Die Singer-Songwriterin gestaltet ein Reflektor-Festival
ALEXANDRE KANTOROW
Der Pianist im großen Interview
ELBPHILHARMONIE VISIONS
Überdrehte Klänge beim Festival mit Musik der Gegenwart
SUCHSPIEL
Auf diesem Bild ist eine Klarinette versteckt.
KLAUS MÄKELÄ
Der Finne ist derzeit der gefragteste Jungstar am Dirigentenpult
PRINCIPAL SPONSOR DER
HERZLICH WILLKOMMEN!
Liebe Leserin, lieber Leser, im achten Jahr seines Erscheinens, nach weit über zwanzig Ausgaben, trägt unser »Elbphilharmonie Magazin« ein Motto auf dem Titel, das eigentlich auf jeder Ausgabe stehen könnte: »spielen«. Schließlich ist dies das Kerngeschäft all jener, deretwegen Sie ins Konzert kommen. Musikerinnen und Musiker spielen ihre Instrumente, sie spielen Stücke, sie spielen zusammen. Die Autoren dieses Hefts widmen sich auf vielfältige Art diesem Verb, das mit der Musikausübung so eng verbunden ist wie mit dem Theater oder dem Sport. Zu ihm gehört das Substantiv Spiel, dessen Gegenstück am ehesten der Ernst ist, wobei es für ihn interessanterweise kein Verb gibt. Ernsten können wir nicht. Aber spielen!
In seinem erhellenden und vergnüglich zu lesenden Essay über Mozarts Verhältnis zum Thema Spiel und spielen schildert Albrecht Selge den Komponisten als »absolut freien Spieler«. Weit jenseits aller Konventionen war er dies natürlich in seinen Kompositionen, aber auch am Billardtisch, beim Kegeln oder beim Briefeschreiben (S. 4). »Spiel ist etwas Ernstes, und Existenz steht immer auf dem Spiel«, so nah rückt die Pianistin Tamara Stefanovich in diesem Heft beides zusammen (S. 70).
In der Geigerin Patricia Kopatchinskaja verbinden sich der spielende und der schaffende Mensch auf kongeniale Art. Sie nimmt vermeintlich Unumstößliches wie die Partitur eines Meisterwerks auch mal spielerisch auseinander und setzt sie neu zusammen. Bei uns ist sie überdies mit eigenen Kompositionen zu erleben (S. 19).
»Aus Spiel«: Das sagen Kinder, wenn sie sich für unbestimmte Zeit ihre eigene Welt erschaffen, in der alles möglich ist, in der sie Rollen ausprobieren oder sie anderen zuweisen. Wie ansteckend fröhlich und zugleich tiefsinnig sich in der Musik des britischen Posaunisten Alex Paxton das (Spiel)Kind im Manne austoben darf, erfahren Sie in dem Porträt über den diesjährigen Kompositionspreisträger der ClaussenSimonStiftung, dessen neuestes Werk bei der zweiten Ausgabe des Festivals Elbphilharmonie Visions im Februar vom NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan Gilbert im GroßenSaal uraufgeführt wird (S. 12).
Viele weitere lesenswerte Texte bringen Ihnen einige der herausragenden Künstlerinnen und Künstler näher, die in den kommenden Wochen bei uns zu Gast sein werden. Der Bogen reicht vom großartigen französischen Pianisten Alexandre Kantorow (S. 50) über den ebenfalls sehr jung schon ungemein erfolgreichen Dirigenten Klaus Mäkelä (S. 28), dessen Weltkarriere wir fast seit Anbeginn begleiten, bis hin zu unserer nächsten ReflektorKünstlerin, der wunderbaren Schweizer Songschreiberin, Gitar ristin und Sängerin Sophie Hunger (S. 36).
Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, heißt es bei Shakespeare. Machen wir. Mit Vergnügen.
Ich wünsche Ihnen eine spielerisch erhebende Lektüre!
Ihr Christoph LiebenSeutter Generalintendant Elbphilharmonie und Laeiszhalle
4
AMADEUS, AMADEUS
SPIELER AUFS GANZE
Nah kommen wir Mozart nie, aber ahnen werden wir wohl dürfen.
VON ALBRECHT SELGE
16
MUSIKLEXIKON
STICHWORT »SPIELEN«
Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte.
VON CLEMENS MATUSCHEK
22
IMPROVISATION
DIE VIELEN WUNDER DER FREIHEIT
Wo die Musik spielt, da wird auch mit Musik gespielt.
VON VOLKER HAGEDORN
18
PATRICIA KOPATCHINSKAJA
SIE WILL NUR SPIELEN Für Überraschungen war die Geigerin schon immer gut. VON SIMON CHLOSTA
28
KLAUS MÄKELÄ
BITTE NICHT STÖREN
Der Finne ist derzeit der gefragteste Jungstar am Dirigentenpult.
VON HELMUT MAURÓ
34
GLOSSE
BESSER ABRUTSCHEN
Eine Wunderwaffe gegen die Gamification des Konsumlebens
VON TILL RAETHER
42
FOTOSTRECKE
SUCHSPIEL
VON JAKOB BÖRNER
56
TRANSKRIPTIONEN
ZEHN FINGER FÜR EIN ORCHESTER
Klavierbearbeitungen großer Musikwerke sind eine eigene Kunstform.
VON HELMUT MAURÓ
62
JAZZ
HOHEPRIESTERIN DER FREUDE
Die Schlagzeugerin Allison Miller spielt im Geiste einer uralten Utopie.
VON TOM R. SCHULZ
66
WELTMUSIK
NATÜRLICH KOSMOPOLITISCH
Souad Massi ist das weibliche Gesicht des modernen arabischen Chansons.
VON STEFAN FRANZEN
70
UMGEHÖRT SINN-SUCHE
Eine Frage, sieben Antworten
VON IVANA RAJIC ˇ
72
ALTE MUSIK
ZEITLOSE MENSCHLICHKEIT
»The Art of Being Human« zeigt bewegte Tableaus.
VON REGINE MÜLLER
76
ENGAGEMENT
ICH BIN EIN FAN
VON CLAUDIA SCHILLER
78
REPORTAGE
SOLL AUS SPIEL ERNST WERDEN?
Drei junge Musiker über ihre Entscheidung, Profi zu werden –oder eben nicht.
VON FRANZISKA HERRMANN
88
82 IMPRESSUM
FÖRDERER UND SPONSOREN
12
ALEX PAXTON
MAGISCHER KLANGKRAM
Der englische Komponist eröffnet mit seiner mitreißend überdrehten Musik das Festival Elbphilharmonie Visions.
VON JULIKA VON WERDER
50
INTERVIEW
»VERMUTLICH BIN ICH EHER
INTROVERTIERT«
Alexandre Kantorow über seine Liebe zu Brahms, illusionistische Möglichkeiten am Klavier und einen großen Moment im Regen von Paris.
VON BJØRN WOLL
36
SOPHIE HUNGER
AUSBRECHEN UND HEIMKOMMEN
Die Schweizer SingerSongwriterin gestaltet ein ReflektorFestival, das auch ihre Vielseitigkeit abbildet.
VON STEFAN FRANZEN
SPIELER AUFS GANZE
Nah kommen wir Mozart nie, aber ahnen werden wir wohl dürfen: Auch das gehört zur großen Mozart-Freiheit.
VON ALBRECHT SELGE ILLUSTRATIONEN PAULA STEIN
Die Größe eines Menschen, der nicht mehr da ist, kann sich auch darin zeigen, wer untröstlich bleibt. Über Joseph Haydn ist zu lesen, noch in seinen letzten, gebrechlichen Lebensjahren vor seinem Tod 1809 seien ihm regelmäßig die Tränen gekommen, wenn jemand den Namen Mozart erwähnte. Die beiden Komponisten, die sich vermutlich 1783 kennengelernt hatten, müssen trotz recht unterschiedlicher Temperamente eine starke innere Nähe zueinander empfunden haben, wie sie wohl Seltenheitswert hat unter großen Künstlern, die ansonsten (in den besseren, neidfreien Fällen) einander respektieren oder sogar bewundern mögen, aber kaum wirklich verstehen. Als Haydn im Juli 1792 nach anderthalbjährigem erfolgsrauschenden LondonAufenthalt nach Wien zurückkehrte, war der 24 Jahre jüngere Mozart seit einigen Monaten tot. Kann man sich diesen Schmerz vorstellen? »Die nachweld beckomt nicht in 100 Jahren wider ein solch Talent«, schrieb Haydn. Den »einzigen der Zeitgenossen, welcher das Genie in seinen Tiefen erfasst haben wird«: So nennt Martin Geck in seiner 2005 erschienenen MozartBiographie den
hellhörigen, väterlichen Freund Haydn. In diesem gelegentlich philosophisch übersprudelnden, aber höchst interessanten Buch singt Geck, für einen deutschen Ordinarius der Musikwissenschaft herrlich exaltiert, das überschwängliche Lied der Mozart’schen Freiheit: »Zwischen Bach und Beethoven das große Auf atmen: keine Predigt, kein Bekenntnis, kein Ethos, kein deutscher Tiefsinn, sondern Freiheit. Freiheit des Agierens, des Fühlens und Denkens. Zugleich Ahnung von absolutem Glück: Geborgenheit bei einer Mutter namens Musik, die schön und jung ist und doch alles versteht – auch den Kummer. Und die ihrerseits alles mit uns teilt. Wollen Bach, Beethoven, Wagner, Schönberg mit uns teilen, wenn sie zu uns sprechen? Mozart teilt: seine Lust an den Verwirrspielen des Figaro, seine Freude an einer überraschenden harmonischen Wendung.«
»Harlequin komponiert« wollte Geck sein Mozartbuch ursprünglich betiteln; aber Pointierung muss Grenzen haben, wenn sie der Erkenntnis dienen soll, statt neue Klischees hervorzubringen. Dabei hat Gecks Porträt des WolfgangAmadéHarlequin, jenes absolut freien
Spielers, den großen Vorteil, dass es forschungsstandmäßig up to date ist. Weidlich überholt, aber im allgemeinen Bewusstsein noch immer präsent sind ja manche Mozartklischees: »Verarmt, gebrochen« sei der Komponist bei seinem Tod gewesen, hieß es noch 1977 im so berühmten wie fragwürdigen MozartEssay von Wolfgang Hildesheimer, den die Literaten lieben und die Musikhistoriker bestirnrunzeln. Aber nicht nur das längst widerlegte Verhungernlassen des armen Mozart durch die garstigen, kalten Wiener wäre so ein kontrafaktisches Kitschbild, sondern vielleicht auch unsere eigene stereotype Vorstellung vom ewigen Mozartjanuskopf, quasi einem Mozartkugelmenschen: immerzu hier Bruder Lustig und daneben oder dahinter Gevatter Tod. Beide wären übrigens passionierte Spieler, sowohl der Alberne als auch der Sensenmann, der immerzu kegelt (Schicksale nämlich) und Billard spielt (mit uns als seinen Kugeln).
Geck hingegen zielt mit seiner HarlequinAllegorie letztlich immer auf das Entscheidende, nämlich die Musik: »Was sich bei Haydn entwickelt, was bei Beethoven als zwingend notwendiger Prozess erscheint, was Wagner als schicksalhaft propagiert, stellt sich bei Mozart als ein von ihm nach unbekannten Regeln wunderbar geleitetes Spiel dar.«
Das unbekannte Regelwerk dieses Spiels ist etwas völlig anderes als musikanalytisch beweisbare Stringenz, derzufolge »ein Werk, mindestens ein geglücktes, nicht anders sein kann, als es ist« (Carl Dahlhaus). Mozarts Musik ist bei aller Brillanz seines Handwerks nie ein einheitliches Muss, sondern immer ein vielfältiges Kann.
Anstrengungslos aber dürfte die Entstehung dieses schwerelosen Kann kaum gewesen sein. Selbst die vorgestellte spielerische Leichtigkeit von Mozarts Komponieren, einer Konzentrationsleistung sondergleichen, gilt ja nicht immer und bedingungslos, auch dieser Komponist kannte Schaffenskrisen (etwa beim zähen Fortgang der »preußischen« Quartette 1789/90, die Mozart selbst »mühsame Arbeit« nannte); und wenn er eine Opernouvertüre in einer Nacht vor der Generalprobe schrieb, dann bedeutet das längst nicht, dass er sie da erst komponierte
LÜCKEN (FINANZIELLE UND BIOGRAPHISCHE)
Natürlich könnte man Wolfgang Amadé Mozart (so, und nicht »Amadeus«, nannte er sich selbst) nicht nur ästhetisch, sondern auch konkret biographisch als einen Spieler bezeichnen. Als Billardspieler soll er so »leidenschaftlich« wie – etwas peinlich, diese zeitgenössische Einschätzung wiederzugeben – »schlecht« gewesen sein. Der Komponistenkollege Franz Seraph Destouches (1772–1844) berichtete über Mozart:
»Wenn ein berühmter Billardspieler in Wien ankam, hat’s ihn mehr interessiert, als ein berühmter Musiker. Dieser, meinte er, würde schon zu ihm kommen, aber jenen suchte er auf; er spielte hoch, ganze Nächte durch. Er war sehr leichtsinnig, seine Frau hat’s ihm nachgesehen … Immer hatte er Geld notwendig.«
Der Hinweis auf die Nachsichtigkeit von Constanze Mozart, geborene Weber, gelernte Sopranistin, ist übrigens auch in anderer Hinsicht interessant. Denn einige frühere Biographen tendierten dazu, in schlechter alter
Lust am Leben, luxusfreudig:
Mozart liebte Lotterien und Pfänderspiele,
kegelte kregel und bumpste gern Billard.
cherchez-la-femmeTradition die angeblich verschwenderische Ehefrau für die finanzielle Misere des späten (das heißt, Mittdreißigers) Mozart verantwortlich zu machen. Dass nun aber die verwitwete Constanze das ihr vererbte Schuldenproblem nach dem Tod des Mannes bald gelöst hatte und bis zu ihrem Tod im Alter von achtzig Jahren anno 1842 noch ein erkleckliches Vermögen erwirtschaftete, erhärtet den Verdacht gegen ihr Haushalten eher nicht. Und wenn der Witwe gar noch gelegentlich angekreidet wird, dass sie die nach dem Tod des Mannes entstehenden MozartMythos nach Kräften förderte und geschäftstüchtig nutzte, setzt das eigentlich der unverfrorenen Misogynie die Krone auf.
Das Klischee von Mozarts »Verarmung« ist also angesichts seines auch 1790 und 1791 noch erwiesenermaßen guten Einkommens widerlegt (auch wenn es nicht mehr so hoch war wie in den Jahren zuvor). So stellt sich erst recht die Frage nach der Ursache von Mozarts Schuldenproblemen, die ihn mehrfach dazu führten, seinen FreimaurerKollegen und »ächten und wahren Freund« Johann Michael Puchberg um hohe Summen anzupumpen. Immer wieder mal wirwd die Vermutung geäußert, Mozart habe viel Geld beim Glücksspiel verzockt, sei vielleicht spielsüchtig gewesen. Abwegig wäre das nicht, war doch die krankhafte Spielleidenschaft nicht erst zu Zeiten von Dostojewskis Roman »Der Spieler« (1866) eine europäische Pandemie, sondern schon im 18. Jahrhundert verbreitet. Der MozartLibrettist Lorenzo da Ponte bekannte sich in seinen herrlich unterhaltsamen Erinnerungen freimütig zu seiner eigenen Abhängigkeit als junger Mann in Venedig, und der österreichischungarische Offizier und Schriftsteller Johann Graf Fekete de Galantha schrieb 1787 in seiner »Skizze eines lebenden Bilds von Wien, entworfen von einem Weltbürger«, dass das Glücksspiel »in der guten Gesellschaft trotz aller behördlichen Einschränkungen einen sehr bedeutenden Ausgabenpost« darstelle. Konkrete Belege wie Schuldscheine fehlen jedoch, so dass Geck ein vorsichtiges Fazit zieht: »Ob Mozart in größerem Umfang gespielt hat, ist nicht bekannt. Sollte er tatsächlich beim Kartenspiel oder beim Billard – auch dort konnte es um hohe Summen gehen – Geld eingesetzt haben, so würde dies jedoch wichtige Facetten seiner Biographie besser erklären, als es bisher gelingt. Kleinherzig erscheint der Versuch, ihn mit allen Mitteln vor dem Odium des Spielers bewahren zu wollen: Er ist keine reine
Seele, sondern ein ingeniöser Künstler, dem das Etikett ›Spieler‹ in einem charakterologischen Sinne sogar gut anstünde.«
Zu betonen ist dabei, dass Mozarts kostspieliger, luxusfreudiger Lebensstil außer Frage steht: noble BeletageWohnung, bis zu drei Bediente, dazu ein Pferd für morgendliche Ausritte und natürlich luxuriöse Kleidung aus China und AtlasSeide (seine Lieblingsfarbe war übrigens Rot) etc. pp. Statt also den knauserigen Wienern die Schuld zu geben, ließe sich – mit oder ohne Glücksspiel – eher an das legendäre Zitat des großen nordirischen Fußballspielers George Best denken: »I spent a lot of money on booze, birds and fast cars; the rest I just squandered.« (Ich habe eine Menge Geld für Schnaps, Miezen und schnelle Autos ausgegeben; den Rest habe ich einfach verprasst.) Oder um es noch einmal mit Geck zu sagen: »Auftretende Probleme liegen nicht auf der Ertrags, sondern auf der Ausgabenseite.«
WUNDERKIND, SPRACHKINDSKOPF
Doch wie viel es Mozart nun gekostet haben mag, bedeutet haben muss ihm das Spielen viel, und wohl einiges jenseits des Geldes eingetragen: Lust am Leben, intensives SichSpüren. Denn so viel ist ja verbürgt, Mozart liebte
Lotterien und Pfänderspiele, kegelte kregel und bumpste gern Billard, wenn auch nicht so virtuos wie das Pianoforte. In seinem Haushalt hatte er einen eigenen Tisch, an dem er auch mal in der guten Gesellschaft einzig und allein seiner selbst mit dem Queue stocherte. So schrieb er im Oktober 1791 an einem »Freytag um halb 11 Uhr Nacht«, eine Woche nach Uraufführung der »Zauberflöte« und zwei Monate vor seinem überraschenden Tod, an die verreiste Constanze:
»Liebstes, bestes Weibchen! –
[…] Nun meinen lebenslauf; – gleich nach Deiner Abseeglung Spielte ich mit Hr: von Mozart (der die Oper beim Schickaneder geschrieben hat:) 2 Parthien Billard. –Dann verkauffte ich um 14 Duckaten meinen kleper. –Dann ließ ich mir durch Joseph den Primus rufen und schwarzen koffé hollen, wobey ich eine herrliche Pfeiffe toback schmauchte […]«
Den ZauberflötenLibrettisten Emanuel Schikaneder hatte Mozart übrigens schon 1780 in Salzburg kennengelernt: bei einem Kegelwettstreit. Mozart gewann damals, und das bescherte ihm, dem bereits die Salzburger Decke auf den Kopf fiel (den Erzbischof, seinen Arbeitgeber, bezeichnete er in einem Brief an den darob nicht amüsierten Vater als einen »erzlimmel«), Freikarten für Vorstellungen von Schikaneders reisender Schauspieltruppe. Was sich aus dieser Kegelkameraderie ein Jahrzehnt später ergab, ist Operngeschichte.
Das Zitat aus dem Brief an Constanze lässt auch bereits ein wenig Mozarts Freude am kegelnden Formulieren spüren, am Purzelbäume schlagenden Sprachspiel. »Gaulimauli« nannte Mozart seinen Schüler Freystädtler, seinen Freund Jaquin »HinkityHonky«, seine Constanze »SchablaPumfa« und sich selbst »Pùnkititititi«. Und dann ist da ja noch Pùnkititititis berühmtberüchtigter Hang zur Fäkalvokalise, der sich nicht nur im sechsstimmigen Kanon »Leck mich im Arsch« (Köchelverzeichnis 382c) manifestiert. Eindrucksvoll (oder adäquater ausgedrückt imposand) ist in dieser Hinsicht auch folgender Auftrag Mozarts an den Vater betreffs einer handgemalten Zielscheibe fürs Bölzelschießen, einem beliebten Spiel mit einer Vorform des Luftdruckgewehrs:
»Ein kleiner Mensch steht gebückt da und zeigt den bloßen Arsch her. Aus seinem Mund gehen die Worte: Guten Appetit zum Schmaus. Der andere Mensch wird gemacht in Stiefeln und Sporen und mit einer schönen Perücke nach der Mode, er muss von mittlerer Größe sein und wird in der Positur vorgestellt, wie er den andern just im Arsch leckt. Aus seinem Mund gehen die Worte: Ach, da geht man drüber n’aus.«
Zu voreiligen Schlüssen auf etwelche zwangskindliche Analfixierungen der mozartschen Persönlichkeit sollte man sich allerdings nicht verleiten lassen. Zum einen, weil Mozarts fäkalinfantile Zitate nur in wenigen Briefen vorkommen, zudem immer Momentaufnahmen sind. (Dasselbe gilt übrigens erst recht, zudem ausgelöst durch eine
Auch wenn Mozart in Salzburg
bedeutende Musik schrieb, jugendlich frei und experimentell, so entstanden seine größten
Werke doch in Wien.
Extremsituation, für den berühmten Brief von 1787 an den sterbenden Vater, in dem vom Tod als dem »besten Freund des Menschen« die Rede ist. Was ein Mensch in einem bestimmten Moment schreibt, kann man nicht einfach auf sein ganzes Leben beziehen.)
Was die oben zitierte Bölzelangelegenheit betrifft, so ist auch leicht herauszufinden, dass »anzüglich bemalte« Zielscheiben damals gang und gäbe waren, und überhaupt eine Lust am Vulgären herrschte, die kaum in unser porzellanenes Rokokobild passt. Es ist da – um hier mal den gewagten Bogen per rectum ad musicam zu spannen – ein wenig wie mit dem einzigartigen, unverkennbaren musikalischen MozartStil, den wir hörend sofort identifizieren zu können meinen. Eine Illusion, die wiederum Geck uns nimmt: »Was Laien dafür halten, ist ein territorial gebundener Zeitstil und hat viel mit den Eigenschaften des […] komischen Stils zu tun«, der mit »gefälliger Melodik, überschaubaren, liedhaften Verläufen und vor allem Reaktionsschnelligkeit« um 1780/90 dominierte.
Zugleich ist es aber aufschlussreich, irgendeines der damals ebenso angesagten Werke kennenzulernen, die heutzutage überhaupt nicht mehr gespielt werden. Etwa eines von Antonio Salieri, der in dem so abwegigen wie grandiosen MilošFormanFilm »Amadeus« (kein Biopic, sondern freies Spiel der Fantasie, ein Kunstwerk eigenen Rechts) als intriganter mediokrer Kretin verleumdet wurde. Oder auch »Il barbiere di Siviglia«, aber nicht den späteren von Rossini, sondern den von Giovanni Paisiello aus dem Jahr 1782: ein vergessenes Erfolgswerk, zu demMozart und da Ponte vier Jahre später mit »Le nozze di Figaro« gewissermaßen das Sequel produzierten. Hört man sich nun Paisiellos flotte Ouvertüre an (leicht im Internet zu finden), so mögen wir Laien spontan urteilen, dass das »nach Mozart« klinge. Und doch könnten wir selben Laien nach wiederholtem, durchaus vergnüglichem PaisielloAnhören zu dem Schluss kommen, dass da bei aller Ähnlichkeit »das gewisse Etwas« fehle. Die höhere Raffinesse, der erspürbare Abgrund.
Ebenso könnte man (umgekehrt per musicam ad rectum) sogar darüber spekulieren, ob nicht in Mozarts manchmal rasend infantilem Fäkalhumor eben doch auch ein Abgrund – und eine Raffinesse? – liegen, die ihn
von den meisten Derbheitsharmlosigkeiten seiner Zeit unterscheiden: »(…) nur will ich Ihnen sagen
Daß ich Montag die Ehre hab, ohne viel zu fragen, Sie zu embrassiren und dero Händ zu küssen, Doch werd’ ich schon vorhero haben in die Hosen geschißen.«
Die Dame, an die der 21jährige Mozart diese Verse schrieb (schon davor geht es in einem fort um »fürze«, »Schwantz«, »Arsch« und »Scheißen«), war niemand anders als – seine eigene Mutter. Und man mag sich zumindest fragen, ob auch das anno 1778 »territorial gebundener Zeitstil« war. Oder dann nicht doch eine gelinde Auffälligkeit.
SEIN KÜHNSTER SPIELZUG
Die überragende, auch problematische Familienfigur in Mozarts Leben stellte allerdings nicht die Mutter Anna Maria dar, auch wenn man als Leser der Komponistenbiographie niemals vergessen wird, dass der 22Jährige am 3. Juli 1778 in Paris, wohin die beiden gereist waren, neben dem Leichnam der plötzlich verstorbenen Mutter zwei Briefe schrieb.
Aufs Ganze betrachtet, war Vater Leopold die dominierende Gestalt (obwohl gewiss nicht der Dämon, zu dem ihn der grandiosabwegige FormanFilm stilisiert). Leopold hatte bekanntlich den hochbegabten kleinen Sohn und dessen ältere Schwester Maria Anna mit ungeheurer Energie gefördert und zugleich auf ausgedehnten Reisen als Wunderkinder vermarktet. Während nun das außergewöhnliche Talent der Schwester sich später in einer Vernunftehe und Existenz als Klavierlehrerin nicht weiter entfalten sollte (eines der zahllosen schmerzlichen Kapitel unserer Kultur, was die Unterdrückung weiblicher Begabungen angeht), so stand der erwachsene Sohn zu seinem Vater wohl in einem Spannungsverhältnis aus Übernähe und Abstoßung.
Der Wiener Musikwissenschaftler Gernot Gruber identifiziert in seiner knappen, präzisen Mozartbiographie von 2005 (zeitsparende Alternativlektüre zu Geck) als Leitmotiv von Mozarts Leben eine permanente, durchaus auffällige »Unruhe«. Da mag man sich nun zu psychologischen Spekulationen verleiten lassen, die Mozarts seltsame Wunderkindheit und die verdrängte Pubertät in Beziehung zu Spieldrang oder zwang bringt, inklusive ihrer überdrehten Facetten. Man könnte aber auch die wesenhafte
Mozarts schöpferische, teilende Freiheit ist unsere Freiheit als Hörer, teilzunehmen am Spiel.
Unruhe ohne tiefenanalytische Erkläritis schlicht als Teil von Mozarts Wesen hinnehmen. In der zweiten Hälfte der 1770erJahre kam allerdings ein nachvollziehbarer konkreter Unruhefaktor hinzu: das Empfinden des jungen Mannes Mozart, der schon in frühen Jahren in ganz Europa aufgetreten und bewundert worden war, dass nunmehr ein Steckenbleiben im schönen, aber engen Salzburg drohe. Stagnation als vorzeitige Endstation: die menschliche Grunderfahrung jedes jungen Erwachsenen, dass eben doch nicht die ganze Welt offensteht und auf einen wartet. Muss dieses Empfinden nicht besonders heftig sein, wenn man zuvor ein Wunderkind war?
Vielleicht ist also jener große Sprung, den der 25jährige Mozart 1781 wagte, der kühnste Spielzug seines Lebens: der Abgang im Eklat vom Salzburger Erzbischof Colloredo – und damit auch vom Vater Leopold – in die Existenz als freier Künstler im Wien Josephs des Zweiten. Direkt zuvor hatte Mozart in einem Münchner Intermezzo seine Oper »Idomeneo« komponiert. Und auch wenn er in der Salzburger Zeit bedeutende Musik schrieb wie manche Klaviersonate, die atemberaubend jugendlich frei und experimentell wirkt, so entstanden Mozarts größte Werke in jenem Wiener Jahrzehnt.
Fast deckungsgleich ist diese Periode mit der Regierungszeit von Joseph II., der im Februar 1790 sterben sollte, anderthalb Jahre vor Mozarts entsetzlich frühem Tod. Das Schlingern, in das Mozarts Karriere danach zwischenzeitlich geriet (ohne dass von »verarmt, gebrochen« die Rede sein kann), ist sicher auch durch die veränderten kulturpolitischen Umstände unter Josephs konservativerem Nachfolger Leopold II. zu erklären.
Reicht so eine Äußerlichkeit aus zur Erklärung unserer »leisen Ahnung, dass dieser Mozart (der letzten beiden Lebensjahre, Anm.) in einer Weise außer sich ist, die ihn weder Ehe noch Finanzverhältnisse aus sogenannter vernünftiger Perspektive beurteilen lässt« (Geck)? Das mag jeder mit sich selbst ausmachen, der nachdenkt über Mozart, immer in dem Bewusstsein jenes Satzes, der aus Hildesheimers zwiespältigem Essay gewiss bleiben wird: »Nah kommen wir Mozart nicht.«
Unser Mozarthören aber wird – oder sollte – nie in unseren selbstgefertigten Ahnungen von diesem Leben aufgehen; oder auch nur aus diesen Ahnungen hervorgehen. Für Mozarts Musik in ihren vielen Stilen und Individualitäten mag eher gelten, was Geck über das vielgesichtige »Wesen« dieses Künstlers schreibt, des Harlequins, des Spielers:
»Er drückt nicht seine Ichheit aus (wie C. P. E. Bach oder Beethoven, Anm.), sondern präsentiert seine Musik –wie ein guter Schauspieler seine Rollen. Es ist somit auch nichts an jener ›Unmittelbarkeit‹, welche für die Musikästhetik der Aufklärung seit Rousseau und Herder ein so hohes Gut ist: Mozart komponiert nicht nur artifiziell, sondern macht daraus nicht einmal einen Hehl. Dass er den direkten Draht zu seinen Hörern findet, ist die Folge geradezu lebenslangen Trainings, und das Ergebnis wirkt nur leicht: In Wahrheit gleicht es der Vorführung eines BalanceAktes auf dem Seil – oft genug probiert, und doch immer wieder aufregend.«
Im Grunde wollte darauf auch Hildesheimer hinaus: »dass sich uns die Gestalt entzieht, indem sie sich hinter ihrer Musik verbirgt.« Mozarts schöpferische, teilende Freiheit ist unsere Freiheit als Hörer, teilzunehmen am Spiel. Falls wir dabei dann doch mal an jenen Mozart denken, den wir uns vorstellen, diesen Spieler ums Ganze, dann dürfen wir zwischen Freude und Kummer, zwischen Überschwang und Abgrund ab und zu wohl ebenfalls ein Tränchen vergießen wie der alte Haydn.
m MEHR ZUM THEMA MOZART FINDEN SIE UNTER: WWW.ELBPHILHARMONIE.DE/MEDIATHEK
AMADEUS, AMADEUS
Ein Mozart-Festival rund um dessen 269. Geburtstag
Elbphilharmonie Großer Saal
So, 26.1.2025 | 20 Uhr mahler Chamber Orchestra; mitsuko uchida (Klavier und Leitung)
mozart: Klavierkonzerte B-dur und C-dur; Janác�ek: mládi
Di, 28.1.2025 | 20 Uhr
Le Concert des Nations, La Capella Nacional de Catalunya, Jordi savall; solisten: Giulia Bolcato, elionor martínez, Lara morger, david Fischer, matthias Winckhler
mozart: Große messe c-moll
Mi, 29.1.2025 | 20 Uhr
Chamber Orchestra of europe, Robin Ticciati; Iestyn davies (Countertenor)
mozart: sinfonie d-dur »Haffner«, Arien aus »mitridate, Re di Ponto«; Händel: Arien und Instrumentalwerke
Sa, 1.2.2025 | 19 Uhr
Kit Armstrong (Klavier und Leitung), Noah BendixBalgley (Violine), Amihai Grosz (Viola), minetti Quartett, Quatuor Hermès, schumann Quartett u. v. a. »expedition mozart«: eine lange Nacht mit sinfonischen, konzertanten und kammermusikalischen Klassikern und Raritäten mozarts
So, 2.2.2025 | 19 Uhr
Freiburger Barockorchester, Zürcher sing-Akademie, René Jacobs; solisten: Ian Koziara, Kateryna Kasper, Olivia Vermeulen, Polina Pastirchak, mark milhofer u. a. mozart: Idomeneo, Rè di Creta
FIGARO
Sa, 29.3.2025 | 19 Uhr Kammerorchester Basel, Basler madrigalisten, Giovanni Antonini; solisten: Florian Boesch, Anett Fritsch, Robert Gleadow, Nikola Hillebrand, Anna Lucia Richter u. a. mozart: Le nozze di Figaro
KLANG-
MAGISCHER KRAM
Der Komponist Alex Paxton eröffnet mit seiner mitreißend überdrehten Musik das Festival Elbphilharmonie Visions.
VON JULIKA VON WERDER
box, einen schallisolierten schwarzen Holzkasten im Raum, in dem er Musik machen kann, ohne die Nachbarn zu stören. Darin hängen bunte Papierschmetterlinge – »for feelgood«, wie er fröhlich erklärt.
Wie bei einem Messie wirkt in der kleinen Londoner Wohnung also eigentlich nichts, eher kreativchaotisch. Und wirklich überraschen kann der Anblick dieser bunten, aus allen Nähten platzenden Räume auch nicht. Im Gegenteil: Sie passen zu dem knappen künstlerischen Manifest, das Paxton ganz nach oben auf seine Website gestellt hat: »Make magic sound stuff«. Klangkram will er machen, aber magischen.
Der trägt dann Titel wie »ilollipop« oder »Love Kittens« und verbindet alltägliche Klänge mit fetzigen ComicSounds, Volkstümliches mit Geräuschkunst, menschliche Stimmen mit virtuoser Kammermusik, JazzImprovisationen mit dichten OrchesterTexturen. Paxtons oft überdrehte Musik ist ungeheuer mitreißend, geradezu unentrinnbar. »Worldbuilding« wolle sie sein, meint der Komponist. Neue Welten sollen entstehen –Welten aus magischem Kram. »Das ist der bestgelaunte Sound, den ich seit Langem gehört habe«, schwärmte die New York Times; »Diese Musik bringt knallbunte Freude; mit wahnsinniger Energie und unbändigem Humor, und dennoch ernst«, begeisterte sich The Guardian.
NOTEN SPRINGEN AUS DER PARTITUR
Das Bild wackelt, wenn er das Handy während unseres ZoomCalls durch seine Wohnung trägt. Er habe eine dieser typischen MessieKünstlerWohnungen, lacht Alex Paxton. Man könnte auch sagen, die Wohnung des englischen Komponisten und JazzPosaunisten sieht aus wie ein Wimmelbilderbuch, in das man als Kind gerne mal hineingestiegen wäre. Überall finden sich Dinge, die offenbar jederzeit für Klangexperimente herhalten müssen. Auf dem Tisch liegen knallbunte Collagen, auf denen Paxton vielerlei Kleinkram zu außergewöhnlichen visuellen Welten arrangiert. Er hält die Kamera auf einzelne der vielen Bilder an den Wänden, Quellen seiner Inspiration, Ausdruck seines künstlerischen Selbstverständnisses. Stolz zeigt er auch seine Sound ›
1990 in Manchester geboren, studierte Alex Paxton Jazz und Komposition an der Royal Academy of Music und am Royal College of Music in London. Als JazzPosaunist und Improvisationskünstler ist er heute in verschiedenen Formationen unterwegs; daneben steht er in spannenden FusionProjekten mit Klangkörpern wie dem Ensemble Modern auf der Bühne. Auch als Komponist ist er mindestens europaweit präsent. Seine Werke wurden etwa vom London Symphony Orchestra und dem WDR Sinfonieorchester gespielt. Drei Alben mit eigener Musik hat er mittlerweile herausgebracht. Allein 2023 durfte er sich über mehrere renommierte Auszeichnungen freuen, darunter der Hamburger ClaussenSimonKompositionspreis –in dessen Rahmen Paxton nun für die zweite Ausgabe des Festivals Elbphilharmonie Visions ein Werk schreibt, das vom NDR Elbphilharmonie Orchester uraufgeführt wird. Alan Gilbert war als Chefdirigent Teil der Jury, und er erinnert sich an die Reading Session im Herbst 2023, bei der die Werke mehrerer Kandidaten für den ClaussenSimonPreis angespielt wurden: »Ohne Namen oder Hintergrund des Komponisten zu kennen, sprangen mir die Noten förmlich aus der Partitur entgegen. Es war klar, dass das eine einzigartige kompositorische Stimme ist.« Alex Paxton wiederum ist seit dieser Session begeistert vom Großen Saal der Elbphilharmonie:
»Für mich ist ein Raum so wichtig wie ein Instrument«, meint er, »und dieses Haus ist gerade für moderne Musik perfekt, klar und warm zugleich.«
DER ERNST DES SPIELS
»Die Welt der Kinder bedeutet mir viel«, erklärt Paxton, der bis vor Kurzem auch in quirligen Londoner Grundschulräumen unterwegs war. Über mehrere Jahre unterrichtete er als Musiklehrer in Klassen mit rund 30 Kindern zwischen vier und elf Jahren; inzwischen passt die regelmäßige Verpflichtung nicht mehr in seinen Alltag. Nicht erst rückblickend empfindet er diesen Job als eine wichtige Prägung: »Es war die perfekte Ergänzung zu meinem Studium, ein großes Puzzleteil meiner Kunst, das mir sonst fehlen würde.« Es spricht ein aufrichtiger Respekt aus ihm, wenn er erzählt, wie er mit den Kindern gemeinsam komponierte oder für sie eigene Werke entwickelte – auf der Suche nach einer Klangsprache, die nicht nur für ihn, sondern auch für begeisterungsfähige Erstklässler Bedeutung bekommt. »Auch ohne die ganze Lebenserfahrung verstehen sie das Wichtigste in der Musik ganz unmittelbar«, davon ist er überzeugt. »Musik kann und soll auch ohne Vorwissen funktionieren.«
Als Komponist und Jazzer schätzt er an der Welt der Kinder auch die Bedeutung des Spielens: »Kinder sind so gut darin, das Spielen ernst zu nehmen. Es ist ja auch das Ernsthafteste überhaupt. Für meine Kunst ist es enorm wichtig, eigentlich für die gesamte Menschheit.«
Seine Musik (vielleicht Musik generell) solle eben »worldbuilding« sein – und die Fantasie, Welten zu entwerfen, ist für Paxton nie nur ein Spiel. Desperately ist der Ausdruck, den er hier gerne verwendet, nicht in der Bedeutung von »verzweifelt«, sondern von »dringlich«. Es geht ihm nicht um eine Spielwiese, die parallel zur echten Welt existiert und die man immer wieder verlassen kann.
»Auch ohne die ganze Lebenserfahrung verstehen Kinder das Wichtigste in der Musik ganz unmittelbar.«
Vielmehr ist das Spiel für ihn die Grundlage einer lebendigen Beziehung zur Welt an sich – gewissermaßen die »Antwort auf die Unabbildbarkeit der Welt«, wie Max Frisch einmal das Spiel im Theater charakterisierte. Alex Paxton wollte immer schon Komponist werden, und er hat auch fast schon immer komponiert. Seine frühen Werke findet er heute zwar ein bisschen roh, aber doch näher an seinem aktuellen Selbstverständnis als die Werke, die er später während des Studiums zu Papier brachte. »Das ist das Schwierige beim Unterrichten eines Handwerks: Am Ende geht es darum, Menschen zu helfen, es wieder zu überwinden.« Aber ohne Handwerk ginge es eben auch nicht; gerade bei der Instrumentation brauche man viel technisches Wissen, um die Musik bis in die Feinheiten durchdenken und gestalten zu können. Er vergleicht diesen Vorgang bildhaft mit dem Anblick eines schönen Waldes, dem man sich immer weiter nähern kann, bis hin zur faszinierenden Struktur einzelner Blätter – und darüber hinaus.
DAS GEFÜHL, LEBENDIG ZU SEIN
Auch Alex Paxtons Musik funktioniert auf verschiedenen Ebenen und ändert sich mit jedem Hören. Sie überwältigt ganz unmittelbar mit ihrer mitreißenden Energie, und doch lassen sich in der tosenden Flut unzählige Detailklänge entdecken, die wiederum ganz neue Assoziationswelten erschließen. »Ich versuche, Musik zu machen, die so gut wie möglich meinem Gefühl davon entspricht, lebendig zu sein«, fasst er zusammen. Und dazu gehöre eben vieles: Begegnungen mit der Natur, der Trubel der Londoner Innenstadt, Filme, Ausstellungen, Gespräche, »aber auch unsere Konsumwut und die Müllberge«. All das saugt der Komponist mit den immer bunten TShirts wie ein Schwamm auf, gleichsam als Material für seine Kreativitätsmaschine. Nicht ohne Grund findet sich an seinen
Wänden ein Bild von Hieronymus Bosch, dem er auch sein erstes Album, »Music for Bosch People«, widmete. Ähnlich den fantastischgrotesken Bildwelten des niederländischen RenaissanceMalers, setzt sich Paxtons Musik aus scharfen Details zusammen, die gemeinsam ein surreales Ganzes schaffen. »So führt er das stilistische Schubladendenken virtuos und unterhaltsam ad absurdum«, meinte die Neue Zeitschrift für Musik
Welche Verbindung seine eigenen Bilder zu seinen Kompositionen haben? Keine besonders enge, meint Paxton: »Sie sind vielleicht spirituell verwandt, aber nicht konkret auf die Musik bezogen oder umgekehrt.« Es sind überwiegend Collagen, die etwa Süßigkeiten, große Farbkleckse und kleine Figuren zu einer flirrenden Welt zusammenzwingen. »Magical Visual Stuff« könnte man das nennen.
KÜNSTLERISCHE KOEXISTENZ
Eine Frage, die im Gespräch aufkam, hat Alex Paxton so beschäftigt, dass er später noch eine ergänzende Mail hinterherschickte. Wie, glaubt er, wird seine Musik in zwanzig, dreißig Jahren klingen? Das kann und will er zunächst nicht beantworten. Aber er kann nicht oft genug betonen, dass er wahnsinnig gespannt darauf sei –und sehr, sehr zuversichtlich. »Es passiert so viel Faszinierendes gleichzeitig. Ich interessiere mich für die neuen Sounds aus dem TrashTV genauso wie für TeenageCulture und Popmusik, für die Veröffentlichungen des brillanten Labels Nyege Nyege Tapes in Uganda und dafür, was ein einsamer Teenager an SpotifyTracks in seinem Zimmer zusammenbastelt.«
Musikgeschichte sollte seiner Meinung nach nie in linearen Strängen geschrieben werden, Paxton ist ein großer Verfechter unbedingter künstlerischer Koexistenz. Qualitätsprüfung brauche es natürlich trotzdem: »Ich vergleiche Musik oft mit einer Speise: Wie würde dieses Stück als Essen schmecken? Und ergibt das irgendwie Sinn?« Er selbst kocht übrigens auch gerne. Aber darin, meint er, sei er nicht wirklich gut.
DAS FESTIVAL MIT MUSIK DER GEGENWART
Wo wäre ein Festival für die musik der Gegenwart besser aufgehoben als in einem ikonischen Konzertsaal des 21. Jahrhunderts? mit großen Orchestern, Künstlergesprächen und einer Auswahl der spannendsten Werke unserer Zeit feierte das Festival elbphilharmonie Visions im Februar 2023 seinen fulminanten Auftakt. das Kooperationsprojekt von NdR und elbphilharmonie platzierte die Kulturstadt Hamburg einmal mehr am Puls der Zeit.
Nun geht das große Fest für Neue musik in die zweite Runde: Im Großen saal präsentieren sieben Rundfunkorchester und -chöre aus deutschland und österreich in sieben Konzerten insgesamt 16 stilistisch breit gefächerte Werke aus den letzten zehn Jahren, u. a. von Helmut Lachenmann, Olga Neuwirth, Francesca Verunelli, Alberto Posadas, Clara Iannotta und magnus Lindberg.
die neue Komposition von Alex Paxton, die er im Rahmen des Claussen-simon-Kompositionspreises für das NdR elbphilharmonie Orchester schreibt, feiert im eröffnungskonzert unter der Leitung von Alan Gilbert ihre uraufführung und wird in der elbphilharmonie mediathek auch als Konzertstream zu erleben sein. Alle Konzerte finden im Großen saal statt.
Fr, 7.2.2025 | 20 Uhr NdR elbphilharmonie Orchester und Vokalensemble, mdR-Rundfunkchor, Alan Gilbert
Alex Paxton: Neues Werk; Bernd Richard deutsch: urworte
Sa, 8.2.2025 | 20 Uhr sWR symphonieorchester, emilio Pomàrico; Florian Hölscher (Klavier), Christoph sietzen (schlagzeug)
Alberto Posadas: Neues Werk; Johannes maria staud: Whereas the Reality Trembles
So, 9.2.2025 | 20 Uhr WdR sinfonieorchester, Ryan Bancroft; Arabella steinbacher (Violine) Olga Neuwirth: masaot / Clocks Without Hands; Georges Lentz: … To Beam in distant Heavens …
Do, 13.2.2025 | 20 Uhr ORF Radio-symphonieorchester Wien, Bas Wiegers; Vanessa Porter (schlagwerk) Francesca Verunelli: from scratch; mark Andre: Vier echographien; Bernhard Gander: Blood Beat
Clara Iannotta: moult; Arnulf Herrmann: Tour de Trance
Sa, 15.2.2025 | 20 Uhr hr-sinfonieorchester Frankfurt, matthias Hermann Christian mason: sympathetic Resonance; Helmut Lachenmann: my melodies
So, 16.2.2025 | 20 Uhr NdR elbphilharmonie Orchester, Alan Gilbert; Lawrence Power (Viola) dalit Warshaw: Responses; magnus Lindberg: Violakonzert; dai Fujikura: Tocar y Luchar
m MEHR ZUM FESTIVAL FINDEN SIE UNTER: WWW.ELBPHILHARMONIE.DE/ MEDIATHEK
ELBPHILHARMONIE VISIONS
Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte.
Diesmal …
STICHWORT: »SPIELEN«
IGOR STRAWINSKY: JEU DE CARTES
VON CLEMENS MATUSCHEK ILLUSTRATIONEN LARS HAMMER
JOHN CAGE: CONCERTO FOR PREPARED PIANO AND CHAMBER ORCHESTRA
Musikalische Würfelspiele erfreuten sich schon in der Barockzeit großer Beliebtheit: Aus einer durchnummerierten Tabelle melodischer Phrasen ließen sich per Würfelwurf ganze Stücke zusammenstellen. Der populärste MusikBaukasten dieser Art wird Mozart zugeschrieben. Einen großen Schritt weiter gingen in der Nachkriegszeit Komponisten wie Witold Lutosławski und John Cage: Sie ließen den Zufall über ganz basale musikalische Parameter wie Töne und Rhythmus entscheiden, um neue, originelle Klänge zu erzeugen. Ein Beispiel dafür ist Cages Klavierkonzert aus dem Jahr 1951, dessen Partitur er mithilfe des 3000 Jahre alten chinesischen Orakelbuchs »I Ging« sowie Münzwürfen erstellte. Dank Schrauben, Ketten und Plastikteilen auf den Saiten klingt das Klavier zudem wie eine Mischung aus SpielzeugInstrument und Werkbank.
Auch Komponisten haben Hobbys. Schönberg spielte gern Tennis, Mozart Billard, Debussy gärtnerte, Rachmaninow liebte Autos. Dem in Paris und Hollywood geschulten Weltmann Igor Strawinsky hatte es besonders das Pokerspiel angetan. Da lag es nahe, die Leidenschaft auch auf die Bühne zu bringen: in Form eines Balletts für die New Yorker Met, 1937. In »Jeu de cartes« ist der Bühnenboden ein Spieltisch und jeder Tänzer eine Karte, wobei verschiedene Blätter gegeneinander antreten. Für Verwirrung sorgt (wie bei Batman) der Joker, der sich in jede beliebige Karte verwandeln kann, bevor er im Finale von einem HerzFlush überstochen wird. Geblufft wird übrigens auch musikalisch: Der Komponist, der seinen Stil im Laufe seiner langen Karriere mehrfach neu erfand, wirft hier mit Zitaten von Beethoven bis zum »Barbier von Sevilla« nur so um sich.
HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER: ROSENKRANZ-SONATEN
Dass man nicht nur auf, sondern auch mit einer Geige spielen kann, bewies der Barockkomponist und Violinvirtuose Heinrich Ignaz Franz Biber. Wie kein anderer nutzte er die Möglichkeiten der Skordatur, bei der die Saiten der Geige abweichend von den üblichen Quinten umgestimmt werden. Das ermöglicht sonst unspielbare Akkordgriffe und verändert subtil den Klang, da die Obertöne anders harmonieren. Eine Herausforderung ist es allerdings für die Interpreten, die ihre in Fleisch und Blut übergegangenen Fingersätze komplett vergessen können. Auf die Spitze trieb Biber diese Spielart in seinen um 1680 komponierten Sonaten, die von den »Heiligen Mysterien« des katholischen Rosenkranzgebets inspiriert sind und mit 14 (!) unterschiedlichen Konfigurationen aufwarten. Einmal werden sogar die beiden mittleren Saiten umgespannt, sodass zwischen Steg und Saitenhalter ein Kreuz entsteht.
BÉLA BARTÓK: MIKROKOSMOS
Es gibt Musik für Kinder und über Kinder. Den Unterschied illustrierte Robert Schumann: Seine »Kinderszenen« sind zwar nicht schwierig zu spielen, stellen aber eine romantische Rückschau auf die Spiele der eigenen Kindheit dar, während sein »Album für die Jugend« für den Klavierunterricht gedacht ist. Béla Bartók dagegen schaffte in seiner 1940 publizierten Sammlung »Mikrokosmos« eine nicht für möglich gehaltene Synthese. Die 153 Stücke sind didaktisch nach ansteigendem Anspruch sortiert und seinem Sohn Péter gewidmet, den er selbst unterrichtete. Doch auch mit wenigen Noten erreicht Bartók eine erstaunliche musikalische Tiefe, reflektiert von ihm selbst recherchierte authentische Volksmusik in krummen Taktmaßen oder lässt die Hände parallel in zwei Tonarten spielen. Dass viele große Pianisten diesen Kosmos eingespielt haben, zeigt, dass er weit mehr ist als nur ein Kinderspiel.
PETER GABRIEL: GAMES WITHOUT FRONTIERS
»Spiel ohne Grenzen« hieß eine zwischen 1965 und 1982 europaweit ausgestrahlte TVSpielshow, eine Art Mischung aus Eurovision Song Contest und »FamilienDuell«. Die Idee ging wohl auf den französischen Präsidenten Charles de Gaulle zurück, der sich vom freundschaftlichen Wettkampf der Nationen einen Beitrag zur Völkerverständigung erhoffte. Nun, der Brite Peter Gabriel – ehemaliger Frontman von Genesis, zukünftiger Aktivist für Weltmusik und Menschenrechte – machte sich 1980 seinen eigenen zynischen Reim darauf. Sein düsterer Song nutzt den Showtitel als Metapher für verantwortungslose Politiker, die Krieg spielen wie Kinder. Das dazugehörige Video kombiniert Ausschnitte von Leni Riefenstahls OlympiaPropagandafilm mit Bildern von Atombombentests und Lehrvideos für Kinder, wie man sich im Fall eines nuklearen Angriffs verhält. So schnell kann aus Spiel Ernst werden.
CLAUDE DEBUSSY: JEUX
Ein Tennisball ist bei einem abendlichen Match in den Büschen gelandet, ein junger Mann und zwei Damen suchen ihn. Schnell entwickelt sich aus dem sportlichen ein amouröses Spiel, gipfelnd in einem flotten Dreier. So das Libretto von Claude Debussys Ballett »Jeux« (Spiele), komponiert 1913 im Auftrag von Sergej Djagilews Ballets Russes. Im Prinzip verfrachtete der Komponist damit lediglich das Setting seines zwanzig Jahre zuvor erschienenen Erfolgsstücks »Prélude à l’aprèsmidi d’un faune« um einen notgeilen Faun und einige Nymphen in die Gegenwart. Wobei er mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Ganzen sogar die Vorgaben seines schwulen Auftraggebers unterlief – der wünschte sich nämlich drei Herren im Unterholz. Pech nur, das zwei Wochen später Strawinskys »Le sacre du printemps« über dieselbe Bühne des Théâtre des ChampsElysées ging und Debussys TennisMénageàtrois förmlich vom Platz fegte.
JOHN ZORN: COBRA
Die für erwachsene Menschen etwas verächtliche Bezeichnung »Spielkind« würde John Zorn wohl als großes Kompliment begreifen. Seit fünfzig Jahren turnt der New Yorker in CamouflageHose und TShirt über die Bühnen, spielt Saxofon, komponiert und dirigiert seine kontinuierlich anwachsende Musikerfamilie durch ausgetüftelte ImprovisationsParcours wie etwa »Cobra«, erfunden 1984. Bei diesem KonzeptSpiel hält ein »Prompter« (meist Zorn selbst) Schilder mit Anweisungen hoch, etwa »Radikal den Spielstil ändern« oder »Wer spielt, hört auf, wer nicht spielt, fängt an«. Je nach Besetzung, Lust und Laune kann dabei alles Mögliche herauskommen. In der Elbphilharmonie, wo Zorn das Stück 2022 zelebrierte, ging es in Richtung (Free) Jazz. Als optisches Gimmick setzte sich jeder Mitspieler vor dem Einsatz zwar nicht den Hut, aber doch eine Mütze auf.
m DIE PLAYLIST ZUM LEXIKON FINDEN SIE UNTER: ELPHI.ME/PLAYLIST
SIE WILL NUR SPIELEN
Für Überraschungen war Patricia Kopatchinskaja schon immer gut. Jetzt macht sie die Bühne zum »Playground« und tritt auch als Komponistin hervor.
VON SIMON CHLOSTA
Für Patricia Kopatchinskaja ist der Konzertsaal Arena und Spielplatz zugleich. Arena, weil das Auftreten vor Publikum für sie immer auch etwas Kämpferisches hat: »Man kann sich gar nicht vorstellen, was so ein Solistenleben bedeutet. Du stehst da, schwitzt wie ein Schwein und wirst von tausend Leuten angestarrt«, beschrieb die moldauische Geigerin ihr Gefühl auf der Bühne schon vor einigen Jahren in einem inzwischen legendären Zitat. Und Spielplatz, weil sie ein Konzert als einen Ort zum Ausprobieren begreift, an dem Fantasien und Geschichten lebendig werden, an dem man experimentieren kann – und ja, auch scheitern darf. »Ein Konzert sollte immer etwas sein, wo es Überraschungen gibt, wo es auch ein bisschen gefährlich ist, wo Fragen entstehen«, lautet ihr künstlerisches Credo. In Hamburg konnte man derartige musikalische Wagnisse schon mehrfach erleben. Eine Auswahl: An der Seite von Teodor Currentzis präsentierte Kopatchinskaja Beethovens Violinkonzert in der Laeiszhalle – inklusive eigener K0adenzen, wofür sie neben Standing Ovations auch einige BuhRufe kassierte. Bei einer KonzertPerformance auf Kampnagel inszenierte sie mit dem Mahler Chamber Orchestra Haydns »Abschiedssinfonie«, indem sie diese rückwärts aufführte. Und für die Elbphilharmonie konzipierte sie zuletzt Programme, die musikalisch auf den Klimawandel reagierten. Selbst wenn das manchen manchmal etwas plakativ erscheinen mag, muss man doch eingestehen: Belanglos sind Kopatchinskajas Auftritte nie.
Mit ihren ausgefallenen Ideen und ihrem nicht immer auf Schönheit ausgerichteten Spiel einen Platz in der Musikwelt zu finden, war für die 1977 in Chis¸ina˘u, der heutigen Hauptstadt der Republik Moldau, geborene
Künstlerin nicht immer einfach: »Ein junges Mädchen, wie ich es vor zwanzig Jahren war, hatte weniger Chancen mit innovativen Ideen oder eigenen Vorstellungen. Das war wirklich schwierig. Aber ich habe trotzdem Leute gefunden, die mit mir diesen Weg gegangen sind. Und heutzutage habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten, jemanden zu überzeugen. Ich denke, Leute, die mich einladen, wissen schon, worauf sie sich einlassen.«
Waren ihre Großeltern noch Bauern, bei denen sie viel Zeit auf dem Land verbrachte, kommt Kopatchinskaja mit der klassischen Musik durch ihre Eltern in Berührung. Ihr Vater war einer der berühmtesten Zymbalspieler der Sowjetunion, ihre Mutter als Geigerin tätig. 1989 emigriert die Familie nach Wien und erhält die österreichische Staatsbürgerschaft. Für Kopatchinskaja ändert sich das Leben schlagartig. »Du kommst mit dem Zug aus Moldawien, einem chaotischen Land mit Feldern voller Kot und Müll. Dann, nach der österreichischen Grenze, wird die Welt immer quadratischer und gepflegter, klarer«, beschreibt sie diesen Moment.
Während der Vater sein Musikerdasein aus ökonomischen Gründen aufgeben muss, beginnt die Tochter in Wien ein Violinstudium, ehe sie mit einem Stipendium an die damalige Hochschule für Musik und Theater in Bern wechselt. Die Schweizer Bundesstadt ist auch heute noch ihr Lebensmittelpunkt, hier lebt sie mit ihrer Familie, die Camerata Bern gehört zu ihren engsten künstlerischen Partnern und ist auch auf den meisten ihrer Aufnahmen zu hören.
›
Dank ihres unkonventionellen Auftretens wird die junge Geigerin bald international bekannt. Kopatchinskaja steht in der Regel barfuß auf der Bühne (um die »direkte Verbindung mit der Erde« zu spüren) und spielt stets aus Noten – wegen des Lampenfiebers, aber auch, um ein Stück immer wieder neu zu lesen, wie sie sagt. Ihre Konzerte gleichen oft einer Performance, nicht selten nutzt sie beim Spielen ihre Stimme, singt oder schreit sogar, wie in ihrer selbst entworfenen Kadenz zu György Ligetis Violinkonzert (in der sie auch das Publikum zum Mitschreien anstachelt). All dies macht sie zu einem interessanten Störfaktor innerhalb des auf Perfektion getrimmten Klassikbetriebs. Eine ihrer Paraderollen ist inzwischen die des »Pierrot lunaire« in Arnold Schönbergs gleichnamigen Melodram; eine Art Clownsfigur, ein Außenseiter, mit dem sich Kopatchinskaja gut identifizieren kann: »Ich fühle mich schon mein ganzes Leben als Pierrot.«
Auch neben der Bühne eckt sie an, sagt, was sie denkt, kritisiert ihre eigene Branche. »Wir Musiker sind in gewisser Weise elitäre Wesen, wie Höflinge gehalten. Wir spielen für eine Handvoll Menschen, während andere verhungern. Wenn man die andere Seite sieht, wird einem
schmerzlich bewusst, wie weit dieser Unterschied auseinanderklafft, wie unrealistisch und falsch sich das Ganze anfühlt.« Jemand hat einmal geschrieben, Patricia Kopatchinskaja spiele, wie sie spricht – man könnte es aber auch umdrehen.
Bei so viel innerem Ausdrucksbedürfnis war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Kopatchinskaja auch selbst mit dem Schreiben von Musik anfangen würde. Begonnen hat sie damit laut eigener Aussage bereits als Kind in ihrer Heimat; auch während ihres Musikstudiums stand das Fach Komposition auf dem Lehrplan. Doch so richtig Teil ihres künstlerischen Schaffens wurde das Komponieren erst in den vergangenen Jahren, als sie anfing, die Stücke auch tatsächlich vor Publikum aufzuführen. Heute sagt sie: »Ich kann mir nicht vorstellen, eine Musikerin zu sein, ohne auch selbst zu komponieren. Ob es gut oder schlecht ist, ist dann eine andere Frage. Aber man muss die Hände in diesem Teig drin haben, um zu verstehen, was es eigentlich ist. Man hat doch einen direkteren Draht zu den Stücken, die man spielt. Man hat weniger Ehrfurcht, man ist einfach glücklich.«
Ihr Auftreten ist unkonventionell, ihre Konzerte gleichen oft einer Performance, all das macht sie zu einem interessanten Störfaktor.
Wenn Kopatchinskaja als Komponistin in Erscheinung tritt, dann stets unter dem Pseudonym »PatKop« – um sich so von ihrer Rolle als Interpretin zumindest ein bisschen zu ösen. »Ich glaube, mein Geigenspiel wurde so oft kritisiert, dass ich schon immun dagegen bin. Ich kann es gut aushalten. Aber wenn ich jetzt auch noch als Komponistin zusammengeschlagen werde, würde ich das nicht mehr so gut aushalten. Deswegen muss ich eine andere Person werden, und da hinein investiere ich jetzt eine Riesenenergie. Es ist gut, verschiedene Persönlichkeiten in sich zu haben.«
Die beiden Persönlichkeiten der Patricia Kopatchinskaja kann man auch wieder in Hamburg erleben. Als PatKop schreibt sie zurzeit für den jungen österreichischen Pianisten Lukas Sternath ein neues Stück, das dieser Ende Januar beim »Rising Stars«Festival in der Elbphilharmonie präsentiert. Eine Woche zuvor steht sie –als Patricia Kopatchinskaja – selbst mit Geige auf der Bühne. Gemeinsam mit dem Ensemble Resonanz hat sie das Programm »Playground« entworfen, bei dem sie sich mit Werken von Johann Sebastian Bach bis zu einem neuen Doppelkonzert des japanischen Komponisten Dai Fujikura »aufs Karussell« begibt, so der Untertitel. Auch ein eigenes PatKopWerk soll dabei sein; welches, steht aber noch nicht fest.
Die Idee dahinter ist typisch Kopatchinskaja: »Mit ›Playground‹ suchen wir eine neue musikalische Form. Wir spielen nicht nur auf und mit unseren Instrumenten, sondern verstehen auch die Partituren als Spielzeug. Wir nehmen sie auseinander, setzen sie überraschend wieder zusammen, vertiefen uns in einzelne Takte und wollen im nächsten Moment alles gleichzeitig spielen. Wir lassen den Werkcharakter hinter uns und begeben uns an die Ufer des Flows.« Und ihr ResonanzKollege, der Bratschist TimErik Winzer, ergänzt: »Wir sind wie Kinder, die auf der Bühne zu Hochform auflaufen.«
PLAYGROUND
Mi, 22.1.2025 | 20 Uhr
Elbphilharmonie Großer Saal
ensemble Resonanz, Patricia Kopatchinskaja (Violine und Leitung);
Claire Chase (Flöte), Petteri Pitko (Cembalo) »Playground – Auf dem Karussell« mit musik von Pauline Oliveros, Leoš Janáček, John Cage, PatKop, dai Fujikura, Johann sebastian Bach, Felix mendelssohn Bartholdy u. a.
RISING STARS
Mi, 29.1.2025 | 19:30 Uhr
Elbphilharmonie Kleiner Saal
Lukas sternath (Klavier)
Werke von Gubaidulina, Brahms, Liszt sowie ein neues stück von PatKop
Dass selbst bei so viel Neudenken und Andersmachen irgendwann die Gefahr einer gewissen Routine besteht, ist Kopatchinskaja bewusst. Deswegen arbeitet sie schon an den nächsten Plänen. »Ich möchte sehr gerne viel mehr inszenieren. Ich möchte an die Opernhäuser gehen, mit den Orchestern arbeiten, möchte die Orchester auf die Bühne stellen und auch visuell mit ihnen arbeiten, mit den technischen Möglichkeiten eines Opernhauses. Ich möchte auch Dirigieren lernen.« Der Spielplatz Bühne, so viel ist sicher, hält für Kopatchinskaja noch einige Felder bereit: »Ich hoffe, dass wir nie erwachsen werden. Wir müssen immer aus den Regeln ausbrechen.«
VIELEN WUNDER
DIE DER
Wo die Musik spielt, da wird auch mit Musik gespielt.
bis zur Aleatorik, von der »freyen Fantasie« bis zum Toy Piano. Ein Streifzug von der Improvisation
Ein Kinderspiel, dieser Anfang, was die Technik betrifft. CMoll, gebrochener Akkord, unisono in rechter und linker Hand, mit Fis und As gewürzt. Was wird er damit machen, werden sich die Hörer in der Mehlgrube gefragt haben, dem ehemaligen Ballsaal, in dem Mozart auftrat, 29jähriger Star der Wiener Szene. Er wusste es ja selbst nicht. Er improvisierte, sehr frei. Später machte er ein Stück daraus. Er kommt über DesDur und esMoll verblüffend nach HDur, immer mit dem ersten, einfachen Bogen von sieben Tönen, bald von Akkorden sanft begleitet. Rhythmisch ändert sich nichts, aber auf einmal, fMoll, ist es, als sei man zu weit hinausgeschwommen, das Wasser wird kühl, dunkel, man könnte Angst bekommen, wäre man nicht sicher, dass er da herausfindet. Es muss unfassbar spannend gewesen sein, Mozart beim Spielen am Pianoforte zuzuhören, beim Spiel ohne Grenzen. Beim Improvisieren. Spiel! Zu dem Begriff findet sich mit 39 Spalten einer der längsten Einträge in Grimms Wörterbuch. Etymologisch geht er auf Bewegung, Tanz zurück, ist also schon lange mit Musik verbunden. Ein Instrument wird gespielt (in sehr vielen Sprachen übrigens, von Russisch bis Arabisch, Hebräisch bis Japanisch), ein Stück, und auch da, wo es notiert ist, lassen die Noten Spielraum. Verzierungen und Kadenzen von Barock bis Klassik werden idealerweise improvisiert, wofür es wiederum Regeln, Übungen, Anweisungen gibt, und mit dem Erscheinen virtuoser Solisten wird die Improvisation ganzer Stücke im Konzert so häufig, wie sie heute –außerhalb des Jazz – selten ist. Aber auch beim Komponieren wird gespielt, sogar in der Moderne. Und dass Spielen eine abgründige Sache ist, wusste nicht erst der Erlkönig: »Gar schöne Spiele spiel ich mit dir …«
EIN KNOCHEN MIT DREI LÖCHERN
Um mal so weit zurückzugehen wie möglich: Vielleicht war schon der Anfang der Musik im wahrsten Sinne ein Kinderspiel. Irgendwer muss ja vor 35.000 Jahren, als neben Menschen wie uns, also dem Homo sapiens, noch Neandertaler lebten, herausgefunden haben, dass ein hohler Knochen Töne hervorbringen kann. Welcher Erwachsene hebt schon irgendein Ding auf und pustet hinein? Denken wir uns ein Steinzeitkind in der Gegend, die später Schwäbische Alb genannt wird und wo man in den 1990ern Bruchstücke einer Flöte fand, die aus den Knochen eines Singschwans gefertigt wurde, mit drei Grifflöchern. Aus der Entdeckung einer schwingenden Luftsäule war ein Instrument geworden. Von da an, spätestens, wurde gespielt, und zwar bis etwa zur Zeit der Pharaonen ohne schriftliche Fixierung von Klängen. 30.000 Jahre nur Improvisation! Und Überlieferung natürlich. Wer improvisiert, greift immer auch auf Muster, Wendungen, Konventionen zurück, zum einen, weil sie gelernt und vertraut sind; zum anderen ist ihr Einsatz eine Grundlage der Kommunikation. Auch Mozart hat beim Fantasieren nicht sein Vokabular verlassen, nur den Formzwang einer Sonate. Wir wissen natürlich nicht, wie viel von dem, was er unter dem Datum vom 20. Mai 1785 als »Eine Phantasie für das klavier allein« in sein »Verzeichnüß« eintrug, ihm schon im März auf dem Podium der Mehlgrube eingefallen war oder auch später bei einem Privatauftritt. Er arbeitete sehr genau an allem, was in den Druck ging. Aber näher können wir dem in jedem Sinne spielenden, formal ungebundenen Mozart nicht kommen als gerade in dieser Fantasie. Ihre harmonische Exzentrik dient »der Expression seelischer Ausnahmezustände«, wie Ulrich Konrad findet, der wohl beste Kenner von Mozarts Werkstatt.
FREIHEIT
DIE ALTE FREIHEIT UND LEICHTIGKEIT
NÄCHTLICHE FANTASIEN
Ganz nah kam Mozart am 12. Mai 1789 ein betagter Leipziger Geiger, von dem Mozarts Zeitgenosse Friedrich Rochlitz erzählt: »Am Abende seines öffentlichen Concerts in Leipzig nahm Mozart den alten Violinisten [ Carl Gottlieb, Anm. ] Berger bei Seite und sagte zu ihm: ›Kommen Sie mit mir, guter Berger! Ich will Ihnen noch ein Weilchen vorspielen. Sie verstehen’s ja doch besser, als die Meisten, die mir heute applaudirt haben.‹ Nun nahm er ihn mit sich, und phantasirte nach einem kurzen Mahle vor ihm bis Mitternacht, worauf er dann nach seiner Weise rasch aufsprang und rief: ›Nun, Papa, habe ich’s recht gemacht? Jetzt haben Sie erst Mozart gehört. Das Uebrige können Andere auch.‹« Daraus wird ziemlich deutlich, dass für Mozart das Fantasieren alles andere als nebensächlich war. Verblüffend ist die Parallele zu dem von ihm bewunderten Carl Philipp Emanuel Bach, der 1772, ebenfalls nach dem Abendessen, in Hamburg stundenlang für seinen Besucher, den Musikhistoriker Charles Burney, am Clavichord improvisierte. »Während dieser Zeit geriet er dergestalt in Feuer und wahre Begeisterung, dass er nicht nur spielte, sondern die Miene eines außer sich Entzückten bekam.« Das ganze Schlusskapitel von CPEs »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen« handelt »Von der freyen Fantasie«. Ähnlich exzessiv und faszinierend wie er hat auch Friedemann, sein um vier Jahre älterer Bruder, fantasiert – und beide lernten das »Extemporieren« schon als Kinder, so wie nach ihnen Mozart. Es wurde im 18. Jahrhundert von professionellen Tastenspielern sogar erwartet, dass sie ganze Fugen improvisieren konnten.
Spätestens jetzt muss natürlich die Legende erzählt oder vielmehr bestätigt werden, die Johann Nikolaus Forkel überliefert hat. Friedrich der Große hat anno 1747 den Thomaskantor zu einem Besuch in Potsdam ermuntert und dort dem 62Jährigen ein selbst geschriebenes Thema überreicht, über das der zuerst eine Fuge improvisierte, um, zurück in Leipzig, sein elfteiliges, grandioses »Musikalisches Opfer« daraus zu komponieren. In dem wiederum auch improvisiert werden muss, wie überall da, wo in barocker Zeit ein Generalbass notiert ist, ein basso continuo – in diesem Fall in der Triosonate des »Opfers«. Der Cembalist hat ja nicht Akkorde vor sich, sondern nur Basstöne mit kleinen Zahlen, die deren Funktion bezeichnen (ob es der unterste Ton eines Sextakkords ist, eines Quintsextakkords …), und die offen lassen, in welcher Weise diese Harmonien gespielt, arpeggiert, verbunden werden. Noch 1911 forderte der Leipziger Musikwissenschaftler Hermann Kretzschmar, es müsse »ins Aussetzen der Bässe wieder die alte Freiheit und Leichtigkeit kommen, wir müssen es wieder zum Improvisieren auch bei schwierigen Vorlagen bringen.«
Heute sind wir sehr viel weiter. Als die Wiederentdeckung der Musik Johann Sebastian Bachs auch das Interesse an der Musik der Jahrhunderte zuvor geweckt hatte, kam ein Kontinent ans Licht, auf dem es von Spielräumen und Freiheiten nur so wimmelt, von Herausforderungen. Schon früh wurde von Sängern erwartet, dass sie zu einer Linie eine oder mehrere kontrapunktische Gegenlinien improvisierten. 1573 gibt ein italienisches Lehrwerk Tipps für spontane zweistimmige Kanons über einem Cantus firmus. Parallel dazu floriert die Ornamentierung. Wer zwei halbe Noten zu singen oder zu spielen hat, macht Bögen aus acht Achteln daraus, oder kleinteilige Rhythmen, in polyphonen Werken natürlich mit Rücksicht auf die weiteren Stimmen. Hätte jemand den Sängern an einem Fürstenhof wie Ferrara gesagt: »Singt doch, was da steht«, hätten sie ihn mit Recht für einen Ignoranten gehalten.
FLAMBOYANT UND FANCY
Die neue Emotionalität ab 1600 wurde im Gesang mit Verzierungen unterstrichen, mit passaggi , deren berühmtestes Beispiel keinem
Lehrwerk entstammt, sondern der ers ten Oper. Claudio Monteverdi lässt 1607 seinen Orfeo vor Caronte singen, dem Fährmann in die Unterwelt, und notiert für den Solisten genauestens, was sonst improvisiert wurde, die flamboyanten Tonrepetitionen und Wechselnoten, mit denen Orfeo den possente spirito gen Geist« beeindrucken will. Doch sonst kommt man auch bei Monteverdi als Interpret nicht weit, wenn man die Verzierungs techniken der Zeit nicht kennt, besser noch, sie so verinnerlicht hat wie schon seit Jahrzehnten die Profis der historischen Auf führungspraxis. Wenn gute Zin kenbläser in der »Marienves per« loslegen, ist man vom Jazz nicht mehr weit entfernt. Schon im 17. dert war es auch üblich, aus einem Thema ein ganzes Stück zu fantasieren. In England tritt der Sammel begriff für improvisierte wie komponierte Freihei ten sogar variiert auf: Von Fantassie über zia und fansye bis zum gebräuchlichsten, fancy. Einer der Stars dieser Kunst war ein Import aus Lübeck, der Geiger Thomas Baltzar. Am 4. März 1656 schrieb John Evelyn, englischer Landedelmann, Autor, Europareisender, Politiker, nachts in London in sein Tagebuch: »Ich war eingeladen, um den unvergleichlichen Thomas Baltzer auf der Geige zu hören. Der Einfallsreichtum, zu des sen Anregung ihm wenige Noten genügen, war be wundernswert.«
NEUE SPIELREGELN
Wenn guteZink e älbndrevetnoMnires i s
»Marienvesper«loslegen,istmanvo rhemthcinzzaJm tiew ftne e r n t .
›»die alte Freiheit und Leichtigkeit« im Generalbass, während die zeitgenössischen Komponisten längst nicht nur jede Note festlegten, sondern auch Vortragsnuancen. Das Improvisieren wanderte ab in den Jazz und die Alte Musik. Ausbrüche wie der aus der alten Tonalität wurden systematisiert oder, netter gesagt, mit Spielregeln versehen wie denen, die Arnold Schönberg für das »Komponieren mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen« ersann, nachdem sein jüngerer Wiener Kollege Josef Matthias Hauer die zwölf Halbtöne der Oktave in 44 Sechsergruppen gebändigt hatte. Diese »Tropen« wurden die Grundlage von »Zwölftonspielen«, mit denen es Hauer kosmisch ernst war: Die Musik – rund 1.000 Stücke entstanden – generiert sich nach bestimmten Regeln praktisch selbst und soll die Harmonie der Welt hörbar machen. Das Gegenteil jener Subjektivität also, die in Improvisationen zum Ausdruck kommt.
Das machte Hauer interessant für John Cage. Er wollte vom »making« zum »accepting« kommen – nichts ausdrücken und nicht Autor sein, sondern sich von den Tönen leiten lassen, von Tonvorräten, die vom Zufall, einer Sternenkarte oder sonst wie, nur nicht subjektiv bestimmt wurden. Weil er dabei auch ein sehr heiterer Mensch war, verdanken wir ihm das erste Stück für ein Spielzeug (von einer »Berchtoldsgaden Musick« abgesehen, in der um 1765 Kinderinstrumente zum Einsatz kommen) – die »Suite for Toy Piano« (1948), ein Spielzeugklavier mit neun Tönen und aufgemalten schwarzen Tasten. Die denkbar größte Freiheit der Spieler erreichte Cage zehn Jahre später in seinem »Concert for Piano and Orchestra«: Noten auf losen Blättern, die in beliebiger Reihenfolge gespielt werden können. Fast alles ist dem Zufall überlassen.
All diese Facetten, der Austausch zwischen Komposition und Improvisation, die Spielräume oder Notwendigkeiten für den Eigensinn von Musikern, sind im 20. Jahrhundert erst mal auseinanderdividiert worden. Man erkundete und erlernte aufs Neue
GEZÄHMTER ZUFALL
Die unfixierbare Komplexität, die dabei herauskommt, war eine Offenbarung für den polnischen Komponisten Witold Lutosławski, als er diese Musik im Radio hörte. Er sah im Zufall eine Technik und zähmte ihn. In seinem Streichquartett (1964) stehen in der Partitur nicht mehr nur vier Stimmen übereinander, sondern immer wieder vier Kästen. Jeder enthält ein Solo.
einem Motiv wie bei Mozart,mitdenlosen BlätternvonCage …
Festgelegt ist, wer wann beginnt – und dass alle so lange spielen, bis, zum Beispiel, die erste Geige die nächste Abteilung erreicht hat. Ein großer Bogen entsteht in diesem Werk, aber es fällt doch auf, dass spielerische Freiheit immer im Kleinen beginnt, im Freiraum einer Kadenz, mit nur einem Motiv wie bei Mozart, der dann einen Abschnitt aus dem anderen entwickelt, mit Lutosławskis Kästchen, den losen Blättern von Cage … Sogar ein Kontrollfreak wie der amerikanische Komponist Elliott Carter hat auch gern mal mit losen Blättern begonnen, wie er es dem Autor 2008 erzählte, kurz vor seinem hundertsten Geburtstag. »In den ›Night Fantasies‹ [ 1980, Anm.] schrieb ich einfach jede Menge kleiner Fragmente, die ich für das Klavier interessant fand, und die einem bestimmten harmonischen System folgten. Davon hatte ich dann 20 oder 30. Ich war damals in Rom und klebte sie an die Wand, guckte mir das an, bis ich wusste, wie es zusammenpassen könnte. Zuerst also kleine Versuche, um rauszufinden, was ich wollte.« Dieses Verfahren setzte Carter bei einem seiner großartigsten Werke fort, der »Partita« für Orchester (1993). »Es waren kleine Teile, die zusammengefügt wurden. Wie ein Spiel. Darum nannte ich es Partita. In Italien heißt ein Fußballspiel partita. It has a playful aspect!«
EINFACH MAL AUSPROBIEREN
Es war eine Komponistin, die wieder zum Spielen im einfachsten Sinne kam, zum Ausprobieren unvertrauter Klangerzeuger, ein bisschen wie unser Steinzeitkind mit dem hohlen Knochen. Sofia Gubaidulina, die sich in der Sowjetunion als Filmkomponistin durchschlug, erkundete in den 1970ern mit Kollegen den Klang von Ritualinstrumenten aus Russland, dem Kaukasus, Asiens, des Orients. In der Gruppe Astrea improvisierte man gemeinsam. »Wir beherrschten diese Instrumente nicht, wir berührten sie. Es war eher ein geistiges Gespräch.« Erfahrungen aus dieser »ungeschriebenen Musik« voller Mikrointervalle und voller Spiritualität brachten die tatarische Komponistin auf den Weg zu ihrem Durchbruchswerk, dem »Offertorium«, jenem überwältigend schönen Violinkonzert, das sie 1980 für Gidon Kremer schrieb.
Womit wir, Überraschung, Fernpass, Verwandlung, wieder bei Wolfgang Amadeus Mozart wären, der im Mai 1785 aus seiner Improvisation in der Mehlgrube (siehe die Illustration auf S. 9, das große Haus rechts) die Fantasie in cMoll macht. Gubaidulina hat ihr Konzert »Offertorium«, »Opfer«, aus jenem Thema entfaltet, über das Bach in Potsdam improvisierte und aus dem dann sein »Musikalisches Opfer« wurde. C, es, g, as, h, so fängt das an. Jetzt bringen wir mal Bewegung in diese statischen Töne. Die ersten beiden punktiert verbunden, dann vor das g ein fi s und vor das h ein c … Mozart spielt mit Bachs Königsthema! »Das kann kein Zufall sein«, meinte der Pianist András Schiff, als er beide Werke im Konzert verband, Bachs »Opfer« und Mozarts »Fantasie«. Nein, kein Zufall, auch kein Wunder, Mozart war zu der Zeit schon mit vielem aus der Bachfamilie vertraut. Aber ein Wunder ist es eben doch. Eines von den vielen, die sich der Freiheit des Spielens verdanken.
NEUER KLANG. GLEICHES GEFÜHL.
DER VOLLELEKTRISCHE MACAN.
ERKENNB AR. UNVERKENNBAR.
Erleben Sie außergewöhnliche Kompositionen, visionäre Neuinterpretationen und Gänsehautmomente nicht nur in der Elbphilharmonie – sondern auch im neuen vollelektrischen Porsche Macan.
DBITTE NICHT STÖREN
Klaus Mäkelä ist derzeit der gefragteste Jungstar am Dirigentenpult. Bereits mit 22 Jahren startete er eine Weltkarriere. Keineswegs zu früh, wie sich nun zeigt.
VON HELMUT MAURÓ
as gibt es, aber nicht allzu oft: Dass ein sehr junger Dirigent von jetzt auf gleich weltberühmt ist.
Dass alle Orchester ihn haben wollen, dass ihm Positionen angeboten werden, um die sich ältere Kollegen vergeblich bemühten. Willem Mengelberg übernahm 1895 mit 24 Jahren das Concertgebouworkest in Amsterdam, Leonard Bernstein wurde 1943 als 25Jähriger schlagartig bekannt, nachdem er in der New Yorker Carnegie Hall kurzfristig für den berühmten Bruno Walter eingesprungen war. Das Konzert wurde im Radio übertragen; am nächsten Tag war der Name Bernstein in aller Munde. Heute ist es der Finne Klaus Mäkelä, der 2020 mit 24 Jahren Chefdirigent des Oslo Philharmonic wurde, ein Jahr später auch Musikdirektor des Orchestre de Paris; 2027 wird er Chef des Concertgebouw und des Chicago Symphony. Als Gastdirigent musiziert er mit den renommiertesten Orchestern, darunter London Philharmonic, Orchestre Philharmonique de Radio France, die Münchner und die Wiener Philharmoniker.
Dabei funktioniert eine Dirigentenlaufbahn heute in vielerlei Hinsicht anders. Das Radio gibt es noch, es ist aber nicht mehr ausschlaggebend für eine Karriere. Die Medienlandschaft ist so vielfältig geworden und so gierig nach Neuheiten, dass jeder berühmt werden kann. Zumindest für einen Augenblick. Andy Warhol hat es vorausgesagt, und es ist alltägliche Wahrheit geworden. Die Kehrseite: Auch Künstler, die es verdient hätten, länger im Gedächtnis zu bleiben, verschwinden nach kurzer
Publicity wieder in der Flut neuer Nachrichten. Nicht so Klaus Mäkelä, der, noch jünger als einst Bernstein, bereits mit 22 Jahren eine Weltkarriere startete und ebenfalls in der Carnegie Hall mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Wie ist das möglich, was können diese Begabungen, was andere talentierte Jungdirigenten nicht können?
MUSIK ALS GEGENENTWURF
Zunächst einmal versteht Mäkelä seine Kunst – wie die klassische Musik überhaupt – als Gegenentwurf zur kurzatmigen Nachrichtenflut und hektischen, gleichwohl zunehmend bruchstückhaften Kommunikation auf allen Ebenen. InternetNachrichten für den Augenblick gegen Information für die Ewigkeit in der Musik. Das ist für Mäkelä heute die größte Revolution: sich eine Stunde lang eine Sinfonie anzuhören. Zum Beispiel die Erste von Jean Sibelius, dem finnischen Nationalkomponisten. Mäkelä hat 2021 mit dem Oslo Philharmonic alle sieben aufgenommen. Sie klingen so frisch und neu und unmittelbar, als spielten sie die Musiker zum ersten Mal, mit schier jugendlichem Engagement, mit innerer Begeisterung. Mäkelä wirkt dabei weniger als Antreiber, vielmehr oft so, als müsse er die Musiker ein wenig zurückhalten, damit sie ihr Pulver nicht gleich in den ersten Takten verschießen. Aber welche Landschaften sich da entfalten! Finnische natürlich. Dieses weite Land, das von nicht einmal sechs Millionen Menschen bevölkert ist und fast ebenso vielen Saunen. Warum ist Sibelius so finnisch? ›
Der Musiker Mäkelä denkt auch über solche Fragen nach, und er denkt gerne ein bisschen außerhalb des gewohnten Rahmens: Vielleicht müsste man die Frage umgekehrt stellen. Mäkelä sagte einmal zu Recht, Sibelius sei deshalb so finnisch, weil er die kulturelle Identität des Landes selber maßgeblich bestimmt hat. Wichtiger ist dem Dirigenten Mäkelä über alle Naturbilder und realen Bezüge hinweg, mit welcher emotionalen Intensität der Komponist Sibelius arbeitet. Wie er gleichzeitig Gefühl und gedankliche Klarheit zusammenbringt. Vielleicht ist es das, was ihn so besonders und so finnisch macht: die Verbindung von lebendiger Natur und unendlicher Ruhe. Aber, auch das hat Mäkelä einmal in einem Interview gesagt, Sibelius habe sich natürlich als europäischer Komponist verstanden. Er studierte auch in Berlin und Wien, hat gehört und
gelesen, was seine Zeitgenossen geschrieben haben, und sich durchaus im Verbund etwa mit Bruckner und Strauss gesehen.
Spätestens hier ist man geneigt, zu vergleichen. Wie atmen die Streicher bei Sibelius, wie bei Strauss, wie dröhnt das Blech bei Bruckner, wie tönt es bei Sibelius? Mäkeläs Repertoire ist mittlerweile enorm gewachsen und kontrastreich. Außer den SibeliusSinfonien hat er sich inzwischen großer Sinfonik von Claude Debussy, Igor Strawinsky und Dmitri Schostakowitsch gewidmet, im Konzert und auf CD. Aber gerade bei Sibelius klingen die Bläser des Oslo Philharmonic ungewohnt elegant. So, wie man es bei einem zwar erstklassigen, aber bisher doch nicht ganz an der Weltspitze agierenden Orchester kaum erwarten würde.
links: Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins (2023); rechts: im Großen Saal des Koninklijk Concertgebouw (2022)
Diesen Bläserklang hat sich Mäkelä vom Orchestre de Paris abgehört. Solch einen eleganten und gleichzeitig sehr expressiven Klang habe er in seinem ganzen Leben noch nicht gehört, gestand er einmal voller Bewunderung. Und er beschreibt, wie ihn ein Stück geradezu süchtig macht, weil er immer wieder etwas Neues darin entdeckt. Das behauptet zwar ziemlich jeder Musiker, aber bei Mäkelä hat man immer den Eindruck, er wolle es beim nächsten Mal nicht nur irgendwie anders, sondern auf jeden Fall besser machen. Noch genauer hinhören, noch mehr Details ans Licht bringen, die aus dem Ganzen ein etwas größeres Ganzes machen.
ZWISCHEN
ZWEI STÜHLEN
Als Dirigent sitzt man dabei immer zwischen zwei Stühlen. Mindestens. Man muss den spezifischen Klangcharakter eines Orchesters pflegen und herausstellen, andererseits auch die besonderen Charaktereigenschaften der gespielten Werke entwickeln. Das verlangt Können, Wissen und eine Erfahrung, die man als Mittzwanziger normalerweise nicht hat. Offenbar gelingt es aber der finnischen SibeliusAkademie, ihren Studenten solche Erfahrungen zu vermitteln oder zu ermöglichen. Eine inzwischen ansehnliche Reihe berühmter Dirigenten kommt von dort und
unterrichtet auch, darunter Jorma Panula, Sakari Oramo, JukkaPekka Saraste, EsaPekka Salonen.
Die DirigierStudenten lernen nicht nur, Partituren zu lesen und sonstige Basisfähigkeiten für diesen Beruf. Sie haben auch ständig ein Orchester zur Verfügung, mit dem sie arbeiten können. Kein großes, aber immerhin. Die Proben werden auf Video aufgenommen, und die Selbstkritik, die daraus folgt, ist ja immer die härteste, selbst wenn man sie nicht verbalisiert. Da kann keine LehrerSchelte mithalten. Der wichtigste Satz seines Lehrers sei für ihn gewesen: »Vertraue den Musikern«, sagt Mäkelä. In den Videoaufnahmen, die von jeder Dirigierprobe angefertigt wurden, konnte er dann selber sehen, wie weit er diesem Motto folgte, und auch dem zweiten wichtigen Hinweis: »Unterstütze sie, aber störe nicht.«
Das Wichtigste aber ist, konkret mit Musikern zu proben. Das gibt es nicht überall für DirigierStudenten, obwohl es doch essenziell ist. Je früher man lernt, mit Menschen an der Musik zu arbeiten, desto weniger gerät man später in Gefahr, abstrakte Pläne zu schmieden, die die Musiker nicht nachvollziehen können. Mäkelä hat aus dieser Zeit viel in die Gegenwart mitgenommen. Er gibt Impulse, muntert auf, schreckt auf, lässt die Musiker keine Sekunde aus dem Blick. Er ist ganz nah bei ihnen,
Bei einer Probe mit dem Oslo Philharmonic (2022)
scheint einer von ihnen zu sein. Was er in gewisser Weise auch ist. Denn er hat nicht nur Dirigieren, sondern auch Cello studiert – und demonstriert das manchmal in kleinen Zugaben. Allerdings hatte er auch gute Startbedingungen für seinen Beruf. Der Vater ist Cellist, die Mutter Pianistin, der Großvater war Geiger. Bereits in jungen Jahren hatte er die Chance, an der SibeliusAkademie zu studieren, zunächst als Cellist.
SPIELEN, DENKEN, EMPFINDEN
Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Dirigenten: das eigene Spiel vor allem, die ganz per sönliche Aneignung von Musik, die Einverleibung einer fremden Komposition in das eigene Denken und Empfinden,
bevor man sie als neu gestaltetes Werk wieder nach außen trägt. Spielt man selber ein Instrument, steigt die Chance, dass man erst gar nicht an der Oberfläche kleben bleibt, und sei sie noch so glänzend und effektvoll. Man muss sich hineinwagen und Schwierigkeiten bewältigen, technische und mentale, muss jedes Mal ein bisschen neu denken lernen. Und das geschieht, auch wenn man allein im Kämmerchen übt, immer im Austausch mit anderen. Mit dem Komponisten, den man verstehen will, mit dem zu erwartenden Publikum, dem man etwas vermitteln will. Es ist ein komplexerer und auch sozialerer Prozess, als er in aller Regel beim reinen Komponieren vorherrscht.
Er gibt den Orchestermusikern Impulse, muntert auf, schreckt auf, lässt sie keine Sekunde aus dem Blick, ist ganz nah bei ihnen.
Das überträgt sich eher unterschwellig auch auf das Publikum, wie man im vergangenen Sommer in Mäkeläs DebütKonzert bei den Salzburger Festspielen erleben konnte. Schon in den ersten Takten von Tschaikowskys Violinkonzert, es ist ja nur eine schlichte Streichermelodie, horchte man auf. Wie genau da jeder Ton geformt wird. Mäkelä bewegt sich zielgerichtet, nie aktivistisch, schiebt ein bisschen an, zieht vorne weg. Er lässt sich von der Musik nicht treiben und erlaubt auch den Musikern nicht, sich in Tschaikowskys Klangrausch zu verlieren. Er ist dem Geschehen ein oder zwei Momente voraus, jedes Detail zählt und stützt das Ganze, jedes Instrument ist gefordert. Sein Ansatz wird hier ganz deutlich. Er will alles
Am Pult des Orchestre de Paris in der Pariser Philharmonie (2023)
Emotionale aus der Musik selbst heraus entstehen lassen und sie nicht im Gefühligen ertränken. Mäkelä konzentriert sich ganz auf das Innermusikalische, aus dem sich alles andere ohnehin ergibt.
Eines ist klar, und das weiß auch Mäkelä sehr genau: Nicht das Reden mit den Musikern, das Erklären oder gar das Erzwingen bringt am Ende das beste Ergebnis. Es ist schlichtweg die Persönlichkeit des Dirigenten, die den Unterschied macht – seine schiere Präsenz vor dem Orchester, mit allem, was die Musiker über ihn wissen, ihm andichten oder einfach unerklärlich spüren. Und genau so kommt er auch beim Publikum an. Aber doch mit dem Unterschied, dass im besten Fall die Persönlichkeit des Dirigenten hinter der Musik zu schwinden beginnt, dass sich der Pultstar unmerklich auflöst in reiner Klangerzählung. Nur dann wird die Musik groß, nur dann ist auch der Dirigent ein wirklich großer Musiker. Das mag auch der Grund sein, warum oft junge Musiker über ihren jugendlichen Elan hinaus insgesamt überzeugender sind. Sie sind bescheidener, demütiger als viele allwissende Großmeister. Die Schwierigkeit ist, diesen Zustand nicht aufzugeben. Mäkelä hat ihn sich bis heute offenbar ganz gut erhalten.
SCHWERPUNK KLAUS MÄKELÄ
Elbphilharmonie Großer Saal
Fr, 1.11.2024 | 20 Uhr
Oslo Philharmonic, Leif Ove Andsnes (Klavier); Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5; Bartók: Konzert für Orchester
Sa, 2.11.2024 | 20 Uhr
Oslo Philharmonic, Vilde Frang (Violine) enescu: Rumänische Rhapsodie Nr. 1; strawinsky: Concerto en Ré; Tschaikowsky: sinfonie Nr. 4
Di, 17.12.2024 | 20 Uhr Wiener Philharmoniker; mahler: sinfonie Nr. 6
Di, 25.2.2025 | 20 Uhr Orchestre de Paris, Wiener singverein; Ravel: Le tombeau de Couperin; debussy: Nocturnes; strawinsky: Le sacre du printemps
Mi, 26.2.2025 | 20 Uhr Orchestre de Paris; Ravel: ma mère l’oye; strawinsky: Petruschka (erstfassung); mussorgsky/ Ravel: Bilder einer Ausstellung
Di, 1.4.2025 | 20 Uhr
Royal Concertgebouw Orchestra, Julian Rachlin (Violine); seung-Won Oh: Neues Werk; Gubaidulina: Offertorium; schumann: sinfonie Nr. 4
Mi, 2.4.2025 | 20 Uhr
Royal Concertgebouw Orchestra; schönberg: Verklärte Nacht; mahler: sinfonie Nr. 1
BESSER ABRUTSCHEN
Unser Kolumnist ist abgestoßen von der Gamification des Konsumlebens, hat aber eine Wunderwaffe dagegen in petto.
VON TILL RAETHER ILLUSTRATIONEN NADINE REDLICH
Von Charles Baudelaire stammt das Epigramm, die größte List des Teufels sei es, uns zu überzeugen, dass es ihn nicht gäbe. Die größte List von Leuten, die mir Sachen verkaufen wollen, ist es, mir vorzumachen, dass alles nur ein Spiel wäre. Normalerweise muss man Tore schießen oder einen Dreier pasch würfeln, um Punkte zu sammeln, aber es geht auch, indem man Weichkäse kauft.
Viele Menschen suchen ihr Leben lang die Selbstvergessenheit, mit der sie als Kinder gespielt haben, ich rechne mich dazu. Ich habe gerade die jahrelange Pause meiner alten Pokerrunde beendet und ein neues Treffen organisiert, weil ich mich nach der gemeinschaftlichen Zeitverschwendung sehne, dem ziellosen Beieinandersein. Ich habe mit meinen Kindern viel »Carcassonne« gespielt, so gern, dass wir irgendwann in die echte Stadt gereist sind und uns daran erfreut haben, dass sie fast irrealer aussieht als auf dem Spielbrett.
Umso mehr ärgert mich, was seit einigen Jahren unter dem Stichwort Gamification oder Spielifizierung veranstaltet wird. Klamottenversender, Dienstleister und andere, die mir was verkaufen wollen, versuchen, das selbstvergessene Spielgefühl der Kindheit zu imitieren, um mir noch mehr Zeug zu verkaufen.
Platz eins hat dabei die Firma Adidas, die nun, da sie den Ausrüstervertrag mit der deutschen Fußballnationalmannschaft verloren hat, selbst den läppischsten Kunden, also mich, auf emotionalste Weise an sich binden möchte. Spielen ist genau das: emotional; es erlaubt uns, uns selbst in einer Simulation von Wichtigkeit paradoxerweise nicht so wichtig zu nehmen.
Die Firma Adidas schreibt mir eine Mail mit der Betreffzeile: »BRING DICH ZURÜCK INS SPIEL«, Versalien von den Urhebern. Ich wusste bis zu diesem Moment nicht, dass ich überhaupt in irgendeinem Spiel war. Ich habe einmal für meine Tochter ein paar Schuhe direkt bei Adidas gekauft. Offenbar hat diese väterliche Weihnachtshandlung mich in den Augen der Firma zu einem Player gemacht. Aber nicht zu einem richtigen
Player. Denn, so der Mailtext: »Hallo Till, du bist im adiClub auf Level 1 zurückgefallen, aber du kannst jederzeit wieder aufsteigen.« Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, dass ich überhaupt Mitglied im adiClub bin, die Existenz dieser Vereinigung war mir unbekannt. Ich möchte nicht Teil eines Clubs sein, der mich zum Mitglied macht, weil ich irgendwas gekauft habe. Ganz abgesehen davon, dass die Bezeichnung adiClub sich anhört wie die Vorschulgruppe der AfD. Davon unbeirrt, teilt mir der adiClub weiter mit: »Sammle 1.000 Punkte, um dir deine Vorteile aus Level 2 zurückzuholen. Hier ein paar Tipps, wie das am besten geht. Du packst das!« Also, spoiler alert, die Tipps, wie das am besten geht, sind eigentlich nur einer, nämlich: mehr Sachen kaufen. Was mich aber besonders anspringt, ist dieses aggressive »Du packst das!« Die deutsche Sprache ist zu mager für ein passendes Attribut: nassforsch und dummdreist scheinen hier zu schwach.
Was der adiClub und viele andere Gewerbetreibende, die mich auf diese Weise ansprechen, nicht wissen: Ich spiele super gern, aber ich lege keinerlei Wert darauf, zu gewinnen. Das passt offenbar nicht so gut ins Menschen und Gesellschaftsbild der Gamification, bei dem einem suggeriert wird, man müsste immer höhere Levels erreichen, sonst wäre man ein Verlierer. Sowohl beim Pokern als auch beim »Carcassonne« ist Gewinnen für mich zweitrangig, und erst recht ist es mir völlig egal, wenn ich ein paar Levels im adiClub abrutsche. Am Spielen mag ich nur das Sinn und Zwecklose. Packen muss ich schon sonst im Leben alles und immer zu viel, darum bin ich letztlich für die Gamification unerreichbar.
Wer hätte gedacht, dass mir meine Losermentalität nochmal so zupass kommen würde.
TILL RAETHER lebt und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg.
AUS B RECHEN HEI M KOMMEN
Sophie Hunger gestaltet ein Reflektor-Festival
in der Elbphilharmonie – das in seiner Unberechenbarkeit auch die Vielseitigkeit
der Schweizer
Singer-Songwriterin abbildet.
VON STEFAN FRANZEN
Ich habe nichts studiert, ich bin so die FeldWaldWiesenHobbymusikerin. Und ich bin einfach größenwahnsinnig.« So charakterisierte sich Anfang 2009 die damals 25jährige Sophie Hunger, und das war beides zugleich, kokettes Understatement und gesundes Selbstbewusstsein – eine irgendwie typische Mischung für diese junge Schweizerin, die seinerzeit für uns Deutsche scheinbar aus dem Nichts kam. Gerade war ihr Debüt »Monday’s Ghost« erschienen, war wie eine Rakete auf Platz 1 der Schweizer Charts geschnellt. Vom Publikumsliebling avancierte sie auch hierzulande rasch zum FeuilletonDarling, mit klugen, rätselhaften und hintergründigen Texten, einer außergewöhnlichen Tonsprache zwischen Folk, Kammerjazz und IndieRock – und, ja, mit einer unvergleichlichen Bühnenpräsenz. Es gibt in der Schweizer Musikszene eine Zeit vor und eine nach Sophie Hunger. Gewiss, man fand bei den Eidgenossen immer schon tollen MundartRock wie den von Patent Ochsner oder Züri West. Die Helvetier beglückten die Welt mit erfolgreichen DanceActs von Yello bis DJ Bobo, brachten in jüngerer Zeit auffällig viele RapEminenzen hervor. Und als Urvater, oft latent als Influencer für unterschiedlichste Genres, stand im Hintergrund der Berner Liedermacher Mani Matter, 1972 viel zu früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen, wortgewaltig, liebenswert, skurril. Doch einen tiefgründigen, spielerischen, kosmopolitischen Autorenpop wie den von Sophie Hunger, den gab es in der Confoederatio Helvetica zuvor halt nicht.
Sophie Hunger, die eigentlich Emilie JeanneSophie Welti heißt, ist wie geschaffen für die Gestaltung eines Reflektors in der Elbphilharmonie, denn sie bezieht ihre künstlerischen Nährstoffe aus den unterschiedlichsten Quellen und Weltgegenden, und entsprechend vielseitig ist denn auch ihre eigene Kunst. Das ist auch durch ihre Vita bedingt: 1983 wird die Diplomatentochter in Bern geboren, wächst in London, Bonn und Zürich auf, wird von Jazz über Punk bis hin zur Volksmusik im Elternhaus breit
versorgt. Sie sang schon früh in den Bands Superterz und Fisher. Veröffentlichte ein HomeDemo namens »Sketches on Sea«, auf dem sie noch ein bisschen mit Mischformen zwischen Folk und Hörspiel experimentierte. Und übernahm eine Rolle in einem Spielfilm ihres Landsmannes Micha Lewinsky, »Der Freund«.
DOPPELBÖDIG, BILDGEWALTIG
Als Startschuss für die wirklich große Karriere aber gilt ihr Album »Monday’s Ghost« von 2008. Doppelbödig und bildgewaltig sind die Texte auf diesem Album: Ganze Städte brennen und Landstriche versinken in den Fluten, Motive des klassischromantischen Dichters Johann Peter Hebel verbinden sich mit einem Zitat aus dem berühmten Schweizer »Guggisberglied«, Hunger zerpflückt Parolen von populistischen Politikern und spiegelt BobDylanPhrasen. Das alles passiert auf Englisch, Französisch und Deutsch, eher selten auf Züritüütsch. »England hat mir die Sprache geschenkt«, erklärte sie damals. »Und zwar nur genau so viel, dass ich damit leichtfertig umgehen kann. Ich spreche Englisch nicht gut genug, dass ich mir der Schwere der Sprache immer bewusst wäre, so wie ich das im Deutschen bin. Deutsch singen ist viel schwieriger für mich, weil ich mir jede Interpretation vorstellen kann. Dem Englischen gegenüber habe ich eine gewisse Naivität behalten, die mir hilft. Auf Schweizerdeutsch hingegen kann ich mir alles erlauben, weil ich das Gefühl habe, dass ich die Sprache besitze.« Über Hungers Schlagfertigkeit und ihre manchmal unerwarteten, aber stets präzisen Antworten freuen sich Journalisten nicht immer. Manche sind irritiert, weil sie sich so gar keinen SmallTalkRegeln unterwirft. Und auch musikalisch bleibt sie unvorhersehbar: Ähnlich wie bei den gesprochenen Sprachen, eroberte sie sich im Verlauf ihrer mittlerweile acht Platten verschiedene musikalische Idiome. Auf »1983« etwa, ihrem 2010 erschienenen zweiten Album, schiebt sich eine IndiepopFärbung in den Mittelpunkt. Der Titelsong ist eine Widmung an ihr Geburtsjahr, zornig und ein wenig wehmütig zugleich: »Komm, bitte sing mir ein Volkslied, auch wenn es das nicht mehr gibt«, dichtet sie im Refrain, scheint damit die Unwiederbringlichkeit des Alten im Zeitalter der Digital Natives zu reflektieren. In der versonnenen Ballade »Train People« entwirft sie das Bild eines Zuges, in dem wir alle zusammensitzen, den wir nicht mehr anhalten können, obwohl wir wissen, dass wir das dringend müssten. Gemünzt war das auf die Finanzkrise, man könnte es
ebenso gut auf den Klimawandel übertragen oder auf den religiösen Fundamentalismus. Das ist das Starke an ihren Versen: Sie scheinen immer mal wieder auf politischem Parkett zu tanzen, kreieren aber durch ihre Metaphern lyrische Unschärfe, entziehen sich einer eindimensionalen Deutung.
ATEMSTOCKENDE KONZENTRATION
Sophie Hungers Botschaften horcht man gerne nach, so wie man ihre Klänge gerne nachwirken lässt. Spielt sie beispielsweise den »Train People« live, bleibt es nach dem offenen Schlussakkord oft unglaublich lange still (zumindest für ein Popkonzert), wie überhaupt während ihrer Shows oft eine atemstockende, konzentrierte Atmosphäre zu spüren ist, egal ob im Pariser Bataclan, im Berliner Tempodrom oder in der Basler Kaserne. Da geht etwas aus von ihrer Bühnenpräsenz, das unbedingte Aufmerksamkeit fordert. Das gilt für stille Momente ebenso wie für die widerborstigen Rockhymnen, die mehr werden seit dem Album »Supermoon« (2015), seit sie auch mal selbst zur NoiseGitarre greift.
Zwischen der überwältigenden Natur Kaliforniens und ihren neuen Heimaten Paris und Berlin ist sie auf diesem zentralen Werk ihrer Karriere unterwegs, entwirft mit »Die ganze Welt« das Psychogramm einer obsessiven Liebe, mit »Weltmeister« eine defätistische GaragenrockNummer und mit »Universum« ein fantastisches Thekengespräch zwischen dem erschöpften Homo sapiens und –eben dem Universum.
Live ist sie ’ne Show: Sophie Hunger 2015 in Duisburg (links) und 2010 in Luzern
Auch ihr Verhältnis zu den eigenen Wurzeln reflektiert sie, in dem Lied »Heicho« (Heimkommen). Dass sie, die Schweizflüchtige, zum Sterben zurückkehren will, sei »eine Liebeserklärung! Schließlich komme ich ja fürs Wichtigste wieder nach Hause. Das ist überhaupt nicht bösartig gemeint.« Ihr Verhältnis zur Schweiz als »gespalten« zu bezeichnen, wäre herbeigedichtet. Ein bisschen ambivalent ist es aber sehr wohl: »Man kann sich der natürlichen Schönheit und dem Komfort der Schweiz nicht entziehen«, gibt sie zu. »Dass aber darin auch ein Trugschluss liegt, provoziert ein ständiges Ausbrechen. Die Unversehrtheit, wie sie in der Schweiz vorzufinden ist, ist vielleicht nur möglich durch das gekonnte Verstecken von Leid.«
GRENZENLOSE MÖGLICHKEITEN
Ausbrechen, das tut sie immer wieder. In Berlin preist sie die grenzenlosen Möglichkeiten des Schöpfens aus dem Nichts, und auch Paris wird mehr als ein temporärer Zufluchtsort. Der Flirt mit der Kultur dieser Metropole reichte so weit, dass die Pariser Philharmonie sie 2015 beauftragte, eine Ausstellung über David Bowie musikalisch zu begleiten. Ihre Liebe zum französischen Chanson wiederum zeigt sich vielgestaltig in mehreren Coverversionen: mit einer zur Blaupause avancierenden Version von »Le vent nous portera«, gegen die das Original von Noir Désir verblasst; mit dem trennungsabgründigen »Avec le temps« von Léo Ferré; mit Romy Schneiders »La chanson d’Hélène«, das sie mit dem Edelkicker Éric Cantona einsang.
Und wo wir schon beim Sport sind: Hungers originelle Kommentare zur deutschen Bundesliga sind legendär, und beim Kommentieren vom Sessel aus bleibt es nicht. Im Video zu »LikeLikeLike« dribbelt sie sich pfiffig durch die Pariser Innenstadt.
Und noch einmal schlägt Sophie Hunger ein neues musikalisches Kapitel auf: weg von den Rockgitarren, hin zu sanften AnalogSynthesizern und einem spielerischen, bunten EightiesSound auf den letzten Solowerken »Molecules« (2018) und »Halluzinationen« (2020). Oft fühlt man sich hier zurückversetzt in die Ära von Depeche Mode und The Human League. Es ist, als hätte Hunger aus ihren technoiden Nächten im Berliner Berghain für sich eine milde ElectronicaSorte herausgefiltert. Eine Klangfarbe, die für sie ein probates, sehr persönliches Mittel war, den Schmerz über eine Trennung aufzufangen. Aber auch, um von weiblicher Selbstermächtigung zu erzählen (»She Makes President«).
Die Schweiz aber liegt Sophie Hunger bei all den Stationen wohl doch am meisten am Herzen. In den letzten Jahren hat sie ihre Aktivitäten wieder verstärkt dorthin verlegt: Ihr wunderbares Cover des Mani MatterLiedes »Dene wos guet geit« (2019) mit dem Songwriter Bonaparte und ihre TrioPlatte »Ich liebe dich« (2020) mit den Landsleuten Faber und Dino Brandão als intime,
Von ihrer Bühnenpräsenz geht etwas aus, das unbedingte Aufmerksamkeit fordert – in stillen Momenten ebenso wie in widerborstigem Rock.
lebensbejahende Reaktion auf die LockdownÄra sprechen für die Verbundenheit mit der aktuellen helvetischen Szene. Tatsächlich lebt sie nun auch wieder dort, am Genfer See, »ein Himmel auf Erden, eine Art Endstation«, sagt sie. – Endstation? Heim zum Sterben?
Sicher nicht! Denn jetzt, mit knapp über 40, ein Reflektor in der Hamburger Elbphilharmonie. Für eine heimgekommene Weltbürgerin der geeignete Anker; das Offene, das HanseatischWeltgewandte kommt ihr entgegen. »In Hamburg ruft das Meer nach einem, aber nicht mit Lieblichkeit, sondern mit Durchzug und Gefahr«, sagt sie. »Es ist ein bewegtes Gewässer, das Geschichten erzählt vom Ein und Ausziehen, nicht vom Stillstand. Hamburger haben sich die Konversation mit der Welt angewöhnt, sie müssen sich austauschen, um voranzukommen. Das bringt mich auf Gedanken!«
HARMONIE VON FORM UND INHALT
Schon einmal, 2021, war Sophie Hunger in der Elbphilharmonie zu Gast, mit Faber, Dino Brandão und einem Streichquartett. »Das Haus wurde ja von Deutschschweizer Architekten gebaut, es war also einer der wenigen Momente im Leben der Elbphilharmonie, in der Form und Inhalt harmonisch ineinander übergingen«, erinnert sie sich verschmitzt. Besonders gefällt ihr, dass sie jetzt beim Reflektor in verschiedenen Disziplinen aufspielen darf, von der Sinfonik über eine Lesung ihres Romans »Walzer für Niemand« bis hin zum cineastischen Element mit der Projektion des Animationsfilms »Ma vie de Courgette«, für den sie die Filmmusik geschrieben hat.
Die Gedanken, auf die Hamburg sie bringt, manifestieren sich in einem aufregend heterogenen, kosmopolitischen Programm. Ihre Einladungen an den kauzigen welschschweizerischen Trompeter Erik Truffaz und ihren langjährigen Compagnon, den Jazzschlagzeuger Julian Sartorius, repräsentieren die erste Heimat. »Die Welt ist sein Instrument«, schwärmt sie von Sartorius, »er schlägt sie an und befreit die Klänge aus den Dingen, die er dort eingesperrt weiß. Jeder, der ihn auf seinen performativen Spaziergängen begleitet, kommt verzaubert davon zurück.«
Dann aber auch eine tour d’horizon über den Erdball: Eine dramatische Melancholie wie beim Liederschreiber Patrick Watson aus Montreal findet man durch
aus seelenverwandt in ihren Liedern. Hungers jüngst entdeckte Vorliebe für analoge Elektronik spiegelt sich in der Arbeit der japanischen Keyboarderin Hinako Omori, die auch auf Hungers letzten beiden Alben zu hören ist. Und schließlich das Metropol Orkest, das die vor Kurzem schon in Bern erprobte Orchestrierung einiger ihrer Songs weiterführt. »Das Orkest hat eine ganz eigene Konfiguration, ist viel flexibler und rhythmischer als ein klassisches Sinfonieorchester. Außerdem habe ich meinen vierköpfigen ›Halluzinationen‹Chor dabei, der wieder eine kaleidoskopische Rolle spielen soll. Der Abend soll sehr dynamisch werden, von groß angelegten sinfonischen Bewegungen bis hin zu zerbrechlichen, solistischen Momenten.«
Gewiss wird bei all dem auch Sophie Hungers besonderes LiveCharisma erlebbar, das jedes Auditorium ganz still werden lässt. Wie sie das schafft, hat sie einmal für sich und ihre Band ganz bescheiden kommentiert: »Wenn wir rausgehen, haben wir einfach eine große Berufsehre. Wir wollen uns dem Abend hingeben und den Menschen und der Musik. Wir gehen nicht mit den Händen in den Hosentaschen auf die Bühne. Und diese stillen Momente, die machen eigentlich nicht wir, die macht das Publikum. Es ist eine gemeinsame Erfindung, man schließt für diesen Moment einen Vertrag. Das ist eine Form von Vertrauen – oder Liebe.«
REFLEKTOR SOPHIE HUNGER
Elbphilharmonie
Do, 20.3. – So, 23.3.2025 ein langes Wochenende mit der singer-songwriterin und ihren Gästen, darunter erik Truffaz, dino Brandão, Julian sartorius, Patrick Watson, Hinako Omori, Nichtseattle, soap&skin, metropol Orkest u. v. a
das genaue Programm finden sie unter www.elbphilharmonie.de/Hunger
Große Berufsehre: beim Montreux Jazz Festival 2021
Esa -Pekka Salonen
Max im Emelyanychev Gianandrea Noseda
F innish Radio Symphony Orchestra, Mahler Chamber Orchestra
25 Wunden und Wunde r
Orchesterkonzerte: I SALONEN / SIBELIUS Leitung ESA-PEKKA SALONEN
Wir haben auf jedem der folgenden Fotos ein Instrument versteckt. Finden Sie es?
FOTOS JAKOB BÖRNER
Die Auflösung finden Sie im Impressum auf S. 88
»VERMUTLICH BIN ICH EHER INTROVERTIERT«
Alexandre Kantorow über seine Liebe zu Brahms, illusionistische Möglichkeiten am Klavier und einen großen Moment im Regen von Paris.
VON BJØRN WOLL
Es könnte einem fast schwindelig werden, derart steil und schnell hat sich die Karriere von Alexandre Kantorow entwickelt, seit der Franzose 2019 im Alter von 22 Jahren den TschaikowskyWettbewerb in Moskau gewonnen hat. Dieser neben dem ChopinWettbewerb in Warschau wohl wichtigste Preis für Pianisten, den in seinem Gründungsjahr 1958, mitten im Kalten Krieg, mit Van Cliburn ausgerechnet ein USAmerikaner für sich entscheiden konnte, wirkte wie ein Katalysator für die ohnehin schon aufstrebende Karriere Kantorows, der aus einer Musikerfamilie stammt und bei PierreAlain Volondat, Igor Lazko, Frank Braley und Rena Shereshevskaya studiert hat. 2022 bejubelte die New York Times ihn als »neuen Stern am KlassikFirmament«, Der Standard sprach von einem der »besten Pianisten der Welt«, und auch als »Koloss« und »Reinkarnation von Franz Liszt« wurde er schon bezeichnet. In der letzten Spielzeit hat er gleich mehrere Debüts bei großen Orchestern gegeben, darunter das Los Angeles Philharmonic, die Münchner Philharmoniker und das Orchestre Métropolitain de Montréal unter Yannick NézetSéguin. Mit John Eliot Gardiner und dem Orchestre Philharmonique de Radio France hat er die beiden Klavierkonzerte von Brahms interpretiert, daneben gab er eine ganze Reihe von Rezitalen in Asien, mit Stationen in Seoul, Peking, Schanghai und Tokio.
Im vergangenen August stand er in Salzburg als Solist auf der großen Festspielbühne, und schon zuvor hat er bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris vor einem MillionenPublikum Ravels »Jeux d’eau« gespielt –was ironischerweise perfekt zum strömenden Regen und dem fließenden Wasser unter der SeineBrücke passte. Schon früh in seiner Laufbahn als international begehrter Künstler hat Alexandre Kantorow immer wieder Station in Hamburg gemacht. Nun ist er als ResidenzKünstler der Elbphilharmonie eine ganze Saison lang in mehreren Konzerten zu erleben.
Herr Kantorow, die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ist eines der größten Events weltweit. Wie haben Sie selbst diesen Moment erlebt?
Alexandre Kantorow: Das war verrückt! Vor allem hat es mich gefreut, dass ich bei der Auswahl des Stücks frei war und dass es keine Schnitte fürs Fernsehen gab. Ich konnte die klassische Musik also so zeigen, wie sie ist, weil nicht versucht wurde, sie vermeintlich cooler zu machen. Der Tag war aber auch aufregend und anstrengend. Ich musste sieben Stunden warten, bis ich auf die Brücke durfte. Es gab strenge Sicherheitsbestimmungen, außerdem einige Probleme mit dem Klavier durch den Regen. Gleichzeitig hat der Regen aber auch für eine besondere Atmosphäre gesorgt, weil alle ein bisschen enger zusammengerückt sind.
Ein Millionenpublikum hat diesen Auftritt im Fernsehen gesehen. Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie in einem Kammermusiksaal vor 800 Menschen spielen oder quasi vor der ganzen Welt?
Das war natürlich das größte Publikum, vor dem ich jemals gespielt habe. Und erstaunlicherweise war das gleichzeitig ein ganz intimer Moment für mich, weil ich auf der Brücke allein am Klavier gesessen habe. Unter mir sind die Schiffe auf der Seine gefahren, von oben kam der Regen, dazu Ravels »Jeux d’eau« – das war irgendwie magisch.
Ist es nicht schwierig, auf nassen Tasten zu spielen?
Stelle ich mir ziemlich rutschig vor … Morgens war ich noch etwas besorgt, weil die Wettervorhersage nicht gut war. Aber dann, hinter der Bühne, habe ich die Auftritte der Künstler vor mir gesehen. Dass ich ein Teil dieses großen Ganzen war, hat mich so beflügelt, dass all die kleinen Details, die sonst bei einem Konzert eine Rolle spielen, auf einmal viel weniger wichtig waren. Durch den besonderen Spirit an diesem Tag habe ich sogar weniger Druck gespürt als sonst bei einem Auftritt in einem Konzertsaal.
»Natürlich können große Hände helfen, bei Oktavgriffen oder kraftvollen Passagen.«
Johannes Brahms ist in Ihrem Repertoire – sowohl auf der Bühne als auch auf Platte – stark vertreten.
Ist er aktuell Ihr Lieblingskomponist?
Sein Zweites Klavierkonzert habe ich schon als sehr junger Mensch gehört, es zählt zu den Stücken, die einen großen Einfluss auf mich hatten. Brahms’ Musik ist für mich vor allem sinnlich, sie entwickelt sich ganz organisch. Einige seiner besten Werke basieren nur auf ein paar Noten, die er dann wiederholt, verändert, transformiert. Sie sind wie die Wurzeln eines Baumes, aus denen sich ganz natürlich das gewaltige Geflecht aus Ästen und Blättern entfaltet. Dann ist da noch seine emotionale Seite. Brahms ist ja eher introvertiert, gibt nicht alles von sich preis, die Emotionen sind meistens kontrolliert. Nur an wenigen Stellen gibt er diese Kontrolle auf und lässt sich emotional gehen.
Sie spielen in Hamburg auch zwei seiner Klavierquartette. Oft wird gesagt, dass diesem Komponisten die Kammermusik besonders am Herzen lag. Was verraten uns die Klavierquartette denn über Brahms? Sie zeigen uns, dass er die Kammermusik genauso ernst nahm wie die großen Sinfonien, dass er sie mit der gleichen Ambition und Tiefe komponiert hat. Dafür holt er das Maximum aus den Instrumenten heraus. In den Klavierquartetten erreicht er durch die Art und Weise, wie er die Akkorde einsetzt, oft einen massiven Klang, der ungewöhnlich voll ist für Kammermusik. Für mich ist seine Behandlung des Klaviers auch ziemlich einzigartig, weil er ihm so viele verschiedene Facetten entlockt. Mal spielt es die Begleitung und lässt die Streicher singen, dann gibt es ganz intime Momente oder sinfonische Ausbrüche mit vollgriffigen Akkorden. Diese kompositorische Vielseitigkeit macht Brahms’ Musik sehr fluide. Auch die Balance zwischen Klavier und Streichinstrumenten ist ihm beeindruckend gelungen, was bei Klavierquartetten nicht immer der Fall ist.
Ihr Debüt im Großen Saal der Elbphilharmonie haben Sie 2022 mit Teodor Currentzis gegeben, der ja für seine oft ganz besonderen Interpretationen bekannt ist. Was können wir nun für Brahms’ Klavierkonzert Nr. 2 von Ihnen beiden erwarten? Sie haben das Werk ja schon gemeinsam gespielt.
An Teodor Currentzis bewundere ich vor allem, wie viel Zeit er sich für die Musik nimmt. Oft gibt es vor Konzerten nur eine oder zwei Proben, aber er hat sich drei Tage Zeit genommen, um die richtige Balance zu finden. Er wollte, dass Klavier und Orchester wie ein Instrument klingen, in perfekter Harmonie schwingen. Außerdem wollte er einen anderen Klang, eben nicht den schweren, dunklen Klang, den wir von den alten Karajan oder FurtwänglerAufnahmen kennen. Ihm schwebte ein BrahmsSound vor, der frischer und klarer ist. Auch am Rhythmus haben wir viel gearbeitet, weil der Rhythmus für Brahms eine große Rolle spielt. Es gibt in seiner Musik
viele Tanzelement und Gesten, die nach vorne treiben.
Außerdem achtet Currentzis sorgfältig auf die Farbwechsel im Klavier. Dafür muss vor allem der Orchesterklang transparent sein, damit diese Farbwechsel überhaupt möglich sind.
Daniel Barenboim hat einmal gesagt, dass es auf dem Klavier überhaupt keine Farben gibt, dass der Pianist also die Illusion von Farben schaffen muss. Stimmen Sie zu?
Das ist die größte Herausforderung auf unserem Instrument. Wir haben keinen Bogen wie die Geiger, können kein Vibrato erzeugen. Wir können die Textur eines Tons nicht mehr verändern, sobald wir die Taste einmal gedrückt haben. Als hätten wir kleine Glocken, die langsam verklingen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, einen Ton auf dem Klavier zu verändern: wie wir ihn anschlagen und wie viel Zeit wir zwischen Noten lassen. Dazu kommt noch das Pedal. Der Rest ist Illusion, das Spiel mit leichten Betonungen zum Beispiel oder eine ganz leichte Verschiebung der beiden Hände gegeneinander. Das ist auch der Grund, warum wir auf dem Klavier mehr Zeit brauchen, um Farb und Stimmungswechsel zu erreichen. Ein Sänger oder Instrumentalist kann von einer Sekunde auf die andere die Farbe und den Ausdruck ändern, auf dem Klavier geht das nicht.
Bei Ihrer Hamburger Residenz spielen Sie beinahe ausschließlich Komponisten des 19. Jahrhunderts. Sind Sie ein Romantiker? Ich finde vor allem den Wechsel von der Klassik zur Romantik spannend. Im 18. Jahrhundert gab es einen tiefen Glauben an den Fortschritt der Menschlichkeit. Es gab nicht nur eine technologische, sondern auch eine gesellschaftliche Weiterentwicklung. Alles schien möglich. Im 19. Jahrhundert dann lernten die Menschen, dass sich diese Hoffnungen nicht alle erfüllt haben. Das hat zu einer Rückbesinnung auf Mythen und Legenden geführt, zu einem neuen Interesse am Okkulten, an all den fantasti
schen Dingen zwischen Himmel und Erde. Diese Rückbesinnung auf die Vergangenheit finden wir auch in der Musik, in der ersten Generation von Komponisten, die dezidiert zeitgenössische Künstler waren, sich aber gleichzeitig mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben, mit der Musik von Bach und Mozart. Ein zweiter Punkt ist, dass es für uns heutige Interpreten einen direkteren Zugang zu den Romantikern gibt – sie sind uns noch nicht so fern wie die Klassiker. Es gibt eine Art Leuchtturm, der uns den Weg weist, wie wir ihre Musik spielen sollen. Ich taste mich zwar langsam in die Vergangenheit vor, aber weil wir so wenige Informationen darüber haben, fällt es mir manchmal noch schwer, die Wahrheit in dieser Musik zu finden. Aber ich suche weiter, meine Reise in diese Richtung ist noch nicht zu Ende.
Sie wurden einmal als »wiedergeborener Liszt« bezeichnet, der für seine großen Hände bekannt war. Auf Fotos sehen auch Ihre Hände groß aus. Hilft das als Pianist?
Natürlich können große Hände helfen, bei Oktavgriffen oder kraftvollen Passagen, das ist offensichtlich. Auf der anderen Seite kann es mit großen Händen herausfordernd sein, innerhalb einer Phrase jeden Ton gleich und ausgeglichen zu spielen, weil die Länge der einzelnen Finger unterschiedlich sein kann. Ich habe zum Beispiel eher schlanke Hände, was es mir manchmal schwer macht, die richtige Balance für den Klang zu finden, der mir vorschwebt. Als Pianisten »kämpfen« wir auf unterschiedliche Weise mit unseren Händen und versuchen, die anatomischen Schwierigkeiten zu umgehen.
Liszt war auch ein Showman und Entertainer. Gilt das auch für Sie, oder sind Sie eher der introvertierte Typ?
Uff, sich selbst zu beschreiben, ist immer schwierig. Vermutlich bin ich eher introvertiert. Aber ich nutze die Musik und die Bühne, um mich zu öffnen. Wenn ich eine Zeit lang weniger spiele, bin ich ein bisschen verschlossener. ›
RESIDENZ ALEXANDRE KANTOROW
Mi, 30.10.2024 | 20 Uhr
Elbphilharmonie Großer Saal münchner Philharmoniker, Tugan sokhiev; Rachmaninow: Rhapsodie über ein Thema von Paganini; Rimski-Korsakow: scheherazade
So, 10.11.2024 | 20 Uhr
Elbphilharmonie Großer Saal
Rezital mit Werken von Brahms, Liszt, Bartók, Rachmaninow und J. s Bach
Fr, 10.1.2025 | 20 Uhr
Laeiszhalle Kleiner Saal daniel Lozakovich (Violine), Lawrence Power (Viola) Victor Julien-Laferrière (Cello) Brahms: Klavierquartette Nr. 1 und Nr. 2
Wenn ich dann wieder mehr auftrete, werde ich aber wieder offener. Zwischen diesen beiden Polen geht es hin und her. Liszt war übrigens nicht nur der Rockstar, als der er oft bezeichnet wird. In seinen späten Werken gibt es auch introvertierte, lyrische, ja fast einsame Seiten.
In Hamburg spielen Sie im Kleinen Saal der Laeiszhalle und im Großen Saal der Elbphilharmonie. Welchen Einfluss haben unterschiedliche Säle auf Ihr Klavierspiel?
Der Einfluss ist enorm. Jedes Mal, wenn ich in einem neuen Saal spiele, realisiere ich, dass ich Dinge anders machen muss. Mit der Zeit bekommt man aber eine ganz gute instinktive Vorstellung davon, wie man am besten reagiert. Wenn es zu viel Nachhall gibt, muss man sich zum Beispiel mehr Zeit lassen, damit auch alle Harmonien gehört werden. Wenn die Akustik zu trocken ist, braucht man vielleicht etwas mehr Pedal. Manchmal gibt es Dinge, die sich zu Hause auf dem Klavier total natürlich anfühlen, die in einem anderen Raum auf einem anderen Klavier so aber nicht funktionieren. Da hilft nur, offen für Veränderungen zu bleiben. Wenn man sich der Akustik eines Saals anpasst, kann das aber auch sehr inspirierend sein. Manchmal entdeckt man dann Möglichkeiten, an die man vorher gar nicht gedacht hat.
Mi, 9.4.2025 | 20 Uhr
Elbphilharmonie Großer Saal utopia, Teodor Currentzis Brahms: Klavierkonzert Nr. 2; mahler: sinfonie Nr. 4
Do, 26.6.2025 | 20 Uhr
Elbphilharmonie Großer Saal Orchestre métropolitain de montréal, Yannick Nézet-séguin saint-saëns: Klavierkonzert Nr. 2; Werke von Ravel, Assiginaak und Tschaikowsky
Für Pianisten ist es nicht nur jedes Mal ein anderer Saal, sondern auch ein anderes Instrument – es sei denn, man bringt wie Krystian Zimerman immer seinen eigenen Flügel mit … Wenn ich auf einem neuen Instrument meine Klangvorstellung nicht umsetzen kann, muss ich nach Lösungen suchen und neu über die Musik nachdenken. Auch wenn das nicht immer einfach ist. Ich kann also durchaus verstehen, dass einige meiner Kollegen zu Konzerten ihr eigenes Instrument und ihren eigenen Klavierstimmer mitbringen, denn auch der hat einen großen Einfluss auf den Klang. Gibt es die perfekte Kombination aus Raum und Instrument, sind das beglückende Momente, in denen ich mich als Interpret völlig frei fühle.
In den letzten Jahren ist Ihre Karriere richtig durch die Decke gegangen. Wie gehen Sie damit um? Ich nehme das selbst gar nicht so wahr, weil ich mich in einem musikalischen Umfeld kontinuierlich entwickeln konnte. Mein Vater ist selbst Musiker, und ich hatte das Glück, dass ich zur richtigen Zeit die richtigen Ratschläge bekommen habe. Erst nach dem TschaikowskyWettbewerb 2019 stand ich auf einmal im Scheinwerferlicht. Danach kam dann aber Covid und hat alles wieder entschleunigt. Diese Zeit habe ich genutzt, um an meinem Repertoire zu arbeiten. Das war wichtig, weil ich zwar für den Wettbewerb vorbereitet war, aber nicht auf das, was danach kam.
m EIN MUSIKVIDEO MIT ALEXANDRE KANTOROW IM FLÜGELLAGER DER ELBPHILHARMONIE FINDEN SIE UNTER: WWW.ELBPHILHARMONIE.DE/MEDIATHEK
ZEHN FINGER FÜR EIN ORCHESTER
Klavierbearbeitungen großer Werke sind längst eine eigene Kunstform. Und sie werfen eine Frage auf: Was ist in der Musik überhaupt ein Original?
VON HELMUT MAURÓ
Erstaunlicherweise erlebt die Klaviertranskription, also die Übertragung aller möglichen Musikwerke auf das Klavier, ausgerechnet im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit, während gleichzeitig der Geniekult wächst und Originalität als wichtigstes Kriterium gilt, um den Wert einer Komposition festzulegen. Johannes Brahms, der in seine Werke gerne historische Vorlagen einbaute, musste sich von den Wiener Orchestermusikern nachsagen lassen, er habe selber keine Einfälle. Es ist deshalb vielleicht nicht überraschend, dass es eher uneitle Komponisten wie Franz Liszt waren – wenngleich die Legende ein anderes Bild von ihm zeichnet –, die der Transkription zu hohem Ansehen verhalfen. Allerdings war hier der Ausgangspunkt ein pragmatischer. In den »Reisebriefen eines Baccalaureus der Tonkunst« erklärt Liszt, warum er Orchesterwerke für das Klavier umschrieb: »Im Umfang seiner sieben Oktaven
Komponisten und ihr Blick auf die Kollegen: Als Liszt – ein Enkelschüler Beethovens – dessen Sinfonien transkribierte, erfand er gleichsam eine eigene Gattung.
umschließt es den ganzen Umfang eines Orchesters, und die zehn Finger eines Menschen genügen, um die Harmonien wiederzugeben, welche durch den Verein von hunderten von Musicirenden hervorgebracht werden. Durch seine Vermittelung wird es möglich, Werke zu verbreiten, die sonst von den Meisten wegen der Schwierigkeit, ein Orchester zu versammeln, ungekannt bleiben würden. Es ist sonach der Orchesterkomposition das, was der Stahlstich der Malerei ist, welche er vervielfältigt und vermittelt: und entbehrt er doch auch der Farbe, so ist er doch im Stande, Licht und Schatten wiederzugeben.«
Seit mehr als einhundert Jahren gibt es Tonaufnahmen, und seit mehr als zweihundert Jahren kann man sich darauf verlassen, dass zumindest in größeren Städten üppig besetzte Sinfonieorchester zur Verfügung stehen, die das klassische Kernrepertoire regelmäßig präsentieren. Davor waren es vor allem Militärkapellen, die bekannte Werke etwa bei sonntäglichen Promenadenkonzerten zum Besten gaben. Dafür mussten die Orchesterwerke für Blaskapellen umgeschrieben werden, aus Geigenklang wurde Klarinettengeträller, aus Kontrabass die TubaHupe. Das war im Ergebnis nicht mehr ganz das Original, aber
»Dabei übersieht man, dass eine Transkription die Originalfassung nicht zerstört, also ein Verlust dieser durch jene nicht entsteht.«
FERRUCCIO
BUSONI
die Stücke waren doch deutlich erkennbar und, je nach Geschick des Arrangeurs, sogar ein neues erfreuliches Klangerlebnis.
Diese »Harmoniemusiken« entstanden bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und waren in den kommenden 150 Jahren beim aufstrebenden Bürgertum äußerst beliebt, denn außer diesen und dem häuslichen Klavier und Streichquartettspiel gab es jenseits teurer und seltener Opern und Konzertbesuche keine Möglichkeit, die großen Werke der Musik kennenzulernen. Auch Virtuosen jener Instrumente, für die es nur ein schmales Solorepertoire gibt, sind darauf angewiesen, sich fremder Instrumentalwerke zu bedienen.
DAS STUDIUM DER KOLLEGEN
Komponisten, die die Werke ihrer Kollegen und Vorgänger studieren wollten, mussten sich damit behelfen, deren Partituren auf dem Klavier so gut sie konnten nachzuspielen. Entweder aus der Orchesterpartitur oder aus Klavierauszügen, die viele Komponisten selbst anfertigten. Bereits Johann Sebastian Bach übertrug OrchesterConcerti seines Zeitgenossen Antonio Vivaldi auf die Orgel – diese Transkriptionen haben ganz selbstverständlich eine Nummer im BachWerkeVerzeichnis. Gleiches gilt für die minimalen Bearbeitungen von Händels Oratorien durch Wolfgang Amadé Mozart. Erst im neuen Werkverzeichnis von 2024 wurde ihnen die KöchelNummer entzogen.
Einige Komponisten waren so genialisch in ihren Klaviertranskriptionen, dass ihre Bearbeitungen als eigenständige Werke weiterlebten. Ende des 19. Jahrhunderts profilierte sich damit etwa der italienische Pianist, Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker Ferruccio Busoni, dessen bis heute gern gespielte BachBearbeitungen einen eigenen Klaviersound hervorbrachten. Vor allem die Klaviertranskription der Chaconne in dMoll des 5. Satzes aus der 2. Partita für Violine solo ist geradezu zum Ohrwurm geworden. Und zwar nicht nur in Busonis pompöser, vollgriffiger Fassung, sondern auch in dem Arrangement für die linke Hand allein von Johannes Brahms. An diesem Stück kann man sehr gut sehen, wo die Chancen und Grenzen einer Transkription liegen.
Vom ersten Anstoß dazu, als Robert Schumann zur Geigenpartita eine Klavierbegleitung schrieb, bis zur vollständigen klanglichen Verfremdung in Busonis
Prachtfassung oder auch neueren Varianten etwa für Streichquartett zeigt sich die ganze Bandbreite und Problematik durchdacht virtuoser oder eher handwerklich gediegener Bearbeitungen. Wie tief ziehen sie den Hörer hinein ins Original, wie weit führen sie ihn weg? Wo ist der Punkt, an dem sich die Neufassung zu einem eigenen Werk verselbstständigt? Was ist dabei gewonnen, was verloren?
Diese Fragen stellen sich selbst dort, wo der umgekehrte Weg beschritten wird, wo ein bescheidener Klaviersatz zum massigen Orchesterwerk aufgeblasen wird. Auch dafür bediente man sich gerne der Werke Johann Sebastian Bachs. Die Komponisten schätzten dessen Geniestreiche schon immer, aber im wachsenden Historismus des 19. Jahrhunderts wuchs das Bedürfnis, Bach einen gebührenden Platz auch im aktuellen Konzertleben einzuräumen. Transkriptionen für Orgel und Orchester waren kein Sakrileg, von Max Reger und anderen gibt es eindrucksvolle Beispiele. Der Dirigent Leopold Stokowski lieferte gewaltige Sinfonien der Orchestermacht, transkribierte Bachs ohnehin ohrwurmige dMollToccata und Fuge für Orgel zu einer StadionKlassikVersion, die heute eher wie eine Karikatur wirkt in dem Bemühen, das große Werk – dessen Autorschaft mitunter angezweifelt wurde – noch größer zu machen.
KLANGFARBEN UND FINESSEN
Anders Franz Liszt, der die Transkription kunstvoll auf die Spitze trieb und gleichsam als eigene Gattung erfunden hat. Ein Fixstern war dabei Beethoven. Der hat nicht nur die sinfonische Orchestermusik formal und inhaltlich nahezu neu erfunden, sondern auch im Bereich der Klaviermusik bis zuletzt für große Aufregung gesorgt –beim irritierten Publikum, aber ebenso bei verzweifelnden Pianisten, die den technischen Anforderungen Beethovens oft nicht gewachsen waren. Für Liszt dagegen, Enkelschüler Beethovens, konnte es gar nicht schwierig genug sein. Das gilt zum Teil auch für seine Übertragungen sämtlicher BeethovenSinfonien auf das Klavier. Anders als etwa die gängigen Klavierauszüge der großen Opern der Zeit, entwickelte Liszt die Klavierbearbeitung zu einer eigenen Kunstform, in der soweit als möglich die Klangfarben und Finessen der ursprünglichen Orchesterfassung in kreativer Weise auf das Klavier übertragen werden sollten. In der Summe ging es darum, die Idee, den Geist des Werkes auch in der Klavierfassung zu bewahren.
Ferruccio Busoni verteidigt das Prinzip der Transkription vehement, nachdem er offenbar mehrfach in sehr kritischer Weise darauf angesprochen wurde. Nach den teils extremen musikalischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts einschließlich eines aufblühenden Historismus wuchs allmählich eine Gegenbewegung mit dem Drang zum einzigartigen, unverfälschten Original. Busoni hält dagegen: »Jede Notation ist schon Transkription eines abstrakten Einfalls. Mit dem Augenblick, da die Feder sich seiner bemächtigt, verliert der Gedanke seine
Originalgestalt.« Und er verteidigt ganz grundlegend Umschreibungen eines Originals gegen das »Aufhebens«, das von ihnen gemacht werde: »Dabei übersieht man, dass eine Transkription die Originalfassung nicht zerstört, also ein Verlust dieser durch jene nicht entsteht.«
Was die Praxis der Komponisten anbelangt, geht Busoni noch weiter: »Im übrigen muten die meisten Klavierkompositionen Beethovens wie Transkriptionen vom Orchester an, die meisten Schumannschen Orchesterwerke wie Übertragungen vom Klavier – und sind’s in gewisser Weise auch.« Ein wirkliches Kunstwerk, glaubt Busoni, ist unverwüstlich – weil sein Wesen ein immaterielles ist: »Denn das musikalische Kunstwerk steht, vor seinem Ertönen und nachdem es vorübergeklungen, ganz und unversehrt da. Es ist zugleich in und außer der Zeit, und sein Wesen ist es, das uns eine greifbare Vorstellung des sonst ungreifbaren Begriffes von der Idealität der Zeit geben kann.«
Hier überhöht Busoni die zunächst eher praktischen Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen einer
Transkription in rein philosophische Überlegung, lässt die entscheidende Frage aber offen: Ist ein musikalisches Kunstwerk unabhängig von seiner akustischen Erscheinung existent? Gibt es Beethovens Fünfte auch dann, wenn sie nie jemand gehört hat, wenn sie nie erklungen ist? Anders als in der Bildenden Kunst ist der materielle Bezug ja ein eher indirekter, und Busoni negiert ihn nahezu vollständig.
WAS IST EIN ORIGINAL?
Es sind solche grundsätzlichen Fragen und solche der ästhetischen Kategorien, die den Diskussionen darüber, wie nah oder fern eine Transkription dem Original steht, bis heute argumentative Nahrung geben. Wie schon bei Busoni führen sie allerdings schnell zu der Frage: Was ist ein Original in der Musik? Die Idee, wie es Busoni behauptet, die Partitur – erster oder letzter Hand? –, oder doch erst die Aufführung, die allerdings jedes Mal ein bisschen anders ausfällt? Und das ist noch nicht das Ende der Überlegung, denn wenn der Sinn eines Kunstwerkes dessen Wirkung ist, dann käme es ja darauf an, dass ›
Ferrucio Busonis genialische Bach-Bearbeitungen haben einen eigenen Klaviersound hervorgebracht.
diese bei jedem Hörer gleich ausfällt. Was erfahrungsgemäß unmöglich ist. Man müsste also eine zentrale Kategorie des Originals streichen: dessen Einzigartigkeit. Vielleicht ist es für den musikalischen Hausgebrauch hilfreicher, sich auf die Überlegungen zu Idee und Wirkung zu beschränken. Auch hierbei ist Franz Liszt, dem man bestimmt nicht mangelnde Reflexion über sein Tun nachsagen kann, ein Fixstern des philosophischen Pragmatismus. Denn wie er all diese Überlegungen mit seiner handwerklichen Virtuosität, pianistisch und kompositorisch, überspielt, wie er dabei Idee und Wirkung zusammenzwingt, das hat die meisten Hörer schon zu seinen Lebzeiten nicht nur überzeugt, sondern geradezu erschüttert. Manchmal wird man von Liszts Transkriptionskunst so sehr überwältigt, dass man jenseits der oberflächlichen Klangwirkung gar nicht mehr so sicher ist, welche Version nun die größere Kunstwirkung entfaltet. Kann das wirklich sein?
Auch Mozart hat sich dem bewunderten Händel durch Bearbeitungen angenähert.
PIANOMANIA: TRANSKRIPTIONEN
Elbphilharmonie Kleiner Saal
Mo, 7.10.2024 | 19:30 Uhr mariam Batsashvili (Klavier) Werke und Bearbeitungen von Händel/Liszt, Bellini/Thalberg, Bach/Busoni, mozart/Liszt u. a.
Sa, 18.1.2025 | 19:30 Uhr
Vadym Kholodenko (Klavier) mozart: Requiem KV 626 (Bearbeitung von Karl Klindworth); Liszt: Épisode de la vie d’un artiste, grande symphonie fantastique par Hector Berlioz
Sa, 1.3.2025 | 19:30 Uhr
Anna Geniushene (Klavier) Händel: Chaconne HWV 435 (Bearbeitung von eugen d’Albert);
Brahms/Busoni: sechs Choralvorspiele (Auswahl); Kreisler/Rachmaninow: Liebesleid, Liebesfreud; Liszt: Transkriptionen aus VerdiOpern; strawinsky: L’oiseau de feu (Bearbeitung von Guido Agosti)
Mi, 30.4.2025 | 19:30 Uhr
Geister duo: david salmon & manuel Vieillard (Klaviere) strawinsky: Petruschka (Fassung für Klavier zu vier Händen); dukas: der Zauberlehrling (Fassung für zwei Klaviere); debussy/Ravel: Trois Nocturnes für zwei Klaviere (Auswahl); Ravel: Boléro (Fassung für zwei Klaviere)
KONZERTERLEBNISSE
à la Jacob in der Elbphilharmonie
Freuen Sie sich auf einzigartige Konzert-Pakete der Saison 2024/2025 in der Elbphilharmonie! Das erwartet Sie:
Zwei Übernachtungen inklusive Frühstück im Louis C. Jacob Transfer zum CARLS an der Elbphilharmonie Dinner im CARLS an der Elbphilharmonie inklusive Aperitif, begleitende Weine und Wasser Karte der PK 1 für ein ausgewähltes Konzert in der Elbphilharmonie Rückfahrt zum Hotel mit der MS Jacob bei Käse und Wein
Sichern Sie sich jetzt die besten Plätze! Sie finden all unsere Elbphilharmonie-Pakete auf unserer Website.
hotel-jacob.de
HOHEPRIESTERIN DER FREUDE
Die Schlagzeugerin Allison Miller spielt mit dem Lux Quartet im Geiste einer uralten Utopie des Jazz.
VON TOM R. SCHULZ
Allison Miller ist eine gesegnete Schlagzeugerin. Sie ist dem Ruf der Trommel von klein auf gefolgt, unbeirrbar und allem Anschein nach überwiegend fröhlich. Sie wollte nie etwas anderes werden als Drummerin, wurde dabei klug und zurückhaltend von ihrer Familie unterstützt und erwies sich selbst als hinreichend zäh gegenüber den Widrigkeiten, die der Topos »Jazz und Frau« mit sich bringt, sobald die beiden Wörter einmal nicht männliche Projektionen beflügeln, sondern die Frau selbst zum Subjekt des Jazz wird, und dann noch am Schlagzeug.
Miller liefert den Bands, in denen sie spielt, ein aus cleveren, anstrengungslos fließenden Grooves gewebtes, funkelndes und sehr belastbares Netz, auf dem die Kolleginnen und Kollegen ihr eigenes improvisatorisches Gewicht nach Belieben zum Tanzen bringen können. Ihre Geschichte und ihr SoSein in der Männerwelt des Jazz belebt aber auch den Puls der gegenwärtigen Geschlechterdebatten. Fangen wir deshalb bei Adam und Eva an und bei der unseligen Spaltung der postparadiesischen menschlichen Herrschaftsgeschichte in Matriarchat und Patriarchat.
Im Garten Eden gab es, wie man hört, von allem reichlich, aber es sind zu wenige Details aus dem Paradies überliefert, als dass man wüsste, ob sich das erste Paar der Menschheit die Zeit süßen Nichtstuns bisweilen auch mit Trommeln vertrieb. Nach männlichem Selbstverständnis aber besteht kein Zweifel: Hätte es im Paradies eine UrTrommel gegeben, geschlagen hätte sie Adam, nicht Eva. Zumindest wäre es kaum einem Maler vergangener Jahrhunderte eingefallen, dieses archaische Instrument in den Händen der Frau zu imaginieren. Vielleicht hätte er sie zu Adams PrimalBeats tanzend gezeigt. Aber dass sie selbst solche Beats produziert, das war von den Herren der Schöpfung nicht vorgesehen. Und das ist es, seien wir ehrlich, in History vielfach bis heute nicht.
Her story geht freilich anders. Die großartige Rahmentrommlerin Layne Redmond aus den USA erzählt in ihrem musikfeministischen Standardwerk »When the Drummers Were Women« (1997) davon, wie die in der Hand gehaltene und mal mit den Händen, mal mit einem Schlägel gespielte Rahmentrommel in vorchristlichen Kulturen von Frauen gespielt wurde, und zwar nur von Frauen –Priesterinnen, Schamaninnen, Heilerinnen. Mirjam, die Schwester des Mose, führte damit den Freudentanz nach der gelungenen Flucht aus Ägypten an. Dass auch Männer sich dem warmen Klang der Trommel gern anvertrauten, wenn Frauenhände sie bearbeiteten, ist überaus plausibel. Tief drinnen ist ein Trommelschlag nichts anderes als eine Veräußerlichung des Herzschlags. Und den hören männliche wie weibliche Föten allein im Leib ihrer Mutter. Die Urerfahrung des Rhythmus ist weiblich. ›
»Mirjam«: Ölgemälde von Anselm Feuerbach (1862)
»Mirjams Tanz«: Miniatur aus dem Tomi´c-Psalter (Bulgarien, um 1360)
Allison Miller kann bestimmt auch auf der Rahmentrommel feine Rhythmen und Klänge zaubern, spielt aber in aller Regel ein klassisches JazzDrumset. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert, wo der Anblick einer Frau mit Trommelstöcken hinter dem, was derbere Männer gern Schießbude nennen, zwar immer noch die Ausnahme ist, aber nicht mehr ganz so selten wie noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Bei Miller trifft der Begriff Schlagzeug spielen den Sachverhalt präzis, denn diese Schlagzeugerin spielt ihr Instrument wirklich. Nichts an dem, was sie tut, sieht nach Arbeit aus. Typisch für Frauen in Männerberufen. Sie müssen besser sein als ein Kerl, dürfen das aber um Gottes willen keinen Mann merken lassen. Allison Miller, diese kleine Person mit dem KrautundRübenHaarschnitt des ewigen Punks, trommelt anscheinend in paradiesischer Selbstvergessenheit und doch mit allen Finessen. Sie verbreitet immer Freude, wie komplex und verwickelt auch sein mag, was sie gerade mit ihren vier voneinander beneidenswert unabhängigen Extremitäten spielt.
Wer genau hinsieht, bemerkt ihre etwas altmodische Handhaltung. Links steckt der Trommelstock nicht in gerader Verlängerung des Unterarms in der Faust, sondern er liegt quer, sodass die Sticks links und rechts beim
Diese Schlagzeugerin spielt ihr Instrument wirklich. Nichts an dem, was sie tut, sieht nach Arbeit aus.
Wirbel nicht parallel aufs Fell treffen. Diese Haltung verrät alte Militärtrommler und JazzerSchule à la Gene Krupa oder Buddy Rich. Gelernt hat Allison Miller bei Walter Salb in Washington, einem der zahllosen ebenso unbekannten wie bedeutenden Lehrer, die ihr Können und Wissen weitergeben, ohne selbst je eine nennenswerte Bühnenkarriere gehabt zu haben.
Zwei Jahre lang übte Miller auf elterliches Geheiß zu Hause nur auf einem mit Kunststoff überzogenen Pad, was ungefähr so erregend klingt, als würde man auf einen Sack Reis hauen, nur dass die Sticks vom Pad besser retournieren. Miller blieb dran und wurde bald so gut, dass das freudlose ÜbeSet einem richtigen Schlagzeug wich. Das Idol ihrer Jugend hieß Tony Williams, Drummer des Miles Davis Quintets aus den Sechzigerjahren. Williams
Ihre
Musik changiert lässig zwischen feinsinnig und ekstatisch, bleibt stets inspiriert und voller Überraschungen.
war ein Genie am Schlagzeug, intensiv, unergründlich tief und dabei die Musik auf mächtigen Schwingen vor sich her treibend. Ein Erzengel des Jazz.
Allison Miller erzählt in einem Video, sie stamme aus Texas, vielleicht möge sie deshalb Cowboyhemden und Cowboyboots. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Washington D.C. auf einem Bauernhof, wo sie morgens vor der Schule die Ziegen gemolken hat. Sie kleidet sich in einem Stil, den die feministische Szene in den USA dapperQ nennt, wobei das Q für queer steht. Gerade Schnitte, funktional, eher maskuline Anmutung. In einer Geschichte für die Huffington Post hat Miller vor Jahren einmal aufgeschrieben, wie seltsam sie sich in ihren Anfangszeiten als lesbische Schlagzeugerin gefühlt hat. Wie sie jahrelang immer vorne dabei war beim sexistischen Sprücheklopfen mit den Jungs im Tourbus, bis sich all diese kleinen, fiesen Selbstverleugnungsmomente so vor ihr auftürmten, dass sie eines Tages ihre Frau stand und dagegenhielt. Und überrascht war, wie positiv viele ihrer Mitspieler das aufnahmen. Und wie jene, bei denen es nicht so war, sie einfach aus ihrem Adressbuch aussortierten.
Heute lebt Allison Miller das freie, komplizierte Leben einer bekennenden Feministin, die hauptberuflich überall auf der Welt Jazz spielt, die komponiert, unterrichtet, Aufnahmen anderer produziert und dazu noch zwei Kinder großzieht, allein, nachdem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Wenn man sich ihre Lebensumstände vergegenwärtigt und die Aufgeräumtheit, mit der sie sich darin eingerichtet hat, ist man geneigt zu glauben, dass es gesellschaftlich in den letzten 25 Jahren doch ein bisschen vorangegangen ist.
Der Titel des Debütalbums jener Band, mit der Allison Miller in der Elbphilharmonie im Rahmen des JazzschlagzeugSchwerpunkts gastiert, lautet »Tomorrowland«. Es ist eine Verheißung, dieses MorgenLand: Zwei Frauen, die Bandleaderinnen Allison Miller und die Pianistin Myra Melford, spielen im Lux Quartet in der Stammbesetzung mit zwei Männern, dem Bassisten Scott Colley und dem Saxofonisten Dayna Stephens. Gemeinsam fabrizieren sie eine großartig und lässig zwischen Verabredung und Spontaneität changierende Musik. Inside und OutsideSpiel, wie die Jazzer das nennen, halten sich bei ihnen die Waage. Das OutsideSpiel ist nie beliebig oder gar kakophon, sondern alles zwischen feinsinnig und ekstatisch. Die Ohren der vier Beteiligten spielen immer mit. Auch
dasInsideSpiel bleibt unkonventionell, inspiriert und voller Überraschungen. Alle vier komponieren. Man kann diese energiegeladene, dabei entspannte und beseelte Musik als aktuellen Kommentar zu jener Utopie hören, für die der Jazz sich immer stark gemacht hat: Gleichgewicht unter den Erdbewohnern, Respekt für alle. Der Jazz des Lux Quartet ist der gelebte Traum von einer Welt, in der Hautfarbe und sexuelle Orientierung der Menschen keine Rolle mehr spielen, weil niemand ihretwegen mehr Repressalien ausgesetzt ist; in der Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern herrscht und sich die Generationen untereinander auf Augenhöhe begegnen; in der Dissonanz über lange Zeit auch in ihrer Unaufgelöstheit gefeiert wird und Freiheit immer die des anders Spielenden ist; in der schließlich die Unwiederholbarkeit des Augenblicks zum Altar wird, auf dem für den Moment des Beisammenseins das Ego der beteiligten schöpferischen Individuen einverständig in kollektiven, süßen Rauch aufgeht.
m MEHR ZU DEN JAZZ-PROJEKTEN IN DER ELBPHILHARMONIE FINDEN SIE UNTER: WWW.ELBPHILHARMONIE.DE/MEDIATHEK
NATÜRLICH KOSMOPOLITISCH
Souad Massi ist das weibliche Gesicht des modernen arabischen Chansons.
VON STEFAN FRANZEN
Was verbinden wir in Europa mit dem Begriff »arabisches Lied«? Sicherlich denken viele von uns, die ein Faible für orientalische Töne haben, zunächst an die einmalige Gesangskunst der Ägypterin Oum Kalthoum (1904–1975). Über Jahrzehnte hinweg holte sie allabendlich Millionen von Hörern vor die Radiogeräte. Eine Stunde lang konnte so ein »Lied« dauern, in dem Kalthoum in reichen Metaphern über die (meist vergebliche oder gescheiterte) Liebe sang, begleitet von opulenten, melismatischen Orchesterklängen, für die der Produzent Mohamed Abdel Wahab verantwortlich zeichnete.
Oder wir denken an die Libanesin Fairuz (geb. 1934), die noch vor dem Bürgerkrieg in den 1960ern das glamouröse Bild von Beirut als »Paris des Nahen Ostens« kulturell mitprägte. Die syrischorthodoxe Christin öffnete mit ihrem Komponisten und ProduzentenDuo, den Gebrüdern Rahbani, die arabische Liedkunst für Einflüsse aus dem Westen. Man entwarf eine Vielzahl von teils gesellschaftskritischen Musicals, spielte mit der Befruchtung durch Folklore, Latin und auch durch Jazz.
Später dann beherrschte der wilde, ungestüme Raï aus Algerien das Bild der arabischen Musik in unseren Breiten, dominiert von den »Chebs«, den »Kerlen« wie Khaled und Mami. Und dann, Ende der Neunzigerjahre, kam plötzlich Souad Massi, und mit ihr erstand das arabische Lied neu, bekam aber ein ganz anderes Gesicht. Eines, das weltoffen mit französischem Chanson und angloamerikanischem Folk turtelte, das sich an FlamencoRhythmen aus Andalusien und der Rumba aus Zentralafrika interessiert zeigte. Neu war auch die Art der Texte, die den Gefühlsschattierungen einer weiblichen Seele viel Platz einräumen, wo zuvor oft HerzschmerzSchablonen oder Romantizismen an der Tagesordnung waren.
»In einem meiner Lieder vergleiche ich Algerien mit einer schönen Frau, die gefesselt ist und der niemand zuhört«, sagt Souad Massi. Es ist eine Erfahrung, die sie selbst kennt. 1972 in Bab ElOued, einem Arbeitervorort von Algier, in eine arme Familie mit sechs Geschwistern
geboren, wächst sie mit dem heimischen Chaâbi, einer Popmusik mit berberischen und arabischen Einflüssen, ebenso auf wie mit der Rockmusik des Westens. Gleichzeitig ist sie fasziniert vom Flamenco. Sie wird Algeriens erste HeavyMetalSängerin – und damit fangen die Probleme in der von Fundamentalisten unterwanderten Gesellschaft an. Massi erhält Morddrohungen am Telefon, die Proben der Band werden wegen der Ausgangssperre während des Bürgerkrieges, der 1991 ausbricht, unmöglich. Es schließen sich frustrierende Jahre als Stadtplanerin an. Erst eine Einladung aus Paris, zum Festival »Femmes d’Algérie«, bringt sie 1999 zurück zur Musik.
Heute ist Souad Massi, deren Vorfahren den kabylischen Berbern aus dem nordalgerischen Teil des AtlasGebirges angehörten, eine der wichtigsten Interpretinnen des modernen arabischen Liedes. Im französischen Exil hat sie sich schon mit ihren frühen Alben »Raoui« und »Deb« Anfang des Jahrtausends eine eigene Nische in diesem Genre geschaffen. Denn da sind kaum je üppige Streichorchester oder arabeske Ornamente zu hören. Sie mischt vielmehr den so geliebten Flamenco, ebenso Chanson und Folk in ihre Klangsprache. Daneben finden sich Töne aus der süffigsüßen kapverdischen Morna und der kongolesischen Rumba. Früh schon arbeitet Massi mit dem Starproduzenten Jean Lamoot, der auch in Diensten von Frankreichs RockHelden Noir Désir stand, singt im Duett mit dem Chansonnier Francis Cabrel und der PopIkone Paul Weller.
Das FolkFlair bringt ihr Vergleiche mit Joan Baez und Tracy Chapman ein, doch ihre Stimme ist sanfter, melancholischer; ihre Texte, die sie auf Arabisch, Kabylisch und Französisch vorträgt, sind selten offen politisch. Vielmehr erzählt sie Familiengeschichte(n) vor dem Hintergrund von Exil und Entwurzelung und gibt so einen Einblick in die Umbrüche der Welt aus ihrer selbst erlebten Perspektive. Etwa wenn sie vom Schicksal einer entwurzelten Algerierin im Großstadtgetriebe der Fremde singt, wie in ihrem wunderbar traurigen Lied »Yemma«.
Massis Stimme ist gereift, was ihren Liedern noch mehr
Tiefe verleiht – und eine bezwingende Souveränität.
Oder von der wehmütigen Erinnerung an das Haus ihres Großvaters in »Dar Dgedi«.
Doch Massi blickt auch in die arabische Historie und vertont Jahrhunderte alte Lyrik von Poeten und Poetinnen. »Ich war so genervt davon, welche Bilder mit der arabischen Kultur assoziiert werden«, sagte sie zur Veröffentlichung ihres Albums »El Mutakallimun« 2015. »Wir werden heute wie Tiere porträtiert, dabei waren es meine Vorfahren, die die Medizin erfunden haben.« In der alten Poesie entdeckte sie einen Gegenentwurf zum omnipräsenten Hautgout von Terror und Extremismus, wie er in den Medien seit 9/11 vorherrscht. »Als ich diese Lyrik las, wurde ich in einem Überfluss von Schönheit gebadet.« Ihre Vertonungen der tausend Jahre alten Gedichte von Al Mutanabbi und anderen Lyrikern des alten arabischen Weltreiches gehen direkt ins Herz.
Mit ihrem nächsten Album »Oumniya« (2019) überrascht Souad Massi erneut: Politischer denn je zuvor greift sie die Oligarchie Algeriens an, die das Land kaputt gemacht hat, und sie ergreift das Wort gegen die immer noch gängige Praxis der Zwangsverheiratung.
Auf ihrer bislang letzten und zehnten Arbeit, »Sequana« (2022), bleibt sie sich nach wie vor treu in der Vermählung arabischer Farben mit ChansonFlair und folkiger Gitarre. Dieses Mal ist aber auch ein Hauch Bossa Nova dabei und sogar ein Tupfer Hardrock. Massis Stimme ist gereift, was ihren melancholischen Liedern noch mehr Tiefe verleiht, den kraftvollen dagegen eine bezwingende Souveränität.
Mit Gänseblümchen verschließt sie auf dem Cover von »Sequana« ihre Augen. In einer Zeit des blanken Hasses zwischen den Völkern und einem Erstarken von Diktatoren und rechtsextremen Parteien mag das zunächst wie Weltflucht aussehen. Doch da wäre man auf dem Holzweg: »Meine aktuellen Lieder handeln von menschlichen Beziehungen, vom Unbehagen der heutigen Jugend und der Orientierungslosigkeit bis hin zu den Gefahren totalitärer Regime, die Menschen dazu bringen, schreckliche Risiken einzugehen, um aus ihrem Land zu fliehen«, sagt Massi.
»Dessinemoi un pays« ist ihre Widmung an das vom Westen im Stich gelassene afghanische Volk; die Bilder von den Menschen, die sich an Flugzeuge klammern, hatte sie dabei vor Augen. Im Titelstück schweift sie zurück zur Sage von der gallorömischen Flussgöttin Sequana, die die heilende Wirkung des Wassers verkörpert – was man bei Massi durchaus allegorisch verstehen darf. In anderen Stücken ergreift sie Partei für die Jugend, die im digitalen
Alltag zweifelhaften Vorbildern folgt. Und im tänzerischen »Une seule étoile« mahnt sie etwas an, was uns verloren gegangen scheint: Demut gegenüber der Natur, Güte gegenüber dem Nächsten. Schließlich ist eines der neuen Lieder auch einem unerschrockenen Kollegen und Kämpfer für die Freiheit gewidmet, dem vor mehr als 50 Jahren ermordeten chilenischen Volkssänger Víctor Jara.
Eine SingerSongwriterin ohne Allüren, wie sie kein Marketingschachzug kreieren könnte: Auf der Bühne ist es Souad Massis entwaffnende Natürlichkeit, die das Publikum in Bann zieht. Dann kann es sein, dass sogar Tränen fließen, auf beiden Seiten. In ihrer Stimme, die sie in ein Sextett rund um ihren langjährigen Begleiter, den Perkussionisten Rabah Khalfa, bettet, wohnt neben dem Zauber der immer präsenten Wehmut auch die Kraft, Wunden zu heilen. Oder, um es mit dem Motto zu sagen, das Souad Massi ihrem aktuellen Programm eingeschrieben hat: »Dein Leben ist eine Rose. Gieße sie und vergiss ihre Dornen.«
SOUAD MASSI
Fr, 14.3.2025 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal souad massi (Gesang, Gitarre), mokrane Adlani (Violine), malik Kerrouche (Gitarre), Guy Nsangue (Bass), Rabah Khalfa (darbuka), maamoun dehane (schlagzeug) »sequana«
DAS
ELBPHILHARMONIE MAGAZIN
Nutzen Sie die Vorteile eines Abonnements und lassen Sie sich die nächsten Ausgaben direkt nach Hause liefern. Oder verschenken Sie das Magazin-Abo.
3 Ausgaben zum Preis von € 15 (Ausland € 22,50) Preis inklusive mwst. und Versand
Unter-28-Jahre-Abo: 3 Ausgaben zum Preis von € 10 (bitte Altersnachweis beifügen)
Jetzt Fan der elbphilharmonie Facebook-Community werden: www.fb.com / elbphilharmonie.hamburg
Oder nutzen Sie eine der folgenden Alternativen: Tel: +49 40 386 666 343, Fax: +49 40 386 666 299 e-mail: leserservice@elbphilharmonie.de Internet: www.elbphilharmonie.de
Für wen ist das Abonnement?
Für mich selbst ein Geschenk
Rechnungsanschrift:
Das Abo soll starten mit der aktuellen Ausgabe der nächsten Ausgabe Name Vorname
Zusatz
straße / Nr. PLZ
Land
e-mail (erforderlich, wenn Rechnung per e-mail) Name
mit der Zusendung meiner Rechnung per e-mail bin ich einverstanden.
Hamburgmusik gGmbH darf mich per e-mail über aktuelle Veranstaltungen informieren.
Ggf.
abweichende
Lieferadresse
(z. B. bei Geschenk-Abo):
Zusatz
straße / Nr.
Jederzeit kündigen nach Mindestfrist: ein Geschenk-Abonnement endet automatisch nach 3 Ausgaben, ansonsten verlängert sich das Abonnement um weitere 3 Ausgaben, kann aber nach dem Bezug der ersten 3 Ausgaben jederzeit ohne einhaltung einer Kündigungsfrist zum ende der verlängerten Laufzeit gekündigt werden.
Widerrufsrecht: die Bestellung kann innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax oder e-mail) oder telefonisch widerrufen werden. die Frist beginnt ab erhalt des ersten Hefts. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs (datum des Poststempels) an: elbphilharmonie magazin Leserservice, Pressup GmbH, Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg
Elbphilharmonie Magazin ist eine Publikation der HamburgMusik gGmbH
Platz der Deutschen Einheit 4, 20457 Hamburg, Deutschland
Geschäftsführer: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant
Zahlungsweise:
Bequem per Bankeinzug Gegen Rechnung
Kontoinhaber
BIC (bitte unbedingt bei Zahlungen aus dem Ausland angeben) Geldinstitut
SEPA-Lastschriftmandat: Ich ermächtige die Hamburgmusik gGmbH bzw. deren beauftragte Abo-Verwaltung, die Pressup GmbH, Gläubiger-Identifikationsnummer de32ZZZ00000516888, Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von der Hamburgmusik gGmbH bzw. deren beauftragter Abo-Verwaltung, die Pressup GmbH, auf mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. die mandatsreferenz wird mir separat mitgeteilt.
Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die erstattung des belasteten Betrages verlangen. es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. die einzugsermächtigung erlischt automatisch mit Ablauf des Abonnements.
SINN-
Eine Frage,
sieben
Antworten: »Ist Musik bloßes Spiel oder existenzieller Ernst?«
VON IVANA RAJIC ˇ
SEAN SHIBE
Relevanz schaffen – das ist das Ziel, mit dem Sean Shibe die Bühne betritt. Der schottische Gitarrist fühlt sich in der Verantwortung, der Musik, die er spielt, durch seine durchdachten Programme einen Kontext zu geben und künstlerisch auf seine Gegenwart zu reagieren. »Ich genieße musikalische Momente, die eine tiefere Ebene haben und so erschütternd spirituell wie möglich sind«, offenbart Shibe, der nach seinem letztjährigen ElbphilharmonieDebüt als »Rising Star« im April mit einem neuen, genresprengenden Programm zurückkehrt. »Das kann auch Spaß machen, aber eigentlich steckt eine wichtige menschliche Erfahrung dahinter, die es für mich zu vermitteln gilt.« Beliebte Klassiker möchte er nicht einfach nur spielen, sondern »so behandeln, als würden wir sie zum ersten Mal hören, sodass sie sich uns neu offenbaren können«. Dafür greift er mal zur akustischen, mal zur elektrischen Gitarre, lässt alte Stücke auf brandneue treffen, macht eigene Arrangements und gibt neue Werke in Auftrag.
FLO
»Musik war nie ein Spiel für mich«, betont Floriana Cangiano, kurz FLO, eine der vielseitigsten Musikerinnen Italiens. »Mit 14 Jahren habe ich angefangen, auf Hochzeiten zu singen. Ich erhielt jedes Mal 100.000 Lire« – wovon die Neapolitanerin damals ohne Unterstützung ihrer Familie lebte. Nach Gesangsstudium und diversen Theaterproduktionen brachte sie 2014 ihr erstes Album heraus, das gleich mit einem wichtigen italienischen Weltmusikpreis ausgezeichnet wurde. »Keiner in meiner Familie hatte das erreicht, was ich erreicht hatte«, erklärt die Sängerin, »und das alles dank der Musik.« Ihr quirliger Mix aus Canzone und Chanson, Pop und Latin, Jazz und Folk, den sie vor Kurzem beim Festival »Viva Napoli« in der Elbphilharmonie präsentierte, ist für sie heute »ein Ort für Träume und Wunder. Die Bühne ist der Zauber, um das Leben für einen Moment zu verlassen. Viele Künstler sagen, dass sie nur auf der Bühne ganz sie selbst sind. Bei mir ist das anders. Auf der Bühne bin ich so, wie ich gerne sein würde.«
SUCHE
SÀO SOULEZ LARIVIÈRE
Der französischniederländische Bratschist betrachtet das Musizieren als einen »Raum, in dem man die Tiefen unserer Existenz erkunden und inmitten des Unbekannten einen Sinn finden kann« –denn: »Musik ist seit den Anfängen der Zivilisation ein Teil von uns.« In der griechischen Antike etwa glaubte man, dass die Musik göttlichen Ursprungs sei. Ihre Mythen berichten vom lyraspielenden Apollo, der den musikalischen Wettstreit gegen den Hirtengott Pan gewann, und von seinem Sohn Orpheus, der mit seinem Gesang sogar die dunklen Mächte der Unterwelt erweichte. Damals als bereichernde Gabe an die Menschen betrachtet, dient die Musik für Larivière bis heute als »Mittel zum Erzählen von Geschichten, für Rituale und zum Ausdruck von Gefühlen« – unabhängig davon, ob musiziert oder zugehört wird. Der junge Bratschist war in Hamburg bereits in der Reihe »Teatime Classics« zu Gast und kehrt im Januar als »Rising Star« zurück.
TOMAS FUJIWARA
Der Austausch während einer LivePerformance spiegelt für Tomas Fujiwara »Menschlichkeit, Gesellschaft, Politik, Innovation, Katharsis und Kreativität« wider. Das Musizieren beginne zwar als persönlicher Ausdruck durch Klang, der aber »in die Zusammenarbeit mit anderen eingebracht, durch Gruppendynamik, Interaktion sowie kollektive Ziele beeinflusst«, und im nächsten Schritt dem Publikum vermittelt wird. Als Drummer des Trios Thumbscrew, das vor Kurzem bei Marc Ribots ReflektorFestival zu Gast war, weiß Fujiwara, wovon er spricht. Die drei etablierten JazzGrößen steuern nicht nur zu gleichen Teilen Kompositionen bei, sondern begegnen auch dem Publikum auf Augenhöhe, das »die Musik ebenfalls auf persönliche Weise verarbeitet«. Fujiwara betont, dass diese Erfahrung zu einer »einfühlsameren, intelligenteren und ganzheitlicheren Art und Weise führt, wie die Menschen gegenüber anderen und letztlich als Mitglieder der Gesellschaft sein können.«
TJASHA GAFNER
»Wenn ich ein neues Stück lerne, beginnt es als Spiel«, erklärt die 1999 in der Schweiz geborene Harfenistin Tjasha Gafner. Ihre Suche nach einer interessanten Interpretation bleibt manchmal einfach nur Vergnügen, führt sie manchmal aber auch zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der Materie, durch die sie neue Bedeutungsdimensionen entdeckt. »Ich denke vor allem an Schostakowitschs Musik, in der er etwa kommunistische Lieder versteckte, um zu zeigen, dass er mit seinem politischen Umfeld nicht einverstanden war.« Auch in der Elbphilharmonie wird Gafner im März solch ein doppelbödiges Werk spielen: »Légende« der französischen Komponistin Henriette Renié (1875–1956), inspiriert von einem düsteren Gedicht über Elfen. »Ich liebe es, dem Publikum diese Geschichte zu erzählen, sodass es noch tiefer in die Musik eintauchen und spüren kann, dass etwas sehr Dramatisches passiert«, sagt sie voller Vorfreude.
MARC RIBOT
»Ich empfinde es als notwendig, Musik in meinem Leben zu haben – aber ich weiß nicht warum«, rätselt Marc Ribot, der in den letzten vier Jahrzehnten zwischen Jazz, Rock und Noise zur GitarrenLegende wurde und vor Kurzem ein ReflektorFestival in der Elbphilharmonie kuratiert hat. »Ich meine, dass alles, was wir musikalisch oder künstlerisch tun, eine Art von Dialektik mit der Welt beinhaltet.« Auf die Idee etwa, ein Album mit Protestsongs aus dem Zweiten Weltkrieg, der USBürgerrechtsbewegung und von italienischen Partisanen zu veröffentlichen, brachte ihn Donald Trumps Präsidentschaftswahl 2016. Seine musikalischen Interessen möchte der USAmerikaner aber nicht auf Agitprop beschränkt wissen: »Für mich steht die Musik nicht im Dienste einer politischen Idee«, betont er, »sondern beides steht im Dienste eines anderen menschlichen Bedürfnisses« –nämlich dem verbindenden Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
TAMARA STEFANOVICH
Für Tamara Stefanovich ist Musik weder bloßes Spiel noch existenzieller Ernst: »Spiel ist etwas Ernstes, und Existenz steht immer auf dem Spiel«, erklärt die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Pianistin. »Auch wenn man nur spielt, hat jedes Spiel eigene Gesetze und Regeln. Und auch wenn die Existenz ernst ist, kann sie sehr leicht ins Spielerische flüchten.« Der Ansatz des französischen Dramatikers Antonin Artaud, der Kunst als organisiertes Delirium sah, bringt diesen Balanceakt für sie auf den Punkt: »Wie organisiert man ein Delirium? Wie kann man das wilde Tier der Kreativität in ein Korsett schnüren?« Eine Antwort auf diese Fragen sucht sie im Mai in der Elbphilharmonie: Zwei in strenger Form komponierten Klaviersonaten des 20. Jahrhunderts stellt sie entfesselte, zum Teil improvisierte Gemeinschaftswerke ihres experimentellen Ensembles StefanovichDellLillingerWestergaard gegenüber. Eines ist für sie dabei immer klar: »Am Anfang einer jeden musikalischen Kreation sollte Verantwortung stehen.«
ZEITLOSE MENSCHLICHKEIT
Ein Spiel mit Musik, Skulptur und Tanz: »The Art of Being Human« zeigt klingende, bewegte Tableaus archaischer Konstellationen.
VON REGINE MÜLLER
Viele große Dichter und Denker haben über das Phänomen des Spielens nachgedacht. Besonders konzise fasste Friedrich Schiller in »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« die zentrale Bedeutung des Spielens in Worte: »Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Ähnlich knapp hielt es (angeblich) William Shakespeare: »Arbeit, Gebet, Mahl, Schlaf, Spiel, das sind die fünf Finger unserer Lebenshand.« Für die Kunst ist das Moment des Spiels wesentlich; bei den performativen Künsten, im Theater, in der Oper und im Konzert ist das Wort »spielen« sogar das Synonym der Berufsausübung: Man spielt ein Instrument, ein Musikstück, eine Rolle. Dass es dabei auch ernst zugehen kann, ist kein Widerspruch, sondern eben Teil der »vollen Bedeutung des Worts Mensch«. Jede ambitionierte Kunstanstrengung ist mit der Formel des spielerischen
Ernsts wohl am treffendsten zu beschreiben. Eine Haltung, die das Äußerste wagt und offen ist für andere, neue Wege, mühsamere vielleicht oder überraschende. Eine Haltung, die so lange sucht, bis das Ergebnis am Ende wieder leicht wird, selbstverständlich, eben spielerisch. Einen langen Entwicklungsweg spielerischer Suche nach neuen Wegen hat das Projekt »The Art of Being Human« zurückgelegt, und nicht zufällig ist schon der Titel ein Spiel, nämlich eines mit Bedeutungen, denn er kann sowohl »Die Kunst, menschlich zu sein« bedeuten als auch »Die Kunst des Menschseins«. Das Projekt vereint das famose Berliner Gambenensemble Phantasm um seinen Gründer Laurence Dreyfus mit einer Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern, die – inmitten einiger Skulpturen des Bühnenbildners Alexander Polzin und zu den herben Klängen alter englischer Consortmusik – bewegte Tableaus archaischer, urmenschlicher Konstellationen kreieren.
Die Performance beginnt in fast völliger Dunkelheit: Eingehüllt in weiße Tücher, werden leblos scheinende Körper hereingeschleift und sanft zwischen fünf ebenfalls verhüllte Skulpturen gebettet. Auf den felsenartigen Gebilden werden später die Musikerinnen und Musiker sitzen. Zunächst spielt eine einzelne Gambe, dann stimmen die vier anderen in den Satz »In Nomine Trust« von Christopher Tye ein. Das Werk des 1505 geborenen Komponisten ist die älteste Musik dieses Abends, der chronologisch über William Byrd und John Dowland fortschreitet bis zu Henry Purcell, Jahrgang 1659.
Für das Gambenensemble Phantasm gehört die englische Consortmusik der Renaissance und des Frühbarock zum Kernrepertoire. »Aber viele Menschen haben heute gar keine Ahnung von diesem Repertoire«, sagt Laurence Dreyfus. »Das ›In nomine‹ von Orlando Gibbons etwa, entstanden um 1600, ist ein Höhepunkt englischer Consortmusik. Für manche Heutige klingt das sehr zeitgenössisch, wie eine Musik aus anderen Sphären.« Dreyfus zufolge besteht das Faszinosum dieser alten Musik auch in der Stimmführung, die keine Aufteilung in Melodie und Begleitung kennt: »Da herrscht Demokratie unter den verschiedenen Stimmen. Das deutsche Publikum ist mit dieser Art von Mehrstimmigkeit durch die Tradition von Bach und Schütz eigentlich vertraut, trotzdem fühlen sie sich darin nicht gleich zu Hause. Dann gibt es aber auch noch diese besondere Art der DissonanzBehandlung. Man hat damals eben sehr experimentell komponiert. Als exotisch wird zudem oft die Besetzung erlebt, Gamben sind ja keine Selbstverständlichkeit mehr – und dann gleich fünf davon!«
Die Musiker sind hier wirklich ein Teil der Choreografie, eine echte Gemeinschaft mit den Tänzern.
Auf der Bühne erwachen mit der Musik langsam die Körper der fünf weiß gewandeten Tänzerinnen und Tänzer, dann nehmen sie Kontakt mit dem Gambenensemble auf: Die Instrumentalisten werden bewegt und müssen sich selbst bewegen, sich etwa blind nach hinten fallen lassen, sicher aufgefangen von den Tänzern. Es sind gruppendynamische Prozesse in abstrahierter Form zu erleben; mit der Zeit kristallisiert sich eine OpferFigur heraus, die später jedoch das Kommando an sich zu reißen scheint. Zwischendurch schweigt die Musik auch einmal, einer der Tänzer singt ein syrisches Lied, dann wieder erzeugen die Musikerinnen und Musiker trockene, rhythmische Geräusche. Und sie sind immer wieder in Bewegung. Laurence Dreyfus war sich dieser szenischen Herausforderung für sich und sein Ensemble von Anfang an bewusst: »Wir haben schon zuvor Produktionen mit Tanz gemacht, aber das war barocker Tanz, den wir begleitet haben. Diesmal wollte ich wirklich Teil der Choreografie sein, nicht die Begleitband, sondern eine echte Gemeinschaft mit den Tänzern, ein Gegenüber für sie.«
Das brachte eine besondere Schwierigkeit mit sich: Die Partituren der mehrstimmigen Consortmusik sind so kompliziert, dass es fast unmöglich ist, sie auswendig zu spielen. Doch Notenständer zu verwenden, kam aus
szenischen Gründen nicht infrage. »Zumal es für das Publikum sehr interessant ist, die Mehrstimmigkeit immer wieder anders zu hören, wenn wir uns in unterschiedlichen Konstellationen über die Bühne bewegen«, sagt Dreyfus. »Aber für uns ist es eine echte Herausforderung, dabei das subtile Zusammenspiel hinzukriegen. Wir spielen ja häufig die gleichen Stimmen, aber eben versetzt, da kann man sehr leicht ausrutschen und plötzlich in die Stimme eines anderen Musikers geraten.« Die Lösung? Es blieb dem Ensemble tatsächlich nichts anderes übrig, als die hochkomplexen Partituren mit all ihren Wiederholungsschleifen auswendig zu lernen.
Eine entscheidende Rolle auf der Bühne spielen auch die skulpturalen Elemente, die stets neue Konstellationen bilden. Geschaffen hat sie der Berliner Bildhauer, Maler, Grafiker, Kostüm und Bühnenbildner Alexander Polzin, der sich immer wieder intensiv mit Musik und außergewöhnlichen KonzertSettings auseinandersetzt. Dreyfus und dem Ensemble Phantasm ist Polzin schon lange verbunden. »Der Austausch mit Musikern spielt eine große Rolle in meiner Arbeit. Als ich mit der Choreografin Sommer Ulrickson einmal ein Konzert von Phantasm besucht habe, stand gleich im Raum, dass diese Musik
Alexander Polzin
Laurence Dreyfus
nach Bewegung fragt. Und beim Ensemble sind wir mit dieser Idee spontan auf ein positives Echo gestoßen.«
So haben die drei das Projekt gemeinsam entwickelt, »in dem Bewusstsein, dass diese Zusammenarbeit ein Geben und Nehmen und auch eine Suche nach Kompromissen ist«, sagt Polzin. Die BühnenElemente beispielsweise musste er so entwickeln, dass die Musiker darauf sitzen und ihre Instrumente spielen können. »Über solche Fragen denke ich sonst natürlich nicht nach, wenn ich eine Skulptur entwerfe. Hier habe ich nach einem Element gesucht, das die beiden Gruppen miteinander verbinden kann. Ursprünglich schwebte mir eine einzige, massive Skulptur vor, doch dann kristallisierte sich heraus, dass ich sie in fünf Teile teile, sodass jedem Tänzer und Musiker ein Teil zugeordnet ist. Die Teile funktionieren autonom und finden erst am Schluss wieder zu einer einzelnen Skulptur zusammen.«
Eine Inspiration für diese Skulptur, auf der sich am Ende ineinander verschlungene menschliche Körper bewegen, war Théodore Géricaults berühmtes Gemälde »Das Floß der Medusa«. Es zeigt verdurstende, von der Welt vergessene Schiffbrüchige, gemalt nach einem Drama, das sich 1816 tatsächlich vor der westafrikanischen Atlantikküste ereignet hat und heute wieder von trauriger Aktualität
ist. Polzin ist fasziniert vom seltsamen Widerspruch des Dargestellten: »Die Leiber der Menschen auf dem Floß sind von dem wochenlangen Hunger überhaupt nicht gezeichnet, sondern stehen in Saft und Kraft. Die ganze Szenerie steht auf der Kippe zur erotischen Darstellung. Zeigt Géricault das pure Grauen oder eine Orgie? Fressen die sich auf, oder lieben die sich? Diese Ambiguität ist mir wichtig. So ist auch unser Stück.«
»The Art of Being Human« ist tatsächlich auch das: ein Spiel mit der Verunsicherung.
THE ART OF BEING HUMAN
Mi, 12.3.2025 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal ensemble Phantasm, Laurence dreyfus (Gambe und musikalische Leitung); Camille Jackson, Amie-Blaire Chartier, saeed Hani, sami similä, Rodolfo Piazza (Tanz); sommer ulrickson (Choreografie); Alexander Polzin (Visuelles Konzept)
»The Art of Being Human« – eine interdisziplinäre Performance mit musik von Christopher Tye, William Byrd, elway Bevin, Thomas Tomkins, John dowland, Orlando Gibbons, William Lawes, matthew Locke und Henry Purcell
ICH BIN EIN FAN
Emil (14) weiß genau, warum er oft und gerne in die Elbphilharmonie kommt.
Neulich habe ich mir in der Elbphilharmonie den Geiger Ray Chen angehört, er ist gemeinsam mit dem SAP Sinfonieorchester im Großen Saal aufgetreten. Ich wollte ihn unbedingt einmal live erleben. Er spielt sehr kräftig und frisch, auch mit einer milderen Geige, diese Kombination klingt einfach supercool. Unter anderem stand Antonín Dvorˇáks Neunte Sinfonie auf dem Programm, die »Aus der Neuen Welt«, eines meiner Lieblingsstücke, ich habe es jetzt schon zum dritten Mal gehört. Ich spiele seit ungefähr sieben Jahren Geige, und ich nehme das Musizieren ernst, aber ich kenne einige Leute, die es noch viel intensiver betreiben und wirklich jeden Tag üben. Das schaffe ich nicht, dafür interessieren mich zu viele andere Dinge: Ich spiele zweimal in der Woche Fußball, segele gerne und male seit Kurzem auch gerne mit GouacheFarben. Was mein Geigenspiel betrifft, kann ich nicht sagen, ob ich einen eigenen Stil habe. Auf jeden Fall ist mein Geigenton eher sanft. Vorbilder habe ich nicht, besonders gut gefällt mir aber Patricia Kopatchinskaja (s. S. 18). Sie spielt so lebendig, frei und mitreißend. Manchmal hat sie fast etwas Kindliches, gleichzeitig ist sie technisch überragend gut. Ich bin einmal zufällig im Foyer der Elbphilharmonie in ein Künstlergespräch mit ihr geraten. Im Rahmen von »ZukunftsMusik« (wo Schulklassen ins Konzert gehen und vorab die Künstler kennenlernen, Anm.) hat sie Schülerinnen und Schülern Fragen beantwortet. Auch den Dirigenten Kent Nagano finde ich toll, er ist ein so präsenter und seriöser Künstler, ich möchte mir gerne noch mehr Konzerte mit ihm anhören. Überhaupt checke ich regelmäßig auf der ElphiWebsite, ob ein Konzert für mich dabei ist.
Meine Eltern sind mit mir und meinen beiden Schwestern regelmäßig in Kinderkonzerte gegangen. Mit meiner Schulklasse war ich auch schon ein paar Mal in der Elbphilharmonie. Unter anderem haben wir »Splash« gesehen, eine MusikTheaterPerformance, wo die Musikerinnen und Musiker mit Instrumenten, Stimmen und Gegenständen eine Reise durch die Welt des Wassers unternehmen. Dabei spielten auch ein Riesenventilator und ein Saxofon mit Badekappe wichtige Rollen.
Lustig war auch, als meine Schwestern und ich vor einigen Jahren an einem Dreh für die »Sesamstraße« teilnehmen konnten. Wir haben die Elbphilharmonie vorgestellt und durften lauter verrückte Sachen anstellen, die
hier sonst verboten sind: auf dem Skateboard und auf Rollschuhen im Foyer herumsausen, die Treppengeländer hinunterrutschen … Wir durften sogar auf die Dachterrasse im 20. Stock und haben dort den Anfang vom PachelbelKanon gespielt. Es klang nicht so toll da draußen, dafür war der Blick über die Elbe, den Hafen und die Stadt fantastisch.
In letzter Zeit hat mir das LiveGamingKonzert »Let’s Play« im Großen Saal besonders gut gefallen. Da spielte der Streamer Staiy auf der Bühne zwei Videospiele, und das wurde auf eine große Leinwand übertragen. Er ist sehr bekannt, auf Twitch schauen ihm über 300.000 Follower beim Gaming zu. Ein Orchester hat live dazu gespielt, es reagierte spontan auf das, was Staiy bzw. sein Character gerade machen. Zusätzlich war auf der Bühne noch eine Geräuschmacherin, die für die richtige Soundkulisse sorgte. Wenn der Character zum Beispiel durch eine verschneite Landschaft lief, hat sie die entsprechenden knirschenden Schneegeräusche dazu geliefert. Es war spannend zu sehen, wie und mit welchen Mitteln sie das macht.
Wenn jemand die Elbphilharmonie noch nicht kennt, würde ich auf jeden Fall mit ihm mit der Tube – der längsten Rolltreppe Deutschlands – auf die Plaza im 8. Stock fahren und dort die Außenterrasse rundherum abgehen. Und dann würde ich natürlich den Großen Saal zeigen, den finde ich unglaublich beeindruckend. Ich würde sehr gerne selbst einmal dort spielen und herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn man von der Bühne aus den Raum mit Klang füllt. Ich spiele sehr gerne Kammermusik, das gefällt mir noch besser, als im Orchester zu spielen. In einem Quartett hat jeder seine eigene Stimme, es ist viel intensiver und macht großen Spaß. Da habe ich es stärker in der Hand, zu entscheiden, wo ich weniger oder mehr phrasieren möchte, ich kann einfach mehr gestalten.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte: Es wäre toll, wenn Imagine Dragons (eine US-Indie-Rock-Band, Anm.) einmal im Großen Saal auftreten könnten. Ich fürchte aber, der Saal ist ihnen zu klein, die gehen nur in die großen Stadien. Und nochmal ein »Let’s Play«GamingKonzert – das wäre cool!
AUFGEZEICHNET VON CLAUDIA SCHILLER
FOTO CHARLOTTE SCHREIBER
ERNST WERDEN? SOLL AUS SPIEL
Drei junge Musiker erzählen von ihrer Entscheidung, eine Profikarriere anzustreben –oder eben nicht.
VON FRANZISKA HERRMANN
FOTOS CHARLOTTE SCHREIBER
NHAT-MINH DUONG, 17 JAHRE, VIOLINE
NhatMinh Duong hat Mittagspause und sprudelt vor Energie. Gerade probt der junge Geiger mit dem Bundesjugendorchester im fränkischen Weikersheim für die bevorstehende Tournee des Nachwuchsorchesters. Eine Woche reguläre Schulzeit wird er dafür verpassen, sagt er. Doch wirklich viel musste er noch nie tun, um ein guter Schüler zu sein. Den versäumten Unterrichtsstoff werden ihm seine Schulkameraden später erzählen. Das kommt öfter vor: Erst im vergangenen Juli hat er in der Elbphilharmonie mit dem Publikumsorchester Tschaikowskys Violinkonzert gespielt. Als Solist. An zwei Abenden. Zweimal war der Saal ausverkauft. Die Freikarten bekamen natürlich seine Mitschüler.
Zur Musik fand NhatMinh Duong, als seine Freunde mit Fußball begonnen haben, im Alter von fünf Jahren. Seine ältere Schwester spielte bereits, als ihm beim Instrumentenkarussell in der Musikschule eine Geige in die Hand gedrückt wurde. Streichinstrumente mochte er schon immer lieber als Blasinstrumente, sagt er, und – er überlegt kurz – praktisch ist die Violine mit ihrer kompakten Größe doch auch.
In einem Jahr schreibt er sein Abitur. Danach muss er sich entscheiden, was er machen will: Profimusiker werden oder Informatik studieren? Das Programmieren sei seine zweite Leidenschaft, erzählt er. Er ist hin und hergerissen. Als Orchestermusiker habe man viele Möglichkeiten, außerdem reist man und sieht etwas von der Welt. Ein Leben ohne das Musizieren kann er sich nicht vorstellen. Doch auch keines ohne das Programmieren. Er fürchtet, dass er das, was er später nicht mehr täglich tun wird, aus den Augen verliert.
Falls es doch Informatik wird, bleibt die Musik ein wichtiger Bestandteil seines Lebens, da ist er sich sicher. Er kann sich vorstellen, zumindest weiterhin Kammermusik zu machen oder in einem Amateurorchester zu spielen, so wie im Juli in der Elbphilharmonie. »Das hat einen Riesenspaß gemacht, und dem Orchester ging es auch so. Das gab
mir ein gutes Gefühl.« Am Nachmittag vor dem Konzert ist er gemeinsam mit dem Dirigenten noch mal die schwierigsten Stellen durchgegangen. Kurz vor dem Auftritt entspannte er dann noch ein wenig auf dem »gemütlichen Sofa« in dessen Künstlergarderobe.
Beim Konzert habe er sich selbst überrascht, erzählt er. »Beim Üben schweifen meine Gedanken schon öfters mal ab. Im Konzertsaal war ich sehr konzentriert. Ich wusste gar nicht, dass ich das kann.« Um sich die Reihenfolge bei langen Werken zu merken, überlegt er sich je zwei bis drei Adjektive zu den einzelnen Sätzen. Was legte er sich bei Tschaikowsky zurecht? »Den ersten Satz nehme ich eher tänzerisch, der zweite ist für mich nachdenklich, er erinnert mich an ein kleines Gebet. Beim letzten Satz, der sehr virtuos ist, denke ich einfach daran, Spaß zu haben.«
Seitdem er in so professionellem Rahmen wie mit dem Elbphilharmonie Publikumsorchester und dem Bundesjugendorchester auftritt, ist die Musik für ihn eine »ernstere Angelegenheit« geworden. »Es gibt hohe Erwartungen. Man muss sehr sorgfältig abliefern.« Von seinen Eltern bekommt er zum Glück keinerlei Druck. Da sie keine Musiker sind, bemerken sie auch nicht jeden falschen Ton und genießen es einfach, ihren Sohn auf der Bühne zu erleben. »Das ist hilfreich«, sagt NhatMinh Duong. »Natürlich waren sie sehr stolz. Es ist ja nicht normal, dass man einfach so in der Elbphilharmonie spielt.«
Gedanken darüber, was ein Leben als professionelle Musikerin bedeutet, tauchten bei ihr erst nach dem Studium auf.
ROZ MACDONALD, 31 JAHRE, KONTRABASS
In einer kleinen Stadt an der südwestlichen Küste Schottlands aufgewachsen, war Roz Macdonald als Teenager besessen von der BritpopBand Blur und deren Songs. Bis auf ein paar lokale Musiker, die ab und zu in den Pubs von Ayr spielten, gab es dort nicht viel. Die Schule interessiert sie weniger, die Gitarre ihres Bruders dafür umso mehr. Jeden Tag versucht sie, die Akkorde, die sie aufschnappt, nachzuspielen. Doch wirklich fasziniert ist sie von einem anderen Instrument: Der Bass wirkt stark auf sie. »Vielleicht, weil man ihn nicht alleine spielen kann«, sagt sie heute in ihrem WGZimmer in Barmbek.
Als sie mit 16 Jahren von einer Großtante 500 Pfund erbt, fährt sie nach Glasgow und kauft sich ihren ersten EBass. Kaum zu Hause, fängt sie an, ihren LieblingsBlurSong »Girls and Boys« zu üben. Mit 17 bricht sie die Schule ab und pendelt täglich eine Stunde nach Glasgow an die Musikschule. Dort kann sie endlich mit anderen Musikern zusammenspielen. »Es fühlte sich auf einmal alles sehr richtig an, was ich tat.«
Einer ihrer Lehrer rät ihr zum Jazz. Er sagt, wenn sie das verstehe, könne sie auch in der Popmusik alles spielen. Drei Jahre später beginnt sie, ohne je zuvor einen Kontrabass berührt zu haben, in Leeds mit dem Jazzbass Studium. Warum sie angenommen wurde, weiß sie bis heute nicht. »Vielleicht haben sie meine Begeisterung für die Musik und das Bassspielen gesehen.«
Gedanken darüber, was ein Leben als professionelle Musikerin bedeutet, tauchen erst nach dem Studium auf, als die Unterrichtsstruktur wegfällt und sie viel Zeit hat. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, spielt sie auf Hochzeiten. Während die meisten ihrer Kommilitonen nach London ziehen, entscheidet sie sich für die günstigere Variante: Berlin. Anfangs mag sie die deutsche Hauptstadt nicht, der Umgang dort ist ungewohnt ruppig. Sie besucht regelmäßig die Jazzclubs in Schöneberg, Neukölln
und Charlottenburg und beginnt, sich zu vernetzen. Nach zwei Jahren ist sie in der Berliner Musikszene angekommen. Dann kommt die Pandemie.
Sie erhält eine Förderung und nimmt im Juli 2021 zusammen mit einem Pianisten und einem Schlagzeuger ihr erstes Album auf. Dafür lässt sie sich von der Isolation in dieser Zeit und von der Erinnerung an ihr wichtige Orte und Plätze inspirieren. Der Prozess des Komponierens fällt ihr nicht leicht, doch sich zu überwinden tut gut. »Danach denke ich immer, das sollte ich öfter machen.« Die Beziehung zu ihrem Instrument ist kompliziert. »Eine HassLiebe. An manchen Tagen, wenn es nicht gut klingt und ich nicht verstehe, warum, nervt es schon.« Vier Stunden am Tag übt sie Kontrabass – »die perfekte Zeitspanne, um sich zu konzentrieren.« Dabei spielt sie auch oft klassische Musik, um das Spiel mit dem Bogen zu fokussieren.
Im vergangenen Sommer hat sie ein JazzMasterprogramm an der Hamburger Musikhochschule abgeschlossen – und kam durch dieses Programm auch in Kontakt mit einem alten Hasen des Jazz, dem New Yorker Pianisten Bruce Barth. Ein paar Konzerte haben sie schon gemeinsam im Trio gespielt. Jetzt gibt es Pläne, dass sie ihn im kommenden Mai auf einer Europatour begleitet.
MATTHIAS KOSCHNITZKY, 35 JAHRE, GITARRE
»Mittlerweile sage ich manchmal, dass ich Physiker bin, aber so ganz glaube ich es selbst noch nicht«, erzählt Matthias Koschnitzky an einem windigsonnigen Nachmittag in der Hamburger Innenstadt. Vor neun Jahren –da hatte er grade erst sein Gitarrenstudium abgeschlossen – schrieb er sich an der Uni Hamburg für Physik ein. Anfangs ver passte er für Bandproben, Gigs und Konzerte noch viele Vorlesungen. »Doch als die PhysikPrüfungen trotzdem sehr gut liefen, dachte ich: Okay, ich kann das offensichtlich, dann sollte ich es auch ernster nehmen.« Fortan saß er mehr im Hörsaal als im Proberaum, paukte Mathe und Physik. Demnächst wird er seine Doktorarbeit abschließen.
Interesse für Komplexes hat Matthias Koschnitzky schon als Kind. Früh versucht er, Stephen Hawkings astronomische Bücher zu verstehen, während durch die Zimmer tür seines Bruders Gitarrenriffs herüberdringen. Er fängt an, nachzuspielen, was er hört, und kauft sich Gitarrenzeitschriften, um mehr über die Musikgeschichte zu erfahren. Mit 13 Jahren stößt er das erste Mal auf einen JimiHendrixSong – die Initialzündung seiner Liebe zum Rock.
Das jazzlastige Gitarrenstudium in Dresden empfindet er als intellektuelle Beschäftigung. Er hört mit offenen Ohren zu und lernt, was an Klang möglich ist. Doch emotional holt ihn die Musikrichtung nicht ab. Und finanziell ist seine Situation nach dem Studium ähnlich prekär wie zuvor. Bands, die von ihrer Musik leben können, gab es auch in seinem Semester kaum. »›Ich bin jetzt in eine kleinere Wohnung gezogen, weil ich mit dem Studium fertig bin‹ – so haben wir oft gescherzt.«
Es zieht ihn zurück zu seinen musikalischen Ursprüngen, zu Rock und Pop – und auch nach Hamburg. Er nimmt am Popkurs der hiesigen Hochschule teil. Doch während seine Mitstreiter dort versuchen, ins Business zu kommen, sich zu vernetzen, sich zu bewerben, Auftritte zu ergattern, Verträge zu verhandeln, kann sich Koschnitzky nicht für die damit verbundene Schreibtischarbeit erwärmen. »Ich wollte lieber noch mal alles aufbrechen und was ganz anderes machen.«
In seinem jetzigen Job am Hamburger Forschungszentrum DESY sitzt er auch viel am Schreibtisch. Manchmal nimmt er sich eine Berechnung vor und arbeitet zwei Wochen daran. Dazu kommen späte Videomeetings und Diskussionen, Sachen, die fertig werden müssen, und Sachen, die nicht klappen. In der Pandemie bewirbt er sich auf eine Doktorandenstelle im Fachbereich theoretische Astroteilchenphysik. Es geht um einen Dreijahresvertrag. Manche Leute aus seinem wissenschaftlichen
Umfeld halten so etwas für ein prekäres Arbeitsverhältnis; für die Musikerhälfte in ihm ist es eine bisher ungekannte Sicherheit.
Oft fragt er sich, ob er alles schaffe, was er sich von seinem Leben erträumt, und wie er sein Leben mit Dingen füllen kann, die wirkliche Freude bringen. Er hat jetzt Einblick in zwei sehr unterschiedliche Welten, die in vielem vergleichbar sind: Sowohl Wissenschaft als auch Musik finden vor allem im Team statt. »Und in beiden Branchen heißt es: ›Wenn du dir irgendwas anderes vorstellen kannst, dann mach was anderes!‹« Und was ist der großer Unterschied? Er lacht: »In der Musik fährt man nach dem Proben zusammen los und spielt für Leute, die richtig heiß auf Musik sind. In der Wissenschaft fährt man alleine auf eine Konferenz und präsentiert seine Arbeit einem vor dem Laptop hängenden Publikum, das nicht zuhört.«
Seit einem halben Jahr ist er wieder Mitglied in »einer Band, die auch eine Band sein will«. Jetzt muss er sich entscheiden: Will er in der Wissenschaft bleiben, dann muss er sich bis Januar auf eine Stelle bewerben. Die wäre wahrscheinlich im Ausland. »Oder gehe ich zurück zum darbenden Künstlerdasein, das ich kenne und manchmal vermisse? Gut möglich, dass ich dann bald schon wieder so frustriert bin wie vor neun Jahren.« Er hadert. Und dann gibt es da noch einen kleinen Teil in ihm, der fragt: Was könnte ich als nächstes studieren?
DIE FÖRDERER UND SPONSOREN DER ELBPHILHARMONIE
Große Visionen brauchen ein starkes Fundament. Deswegen unterstützen namhafte Partner aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik die Elbphilharmonie. Gemeinsam bilden sie ein Netzwerk, das die Elbphilharmonie als Konzerthaus von Weltrang begleitet. So ermöglichen sie ein Konzertprogramm mit einem unverwechselbaren musikalischen Profil, Musikvermittlungsideen für alle Generationen sowie innovative Festivalkonzepte, die Maßstäbe im internationalen Konzertbetrieb setzen.
DIE FÖRDERER
de R s TIFT u NG e LBPHILHAR m ONI e
MÄZENE
ZUWENDUNGEN AB 1.000.000 EURO
Prof. dr. dr. h. c. Helmut und Prof. dr. h. c. Hannelore Greve
Prof. dr. michael Otto und Christl Otto
Hermann Reemtsma stiftung
Christine und Klaus-michael Kühne
Körber-stiftung
Peter möhrle stiftung
Familie dr. Karin Fischer
Reederei Claus-Peter Offen (GmbH & Co.) KG stiftung maritim Hermann & milena ebel
Hans-Otto und engelke schümann stiftung
Christiane und Klaus e. Oldendorff
Prof. dr. ernst und Nataly Langner
PLATIN
ZUWENDUNGEN AB 100.000 EURO
Ian und Barbara Karan-stiftung
Gebr. Heinemann se & Co. KG
Bernhard schulte GmbH & Co. KG
deutsche Bank AG
m m Warburg & CO
Hamburg Commercial Bank AG
Lilli driese
J. J. Ganzer stiftung
Claus und Annegret Budelmann
Berenberg – Privatbankiers seit 1590
mara und Holger Cassens stiftung
Christa und Albert Büll
Christine und Heinz Lehmann
Frank und sigrid Blochmann else schnabel
edel music + Books
dr. markus Warncke
Berit und Rainer Baumgarten
Christoph Lohfert stiftung
eggert Voscherau
Hellmut und Kim-eva Wempe
Günter und Lieselotte Powalla
martha Pulvermacher stiftung
Heide + Günther Voigt
Gabriele und Peter schwartzkopff
dr. Anneliese und dr. Hendrik von Zitzewitz
Prof. dr. Hans Jörn Braun †
susanne und Karl Gernandt
Philipp J. müller
Ann-mari und Georg von Rantzau
dr. Gaby schönhärl-Voss und Claus-Jürgen Voss
Lennertz & Co.
Familie schacht
GOLD
ZUWENDUNGEN AB 50.000 EURO
Rainer Abicht elbreederei
Christa und Peter Potenberg-Christoffersen
H e RI s TO AG
Christian Böhm und sigrid Neutzer
Amy und stefan Zuschke
SILBER
ZUWENDUNGEN AB 10.000 EURO
ärzte am markt: dr. Jörg Arnswald, dr. Hans-Carsten Braun
Baden-Württembergische Bank
Hans Brökel stiftung für Wissenschaft und Kultur
Jürgen und Amrey Burmester
Rolf dammers OHG
edeKABANK AG
FR os TA AG
Katja Holert und Thomas Nowak
Knott & Partner V d I
Jürgen Könnecke
dr. Claus und Hannelore Löwe
stiftung meier-Bruck steinway & sons
BRONZE
ZUWENDUNGEN AB 5.000 EURO
Ilse und dr. Gerd eichhorn
Hennig engels
marga und erich Helfrich
Familie Klasen
Hannelore Krome
medConsult dr. R. J. Panny
mercedes-Benz Hamburg
Carmen Radszuweit
DER KURATORENKREIS
des FR eu N des KR e I ses e LBPHILHAR m ONI e + LA e I s ZHALL e e V.
Jürgen Abraham | Andreas Ackermann | Anja Ahlers | margret Alwart | Karl-Johann Andreae | Cornelius Back | undine Baum | Rainer und Berit Baumgarten | Florian Baumgartner | Gert Hinnerk Behlmer | michael Behrendt | Robert von Bennigsen | Joachim von Berenberg-Consbruch | Prof. dr. Wolfgang Berlit | Tobias Graf von Bernstorff | Peter Bettinghaus | marlis und Franz-Hartwig Betz | Wolfgang Biedermann | Alexander Birken | dr. Frank Billand | dr. Gottfried von Bismarck | dr. monika Blankenburg | ulrich Böcker | Birgit Bode |
Andreas Borcherding | Tara Bosenick | Vicente Vento Bosch |
Prof. dr. Irmtraud Koop | Petrus Koeleman | Bert e König | sebastian Krüper | Arndt Kwiatkowski | Christiane Lafeld | dr. Klaus Landry | Günther Lang | dirk Lattemann | Per H. Lauke | Hannelore Lay | dr. Claus Liesner | Lions Club Hamburg elbphilharmonie | dr. Claus Löwe | Prof. dr. Helgo magnussen | sibylle doris markert | Franz-Josef marxen |
Thomas J. C. und Angelika matzen stiftung | Helmut meier | Gunter mengers | Axel meyersiek | dr. Thomas möller | Christian möller | Karin moojer-deistler | ursula morawski | Katrin morawski-Zoepffel | Jan murmann | dr. sven murmann | dr. ulrike murmann | Julika und david m Neumann | michael R. Neumann | Franz Nienborg | dr. ekkehard Nümann |
Thilo Oelert | dr. Andreas m Odefey | dr. michael Ollmann | dr. eva-maria und dr. Norbert Papst | dirk Petersen | dr. sabine Pfeifer | sabine Gräfin von Pfeil | Aenne und Hartmut Pleitz | Bärbel Pokrandt | Hans-detlef Pries | Karl-Heinz Ramke | Horst Rahe | ursula Rittstieg | sibylle von Rauchhaupt |
Prof. dr. Hermann Rauhe | ursula Ross | eberhard Runge |
Prof. michael Rutz | Bernd sager | Jens schafaff | Birgit schäfer | mattias schmelzer | Vera schommartz | Katja schmid von Linstow | dr. Hans ulrich und Gabriele schmidt | Nikolaus H. schües | Nikolaus W. schües | Gabriele schumpelick | ulrich schütte | dr. susanne staar | Henrik stein | Prof. dr. Volker steinkraus | Wolf O. storck | dr. Patrick Tegeder | Jörg Tesch | ewald Tewes | ute Tietz | dr. Jörg Thierfelder | dr. Tjark Thies | dr. Jens Thomsen | Tourismusverband Hamburg e. V. | Prof. dr. eckardt Trowitzsch | John G. Turner und Jerry G. Fischer | Resi Tröber-Nowc | Hans ufer | dr. sven-Holger undritz | markus Waitschies | dr. markus Warncke | Thomas Weinmann | Peter Wesselhoeft | dr. Gerhard Wetzel | erika Wiebecke- dihlmann | ulrich Winkel | dr. Andreas Witzig | dr. Thomas Wülfing | Christa Wünsche | stefan Zuschke
sowie weitere Kuratorinnen und Kuratoren, die nicht genannt werden möchten.
VORSTAND: Alexander Birken (Vorsitzender), Roger Hönig (schatzmeister), Henrik Hertz, Bert e König, magnus Graf Lambsdorff, Katja schmid von Linstow und dr. ulrike murmann
EHRENMITGLIEDER: Christian dyckerhoff, dr. Karin Fischer †, manhard Gerber, Prof. dr. h. c. Hannelore Greve †, Prof. dr. dr. h. c. Helmut Greve †, Prof. dr. michael Otto, Jutta A. Palmer †, Nikolaus H. schües, Nikolaus W. schües und dr. Jochen stachow †
ELBPHILHARMONIE CIRCLE
de R u NT e RN e H me RKR e I s de R e LBPHILHAR m ONI e
ABAC us Asset m anagement
Addleshaw Goddard LLP
AHN & s I m ROCK Bühnen- und m usikverlag GmbH
ALLC u RA Versicherungs-Aktiengesellschaft
Allen Overy s hearman s terling LLP
apoprojekt GmbH
a-tour Architekturführungen
Bankhaus d ONN e R & R eus CH e L
Barkassen- m eyer
BB s Werbeagentur
B d V Behrens GmbH
Bornhold d ie e inrichter
Braun Hamburg
British American Tobacco Germany
C. A. & W. von der m eden
CLAY sTON
Company Companions
d ienstleistungsgesellschaft der Norddeutschen Wirtschaft
d rawing Room
d ungeon d eutschland GmbH
e N e RPARC
e ngel & Völkers Hamburg Projektvermarktung
e ngel & Völkers Holding GmbH
e sche s chümann Commichau
e ventteam GmbH
Fortune Hotels
FRANK -Gruppe
Freshfields Bruckhaus d eringer
FRIBA Investment
GARB e Germerott Innenausbau GmbH & Co. KG
G e RR es H e I m serviert GmbH & Co. KG
Gese & Cie Personalberatung GmbH
Grundstücksgesellschaft Bergstrasse
Hamburg Team
Hanse Lounge, The Private Business Club
Heinrich Wegener & s ohn Bunkergesellschaft
Hermann Hollmann GmbH & Co.
HHLA
Hotel Wedina Hamburg
IK Investment Partners
INP Holding AG
Iris von Arnim
JARA HOL d ING GmbH
FÖRDERKREIS
INT e RNATIONAL es mus IKF es T HA m B u RG
Jürgen Abraham
Corinna Arenhold-Lefebvre und Nadja d uken
Ingeborg Prinzessin zu s chleswig-Holstein und Nikolaus Broschek
Annegret und Claus-G. Budelmann
Christa und Albert Büll
Gudrun und Georg Joachim Claussen
Birgit Gerlach
e rnst Peter Komrowski
d r. u do Kopka und Jeremy Zhijun Zeng
Helga und m ichael Krämer
Christine und Heinz Lehmann
m artha Pulvermacher s tiftung m arion m eyenburg
Joop!
Kahl Holding
Kesseböhmer Holding KG
KLB Handels GmbH
Klinische Forschung Beteiligungsgesellschaft mbH
Konzertdirektion d r. Rudolf Goette GmbH
Lauenstein & Lau Immobilien
Lehmann Immobilien
Lennertz & Co. GmbH
loved GmbH
Lupp + Partner
m adison Hotel
m alereibetrieb Otto Gerber GmbH
m iniatur Wunderland
m RH Trowe AG Holding
nordwest Factoring und s ervice GmbH
Notare am Gänsemarkt
Oppenhoff
Otto d örner GmbH & Co. KG
PLATH Corporation GmbH
print-o-tec GmbH
Rosenthal Chausseestraße GbR
ROx ALL Group
s chlüter & m aack GmbH
s ervice-Bund GmbH & Co. KG
s eydlitz GmbH
s HP Primaflex GmbH
s teinway & s ons
s tolle s anitätshaus GmbH
s TRAHL e NZ e NTR um HA m B u RG m VZ
s trebeg Verwaltungsgesellschaft mbH
Taylor Wessing
The Fontenay Hotel
Trainings m anufaktur d reiklang
u B s e urope se Hamburg
u nger Hamburg
Vladi Private Islands
Weischer. m edia
Worlée Chemie GmbH
Wünsche Handelsgesellschaft
s owie weitere u nternehmen, die nicht genannt werden möchten.
K. & s m üller
Christiane und d r. Lutz Peters
ä nne und Hartmut Pleitz
Bettina und Otto s chacht
e ngelke s chümann
m argaret und Jochen s pethmann
Birgit s teenholdt- s chütt und Hertigk d iefenbach
Anja und d r. Fred Wendt s usanne Wogart
s owie weitere Förderer, die nicht genannt werden möchten.
SPONSOREN UND FÖRDERSTIFTUNGEN
dIe PARTNeR deR eLBPHILHARmONIe
PRINCIPAL SPONSORS
PRODUCT SPONSORS
CLASSIC SPONSORS
FÖRDERSTIFTUNGEN
Die nächste Ausgabe des Elbphilharmonie Magazins erscheint
im April 2025.
Herausgeber
Hamburgmusik gGmbH
Geschäftsführer: Christoph Lieben-seutter (Generalintendant), Jochen margedant
Platz der deutschen einheit 4, 20457 Hamburg magazin@elbphilharmonie.de www.elbphilharmonie.de
Chefredakteur Carsten Fastner
Redaktion Katharina Allmüller, melanie Kämpermann, Clemens matuschek, Tom R. schulz; Gilda Fernández-Wiencken (Bild)
Formgebung GROOTH u I s . Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH für Kommunikation und medien, marketing und Gestaltung; groothuis.de Gestaltung Lina Jeppener (Leitung), Janina Lentföhr; Bildredaktion Angela Wahl; Herstellung sophie Gabel; Cvd Rainer Groothuis
Beiträge in dieser Ausgabe von Jakob Börner, simon Chlosta, stefan Franzen, Volker Hagedorn, Lars Hammer, Franziska Herrmann, Clemens matuschek, Helmut mauró, Regine müller, Till Raether, Ivana Rajicˇ, Nadine Redlich, Charlotte schreiber, Claudia schiller, Tom R. schulz, Albrecht selge, Paula stein, Julika von Werder, Bjørn Woll
Korrektorat Ferdinand Leopold
Lithografie Alexander Langenhagen, edelweiß publish, Hamburg
Druck Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH dieses magazin wurde klimaneutral auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft produziert.
das elbphilharmonie magazin erscheint dreimal jährlich.
Bild- und Rechtenachweise
Cover: Jakob Börner; s 1 michael Zapf; s 2 links: marco Borggreve, rechts: Yann Orhan, s 3 oben: sophie Wolter, mitte: Rui-Camilo, unten: Nadia Tarra; s 4–10 Paula stein; s 12–14 Rui Camilo, s 15 Peter Tanish; s 16–17 Lars Hammer; s 18 maxim schulz, s 19 marco Borggreve, s 20 oben: Priska Ketterer, unten: marco Borggreve; s 21 oben: PR, unten: Jann Wilken; s 29 mathias Benuigui, s 30 links: Julia
Wesely, rechts: eduardus Lee, s 31 Kaupo Kikkas, s 32 mathias Benuigui; s 34 Nadine Redlich; s 36 Nadia Tarra, s 38 Iris edinger / Gonzales Photo / Alamy stock Foto, s 39 Oliver Gutfleisch / imageBROKeR.com GmbH & Co. KG / Alamy stock Foto, s 40 picture alliance / Keystone / Jean-Christophe Bott; s 42–49 Jakob Börner; s. 50–52 sophie Wolter, s 53 daniel dittus, s 54 sophie Wolter; s 56 akgimages / Beethoven-Haus Bonn und akg-images, s 59–60 akg-images; s 62 erika Kapin Photography, s 63 links: Fine Art Images / Heritage Images / Alamy stock Foto, rechts: The Picture Art Collection / Alamy stock Foto, s 64 erika Kapin Photography, s 65 shervin Lainez; s 66–68 Yann Orhan; s 70 links: Iga Gozdowska, mitte: Fabrizio Giammarco, rechts: Clara evens, s 71 oben: ernest stuart, mitte links: daniel delang, mitte rechts: ebru Yildiz, unten: sihoo Kim; s 72 Britten Pears Arts, s 74 links: stefan Thissen, rechts: marco Broggreve, s 75 Britten Pears Arts; s 76–81 Charlotte schreiber; s 82 dmitry domnin, s 84, Roger utting Photography, s 86 Viktoriya Kraynyuk; s 88 Kai-uwe Gundlach
Redaktionsschluss 20. November 2024
änderungen vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten.
Träger der Hamburgmusik gGmbH:
www.melitta-group.com
Unsere Welt erneuert sich. Wir sind auf dem Weg von der Konsum- zur Sinngesellschaft. Melitta unterstützt mit seinem Engagement die kulturelle Arbeit der Elbphilharmonie.