YOGASCENT Yoga f端r Kletterer/innen
Alberto Milani
Alberto Milani
YOGASCENT Yoga f端r Kletterer/innen
EDIZIONI VERSANTE SUD
INDEX 1 - WARUM YOGA
UND
KLETTERN?
WAS IST YOGA DIE GEBURT DES YOGA DER ACHTGLIEDRIGE WEG
2 - ASANA
UND
ASANA
-
DES
7
YOGA
YOGA-SEQUENZEN: THEORIE
UND
10 11 13 UND
KLETTERN
ASANA FÜR DEN RUMPF ASANA FÜR DAS GLEICHGEWICHT, IM STAND ASANA FÜR HÜFTEN UND BEINE ASANA FÜR SCHULTERN UND ARME NEUTRALE ASANA, FÜR PRANAYAMA UND MEDITATION
YOGA SEQUENZEN
FÜR
KLETTERER/INNEN
3 - PRANAYAMA TECHNIKEN 4 - MEDITATION
BEIM UND FÜR DAS
WAS IST MEDITATION? MEDITATION UND KLETTERN MEDITATION - PRAXIS
PRAXIS
19
23 24 54 64 75 81
88
119 KLETTERN
129 131 135 139
5 - YAMA UND NIYAMA IM KLETTERSPORT
147
6 - VERZEICHNIS DER ASANA
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DANKSAGUNG BIBLIOGRAPHIE
161 162
YAMA UND KLETTERN NIYAMA UND KLETTERN
151 155
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Da sind diese Momente, in denen alles einfach scheint, die Bewegungen flüssig und Lösungen, die ohne nachzudenken kommen, wenn wir fast ohne Anstrengung über die Wand tanzen. So ist es, mit der Strömung zu schwimmen, der Intuition zu folgen. So ist Yoga. Martina Cufar Versucht die Kraft in euch zu wecken, versucht sie herauszuholen; So werdet ihr erkennen, dass alles, was ihr macht, nicht von euch, sondern von dieser Wahrheit kommt, die in euch ist… denn es seid nicht ihr, sondern etwas in euch. Sri Aurobindo
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1 Warum Yoga und Klettern?
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Warum Yoga und Klettern?
Ich bin ein Kletterer… Ich konzentriere all meine Energien darauf, in die Natur zu gehen und neue Routen zu finden. Für mich ist das nicht nur eine athletische Suche – es ist ein kreativer Akt, diese traumhaften Formen in der Natur ausfindig zu machen und sie mit einem hohen sportlichen Niveau zu verbinden. Das ist es, was bei Klettern so überraschend ist – es ist nicht nur ein Sport. Es ist ein Lebensstil, ein Weg, kreativ zu sein, um eine Verbindung zwischen dir und der Natur herzustellen. Chris Sharma
Warum schreibt jemand ein Buch, das Yoga und Klettersport miteinander in Verbindung bringt? Was haben zwei, in Ziel und Kontext scheinbar so unterschiedliche Disziplinen gemeinsam? Diese Frage könnte die Reaktion vieler sein, seien es nun Kletterer oder Yoga-Fans, die dieses Buch wahrscheinlich mit einer Spur von Argwohn durchblättern. Yoga und Klettern haben jedoch sehr viel mehr Aspekte gemeinsam, als man meinen könnte; unter der Bedingung, dass man mit der richtigen Einstellung an die beiden Disziplinen herantritt. Entgegen aller Skepsis ist Yoga in der vertikalen Welt kein Novum und es gibt einige berühmte Kletterer, die in den letzten Jahren die beiden Disziplinen zusammengeführt haben, allen voran Chris Sharma. Nicht zu vergessen Christian Core, der die Verbindung von Yoga und Klettern noch vertiefte, und Martina Cufar, für die Yoga und Klettern zwei gleich starke, tragende Säulen im Leben ausmachen. Im Internet findet man bereits Seiten und Blogs, die sich mit der Verbindung von Yoga und Klettern auseinandersetzen und hin und wieder tauchen Videos und Artikel auf, die praktische Hinweise geben. Nennenswert ist dabei die Arbeit von Anni Anderson (www.yogaclimbing.com), die das Verhältnis der beiden Disziplinen analysiert und verständlich zu machen versucht. Außerdem ist es interessant, dass gerade eine der ersten Marken von Kleidung und Accessoires für Kletterer (ihr kennt sie wahrscheinlich alle) nach dem Yoga-Begriff für „Lebenskraft“ benannt und zudem auch noch Spezialist für Yoga-Artikel ist. Abgesehen von diesen Beispielen steht es außer Diskussion, dass viele Kletterer und Alpinisten seit jeher mit einer sehr spirituellen Haltung an ihre vertikalen Aktivitäten herangegangen sind. Dazu gehören auch der Respekt
für die Natur, sich selbst und andere Kletterer, sowie eine Motivation, die mehr an eine Suche nach sich selbst und an einen Reifeprozess, als an sportliche Meisterleistungen gebunden ist. Ein Satz, der genauso in einer Yoga-Beschreibung stehen könnte. Nach diesen Überlegungen scheint die Nähe von Yoga und Klettern ganz logisch, es gibt einen gemeinsamen Nenner, den man jenseits des rein sportlichen Aspektes dieser Aktivitäten suchen muss. Und so geht es beim Yoga auch nicht darum, seine Gliedmaßen bis ans Äußerste zu verdrehen oder stundenlang bei Aum-Gesang über den Sinn des Universums zu meditieren, genauso wie Klettern mehr ist, als immer noch kleinere, immer weiter entferntere Griffe in immer stärker überhängenden Wänden. Beide Disziplinen sind für viele der Schlüssel für ein tieferes Verständnis der Verbindung von Körper, Geist und Umwelt. Die Praxis der Asana sollte als Aktivität gelebt werden, die uns hilft, verbunden mit den Techniken von Pranayama und Meditation, dieses Verständnis zu erreichen. Genauso sollte das Klettertraining ein maximales Bewusstsein von Körper und Geist zum Ziel haben, um in den Momenten, in denen wir uns an unseren Grenzen bewegen, volle Kontrolle bewahren zu können. Das Herz des Yoga ist die Meditation und dieses Buch will zeigen wie das Klettern, gelebt mit Bewusstsein und Tiefe, selbst zu Meditation und somit zu einer anderen Form des Yoga werden kann. Das ist Ziel, dass ich hier erreichen möchte. Dazu folge ich dem Weg, der einst von Patanjali vorgeschlagen wurde und werde verschiedene Asana und Yoga-Übungen, sowie Atem- und Meditationsübungen vorstellen. Außerdem werde ich mich mit ethischen und moralischen Aspekten beschäftigen, die Vorrausetzungen
Yoga und Klettern: zwei scheinbar weit entfernte Disziplinen, die sich jedoch sehr nahe stehen, auf physischer, mentaler und emotionaler Ebene. (Alberto Milani, Foto Davide Quadrio)
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Warum Yoga und Klettern?
für die Disziplin des Yoga sind und die wir auch in der vertikalen Welt wiederfinden werden. Auch wenn dieses Buch ein sehr genaues Ziel verfolgt, so ist natürlich jeder frei, es ganz nach eigenen Bedürfnissen zu verwenden. Viele haben vielleicht das Bedürfnis, die Yoga-Übungen zur Verbesserung der eigenen Fähigkeiten beim Klettern in das Training zu integrieren. Die Asana werden so zu einer idealen Methode zur Erhaltung der Gesundheit und der Beweglichkeit, die Technik des Pranayama kann helfen die Atmung zu verbessern und die Meditation kann die Konzentration steigern und helfen, Ängste und Blockaden zu überwinden. In diesem Buch findet ihr alle dazu nötigen Erklärungen für die verschiedenen Praktiken. Es ist in keiner Weise als schlecht oder falsch anzusehen, wenn man dieses Buch mit einer eher pragmatischen Einstellung in die Hand nimmt, ein positiver Effekt auf Körper und Psyche lässt sich mit Sicherheit erreichen. Es muss allerdings betont werden, dass eine zu oberflächliche Herangehensweise Yoga und vor allem die Praxis der Asana zu einfachen, wenn auch sinnvollen, Übungen werden lässt, die sich nicht mehr viel von herkömmlichem Stretching oder Fitness unterscheiden, was mit dem eigentlichen Sinn von Yoga nicht mehr viel gemeinsam hat. Daher werdet ihr in jedem Kapitel Vorschläge und Erklärungen finden, die Aufschluss zum yogischen Sinn der Übungen geben und
als Hilfestellung für all jene dienen können, die nicht nur „Yoga für’s Klettern“ machen wollen, sondern auch das „Yoga im Klettern“ entdecken wollen. Es handelt sich dabei aber keinesfalls um zwingende Anweisungen oder Urteile: wichtig ist, dass jeder den Weg einschlägt, der den eigenen Motivationen und Bedürfnissen am besten gerecht wird, ohne sich dazu zu zwingen, Yoga oder das Klettern in einer Weise zu leben, die man vielleicht noch nicht verinnerlicht hat. Was ist Yoga Der Begriff Yoga kommt aus dem Sanskrit, genauer gesagt von „yui“, was soviel wie „zusammenbinden, vereinen“ bedeutet. Damit ist eine Vereinigung von Körper, Geist und Seele gemeint, die durch die Harmonie zwischen diesen drei Ebenen erreicht werden kann. In einer höheren Stufe ist Yoga auch die Vereinigung der individuellen Seele mit der universalen, göttlichen Seele. In der „Yoga-Bibel“, den Yoga Sutra, erklärt der Autor Patanjali das Ziel: “Yogas Citta Vrtti Nirodhah“, das man etwa mit „Yoga ist die Milderung der Wellen des Geistes“ übersetzen kann. Damit berührt Patanjali das Herzstück der Yoga-Lehre: Es geht darum, unerwünschte Gedanken und Einflüsse der Außenwelt daran zu hindern, den Geist von seinem Ziel, das Erreichen des Göttlichen, abzulenken. Wenn wir diesen Sinnspruch für einen praktischeren und für unsere Zwecke ausgelegten Gebrauch interpretieren,
Warum Yoga und Klettern?
Klettern ist für mich eine Art zu erkunden,die mich dazu antreibt, mich mit meiner inneren Natur in der Natur auseinanderzusetzen. Es ist ein Mittel, den Bewusstseinszustand auf die Probe zu stellen, dort wo keine Ablenkungen und Erwartungen sind. Dieser Zustand eines intuitiven Seins ermöglicht es mir, Momente der wahren Freiheit und Harmonie zu erleben. Lynn Hill
könnten wir ihn auch so übersetzen: „Yoga ist die Fähigkeit, den Geist komplett und ausschließlich, ohne jede Ablenkung, auf ein bestimmtes Objekt zu richten“. Diese Interpretation unterstreicht besonders einen der grundlegenden Aspekte des Yoga, den wir im Allgemeinen als Konzentration kennen, die Fähigkeit, etwas zu fokussieren, ohne sich von Emotionen oder der Außenwelt ablenken zu lassen. Sicherlich ist diese Interpretation im Vergleich zu den tiefergehenden Bestrebungen des Yogas etwas eingeschränkt, kann für unsere Zwecke jedoch durchaus ein gutes Ziel darstellen. Außerdem ist zu erwähnen, dass beim Yoga das Erlangen dieser Fähigkeit der Konzentration stets mit der Suche nach Gleichgewicht und Positivität einhergeht, nicht nur in den Handlungen, sondern auch in den Gedanken. Yoga ist Philosophie und Praxis, eine Hilfe zur Selbstreflektion, die zu einer Selbsterkenntnis jenseits der Grenzen führen soll, die von der materiellen Welt und unserem Körper gesetzt werden. Die Praxis des Yoga strebt ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist an, die Entwicklung von Introspektion, eine innere Reifung und das Ausweiten des Bewusstseins um einen Zustand echten Friedens, Freude und Einsseins zu erreichen. Diese Definition des Yoga widerspricht der Idee der westlichen Welt, wo Yoga oft nur oberflächlich mit Übungen und Atemtechniken identifiziert wird. Das Bewusstsein ist das Ziel des Yoga und mit dem Bewusstsein werden Wahrnehmung, Gedanken, Emotionen und Verhalten in eine ganz neue Richtung geleitet werden. Yoga ist jedoch nicht nur eine komplexe Philosophie, sondern auch eine echte Wissenschaft: es bietet eine Reihe an Techniken und praktischen Methoden, mit denen
man zum Ziel kommen kann. Und wie in jeder anderen Wissenschaft auch, erfordert es Disziplin und Übung, mit dem Unterschied, dass sich unser Studienobjekt nicht in der Außenwelt, sondern in uns befindet. Die Geburt des Yoga Eine indische Legende erzählt von einem Fisch, der, unterwegs in den Gewässern des indischen Ozeans, an einer Höhle vorbeikommt, aus der ein Singsang erklingt. Die Stimme gehört dem Gott Shiva, der dabei ist, seiner Braut Parvati die geheimen Positionen (Asana) des Yoga beizubringen. Er hatte die Positionen selbst erdacht und sie waren ausschließlich den Göttern vorenthalten. Der Fisch hörte diese Lehren und als er zurück an die Küsten Indiens kam, verwandelte er sich auf wundersame Weise in einen Menschen, der von da an Matsyendra, was soviel wie „Herr der Fische“ oder „zum Mensch gewordener Fisch“ heißt, genannt wurde. Heimlich lehrte er seine Jünger die Positionen des Gottes Shiva und wurde somit zum ersten Yogi. Abgesehen von dieser Legende lässt sich historisch nicht genau nachvollziehen, wo der Ursprung des Yoga liegt, einige Quellen sprechen von einer Entstehung um 5000 vor Christus. Erste Zeichen des Yoga lassen sich in den Veden finden, den antiken heiligen Schriften Indiens, wo jedoch keine genaueren Informationen zur Praxis gegeben werden. Weitere Hinweise findet man in den Upanishad und vor allem in der Bhagavad Gita. Der wichtigste Quellentext sind die „Yoga Sutras“ von Patanjali, die sowohl über die Philosophie, als auch über die Praxis des Yoga Auskunft geben. Patanjali ist eine fast schon mythische Figur, die ca. 300 Jahre vor Christus gelebt haben soll. Die Sutras bestehen aus 196 kurzen Sinnsprüchen, die in vier Teile gegliedert sind.
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Warum Yoga und Klettern?
Sie sind bis heute die Basis aller Yoga-Richtungen, die heutzutage praktiziert werden und geben, trotz ihrer Kürze und der schwierigen Interpretation, eine ganzheitliche Beschreibung auf allen Ebenen, inklusive praktischer Hinweise.
siebte Stufe, bei der man die Fähigkeit, sich für lange Zeit auf ein einzelnes Objekt ohne jeglichen Nebengedanken zu konzentrieren erlangt. Letzte Stufe ist schließlich Samadhi, bei der der Mensch völliges Einssein mit sich und der universalen Seele erfährt.
Der achtgliedrige Weg des Yoga In den „Yoga Sutra“ beschreibt Patanjali Yoga (Ashtanga Yoga) als einen Weg aus acht Stufen zum Erreichen der Union von individueller und universaler Seele: 1 Yama (Moral, Ethik), 2 Niyama (Selbstdisziplin), 3 Asana (Yogastellungen), 4 Pranayama (Kontrolle des Atems), 5 Pratyahara (Rückziehen und Beherrschung der Sinne), 6 Dharana (Konzentration), 7 Dhyana (Meditation), 8 Samadhi (Frieden, Freude, Versenkung, All-Einheit, Verwirklichung des höheren Selbst). In der westlichen Praxis, vor allem im Hatha-Yoga, richtet sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die dritte und vierte Stufe, dabei werden verschiedene Asana und Atemtechniken praktiziert. Die ersten zwei Stufen richten sich an die grundsätzliche Einstellung einer Person zum Leben und sind fundamental für den Weg des Asthanga Yoga. Yama besteht aus fünf moralischen Regeln: Ahimsa (Gewaltlosigkeit), Satya (Wahrhaftigkeit), Asteya (nicht stehlen), Brahmacharya (Maß halten), Aparigraha (NichtErgreifen/Anhaften). Diese Stufe soll den Menschen zur Abkehr von unmoralischen Gedanken und Handlungen führen. Auch Niyama gliedert sich in fünf Regeln: Saucha (Reinheit), Santosha (Zufriedenheit), Tapas (Hitze, Anstrengung, Disziplin), Svadhyaya (Selbststudium), Isvara Pranidhana (Hingabe,Vertrauen in ein göttliches Prinzip). Die dritte Stufe sind die Asana, deren Ziel es ist, den Körper in einen Zustand des Wohlbefindens zu bringen und ein psychophysisches Gleichgewicht zu erlangen, was notwendig ist, die nächsten Stufen zu erreichen, oder, in einer praktischeren Auslegung, um sich auf die Meditation vorzubereiten. Die vierte Stufe, Pranayama, ist die Kontrolle des Prana, der Lebensenergie, die in der gängigen Praxis (aber nicht ausschließlich) über verschiedene Atemtechniken erreicht wird. Pratyahara, die fünfte Stufe, strebt die Eliminierung aller Sinneseindrücke an. Bei der sechsten Stufe, Dharana (Konzentration) wird der Geist von Impressionen und Gefühlen befreit und es folgt Dhyana (Meditation) als
Auf diesen Grundlagen basierend und um die Nähe von Yoga und Klettern besser erkennen zu können, ist es nützlich, die vielen Ähnlichkeiten und Wechselwirkungen der beiden Disziplinen zusammenzufassen: Sowohl Yoga, als auch Klettersport brauchen Ruhe, Gegenwärtigkeit und mentale Stärke, Fokussierung und die Fähigkeit, die eigenen physischen Grenzen herauszufordern ohne dabei zu übertreiben. Man muss selbstverantwortlich Entscheidungen treffen, wachsam sein und den Moment leben. Sowohl für den Yogi, als auch für den Kletterer sind Offenheit, Selbstsuche und Willenskraft die wichtigsten Schlüssel zum Lernen und zur Verbesserung. Auf der physischen Ebene greifen beide Praktiken an mehreren Punkten an: 1 – Beide erfordern Gleichgewicht, Kraft, muskuläre Flexibilität, Ausdauer. Diese Eigenschaften werden mit regelmäßigem Training verbessert. Beide brauchen starke und trainierte Gliedmaßen und in beiden Disziplinen spielen die Füße eine wichtige Rolle: Bewusstsein, Kraft, Stabilität, sowie präzise und korrekte Position der Füße sind fundamental wichtig. 2 – Die Asana und das Klettern verbessern das Körperbewusstsein und verbunden damit auch die Konzentration und Fokussierung auf den Moment. Die Verbindung verschiedener Asana und der Atemfluss (vinyasa) verbessern die Koordination und haltenden Geist aktiv, analog dazu steht der Bewegungsfluss beim Klettern, wo der Geist auf den jeweiligen Moment konzentriert ist. 3 – Viele der Yoga-Stellungen verbessern nicht nur Flexibilität, Gleichgewicht und Muskelkontrolle, sondern ähneln den Positionen, die man während des Kletterns einnimmt. Beide erfordern einen ausgeglichenen Ablauf von Kraft und Entspannung. Beide, Yogi und Kletterer, müssen stark sein, aber auch loslassen können, sowie entspannt und flüssig im Bewegungsablauf sein.
Yoga ist die Fähigkeit, den Geist komplett und ausschließlich auf ein bestimmtes Objekt zu konzentrieren, ohne jede Ablenkung. Die gleiche Fähigkeit benötigen wir beim Klettern, wo Geist und Körper auf ein einziges Ziel gerichtet sind: unser Bewegungsfluss im Fels… (Alberto Milani, Foto Massimo Malpezzi)
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Warum Yoga und Klettern? 4 – Die Entwicklung eines guten Gleichgewichts steht im Zentrum beider Disziplinen und bei beiden ist ein gutes körperliches Gleichgewicht die Tür zum geistigen und emotionalen Gleichgewicht. 5 – Viele Asana können durch das Klettern entstandene Fehlstellungen korrigieren oder Verspannungen lösen. Sie können eine Hilfe zur Vorbeugung oder bei der Rehabilitierung nach Verletzungen sein. Außerdem werden bei den Asana andere Muskeln trainiert als beim Klettern und eine Kombination kann zu einer besseren Ausgeglichenheit und Symmetrie des Körpers beitragen.
Die Yogastellungen, Asana, helfen die Flexibilität und die Möglichkeiten der Bewegungen am Fels zu erhöhen. Oft erinnern die Asana an Positionen, die wir beim Klettern einnehmen. (Enrico Baistrocchi, Foto Massimo Malpezzi)
Einheit von Körper, Geist und Seele… Einssein mit allem, was uns umgibt, im Yoga genauso wie beim Klettern. (Foto Massimo Malpezzi)
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Warum Yoga und Klettern?
Beim Yoga wird die Lebensenergie über den Atem kontrolliert: Die Pranayama-Techniken ermöglichen es, den Körper mit Prana und Sauerstoff aufzuladen und ihn von Giftstoffen zu reinigen. Die Kontrolle des Atems ist auch beim Klettern fundamental wichtig: je größer die Kontrolle, desto besser Konzentration und physische Effizienz. Der Atem hilft, sich auf den Moment zu konzentrieren und spendet Ruhe und Stabilität. Yoga und Klettern sind meditativ, sie ermöglichen es, in uns zu gehen auf der Suche nach dem eigenen Willen und unserer wahren Natur. Sie ermöglichen uns Bewusstsein, Verständnis und Kenntnis der eigenen Emotionen, Erwartungen, Absichten, Angewohnheiten. Sie helfen, uns von allem Anstand zu nehmen, was uns von unserem Ziel ablenkt. Sie führen uns Ängste und Zweifel vor Augen (z.B.: die Angst, das Gleichgewicht zu verlieren und zu fallen) und drängen uns, diese Ängste zu überwinden und dabei entschlossen und konzentriert zu bleiben. Sie helfen, unsere Grenzen zu überwinden, geben stets neue Ziele und ermöglichen einen kontinuierlichen Prozess des Lernens, der Evolution und Veränderung. Bei Yoga und Klettern besteht der Weg zu einer Verbesserung in einer kontinuierlichen Praxis, für die viel Willenskraft und klare Absichten Voraussetzung sind. Daneben ist die Geduld ein wichtiger Faktor, sie hilft bestimmter voranzugehen und lehrt uns, dass es nicht das Ergebnis ist das zählt, sondern der Weg dahin und das, was wir dabei lernen. Beide Disziplinen können große Enttäuschungen bringen. Gleichzeitig lehren sie uns, diese zu akzeptieren und nicht wegen bestimmter Zielvorgaben, sondern aus Leidenschaft zu handeln. Eine Lehre, die uns hilft, allen Herausforderungen des Lebens zu begegnen. In diesem Buch beginnen wir mit dem Studium und der Praxis der Asana, danach widmen wir uns den Techniken
Die yogischen Atem- und Meditationstechniken helfen, uns auf den Augenblick konzentrieren zu können, wir werden uns unserer Emotionen, Erwartungen und Absichten bewusst und können Ängste und Zweifel überwinden. Sie helfen, konzentriert und entschlossen zu bleiben und Grenzen zu überwinden, zu lernen und uns weiter zu entwickeln. (Enrico Baistrocchi, Foto Massimo Malpezzi)
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Warum Yoga und Klettern?
des Pranayama und der Meditation, wobei alle praktischen Hinweise angeführt werden, so dass auch jene, die sich dieser Disziplin auf einer praktischeren Ebene annähern wollen, einen Einstieg finden können. Außerdem werde ich darauf eingehen, wie die ersten beiden Stufen, Yama und Niyama neu interpretiert und für die vertikale Welt angewandt werden können.
Der Willen ist das, was uns göttlich macht. Wer sich dem Willen verweigert, wird zum Sterblichen. Der Wille des Menschen schafft Energie. Mit dem Willen und der richtigen Haltung Kann man schnell die unendlichen Reserven der inneren Kraft erreichen. Paramahansa Yogananda
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
Asana für den Rumpf
Dass es Asana für den Rumpf gibt, scheint mehr als offensichtlich zu sein, ist es doch das Ziel der Asana die Lebensenergie, das Prana, in Bewegung zu bringen, nach oben und durch die verschiedenen Chakren. Die Wirbelsäule mit den Hauptchakren liegt in der Absicht der meisten Asana, dass sie gleichzeitig auch auf die anderen Teile des Körpers wirken ist eher ein Nebeneffekt oder (z.B. bei den Sitzpositionen) dient dazu, eine Haltung bequem halten zu können, um die Techniken von Pranayama und Meditation auch über längere Zeitabschnitte ausüben zu können. Die hier beschriebenen Asana wirken in verschiedener Weise auf die Wirbelsäule, je nachdem, auf welcher Höhe sie angreifen. Die Wirbelsäule macht vier Kurven, die erste erstreckt sich über die sieben Halswirbel, den sensibelsten Teil der Wirbelsäule, der häufig von muskulären Verspannungen beeinträchtigt wird. Die Asana, die hier angreifen, sind ideal, um den Nacken zu entspannen, aber auch, um die Nackenmuskulatur zu stärken. Die zweite Kurve betrifft die 12 Rückenwirbel: wenn die Interkostalmuskulatur Verspannungen aufweist, kann das die Kyphose (Buckel) begünstigen und die Atmung behindern. Die entsprechenden Asana stärken die Rückenmuskulatur, so dass der Brustkorb entspannen kann. Die dritte Kurve bilden die fünf Lendenwirbel. Wenn die Bauchmuskulatur zu schwach ist, kann es zu einer zu starken An- und Verspannung der Rückenmuskulatur kommen und die Bildung eines Hohlkreuzes begünstigen. Die entsprechenden Asana stärken die Bauchmuskulatur und entspannen die Rückenmuskulatur. Die letzte Kurve endet im Steißbein und mit den entsprechenden Asana wird die Wirbelsäule gestreckt um deren Beweglichkeit und Gesundheit zu erhalten. Die Asana für den Rumpf kann man auch nach der Richtung der jeweiligen Bewegung eingeteilt werden: Beugung nach vorn, hinten, zur Seite und Drehungen. Beuge nach vorn Im Gegensatz zu dem, was ein Anfänger vielleicht denken könnte, dient die Vorwärtsbeuge nicht ausschließlich zur Streckung des hinteren Teils der Beine, sondern spielt eine sehr wichtige Rolle für verschiedene Teile der Wirbelsäule. Das Hauptziel ist die Aktivierung des Energieflusses nach oben. Die Streckung und Minderung von Rückenschmerzen sind zwar nur Nebeneffekte, aber trotzdem von großer Wirksamkeit. Die Stellungen
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sind sehr nützlich, um eine Massage der Bauchorgane anzuregen, Druck auf die Nerven der Wirbelsäule zu vermindern und das Nervensystem allgemein anzuregen. Neben der körperlichen Ebene haben diese Asana auch einen wichtigen Einfluss auf die emotionale/spirituelle Ebene. Ihr Ziel ist es hier, Spannungen zu erleichtern, zu Ruhe/Frieden zu führen und die Fähigkeit, sich fallen zu lassen zu fördern. Außerdem stimulieren sie das Bewusstsein der Energieflüsse in uns. Bei allen hier beschriebenen Asana ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass die richtige Eingangsbewegung in die Position vor allem aus der Hüfte kommt, wobei die natürlichen Kurven des Rückens beibehalten werden. Der Hauptfehler bei einem Anfänger ist meist, dass sie versuchen die Beugung zu erzwingen und sich ausschließlich auf die Streckung der Beinmuskeln konzentrieren (hier spürt man die Dehnung zuerst). Dabei vergessen sie, dass die Vorwärtsbeuge eigentlich auf den Rumpf wirken soll. Viele sportliche Aktivitäten, darunter auch das Klettern (inkl. Zustieg, Trekking, Alpinismus etc.) oder ein wenig „bewegter“ Lebensstil (Büroarbeit, lange Zeit vor dem Computer etc.) führen zu einer Verkürzung der Beinmuskulatur. Bei der Vorwärtsbeuge hindert diese Verkürzung das Becken daran, sich gemeinsam mit der Wirbelsäule zu bewegen, was vor allem zu einem Spannungsgefühl in den hinteren Oberschenkeln führt. Außerdem wird, wenn man nicht aufpasst oder die Beugung über die eigenen Grenzen treibt, der Rücken auf falsche Weise gekrümmt, was den Bandscheiben schaden kann. Neben der Streckung der Beinmuskeln kann man mit diesen Asana und viel Geduld auch eine größere Beweglichkeit der Hüften und der Wirbelsäule erwirken. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Beuge nach vorn sowohl auf Beine, als auch auf den Rumpf wirkt und dass sie in Bezug auf den Klettersport eine wichtige propädeutische und therapeutische Maßnahme für eine gesunde Beweglichkeit des Körpers sein kann. Die meisten der Vorwärtsbeugen erfolgen in zwei Phasen. In der ersten Phase, der aktiveren, wird die Wirbelsäule gestreckt unter Beibehaltung ihrer natürlicheren Kurven. Die Beugebewegung beginnt mit dem Kippen des Beckens nach vorn, die Beugung erfolgt dabei mit dem Ausatmen. Bei dieser Phase ist es wichtig, sich auch die Streckung des ganzen Rumpfes und der Beine zu konzentrieren, ohne Eile und ohne sich dabei zu überanstrengen. Es geht darum, sanft auf jene Punkte einzuwirken, an denen man die größte Steifheit verspürt.
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
Wenn diese Phase beendet ist, geht man in die Phase des Haltens und Vertiefens der Position über: Beim Einatmen wird die Wirbelsäule gestreckt und auch eine, nicht zu exzessive, Krümmung herbeigeführt, während beim Ausatmen die Spannungen nach und nach gelöst werden. Diese Phase ist das Herzstück des Asana und kann sich über mehrere Atemzüge hinziehen. Wichtig ist dabei, niemals die Bewegung zu erzwingen und nicht die eigenen Grenzen zu überschreiten. Der Ausgang aus dem Asana erfolgt schließlich über das Einatmen, indem man langsam die Wirbelsäule wieder „ausrollt“. Beuge nach hinten Die Rückbeugen sind die Ergänzung der Vorwärtsbeugen, auch wenn ihr Effekt in mancher Hinsicht das Gegenteil darstellt. Während die Vorbeugen hauptsächlich eine Haltung des Loslassens, der Entspannung und Introspektion erzeugen wollen, sind die Rückbeugen anregend und stimulieren Vitalität, Offenheit und Kraft. Diese Asana spielen eine signifikante Rolle für den Rumpf: Sie öffnen den Brustkorb und führen zu mehr Beweglichkeit der Wirbelsäule. Dabei wird die Haltung korrigiert, vor allem bei Personen, die dazu neigen, den Brustkorb zusammenzuziehen und den Rücken zum Buckel zu krümmen; eine Fehlhaltung, die auch bei sehr vielen Kletterern zu finden ist. Außerdem sind diese Stellungen extrem hilfreich, wenn es darum geht, die Gesundheit der Wirbelsäule insgesamt zu verbessern, da unnatürlicher Druck behoben werden kann: Sie öffnen die Schultern, Nacken und Brustkorb, wobei Spannungen behoben, sowie die Nierengegend und das gesamte Nervensystem stimuliert werden. Zudem erleichtern sie die Atmung und begünstigen das Bewusstsein des Energieflusses durch die Wirbelsäule. Die Verbesserung der Atmung wiederum begünstigt Vitalität und Geistesgegenwärtigkeit. Auf emotionaler Ebene bewirken diese Asana, dass negative Tendenzen wie Lethargie, Depression und Angst ausgeschaltet und stattdessen Willenskraft und Energie gefördert werden. Bei der Beuge nach hinten konzentriert sich die Arbeit fast ausschließlich auf die Wirbelsäule und die Beugung muss über ihre ganze Länge verteilt werden, ohne beweglichere Abschnitte zu sehr zu beanspruchen. Ein zu großes Ungleichgewicht könnte den Bandscheiben und Nervenbahnen der Wirbelsäule schaden. Auch hier spielen die Hüften eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, darauf zu achten, den Lendenbereich nicht zu sehr zu krümmen und den Nackenbereich nicht zu sehr zu
überstrecken, damit keine Probleme mit den Halswirbeln entstehen. Die Eingangsbewegung zum Asana erfolgt mit dem Einatmen, beim Halten der Position wird mit dem Einatmen die Streckung der Wirbelsäule verstärkt, beim Ausatmen werden die Spannungen der Streckung entspannt und die Streckung auf diese Weise auf die ganze Länge der Wirbelsäule verteilt. Die Ausgangsbewegung erfolgt schließlich mit dem Ausatmen, außer man bewegt sich gegen die Schwerkraft, in diesem Fall erfolgt die Ausgangsbewegung mit dem Einatmen. Das Hauptaugenmerk der Rückbeugen liegt zwar auf der Wirbelsäule, sie bewirken jedoch auch eine Öffnung der Schultern und des Brustkorbs, sowohl hinten, als auch auf der Vorderseite. Analog zur Beuge nach vorn ist es auch hier wichtig, die entsprechenden Körperteile gut aufzuwärmen und die eigenen Grenzen zu respektieren. Außerdem ist es ratsam, stets auch Gegenpositionen (Vorwärtsbeuge mit gebeugten Knien) auszuführen, um die Rückenmuskulatur zu entspannen und die Wirbelsäule auszubalancieren. Beuge zur Seite Es gibt nicht besonders viele Asana mit Beugung zur Seite, sie haben jedoch wichtige Auswirkungen und stellen eine Art Mittelweg zwischen Rück- und Vorbeuge dar. Sie bewirken die Verlängerung verschiedener Muskeln, haben aber auch einen kräftigenden und aktiven Effekt ähnlich den Rückbeugen. Ihr Hauptziel ist es, die Wirbelsäule zu strecken und zu öffnen, den Brustkorb zu öffnen, die Atmung und Energiefluss zu erleichtern und das Bewusstsein der Energie in der Wirbelsäule zu verbessern. Analog zu Vor- und Rückbeuge gilt es, sich nicht über die eigenen Grenzen zu dehnen. Eine falsche Ausführung konzentriert die Beugebewegung dort, wo mehr Beweglichkeit besteht und verlängert so die Muskeln nur an einer bestimmten Stelle, was zu einem körperlichen Ungleichgewicht führt. Bei den Seitbeugen muss die Wirbelsäule stets gestreckt und aktiv bleiben und die Streckung über ihre ganze Länge verteilt werden (Nacken inklusive). Zudem muss die Öffnung des unteren Brustkorbs beibehalten werden und es ist wichtig, dass man bei der Bewegung nicht nach vorn oder hinten kippt, sondern konsequent zu Seite hinarbeitet. Auch Drehungen, die auf Kosten der Wirbelsäule gehen müssen unbedingt vermieden werden. Die Eingangsbewegung erfolgt mit dem Einatmen, dabei sollte man die Wirbelsäule so gestreckt wie möglich halten. Mit dem
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Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
Ausatmen wird dann die Streckung gehalten, aber in der Position entspannt. Beim Halten des Asana wird jedes Einatmen zum verlängern der Wirbelsäule genutzt und das Ausatmen um sich langsam immer mehr zu entspannen. Wenn die Ausgangsbewegung gegen die Schwerkraft nach oben erfolgt, wird sie mit dem Einatmen vollzogen. Zu den Hauptauswirkungen zählen die Massage der Bauchorgane, die Öffnung des Brustkorbs und der Atmung, die Entspannung der Wirbelsäule und deren Aufladen mit Energie. Wie auch bei den anderen Beugebewegungen ist im Falle von Wirbelsäulenverletzungen, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Problemen Vorsicht angebracht. Drehungen Zu guter Letzt sind bei den Asana für den Rumpf noch die Drehungen zu nennen. Ihr Ziel ist es, die Atmung zu erleichtern und den oberen Teil des Brustkorbs zu öffnen, Spannungen, die auf Kosten der Wirbelsäule gehen zu mindern und den Energiefluss in ihr anzuregen. Auch wenn die Drehungen nicht schwieriger als die anderen AsanaTypen sind, muss man dennoch bei deren Ausübung besonders aufpassen. Die Wirbelsäule muss möglichst gleichmäßig in all ihren Abschnitten gedreht und dabei trotzdem ihre natürlichen Kurven gehalten werden. Die Drehung fällt leichter, wenn man bei der Ausübung des Asana die Wirbelsäule konstant gestreckt hält. Jeder hat irgendwo entlang der Wirbelsäule Stellen, die mehr oder weniger beweglich sind als andere, der Grund dafür sind muskuläre Spannungen und Ungleichgewicht. Das führt dazu, dass man dazu neigt, die Drehung auf die besser beweglichen Teile zu konzentrieren, was wiederum eine ungleichmäßige Bewegung zur Folge hat, bei der nur bestimmte Abschnitte arbeiten, andere dagegen gar nicht. Deswegen muss der Praktizierende stets besonders achtsam sein und versuchen, die Bewegung auf die ganze Länge der Wirbelsäule zu verteilen. Ein weiterer Fehler ist es, die Drehung von oben zu beginnen, vor allem den Nacken zu drehen und erst danach den Rest der Wirbelsäule. Dabei riskiert man, den Bereich der Halswirbel überzustrapazieren. Am besten ist es, die Drehung im Bereich der Lendenwirbelsäule zu beginnen und sie dann langsam nach oben auszuweiten. Wenn man einen Abschnitt als besonders steif empfindet, ist es besser anzuhalten und zu versuchen zu entspannen, bevor man weiter oben eindreht. Wenn man die Wirbelsäule stets gestreckt hält und sich langsam bewegt, werden sich die steifen Zonen schrittweise
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lockern, die Drehung kann vertieft werden und auch eventuelle chronische Verspannungen können sich lösen. Bei vielen Drehungen besteht die Versuchung, sie durch Hebelwirkung zu verstärken: dies ist unbedingt zu vermeiden, damit man nicht die eigenen Grenzen überschreitet und Verletzungen riskiert. Oft neigt man dazu, bei steifen Hüften entweder die Hüfte zu den Schultern oder umgekehrt zu bewegen und die Drehung dort zu konzentrieren, wo sie am einfachsten scheint. Dadurch wird eine größere Neigung der Wirbelsäule zur Seite verursacht, was in Verbindung mit der Drehung negativ auf die Bandscheiben und den Energiefluss wirkt. Daher ist es wichtig, die Hüfte von der entsprechenden Schulterseite fern zu halten und gegebenenfalls die Drehung zu lockern, um die Wirbelsäule auf eine Linie zu bringen. Es empfiehlt sich, neben Nacken und Rücken besonders Hüften und Schultern gut aufzuwärmen. Bei der Ausübung dieser Asana ist es wichtig, die Atmung bei jeder Drehung bewusst einzusetzen. Beim Einatmen wird die Wirbelsäule so bestmöglich gestreckt und beim Ausatmen der Rumpf sanft gedreht. Die Atmung trägt dazu bei, steife Stellen und Verspannungen zu lockern. Die Drehungen haben verschiedene Auswirkungen: Sie öffnen den Brustkorb, die Schulten, die Hüften und den Nacken; lösen den Druck auf die Wirbelsäule, lockern Verspannungen und bringen die Rückenmuskulatur ins Gleichgewicht; die Bandscheiben werden massiert und die Wirbelsäule auf eine Linie gebracht; Sie vermindern Kalkansammlungen in der Wirbelsäule. Neben den Auswirkungen auf den Muskel- und Knochenapparat fördern sie die Verdauung, die Peristaltik und Ausscheidung, verlängern und kräftigen das Zwerchfell und verbessern die Atmung. Auf emotionaler Ebene vermindern sie negative Gefühle, Aufregung und Unausgeglichenheit, die oft mit Rückenproblemen einhergehen. Außerdem regen sie den Energiefluss in Richtung Herz und Gehirn an, was zur Steigerung des Bewusstseins führt.
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
Adho Mukha Shvanasana (Hund mit Kopf nach unten)
Anleitung
Man beginnt im Vier-Füssler-Stand, die Knie hüftbreit auf einer Linie mit dem Becken, die Hände etwas vor den Schultern. Die Hände weit geöffnet, die Finger schauen parallel nach vorn, die Zehen setzen auf den Boden auf. Beim Einatmen die Knie anheben und Arme und Beine ausstrecken: Der Körper bildet ein Dreieck mit dem Gesäß als Spitze und den gestreckten Beinen und dem Rumpf, der auf einer Linie mit den gestreckten Armen liegt, als Dreiecksschenkel. Die Fersen so gut es geht nach hinten schieben, bis sie den Boden berühren und die Beine strecken. Die Muskeln der Arme und des Rückens dehnen und die Schultern öffnen; dabei versuchen, eine möglichst perfekte Linie zu bilden, indem man die Arme ausstreckt und mit dem Kinn das Brustbein berührt. Der Blick führt zum Bauchnabel. Die Position für mindestens 30 Sekunden halten, dann zurück in die Ausgangsposition. Dreimal wiederholen. Nach der letzten Wiederholung eine Ruheposition einnehmen (Balasana) oder im Savasana ausstrecken.
Wirkung
Verlängerung der Schultern, Kniesehnen, Unterschenkel und der Muskeln von Füßen und Händen; Arme und Beine werden gestärkt; hilft bei der Verdauung, Kopfschmerzen und Menstruationsbeschwerden; nützlich, um Müdigkeit und Rückenschmerzen zu lindern; verbessert den Blutdruck und hilft bei Asthma, Plattfüßen und Ischiasproblemen. Entspannt das Gehirn und reduziert Stress. Regt die Energie im ganzen Körper an.
Klettern
Wirkt dem Buckel entgegen; erleichtert/mindert Verspannungen der Halswirbelsäule und der Rückenmuskulatur; stärkt und entspannt die Arm-, Schulter- und Brustmuskulatur und bringt sie ins Gleichgewicht; dehnt und die Sehnen der Fußgelenke und macht sie flexibler.
Hinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Nicht bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder mit Karpaltunnelsyndrom praktizieren. Wer unter Migräne/Nackenschmerzen leidet, kann den Kopf auf ein Kissen oder ähnliches aufstützen.
YogAscent 27
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
YOGA SEQUENZEN FÜR KLETTERER/INNEN
In diesem Kapitel werden Übungsreihen beschrieben, bei denen verschiedene Asana im Rhythmus des Atems verbunden werden, um so einen harmonischen Fluss zu schaffen, mit dem wir ganz natürlich von einer Position in die nächste übergehen können. Ich werde vor allem die klassischen Yoga Sequenzen vorstellen, wie die verschiedenen Versionen des Sonnengrußes (Surya Namaskara), den Mondgruß (Chandea Namaskara) und ein paar Sequenzen, die sich besonders auf bestimmte Asana konzentrieren. Zum Schluss werden komplette Übungsreihen vorgeschlagen, bei denen verschiedene Asana nacheinander ausgeführt werden, um mit dem ganzen Körper oder bestimmten Köperteilen im Detail zu arbeiten. Auch wenn die Konzentration eher auf dem Gleichgewicht, den unteren oder obe-
ren Gliedmaßen liegt, so wirkt jede Sequenz dennoch auf den ganzen Körper und beinhaltet Asana, die nicht direkt an den Teil, an dem man arbeiten will gebunden sind. Der Grund dafür ist das eigentliche Ziel der Asana: sie sollen den ganzen Körper auf physischer und energetische Ebene ins Gleichgewicht bringen und die Nadi befreien, damit das Prana frei fließen kann, wofür sich der Körper in einem aktiven Zustand befinden muss. Würde das außer Acht gelassen, würden sich die Yoga-Reihen nicht mehr großartig von herkömmlichen Stretching-Übungen unterscheiden. Die vorgeschlagenen Übungsreihen sollen einen effizienten und organisierten Leitfaden zur Praxis der Asana darstellen. Das schließt natürlich nicht aus, die Asana nach eigenen Wünschen und ohne definierte Abfolge auszuführen. Man sollte jedoch darauf achten, das Gleichgewicht des Körpers zu erhalten.
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis Surya Namaskara – Sonnengruß Der Sonnengruß ist eine der schönsten und bekanntesten Yoga Sequenzen. Er wird in einem flüssigen Ablauf im Rhythmus der eigenen Atmung ausgeführt, dabei wird jedes Asana und jeder Übergang von der richtigen Atmung unterstützt. Alle Bewegungen des Sonnengrußes entstehen aus der Vor- oder Rückbeuge der Wirbelsäule und verlängern sie gemeinsam mit den Gliedmaßen in maximalem Ausmaß. Das abwechselnde Vor- und Rückbeugen hat zahlreiche positive Auswirkungen: die Bauchorgane werden gestärkt, Verdauung und Ausscheidung verbessert, alle Muskeln des Köpers gestärkt, die Wirbelsäule wird elastischer und beweglicher, die Atmung verbessert sich. Die Ausübung dieser Sequenz wird als eine der schnellsten Methoden angesehen, um den Körper elastischer zu machen, sie fördert aber auch
die Entspannung des Geistes, Spontanität und inneren Frieden. Der Sonnengruß sollte Teil des täglichen Lebens sein, wobei man ihn mehrmals morgens und abends ausführt, unabhängig davon, ob man auch andere Yoga Praktiken betreibt. Außerdem eignet sich die Sequenz bestens zum Aufwärmen vor einer Yoga-Sitzung oder zu Beginn des Klettertrainings. Auch am Ende eines Klettertages oder nach einer Yoga-Sitzung ist er sehr nützlich, um die Spannungen, die auf der Wirbelsäule lasten, zu lösen und die Muskeln der Gliedmaßen zu regenerieren. Es gibt viele Varianten des Sonnengrußes: hier wird die klassische Version (Rishikesh) und die zwei Varianten des Ashtanga Vinyasa Yoga (A, B) beschrieben. Auf physischer Ebene eignen sich sich hervorragend als Übung für Kletterer/innen.
Asana und Yoga-Sequenzen: Theorie und Praxis
Surya Namaskara (Rishikesh)
Phase 1:
Pranamasana
Phase 2: Einatmen
Adho Mukha Shvanasana
Phase 9: Einatmen
Ashwa Sanchalanasana
Rechter Fuß nach vorn. Rückbeuge der Wirbelsäule
90 YogAscent
Phase 4: Einatmen
Hasta Uttanasana
Padahastasana
Phase 6: Luftanhalten mit leeren Lungen
Ashtanga Namaskara
Phase 7: Einatmen
Bhujangasana
Phase 8: Ausatmen
Phase 10: Ausatmen
Phase 11: Einatmen
Phase 12: Ausatmen
Den Körper nach oben und hinten verlängern
Phase 5: Ausatmen
Phase 3: Ausatmen
Die Knie auf den Boden, mit dem Körper zwischen den Armen nach unten, Brust und Kinn auf dem Boden absetzen, das Gesäß bleibt angehoben und die Ellenbogen geschlossen
Padahastasana
Hasta Uttanasana
Den Körper nach oben und hinten verlängern
Ashwa Sanchalanasana Rechter Fuß nach hinten. Rückbeuge der Wirbelsäule
Adho Mukha Shvanasana
Pranamasana