man meinen Stab neben mich‹, antwortete er, ›damit ich sie wegjagen könne.‹ Wegjagen! rief der andere; wenn du tot bist, hast du ja keine Empfindung! ›Nun denn, was liegt mir daran‹, erwiderte er, ›ob mich die Vögel fressen oder nicht?‹« Heinrich von Kleist

Jean-Jacques Sempé

Buchtipp

Bob van den Born 96 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06698-2

»Diogenes hatte einen possenhaften Zug, der sich jedoch in seinem Nachruhm über Gebühr vorgedrängt hat, denn er war daneben auch ein wirklicher Weiser … Er hat mit seiner lachenden Menschendurchleuchtung und Verachtung aller Konvention viel Sozialkritisches an sich … Er selbst nannte sich mit einem von ihm geschaffenen Wort ›kosmopolites‹, Weltbürger.« Egon Friedell

Tomi Ungerer

»Als Alexander einst an ihn herantrat und erklärte: »Ich bin Alexander, der große König«, sagte er: »Und ich bin Diogenes, der Hund.« Auf die Frage, was er denn tue, dass man ihn »Hund« nenne, antwortete er: »Die mich beschenken, umwedle ich, die mir nichts geben, belle ich an, und die Schufte beiße ich.« Alexander wollte ihm jeden Wunsch erfüllen, doch Diogenes hat nur eine einzige einfache Bitte: »Geh mir aus der Sonne!« Der Denker im Fass ist indes kein harmloses Original. Wohl streift er sich als antiker Eulenspiegel gern das Narrengewand über, doch hinter der Maske des Witzboldes steckt ein kühner Querdenker, ein radikaler Tabubrecher, der gegen sinnentleerte Konventionen und hinfällige Dogmen ins Feld zieht. Er ist der Ahnherr all derer, die Glück und Freiheit in der Abkehr von den herrschenden Normen und Zwängen suchen.

Paul Flora

»Ich durchsuchte die Kulturgeschichte nach einer Galionsfigur. Diogenes von Sinope, der kuriose griechische Philosoph, schien mir der Richtige. Obwohl ich in der Regel Philosophen nicht besonders mag, ausgenommen Denker, die auch als Dichter herhalten können – wie Michel de Montaigne oder Henry David Thoreau –, war dieser Diogenes mir besonders sympathisch, weil er nicht nur theoretisch, sondern auch durch seinen Lebensstil alles Konventionelle bekämpfte. Auch war er der erste Kosmopolit (er soll gesagt haben, er sei ein Bürger des Kosmos und die einzig richtige Staatsordnung wäre eine Weltregierung), und auf die Frage, was die Philosophie nutze, soll er geantwortet haben: ›Wenn nichts anderes, so doch, dass man für jedes Schicksal gerüstet ist.‹ Seine Askese war nicht Weltflucht, sie war derbste Lebensbejahung. Und was mich erheitert: Nichts Geschriebenes von ihm ist bekannt, sein Geist aber lebt.« Daniel Keel

Diogenes Zeichnung von Daniel Keel

»Erstaunlich modern ist dieser Diogenes – ein köstliches Büchlein.« Facts, Zürich

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60 Jahre Diogenes

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as Verlegertum wurde Daniel Keel zwar nicht in die Wiege gelegt, aber einen familiären Nährboden gab es. Sein Vater Josef Keel arbeitete im Verlag Benziger & Co in Einsiedeln, eine Schweizer Institution, die, 1792 gegründet, lange eine Schlüsselrolle im katholischen Verlagswesen spielte und noch Mitte des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten Verlagen der Schweiz zählte. In den Sommerferien nahm er den

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Diogenes Magazin

Sohn mit in den Verlag, wo »mich mein Vater in die Geheimnisse der Verlegerei einweihte, als ich dort für Kinderbücher Werbeprospekte basteln durfte.« Das Interesse an Büchern war bei Daniel Keel einem unglücklichen Umstand geschuldet: Als Kind litt er an starkem Asthma und musste oft das Bett hüten, Bücher waren sein einziger Zeitvertreib. Als Jugendlicher schwand das Interesse an Literatur wieder: »Ich

ging lieber ins Theater, oder dreimal am Tag ins Kino. Ich habe Alec Guinness, Louis Armstrong, Lawrence Olivier, Louis Jouvet, Duke Ellington, Danny Kaye live gesehen. Ich war ziemlich lesefaul«, erinnerte sich Keel. In dieser Zeit entwickelte er auch eine ausgeprägte Vorliebe für die bildende Kunst und das Groteske. Mit sechzehn brach Daniel Keel das Gymnasium an der Klosterschule Ein-

Illustration: © Ronald Searle

Das erste Diogenes Buch, das vor 60 Jahren erschien, verdankt seine Entstehung einer ganzen Reihe von Zufällen, Hindernissen und Misslichkeiten: Eigentlich wollte der junge Buchhändler-Gehülfe Daniel Keel gar nicht Verleger werden, aber es gelang ihm einfach nicht, pünktlich in der Buchhandlung zu erscheinen. So reifte in ihm der Wunsch nach beruflicher Unabhängigkeit ...


siedeln ab, vordergründig wegen Asthma, tatsächlich wegen seiner Probleme mit der griechischen Grammatik und mathematischen Formeln. Nach einem Sprachaufenthalt in der französischen Schweiz begann er eine Buchhändlerlehre in Zürich bei Plüss in der Bahnhofstraße, einer eleganten internationalen Buchhandlung. Es folgten Lehrund Wanderjahre in Paris, Frankfurt am Main, München und in London, bis er 1951, zurück in Zürich, in der Buchhandlung Orell Füssli als Gehilfe anfing. Aus London hatte Keel drei Bücher mit Karikaturen von Ronald Searle mitgebracht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in England für Aufsehen sorgten. Ronald Searle, 1920 in Cambridge geboren, hatte mit fünfzehn Jahren die Schule verlassen, als Bürobote gearbeitet, abends Kunstunterricht genommen und zu zeichnen begonnen – und nie mehr damit aufgehört: Weder Krieg noch Gefangenschaft (er war am Bau der Brücke am Kwai beteiligt) konnte ihn davon abhalten. Zurück in England wurde er freischaffender Künstler, reiste zeichnend durch Europa, Nordafrika und die USA. Über Nacht bekannt machten ihn in England seine rabenschwarzen Zeichnungen über eine englische Mädchenschule, in der es drunter und drüber geht: Da wird ein Mädchen auf einer Streckbank von ihren Mitschülerinnen malträtiert, eine Hexe fliegt als neue Chemielehrerin ein, und Accessoires wie Maschinenpistolen, Alkohol und Zigaretten sind in den Klassenräumen und auf dem Pausenhof hoch im Kurs. Harter Tobak für die Nachkriegszeit, in der die Lebensmittelrationierung noch aktuell war und die Sitten nicht besonders locker. Immerhin erschien das Buch 1948 – zwanzig Jahre vor 1968. Very shocking, aber die Engländer waren auch highly amused, und so wurden Searles Zeichnungen ein riesiger Erfolg. Daniel Keel hatte aus den drei Cartoonbänden Hurrah for St. Trinians, The Female Approach und Back to the Slaughterhouse, die zwischen 1948 und 1951 erschienen waren, eine Auswahl zusammengestellt und schon in Lon-

don versucht, sie als Herausgeber an einen deutschen Verlag zu vermitteln. Doch die Mädchen von St. Trinian waren den deutschen Verlegern viel zu makaber und lasterhaft. Siebzehn Verlage sagten ab. So kam der junge Buchhändler auf die Idee, neben seinem Brotjob als Buchhändler selber ›Verleger‹ zu spielen. Der Zufall wollte es, dass die deutschsprachigen Rechte an den Büchern von Ronald Searle nicht etwa in London, sondern in Zürich von der

»Da draußen ist ein Verrückter, gehen Sie mal zu dem, ich versteh das nicht.« Agentur Mohrbooks vertreten wurden. Am 12. Juni 1952 um 17 Uhr sprach Daniel Keel beim Gründer der Agentur, Lothar Mohrenwitz, vor, der ihn zu seinem jungen Partner Rainer Heumann schickte. An das erste Treffen erinnerte sich Heumann 1977 so: »Mein Partner, Lothar Mohrenwitz, damals schon ein alter Mann, kam zu mir und sagte: ›Da draußen ist ein Verrückter, gehen Sie mal zu dem, ich versteh das nicht.‹ Das war also Daniel Keel, ein sehr bescheidener Mann mit einem Dufflecoat, den er noch jahrelang getragen hat. Er sagte, er sei in der Buchhandlung Orell Füssli angestellt, und sein Vater habe ihm fünftausend Franken garantiert. Wir hätten doch

die Rechte an Ronald Searle, den er so großartig fände, dass er damit einen Verlag aufmachen wolle. Ich sagte ihm, fünftausend Franken sei ja schön viel Geld, aber um einen Verlag zu gründen, brauche es schon etwas mehr, und dass die anderen Verlage den Autor abgelehnt hätten, sei wohl kein gutes Zeichen. Ich riet ihm also ab, und etwas bedrückt ging er weg. Vierzehn Tage später stand er wieder da und sagte, er habe es sich überlegt. Er wisse schon, was ich sagen würde, aber er wolle es trotzdem machen. Wir haben dann also einen Vertrag aufgesetzt.« Für vierhundert Franken Vorschuss erhielt Daniel Keel die Rechte an den Zeichnungen von Ronald Searle. Keel bat Erich Kästner, den er aus seiner Zeit als Buchhändler in München persönlich kannte, um ein Vorwort zum Searle-Buch. Doch Kästner sagte aus Zeitmangel ab. Keels zweiter Wunschkandidat sagte zu: Friedrich Dürrenmatt. Ihn verehrte Keel wie keinen anderen jungen Schriftsteller, und er wusste von dessen Sinn für Groteskes und Makabres. Das Vorwort von Dürrenmatt sollte, »ganz offen gestanden, meinem jungen und zunächst noch zerbrechlichen Unternehmen einen handfesten Namen mitgeben«, so Keel in einem Brief an Dürrenmatt. Dass Keel Dürrenmatt, der 1952 mit seiner Komödie Die Ehe des Herrn Mississippi just seinen ersten großen Erfolg in Deutschland feiern konnte, für das Vorwort des ersten Diogenes Buchs gewinnen konnte, liest sich im Nachhinein wie ein Zeichen. Denn es war einer der Höhepunkte im Verlegerleben von Daniel Keel, als Dürrenmatt Anfang 1978 Diogenes Autor wurde und wenig später sein Gesamtwerk in Keels Obhut gab. »Damals hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal Dürrenmatts ›richtiger‹ Verleger werden würde«, sagte Daniel Keel später. Eine Galionsfigur brauchte Keel allerdings nicht nur für das Vorwort zum Searle-Bändchen, sondern auch für den Namen des Verlags, in dem es erscheinen sollte. Er fertigte eine Liste von nicht weniger als hundert Namen an und entschied sich für ›Diogenes‹, weil er fand, dass man unter diesem Diogenes Magazin

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Namen machen konnte, was man wollte. Natürlich hätte er seinen Verlag einfach Keel Verlag nennen können, aber das kam für ihn nicht in Frage. »Ich habe geahnt, dass die Leute mir dann schreiben wie Herrn Rowohlt und Herrn Piper. Hinter Diogenes kann ich mich verstecken.« Nach dem Verlagsnamen fehlte nur noch der Buchtitel, wie sollte das erste Diogenes Buch heißen? Solange noch das Lämpchen glüht; Das Leben kein Traum; Des Lebens ungeschminkte Freude; Leben und leben lassen; To be or not to be; Ophelia und Caliban; Ophelia, ein Sonntagskind. Schließlich fiel die Entscheidung auf Weil noch das Lämpchen glüht. Als Motto wählte Keel ein Bonmot von Oscar Wilde (der in der ersten Auflage noch ›Oskar‹ Wilde genannt wurde): »Das Leben ist zu wichtig, als dass man ernsthaft dar-

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eigentlich heute noch«, erinnerte sich Daniel Keel 1962 in einem Interview. Und da das erste Diogenes Buch außer dem jungen Verleger wider Willen noch einigen anderen Leuten gefiel (die erste Auflage war nach einem Jahr ausverkauft), machte Keel weiter.

im Lauf des Frühlings meine Stelle in der Buchhandlung aufgeben, um eine Halbtagsstelle anzunehmen. So hätte ich mehr Zeit für meine Verlagsprojekte.« Eines der ersten Exemplare, mit einer gezeichneten Widmung, schickte Keel seinem Jugendfreund Rudolf C. Bettschart, der später eine bedeutende Rolle im Verlag einnehmen sollte: als helfende Hand in der frühen Sturmund-Drang-Zeit, und dann als Keels Geschäftspartner und Teilhaber des Verlags. »Ich hatte überhaupt kein Konzept, als ich das erste Diogenes Buch herausgab. Da war nicht die Spur einer verlegerischen Vision. Nur meine hartnäckige Überzeugung, dass die Cartoons von Ronald Searle gut waren und unter die Leute kommen sollten. So mache ich es

Aus dem ersten Diogenes Buch wurden nach 60 Jahren 4070 veröffentlichte Titel. Und das Lämpchen erlosch nie: Fast 60 Jahre lang war der Diogenes Erstling ununterbrochen lieferbar. Der St. Trinian-Zyklus, der den Kern des Buches bildet, zählt zu den Meisterwerken Ronald Searles und erfreut sich auch heute noch größter Beliebtheit: Zuletzt trieben die ungezogenen Mädchen von St. Trinian 2007 in einer britischen Kinoproduktion (unter anderem mit Rupert Everett, Colin Firth, Stephen Fry) ihr Unwesen. Und Ronald Searle gilt inzwischen in England als mit Abstand wichtigster satirischer Zeichner des 20. Jahrhunderts. »Er war der zeichnende Chronist des zwanzigsten Jahrhunderts und nicht nur der furchtloseste, sondern auch charmanteste Vertreter seiner Zunft. Mit ihm

Foto: Archiv Diogenes Verlag

über sprechen könnte.« Searles Buch war keine leichte Geburt. Das Vertriebliche war zwar rasch geklärt, doch der Monat vor dem geplanten Erscheinungstermin war dann alles andere als ruhig: Im September 1952 musste Keel ins Krankenhaus – Mandelentzündung. Zuvor machte er das Buch in Nachtarbeit druckfertig, lieferte das selbst übersetzte Manuskript in der Druckerei Käser Presse in Zürich ab und sich selbst ins Krankenhaus ein. Letztlich ging alles gut: Die Mandeln wurde herausgenommen, das Buch gedruckt. »Heute endlich ist mir vom Drucker das erste fertige Buch in die Hand gedrückt worden. In der ›Verlagshöhle‹ türmen sich die Bände auf Nachttisch und Kommode, es häuft sich das Papier in allen Ecken, dermaßen, dass die Putzfrau sich bald weigern wird, ihren Fuß wieder in meine Bude zu setzen«, schrieb Keel im Oktober 1952 an den Freund Hans Leopold Davi. Am 20. Oktober wurde Weil noch das Lämpchen glüht ausgeliefert. Ronald Searle war »delighted«, und er war nicht der Einzige: Hans Leopold Davi berichtete Keel Ende 1952: »Das Lämpchen glüht! Die Zeitungen waren voll des Lobes, Orell Füssli hat bald hundert Exemplare, Plüss bald fünfzig verkauft. Ich werde vermutlich


Buchtipps

Bilder im Uhrzeigersinn, von rechts oben: Daniel Keel (links im Bild) als junger Buchhändler der Münchner Buchhandlung Ludwig in der Theatinerstraße, 1949

992 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05600-6

Zwar nicht 60 Jahre, aber immerhin 50: die Verlagsgeschichte

Druckofferte vom 29. Juli 1952 für das erste Diogenes Buch Umschlagentwurf für den SearleBand, der Titel sollte sich noch ändern. Und nicht Erich Kästner schrieb das Vorwort, sondern Friedrich Dürrenmatt. Der Jungverleger mit einem Andruck, 1959 Dürrenmatts Begleitschreiben zu seinem Vorwort für Weil noch das Lämpchen glüht

Buchtipp 336 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05620-4

Foto: Archiv Diogenes Verlag

112 Seiten, Pappband ISBN 978-3-257-02119-6

Zum 60. Verlagsjubiläum: Das allererste Diogenes Buch, Cartoons von Ronald Searle mit einem Vorwort von Friedrich Dürrenmatt, in einer nostalgischen Faksimileausgabe Ronald Searle – »Der Jonathan Swift der Feder.« Friedrich Dürrenmatt

starb nicht nur ein Ausnahmekünstler, ein Liebling des Publikums, ein höchst scharfsinniger Beobachter und Kommentator seiner Zeit. Mit Ronald Searle ist auch eine Ära beendet«, schrieb Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Nachruf. Ronald Searle starb am 30. Dezember 2011, wenige Monate nach seinem Schweizer Verleger. Und so ist die Faksimile-Ausgabe zum 60. Verlagsjubiläum auch eine doppelte Hommage an Ronald Searle und an Daniel Keel. Und ein Anlass, sich wieder an den Internatszöglingen von St. Trinian und an den anderen Karikaturen zu erfreuen, die vor 60 Jahren so anstößig waren, dass kein deutscher Verleger sich an sie herantraute. Zum Glück – denn sonst gäbe es keinen Diogenes Verlag. kam

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Briefe von und an Loriot, Fellini, Süskind, Ungerer, Sendak, Highsmith, Schlink u. v. m.

ca. 288 Seiten, Klappenbroschur ISBN 978-3-257-05617-4

Verstreute Texte aus 60 Jahren. Einblicke in die Welt des Verlegers und Menschen Daniel Keel

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Verlagschronik

Werbebrief und Verlagsprospekt für das erste Diogenes Buch, das 1952 erschien.

Wie gründet man einen Verlag? »Man ›nimmt‹ einen acht, 1955 zwölf, 1956 fünfzehn Bücher – aus dem Hobhoffnungsvollen Autor, einen gutgläubigen Drucker, by wird ein echter Verlag, der den Verleger aber nur mietet ein möbliertes Zimmer und eine Schreibma- spärlich ernährt. In einer Anzeige im Schweizer Buchschine, damit man dem Autor leserliche Briefe schrei- handel heißt es: »Wer nimmt in seinem Wagen gegen ben kann. Zumindest in meinem Fall war das so«, so Benzinanteil Diogenes zur Frankfurter Buchmesse Daniel Keel über die Geburt des Diogenes Verlags. mit?« Das erste Buch erscheint 1952: Cartoons von Ronald Mit Cartoonbüchern, zum Beispiel von Tomi UnSearle, das zweite mit Zeichnungen von Paul Flora, der gerer oder Jean-Jacques Sempé, aber vor allem von Loden ersten Verlagssitz als »altmodisches Untermieter- riot verdient der junge Verleger sein Geld. Das ambitizimmer in einer altmodischen Wohnung in einem alt- onierte Kunstbuchprogramm, die ›Sammlung Atelier‹ modischen Haus« beschrieb, »mit der Buchhaltung in mit illustrierten Büchern über Pablo Picasso, Paul einem alten Persilkarton unter einem altmodischen Klee, Paul Cézanne, Ambroise Vollard und anderen ist Bett«. Im zweiten Verlagsjahr erscheinen sechs, 1954 dagegen ein kostspieliger Ladenhüter. Die Mittel blei-

Fotos: Archiv Diogenes Verlag

Daniel Keel steht Hildi Hess in ihrem Atelier Modell, 1953. Verlag und Verleger logierten die ersten acht Jahre von 1952 bis 1960 zur Untermiete in einem möblierten Zimmer bei der Bild­ hauerin in der Zürcher Merkurstraße 70.

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Neben Loriot der zweite Erfolgsgarant für den jungen Verlag: Rudolf C. Bettschart (auf dem Foto rechts, 1969), der 1954 dazustieß und bis heute als Partner die geschäftlichen Geschicke des Verlags lenkt. Einer der ersten Dio­ genes Bestseller hieß bezeichnender­weise: Der Weg zum Er­folg. Und tat­sächlich wäre das Wachstum des jungen Verlags ohne die Bü­ch­er von Loriot undenkbar. Oben: Loriot und Daniel Keel an der Frankfurter Buchmesse, 1954.

Bettschart beginnt für seinen Freund die Buchhalben lange bescheiden: Der Vater hilft beim Korrigieren der Bücher, der jüngere Bruder übersetzt Bildlegenden tung zu machen – zunächst in seiner Freizeit –, darin aus dem Englischen, die Mutter und Tanten falzen fallen besonders die Loriot-Verkaufszahlen positiv Prospekte. Die ersten acht Jahre dient Keels Wohn- auf: Seine Bücher sind die ersten Bestseller und füllen schlafzimmer gleichzeitig als Verlagsbüro. Erst 1957 die Kasse für literarische Experimente: illustrierte litekann sich der Verleger eine »halbe« Sekretärin leisten. rarische Texte, von Wolfgang Hildesheimer, aber auch Vor allem aber hilft ein Freund aus Kindheitszeiten: von Balzac oder Čechov. Und für den Ausbau von Rudolf C. Bettschart, der wie Keel am 10. Oktober Programm und Verlag. Die Geschenkbuchreihe ›Tabu‹ 1930 geboren wurde, exakt zwei Stunden und zwanzig mit Cartoons und den ›Für Anfänger‹-Bänden, darunMinuten später. Schon in der Grundschule schrieb ter viele humoristische Reiseführer, bildet das RückKeel die Aufsätze für Bettschart, während der im Ge- grat des Verlags im ersten Jahrzehnt. genzug die Mathematikaufgaben für Keel löste – ein Traumpaar.

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Oben: Subtile Werbung für die erfolgreiche Geschenkbuchreihe ›Tabu‹, in der ab 1954 bis Mitte der 1960er-Jahre 159 Bände erscheinen. Aus dem Hobby wird ein Geschäft: Der Verlag wächst in den 1960erJahren stark. Links: Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart mit Mitarbeiterinnen.

steigt die Zahl auf 30 und dann 40 Titel pro Jahr. 1970 erscheinen 54 neue Bücher. Mit der Zahl der verlegten Bücher wächst auch die Zahl der Angestellten und der Mut, mehr Literatur zu verlegen: Die ›Diogenes Erzähler Bibliothek‹ wird begründet, in der insgesamt 60 Bände erschienen. Im Allgemeinen Programm bilden angelsächsische Autoren wie Carson McCullers, Muriel Spark und Ray Bradbury, irische Literatur und Kriminalliteratur den Schwerpunkt. Diogenes erbringt mit Autoren wie Patrica Highsmith, Eric Ambler oder Ross Macdonald den Beweis, dass Kriminalliteratur

Fotos: Archiv Diogenes Verlag

In den 1960er-Jahren wird der Verlag erwachsen: 1960 bezieht Diogenes eine ganze Etage in der eleganten Rämistraße und stellt den ersten Lektor ein. Vor allem aber: Am 1. November 1961 wird Rudolf C. Bettschart Keels Partner und verantwortlich fürs Geschäftliche und Organisatorische. Am selben Tag fängt in der Galerie Daniel Keel Anne Diekmann an, die später als Anna Keel, Künstlerin und Ehefrau des Verlegers, den Verlag entscheidend prägen wird. Das Programm wächst: Bis 1960 gab es nie mehr als 20 Neuerscheinungen pro Jahr, 1961 sind es 24, dann

Links: Das Diogenes Team, 1969. Unten: Plakat von Tomi Ungerer für die ›Diogenes Kinder­ bücher‹, die 1964 lanciert werden – unter anderem mit Büchern von Tomi Ungerer.

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Kehrausball 1970 vor dem Umzug in die Zürcher Sprecherstraße, in der der Verlag noch heute seinen Sitz hat: Loriot, Roland Topor, Patricia Highsmith und Daniel Keel. Links daneben: Prospekte für die ›detebe‹, die Diogenes Taschenbücher, die ab 1971 zum wichtigsten Programmteil werden.

literarisch anspruchsvoll sein kann und sich auch noch 1966 sogar zurück. Es sei nicht sein Ziel, Profit zu maverkauft – damals ein Novum. Doch auch der Bereich chen, sondern das zu publizieren, was Spaß mache – Cartoon wird weiter gepflegt, und da die Diogenes beharrt Keel. Mit der Konsequenz, dass der Verlag Zeichner auch Kinderbücher machen, gibt es 1964 eine kurz vor der Pleite steht. Bettschart kann das Blatt neue Reihe: ›Diogenes Kinderbücher‹. Erste wichtige wenden, vor allem dank den Diogenes Sonderbänden, Titel sind Tomi Ungerers Die drei Räuber und Mau- literarischen Anthologien, die, günstig in hohen Aufrice Sendaks Wo die wilden Kerle wohnen. Mit der lagen in der DDR gedruckt, als ideale Geschenke reivielgespielten Molière-Neuübersetzung von Hans ßenden Absatz finden. Weigel wird 1963 der ›Diogenes Theaterverlag‹ gegründet. Doch mit reiner Belletristik verdient Diogenes immer noch kein Geld: Der Umsatz stagniert und geht

Foto links: © Klaus Hennch; Foto rechts: © Eric Bachmann

In den 1960er-Jahren verlagert sich der Schwerpunkt des Verlagsprogramms, weg von Cartoon und Geschenkbuch in Richtung Literatur. Ein Prestigegewinn ist der Verlagswechsel von Alfred Andersch (Foto von 1969) zu Diogenes 1967. Efraim ist der erste literarische Bestseller des Verlags, Weihrauch und Pum­ pernickel von Otto Jägersberg 1964 das erste große literar­ische Debüt bei Diogenes.

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Die 1970er-Jahre werden vor allem geprägt von den Diogenes Taschenbüchern, die ab 1971 zu einer gewaltigen Programmexpansion führen und zum finanziellen Fundament werden, vor allem die sehr erfolg­ reichen schwarz-gelben Krimi-Taschenbücher. (Die Reihe stirbt 1996, nicht ohne ein paar stille Tränen.) In einer Zeit, in der andere Verlage das Literarische vernachlässigen und vermehrt auf Theorie und Sachbuch setzen, positioniert sich Diogenes als »letzter Belletrist« und publiziert das erzählerische Gesamtwerk vieler Autoren. Inzwischen zählt der Verlag mehr als 20 Mitarbeiter, bald schon 30, die seit 1970 in der Sprecherstraße untergebracht sind. Höhepunkte der

Verlagsgeschichte: 1973 übernimmt der Verlag die Weltrechte an Federico Fellinis literarischem und zeichnerischem Werk, 1977 beginnt Diogenes eine Georges-Simenon-Gesamtausgabe (die 1994 abgeschlossen wird), 1978 wird Friedrich Dürrenmatt, der ein Vierteljahrhundert zuvor das Vorwort zum ersten Diogenes Buch geschrieben hatte, Diogenes Autor. 1977, zum 25-Jahr-Jubiläum, erscheinen 134 Titel, darunter Bücher von Alfred Andersch, Urs Widmer und Klassiker-Werkausgaben von Balzac und Schopenhauer. Aus Diogenes ist nun definitiv ein literarischer Verlag geworden. Zwar gibt es immer wieder Erfolge zu feiern, wie 1975 Das große Liederbuch von Tomi Un-

Foto links: © Anna Keel; Foto Mitte: © Candid Lang; Foto rechts: © Anna Keel

Daniel Keel mit Federico Fellini, dessen Weltrechte der Verlag seit 1973 betreut, und Friedrich Dürrenmatt, 1977.

Oben: Daniel Keel mit Georges Simenon in Lausanne, 1977. Links: Daniel Keel in seiner Galerie mit Tomi Ungerer, 1974. Ungerers Großes Liederbuch wird ein veritabler Longseller.


Foto links: © Gino Molin-Pradel; Foto Mitte: © Anna Keel; Foto o. rechts: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto u. rechts: © RDB / Blick / Hans Friedli

Rudolf C. Bettschart und Patricia Highsmith bei der Feier zum 25jährigen Verlagsjubiläum in Wien, 1977. Rechts: Patrick Süskind und Daniel Keel vor dem Schloss de Montaigne bei Libourne, 1994. Der Welterfolg von Das Parfum ist der Wendepunkt für den Verlag. Die Essais von Montaigne, einem der Hausheiligen des Verlags, sind 1992 ein großer Erfolg beim Publikum und bei der Kritik.

Daniel Keel überreicht Ingrid Noll die Goldene Diogenes Eule für über eine Million verkaufte Bücher, 1999. Darunter: John Irving bei seinem ersten Besuch im Verlag, 1982.

gerer oder 1978 Wahrscheinlich guckt wieder kein ren durchzusetzen, wird zum Hauptanliegen. Eine Schwein von F. K. Waechter, doch in der Belletristik Zäsur markiert 1982 der Weggang des Cheflektors kommen selten Auflagen über 10 000 Exemplare vor, Gerd Haffmans, der nach Differenzen einen eigenen von Bestsellern ganz zu schweigen. 1980 schreibt Da- Verlag gründet – ein Großteil des Lektorats verlässt niel Keel in einem internen Memo: »Seit bald dreißig den Verlag. »Welcher Millionär erleichtert dem jüngsten VerleJahren sammeln wir, nicht Bücher, nicht Objekte, sondern Autoren. Frage: Haben wir die richtigen gesam- ger seine Arbeit, indem er ihm ein paar tausend Franmelt? Ich glaube, ja.« Die achtziger Jahre sind die Zeit ken à fond perdu überlässt?« Diesen Spendenaufruf der Konsolidierung: Die Aufbauphase der Taschen- hatte Keel Ende der 1950er-Jahre notiert, als Idee für buchreihe ist vorüber, nach der Rekordmarke im Jahr eine nie erschienene Anzeige. Erst der Welterfolg von 1981 mit 169 Novitäten sinkt die Zahl der Neuerschei- Patrick Süskinds Das Parfum macht Diogenes 1985 finungen langsam. Den bestehenden Autorenfundus zu nanziell unabhängig und bedeutet auch international verwalten, die alten und neuen Bücher der Hausauto- den Durchbruch.

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Links oben: Bernhard Schlink und Daniel Keel, 2000. Unten: Martin Suter und Donna Leon auf der Frankfurter Buchmesse, 1998. Mitte: Diogenes Geschäftsleiter Stefan Fritsch (links), Winfried Stephan (rechts) und Paulo Coelho feiern mit einer Buch-Torte das millionste Exemplar des Alchimisten, 2003. Rechts: Anna Keel mit Federico Fellini in der Galerie Daniel Keel, Mitte der 1970er-Jahre

Ist der Verlag in den 1970er-Jahren den Kinderschuhen entstiegen, so stehen die 1980er-Jahre im Zeichen der Professionalisierung. Abteilungen wie Werbung, Vertrieb, Presse und Lizenzen werden personell verstärkt und besser organisiert. Und vor allem: Diogenes schafft es, auf die Erfolgswelle des Parfums aufzuspringen und sich dort zu halten. Diogenes Bücher werden gelesen: von John Irving, Andrzej Szczypiors­ ki, Erich Hackl, Ingrid Noll, Doris Dörrie oder Phi­ lippe Djian, später Donna Leon, Paulo Coelho, Ian McEwan, Bernhard Schlink, Martin Suter oder Martin Walker – und von vielen mehr. »Diogenes hat den Bogen raus. Nicht nur in der Unverfrorenheit, mit der der

Bernhard Schlink Der Vorleser Roman · Diogenes

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Verlag seine Bücher für ›weniger langweilig‹ erklärt; er versteht es auch, den gebildeten Ständen ein Programm zu servieren, das sich zu allem Überfluss auch noch gut verkauft«, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Doch »Longseller sind besser als Bestseller«, findet Daniel Keel, und so leistet sich der Verlag bis heute viele Bücher, die sich nur selten (manchmal auch gar nicht) verkaufen, und versucht, das Gesamtwerk seiner Autoren lieferbar zu halten. Egal, ob als schön gedrucktes Diogenes Buch, als Hörbuch oder E-Book, noch immer gilt das Diogenes Motto: »Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige« (Voltaire).

Martin Walker Bruno Chef de police

Ian McEwan Abbitte Roman · Diogenes

Martin Suter Small World Roman · Diogenes

Roman · Diogenes

Benedict Wells Fast genial Roman · Diogenes

Astrid Rosenfeld Adams Erbe Roman · Diogenes

Foto o. links: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag; Foto u. links: © Hans-Gustav Harksen / Diogenes Verlag; Foto Mitte: © Sabine Dreher; Foto rechts: © Felicitas Timpe

Das Verlagssignet im Laufe der Zeit: 1955, von Daniel Keel gezeichnet, 1972, von Otto Dörries gestaltet, und seit 1977 ein Entwurf von Hans Höfliger.


Foto o. links: © Lorenz Cugini; Foto o. rechts: © Andri Pol; Foto u. links: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag; Fotos u. Mitte: Archiv Diogenes Verlag; Foto u. rechts: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag

Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung (hinten, von links nach rechts): Stefan Fritsch, Rudolf C. Bettschart, Jakob Keel, Katharina Erne, Winfried Stephan; (vorn, von links nach rechts): Ruth Geiger, Philipp Keel und Daniel Kampa, 2012.

Das Diogenes Team mit Rudolf C. Bettschart (zweite Reihe ganz links) und Daniel Keel (erste Reihe ganz rechts) 2011 vor dem Verlagshaus fotografiert.

Heute besteht das Diogenes Team aus 72 Mitarbeitern: Kompagnon der ersten Stunde, Teilhaber und DeleIn Zürich arbeiten 54 Frauen und 18 Männer. In 60 Jah- gierter des Verwaltungsrats, ist weiterhin aktiv im Verren sind 4070 Bücher von 796 Autoren erschienen, in lag tätig. »Eigentlich bin ich optimistisch, denn einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemp- schließlich wird der große Mythos vom Menschen, der einem anderen eine Geschichte erzählt, nicht so schnell laren. Wie geht es weiter? Nach dem Tod von Anna Keel verschwinden«, so sagte einst Federico Fellini. Auch der Diogenes Verlag blickt optimistisch in die 2010 und dem Tod von Daniel Keel ein Jahr später hat im April 2012 Philipp Keel die Nachfolge seines Vaters Zukunft – das Archiv zur Verlagsgeschichte heißt jeals Diogenes Verleger angetreten, sein Bruder Jakob ist denfall seit der Gründung »100 Jahre Diogenes«. kam Präsident des Verwaltungsrats. Rudolf C. Bettschart,

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Seit 60 Jahren in Zürich beheimatet, immer im selben Quartier. Von einem Zimmer in der Merkurstraße 70 zwischen 1952 und 1960, über die Beletage in der Rämi­ straße 33 bis 1970, zur Sprecherstraße 8, wo erst drei Etagen bezogen wurden und seit dem Umbau 1995 auch der größte Teil des Neben­ hauses genutzt wird.

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Interview

Ein Gespräch mit Philipp Keel

Wir machen weiter

Herr Keel, Ihr Vater, Diogenes Gründer Daniel Keel, ist im vergangenen September gestorben. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie seine Nachfolge angetreten haben? Mir kam es gar nicht so lange vor. Irgendwie war es für uns alle unvorstellbar, dass mein Vater einmal nicht mehr da sein würde. Trotzdem habe ich mich aber schon lange gefragt, was in dem Falle passieren würde – vor allem: was die Konsequenzen wären, wenn jemand, also ich, die Verantwortung nicht übernähme. Und ich finde, die Familie, jemand aus der Familie, schuldet das dem Verlag. Die vergangenen sechs Monate haben mir klargemacht, dass ich diese Aufgabe gerne annehme und ich mir einen Frühling für Diogenes vorstellen kann. 108

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Sie sind der Jüngere. Wollte Ihr Bruder Jakob nicht? Wir zwei sind zwar völlig verschieden, verstehen uns aber sehr gut. Jakob ist mehr der Zahlenmensch, weniger verspielt. Er hat als Präsident des Verwaltungsrats ein wichtiges beratendes Mandat und ist mir in dieser Position eine große Stütze. So wie Sie ihn und sich schildern, klingt das doch ähnlich wie die Aufgabenteilung zwischen Ihrem Vater und seinem Freund, Jahrgangsgenossen und Partner Rudolf C. Bettschart. Haben Sie mit Blick auf die Zukunft so etwas schon anvisiert? Ich kann mir wie bei meinem Vater auch gar nicht vorstellen, dass Ruedi Bettschart – mein Patenonkel, mein zweiter Vater – einmal nicht mehr da

ist. Wir leben und arbeiten so dahin, wir machen immer weiter: Das ist das Verrückte an diesem Verlag. Ich bin froh, dass Ruedi Bettschart jeden Tag im Haus ist und sich immer noch um alles kümmert. Ich bin zwar mit Diogenes aufgewachsen, konnte aber in den letzten Monaten viel Neues von ihm dazulernen. Was denn? Zum Beispiel, dass wir ruhig etwas strenger sein können bei dem, was wir uns bisher geleistet haben. Wir müssen zum Beispiel nicht mehr jedes Buch lieferbar halten, das sich nicht verkauft – ohne dass das gleich der Diogenes Kultur schadet. Damit sind wir bei dem, was Diogenes bleiben soll und was sich unter

Foto: © Nathan Beck

Seit April 2012 hat der Diogenes Verlag einen neuen Verleger. Philipp Keel übernahm die Nachfolge seines Vaters Daniel Keel, der den Verlag gegründet und bis zu seinem Tod im September letzten Jahres geleitet hat. Viele Traditionen will Philipp Keel mit seinem Kompagnon Rudolf C. Bettschart fortführen. Ein besonderes Anliegen ist ihm, dem Maler und Fotografen, die Gestaltung der Diogenes Bücher, ihr hoher Wieder­erkennungswert. Trotz schwieriger Zeiten für den klassischen Buchhandel ist er überzeugt, dass das gedruckte Buch überleben wird, wie er im Gespräch mit Martin Ebel erzählt.


Ihnen ändern wird. Ich frage mal stichwortartig ab. Der Zürcher Verlagssitz: Tradition, aber teuer. Wird bleiben. Die Unabhängigkeit des Verlags? Unbedingt! Die rein belletristische Ausrichtung? Auch. Wenn uns allerdings ein gut geschriebenes Sachbuch unterkommt, warum nicht? Ihr Vater sagte, er verlege keine Bücher, sondern Autoren. Bleiben Sie jedem, der einmal bei Diogenes veröffentlicht hat, treu? Ja, wenn er nicht mit einem Agenten kommt und Unmögliches verlangt. Die Verbundenheit mit den Autorinnen und Autoren ist für Diogenes von besonderem Wert. Die Liebe zu Klassikern und großen Werkausgaben? Ja. Ich halte übrigens eine schöne Ausstattung für einen Teil der Attraktivität. Sie kann eine zusätzliche Motivation sein, etwa für ein jüngeres Lesepublikum, sich an den gesamten Čechov oder den ganzen Balzac zu wagen. Das Erscheinungsbild: Weißer Umschlag mit abgerundetem Rähmchen um den Titel? Ich behaupte, und das könnte man mit Zahlen belegen, dass diese Ästhetik Diogenes sehr geholfen hat bei ihrer Einführung in den frühen Neunzigerjahren. Sie schafft Ruhe und einen Wiedererkennungswert in einem unruhigen und bunten Verlagsumfeld. Die ›D-Klasse‹ – also das gut unterhaltende, gut verkäufliche Buch als Markenzeichen? Mit diesen Büchern bin ich aufgewachsen. Mein Vater hat immer wieder Voltaire zitiert: »Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.« Natürlich müssen wir gewisse Bücher auch machen, um uns andere leisten zu können … … Paulo Coelho zum Beispiel … Zum Alchimisten habe ich meinen Vater sogar etwas gedrängt. Man könnte auch sagen, unsere ganz erfolgreichen Autoren tragen die weniger bekannten. Schließlich die Treue zu den Mitarbeitern – für Diogenes arbeiten 72 Leute, viele seit Jahrzehnten. Können Sie sich die in den heutigen Zeiten alle leisten?

So wie der Verlag aufgestellt ist, kann es bleiben. Wir haben eine Geschäftsleitung und ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie es kein zweites gibt, nicht nur in dieser Branche! Jeder arbeitet mit Leidenschaft mit, und auf keinen möchten wir verzichten. Der hohe Frankenkurs bereitet den Schweizer Verlagen große Probleme, auch Diogenes. Können Sie mit einem Kurs von 1.20 zum Euro langfristig leben? Es ist bestimmt nicht einfach im Moment, aber wir hatten ja auch sehr gute Jahre, als der Euro eingeführt wurde und hoch zum Franken stand. Da Deutschland unser größter Markt ist, verfolgen wir alle mit etwas Bangen,

Die Freude am Sinnlichen wird wieder eine größere Rolle spielen, gerade weil wir von so viel Technik umgeben sind. wie sich die Eurokrise entwickelt. Aber Unruhe und Angst begleiteten Diogenes von Anfang an. Mein Vater kam oft ratlos nach Hause und sah sein Schiffchen mehr als einmal kentern. Das haben wir alle mitgekriegt. Vielleicht gibt mir diese Krisenerfahrung eine gewisse Ruhe, auch bei schwierigen Perspektiven. Sie sind eigentlich Künstler. Wollen Sie den jetzt begraben? Das könnte ich gar nicht. Ich kann doch den Künstler in mir nicht abschneiden wie eine Scheibe alter Salami. Das habe ich mir eben auch überlegen müssen, bevor ich die Nachfolge antrat. Das eine wird das andere unterstützen. Ich muss mich künftig nur besser organisieren, denn ich fange nicht ein neues Leben an, sondern es kommt noch eines obendrauf. Wollen Sie den Verlag stärker in den Kunstbereich führen? Kunstbücher machen? Sicher nicht. Da ist der Markt schon gut bestückt. Aber natürlich ist mir das Visuelle wichtig. Das betrifft zum Beispiel den ganzen

Auftritt, das, was man Corporate Identity nennt. Das kann man sicher noch perfektionieren. Ein anderer Bereich ist das Kinderbuch. Ich bin mit Diogenes Kinderbüchern aufgewachsen, die mir mein Vater vorgelesen hat – das waren ja die einzigen Momente, die ich mit ihm allein hatte. Diese Autoren – Ungerer, Sendak, Sempé – möchte ich pflegen; ich denke, die Zeit ist wieder da für freche, lustige Kinderbücher. Das sind gute Namen, aber auch alte Namen. Ähnlich ist es in der Belletristik. Ihre Topautoren sind seit Jahrzehnten im Verlag. Wo bleiben die tollen neuen Stimmen? Die haben wir. Bestimmt gehören viele unserer besten Autoren zur Generation meines Vaters, doch wir sind mitten in einem Generationswechsel. Nehmen Sie Astrid Rosenfeld mit ihrem Roman Adams Erbe: Das ist unsere Entdeckung, und sie ist schon ein internationaler Erfolg. Dann Benedict Wells, Anthony McCarten, Laura de Weck, Christoph Poschenrieder, Miranda July. Oder Joey Goebel, von dem wir noch Großes erwarten. Im Herbst kommt mit Anna Stothard eine junge, vielversprechende Engländerin. Die Buchbranche ist schwerem Wetter ausgesetzt. Die Umsätze gehen zurück, E-Books sind im Vormarsch, das Urheberrecht ist unter Druck. Wie gut sind Sie aufgestellt fürs nächste Jahrzehnt? Was die Umsätze angeht, halten wir uns gut. Im E-Book-Bereich sind wir weit gediehen und entwickeln etwas, das ›Diogenes-like‹ ist. Meine Ideen kreisen aber doch vor allem um das klassische Buch. Ich denke, wir haben schwierige Zeiten vor uns, aber wir werden sie überstehen, und wenn dann viele nicht mehr wissen, was das gute klassische Buch ist, werden wir zu denen gehören, die immer noch wissen, wie man gute Bücher macht. Ich bin sicher, die Freude am Sinnlichen wird wieder eine größere Rolle spielen – gerade weil wir von so viel Technik umgeben sind. Es ist ein bisschen wie die alte Vespa, für die es ja auch eine neue Begeisterung gibt. Diogenes, die Vespa der Literatur? (lacht) Dieses Interview erschien zuerst im

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›Tages-Anzeiger‹, Zürich, am 28. April 2012. Diogenes Magazin

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60 Jahre Diogenes

Tomi Ungerer mit Thérèse Willer, die das Museum Tomi Ungerer in Straßburg seit seiner Eröffnung im Jahr 2007 leitet.

Die Bücherbilder von Tomi Ungerer K

urz vor dem 30. Verlagsjubiläum lanciert Diogenes 1971 eine eigene Taschenbuchreihe, die dem neuen Verlagsmotto huldigt: »Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige« (Voltaire). Denn in den Diogenes Taschenbüchern wird erzählt – was damals, kurz nach 1968, irrwitzigerweise geradezu revolutionär war. Denn »während andere Reihen ihr natürliches Fundament, das Epische, auf den Altären der Soziologie und Politwissenschaften geopfert haben, hat der Diogenes Verlag das Gegenteil getan … Diogenes tritt in die epische Lücke ein«, kommentierte Curt Hohoff damals. Während also andere Verlage im Taschenbuch auf Wissenschaft und Sachthemen setzten, kaufte Daniel Keel frei gewordene Lizenzen weltberühmter Erzähler und brachte sie als Taschenbücher auf den Markt. William Faulkner, W. Somerset Maugham, D. H. Lawrence, Anton Čechov, Robert Louis Stevenson, aber auch moderne Klassiker der Kriminalliteratur wie Hammett, Chandler, Macdonald, Ambler oder Patricia Highsmith.

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Diogenes Magazin

Neben dem abgerundeten Rahmen werden auch die Titelzeichnungen von Tomi Ungerer zum Erkennungszeichen der Reihe. »Umschlagvignetten, du kannst auf mich zählen, ich werde alle zeichnen«, verspricht Tomi Ungerer Daniel Keel 1973 in einem Brief. Und er hält sein Versprechen, zeichnet

»Umschlagvignetten, du kannst auf mich zählen, ich werde alle zeichnen.« in seinem Atelier auf der Grundlage von Inhaltsangaben oder kommt in den Verlag, wo er manchmal an einem einzigen Nachmittag ein ganzes Programm kongenial umsetzt. Bis Mitte der 1980er-Jahre gestaltet Tomi Ungerer mehrere hundert Diogenes Umschläge, vor allem für die bald legendäre schwarz-gelbe Krimireihe, aber auch für die großen Werkausgaben, die in unterschiedlichen Farben gehalten sind: das Faulkner-Blau, das Lawrence-Grün, das Orwell-Rot.

Der passionierte Leser Tomi Ungerer schwärmt noch heute: »Es war mehr als eine Arbeit, es war ein Austausch über Literatur, ein Wiederentdecken oder Wiederlesen von Klassikern. Was habe ich mit Daniel Keel in diesen Jahren über Bücher gesprochen! Wir haben uns gegenseitig Tipps gegeben, er hat Klassiker gedruckt, die ich ihm empfohlen habe, und im Gegenzug habe ich Bücher gelesen, die ich sonst nie in die Hand genommen hätte.« Heute lagern mehr als tausend Entwürfe für die Diogenes Buchumschläge im Archiv des Museum Tomi Ungerer in Straßburg, in der professionellen Obhut der Direktorin Thérèse Willer. Die Zeichnungen werden momentan eingescannt und katalogisiert, eine große Ausstellung ist in Vorbereitung. Vorab erscheint eine Postkartenbox mit 60 ausgewählten Motiven zum 60. Jubiläum des Diogenes Verlags. Tomi Ungerer kann es heute fast selbst nicht fassen, wie viele Entwürfe damals entstanden sind: »Woher habe ich nur die Zeit und die Energie gehabt? Das ist total verrückt. So etwas

Foto: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag

»Ein Zeichengenie, einer der großen Zeichner dieser Epoche«, nannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Tomi Ungerer. Und dieses Genie konnte der Diogenes Verlag in den 1970er-Jahren verpflichten, Umschlagvignetten für die neu lancierten Diogenes Taschenbücher zu zeichnen. Eine Zusammenarbeit, die das Gesicht der Diogenes Taschenbücher prägt – bis heute. Ein Glücksfall.


könnte ich heute gar nicht mehr schaffen.« Für die Auswahl der Postkartenbox stöberte er in seinen alten Skizzen – es war wie eine Zeitreise für den Zeichner: »Das war eine Zeichnung für einen Highsmith-Roman. Ach, die Pat, so eine skurrile Frau! Das hier sind Skizzen für die Werkausgabe von W. Somerset Maugham, das sind Bilder für die irischen Klassiker, das ist gar nicht so schlecht gezeichnet, nicht wahr?« Das Archiv birgt sogar für Tomi Ungerer einige Überraschungen: unveröffentlichte Skizzen, Zeichnungen, die der Künstler selbst vergessen hat. Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Verlag und Tomi Ungerer wird sicherlich nie in Vergessenheit geraten. Denn noch heute werden viele Diogenes Bücher mit Tomi Ungerers Vignetten nachgedruckt, auch wenn die Hintergrundfarbe der Bücher seit 1996 weiß ist. Bereits 1981 schrieb das Magazin Graphik: »Seit zehn Jahren gelingt es dem Verlag, sein ambitioniertes literarisches Programm ebenso anspruchsvoll wie ansprechend zu präsentieren. Die Einbandgestaltung ist mittlerweile zum Markenzeichen geworden.« Dieses Lob gebührt vor allem Tomi Ungerer und seinen wunderschönen Bücherbildern. kam

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Buchtipp

Illustrationen: © Tomi Ungerer

Box mit 60 farbigen Postkarten ISBN 978-3-257-02117-2 Erscheint im November

Zum 60. Verlagsjubiläum gibt es jetzt eine prächtige Postkarten-Box mit den 60 schönsten Bücherbildern von Tomi Ungerer. Es ist eine Art visuelle Verlagsgeschichte, eine gezeichnete Literaturgeschichte, eine Tomi-Ungerer-Ausstellung en miniature, vor allem aber ein wahrer Augenschmaus.

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Essay

Doris Dörrie

Hunger nach Geschichten W

ie lernt man das Erzählen? Eine gewisse vererbte Neugier hilft wahrscheinlich. Meine ganze Familie ist neugierig. Mein Großvater spazierte in den Sommerferien den ganzen Tag den Strand entlang, die Hände auf dem Rücken, und abends wusste er über alle Urlauber etwas zu erzählen. Verwickelte Familiengeschichten, bestürzende Tragödien, komische Anekdoten, unglaubliche Verirrungen und Verwirrungen. Neben dem Esstisch im Haus meiner Großeltern hing ein Bild mit Judith und dem blutigen, abgeschlagenen Kopf des Holofernes auf einem Teller. Ich hielt das für sehr passend, zum einen wegen des Tellers, und zum anderen wegen der oft schaurigen Geschichten, die mein Großvater zu erzählen wusste. Wenn er sprach, schwiegen alle und hörten auch auf zu essen. Das störte mich manchmal ein wenig, aber je besser die Geschichte war, die er erzählte, umso mehr vergaß man den Hunger. Einen härteren Test für einen Erzähler gibt es wohl kaum.

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Diogenes Magazin

Meine Mutter hat die Neugier und die Fähigkeit, mit jedem ins Gespräch zu kommen, von ihrem Vater geerbt. Außerdem besitzt sie einen überfeinen Hörsinn für intime Gespräche viel weiter vorn in einer Warteschlange oder am übernächsten Tisch in einem Restaurant. Das Aufschnappen gilt in mei-

Welche Fassung mir am besten gefiel? Die mit dem Blut! Denn grässlich mag ich gern! ner Familie als Kunst. Man kehrt mit ›Aufgeschnapptem‹ nach Hause zurück wie eine Katze mit einer Maus im Maul und legt es stolz vor den erwartungsvollen Zuhörern ab. Auf die Straße zu gehen und nichts zu erleben, wovon man erzählen könnte, erscheint uns seltsam, fast sinnlos. Mein Vater ist ein Pointenkünstler und pflegt die Übertreibung und Über-

höhung. Er hat größenwahnsinnige Nachtträume und eine pessimistische Weltsicht, daraus speist sich sein tiefschwarzer Humor und anarchischer Geist. Seine Ironie und sein Spaß am Unsinn trieben mich als Kind zu cholerischen Anfällen, weil er vorsätzlich alle Märchen durcheinanderbrachte. Der böse Wolf fraß Schneewittchen, Goldmarie heiratete Hans im Glück, und Rumpelstilzchen fing mit dem Däumling ein neues Leben an. Ich liebte Märchen über alles, besonders die blutrünstigen Versionen. Meine besorgte Mutter erzählte mir die vegetarischen Fassungen, aber von einer robusten und sehr jungen Babysitterin hörte ich die blutigen. Gefragt, welche Fassung mir denn besser gefiele, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen: Die mit dem Blut! Denn grässlich mag ich gern! Na klar – die Dramaturgie der größtmöglichen Fallhöhe erkennt schon jedes kleine Kind.

Foto: © Florian Jaenicke / laif

Der Vater ein Pointenkünstler, die Mutter eine Aufschnapperin – Doris Dörrie liegt das Erzählen im Blut. Schon als Kind verschlang sie Geschichten wie andere Kinder Gummibärchen. Sie glaubt, dass wir gar nicht anders können, als uns unsere Lebens­geschichten zu erzählen, weil wir sonst verrückt würden.


Als ich anfing zu lesen, flüchtete ich mich in Grimms Märchen wie in ein Zimmer, das ich hinter mir absperren konnte und zu dem niemand anders Zutritt hatte als ich selbst. In einer großen Familie war das eine faszinierende Entdeckung, dass ich nur zu lesen brauchte, um allein in eine andere Welt zu gehen. Ich begann Bücher zu verschlingen wie andere Kinder Gummibären. Ich wurde süchtig und habe diese Sucht nie wieder ablegen können. Lesen als Betäubung. Die Geschichten der anderen, um der eigenen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Irgendwann entdeckte ich, dass ich in den gelesenen Geschichten selbst auftauchen konnte, wenn ich sie mir in der ersten Person selbst erzählte. Ich verwandelte mich abwechselnd in Winnetous Schwester oder sein Pferd, war Robinsons Freitag und fuhr als meuternder Matrose mit auf der Bounty. Ich erzählte mir diese Geschichten selbst zum Einschlafen. Wenn ich Glück hatte, wurden sie zu meinen Träumen. Diese Technik habe ich bis heute beibehalten. Ich gehe mit meinen erfundenen Figuren ins Bett und hoffe, dass sie in meinem Traumhirn umherwandern und aufregende Dinge erleben. Klappt erstaunlich oft. Je älter ich wurde, desto weniger faszinierten mich die durch und durch exotischen Welten, dafür immer mehr die, die meiner eigenen ähnelten. Ich las mich von Karl May und Stevenson vor zu Dostojewski, Tolstoi und Čechov, dann immer weiter zu Autoren wie Bachmann, Kaschnitz, Frisch und Handke, bis ich, als ich in den USA studierte, bei Carver, Munro, Ford, Beattie anlangte. Dass es möglich war, die alltägliche Welt exotisch zu beschreiben, beeindruckte mich zutiefst und beeinflusste mich bei meinem eigenen Schreiben wahrscheinlich am gründlichsten und nachhaltigsten. Der Naturalismus dieser amerikanischen Autoren lehrte mich, dass in der genauen Beobachtung meiner Umgebung der Schlüssel für mich lag – damit war ich im Grunde wieder bei meinem Großvater und seinen Strandreports gelandet. Zuhören und Zuschauen, ein aufmerksamer Zeuge sein, das wurde meine Schreibgrundlage. Die Neugier,

die mir meine Mutter vermacht hatte, und meine eigene Kommunikationswut kamen mir dabei sehr zu Hilfe. Um das gesammelte Material dramaturgisch zu formen – also zu überspitzen und die Pointe beziehungsweise den Sinn zu finden –, orientierte ich mich am Erzählen meines Vaters. Ich betrachte mich also als das erzählgenetische Produkt meiner Familie. Die Frage ist, warum alle in meiner Familie so unbedingt erzählen mussten und müssen. Sicherlich, um zu unterhalten, sich zu produzieren, Applaus zu bekommen. Aber der eigentliche Antrieb scheint mir vor allem das Staunen darüber zu sein, wie die anderen ihr Leben meistern. Die ernsthafte Neugier darauf, wie man das so macht

Wir haben ein Geschichtengehirn, das gefüttert werden will. Es ist ein Nimmersatt. mit dem Leben. Und vor allem mit dem Leiden, das anscheinend das Wesen des Lebens ist. In all den verschiedenen Varianten des Erzählens am Esstisch war für mich immer derselbe Impuls zu spüren: Weil das Leben Leiden ist, müssen wir erzählen. Wir müssen erzählen, um nicht verrückt zu werden. Überraschende Happyends nähren die idiotische Hoffnung in uns, dass das Leben am Ende doch gut ausgehen könnte. Erschütternde Tragö­ dien lassen uns erleichtert aufatmen, weil es die Tragödien der anderen sind. Geschichten sollen uns das Unerklärliche erklären. Wir können nicht nicht erzählen. Unser Gehirn möchte Zusammenhänge erkennen. Es besteht darauf, in Wolkenformationen Gesichter und Tiere zu sehen. Es kann nicht anders. Wir haben ein Geschichtengehirn, das gefüttert werden will. Es ist ein Nimmersatt. Wir bekommen nie genug. Und je mehr wir uns antrainieren, in einer scheinbar sinnlosen Aneinanderkettung von Details erkennbare Formen und Geschichten auszumachen, umso mehr haben wir zu erzählen.

Eine große Familie scheint das Erzählohr und -erbe zu fördern. Wir saßen immer an einem großen Esstisch, und immer hatte einer der Erwachsenen etwas zu erzählen. Unbeobachtet und unbeachtet konnte man als Kind am Tischende zuhören oder es auch lassen – auf jeden Fall bekam man oft Geschichten mit, die nicht unbedingt für Kinderohren bestimmt waren. Ich konnte studieren, wie eine Geschichte erzählt wurde, ob unterhaltsam oder langweilig, wann man auf die Pointe lauerte, wann man das Interesse verlor, welche Protagonisten interessant waren und welche weniger. Ein Essen ohne Erzählung war nicht vorstellbar. Wozu setzte man sich denn sonst zusammen an einen Tisch? In einer Kleinfamilie wird das Erzählen schnell mühsam, besonders, wenn einer der beiden Eltern kein Erzähltalent hat. Und wenn man gar nicht mehr zusammen isst, wo wird dann noch erzählt? Und wo wird das Erzählen trainiert? Woher bekommt man ein knallhartes Publikum wie die eigene Familie, die einfach aufsteht und den Tisch abräumt, wenn die Geschichte nicht gut ist? Vielleicht sollten wir uns also um ein modernes ›Esstischtraining‹ bemühen, um große Tische, viele Leute, jung und alt – und gutes Essen.

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Buchtipp

256 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06781-1 Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

Ein Sommer in Spanien, nach dem nichts mehr sein kann, wie es war. Vier ganz unterschiedliche Menschen auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens. Kann man das Glück buchen wie einen Urlaub, alles inklusive?

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Essay

Bernhard Schlink

Für wen ich schreibe E

igentlich erzähle ich alles mir selbst. Als mein Sohn klein war und ich ihm vor dem Einschlafen Geschichten erzählt habe, habe ich ihm erzählt, was ich als Kind gerne erzählt bekommen hätte. Ich habe die Gestalten in Zeiten gesetzt und in Kostüme gekleidet, von denen ich wusste, dass er sie mochte – mal ins Altertum, mal ins Mittelalter und mal auf einen fernen Planeten. Ich habe den Geschichten auch Wendungen und Lösungen gegeben, von denen ich wusste, dass sie ihn freuten. Aber es blieben Geschichten, die ich gerne gehört hätte. Als ich zu schreiben anfing, war es nicht anders. Die Kriminalromane, die ich geschrieben habe, waren Kriminalromane, die ich gerne gelesen hätte. Ich habe auch, solange ich Kriminalromane geschrieben habe, keine anderen Kriminalromane gelesen – das Lesebedürfnis war im Schreibbedürfnis aufgehoben. Ich meinte nicht, meine Kriminalromane seien die besten und ich könnte keine besseren lesen. Aber einen besseren mochte ich neben dem Schreiben meines Kriminalromans ebenso wenig lesen, wie man neben der

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Lektüre eines Kriminalromans nicht zugleich einen anderen, besseren lesen mag. Erst seit ich keine Kriminalromane mehr schreibe, lese ich wieder andere Kriminalromane. Nicht dass ich heute neben dem, was ich schreibe, nichts läse. Das Feld der Kriminalliteratur ist klein genug, dass das Lesebedürfnis im Schreib­

Ich kann nur schreiben, was ich gerne läse, nur die Geschichten erzählen, die ich gerne erzählt bekäme. bedürfnis aufgehoben wird. Im großen Feld der übrigen Literatur passiert das nicht. Aber es bleibt dabei, dass ich nur schreiben kann, was ich gerne läse, nur die Geschichten erzählen kann, die ich gerne erzählt bekäme. Für wen schreiben Sie? Die Frage wird mir immer wieder von Schülern und Schülerinnen gestellt, die ein Referat über mich halten, eine Arbeit über mich schreiben müssen. Ich weiß nicht, ob die Schüler und Schülerinnen selbst

auf die Frage kommen, ich vermute, die Lehrer und Lehrerinnen regen sie an. Ich schreibe zurück, dass ich beim Schreiben nicht an Leser und Leserinnen denken und mir nicht vorstellen kann, was sie gerne lesen, um es ihnen dann zu geben. Das stimmt auch. Dass ich für mich selbst schreibe – so platt mag ich es nicht sagen. Wer sind Ihre Vorbilder? Auch auf diese Frage habe ich keine rechte Antwort. Was ich mir von anderen Autoren und Autorinnen gerne erzählen lasse und was ich mir gerne erzähle, hat vermutlich miteinander zu tun. Aber so schreiben, wie sie schreiben, so erzählen, wie ich mir von ihnen erzählen lasse – es kam mir nie in den Sinn. Geht es allen Autoren und Autorinnen so? Ich habe nur eine Autorin fragen können, die mir sagte, natürlich, so sei es, so gehe es ihr auch, so gehe es allen. Aber ob das stimmt? Ob andere nicht doch für die Leser und Leserinnen schreiben? Daran denken, was sie traurig und was sie glücklich macht, was sie hassen und was sie lieben? Damit spielen und es so komponieren, dass es wird, was sie wollen? Ich finde

Illustration: © Steinberg / Saul Steinberg Foundation / 2012 ProLitteris, Zürich

Denkt er an seine Leser, wenn er schreibt; stellt er sich vor, was sie traurig oder glücklich macht, was sie lieben oder hassen? Gibt es Vorbilder, an denen er sich beim Schreiben orientiert? Bernhard Schlink beantwortet in diesem Essay Fragen, die ihm seine Leser immer wieder stellen, und gibt Auskunft über sein Selbstverständnis als Schriftsteller.


die Vorstellung einer solchen Einfühlung, einer solchen Beherrschung der Leser und Leserinnen und der damit einhergehenden Gewissheit, gelesen zu werden, beeindruckend. Sollten Autoren und Autorinnen es tatsächlich können – ich neide es ihnen nicht. Obwohl ich gelesen werden möchte. Obwohl ich hoffe, dass, was ich mir selbst erzähle, auch andere gerne erzählt bekommen. Denn wenn die Hoffnung sich erfüllt – was für ein Geschenk! Es macht glücklicher, als die Bestätigung der Gewissheit es machen könnte. Als Kind habe ich Hauffs Märchen wieder und wieder gelesen. Dabei habe ich den von Hauff wunderbar gestalteten Rahmen ebenso gemocht wie die Märchen selbst, die Erzählung, wie die Menschen sich begegnen und dazu kommen, sich etwas zu erzählen, ebenso wie das, was sie sich erzählen. Ich habe davon geträumt, in der Karawane mitzureiten, meine Geschichte zu erzählen, die Geschichten der anderen erzählt zu bekommen und den Fremden am Ende seiner Erzählung sagen zu hören: »Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan.« Ich habe mir das Leben als Rahmen fürs Erzählen geträumt. Es ist mehr als das – zum Glück. Aber zum Glück ist es auch der Rahmen, in dem wir einander erzählen.

Buchtipp

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Foto: © Isolde Ohlbaum

Diogenes Taschenbuch detebe 24169, 288 Seiten Auch als Diogenes Hörbuch und E-Book

»Bernhard Schlink lotet tief und bietet fein nuancierende, erlesene Kammerspiele.« Focus

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Serie

Daniel Keel

auf der einsamen Insel Jeder kennt die Frage: Welches Buch würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen? In jedem Diogenes Magazin stellen wir diese Frage. Um es etwas spannender (und bequemer) zu machen, dürfen die Befragten mehr als nur ein Buch mitnehmen. Im letzten Jahr fragten wir Diogenes Verleger Daniel Keel. Leider blieb ihm keine Zeit mehr für die Insel. Er starb im September 2011 im Alter von 80 Jahren.

Musée de l’Orangerie des Tuileries, Paris hängt

Roman Stendhals Die Kartause von Parma und Flauberts Die Erziehung des Herzens

Parfum Aramis After Shave Sachbuch die Bibel, die Essais von Montaigne und Die Kulturgeschichte der Neuzeit von Egon Friedell

Kleidungsstück ein kobaltblaues Leinenhemd

Lyrik alles von Goethe, alles von Heine

Möbelstück ein harter Stuhl Spiel Eile mit Weile

Philosophie Walden von H. D. Thoreau

Erzählung Der Mantel von Nikolai Gogol Hörbuch Das Qualtinger Hörbuch und Flattergeist von Anton Čechov, gelesen von Ernst Schröder Zeitschrift D – Das Diogenes Magazin TV-Sender Tele Züri

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Schauspielerin Joan Greenwood, Judy Holliday und Marilyn Monroe

Essen (nicht süß) die echten Frankfurter Würstchen mit Meer­ rettich

Oper Cosí fan tutte von Mozart Trinken (alkoholisch) Bordeaux Klassik Die Streichquartette von Schubert und das Menuett aus Mozarts Violinsonate in e-Moll, KV 304, gespielt von Arthur Grumiaux und Clara Haskil

Trinken (nicht-alkoholisch) Cappuccino, Pina Ferrari macht ihn am besten Lebenspartner eine schöne Frau

Jazz Alles von Duke Ellington und Louis Armstrong, und Concert by the Sea von Erroll Garner

Lebensretter eine kräftige junge Frau

Film 8 1/2 und Orchesterprobe von Federico Fellini

Pop / Rock Was ist das?

Streitpartner Marcel Reich-Ranicki, bekannter Kritiker

TV-Serie Die Muppet-Show

Musikinstrument eine Harfe

Briefpartner Lieber telefoniere ich

Schauspieler Louis Jouvet, Alec Guinness und Fred Astaire

Gemälde Pommes et biscuits (um 1880) von Paul Cézanne, das sonst im

Haustier ein weißer Tiger

Diogenes Magazin

Illustration: © Bosc; Foto: © Willy Spiller

Theaterstück Frank V. von Friedrich Dürrenmatt, hochaktuell, Tartuffe von Molière, in der Über­setzung von Hans Weigel

Essen (süß) Original Zuger Kirschtorte von der Konditorei Speck beim Bahnhof in Zug


Serie

Bücher zum Verlagsjubiläum

Der Guten zu viele

Diogenes Taschenbuch detebe 24220, ca. 400 Seiten

Diogenes Taschenbuch detebe 24222, ca. 400 Seiten

848 Seiten, Leinen ISBN 978-3-257-06845-0

250 Autoren – aktualisierte Ausgabe, mit vielen Farbabbildungen »Glänzend geschrieben.« Marion Dönhoff über die Erstausgabe.

Kein »Alles was man lesen muss«-Kanon, sondern ein Buch, das einfach Lust machen soll auf mehr – mehr Bücher, von Homer über Balzac, Simenon bis Bernhard Schlink und Miranda July.

Vom Schreiben, Lesen und Büchermachen. 60 Geschichten von 60 Diogenes Autoren. Ein Buch für alle, die ohne Bücher nicht leben können (wohl aber ohne Bestsellerlisten).

»Der Diogenes Verlag ist einer der besten Verlage Europas.«

Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Le Monde, Paris

ca. 224 Seiten, Broschur mit Klappen ISBN 978-3-257-05616-7

288 Seiten, Broschur mit Klappen ISBN 978-3-257-05619-8

Bedeutende Geister widmen sich mit viel Herzblut dem Diogenes Verlag in Wort und Bild: Diogenes Autoren und Zeichner, aber auch Verleger­ kollegen und andere große Persönlichkeiten.

Ohne die Freundschaft zwischen Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart gäbe es den Diogenes Verlag in seiner heutigen Form nicht. Eine Hommage an die beiden Verleger. Texte der Weltliteratur zum Thema Freundschaft.

»Auf dem deutschsprachigen Markt liegt es nahe, neben der E- und der U- eine D-Klasse zu schaffen, benannt nach dem Diogenes Verlag.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ich habe lange überlegt und am Ende mich doch nicht entscheiden können, welches Diogenes Buch von den vielen, die ich kenne, mir das liebste ist. Es sind ein paar vom Lesen und vom Altern auf dem Bücherbrett zerfledderte dabei, von Carson McCullers und Margaret Millar bis Gotthold Ephraim Lessing und so fort. Bei Margaret Millar begegnete ich zum ersten Mal einer Bougainvillea, inmitten eines üppigen Gartens in Kalifornien, und diese Pflanze animierte mich zu einer abenteuerlichen Reise ins 18. Jahrhundert und auf die SalomonenInseln; der Lessing wiederum und seine Übertragung der Äsopischen Fabeln tat mir wohl mit der Lebenskraft seiner wunderbar altfränkischen Sprache. Natürlich schätze ich auch meine eigenen, bei Diogenes erschienenen Bücher nicht gering. Und nicht zuletzt diejenigen, die ich ohne großes Überlegen, auf dem Bahnhof oder dem Flughafen in letzter Minute vor einer Reise kaufte. Weil es Diogenes Bücher waren. Und weil ich wusste, dass sie mir Leben und Arbeit erleichtern würden.

Von Hans Werner Kettenbach sind elf Bücher bei Diogenes erschienen. Zuletzt: Tante Joice und die Lust am Leben, vermischte Prosa aus sechs Jahrzehnten – hintergründig und voller wunderbarer Einsichten.


Vorschaufenster

Impressum

Kino & T V

Geschäftsleitung: Katharina Erne, Ruth Geiger, Stefan Fritsch, Daniel Kampa, Winfried Stephan Verleger: Philipp Keel

Ulrich Tukur, Corinna Harfouch, Ulrich Noethen. Voraussichtlicher Kinostart: diesen Winter. Mark Twain. Nach der Neuverfil­ mung von Tom Sawyer hat Hermine Huntgeburth nun auch Die Abenteuer des Huck Finn für die Leinwand adaptiert. Mit Heike Makatsch, August Diehl und Henry Hübchen. Kinostart: 3.1.2013. F. Scott Fitzgerald. Regisseur Baz Luhrmann drehte eine 3D-­ Neuver­filmung von Der große Gatsby mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire und Carey Mulligan. Kinostart: Sommer 2013. Françoise Dorner. Sandra Nettelbeck führte Regie und schrieb das Drehbuch bei der deutsch-belgischen Adaption von Die letzte Liebe des Monsieur Armand / Mr. Morgan’s Last Love. Mit Michael Caine, Clémence Poésy, Gillian Anderson. Voraussicht­licher Kinostart: Sommer 2013.

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Diogenes Magazin

Grafik-Design: Catherine Bourquin Scans und Bildbearbeitung: Catherine Bourquin, Tina Nart, Hürlimann Medien (Zürich) Webausgabe: Susanne Bühler (sb@diogenes.ch) Korrektorat: Franca Meier, Dominik Süess Bildredaktion: Regina Treier, Nicole Griessman Vertrieb: Renata Teicke (tei@diogenes.ch) Anzeigenleitung: Martha Schoknecht (msc@diogenes.ch) Abo-Service: Christine Baumann (diogenesmagazin@diogenes.ch) Für ein Abonnement benutzen Sie bitte die auf Seite 87 eingedruckte Abokarte. Abonne­ mentspreise: € 10.– für drei Ausgaben in Deutschland und Österreich, sFr 18.– in der Schweiz, andere Länder auf Anfrage. Beim Gewinnspiel sind MitarbeiterInnen des Diogenes Verlags von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Die Preise sind nicht in bar auszahlbar. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Alle Angaben ohne Gewähr. Redaktions­ schluss: 1. August 2012 / ISSN 1663-1641 Diogenes Magazin Sprecherstr. 8, 8032 Zürich, Schweiz Tel. +41 44 254 85 11, Fax +41 44 252 84 07 Über unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Korrespondenz geführt werden.

Gewonnen haben

Ausstellungen Tomi Ungerer. Das Museum Tomi Ungerer in Straßburg zeigt bis zum 11.11.2012 die Ausstellung Tomi Ungerers Tiergarten und im Anschluss Tomi amüsiert sich. Spiele und Spielzeug aus Tomi Ungerers Sammlung, vom 16.11.2012 bis 20.1.2013. F. K. Waechter. Zum 75. Geburtstag (3.11.2012) wird in Frankfurt (Haus des Buches) in den literarischen Nachlass geblickt. Vom 2.11. bis 31.12.2012. Die Stadt­bibliothek Reutlingen präsentiert Cartoons, Theater und Bilderbücher, bis 20.10.2012.

Chefredaktion: Daniel Kampa (kam@diogenes.ch) Stellvertretende Chefredakteurin: Cornelia Künne (ck@diogenes.ch) Redaktion: Martha Schoknecht (msc), Nicole Griessman (ng) Mitarbeit: Kerstin Beaujean (kb)

Loriot. Die Ausstellung Mooment – Loriot, der Brandenburger in Brandenburg folgt den Spuren Vicco von Bülows in seiner Geburtsstadt. Im Bürgerhaus Die Altstädter, Fotostatio­ nen in der Brandenburger Innenstadt, bis 16.12.2012. Paul Flora. Ausstellung Tanz der Linien in der Galerie Seywald, Salzburg, vom 27.11.2012 bis 12.1.2013. Wilhelm Busch. Das Olaf Gulbrans­ son Museum Tegernsee widmet ihm zum 180. Geburtstag (15.4.2012) die Ausstellung Populär und unbekannt, bis 20.1.2013.

Schreibtisch-Gewinnspiel aus dem Diogenes Magazin Nr. 9: Den Hauptpreis, Die vollständige Fernseh-Edition von Loriot auf DVD (Warner Brothers) und Das große Loriot Buch, zusammen mit einem 250-Euro-Diogenes-Büchergutschein, hat Peter Josteit aus Kierspe gewonnen. Je 1 x die Lo­ riot-DVD-Box und Das große Loriot Buch haben gewonnen: Kurt Hasler aus Aarau (CH), Ilse Hahn aus Apolda, Oliver Oehm aus Hamburg, Karin Naglik aus Oberndorf (A), Isette Richter aus Schildau, Wiltrud Güse aus Velbert, Werner Rosenfeld aus Kirchberg, Gisela Blöcker aus Hamburg und Dr. Volker Klimpel aus Dresden. Herzlichen Glückwunsch!

Illustrationen: © Tomi Ungerer

Martin Suter schrieb das Drehbuch für Christoph Schaubs Film Nachtlärm. In den Hauptrollen Alexandra Maria Lara und Sebastian Blomberg. Kinostart: 23.8.2012. Markus Welter führte Regie bei Der Teufel von Mailand mit Regula Grauwiller, Ina Weisse und Max Simonischek. Ausstrahlung SF 1: 30.9.2012, ZDF: 5.1.2013 geplant. Anthony McCarten schrieb das Dreh­ buch zur Verfil­ mung seines Romans Super­hero, der unter dem Titel Am Ende eines viel zu kurzen Tages mit Andy Serkis, Thomas Brodie-Sangster, Jessica Schwarz, Michael McElhatton und Sharon Horgan in die Kinos kommt. Regie: Ian FitzGibbon. Kinostart: 30.8.2012. Leo Tolstoi. Joe Wright drehte in England und Russland die Neuver­ filmung von Anna Karenina mit Keira Knightley, Jude Law, Aaron Johnson. Kinostart: 25.10.2012. Tomi Ungerer. Stephan Schesch verfilmte in einer europäischen Koproduktion das Kinderbuch Der Mondmann als Animationsfilm. Mit den Stimmen von Katharina Thalbach,


Schreibtisch

Wer schreibt hier?

Fotos: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag

H

och über den Dächern von Paris sitzt der wohl treueste Porträtist der französischen Hauptstadt: »Ich zeichne die ganze Zeit.« Und das noch mit achtzig Jahren. Beinahe nonstop läuft das Radio: meist Jazz – einen Monat lang habe er geweint, als Duke Ellington starb –, manchmal Ravel oder Debussy, die Neutöner sind ihm suspekt. Seine Liebe zur Musik findet sich in vielen seiner Zeichnungen wieder, in denen es von kleinen Musikanten mit großen Ambitionen wimmelt. Er zeichnet ganz normale Menschen, die ihr kleines Glück suchen, ob beim Musizieren in großbürgerlichen Salons, beim Sinnieren im provenzalischen Garten, beim Flanieren durch Paris oder beim Radfahren in New York. Einem Fahrradhändler hat er übrigens ein ganzes Buch gewidmet: Darin erzählt er in Wort und Bild von einem, der nie die Tour de France gewinnen wird, dem aber dafür etwas viel Wichtigeres gelingt: glücklich zu werden.

Gewinnspiel Schicken Sie die Antwort bis zum 31. Dezember 2012 per Post oder per E-Mail (gewinnspielmagazin@ diogenes.ch) an: Diogenes Verlag Gewinnspiel ›Wer schreibt hier?‹ Sprecherstr. 8 · 8032 Zürich · Schweiz

Lösung Diogenes Magazin Nr. 9:

John Irving

Wir verlosen acht Mal Gefährliches Spiel – Commissario Brunetti ermittelt von Ravensburger. Als Hauptpreis zusammen mit den 18 Sonderbänden ›20 Jahre Commissario Brunetti‹. Donna Leon

Venezianisches Finale Commissario Brunettis erster Fall Diogenes

Diogenes Magazin

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Mag ich – Mag ich nicht

Fabio Volo Vorschau Das nächste Diogenes Magazin erscheint Ende Dezember 2012. Auf dem Cover: Astrid Rosenfeld, die nach Adams Erbe einen neuen Roman geschrieben hat. Joey Goebel, Benedict Wells und Anthony McCarten erzählen vom Erzählen. Simenon-Special: Zwei Interviews mit Georges Simenon und Essays von John Banville und Elisabeth Bronfen. Außerdem: eine neue Erzählung von Hartmut Lange, Daniel Kehlmann über Arnon Grünberg und – zum Valentinstag – Patricia Highsmith über die erste Liebe. Und vieles mehr.

Nr.12

Frühling 2013

Diogenes

Magazin

Mag ich:

Mag ich nicht:

Rotwein. Erdbeeren. Holz. Die Hände meines Vaters. Magrittes blaue Himmel. Die Rolling Stones. Die Kleider der Frauen. Die Schuhe der Frauen. Die Frauen. Die Per­l­ ohrringe meiner Großmutter. Zeit mit meinen Freunden verbringen. Die Filme von François Truffaut und Woody Allen. Wasser. Ventilatoren im Sommer. Die ersten Zeichnungen von kleinen Kindern. Dostojewskij. Der Liebestrank von Donizetti. Schokolade, Vanille, Pizza. Bier. Jeden, der mit dem Rauchen aufhört (da musste ich auch durch). Rote Dächer. Das Geräusch der Fahrradkette, wenn man die Pedale rückwärts tritt. Das Geräusch des Schlüssels in der Haustür, wenn mein Vater heimkam. Äpfel. Jeff Buckley. Nick Drake. Chet Baker. Lucio Battisti. Apfelkuchen. Frühling, auch den von Vivaldi. Im September braungebrannt zu sein. Den Tag vor Weihnachten.

Ich vergesse das meiste, was ich nicht mag, sofort, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen. Jegliche Form von Gewalt, Machtmissbrauch. Meine Zehen. Senffrüchte. Den Geruch von Zigarren. Esswaren wegwerfen (als ich vorgestern von New York nach Mailand aufbrechen wollte, sah ich noch einen Blumenkohl im Kühlschrank liegen. Der wanderte von dort auf den Küchentisch, dann auf die Eingangskommode, dann überlegte ich, ob ich ihn einem Nachbarn schenken könnte, aber der wäre vielleicht beleidigt gewesen, also brachte ich ihn doch runter und warf ihn weg – im Flugzeug bereute ich es dann, dachte, ich hätte ihn doch einpacken und nach Mailand mitnehmen sollen). Leute, die ständig von Fußball sprechen. Eifersüchtige Menschen. Feige Menschen. Leute, die schlecht über andere sprechen.

Astrid Rosenfeld und ihr neuer Roman Elsa Ungeheuer

Joey Goebel Anthony McCarten Benedict Wells

erzählen vom Erzählen

John Banville und Elisabeth Bronfen über Georges Simenon

Patricia Highsmith über die erste Liebe

4 Euro / 7 Franken

9

783257 850123

Alles, was er macht, hat Erfolg: Jedes seiner Bücher ist in Italien ein Bestseller. Und auch als Moderator und Schauspieler ist Fabio Volo ein Star. Sein Roman Noch ein Tag und eine Nacht, eine verspielte Liebes­ geschichte vor der Kulisse Manhattans, ist auch auf Deutsch ein Bestseller.

Im nächsten Magazin: Anthony McCarten 120

Diogenes Magazin

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Simenon-Special


Man Munkelt

Illustration: © Tomi Ungerer; Foto Flip-Chart: © Martha Schoknecht / Diogenes Verlag; Foto Buchhandlung Roth, Foto Ungerer / von Bülow: © Daniel Kampa / Diogenes Verlag

Als Jugendlicher war Daniel Keel, der 1952 im Alter von nur 23 Jahren den Diogenes Verlag gründete, in seinem innerschweizer Heimatort Einsiedeln Redakteur der lokalen Pfadfinderzeitung Haarus. Die beliebteste Rubrik der Zeitschrift, die der junge Redakteur höchstpersönlich schrieb, hieß ›Man munkelt‹. Hier wurden Interna aus der Pfadfindergruppe Einsiedeln ausgeplaudert. Diese Tradition wollen wir nun im Diogenes Magazin fortführen, versteckt hinter dem Lesezeichen auf der letzten Heftseite. Denn die Indiskretionen, die hier ausgeplaudert werden, sollen ja nicht von jedem gelesen werden.

Kleine Diogenesen

Donna Leon

In den letzten Monaten haben mehrere Diogenes Mitarbeiterinnen geheiratet: Aus Stephanie Baumann im Lektorat wurde Stephanie Tettamanti, dafür gibt es jetzt eine Christine Baumann, die vorher Kownatzki hieß. Alles nicht so einfach. Ein schönes Detail bei den vielen Hochzeiten: Ein Hochzeitskleid wurde in der Werbeabteilung weitergereicht: Die Grafikerin Catherine Bourquin, die zum Beispiel das Diogenes Magazin so schön gestaltet (auch unter größtem Termindruck!), gab ihr weißes Kleid an Christine (neu) Baumann weiter. »Ich habe nicht nur einen gebrauchten Namen, sondern auch ein gebrauchtes Kleid übernommen«, scherzt Christine Baumann, ohne die etwa die AboVerwaltung des Diogenes Magazin brachliegen würde. Nach den vielen Hochzeiten ist nun 2012 das Jahr der Babys: Nicole Griessmann, die tatkräftig in der Werbung hilft (und auch viel zum Gelingen des Diogenes Magazin beiträgt), ist zum zweiten Mal Mutter geworden: Der Prachtbursche heißt Noel Erik. Susanne Bauknecht, die Leiterin der Lizenzabteilung, ist stolze Mutter ihrer kleinen Tochter Liv Salome. Für Susanne Bauknecht, die unter anderem dafür sorgt, dass die vielen Kinderbücher von Tomi Ungerer in vierzig Sprachen erscheinen, zeichnete Tomi ein Geschenk, das sehr tomiesk oder ungeresk ist, der glücklichen Mutter also lieber nicht sofort nach der Geburt überreicht wurde.

Was macht eigentlich Donna Leon, wenn sie einen Roman fertiggeschrieben hat? Händel hören? Einen neuen Roman anfangen? Nein: Nachdem sie ihrer Lektorin Christine Stemmermann Brunettis 22. Fall geschickt hatte, schrieb sie in einer E-Mail: »Bacissimi from a very relieved Donna, who is off to make apricot jam.« (Küsse von einer sehr erleichterten Donna, die sich jetzt abmeldet, um Aprikosenmarmelade zu machen.)

Das ganze Diogenes Team freut sich über den Nachwuchs und auf die Rückkehr der beiden Kolleginnen nach ihrem Mutterschaftsurlaub.

Iran?

Wie in Tausenden anderen Sitzungszimmern weltweit gibt es auch im großen Besprechungszimmer des Diogenes Verlags ein Flip-Chart, zu Deutsch: einen Tafelschreibblock. Und wenn man zum Beispiel in der wöchentlichen Sitzung der Geschäftsleitung und Abteilungsleiter, seit jeher intern »Konzil« genannnt, die Gedanken und den Blick schweifen lässt, kann es vorkommen, dass man auf obskure Notizen stößt und sich zwangsläufig fragt: Wer hat das geschrieben und wieso? Zum Beispiel stand im Juli auf einmal eine enigmatische Unterteilung von Arabien in Syrien, Irak, Iran und Kuwait auf der Tafel – wobei der Iran durchgestrichen war. Hatte der amerikanische oder israelische Geheimdienst das Diogenes Sitzungszimmer ohne unsere Kenntnis für eine Sitzung missbraucht? Very strange? Nein, es waren einfach Notizen von externen Datenbankspezialisten, die an einer neuen Datenbank für die Lizenz­ abteilung arbeiten – und die brauchen Ländercodes, um festzuhalten, in welchen Ländern eine Übersetzung vertrieben werden darf.

Zu Gast bei Diogenes Das Branchenmagazin BuchMarkt kürt jährlich die Buchhandlung des Jahres. 2011 gewann die engagierte Buchhandlung Roth aus Offenburg. Da der Diogenes Verlag die Auszeichnung seit Jahren sponsert, gibt es als Hauptpreis eine Reise nach Zürich. Inhaberin Barbara Roth besuchte mit ihrem Team am 9. Mai 2012 den Verlag, und während des Mittagessens im Restaurant Neumarkt in der Zürcher Altstadt wurde den Gewinnern der Pokal überreicht: Ein über zwei Meter hoher Kachelofen im Restaurant. Es wurde schnell klar, dass es sich nicht um einen Wanderpokal handelt, der von einer Buchhandlung zur nächsten weitergereicht wird. Die BuchhändlerInnen nahmen aus Zürich also statt einem Pokal, neben vielen schönen Erinnerungen, etliche Bücher mit. Aber auch der Verlag wurde beschenkt: Es gab für alle Abteilungen Süßes und Rot(h)-wein. Wie nett! Herzlichen Dank!

Im Verlag getroffen

Susanne von Bülow, die Tochter von Vicco von Bülow alias Loriot, die sich seit dem Tod ihres Vaters mit viel Engagement um das Werk ihres Vaters kümmert, traf bei einem Besuch im Verlag in Zürich zufällig auf Tomi Ungerer. Beide wollten sofort ein Erinnerungsfoto. Voilà.

Bruno Bruno, Chef de police und Held der Kriminalromane von Martin Walker, hat immer mehr Fans, auch unter Buchhändlern. Eine lustige Anfrage erreichte Renata Teicke aus der Vertriebsabteilung: »Hallo zusammen, bin zwar nicht ›Chef de police‹, aber heiße Bruno und bin Chef in der HofBuchhandlung Heinlein in Wiesentheid und würde mich sehr über ein Exemplar des Romans Delikatessen freuen ;-). Beste Grüße aus Wiesentheid, Bruno Heinlein.«

Die Zahl

Tolle Tipps! Zum Start der neuen Serie ›Ein Autor  – Eine Stadt‹ hat das Diogenes Magazin Pech. In der letzten Ausgabe verrieten Martin Suter und Benedict Wells fünf Geheimtipps aus Zürich und Barcelona. Kurz vor Redaktionsschluss kam heraus, dass das Spitzengeschäft Selina De Giacomi in Zürich, das auf Martin Suters Geheimtippliste war, schließen würde. Aber schlimmer noch: Von Benedict Wells erhielt die Redaktion eine E-Mail, als das Magazin bereits gedruckt war. Über seinen Tipp Café ›Madame Jasmine‹ mit den besten Sandwiches (Bocadillos) Barcelonas lamentierte Benedict Wells: »Heute wollte ich mit Freunden bei Madame Jasmine Bocadillos essen, doch als wir eintraten, mussten wir feststellen: Alles umgebaut, es ist nur noch eine reine Bar, es gibt keine Sandwiches mehr. Nie mehr!! In tiefer kulinarischer Trauer, Benedict.«

Das Parfum von Patrick Süskind, 1984 erschienen, ist das erfolgreichste Diogenes Buch aller Zeiten, millionenfach verkauft, in 49 Sprachen übersetzt. Jeder hat den Roman gelesen! Wirklich jeder? Auch bei Diogenes? Eine Umfrage im Verlag belegt nun:

90 %

aller Diogenes MitarbeiterInnnen haben Das Parfum gelesen. Immerhin! Ein Diogenese, Reto Brunner, hat einige Seiten des Parfums sogar auf Latein gelesen, um die Übersetzung von Fragrantia, die 2004 in Brüssel erschien, zu prüfen. »Gediegenes NeuLatein, das sich am Cicero-Stil orientiert, sorgfältig gemacht, soweit ich das beurteilen kann«, so Reto Brunner, der Alte Sprachen und Germanistik studiert hat, und auf dessen Diogenes Visitenkarte heute steht: IT-Abteilung – Business Engineering. Fata viam invenient!


Die Welt gehรถrt denen, die neu denken.


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