Klettern in der Schweiz

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COLLANA LUOGHI VERTICALI

EDIZIONI VERSANTE SUD


Erste Ausgabe Mai 2012 ISBN 978-88-96634-64-6 Copyright © 2012 VERSANTE SUD S.r.l. Milano via Longhi, 10, tel. 027490163 www.versantesud.it Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, der elektronischen Speicherung, der Vervielfältigung und der teilweisen oder gänzlichen Bearbeitung.

Umschlag

Matteo Piccardi in Infinite Jest, Wenden (Foto: Riki Felderer)

Texte

Matteo Della Bordella

Skizzen

Eugenio Pinotti

Übersetzung

Gerd Zimmermann

Druck

Monotipia Cremonese (CR)

Danksagungen Zuallererst möchte ich meinem Vater Fabio danken! Er hat mir zwar nicht direkt bei diesem Kletterführer geholfen, mir jedoch die Leidenschaft für die Berge übertragen und mich in den ersten Jahren mit dem Auto zu vielen der in diesem Führer beschriebenen Gebiete gebracht. Ein großes Dankeschön geht an alle meine Freunde, mit denen ich Gebiete besucht, Routen geklettert und eröffnet habe und mit denen ich schöne Erlebnisse teile: insbesondere an Fabio Palma und dann (in willkürlicher Reihenfolge) an Franz Carnati, Paolo Spreafico, Davide Mazzucchelli, David Bacci, Nicola Vonarburg, Domenico Soldarini, Silvan Schupbach, Fabrizio Fratagnoli, Andrea Caloni, Germano Langeli, Tommaso Salvadori und Luca Auguadri. Auch Riky Felderer möchte ich einen besonderen Dank ausdrücken: Er war oft mit uns in der Wand, doch war er nicht am anderen Seilende eingebunden, sondern hing an seinen eigenen Seilen. Ein spezieller Dank geht auch an all diejenigen, die mit ihren Antworten und Gedanken in den Interviews

Hinweis

Klettern ist ein potenziell gefährlicher Sport und geschieht immer auf eigene Gefahr. Alle Hinweise in diesem Führer beruhen auf Informationen, die zum Zeitpunkt der Drucklegung aktuell waren. Es wird empfohlen, sich vor der Begehung einer Route über den aktuellen Stand zu informieren.

diesem Kletterführer eine besondere Note geben: Chris Moser, Nicolas Zambetti, Jimmy Palermo, Lorenzo Merlo, Marcel Dettling, Stephan Siegrist, Nicola Vonarburg und Franz Carnati (ein doppeltes Danke an die beiden letztgenannten…). Darüber hinaus möchte ich all jenen danken, die mir in irgendeiner Art und Weise behilflich waren, z. B. indem sie Fotos zur Verfügung stellten oder nützliche Informationen zu den Gebieten gaben: Lorenzo Bosi, Eugenio Dall’Omo, Andrea Sommaruga, Lucio Nadig, Stefano Bianchi, Luca Grigolli, Pesche Wütherich, Bixio Gallera, Fabrizio Guidotti, Stephan Siegrist, Mario Giacherio, Reto Ruhstaller, Peter von Känel, Matthias Trottmann, Stephan Schibli, Leyla Ciragan, Luca Telli, Claudio Camisasca, Lukas Dürr, Luca Calvi, Mario Sertori und Lucia Prosino. Und zum Schluss ein ganz großes Dankeschön an Fulvia Mangili und Aristide Quaglia: Ein großes Erbe, das ihr mir mit diesem Führer überlassen habt!


Matteo Della Bordella

KLETTERN IN DER SCHWEIZ

Ausgew채hlte Routen und Kletterg채rten

Uri Wallis Berner Oberland Obwalden Schwyz Waadt Graub체nden St. Gallen

EDIZIONI VERSANTE SUD


Vorwort

Vorwort "Klettern in der Schweiz" ist meine erste Erfahrung als Autor eines Kletterführers. Nach mehr als zwei Jahren Arbeit muss ich gestehen, dass diese Aufgabe schwieriger und mühevoller war, als ich sie mir vorgestellt hatte. Und der Grund lag ganz gewiss nicht darin, in die Schweiz zu fahren, um dort zu klettern oder neue, mir noch unbekannte Gegenden aufzusuchen. Das hätte ich ja eh gemacht. Nein, es lag viel mehr an meiner Vorliebe für Klettereien, in denen ein bisschen Abenteuer und vor allem Unbekanntes auf mich wartet. Mir ist es lieber, wenn ich einer Route Neues entlocken kann und muss, und wenn nicht schon von vornherein durch Beschreibungen klar ist, wo der nächste Friend gelegt werden soll. Mit diesem Kletterführer möchte ich vor allem zwei Anforderungen gerecht werden: Umfassende Informationen und Ratschläge zu kurzen und langen Routen und Gebieten in der Schweiz bieten und potenzielle Leser dazu anzuregen, eines oder mehrere dieser Gebiete zu besuchen. Der Führer beschreibt eine Auswahl alpiner Gebiete und Klettergärten in fast allen Regionen der Schweiz (mit Ausnahme des Tessins und des Bergells). Diese Auswahl beruht auf meinen persönlichen Vorlieben, zudem wäre es unmöglich, in nur einem Buch alle Klettergebiete zu beschreiben. Ich habe einen Teil der ersten Ausgabe dieses Führers von Fulvia Mangili und Aristide Quaglia als Vorlage für diesen aktuellen Führer benutzen dürfen, habe diesen überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Darüber hinaus habe ich die Routenauswahl insofern erhöht, als ich hier nun auch Routen im so

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genannten Plaisirstandard beschreibe, also Routen, die gut mit Bohrhaken abgesichert sind und sich im mittleren Schwierigkeitsbereich bewegen. Insbesondere die Gebiete am Furkapass und im Göschenertal bieten für Granitkletterer zahlreiche und oft besuchte Alternativen in den unteren und mittleren Schwierigkeitsgraden. Neu in diesem Führer sind beispielweise die folgenden Gebiete (von Ost nach West): das Alpsteingebiet, die Gebiete um Engelberg (hier insbesondere Titlis sowie der Klettergarten Schlänggen), das oben erwähnte Göschenertal, Öschinensee bei Kandersteg, die interessanten Granitwände des bekannten Petit Clocher du Portalet und der Walliser Klettergarten Medji. Hinzu gekommen und detaillierter beschrieben sind nicht zuletzt einige neue Klettergärten wie z. B. Gimmelwald mit vielen überhängenden Routen sowie Rawyl im Wallis. Einen breiten Raum nimmt zudem das Berner Oberland ein und hier insbesondere die Wendenstöcke, bei denen ich versucht habe, so viele Routen wie möglich und sinnvoll zu beschreiben. Diese Wände sind mein Lieblingsgebiet. Und obwohl ich in Italien lebe und somit mehr als zwei Fahrstunden entfernt bin, fühle ich mich dort wie zu Hause. Die Wendenstöcke traten in meinem Leben als Kletterer zum ersten Mal 2003 auf: Nach der Wiederholung der Route "Sonnenkönig" (was für ein Kampf…) zündete in mir ein Funke, der sich zu einer richtigen Flamme entwickelt hat. Und in den folgenden Jahren habe ich an den Wendenstöcken drei neue Routen eröffnet sowie ca. 40 Routen wiederholt – d.

Matteo Della Bordella, Wenden, Infinite Jest (P. Bagnara)

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h. etwas mehr als die Hälfte der vorhandenen Linien. Ich habe dort viel gelernt und viele Erfahrungen gesammelt, nicht nur aus alpinistischer Sicht. Die Beschreibung des Sektors Mähren an den Wendenstöcken, von dem mir keine Berichte vorlagen, ist exemplarisch für meine Arbeitsweise: einfach hinfahren, erkunden und … klettern! Auch das Rätikon habe ich ausführlicher, wenn auch sicherlich nicht komplett, beschrieben. Ab 2004 unternahm ich zahlreiche Fahrten in dieses Gebiet, das sowohl aus landschaftlicher als auch aus klettertechnischer Sicht, fantastisch ist. Und doch muss ich gestehen, dass es auf meiner persönlichen Hitliste „nur“ den zweiten Rang nach den Wendenstöcken einnimmt. Einige der vielen Leute, die mir bei der Arbeit an diesem Führer geholfen haben, hatte ich um allgemeine Ratschläge zum Klettern in der Schweiz gebeten. Daraus haben sich diverse

Interviews mit oft unbekannten Kletterern oder Bergsteigern ergeben, die in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden unterwegs sind und auch Routen erschließen. Seit vielen Jahren besuchen sie auch sehr häufig die Schweizer Klettergebiete, klettern bestehende Routen oder erschließen neue. Und ihre Tipps und Ratschläge zu den lohnendsten Gebieten sind aus meiner Sicht sehr hilfreich. Und jetzt bleibt mir nur zu wünschen, dass meine Arbeit gut, nützlich und so exakt wie möglich ist und dass dieses Buch richtig Lust auf einen Kletterurlaub in der Schweiz macht. In diesem Sinne: …. VIEL SPASS BEIM KLETTERN! Matteo

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Verzeichnis

Göschenertal 1 Salbit 2 Voralpkurve 3 Gandschijen 4 Bergseeschijen 5 Schijenstock 6 Schwarze Wand (Klettergarten)

14 16 36 46 50 54 57

Furka 7 Chli Bielenhorn 8 Hannibal Turm 9 Galenstock 10 Graue Wand 11 Dammazwillinge 12 Gletschhorn 13 Winterstock 14 Lochberg 15 Schöllenen

58 60 66 68 70 78 82 84 86 88

Grimsel – Susten 16 Eldorado 17 Handegg 18 Sustenpass 19 Pfaffensprung

98 100 108 114 120

Klausen 124 20 Chli Glatten 126 21 Hinter Glatten 134 22 Signalstock 138 23 Brunnital 142 24 Ibergeregg (Klettergarten) 155 25 Muotathal (Klettergarten) 158 Melchtal 160 26 Ofen 162 27 Cheselenflue 170 28 Stockalp (Klettergarten) 176 29 Bubiwändli (Klettergarten) 178 Engelberg 180 30 Gross Sättelistock 182 31 Ruchstock 184 32 Laucherenstock 186 33 Fürenwand 190 34 Titlis Nordwand 192 35 Schlänggen (Klettergarten) 198

12

Meiringen 202 36 Titlis 204 37 Wendenstöcke 210 38 Tällistock 270 39 Signal 274 40 Engelhörner 280 41 Klein Wellhorn 298 42 Engstlenalp (Klettergarten) 302 43 Cevi (Klettergarten) 306 44 Lammi (Klettergarten) 309 45 Schillingsflüe (Klettergarten) 311 46 Lungern (Klettergarten) 314 Grindelwald 316 47 Eiger 318 48 Scheideggwetterhorn 330 49 Hintisberg 338 50 Lehn (Klettergarten) 344 51 Neuhaus (Klettergarten) 350 52 Gimmelwald (Klettergarten) 352 Kandersteg 356 53 Doldenhorn 358 54 Oeschinensee 360 55 Ueschenen 364 56 Gehrenen (Klettergarten) 368 57 Elsigen (Klettergarten) 371 58 Winteregg (Klettergarten) 375 59 Wildi (Klettergarten) 378 Wallis 380 60 Dôme du Slot 382 61 Sanetsch 388 62 Petit Clocher du Portalet 398 63 Rawyl (Klettergarten) 404 64 Medji (Klettergarten) 410 Waadt 412 65 Miroir d’Argentine 414 66 Les Diablerets 420 67 St. Loup (Klettergarten) 424 Graubünden – St. Gallen 68 Rätikon 69 Alpstein 70 Chropfberg (Klettergarten) 71 Voralpsee (Klettergarten)

432 434 486 498 501


Geneve

62

65

66

Fribourg

Basel

61 64

60

49 47 48

29 26 27-28

Baden

20-22

Altdorf 23

25

Schwyz 24

Z端rich

Locarno

30-32 33-35 19 42 36-38 Wassen 43-45 18 1-6 39-41 17 7-14 15 16 Airolo Oberwald

46

Luzern

Brig

56 52 57 55 53-54 58-59

50-51

Bern

Solothurn

Sion

63

Mountreaux

Neuchatel

Lousanne

67

die Protagonisten Marcel Dettling (Furka) 96 Jimmy Palermo (Brunnital) 154 Nicola Vonarburg (Wenden) 242 Franz Carnati (Wenden) 268 Nicolas Zambetti (Eiger) 336 Stephan Siegrist (Eiger) 337 Christoph Moser (Alpstein) 496

13

70

71

Lugano

Bellinzona

69

S. Gallen

Konstanz

Chur

Davos

St. Moritz

68


Klausen – Brunnital Wiss Stöckli

Wiss Stöckli - Südwand 1,00 Std. S 1,30 Std. SW 2100 m. 2200 m. 200 m. 350 m. S u. SW

C

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Durch die Süd- bzw. Südwestwand zieht eine Handvoll sehr schöner Linien durch kompakten Fels, der insbesondere bei den Routen Bächlirinnä und Margrithli auch mit ein paar Wasserrinnen aufwartet. In den meisten Routen sind gute Reibungskletterer und Techniker gefragt, nur in den sehr steilen Längen der ziemlich grifflosen "Bächlirinnä" können auch Kraftpakete zeigen, was sie drauf haben. Beste Jahreszeit Juni-Oktober Zugang Vom Parkplatz nach dem Dorf Brunni steigt man auf Pfadspuren mehr oder weniger direkt über Wiesen und Geröllfelder hoch. Die Südwand ist vom Parkplatz aus nicht sichtbar, man erreicht sie, indem man den Felssockel der Ostwand links haltend umgeht. Die Pfadspuren sind undeutlich, aber der Wegverlauf ist ziemlich intuitiv. Hat man den kleinen Sattel am Ende des Sockels erreicht, ist die Südwand gut zu sehen. Man quert auf der rechten Talseite zwischen Wiss Stöckli und Gross Ruchen in Richtung Wandfuß der Südwand. Zur Südostwand geht man an der Südwand vorbei und dann leicht bergab. Erst im letzten Teil des Zustiegs ist die Wand dann zu sehen.


2 Hurlibueb H H H H H A. Arnold, S. von Rotz, 2000 200 m (5 SL) 6b (5c obl.)/S2/III Material: 50-Meter-Doppelseil, Friends und Klemmkeile Einstieg: Rechts der vorhergehenden Route, die 1. Seillänge ist leicht und verläuft links von einem Graskegel. Abstieg: Abseilen.

1 Schnudermeidli H H H H A. Arnold, M. Aschwanden, 2000 200 m (5 SL) 5a (5a obl.)/S2/III Material: 50-Meter-Doppelseil, Friends und Klemmkeile Einstieg: Im linken Bereich der Südwestwand; die 1. Seillänge führt in leichter Kletterei über den Sockel. Abstieg: Abseilen über die Route Hurlibueb.

5a

WISS Stöckli Südwest Wand

6a 5a

6b

5b 5a

5c+ 5a

4b

3b

1

2

fWiss Stöckli, Plattawag (arch. J. Palermo)

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Wendenstöcke 210

Wendenstöcke 3042 m. Die Wenden werden bei Bergsteigern und Sportkletterern immer bekannter, denn sie bieten einmalige und schöne Mehrseillängenrouten in einer absolut herrlichen Umgebung. Die perfekte Felsqualität ist mit der wichtigste Grund für diesen Zulauf: Der kompakte Kalk hat meist sehr gute Reibungseigenschaften und ist ziemlich strukturiert. Ein wenig Kraft, vor allem in den Fingern, kann hier ebenfalls nicht schaden. Die riesige Anzahl an herrlichen Routen, die fast allesamt sehr lohnenswert sind, ist ein weiterer, großer Pluspunkt dieses Gebiets. Und schließlich zählt natürlich auch die wunderschöne landschaftliche Umgebung zu den Besonderheiten: Obwohl die Straße nur wenig entfernt vorbei führt, hat man in manchen Routen das Gefühl, als klettere man in hochalpinem und recht einsamem Gelände. Die Bohrhaken sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier in vielen Wegen, zusätzlich zum Kletterkönnen, auch ein bisschen alpine Erfahrung und Intuition nicht schaden kann. Die besten Monate für einen Besuch sind Juni bis Oktober. Aber auch zu anderen Zeiten kann hier durchaus geklettert werden, sofern ein stabiles Hoch für viel Sonne sorgt und man für den Zustieg die nötige Ausrüstung hat. Die Wände trocknen relativ schnell ab. Bei Niederschlägen sollte man allerdings die Schneefallgrenze immer im Blick behalten: Wenn es ab ca. 2700m Höhe schneit, sind fast alle Routen nass, bis der Schnee komplett abgetaut ist (einige Routen wie z. B. Lancelot, Troja, Squaw oder Hakuna Matata bleiben dann aber praktisch immer trocken). Wenn es bis in noch tiefere Lagen schneit, raten wir vom Einstieg ab, auch der Zustieg an sich kann schon mit Risiken verbunden sein. Wie bei alpinen Unternehmungen üblich, sollte man vor dem Einstieg natürlich die Wettervorhersage konsultieren und eventuelle Probleme bei Zu- und Abstieg in die Zeitplanung mit einrechnen. Wie schon früher erwähnt, ist der Kalkfels extrem kompakt und bietet wenige Möglichkeiten für mobile Sicherungsgeräte. Die Absicherung wird bei den einzelnen Routen näher beschrieben, im Allgemeinen empfiehlt es sich, auch bei einfacheren Routen den verlangten obligatorischen Grad zu beherrschen.


Etwas Geschichte Von Historie im eigentlichen Sinn kann man fast nicht sprechen, denn es ist noch nicht sehr lange her, dass hier erstmals klassische Wege begangen wurden. Ende der 60er- oder Anfang der 70er-Jahre verliefen diese Routen über den Süd- und Südostpfeiler des Pfaffenhuts, den Ostpfeiler des Gross Wendenstocks oder durch die Wände am Reissend Nollen (Via Gross). Heutzutage verirrt sich praktisch niemand mehr hierher, obwohl die Felsqualität gar nicht so schlecht ist. Die Wende kam mit der Route Excalibur, die Peter Lechner im Jahr 1983 im traditionellen Stil eröffnete und die er selbst einige Jahre später mit ein paar Bohrhaken ausstattete. Im gleichen Jahr erschlossen Lechner und Ochsner die Linie „Lupus“ am Pfaffenhut, die heute sozusagen in diverse neue Sportkletterrouten "aufging"; immer wieder ist der eine oder andere alte geschlagene Haken noch zu sehen. In den folgenden Jahren tauchten in der Region die ersten von unten eingebohrten Routen auf, auch die ersten Sportkletterrouten wurden ab diesem Zeitpunkt hier eröffnet: Elefantenohr (1984), Aureus (1985), Inuit, Blaue Lagune und Andorra (1986). Neben den schon erwähnten Kletterern Lechner und Ochsner waren auch die Kletterer Pitelka und Grossen hier zu Gange. 1989 eröffneten die Gebrüder Bühler die Route Batman, sie war an den Wenden, wenn nicht sogar in der ganzen Schweiz, eine der neuen modernen Routen mit Symbolcharakter. Martin Scheel brachte den von ihm kreierten Stil der Erstbegehung von unten in dieses Klettergebiet. 1990 bohrte Peter “Sam” Abegglen, gesichert von K. Ochsner, die Linie "Dingo" ein, die er bald darauf auch erstmals frei klettern konnte. Die Route entsprach ganz dem damaligen Charakter des Erschließers, der viel Abenteuergeist bewies. Einen wahren Erschließungsboom erlebten die Wenden in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Nicht nur die oben erwähnten Erschließer intensivierten ihre Arbeit, auch weitere Kletterer wie die Brüder Rémy oder Michel Piola hinterließen ihre Spuren. Und so stieg die Anzahl der Routen zusehends und es entstanden wahre Meilensteine der Sportkletterei: Trash (1990), Legacy und Ibicus (1991), Lancelot, Rockmantic, Virus, Pain Killer (1992) durch die RémyBrüder, Voie du frère und Las Aguas de l’Infierno durch Michel Piola, viele weitere durch das Trio Ochsner, Lechner, Pitelka sowie Cleopatra (1990) durch Pfaffen und Tscherring. Aber schon ab Mitte der 90er-Jahre konnte von einem Boom keine Rede mehr sein. Neue Routen wurden kaum noch eingebohrt und es wird erzählt, dass die bisherigen Erschließer bei einem Treffen über die künftigen Erschließungsarbeiten diskutierten. Aussagen darüber gibt es aber keine und so kann nur vermutet werden, dass damals Leitlinien entstanden, die darauf abzielten, dass dieses Gebiet nicht ein undurchsichtiges Sammelsurium von Routen werden sollte. Die Rémy-Brüder stellten daraufhin ihre Arbeit ein, einige wenige andere machen zwar noch weiter, aber in deutlich verringertem Ausmaß. 1996 eröffneten Ruhstaller/Rathmayr ein paar sehr anspruchsvolle Linien wie Tsunami oder Niagara. In den Jahren danach bohrte Kaspar Ochsner z. B. die 211


Wendenstöcke

Linie Millenium ein und sanierte diverse Routen, Pitelka war im Sektor Mähren (Gemini und Eiserner Vorhang), am Dom (Hakuna Matata) und auch am Reisend Nollen (Italia e no Festa) zu Gange. Anfang des neuen Jahrtausends scheint die Erschließung logischer Routen an den Wenden abgeschlossen worden zu sein. Ab 2005 tauchte aber eine neue Erschließergeneration auf und begann mit der Arbeit: die Schweizer Wolf und Haberstatter, die Gebrüder Zambetti sowie die italienische Seilschaft Della Bordella/Palma. Letztere eröffnen mit "Portami via" die erste "italienische" Route an den Wenden, eine sehr anspruchsvolle und spärlich abgesicherte Linie, die erst einige Monate später von den Schweizern Ueli Steck und Simon Anthamatten frei geklettert werden konnte. Weitere "italienische" Routen sind "Coelophysis” (Della Bordella/Palma/Selva) sowie “La svizzera” (Larcher/Vigiani), beide aus den Jahren 2006-2008. Nachdem sie viele bekannte Linien wiederholen konnten, erschlossen auch die Brüder Zambetti mit "Planèthe Matilde" am Reissend Nollen ihre erste Linie, die bald ziemlich bekannt wurde und gerne wiederholt wird. 2006 beendeten Wolf und Haberstatter ihre Arbeit an der derzeit wohl schwierigsten Route, "Zahir", die durch die überhängenden Wände des Dom zieht und die sie auf eine harte Probe stellte. Den beiden gelang ebenfalls die erste freie Begehung ihrer Linie. Die neuesten Nachrichten in Bezug auf neue Routen kommen von altbekannten Kletterern: 2010 eröffneten Ruhstaller/Ratmayr "Transocean" am Pfaffenhut, Nicola Vonarburg gelang 2011 die erste Onsight-Wiederholung. Nach

Pfaffenhut

Klein Wendenstock Gross Wendenstock

Reissend Nollen

Excalibur

Mähren

Dom Vorbau Aureus

Glogghuser

Mettlenalp P P

Gadmen

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Sustenpass

Wendenalp 1603m


drei Jahren Arbeit schlossen Palma/Della Bordella ihr Projekt "Infinite Jest" am Mähren ab, Ende des Sommers 2011 wurde auch die Bigwall-Linie "Röstigraben" von Zambetti/Schupbach beendet. Da die beiden aber noch nicht alle Seillängen frei geklettert haben, verzichten wir hier auf eine Beschreibung. Anfahrt Von der Autobahnausfahrt der A2 Wassen zum Sustenpass, wieder bergab und kurz vor Gadmen rechts auf eine kleine (Maut-) Straße in Richtung Wendenalp (bis hier 32 km ab Wassen) und noch 4 km weiter bis zum Parkplatz unterhalb der Wendenstöcke. Aus Richtung Interlaken oder Brünigpass ebenfalls in Richtung Sustenpass und nach Gadmen dann links ab zur Wendenalp.

i

Generelle Infos Die Mautgebühr für die Straße von Gadmen zur Wendenalp beträgt 10 CHF pro Tag oder 20 CHF pro Woche. Campieren am Parkplatz ist verboten, wer sich über das Verbot hinwegsetzt, sollte besser das Zelt tagsüber abbauen. Einen schönen Campingplatz gibt es in Gadmen (bei Felix). Auf der Wendenalp kann man sehr guten Käse kaufen und auch seine Trinkwasservorräte auffüllen. Stützpunkte Der nächstgelegene Campingplatz ist in Gadmen (Felix Meier, Telefon: +41 (0) 33 9751230). Hier gibt es auch die berühmte "Campingpizza", quasi ein Muss nach einem langen Klettertag und eine der besten Pizzen der Alpen (De gustibus non est disputandum - über Geschmack lässt sich nicht streiten…). Felix gibt auch gerne Auskunft über die aktuellen Verhältnisse, insbesondere am Mähren.

Mähren

Excalibur Pfaffenhut

Dom Aureus

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Wendenstöcke - Excalibur

Excalibur 3042 m. 1.20 Std. 2300 m. 350 m. S

C

(Gross Wendenstock)

Die Sektoren Excalibur, Dom und Aureus bilden den so genannten Gross Wendenstock. Unzählige Pfeiler, Türme und senkrechte Wände, die immer wieder von überhängenden Bereichen unterbrochen werden, kennzeichnen diesen Bereich, der zwischen 250 und 400 Metern hoch ist. Beste Jahreszeit Juni-Oktober Zugang Vom Parkplatz auf der Wendenalp über die Wiesen links haltend in Richtung der Felswände und auf einen Pfad (ca. 150 m vom Parkplatz). Diesem folgt man bis zu einem (Granit-)Felsriegel (40 Min.) und geht geradeaus weiter zu einem zweiten Felsriegel (Kalk). Jetzt quert man rechts haltend, steigt über Fels- und Grasstufen um diesen Felsriegel herum (mehr oder weniger in Falllinie der großen Überhänge des Doms) und biegt dann scharf links ab bis zum Fuß des Pfeilers (1,5 Std. von Wendenalp). Hinweis Die ersten beiden Seillängen bilden für alle Routen den gleichen Einstiegsweg. Nach der ersten Seillänge ist auch eine (Rechts-) Variante möglich; die linke ist trotz des höheren Grades aber weniger anspruchsvoll und wird deshalb auch öfter geklettert. Achtung: Öffnungszeiten Sustenpass beachten!

230


WENDEN EXCALIBUR

3

4

5

2 1

6

7 8

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Wendenstöcke

Adriano “Franz” Carnati Seit über zwanzig Jahren klettert Franz sozusagen auf oberstem Niveau und nur wenige haben das bemerkt. Die Aufzählung seiner schwierigen Routen füllt mittlerweile fast ein Telefonbuch, in vielen Regionen der Welt war er zu Gange, so z. B. in Patagonien, Kanada oder Pakistan und natürlich in den Alpen. Nachdem er im Val di Mello (am Qualido) viele Routen erstbegehen konnte, wollte er auch am Montblanc und in den Dolomiten sein Können beweisen, was ihm z. B. mit Routen wie „Divine Providence“, „Der Weg durch den Fisch“ oder „Letzte Ausfahrt Titlis“ gelang. Auch mit 45 Jahren sucht er noch seine Grenzen, liebt die Herausforderung und will nie und nirgends aufgeben. Er arbeitet hart die Woche über (wie er gerne immer wiederholt), aber am Wochenende will er am Fels sein. Die Leidenschaft für das Klettern und Bergsteigen steckt tief in ihm drin, wenn er in guter Form ist, will er einfach nur klettern, klettern… Er redet weder viel noch gerne darüber, aber er hat immer einen guten Spruch auf den Lippen. Welches sind deine Lieblingsgebiete für lange Routen in der Schweiz? Schon Anfang der 90er-Jahre zogen mich die Wendenstöcke und das Rätikon an. Dort gibt es viele schöne und lange Routen, auch ist die Felsqualität dort viel besser als in vielen Klettergärten (und das sage ich immer wieder gerne auch Neulingen). Man findet dort immer eine schöne Linie, in der man sich je nach Verfassung und Können beweisen kann. Was mir am meisten gefällt ist die Tatsache, dass man dort eine maximale Freiheit genießt, dass man sich in herrlicher Umgebung aufhält und nicht auf Seilbahnen oder Schutzhütten angewiesen ist. Und welche Klettergärten in der Schweiz könntest du empfehlen? Es mag schon sein, dass viele Kletterer von den Schweizer Klettergärten etwas enttäuscht sind, immerhin gibt es Gebiete wie Arco, Sardinien oder auch Ceredo. Aber hier und da findet man

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doch ein kleines Juwel: Ich würde da natürlich die bekannten Gebiete wie Lehn oder Engelberg anführen; persönlich gefällt mir Voralpsee sehr gut. Informationen über Schweizer Gebiete werden von den Locals nicht so gerne veröffentlicht und oftmals dauert es lange, bis man wieder mal ein schönes Gebiet für sich entdeckt hat. Ich möchte da z. B. Zork oder Birchboden nennen. Gimmelwald soll wirklich perfekt sein und früher oder später fahren wir auch mal da hin. Erzähle doch mal, was sich an den Wenden in den letzten 20 Jahren verändert hat. Wie schon gesagt, war ich Anfang der 90erJahre, um genau zu sein, im August 1990 zum ersten Mal dort. Die Berichte von Paolo Vitali in ausländischen Zeitschriften brachten mich auf dieses Gebiet. Paolo und Sonja Brambati waren wie ich gute Granitkletterer, Kalk lag uns nicht besonders. Ich war dann ganz überrascht, wie gut ich mich dann doch dort fühlte und es war klar, dass ich da noch viel mehr leisten wollte und konnte. So anders ist es heute nicht, nach wie vor wird an den Wenden gutes Können und großes Engagement verlangt. Welche sind deiner Meinung nach die schönsten Routen der Wendenstöcke? Erschließer wie Ochsner, Pitelka und die RémyBrüder, um nur einige zu nennen, haben dort wirklich schöne Routen erschlossen. Ich denke gerne an die schönen Seillängen von Batman und Tsunami zurück oder an das Meisterwerk


"Dingo" von Sam Abegglen. Die herrliche Linie von "Zahir" kann ich vermutlich nur von weitem betrachten, oder höchstens beim Abseilen genießen…Diese Linien sind absolut fantastisch, anspruchsvoll und sehr homogen. Und immer wieder wird natürlich auch eine schöne, neue Route erschlossen werden. Der Nordpfeiler am Titlis ist ja eigentlich nur wenig von der Zivilisation entfernt, aber doch ein richtiges Abenteuergelände. Wie bist du auf die Idee gekommen, die Route Letzte Ausfahrt Titlis von Stefan Glowacz zu wiederholen? Nun, so ganz nah ist das dann doch nicht, wenn man die vier Stunden mühsamen Zustiegs betrachtet… Ich hatte den Bericht darüber und das Topo im Rucksack, sie waren nicht ganz so zerknittert wie einige andere. Ich war einfach neugierig und wollte den beeindruckenden und wilden Pfeiler von Nahem sehen. Die Wand ist im Vergleich zu den Wenden deutlich weniger kompakt, die Umgebung wilder und die Absicherung spärlicher und all das zusammen macht das Ganze viel abenteuerlicher. Leider konnten wir nicht die ganze Route klettern, drei Seillängen vor dem Ausstieg mussten wir den Rückzug antreten. Was treibt dich dazu, eine schwierige und eventuell gefährliche Route zu wiederholen? Wäre es nicht bequemer, das Risiko den Jüngeren zu überlassen und sich auf die Klettergärten zu beschränken? Bis heute war das für mich nie ein Problem. Schon beim Einstieg denke ich nämlich an die nächste, schwierige und anspruchsvolle Linie, die ich klettern möchte. Ich will einfach dabei sein. Und den Klettergarten besuche ich zum Trainieren, möglichst am Tag vor dem Einstieg in eine schwierige Mehrseillängenroute. Und

warte mal einfach ab: Irgendwann werde ich schon jemand anderes vorsteigen lassen, und dann genieße ich den Ausblick beim Sichern! Siehst du irgendeinen Unterschied zwischen anspruchsvollen Routen an den Wenden, am Montblanc im Rätikon oder in den Dolomiten? Oder ist nur die Landschaft anders? Ich klettere aus reinem Vergnügen, weil mich die Wand oder die Route anspricht und weil ich eine Zeitlang an einem schönen Ort sein möchte. Der Anspruch, den viele der so genannten modernen Routen stellen, wird schon durch die Möglichkeit, abseilen zu können, etwas verwässert. Man kann sich auf den Begehungsstil konzentrieren und man kann sich auch mal in der Zeit vertun. Einige bezeichnen das als "Klettergarten in der Höhe". Was gibt es dagegen zu sagen? Der Geist ist der gleiche, und das zählt. Wenn es wie am Montblanc deutlich alpiner ist, dann verlangt dies auch mehr physischen und psychischen Einsatz, aber die spektakuläre und faszinierende Landschaft lohnt diesen Einsatz. Was für immer bleibt, sind große Emotionen und Erlebnisse. Unterschiede sehe ich nur bei der Zeit, die man jeweils zur Verfügung hat, und da zählt die Anreise dazu. Was mir dabei immer weniger gefällt, ist beispielweise der Druck, die letzte Seilbahn zu bekommen und dann so schnell wie möglich nach Hause zu fahren. Das zerstört doch den ganzen Tag. In letzter Zeit habe ich auch wieder an Dolomitenrouten Gefallen gefunden, Routen mit Bolts oder geschlagenen Haken, mit guter oder sehr schlechter Felsqualität. Ich will mich eigentlich gar nicht zu sehr an diese perfekte Gesteinsqualität gewöhnen… nämlich eine solche, wie es sie in der Schweiz gibt.

UP climbing.com 269


Graubünden – Rätikon 7. Kirchlispitze

7. Kirchlispitze 45 min. 2000 m. 400 m. S

Charakteristisch für die 7. Spitze ist der kompakte und abweisende Felspanzer, durch den einige der schwierigsten alpinen Routen der Alpen ziehen. Weltberühmt ist die von Beat Kammerlander eröffnete "WoGü", die er Wolfgang Güllich widmete. Diese Route konnte erstmals im Sommer 2008 von Adam Ondra, einem der (wenn nicht dem) stärksten Kletterer der Welt rotpunkt geklettert werden. Links dieses Felspanzers sind die Platten nicht so steil und abweisend, hier verlaufen einige Routen im 6. u. 7. französischen Grad in schönem Fels. Diese Linien erfordern aber wegen der meist etwas weiten Hakenabstände eine gute Plattenklettertechnik. Beste Jahreszeit Juni-Oktober

C

Zugang Man folgt dem Wanderweg zum Schweizertor in nördlicher Richtung, bei der Grasmulde steht man direkt vor der 7. Kirchlispitze. Abstieg Der Abstieg zu Fuß ist empfehlenswert: vom Ausstieg der Routen zum Schweizertor und von dort über den Wanderweg zum Wandfuß absteigen. Bei vielen (insbesondere den sehr schwierigen) Routen kann auch abgeseilt werden.

4. Kirchlispitze

5. - 6. Kirchlispitze 7. Kirchlispitze

Schweizereck

Drusenfluh

Schweizertor

Schesaplanahütte Pardutzhütte (KCR) P Grüscher Älpli Schuders

446

P

Carschinahütte


RÄTIKON 7. KIRCHLISPITZE

6a 7a 4a

6c

7b+

5c

6c 6b+

6b

2

6b+

4a

6b

6c+

6a

7a+

6b+ 6b

6b

8b+

6b

6a

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6a+ 7b+

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7a 3a

6b

7b+

4

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2

4c

8

6c+

4a 6b

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4a 3

6c

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6

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7 9

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