Deutsches Theater_Dea Loher über 'Gaunerstück'

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Wärme ist kein Kriterium

Fania Sorel, Hans Löw, Elias Arens, Judith Hofmann, Miquel de Jong, Fotos (2): Arno Declair

Ein Gespräch mit Dea Loher über die Uraufführung ihres Gaunerstücks

Die Wahrsagerin Madame Bonafide in Dea Lohers neuestem Text Gaunerstück gibt den Zwillingen Maria und Jesus Maria einige Rätsel auf. Wer oder was ist diese Frau, dieser Mann, dieses „Medium“ mit der afrikanischen Halskrause und den hochtoupierten blonden Haaren? Warum riecht es aus Bonafides Wohnung so eigenartig-widerwärtig nach toten Tieren? Und welche Zukunft erwartet die beiden Geschwister, die sich entschlossen haben, mit dem alten Versprechen aus Kindheitstagen ernst zu machen und in ein „superschönes Leben“ aufzubrechen, „aufregend und voller Momente, an die du dich in hundert Jahren noch erinnern wirst“. Denn ganz so sieht ihr Leben im Moment leider nicht aus, nein, so sieht es ganz und gar nicht aus.

John von Düffel: Nach Deinem Text Am Schwarzen See, der von zwei Elternpaaren handelt, die ihre Kinder verloren haben, überraschst Du bei Gau­nerstück mit der Geschichte eines Zwillingspaars, das mit Hilfe eines kriminellen Coups in ein neues Leben aufbricht. Eine für deine Verhältnisse ungewöhnliche zukunftsorientierte und optimistische Ausrichtung? Dea Loher: Das Gaunerstück hat sehr junge Protagonisten; allein aus diesem Grund ist es atmosphärisch leichter und offener als Am Schwarzen See. Aber man muss sowieso mit jedem Stück etwas Neues ver-

suchen, finde ich. Auch wenn genauso wahr ist, dass man im Grunde immer an dem gleichen Text schreibt oder sich an einer ähnlichen Materie abarbeitet. Das Ideal für Gaunerstück war eine schwebende Geschichte, die etwas Rätselhaftes behält, einen Kern, der sich nicht erklären oder rationalisieren lässt. Und eine Grundstimmung der Lebenslust, ja! Das zentrale Paar der Zwillingsgeschwister Maria und Jesus Maria weist viele für Deine Figuren charakteristische Merkmale auf. Ihre Herkunft ist prekär – die


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Dea Loher

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Mutter arbeitet in einer Wäscherei und trinkt, der spaaußerhalb der Legalität. Anders gesagt, sie fassen nische Vater hat die Familie verlassen, und die beiden den Plan, einen Juwelier auszurauben, nicht aus exisGeschwister hangeln sich mit Aushilfsjobs durchs Letentieller Not, sondern vielmehr aus Lust am Spiel, ben. Gleichzeitig sind sie mit einem Selbstbewusstsein am Imaginären. Es ist ein Abenteuer. Und es ist eine Rebellion gegen die Vernunft. und Humor ausgestattet, der sie nicht nur zu Mitleid heischenden „soWie sieht meine zialen Randfiguren“ macht. Es gibt Deine Protagonisten sind erstaunviel Schräges in ihrer Geschichte. Ist lich aktiv und entschlossen, ihr Leben Zukunft aus, das die Balance, die Du anstrebst? zu verändern und aus ihrer Misere was darf ich hoffen, An einer Balance liegt mir überherauszukommen. Und gleichzeitig was soll ich tun? haupt nichts. Im Gegenteil intebremst sie immer wieder etwas und ressiert mich gerade das Unökosie brauchen Impulse von außen, nomische, und in gewisser Weise auch das mitunter sogar kleine „Wunder“, um zur Tat zu schreiNicht-Nutzbarzumachende. Wenn man sich die ten. Also doch keine aktiven Helden? Gesellschaft als eine ökonomische Verwertungskette Ich würde sagen, Wunder passieren in dem Stück denkt, dann sitzen sowohl die Zwillinge als auch deüberhaupt gar keine. Und bei allem, was auf den ersren Nachbarn Madame Bonafide und Videofilmer ten Blick vielleicht wie ein glücklicher Zufall wirkt, Porno-Otto an schwachen Stellen. Zwei ungelernte kann man bei genauerem Hinsehen bzw. im NachhiHilfsarbeiter, eine Zukunftsdeuterin und ein Pornonein nicht sicher sein, ob es sich nicht um eine bedarsteller bzw. -filmer; an erstere werden die unbewusst herbeigeführte und dann mit einer ganz beliebten Arbeiten delegiert, an letztere die Sehnstimmten Intention genutzte Situation handelte. Also süchte ausgelagert, die irgendwie auch bedient wenn Maria in dem Juwelierladen einen Ring mitgewerden müssen, über die aber keiner sprechen mag. hen lassen kann, ohne erwischt zu werden – hat ihr dann der Besitzer nicht erst die Möglichkeit verWie sieht meine Zukunft aus, was darf ich hoffen, was soll ich tun? Wie stille ich meine sexuellen Bedürfschafft, indem er sie einen Moment allein ließ? Und nisse? Die Zwillinge sind auf befreiende Weise ehrwarum lässt er sie laufen? Und wenn der Juwelier in lich: Ja, unsere Familiengeschichte und Herkunft ist das Restaurant kommt, in dem Maria bedient, dann weder schön noch ideal, aber wir haben ein Recht dageht sie nach hinten und steckt sich extra den Ring rauf, das Leben zu genießen. Jede Form des Reichan den Finger, um ihn vorzuführen. Da haben zwei tums, auch materieller Reichtum, ist interessant als Menschen große Lust am Spiel, an der wechselseitiMöglichkeit der Verschwendung. Das ist außerhalb gen Provokation und daran zu sehen, wie weit man einer Konvention. Sie sind nicht daran interessiert, damit kommt. „Zufällig“, sagt Herr Wunder, „passiert schnittige Konsumenten zu werden oder an der selten etwas.“ Aus seiner Sicht hat er recht, Herr Spaßgesellschaft teilzuhaben, als kalkulierbare IndiWunder konterkariert ja gerade seinen Namen durch viduen. Sie sind keine Arbeitsverweigerer oder Querseine Handlungen, zum Beispiel den Überfall, den er denker, aber eben auch nicht wild darauf, in ihrem Bilgenau plant. Dass er trotzdem nicht vor Überraschundungs- oder Lebensstandard aufzuholen. Wer setzt gen gefeit ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. überhaupt den Standard? Das wäre ihre Frage. Und die Zwillinge haben da ihren eigenen Plan. Ihre Kraft Sind die beiden Rebellen eine deutsche Spielart von zur Imagination – das Gewünschte zu fantasieren und Bonnie und Clyde oder Opfer des Systems? Sind sie dann in die Tat umzusetzen – ist von vorneherein eine dafür geschaffen, Grenzen zu überschreiten?

Sie haben mehr mit Godards Außenseiterbande zu tun als mit Bonnie und Clyde. Also Freunde, die eine Gelegenheit zum Raub nutzen, weil sie sich bietet. Sie verteilen ihre Beute nicht an Bedürftige und haben keine ausgleichende Gerechtigkeit im Sinne, außer für sich selbst. Es gibt die eine Episode, in der Jesus Maria der alten Obdachlosen die Wurst wieder wegnimmt, die er ihr zuvor geschenkt hatte. Sie handeln durchaus ambivalent, auch unberechenbar und egoistisch.

sind, im Text, auf der Bühne. Und Wärme ist kein Kriterium.

In deinem Stück Unschuld finden zwei illegale Immigranten eine Tüte mit Geld – „Gott in einer Tüte“ –, was wie ein kleines Wunder das gesamte Stück in Bewegung bringt, auch in Richtung von Glaubens- und Glücksfragen. In Gaunerstück tritt ein gewisser Herr Wunder auf, ein geheimnisvoller Juwelier, der die Zwillinge, aber insbesondere Maria zu verfolgen scheint und ihnen schließlich ein folgenschweres Angebot macht. Sind es die Glücks- und Glaubensfragen, die Gleichzeitig gibt es bei aller Zwillingshaftigkeit von Maria und ihrem Bruder Jesus Maria einige Dinge, die Frage von Schicksal und Zufall, die Dich in diesem Stück sie trennen. Er guckt manchmal stundenlang und immer in ganz neuer Form interessieren? wieder die brutalsten Mordszenen aus Michael Hanekes Die Zwillinge stellen die Glaubensfrage nicht mehr; Film Bennys Video, sie verharrt eine halbe Nacht restatt in die Kirche geht Maria zur Wahrsagerin. Sie hagungslos vor dem offenen Kühlschrank. Und hinter ben gelernt, dass sie sich im Ernstfall nur auf sich allem steht die Frage, wie gehen sie damit um, dass sie selbst verlassen können. Sie handeln relativ pragmaihre alkoholkranke Mutter nicht mehr ausgehalten und tisch, teilweise auch skrupellos, zum Beispiel wenn im Stich gelassen haben. Im Umgang damit sind die sie die Mutter verlassen. Und andererseits kann man Zwillinge sehr verschieden. Der Bruder wirkt oftmals auch sagen, dieser Schritt war einfach ein notwendiviel weicher und verletzlicher als Maria. Kann man sager und unumgänglicher für sie. Was sie beschäftigt, gen, sie sei seine große Schwester? ist also eher die pragmatische Frage danach, wie man den Bedürfnissen des eigenen Ha! Sie hat achteinhalb Minuten Lebens gerecht werden kann, ohne Vorsprung und ist eine Frau! NaGlücks- und amoralisch zu werden. Also im türlich hat sie ihm was voraus! Glaubensfragen Grunde auch die Frage, was heißt Freiheit? Die Zwillinge wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Pornofilmer mit dem sprechenden Namen „Porno-Otto“ und einer Wahrsagerin Maria und Jesus Maria erzählen ihre Geschichte und Madame Bonafide, die ein „düsterer Kerl“ ist. Wie viel vergewissern sich dabei gleichzeitig der Wunder und Milieu, wie viel Beobachtung steckt in diesen Figuren? Merkwürdigkeiten, die ihnen widerfahren sind. Diese Und wie viel Wärme? Form des Erzählstücks ist unter Deinen Texten bisher Das Stück erhebt keinen Anspruch auf kritische Reeinzigartig, oder? präsentanz von vermeintlich sozialen Randgruppen. Große narrative Strecken gab es in meinen Stücken Dieses Überprüfen von Figuren im Hinblick darauf, schon immer. Aber es geht nicht ums Erzählerische wie realistisch oder authentisch das dargestellte an sich, sondern es ist eben immer wieder der VerMilieu ist – das heisst letztlich wie „wahr“ – , finde ich such, der üblichen situativen Dramatik etwas anderes immer leicht irritierend. Natürlich sind das Kunstentgegenzusetzen, dieser alten Mühle Theater noch figuren. Natürlich gibt es irgendwo einen realen einmal etwas Neues abzuringen (oder einen RegisHintergrund. Und natürlich sind sie real, weil sie da seur zu etwas Neuem zu nötigen).


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Die Geschwister befinden sich im Moment des Erzählens in Antwerpen, in der Nähe des Juwelier-Viertels. Ein kleiner Tribut an die Koproduktion mit dem Ro Theater in Rotterdam? Ja, kann man so sehen. Und für mich auch eine Reminiszenz an den ersten Teil meines Romans Bugatti taucht auf, der von Rembrandt Bugatti handelt und zum Teil in Antwerpen spielt. Die Stadt hat’s mir angetan.

Alice Zandwijk, die künstlerische Leiterin des Ro Theaters Rotterdam, bringt die Uraufführung dieses neuesten Loher-Stückes als Koproduktion mit einem internationalen Ensemble und als Cross-Over aus Text, Tanz und Musik auf die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters. Das Gespräch führte John von Düffel.

Elias Arens, Judith Hofmann, Miquel de Jong

Wenn man den Namen Dea Loher hört, denkt man in Deutschland als erstes an Andreas Kriegenburg als Regisseur. In den Niederlanden ist das anders. Dort hat Alize Zandwijk fast alle Deine Stücke erstaufgeführt und einige ihrer Schauspieler in dieser Koproduktion mit dem Ro Theater Rotterdam haben genauso viel Dea Loher-Erfahrung wie die Ensemblemitglieder des Deutschen Theaters. Fühlst Du Dich manchmal als „holländische Dramatikerin“? Und wie unterschiedlich erlebst Du die Rezeption? Es gibt sehr, sehr viele Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten zwischen den Arbeiten von Andreas und Alize. Sowohl in ihrem ästhetischen Ausdruck auf der Bühne als auch in ihrer Sicht auf die Welt. Als holländische Dramatikerin würde ich mich nicht fühlen, ich spreche ja nicht mal ein Wort außer „fiets“. Ich finde an den niederländischen Spielern ihre körperliche Präsenz so faszinierend, sie wirken auf mich oft wie den Gemälden von Jenny Saville oder Lucian Freud entsprungen, und so spielen sie auch, fleischliches Theater, kein Psychologentheater, das Drama kommt aus den Eingeweiden, aus den Knochen, und nicht aus dem Kopf. Und Alize arbeitet oft zusätzlich mit Tänzern und Musikern auf der Bühne, und entwickelt dadurch extrem aufgeladene Räume, in denen das, was diese merkwürdigen Körper zwischen- und miteinander herstellen, fremd und inhomogen wirkt. Ich mag das. Ich hatte deswegen große Lust, für sie ein Stück zu schreiben.


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