Elbphilharmonie Magazin - Natur / 02 / 2022

Page 1

INTERNATIONALES MUSIKFEST HAMBURG Klaus Mäkelä Asmik Grigorian René Jacobs Andris Nelsons

ESSAY

2 | 2022

Hamburger Parks mit besonderer Geschichte

Euro 6,50

REPORTAGE

4<BUBALT=a gfa >:V;n

Das Leben des Menschen nach der Natur


1

MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT.

WELCHE VISION MÖCHTEN SIE VERWIRKLICHEN? PRINCIPAL SPONSOR

Julius Bär ist Principal Sponsor der Elbphilharmonie Hamburg.

juliusbaer.com


HERZLICH WILLKOMMEN!

L

iebe Leserin, lieber Leser,

die Frühjahrsausgabe des »Elbphil­ harmonie Magazins« widmet sich traditionell den Inhalten und Schwer­ punkten des Internationalen Musik­ fests Hamburg. Das ist auch diesmal so, weshalb die meisten Texte dieses Hefts um das Thema Natur kreisen – das Motto des diesjährigen Musikfests. Ist die Natur tatsächlich »jenes Buch, das von den Musikern nicht genug gelesen wird«, wie Claude Debussy meinte (siehe S. 26)? Womöglich würden ihm Komponis­ ten und ausübende Musiker aller Zeiten widersprechen; die der Gegenwart auf jeden Fall. Denn kein Thema be­wegt die Welt so dauerhaft und bedrängend wie das existenziell beschädigte Wohlergehen der Natur und unse­ re Rolle und Verantwortung als Menschen darin. Kein Thema sollte unsere Fantasie und Kreativität und unseren Mut zu richtigem Handeln stärker fordern. Umso unfass­ barer, dass unser Denken, Fühlen und Tun stattdessen nun wieder von einem grauenhaften, vollkommen sinn­ losen Krieg bestimmt wird. So sind es sehr gemischte Gefühle und Gedanken, mit denen wir gerade in diesen aufs Neue so fundamental unsicheren Zeiten den ersten Frühling seit drei Jahren erleben, von dem wenigstens im Hinblick auf die Pande­ mie kein unmittelbares Bedrohungsgefühl mehr auszu­ gehen scheint. Ungerührt von diesen bestürzenden Zeiten, in denen Millionen von Menschen mitten in Europa

auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung sind, blüht die Natur rings um uns auf. Gottlob, möchte man sagen. Die Musik hat quer durch die Zeiten die Natur ge­ feiert, sie nachzubilden versucht, Entsprechungen zu ihr angeboten, im Großen wie im Kleinen, im Idyll wie in ihren ewig unverstehbaren Wundern. Dieser Feier schließt sich das Musikfest an und ebenso dieses Magazin: nicht naiv, sondern Trost, auch Erkenntnis suchend in manchen herrlichen Hervorbringungen vergangener und jüngerer Zeiten – und auf der Suche nach auch künstlerisch über­ zeugenden Antworten auf die ökologischen Über­lebens­ fragen der Gegenwart. Unser Magazin bietet diesmal, so sehe ich es zu­ mindest, eine besondere Fülle an geistigen Anregungen, weshalb ich keine der Geschichten besonders heraus­ greifen, sondern Ihnen einfach die Lektüre des ganzen Hefts ans Herz legen möchte. Dass das Thema Natur allen Menschen naheginge, lässt sich womöglich immer noch nicht (wieder) sagen. Dass es uns alle angeht, das aber liegt – in der Natur des Menschen. Eine natürlich sehr gewinnbringende Lektüre unseres Magazins wünscht Ihnen

Ihr Christoph Lieben-Seutter Generalintendant Elbphilharmonie und Laeiszhalle


32 4 E S S AY

KÜNSTLICHKEIT UND WANKELMUT

BERG UND MENSCH

DIE SEHNSUCHT NACH DEM DROBEN

Ernst Kreneks »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«

Das Leben des Menschen nach der Natur

VON WALTER WEIDRINGER

VON KONRAD PAUL LIESSMANN

42

12 MUSIKLEXIKON

STICHWORT »NATUR«

60

FOTO S T R E C K E

FOTOSYNTHESE VON PAUL GREGOR

Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte.

W E LT M U S I K

VON CLEMENS MATUSCHEK

Taarab, der einzigartige Mischklang aus Sansibar

TROPISCHE GEIGEN

18

VON STEFAN FRANZEN

64

RICHARD STRAUSS

SCHATTEN OHNE FRAU

Ein paar irritierende und anstachelnde Gedanken zum Orchesterwerk VON ALBRECHT SELGE

50 PLÄDOYER

VERZOPFT? VERKOPFT? VERNIEDLICHT!

Joseph Haydn, seine Musik und sein Witz sind eine Neuentdeckung wert. VON CARSTEN FASTNER

ORIGINALKLANG

DER WOLFSSCHLUCHT-FLÜSTERER

René Jacobs hat den »Freischütz« behutsam rekonstruiert. VON TOM R. SCHULZ

22

54

68 E N G AG E M E N T

G LO S S E

ICH BIN EIN FAN

KOMM AN MEINE DECKE

VON CLAUDIA SCHILLER

Daheim im Einklang mit der Natur VON TILL RAETHER

24 M U S I KG E S C H I C H T E

»NICHTS IST MUSIKALISCHER ALS EIN SONNENUNTERGANG«

Das Internationale Musikfest Hamburg unternimmt einen Parcours durch die Natur. VON VOLKER HAGEDORN

C A R O L I N E S H AW

ATEMLOS? SICHER NIE!

Die Sängerin, Geigerin und Komponistin sucht Neues abseits der Trampelpfade. VON RENSKE STEEN

70 M I TA R B E I T E R

58

Das Team der Elbphilharmonie Plaza

U M G E H Ö RT

VON FRÄNZ KREMER

BÜHNEN–SPEKTAKEL

Sieben Künstler über Oper in der Elbphilharmonie VON LAURA ETSPÜLER UND JULIKA VON WERDER

PFLICHTTERMIN MIT GUTER LAUNE

82

88

­FÖRDERER UND ­SPONSOREN

­IMPRESSUM


14 A S M I K G R I GO R I A N

DIE GROẞE IM KLEINEN

Seltene Gelegenheit: Die gefeierte Opernsängerin gibt einen Liederabend. VON SIMON CHLOSTA

74 R E P O RTAG E

INSELN DER NATUR

In Hamburg gibt es 1.460 Parks. Vier ganz besondere haben wir besucht. VON STEPHAN BARTELS

36 INTERVIEW

»DANN FLIEẞT DIE MUSIK AUF EINMAL WIE VON SELBST«

Der Dirigent Klaus Mäkelä über alle sieben Sibelius-Sinfonien VON BJØRN WOLL


4

E s s ay

KÜNSTLICHKEIT UND WANKELMUT das LEBEn dEs mEnschEn nach dEr natur

Die Bilder auf den folgenden Seiten stammen von Julia Herold. Die Berliner Fotografin eröffnet mit alltäglichen Materialien Mikrokosmen, aus denen betrachterabhängige Makrokosmen entstehen. Hier zu sehen sind mikroskopisch präparierte Orchideen-, Rosen- und Nelkenblüten, aber auch Flusenreste aus dem Haushaltstrockner.


E s s ay

5

VON KONRAD PAUL LIESSMANN

N

atur: Wie das säuselt, wie das gurrt, wie das plät­ schert, atmet, lebt. Natur: Wie das tobt, wie das faucht, wie das knurrt, verwüstet, stirbt. Natur: Es gibt wenige Begriffe, die ein so weites und widersprüchliches Assoziationsfeld eröffnen wie dieses kleine, harmlos klingende Wort. Natur als Voraussetzung und Raum unseres Lebens kann ebenso damit gemeint sein wie die Summe der Gewalten, denen gegenüber sich der Mensch behaupten muss; Natur kann als ein Ideal gedacht werden, zu dem der Mensch zurückkehren möchte, oder als ein Verhängnis, aus dem er sich befreien sollte. »Natürlich« kann ein positives Attribut für Lebens­ mittel und Lebensweisen sein, und es kann als Aus­ druck einer zivilisations­ und technikfeindlichen Ideologie gewertet werden. Wie man es dreht und wendet: Das Verhältnis des Menschen zur Natur, zur äußeren, ihn umgebenden ebenso wie zu seiner inneren, ist uneindeutig, ambivalent, gespalten und mitunter höchst belastet. Die Geschichte der Menschen ist auch gekennzeichnet von der stets von Neuem auftauchenden Frage, ob denn die Natur für uns ein Vorbild, eine Leitlinie sein kann, oder ob es nicht in unserer Bestimmung liegt, Natur zu überwinden, hinter uns zu lassen und durch künstliche Stoffe und Gebilde aller Art zu ersetzen.

HÖCHSTE KUNST DER NATUR

Lange galt die Natur als ein Vorbild, dem nachzueifern sich lohnte. Künstler wurden dafür bewundert, dass sie nach der Natur arbeiten konnten. Etwas naturgetreu abzubilden, war Ausweis einer besonderen ästhetischen Qualität. Täuschend ähnlich hielten die niederländischen Stillleben halbgeschälte Früchte und aufgeschlitzte Fische im Bild fest. Spätestens seit der Romantik wurde die Natur dann selbst zu einer Quelle der Erfahrung des Schönen und Erhabenen. In der Phase der frühen Indus­ trialisierung fühlte sich der Mensch zunehmend der Natur entfremdet und begann, diese zu verklären. Nun wurden die Alpen zu einem Sehnsuchtsort, die Zivilisationsflucht mit all ihren touristischen Begleiterscheinungen setzte ein, ländliche Idyllen wurden beschworen, und in der Musik zirpten die Vögel, grollte der Donner und hüpfte die launische Forelle. Zu erreichen war diese Naturnähe aber nur mit avancierter Technik und höchster Kunst. Nach der Natur zu arbeiten, bedeutete stets, ausge­ sprochen oder unausgesprochen, diese zu überbieten. »Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht / Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, / Das den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal denkt.« Die ersten Verse von Friedrich Gottlieb Klopstocks be­ rühmter Ode »Der Zürchersee« (1750) markieren in ein­ dringlichen, unüberbietbaren Worten ein Naturverhältnis, das in der einzigartigen Fähigkeit des Menschen, Natur zu denken, zu gestalten, nachzuahmen, zu wiederholen den eigentlichen Reiz sieht. Natur wird zu einem Medium, in dem sich die Empfindungen des Menschen spiegeln, ›


6

E s s ay

Natur wird zum Symbol für unsere Sehnsüchte und Ängste, Hoffnungen und Enttäuschungen. Die Beschwö­ rungen der Natur dokumentieren nicht nur unsere Ver­ bundenheit mit dieser, sondern auch und vor allem, dass wir über die Natur hinaus sind. Der Natur gegenüber lebt und denkt und fühlt der Mensch in einem Danach: Natur ist das, was wir hinter uns gelassen haben. Die Natur ist ein großes, fremdes Gegenüber, an dem wir nicht mehr partizipieren. DAS NEUE CREDO

Dieses Danach, das den Menschen selbstbewusst über die Natur stellt, bleibt nicht unwidersprochen. Der Mensch, so lautet das neue Credo, ist selbst nur Teil der Natur, ein Tier unter Tieren. Die einst so klare Grenze zwischen Mensch und Tier ist durchlässiger geworden, die Er­ gebnisse der Wissenschaften, die sich mit dieser Grenze beschäftigen, sorgen laufend für Überraschungen. Pri­ matenforscher, Ethologen, Kognitionswissenschaftler und Biologen erkennen bei Menschenaffen, aber auch bei Vögeln, Ratten oder Delphinen Fähigkeiten, die früher

ausschließlich dem Menschen zugeschrie­ ben wurden: komplexe kognitive Leistungen, Werkzeuggebrauch, Einfühlungsvermögen, die Herausbildung von Traditionen, kulturelle Praktiken. Die Nähe zum Tier erfüllt uns kaum noch mit Unbehagen, und der Wunsch, kein Tier zu sein, sich von diesem abzugrenzen, gilt mittlerweile als höchst anstößig. Wer diesen Wunsch äußert, erweist sich als Speziesist, als Vertreter eines Rassismus der Arten. Aber, so könnte man mit Hegel fragen: Ist ein Tier, das weiß, dass es ein Tier ist, überhaupt noch ein Tier? Tatsächlich gibt es, selbst wenn man grundlegende Differenzen akzeptiert, wenige Gründe, den Menschen gegenüber anderen Erscheinungsformen der Natur zu privilegieren. Allerdings muss diese Naturhaftigkeit des Menschen gerade heute so stark betont werden, weil der Mensch sich daran macht, Natur im großen Stil um­ zugestalten. Der Begriff des Anthropozäns erklärt ja den Menschen zur ersten Art, der es – in durchaus zweifel­ hafter Weise – gelingt, auf dieser Erde irreversible Spuren zu hinterlassen und damit ein geologisches Zeitalter zu prägen. Wären diese Spuren nur Resultate von Natur­ ereignissen, wäre alles nicht so dramatisch. Doch es gilt für alle Umweltaktivisten, dass ohne den Menschen die Erde anders aussähe und das Klima menschenfreund­ licher wäre. Der Mensch ist ein Verhängnis für die Natur, kein Teil von ihr. Umgestalten heißt sehr oft: vernichten. Wir können Natur nur mehr als verschwindende Größe festhalten. Naturerfahrung im Industriezeitalter kann nicht anders


E s s ay

gedacht werden denn als eine Erfahrung des Verschwin­ dens. Tier­ und Pflanzenarten, Wälder und Wiesen, der bestirnte Himmel, Schneefelder und Gletscher, ganze Landstriche und Formationen, Korallenriffe und Küsten, Flüsse und Seen, ja selbst die Jahreszeiten: Alles ver­ schwindet. KLIMASCHUTZ ODER NATURSCHUTZ?

Unser Verhältnis zur Natur ist ambivalent. Nach der Natur leben markiert nicht nur eine Werbeschiene für Bio­Pro­ dukte, sondern ist Ausdruck eines authentischen Bedürf­ nisses nach einer Wiedergewinnung von Natur angesichts der Folgen unserer technologischen Zivilisation. Die Geister scheiden sich jedoch an der Frage, ob diese Fokus­ sierung auf die Natur von den Überlebensperspektiven des Menschen geleitet sein darf, oder ob der Natur, der Tier­ und Pflanzenwelt, ein Eigenwert zugeschrieben werden muss, der mit den Interessen der Menschen kolli­ dieren kann. Mehr Lebensraum für bedrohte Tierarten bedeutet weniger Lebensraum für die expansionsgewohnte Menschheit. Dass, um das Klima zu schützen, Naturräume durch Staudämme, Windparks und Solarpaneele großflächig umgestaltet und durch radioaktiven Abfall für Jahrtausen­ de belastet werden müssen, wird über kurz oder lang zu veritablen Konflikten zwischen Klima­ und Natur­ schützern führen. Grünen

7

Strom aus Wasserkraft zu propagieren und gleichzeitig Flüsse zu Rechtssubjekten zu erklären, in deren Integrität, das heißt Verlauf, nicht eingegriffen werden darf, stellt einen unauflöslichen Widerspruch dar. Die Verklärung naturnaher Lebensformen und die großzügige Verleihung von Rechten an ausgewählte Erscheinungsformen der Natur darf nicht darüber hin­ wegtäuschen, dass Menschsein von Anbeginn bedeutete, nach der Natur im Sinn eines post­ und transnaturalen Zustands zu leben. »Künstlichkeit ist die Natur des Menschen und sein Wesen ist Unbeständigkeit.« Dieser großartige Satz des Philosophen Günther Anders bringt das Dilemma des Menschen auf den Punkt. So sehr wir auf der einen Seite die Natur romantisch illuminieren, so sehr fasziniert uns auf der anderen Seite jede Form von Künstlichkeit, von Stahlkonstruktionen bis zu Raum­ kapseln, von humanoiden Robotern bis zur Künstlichen Intelligenz, von der die einen hoffen und die anderen fürchten, dass sie den Menschen als Gattung ablösen wird. Und auch hier gilt, fast zu einer Fratze verzerrt, Klopstocks Gedanke: Mehr als den Geist des Menschen bewundern wir die raffinierte Technik, die dieser Geist nachbaut und die ihn einmal übertreffen wird. ›


8

E s s ay

NATURWISSENSCHAFT ALS IMPERATIV

Die in Zeiten der Klimaveränderung und Umweltzerstörung spürbar gewordene Hinwendung zur Natur korrespondiert so auf paradoxe Art mit dem Willen, am Menschen selbst nichts mehr der Natur zu überlassen. Weder die biologischen Gegebenheiten des Menschen wie Geschlecht, Hautfarbe, Körperbau noch seine Fähigkeiten wollen wir der Natur, das heißt dem Zufall verdanken. Dass am Sein des Men­ schen nichts natürlich sei, dass wir Wirklichkeit schlecht­ hin als soziale Konstruktion auffassen sollten, ist ein Gedanke, in den wir geradezu verliebt sind. Naturwissen­ schaft begreifen wir deshalb nicht mehr als kontemplatives theoretisches Unternehmen, das die Zusammenhänge und Erscheinungsformen der Natur erkennen will, sondern als ein Verfahren, das einen technologischen Imperativ in sich trägt. Wissenschaft und Technik sind nahezu synonym geworden, Wissenschaft fällt für uns mit ihrer effizienten Anwendung zusammen: Sie soll uns von den Zumutungen der Natur befreien. Dies gilt auch für die »weichen« Wissenschaften, die mit Steuerungs­, Kontroll­ und Verbesserungsverfahren für alle Belange des sozialen Zusammenlebens aufwarten müssen. Die empirische Sozial­ und Bildungsforschung wird mit dem Zweck betrieben, politische Entscheidungen

durch eine fachliche Expertise zu stützen. Vergessen wird dabei gerne, wie sehr politische Vorgaben schon in die Fragestellungen und Untersuchungsmethoden einschlägi­ ger Projekte einfließen können. In diesen Disziplinen gilt die Berufung auf Natur als höchst prekär. Wer etwa von »natürlichen« Begabungen oder »natürlichen« Formen des Zusammenlebens, gar der Sexualität spricht, macht sich sofort einer reaktionären Geisteshaltung verdächtig. Und dies zu Recht, denn für den Menschen gibt es keine natürlichen Maßstäbe, an denen er sich zu orientieren hätte. Immanuel Kants Be­ schreibung des künstlerischen Genies als eines »Günstlings der Natur« kann mit keiner Zustimmung mehr rechnen. Wir gehen davon aus, dass es keine natürlichen Formen der Ungleichheit gibt, die nicht durch soziale, technische oder politische Interventionen ausgeglichen werden könnten. Was an uns Natur ist, steht jederzeit zur Dispo­ sition. Je mehr wir uns besorgt der Natur um uns zu­ wenden, desto weniger wollen wir an uns selbst mit dieser zu tun haben.


E s s ay

EIN VERLOCKENDER IRRTUM

Fraglich, wie sehr sich solche Vorstellungen wirklich auf abgesicherte Erkenntnisse stützen können. Auch Wissen­ schaft folgt manchmal sozialen und kulturellen Moden. Das ältere anthropologische Konzept der Unbestimmtheit und Weltoffenheit des Menschen hatte zumindest den Vorteil, dass es die Frage, was der Mensch sein will, mit einer grundsätzlichen Freiheit verbindet, die nicht durch die Berufung auf eine deterministische Konzeption außer Kraft gesetzt werden kann. Die vor allem durch die Klimajugend populär ge­ wordene, an die Politik gerichtete Aufforderung, doch ein­ fach der Wissenschaft zu folgen, ist deshalb so nachvoll­ ziehbar wie irrig. Es liegt im Wesen der neuzeitlichen Wissenschaft, dass aus ihren Einsichten tatsächlich keine unmittelbaren Handlungsanleitungen folgen. Wissenschaft beschreibt, erklärt, experimentiert, formuliert Hypothesen und entwickelt Modelle, die unterschiedliche mögliche Szenarien antizipieren. Was dann getan, wie im Ernstfall gehandelt werden soll, ist jedoch keine Frage der Wissen­ schaft. Da Wissenschaft kein monolithisches, sondern ein dynamisches Unternehmen ist, das durch konkurrie­ rende Theorien und offene Debatten gekennzeichnet ist, gibt es in ihr prinzipiell nicht jene Eindeutigkeit, die sich manche als Leitfaden ersehnen. Der Gedanke, Probleme durch wissenschaftliche Expertise zu lösen, ist zweifellos verlockend. Wissenschaft ist das erfolgreichste Programm, das der Mensch entwi­

9

ckelt hat, um sich in seiner Welt zu orientieren, diese zu erklären und zu beherrschen. Dass Experten die besseren Politiker wären, war dennoch immer schon ein Irrtum. Die Technokratie als Herrschaftsform der angewandten Wissenschaft ist keine Lösung, weil diese selbst einen verengten Blick auf die Welt darstellt. Wir sollten deshalb die Gestaltung unseres Zusammenlebens und unsere Beziehung zur Welt ohne Erröten nicht nur als technische, sondern auch als politische, als ethische, als ästhetische, als philosophische Aufgabe begreifen. NATUR IST NICHTS NATÜRLICHES

Um es pointiert zu formulieren: Für den Menschen ist Natur nichts Natürliches. Wie wir Natur denken und gestalten, ist uns nicht vorgegeben. Ob wir Natur nur als Ressource für unsere maßlosen Bedürfnisse oder als ein Gegenüber sehen, das wir in seinem Eigenwert akzeptie­ ren und in seiner Schönheit bewundern können, liegt an uns. Wie wichtig dafür die moderne Wissenschaft ist, steht außer Streit. Aber erst die Kunst klärt uns darüber auf, dass in der Natur eine Idee von Unmittelbarkeit liegt, die nur, um noch einmal Klopstock zu zitieren, ein »froh Gesicht« mit­ und nachempfinden kann. Die Kunst stand von Anbeginn in einem besonders produktiven Spannungsverhältnis zur Natur. Schon Aristoteles sah in der Fähigkeit zur Nachahmung und in der Bereitschaft, diese lustvoll zu genießen, eine Wurzel unserer Kreati­ vität. ›


10

E s s ay

Die Wiederholung der Natur durch die Kunst ermöglicht uns eine besondere Erfahrung: Freude am gelungenen Spiel, gepaart mit Erkenntnis. Dies setzt jedoch eine Distanz voraus, die ein unmittelbares Eingefügtsein in die Natur nicht erlaubt. Zuviel Wirklichkeit tut der Kunst nicht gut. Wenn Gustav Mahler für den Kopfsatz seiner Ersten Sinfonie die Anweisung »Wie ein Naturlaut« gibt, dann ist eben nicht gemeint, dass in dieser Musik das Rauschen der Wälder oder das Zwitschern von Vögeln imitiert und zu Gehör gebracht werden sollen, sondern die Musik, Resultat höchster menschlicher Kunstanstrengung, soll so selbstverständlich und stimmig erklingen, als wäre sie Natur. Dieser Gedanke findet sich bei Immanuel Kant und wird später von Theodor W. Adorno wiederholt: Das Kunstvolle an der Kunst besteht darin, die Tatsache, dass sie unter schwierigen Bedingungen von Menschen hergestellt werden muss, vergessen zu lassen. Und noch in einem anderen, entscheidenden Punkt setzt sich Kunst in eine radikale Differenz zur Natur. Kein Fühlender, so formulierte es Adorno in seiner »Ästheti­ schen Theorie«, der nicht vom Gesang einer Amsel nach einem Regen zutiefst berührt würde; aber in diesem Gesang der Amsel lauert das Schreckliche, weil er einem Bann gehorcht: Der Vogel kann nicht anders. Es ist seine Natur. Genau dies unterscheidet seinen Gesang von der Kunst. Diese ist Resultat von Freiheit, ist nicht nur

Unmittelbarkeit, Reflex oder Instinkt, sondern durchdrungen von Geist, gebro­ chen von Reflexion. Das Naturschöne bleibt eine Erfahrung, die der ästhetischen Bildung bedarf, und dies umso mehr, als es selbst zuneh­ mend zu einem Produkt der Kultur- und Ferienindustrie geworden ist. Gerade die musikalischen Anverwandlungen von Naturphänomenen verleihen diesen eine Emotionalität, die aller Naturhaftigkeit des Seins eingedenk ist und dennoch selbstbewusst am gestaltenden, souveränen, freien Charakter menschlicher Kreativität festhält. Die Musik, die Natur zum Erklingen bringt, verleiht dieser damit eine Dimension, die ihr als solche nicht zukommt. Hegel hat einmal die saloppe Bemerkung gemacht, dass er an den vielgerühmten gletscherbedeckten Alpen nichts Bewun­ dernswertes oder Erhabenes erkennen kann. Der An­ blick dieser ewig toten Massen hinterließ bei dem nüch­ ternen Philosophen nur die dürre Erkenntnis: Es ist so. In Richard Strauss’ »Alpensinfonie« hingegen erfährt dieses stumme Sein eine ästhetische Gestaltung, die die Frage, was denn die Berge für uns bedeuten können, in allen musikalischen Farben schillern lässt. Nur die Kunst, nur die Musik erlaubt es uns, dieses doppelte Nach der Natur zu erfahren, ohne der Natur und uns selbst Gewalt antun zu müssen. KONRAD PAUL LIESSMANN, 1953 in Villach geboren, ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Wien, Essayist und Kulturpublizist. Er veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zu Fragen der Ästhetik, der Kunst- und Kulturphilosophie, der Gesellschafts- und Medientheorie sowie zur Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Zuletzt erschien sein Nietzsche-Buch »Alle Lust will Ewigkeit. Mitternächtliche Versuchungen« (Zsolnay 2021).


E s s ay

11

Sohrab Zafari Architekt

Automatik Chronograph | Edelstahl | Geprüftes Chronometer | 3.995 € Hamburg: Jungfernstieg 8, T 040 33 44 88 24 · Mönckebergstraße 19, T 040 33 44 88 22 und AN DEN BESTEN ADRESSEN DEUTSCHLANDS UND IN NEW YORK, PARIS, LONDON, WIEN, MADRID – WEMPE.COM Gerhard D. Wempe GmbH & Co. KG, Steinstraße 23, 20095 Hamburg


12

musikLE Xikon

Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte. Diesmal …

STICHWORT: »NATUR« VON CLEMENS MATUSCHEK ILLUSTRATIONEN LARS HAMMER

LOUIS ARMSTRONG: WHAT A WONDERFUL WORLD

Grüne Bäume, rote Rosen, blauer Himmel, weiße Wolken, überspannt vom bunten Regenbogen – Louis Armstrongs Ballade von 1967 zeichnet eine fast schon verdächtig heile Welt. Und dann schafft es der Mann auch noch, seine Reibeisenstimme so warm klingen zu lassen wie die Früh­ lingssonne und bei jeder noch so unwahrscheinlichen Silbe wie eine große Grinsekatze in die Kamera zu strah­ len. Dabei waren die Zeiten alles andere als rosig; der Vietnamkrieg lief ebenso aus dem Ruder wie die brutale weiße Polizeigewalt gegen die schwarze Bürgerrechts­ bewegung. Einer tief gespaltenen Gesellschaft von einer »wundervollen Welt« zu singen, war also entweder a) hoffnungslos naiv oder b) unglaublich optimistisch. Armstrongs Produzent tendierte zu a), weshalb er den Song lange nicht promotete – und sich Lesart b) erst 20 Jahre später durchsetzen konnte. MARVIN GAYE: MERCY MERCY ME (THE ECOLOGY)

JEAN-PHILIPPE RAMEAU: LA POULE

Die Natur zählt zu den beliebtesten musikalischen Sujets überhaupt, insbesondere die Unterkategorie Tiere – nicht erst seit Camille Saint­Saëns’ »Karneval der Tiere«. Schon Joseph Haydn bildete in seiner »Schöpfung« die Fauna enzyklopädisch vom Wurm bis zum Wal ab, und an Vogelstimmen­Imitationen versuchte sich fast jeder Komponist einmal. Ein besonders amüsantes Beispiel lieferte der Cembalovirtuose Jean­Philippe Rameau 1726 in seinen »Pièces de clavecin«. Eigentlich handelt es sich um Sammlungen stilisierter Tänze, doch der Spaßvogel Rameau baute zahlreiche thematisch motivierte Sätze ein, darunter auch »La poule«, in dem er das Gackern einer Henne ornithologisch korrekt wiedergab. Die Begleit­ akkorde übrigens sind konsequent dreistimmig gehalten – also auch mit Hühnerkrallen spielbar.

»Wo ist der blaue Himmel geblieben? Gift im Wind, Öl­ pest in den Ozeanen, Quecksilber in den Fischen, Ver­ strahlung am Boden und in der Luft …« Eigentlich ist Marvin Gaye ja als »Prince of Motown« bekannt, als soulig groovender Feelgood­Partyhit­Garant. Doch mit seinem Album »What’s Going On« (1971) zog er den Erwartungen seines Labels gehörig den Stecker und thematisierte Umweltzerstörung, Rassenunruhen, das Vietnamkriegs­ trauma seines Bruders und seine eigene Heroin­Abhängigkeit. Gayes sanfte Stimme klang plötzlich ziemlich fatalistisch. Gerade die Ausbeutung der Natur war bis dahin nicht im öffentlichen Bewusstsein präsent, das Wort »Ecology« kannte sein Manager gar nicht. Erst nach und nach sprangen andere Künstler auf den Öko­Zug auf; bis zur Gründung der Grünen hierzu­ lande sollten noch neun Jahre vergehen. 2020 kürte der »Rolling Stone« das visionäre Konzept­ album zur besten Platte aller Zeiten.


musikLE Xikon

13

CHARLES KOECHLIN: DSCHUNGELBUCHZYKLUS

ANTON WEBERN: IM SOMMERWIND

Im Sommer 1904 war die Welt für den 20­jährigen Anton Webern noch in Ordnung. Im Kärntner Urlaubsdomizil gab er sich in postpubertärem Gefühlsüberschwang der Naturschwärmerei hin und warf die Tondichtung »Im Sommerwind« aufs Papier – eine Viertelstunde Schmach­ ten und Sehnen, Wiegen und Wogen für gigantisch besetztes Orchester. Wie so viele Musik des Fin de Siècle vergeht sie fast vor Schönheit, weiß aber auch nicht recht, wohin mit sich. Den Bruch vollzog Webern wenige Monate später, als er beim radikalen Erneurer Arnold Schönberg Unterricht nahm. Fortan sollte die Reduktion sein wichtigstes Stilmittel werden. Und so dürfte »Im Sommerwind« ungefähr so viele Noten enthalten wie sein komplettes späteres Œuvre.

»Probier’s mal mit Gemütlichkeit« – mit dieser Lebensweisheit des ersten Entschleu­ nigungs­Apostels Balu hätte man Charles Koechlin nicht kom­ men dürfen. Der Fran­ zose (1867–1950) komponierte vielmehr im Akkord, buchstäblich Hunderte von Werken. Als Maverick der Musikgeschichte pflegte er dabei einen eklektischen Stil, der zwischen Im­ und Expressionismus, Neoklassizistik und freier Atonalität schwankte, manchmal sogar in ein und demselben Stück. Ähnlich breit gestreut waren seine Interessen von mittel­ alterlicher Musik über stereoskope Fotografie, Archäolo­ gie, Astronomie, Tennis und Kommunismus bis hin zum Hollywood­Kino. Einen Ehrenplatz in dieser obskuren Liste nimmt Rudyard Kiplings »Dschungelbuch« ein, dem er nicht weniger als vier Sinfonische Dichtungen und drei Orchesterlieder widmete. »Les Bandar­log« illustriert, wie Mogli von den Affen entführt wird. Landen konnte Koechlin mit seinem Stilmix nirgendwo wirklich – weshalb seine grandiose Musik leider bis heute kaum gespielt wird. JOHN LUTHER ADAMS: BECOME OCEAN

FRANZ SCHUBERT: HEIDENRÖSLEIN

Besonders gern wurde die Natur als unverfängliche Metapher bei schlüpfrigen oder politisch heiklen Themen bemüht, über die man eben nicht »unverblümt« sprechen konnte. Goethes berühmtes »Heidenröslein« etwa nutzt das seinerzeit gängige Sprachbild von der (Jung)Frau als Blume, die jederzeit von einem Mann »gepflückt« werden kann. Das Gedicht endet erschreckend achselzuckend: »Und der wilde Knabe brach / ’s Röslein auf der Heiden / Röslein wehrte sich und stach / Half ihm doch kein Weh und Ach / Musst’ es eben leiden.« Nur konsequent von Franz Schubert, dass er seine Vertonung 1815 ähnlich lapidar beschloss. Es gibt allerdings auch den umgekehr­ ten Fall: Im »Veilchen«, 1785 von Mozart in Töne gesetzt, ist der Mann die Blume, der darauf hofft, von einem Mädchen gepflückt und an den Busen gedrückt zu wer­ den – vergeblich, denn die Angebetete nimmt das Veil­ chen gar nicht wahr und tritt es achtlos platt.

»Das Leben auf unserem Planeten entwickelte sich im Wasser. Wenn nun die Polkappen schmelzen und der Meeresspiegel steigt, endet es auch wieder im Wasser.« Eine ebenso simple wie plausible wie erschütternde Prognose zur Zukunft der Menschheit. Formuliert hat sie der heute 69­jährige John Luther Adams, der als Kompo­ nist und Umweltaktivist lange in Alaska lebte. Und er setzte sie auch gleich in Musik um: »Become Ocean« heißt sein dreiviertelstündiges Orchesterstück aus dem Jahr 2013, für das er einen Pulitzer­Preis und einen Grammy gewann. Analog zu seiner Einschätzung ist es symmetrisch angelegt und läuft ab der Hälfte exakt spiegelverkehrt rückwärts, bis der Ausgangszustand erreicht ist. Ange­ sichts des dramati­ schen Themas kommt es musika­ lisch eher zahm daher: Der »New Yorker« nannte es »die lieblichste Apokalypse der Musikgeschichte«.

m DIE PLAYLIST ZUM LEXIKON FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE / MEDIATHEK


14

A smik Grigorian

DIE GROẞE IM KLEINEN


A smik Grigorian

15

Seltene Gelegenheit: Die gefeierte Opernsängerin Asmik Grigorian gibt einen Liederabend. VON SIMON CHLOSTA

V

iele Karrieren im Opernbetrieb verlaufen wie ein langsam ansteigendes Crescendo. Erst wird man Mitglied in einem Ensemble, arbeitet sich nach vorn, singt die eine oder andere Hauptrolle oder springt für einen großen Namen ein. Und mit viel Fleiß und Talent und noch mehr Glück landet man am Ende vielleicht selbst am Gipfel des Opernolymps. Asmik Grigorians Sprung an ebendiese Spitze kam eher einem lauten Fortissimo-Knall gleich, als sie 2018 bei den Salzburger Festspielen als Salome in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper einen Sensationsauftritt hinlegte. So intensiv und ausdrucksstark hatte man diese exzentrische Rolle, in der sich ein scheinbar naives Mädchen krank vor Begehren in einen rauschhaften Wahn steigert und zum mordlüsternen Racheengel mutiert, lange nicht gesehen. Beim Schlussapplaus ging der Regisseur Romeo Castellucci vor ihr auf die Knie – und mit ihm das Salz­ burger Publikum und die versammelte Kritik. »Die Salome aller Salomes«, bilanzierte die »Financial Times«, und die »F.A.Z.« malte sich aus, wie »Richard Strauss im Himmel selig gelächelt haben« musste. Bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift »Opernwelt« wurde Grigorian im Anschluss mit nie dagewesener Mehrheit zur Sängerin des Jahres gekürt. Und auch wenn sie vorher längst keine Unbekann­ te auf der Opernbühne mehr war – von nun an galt sie als Star. »Ich muss akzeptieren, dass die Salome mich den Rest meines Lebens begleiten wird«, sagte Grigorian mit ein paar Monaten Abstand. »Sie war ein riesiges Geschenk für mich, weil ich seither eine große Auswahl habe. Ich kann mit den besten Opernleuten der Welt arbeiten, und das ist so wichtig für mich, denn meine Arbeit ist mein Zuhause. Aber gleichzeitig bedeutet das natürlich eine große Herausforderung. Mit Salome haben sich die Maß­ stäbe nach oben verschoben. Viele Leute gehen davon aus, dass ich jetzt von Rolle zu Rolle immer weiter über mich hinauswachse, immer besser werde. Und vielleicht kommt dieser Gedanke gar nicht nur von außen, sondern auch von mir selbst.«

Die Oper wurde der 1981 im litauischen Vilnius gebore­ nen Sängerin buchstäblich in die Wiege gelegt: Ihr Vater war der bekannte armenische Tenor Gegam Grigorian, die Mutter, ebenfalls Sopranistin und Gesangsprofessorin, wurde ihre erste Lehrerin. Grigorian studierte an der litauischen Musik- und Theaterakademie und war mit Anfang 20 Gründungsmitglied der Vilnius City Opera, an der sie auch heute noch einmal im Jahr auftritt. Von ihrem Elternhaus sei sie allerdings weniger musikalisch geprägt worden als vielmehr in Bezug auf ihre Persönlichkeit: »Von meinem Vater habe ich die Fähigkeit erhalten, das Leben zu spüren. Das ist das größte Geschenk, das ich von ihm bekommen habe. Von meiner Mutter habe ich vermutlich die Empathie und auch diese enorme Disziplin.«

D

isziplin brauchte Grigorian schon früh in ihrem Leben. Noch als Studentin wurde sie zum ersten Mal Mutter und musste ihr Leben zwischen Bühne und ihrem Sohn organisieren. »Ich brauchte Geld, deshalb habe ich ständig gearbeitet. Es war eine gefährliche Zeit! Ich habe mich fast selbst getötet. Mit dreißig war ich total fertig. Meine Stimme war in einem sehr schlechten Zustand. Da ent­­ schied ich: Ich beginne einfach nochmal von vorne.« ›

Sensationsauftritt: Asmik Grigorian als Salome bei den Salzburger Festspielen (2018)


16

A smik Grigorian

»Nun bin ich in der Situation, in der ich es endlich genießen kann, Sängerin zu sein.«

Heute, sagt sie, sei sie froh, dass ihr das alles so früh passierte. »Hätte ich diesen Absturz damals nicht gehabt, würde er vielleicht heute passieren.« So aber kann Grigo­ rian mittlerweile auf ein Repertoire von über 60 Partien zurückgreifen, auch ihre Stimmkrise hat sie längst über­ wunden, ebenso die Panikattacken, die sie seit den frühen Musikschultagen begleiten, wie sie einmal ganz offen in einem Interview erzählte. Inzwischen hat Grigorian noch eine junge Tochter, die sie oft auf ihren Reisen begleitet. Und falls wieder einmal alles zu viel wird, weiß sie, was zu tun ist: »Immer nach Hilfe fragen. Und sich Pausen gönnen. Nun bin ich in der Situation, in der ich es end­ lich genießen kann, Sängerin zu sein.« Ihren Erfolg verdankt Asmik Grigorian – neben ihrer Stimme natürlich – vor allem ihrer überragenden Bühnen­ präsenz. Sie ist eine begnadete Schauspielerin, auch wenn sie das selbst so nicht sagen würde: »Ich habe es nicht gelernt. Und ich kann auch gar nicht behaupten, dass ich wüsste, wie man spielt. Ich nehme mein ganzes Spiel aus der Realität. Das hat wohl damit zu tun, dass ich ein sehr empathischer Mensch bin. Ich fühle mich schnell in andere Menschen ein, was im Leben nicht immer ange­ nehm ist. Aber auf der Bühne hilft mir diese Eigenschaft natürlich sehr.« Ihrem Spiel haftet denn auch nichts Unnatürliches oder Einstudiertes an wie bei so vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen, denen man das Training vorm heimischen Spiegel förmlich ansieht. Auf der anderen Seite kann sie so aber auch keine klare Grenze zwischen Bühne und Leben ziehen, zwischen sich und den Rollen, die sie verkörpert: »Sie sind immer bei mir, ich lerne von ihnen.« Auch ihre Salome war keine ferne mythologische Figur, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, verletz­ lich, mit all seinen Abgründen und Widersprüchen. Vielleicht ging ihre Darstellung gerade deshalb so unter die Haut. Grigorian sieht in den abstrakten Opernfiguren

eben stets die menschliche Seite: »Wir sind alle Menschen und kämpfen mit den gleichen Problemen. Für mich ist das Wichtigste, meine Geschichte zu erzählen, zu sagen, was ich hier fühle. Diese pure Emotion und Ehrlichkeit gibt jedem Einzelnen im Publikum die Möglichkeit, auszu­ wählen, was er sehen und aus der Geschichte lernen will.« Und sie fügt an: »Vielleicht ist das meine Aufgabe im Leben: die Leute zum Weinen und Fühlen zu bringen.«

D

ass Grigorian für die Bühne brennt, zeigt sich auch darin, dass so gut wie keine Aufnahmen von ihr exis­ tieren. Einige wenige Opernauftritte, darunter die Salz­ burger »Salome«, sind zwar als Mitschnitt dokumentiert, aber den Weg ins Tonstudio hat die Sängerin lange gescheut. Bis jetzt. Mit dem litauisch-russischen Pianisten Lukas Geniušas hat sie kürzlich ein Album mit Liedern von Sergej Rachmaninow aufgenommen und so mit 40 Jahren ihr CD-Debüt vorgelegt. Gemeinsam präsentieren die beiden das Programm in dieser Saison an ausgewählten Konzerthäusern, darunter auch in der Elbphilharmonie. So ergibt sich in Hamburg die seltene Gelegenheit, diese einzigartige Sängerin abseits der Opernbühne im kleinen Rahmen des Liederabends zu erleben. Es wird wohl vorerst eine der letzten Möglichkeiten bleiben, denn Asmik Grigorians Kalender ist voll mit Opernproduktionen in der ganzen Welt. All die Figuren, die in ihr wohnen und ein Teil von ihr geworden sind, drängen eben auf die Bühne.

ASMIK GRIGORIAN Di, 24. 5. 2022 | 19:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Lukas Geniušas (Klavier) Ausgewählte Lieder von Sergej Rachmaninow


A smik Grigorian

Störtebeker Beer & Dine – Das Restaurant in der Elbphilharmonie. Unser gemütliches Restaurant im historischen Kaispeicher der Elbphilharmonie verbindet die handwerklich gebrauten Störtebeker Brauspezialitäten mit moderner gehobener Küche aus regionalen Zutaten mit hoher Qualität. Der Zutritt zur Elbphilharmonie Hamburg ist mit einer Tischreservierung in unserem Restaurant kostenfrei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! www.stoertebeker-eph.com | restaurant@stoertebeker-eph.com | +49 40 6053381-0 |  

17


18

Richard Str auss

SCHATTEN OHNE FRAU Ein paar irritierende und anstachelnde Gedanken zu Richard Strauss’ Orchesterwerk VON ALBRECHT SELGE


Richard Str auss

W

enn es nicht von jemandem wie Karl Kraus stammte, dürfte man es eigentlich gar nicht mehr zitieren in seiner hochschnaubungs­ vollen Misogynie. Aber es stammt eben von Karl Kraus, dieses boshafte Zitat: »Die Musik des Herrn Richard Strauss ist ein Frauenzimmer, das seine natür­ lichen Mängel durch eine vollständige Beherrschung des Sanskrit ausgleicht.« Im Ernst – Strauss’ Musik, ein Mängelwesen? Ausgerechnet die große Schwelgerin, Perfektionistin, Meisterin des Orchesterklangs? Alles nur Fassade, nur eine üppige Hülle um eine große innere Leere? Tatsächlich sind die Einwände gegen Richard Strauss Legion. In Programmheften oder Konzertführern werden sie oft aufgezählt, um ihnen dann (manchmal ein wenig halbherzig) zu widersprechen: Sei es der schnöde Natura­ lismus der »Alpensinfonie« mit ihren sausenden, schnau­ fenden Windmaschinen. Oder die durchaus peinliche Nabelschau auf die eigene Kleinfamilie mit pompösesten musikalischen Mitteln in der »Sinfonia domestica«. Das alles wird von den Strauss-Verteidigern meist eingeräumt – um dann das Werk trotz der empfundenen Oberflächlich­ keit doch irgendwie in den tieferen Sinn und somit auf eine höhere Ebene zu wuppen. Aber muss man das überhaupt? Darf das Strauss’sche Klangding nicht dastehen, wie es scheint: prahlerisch, effektheischend, diesseitig bis zum Umfallen? Das frage ich mich als ein Konzertgänger, der jahrelang um die »Domestica« einen weiten Bogen gemacht hat und auf »Ein Heldenleben« geradezu allergisch reagiert(e). HINEIN- UND HERAUSGEHÖRTE APOKALYPSEN

In seinem wunderbaren Buch »The Rest Is Noise« über die Musik des 20. Jahrhunderts beschreibt der New Yorker Kritiker Alex Ross, wie Gustav Mahler sich 1906 im Zug von Graz nach Wien über den riesigen Erfolg der »Salome« wunderte, den er gerade miterlebt hatte. Er hielt Strauss’ neue Oper nämlich für ein Meisterwerk – und begriff nicht, wie die Masse sofort davon begeistert sein konnte. Zum Narrativ der Moderne gehört schließlich die ver­ male­deite Ignoranz des Publikums. Heutzutage, da die Popularität von Richard Strauss im Konzertbetrieb (auch wenn sie abgenommen haben mag) festes Repertoireschlachtross-Faktum ist, fällt es schwer, sich die herausfordernde Avantgarde-Wirkung vorzustellen, die Strauss’ Werke in den ersten beiden Jahr­ zehnten seines Schaffens auf die Zeitgenossen offenbar hatten – als eine Seite der Medaille zumindest, auf deren anderer die Beliebtheit steht, die nicht nur Mahler ve­r­ störte. Thomas Mann lässt seine Hauptfigur Adrian Leverkühn im Roman »Doktor Faustus« demgemäß über Strauss sinnieren: »Was für ein begabter Kegelbruder! Der Revolutionär als Sonntagskind, keck und konziliant.

19

Nie waren Avantgardismus und Erfolgssicherheit ver­ trauter beisammen. Affronts und Dissonanzen genug, – und dann das gutmütige Einlenken, den Spießer ver­ söhnend und ihn bedeutend, dass es so schlimm nicht gemeint war.« Diesen Gedanken nahm 2005 der Komponist Helmut Lachenmann (ein »Avantgardist der gnadenlosen Schule, die keine Gefangenen macht«, wie Alex Ross ihn bezeichnete) auf, als er Strauss’ Opern »Salome« und »Elektra« als »geniale und folgenlose Schauermärchen für den Bürger« bezeichnete. Aber was verrät uns die seltsame Tatsache, dass ein provozierend, ja dröhnend idyllisches Werk wie die »Sinfonia domestica« (die »aufgeklärten« Hörern eher Schauer der Fremdscham über die Rücken scheucht) in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zur »Salome« entstehen konnte? Vielleicht, dass der Strauss-Abgrund gerade in der »Oberflächlichkeit« gähnt. Denn Lachenmanns Zitat steht im Zusammenhang mit einem interessanten Plädoyer nicht gegen, sondern für die »Alpensinfonie«, jene 1915 uraufgeführte letzte und ausuferndste der großen Ton­ dichtungen für Orchester. (Bis zu Strauss’ Tod 1949 folgten noch viele riesige Opern, aber nur noch wenige und eher kleinformatige Instrumentalstücke.) Lachen­ mann unterscheidet nämlich zwischen ungebrochener und unreflektierter Musik – ersteres treffe auf die »Alpensinfonie« zu, letzteres nicht, im Gegenteil: »Ich glaube, dass Richard Strauss ganz genau gewusst hat, dass es zu Ende ist mit › Früh perfekt: Richard Strauss zur Zeit von »Don Juan« und »Macbeth« (1888)


20

Richard Str auss

Im eigenen Riesenschatten: Strauss zur Zeit der »Vier letzten Lieder« (1948)

dem Weltbild, das er hier vermittelt hat. Im ›Mann ohne Eigenschaften‹ sagt Musil über den Zeitgeist des jungen 20. Jahrhunderts einmal sinngemäß: Die einen haben neue Luft gewittert, und andere haben im Wissen, dass sie ausziehen müssen, noch einmal im alten Gebäude so richtig gehaust. Strauss macht das mit einem riesigen Orchesterapparat. Diese Art Abschiedsfeier von einem nur noch scheinbar intakten, zur Attrappe gewordenen Welt­ bild ist für mich nicht weniger apokalyptisch und hell­ sichtig erhellend als jene Musik, die den Bruch vollzieht« – also vor allem Schönberg & Co. Dass Strauss selbst diesem Gedankengang wohl nicht viel hätte abgewinnen können, ist kein Gegenargu­ ment – anders als der Umstand, dass auch Lachenmann in einem »alten Gebäude« haust, nämlich im unverdrosse­ nen Fortschrittsbewusstsein, in der Gewissheit, dass man »so« zur Zeit des Ersten Weltkriegs eigentlich nicht mehr hätte komponieren können. Zum Glück haben wir mittlerweile einen viel weiteren Begriff von Möglichkeiten der Moderne. So aber wird aus dem orchestralen Prunk der »Alpen­sinfonie« eben ein, nochmals Lachenmann, »Ab­ schied in gespenstischem Jubel«. Ist das nun eher heraus­ gehört aus Strauss oder in ihn hineingehört? Fürs Hören selbst ist das vielleicht gleichgültig. SINFONISCHER HAUSHERR

Einen anderen Weg der Strauss-Tiefenbohrung wählt der Amerikaner Alex Ross, und dieser Weg führt in die Anfänge des Künstlerlebens – vielleicht nicht falsch bei einem solchen »Meister der Anfänge« wie Strauss! (Die Weltberühmtheit der Eröffnung von »Also sprach

Zarathustra« bei relativer Unbekanntheit des Folgenden, wenn nicht Enttäuschung darüber, ist wohl nur mit Tschaikowskys b-Moll-Klavierkonzert vergleichbar.) Während in den meisten biografischen Abrissen lediglich betont wird, dass der Vater Franz des 1864 geborenen Richard ein ästhetisch sehr konservativ einge­ stellter erster Hornist des Münchner Hoforchesters war (Mozart hui, Wagner pfui), hebt Ross auf Verbitterung, Jähzorn und Gewalttätigkeit des Vaters ab, der die Mutter in den Wahnsinn getrieben habe. Ross’ Schlussfolgerung bezieht sich nicht nur auf Richard Strauss’ Charakter, sondern ließe sich auf das ästhetische Denken und Emp­ finden übertragen: »Ihr Sohn entschloss sich, wie viele Menschen mit schwierigem familiären Hintergrund, immer eine kühle, gefasste Fassade zu wahren, hinter der jedoch eigenwillige Feuer loderten.« Eine These, bei der man freilich auch fragen könnte, ob sie aus Strauss herausgedacht oder in ihn hineinge­ dacht sei. Aber sie verändert doch die Empfindung, mit der man etwa in der betulichen Strauss-Biografie des Wiener Musikwissenschaftlers Günter Brosche liest, wie possierlich der über achtzigjährige Vater noch kurz vor seinem Tod dem Sohn, immerhin mittlerweile ein lang­ jähriger Erfolgskomponist, gute Ratschläge zur schlanke­ ren Instrumentation der »Sinfonia domestica« erteilte: »Im Hause (Domus) darf man keinen so großen Lärm machen.« Der Sohn aber gigantisiert sich mit Mega-Appa­ rat zum sinfonischen Übervater und Herrn des Hauses. Demonstrativer Individualismus und halb-philoso­ phischer Nihilismus, beeinflusst von Nietzsche und dem Anarchisten Max Stirner, zeichnen viele der »Sinfonischen Tondichtungen« aus, die Strauss’ Ruhm begründeten: entstanden zwischen 1888 und 1903 als nahezu geschlos­ sener Werkabschnitt vor den Jahrzehnten des fast aus­ schließlichen Opernschaffens, beginnend mit »Don Juan« und endend mit der vielgeschmähten »Domestica«, die analog zum vorausgegangenen »Heldenleben« auch »Ein Eheleben« heißen könnte. Die »Alpensinfonie« bildete dann des Genres Nachzügler und Höhepunkt (oder Tiefpunkt, wenn man dem Rowohlt-Konzertführer folgt) vor dem Abgrund des Ersten Weltkriegs. AUFTRUMPFENDE INDIVIDUALITÄT

Mehrere Jugendwerke gingen allerdings dem Erfolgs­ reigen voran, darunter zwei Raritäten, die im Strauss-­ Zyklus der Elbphilharmonie auf dem Programm stehen. Die Tondichtung »Macbeth« entstand 1888, trotz gegen­ läufiger Opuszählung ein Jahr vor dem berühmten »Don Juan«. Dieses Shakespeare-Stück mag ein wenig der Dämonie und Verzweiflung ermangeln; fast könnte man meinen, man hätte mit dem mächtigen Aufschäumen und Perlen der Musik hier jenes legendäre volllaufende Bierglas vor sich, das komponieren zu können Strauss sich später einmal im Scherz gerühmt haben soll. Höchst reizvoll ist die noch früher komponierte »Burleske für Klavier und Orchester« (1886), in der spöttische Als-obBrahms-Gesten (wie vom virtuosen Daffy Duck gespielt)


Richard Str auss

neben gickerndem Till-Eulenspiegel-Gelächter stehen. Diese ironische Maskerade ruft inspirierende kontra­ faktische Gedankenspiele hervor, in welche ganz anderen kompositorischen Richtungen es das Riesentalent Strauss noch hätte ziehen können. Es fasziniert, wie perfekt zwei Jahre nach »Burleske« und »Macbeth« jener Strauss da ist, den man so gut zu kennen meint: mit dem »Don Juan« als Paradebeispiel der auftrumpfenden Individualitätsgestik, vielleicht gar als Ausdruck des Lebensgefühls einer Generation. In der ewig weiterfließenden Harmonik spürt man von fern zwar Wagners »Tristan«, doch der lakonische, wie plötzlich fertiggelebte Resignationsschluss ist das pure Gegenteil. Überhaupt ist es interessant, einmal die oft leisen Schlüsse des vielgepriesenen Meisters der Anfänge zu beachten. Wobei Strauss auch hier Praktiker und Thea­ traliker war: Den feierlichen Bläserschluss von »Ein Heldenleben« schob er hinterher, nachdem ein Freund zu dem ursprünglich geplanten Ende angemerkt hatte, Strauss schreibe ja nur mehr leise Schlüsse. Der »Till Eulenspiegel« aber, dessen Hauptfigur Strauss zuerst als Operngestalt erwogen hatte, klingt mit einem eindrucks­ vollen Hohnlachen aus, bei dem man tatsächlich an Strawinskys »Petruschka« denken könnte. POETISCHE KLEIDER

Damit ist man bei einem weiteren reizvollen Gedanken­ spiel: den interessanten, manchmal schrägen Bezügen und Gleichzeitigkeiten – nicht nur in Strauss’ eigenem Werk, wie mit der erwähnten Nähe von »Sinfonia domestica« und »Salome«. Dass die »Alpensinfonie« eine direkte Zeitgenos­ sin von Strawinskys »Le sacre du printemps« (1913) ist, irritiert das Hören und kann es anstacheln. Und im selben Jahr 1896, da Strauss in »Also sprach Zarathustra« Nietz­ sche als symbolischen Helden vertonte, fügte Gustav Mahler Verse dieses Philosophen in seine dritte Sinfonie ein: »o Mensch …« Doch weder um Mahler noch um Strauss zu hören, muss man vorher Nietzsche lesen. »Manchmal fällt mir zuerst das Thema ein, und ich finde später dazu das poetische Kleid«, schrieb Strauss. Nichts spricht dagegen, dass der Hörer es souverän ignoriert und sein ganz eigenes poetisches Kleid findet. Als »ein Bilderbuch, das gleiche wie die Kinematografie« bezeichnete Claude Debussy »Ein Heldenleben«, die erste Tondichtung, bei der Strauss sich nicht auf einen fremden literarischen Text bezog (sei es Shakespeare oder Lenau), sondern sich sein eigenes Programm ausdachte. So liegt Strauss’ Musik vor dem Hörer: als ein offenes Bilderbuch. Auch der »Sinfonia domestica« und der »Alpen­ sinfonie« schadet es nicht, den programmatischen Bezug runterzuschalten. Bei dem ersten Werk könnte man sich wie Alex Ross an Schopenhauer erinnern, der schrieb, dass die Musik »den Sturm der Leidenschaften und das Pathos der Empfindungen überall auf gleiche Weise ausdrückt und mit dem selben Pomp ihrer Töne begleitet, mögen Agamemnon und Achill oder der Zwist einer

21

Bürgerfamilie das Materielle des Stückes liefern«. Statt ans Strauss-Baby mag man also ruhig an die Atriden oder Troja denken. Und bei der »Alpensinfonie« könnte man darüber lächeln, dass der 1790 Meter hohe Heimgarten, den Strauss bestiegen hatte, heutzutage ziemlich überrannt ist und auf einer Tourismus-Webseite ein Tourbeschreiber mit dem schönen Namen Didi Hackl urteilt: »Leichte Bergwanderung, die über breite Forstwege und komfor­ table Pfade führt.«

Taktlos schön, haarsträubend eskapistisch: Auch der ganz späte Strauss hat seinen besonderen Reiz. Dreißig Jahre nach der »Alpensinfonie« und im Riesen­ schatten diverser Groß-Opern schuf der greise Strauss schließlich nicht nur das ergreifende Weltabschiedswerk »Vier letzte Lieder«, sondern auch durchaus weltzuge­ wandte Musik. Neben der relativ bekannten »Rosenkava­ lier-Suite« (die möglicherweise gar nicht vom Kompo­ nisten eigenhändig zusammengestellt wurde) steht eine weniger bekannte Komprimierung, die kaum gespielte »Sinfonische Fantasie« nach der »Frau ohne Schatten«. Gewiss hatte die Reduktion von Umfang und Besetzung in der Nachkriegszeit auch simple praktische Gründe. Der Komponist Peter Ruzicka fertigte vor einigen Jahren eine Art Rückverdickung nach der Originalbesetzung der Oper an. Ob das überhaupt erstrebenswert ist? Denn auch wenn der schlanke Klang der 1946er-Version eingefleischte »FroSch«-Fans enttäuschen mag, ist doch gerade diese Reduktion entzückend. Ziemlich unzusam­ menhängend, gewiss, und in seiner taktlosen Schönheit inmitten einer Welt in Trümmern haarsträubend eskapis­ tisch. Aber so befremdlich das hochgradig nostalgische Stück auch anmuten mag, liegt in dieser deplatzierten Musik doch eine ergreifende, unbeschreibliche Traurig­ keit. Fast wie ein Schatten ohne Frau. Sanskrit hin oder her.

ANDRIS NELSONS DIRIGIERT RICHARD STRAUSS Elbphilharmonie Großer Saal Boston Symphony Orchestra Fr, 20. 5. 2022 | 20 Uhr: Sinfonia domestica; Vier letzte Lieder (Lise Davidsen, Sopran) Sa, 21. 5. 2022 | 20 Uhr: Till Eulenspiegels lustige Streiche; Sinfonische Fantasie aus »Die Frau ohne Schatten«; Eine Alpensinfonie Gewandhausorchester Leipzig Sa, 28. 5. 2022 | 20 Uhr: Don Juan; Also sprach Zarathustra; Burleske für Klavier und Orchester (Yuja Wang, Klavier) So, 29. 5. 2022 | 20 Uhr: Macbeth; Suite aus »Der Rosenkavalier«; Ein Heldenleben


22

Glosse

KOMM AN MEINE DECKE Unser Kolumnist lehnt Ausflüge ins Grüne ab, weil er den perfekten Einklang mit der Natur in der eigenen Wohnung gefunden hat. ­V ON TILL RAETHER ­ILLUSTRATION NADINE REDLICH


Glosse

ber die Natur herrscht bei uns Uneinigkeit. Meine Frau möchte hineingehen, sie hat eine Sehnsucht nach Grün. Sie möchte Natur sehen, sie möchte im Garten sein. Oder überhaupt erstmal einen Garten haben. Gern erzählt sie mir vom berühmten Berliner Gartenpapst Karl Förster, der um die Wende zum 20. Jahrhundert ein erfolgreicher Züchter winterharter Stauden war und pragmatisch-programmati­ sche Schriften zur Naturliebe verfasste. Seine Schriften heißen etwa »Es wird durchgeblüht«, weil im gelungenen Garten immer etwas blüht, oder »Ferien vom Ach«, weil man Erholung im blühenden Garten und überhaupt in der Natur erfährt, egal, wie kurz man sich darin aufhält. Ach, na ja. Mir kann der Aufenthalt in der Natur, das gebe ich zu, nicht kurz genug sein. Ich wäre gern dabei gewesen, als der Mensch angefangen hat, die Natur und den Aufent­ halt in ihr zu idealisieren und zu verherrlichen. Um diese Entwicklung zu verhindern oder wenigstens zu Protokoll zu geben, dass ich nichts damit zu tun haben will. Zur Zeit der Romantik, also sagen wir um 1800, entdeckte der deutsche Endverbraucher die Natur als Spiegel und zur Erhöhung seiner empfindsamen Seele, und mit Beginn der Industrialisierung, sagen wir ab 1830, bekam er dann auch einen Grund dafür, denn von nun an hielt er sich tagsüber nur noch in Manufakturen, Fabriken oder Kontoren auf. Die Natur als Kontrastprogramm war geboren. Mit ihren unerfreulichen Begleiterscheinungen, dem Ausflug und dem Spaziergang. In einer vergleichsweise dicht besiedelten Metropolregion findet beides im Allgemeinen zum gleichen Zeitpunkt an denselben Orten statt. Sobald »die Sonne rauskommt« geht es los, so dass man einander schon wenige Minuten später auf dem Elbwanderweg oder dem Alsterrundgang ausweichen muss wie in der Fußgän­ gerzone, und auf den abgesteckten Wegen der Lüneburger Heide bilden sich Schlangen Naturliebender. Aber sind es Liebende? Müsste man die Natur nicht eigentlich in Ruhe lassen, wenn man sie liebt? Die Wege sind jedenfalls abgesteckt, um die Natur vor denen zu

23

schützen, die sie suchen, daher der Name Naturschutz­ gebiet. Im Grunde ist der Aufenthalt in der Natur zu einem weiteren Baustein im Selbstoptimierungssystem geworden: morgens Yoga, mittags Power-Nap, nachmittags ins Grüne, abends ein Sechserträger naturtrübes Bier, um Kraft für den nächsten Tag zu finden. All das hört sich nun an, als würde ich in meiner Freizeit auf Betonwände starren und mit wohlwollendem Blick durch Gewerbegebiete spazieren. Beides mag stim­ men, aber dennoch lebe ich in und mit der Natur. Wenn auch im Kleinen. Vor einigen Jahren sind wir in einen Neubau gezogen. Nach einer Weile fielen mir die Zitter­ spinnen an den Decken auf. Das sind diese relativ klei­ nen, feingliedrigen, geduldigen Spinnen mit den großen, dünnen Netzen. Ihre Anwesenheit bedeutet, dass nicht allzu viele Giftstoffe verbaut wurden. Dies gefiel mir, denn ich bin zwar kein Naturfan, aber Giftstoffe müssen es auch nicht sein.

V

or allem mag ich an der Zitterspinne, dass sie eine Abstraktion des Natürlichen ist: Sie ist nicht so aufdringlich präsent wie die Winkelspinne und möchte nicht an meinem Leben teilnehmen wie Mücken oder Stuben­ fliegen. Manchmal zittert sie im Wind, oft nicht. Wenn sie die Ecke wechselt, entferne ich ihre staubigen Spinnen­ weben, sonst nicht. Es ist wie gärtnern, nur im Zimmer. Die Zitterspinne möchte nichts von mir, ich erwarte nichts von ihr. Wir sind die vollkommene Zweck-WG. Die Kinder fragen mit einem Anflug von Spott, ob ich der Spinne einen Namen gegeben hätte. Ich äußere mich nicht zu diesem Sachverhalt. Woher ich überhaupt wüsste, dass es nicht immer eine andere Spinne ist. Ich lächle geduldig. Die weibliche Zitterspinne wird drei Jahre alt, mehr als mancher Hamster. Sie gibt mir das Gefühl, im Einklang mit der Natur und ihren Geschöpfen zu leben. Sie existiert und wartet und frisst und wartet und existiert, es ist inspirierend, das mitanzusehen. Falls ich anfange, an Wiedergeburt zu glauben, lass es bitte eine Zitterspinne sein.

TILL RAETHER, 1969 in Koblenz geboren, arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg, u. a. für das »SZ-Magazin« und die »Brigitte«Gruppe. Er wuchs in Berlin auf, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München und studierte Amerikanistik und Geschichte in Berlin und New Orleans. Seine Kriminalromane um Kommissar Adam Danowski (erschienen bei Rowohlt) spielen in Hamburg.


24

M u s i k ge s c h i c h t e

»NICHTS IST MUSIKALISCHER ALS EIN SONNENUNTERGANG« Vom Nebel bis zur Nachtigall: Das Internationale Musikfest Hamburg unternimmt einen Parcours durch die Natur. VON VOLKER HAGEDORN


M u s i k ge s c h i c h t e

Eugène Boudin: »Le Havre. Sonnenuntergang am Meer« (1885)

25


26

M u s i k ge s c h i c h t e

W

ie würde das denn bei Debussy klingen?«, fragte meine Freundin. »Ich weiß nicht. So einen Nebel habe ich bei ihm noch nicht gehört.« Wir gingen auf dem Winterstrand einer Nordseeinsel spazieren und hatten überlegt, wie sich all das wohl ausdrücken ließe – das dunkle Brausen des Meeres, auf das man nur ein paar hundert Meter weit blicken konnte, das gelbliche Helle an der Stelle, wo über Nebel und Wolken die Vormittagssonne stand, der eilige Strandläufer-Vogel, der leichte Wind, auch die wenigen Menschen, die da gingen. Es müsste ja alles auf einmal da sein, auch Farben, Gedanken, Gefühle, aber auf keinen Fall irgendwelche Klischees. So waren wir auf Claude Debussy gekommen, der das Meer komponiert hat. Am Beginn der Moderne entdeckte er die Natur aufs Neue. »Nichts ist musikalischer als ein Sonnenuntergang«, schrieb der Komponist. »Für den, der mit dem Herzen zu schauen weiß, ist das die schönste Entwicklungslehre, geschrieben in jenes Buch, das von den Musikern nicht genug gelesen wird, ich meine: Natur.« Debussy kompo­ nierte avec l’émotion, und mit dem Meer verband ihn eine Liebesgeschichte. Aber auch davon abgesehen ist l’émotion grundlegend, wenn es um den Blick von Künstlern auf die Natur geht. Dieser Blick ist immer ein persönlicher: Die Natur diktiert niemandem etwas. Auch das Transkribieren von Vogelrufen, wie es ein halbes Jahrhundert später Olivier Messiaen vornahm, führt zur Kreativität – was der Komponist selbst nie so gesagt hätte. Der Katholik sah sich als Übersetzer des Transzendenten, die Vögel waren ihm Stimmen Gottes. Und schon sind wir mitten drin in dem Dschungel von Bedeutungen, Ambivalenzen und Perspektiven, der sich hinter dem Thema »Natur und Musik« auftut. Es geht nicht nur darum, wann man wie und warum den Kuckuck rufen und das Meer brausen hört. Es geht auch nicht nur um das, was die Komponisten beabsichtigten, sondern auch um das, was wir hören, hineinhören und heraus­ hören. Der Komponist Helmut Lachenmann sprach ein­ mal über die neuen Spieltechniken, die er so vielfältig wie kein anderer einsetzt, und meinte: »Wenn 45 Streicher nicht auf den klingenden Saiten, sondern auf dem höl­ zernen Steg ihrer Instrumente spielen, klingt das so fantas­ tisch! Ein Rauschen, kein Geräusch. Meeresrauschen.« Dann ergänzte er gleich, das möge jeder hören, »wie ihm ums Herz ist. Was beim Hörer geschieht, geht den Komponisten gar nichts an«.

Es ist möglich, in Richard Strauss’ »Alpensinfonie« etwas ganz anderes als eine Bergwanderung zu erleben, und es ist ebenso möglich, Meeresrauschen, Sonnenuntergänge, Landschaftsimpressionen da zu hören, wo kein Komponist daran dachte. Und Messiaens Vögeln zu lauschen, ohne gleich katholisch zu werden. PYTHAGORAS UND DIE PLANETEN

Nur an den Gesetzen der Physik kommen wir nicht vor­ bei. Pythagoras fiel vor zweieinhalb Jahrtausenden auf, dass Intervalle sich auf Zahlenproportionen gründen. Die Quinte über einem Grundton etwa entsteht, wenn eine schwingende Saite um ein Drittel verkürzt wird. Aus 440 Hertz werden 660 Hertz, beides zugleich klingt angenehm. Weil auch in den Bewegungen der Gestirne Zahlenverhältnisse zu erkennen waren, schloss der Denker aus Samos auf gemeinsame Prinzipien, und in dieser Analogie von Kosmos und Musik dachte man sich noch im 17. Jahrhundert die Welt als harmonisches Ganzes. Daran hat sich viel geändert, aber nicht die Physik. Natur und Musik sind schon deswegen nicht zu trennen, weil Musik »lebt«, nicht statisch ist, sondern immer ein Prozess; weil sie im wahrsten Sinne Luft zum Atmen braucht, um überhaupt gehört werden zu können, wäh­ renddessen sie selbst eine uns umgebende, auch physisch auf uns einwirkende Realität wird. »Wenn Bruckners Vierte anfängt«, sagt Helmut Lachenmann, »steht der ganze Saal in Es-Dur, das gleicht einem meteorologischen Ereignis.« Und Gustav Mahler fand es »seltsam, dass die meisten, wenn sie von ›Natur‹ sprechen, nur immer an Blumen, Vöglein, Waldesduft etc. denken. Den Gott Dionysos, den großen Pan, kennt niemand. So: Da haben Sie schon eine Art Programm – d. h. eine Probe, wie ich Musik mache. Sie ist immer und überall nur Naturlaut!« Freilich schrieb er das 1896, nach Vollendung der Dritten Sinfonie, deren gewaltiger erster Satz zuletzt entstand und den Titel »Pan erwacht – der Sommer marschiert ein« trug – nur für Mahlers Privatgebrauch, er wünschte nicht, dass man seine Musik so programmatisch hörte. »Wie ein Naturlaut« hatte er schon 1889 als An­ weisung über den Beginn seiner Ersten Sinfonie geschrie­ ben, wo der Ton A im Flageolett der Streicher bis in höchste Höhen flimmert. Theodor W. Adorno fühlte sich davon 1960 an den »unangenehm pfeifenden Laut altmo­ discher Dampfmaschinen« erinnert – was er nicht gegen, sondern für das Werk sprechen ließ, für den »Riss« darin.


M u s i k ge s c h i c h t e

27

Ernst Ludwig Kirchner: »Seewald« (1913)

Es ist der Riss eines Bewusstseinswandels, nicht des ersten und nicht des letzten, auf den man trifft, wenn man in der Musik nach »Natur« sucht. »Weil die Kunst die Natur nachahmt, können wir von dem aus, das wir bei der Kunst in feiner Analyse herausgefunden haben, hingelangen zu den Kräften der Natur«, schrieb der Universalgelehrte Nikolaus von Kues um 1440, am Ende dessen, was wir Mittelalter nennen. Er sah Kunst und Wissenschaft noch vereint. Als dann die Kunst das Subjekt entdeckte, nahm sie die Nachahmung mit.

Natur und Musik sind schon deshalb nicht zu trennen, weil Musik »lebt«, nicht statisch ist, sondern immer ein Prozess. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatten sich Worte und Töne eher unabhängig voneinander bewegt, waren menschliche Affekte kaum Gegenstand komponierter Musik. Dann entwickelte sich, zuerst an Petrarcas Lyrik, eine Gefühlskunde, die für jede Textnuance eine klingende

Entsprechung suchte, für Angst und Freude, Licht und Schatten. Es entstand das differenzierteste gemeinsame Vokabular, das es in der Musik je gab. Dazu gehörten nicht nur schnelle Notenwerte für die »Flucht«, Halbton­ schritte abwärts für »Seufzer«, man fand auch Formeln für Wind und Wellen und lauschte der Natur das Echo ab. NACHTIGALL, ICK HÖR DIR

Damals begann auch der unaufhaltsame Aufstieg der Nachtigall. Als erster imitierte Clément Janequin 1537 den gefiederten Koloratursopran. Und Athanasius Kircher schwärmte 1560: »Billich hat die Natur in der Nachtigall gleichsam ein vollkommen Ideam der gantzen MusicKunst vorgestellt.« Die Nachtigall überstand unbeschadet alle musikästhetischen Wandlungen der nächsten 250 Jahre. Sie singt bei Claudio Monteverdi (8. Madrigalbuch, 1638), bei Heinrich Ignaz Franz Biber (Sonata represen­ tativa, um 1670), Alessandro Scarlatti (»Le nozze con l’inimico«, 1695), François Couperin (»Le rossignol en Amour«, 1722), bei Antonio Vivaldi, dessen Violinkonzert »Il rosignuolo« nur ein Teil seines gewaltigen Imitations­ repertoires ist. Es folgen Jean Philippe Rameau in »Hippo­ lyte et Aricie« (1733) und mehrfache Huldigungen von Händel. Dann lässt es nach: Ein klassisch gezähmtes ›


28

M u s i k ge s c h i c h t e

Franz Marc: »Vögel« (1914)

Flötensolo in Haydns »Schöpfung« (1797) und der letzte Auftritt in der obersten Liga: 1808, Beethovens »Pastorale«, zweiter Satz: Flöte (Nachtigall), Wachtel (Oboe), Kuckuck (Klarinette). Vom Auftritt bei Beethoven zehrt die Nachtigall als Konzertvogel bis heute, doch als Topmodel traf sie 1903 auf beißende Kritik. Claude Debussy ließ sich von Beethovens Hinweis »mehr Ausdruck der Empfindung

als Malerei« nicht beeindrucken und schrieb nach einer Pariser Aufführung der »Pastorale«: »Sehen Sie sich die Szene am Bach an: Es ist ein Bach, aus dem allem An­ schein nach Kühe trinken (jedenfalls veranlassen mich die Fagott-Stimmen, das zu glauben), ganz zu schweigen von der Nachtigall im Wald und dem Schweizer Kuckuck, die beide besser in die Kunst von Jacques de Vaucanson (Konstrukteur der mechanischen Ente von 1738, Anm.)


M u s i k ge s c h i c h t e

passen als in eine Natur, die diesen Namen verdient. All das ist sinnlose Nachahmerei oder rein willkürliche Auslegung.« Debussy wünschte sich die »gefühlsmäßige Über­ tragung des ›Unsichtbaren‹ in der Natur«. Er brachte mit seiner Kritik auf den Punkt, was sich schon im 18. Jahr­ hundert angebahnt hatte. Die barocken Wellen, Stürme, Blitze, Hirtenidyllen und Battaglien der »Nachahmungs­ ästhetik«, wie Helga de la Motte-Haber sie in ihrem ­reich­­haltigen Buch »Musik und Natur« nennt, waren klingende Standards geworden, Formeln – auch die »Blitze und Donner« in Bachs »Matthäuspassion« wirken schon eher zitiert als unmittelbar. Die Natur in der Musik war gebändigt wie die der Gärten von Versailles, wo in den 1730ern Jean-Féry Rebel wie einen Gegenentwurf den formlosen Abgrund komponierte – das »Chaos« am Be­ ginn seiner Tanzsinfonie »Les Élémens«: ein Urknall, ein Cluster, der sämtliche Töne der Anfangstonart ver­einte, der Musikgeschichte um zwei Jahrhunderte voraus. Die konkrete »Rückbindung an die Natur«, so de la Motte, wurde im 18. Jahrhundert preisgegeben, ein weiteres Mal das Subjekt entdeckt. »Malereien«, schrieb 1771 der Ästhetiker Johann Georg Sulzer am Beispiel von Meeresbrausen, Donner und Blitz, »sind dem wahren Geist der Musik entgegen, die nicht Begriffe von leblosen Dingen geben, sondern Empfindungen des Gemüts ausdrücken soll.« E.T. A. Hoffmann waren 1819 selbst die Empfindungen zu eng gedacht: »Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle bestimmten Gefühle zurücklässt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben. Habt ihr dies eigentümliche Wesen auch wohl nur geahnt, ihr armen Instrumentalkomponisten, die ihr euch müh­ sam abquältet, bestimmte Empfindungen, ja sogar Be­ geben­heiten darzustellen?« DIE ENTZAUBERUNG DER NATUR

Von hier führt ein Weg zur programmfreien, zur absoluten Musik, den längst nicht alle beschreiten. Berlioz verbindet 1830 in seiner »Symphonie fantastique« Hirtendialoge zwischen raschelnden Bäumen mit der Ungewissheit des Helden auf neue, suggestive Weise. Wagner lässt katastro­ phisch das Meer in eine Partitur hereinbrechen, die 1841 unfern der frisch eröffneten Eisenbahnstrecke von Paris nach Versailles entsteht: Hinter »Der Fliegende Holländer« steckt auch die brodelnde Metropole Paris. In Wagners Naturklängen bis hin zum Karfreitagszauber im »Parsifal« (1882) rauscht aber auch noch der Wald von Carl Maria von Webers »Freischütz« (1821). Das war, fand Adorno, »nicht der Böhmerwald, wo meine Wiege stand, sondern beginnendes Grauen, Zauber aus der Frühzeit einer entzauberten Welt.« Die Entzauberung durch Technik (das europäische Eisenbahnnetz umfasste um 1900 schon 200.000 Kilo­ meter) führt in der Musik zu Gegenreaktionen, zu einem Boom von Märchenopern voller Wälder, Seen und ge­heim­

29

nisvoll gefährlicher Frauen wie in Antonín Dvořáks »Rusalka«, aber auch gewaltig besetzten Werken in Natur­ szenarien: Schönbergs »Gurre-Lieder«, Ravels »Daphnis et Chloé«, schließlich Strauss’ »Alpensinfonie«, die, in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs vollendet, unbe­ wusst apokalyptische Züge trägt – in »Gewitter und Sturm« wirft Strauss all seine Motive, Wasserfall und Alm und Wald, in den Häcksler, in eine virtuos komponierte Orgie der Zerstörung. Aber es gibt Werke, die in die Erzählung von der Entzauberung und der Flucht vor ihr nicht passen, deren Vitalität etwas Unmittelbares hat, bei aller Komplexität. Da ist, jahrzehntelang verkannt, der Finne Jean Sibelius mit sinfonischen Landschaften, vor die man nicht das Schild »Natur« stellen muss, um frische Luft zu atmen, sich frei zu fühlen von Projektionen. Da ist der Russe Igor Strawinsky, dessen »Sacre du Printemps«, das »Frühlings­ opfer«, selbst wie ein Naturereignis wirkt. »Niedergestreckt wie von einem Orkan« fühlte sich einer der ersten Hörer, und diese Kraft hat der »Sacre« noch heute.

Welche Verbindungen zwischen Natur und Musik sind heute überhaupt noch möglich? Die erste Nachtigall, die nach dem Krieg in die Klang­ kunst gerät, ist so echt wie fern, ein Stück Musique concrète avant la lettre. Sie wird per Grammofon zugespielt, 1924 in Ottorino Resphigis Orchesterstück »Die Pinien des Gianicolo« – mehr als 40 Jahre vor jener Amsel, die Paul McCartney 1968 in »Blackbird« vom Band zwitschern lässt, als realen Rückhalt im Kampf gegen Rassismus, dem das Lied gilt. Die erste komponierte Amsel des 20. Jahr­ hunderts ist ein Kriegskind: Olivier Messiaen lässt sie 1941 im »Quatuor pour la fin du temps« ertönen, zusammen mit einer Nachtigall, Violine, Klarinette, Cello, Klavier, uraufgeführt im Gefangenenlager Stalag VIII A bei Görlitz. Hier beginnt eine Suche nach neuer, subjektloser Spiritualität, fortgesetzt von Komponisten wie Karlheinz Stockhausen (»Tierkreis. 12 Melodien der Sternzeichen«) und John Cage, der ebenfalls Mitte der 1970er einer Karte des südlichen Sternenhimmels die Töne für den Klavier­ zyklus »Études australes« entnimmt. Nur nichts Persön­ liches! Darin trifft sich Cages Zufallsästhetik mit der stren­ gen Reihentechnik, der ein Komponist wie Anton von Webern wie einer naturgesetzlichen Notwendigkeit folgte, und unzähligen Werken, die mit Fibonacci-Zahlen und Goldenem Schnitt einer Natur der Zahlen huldigen. SINNLICHE ABSTRAKTIONEN

Und jetzt, nach zwei Jahrhunderten der Naturzerstörung? Welche Verbindungen zwischen Musik und Natur sind noch möglich? »Ohne Natur kann ich mir Musik gar nicht vorstellen!«, antwortet darauf, fast erstaunt, die 1945 in Südkorea geborene Komponistin Younghi Pagh-Paan. ›


30

M u s i k ge s c h i c h t e

Claude Monet: »Der Seerosenteich« (1899)

2018 schrieb sie »Seerosen – Wurzelwerke«, zehn Minuten für die koreanische Zither Geomungo, auch auf der Gitarre zu spielen. Es ist in den sparsamen Tönen, dem Kreis der sie bindenden Intervalle, als würde man einem nachdenkenden Sehen zuhören. Man sieht durchaus die Ranken in schattigem Wasser, die der Titel verheißt, aber es ist auch so etwas wie eine sinnliche Abstraktion, die Geist und Seele öffnet. Unterschätzen wir nicht die Weite der kleinen Formate! In so einem Fenster wird bei Claude Debussy sogar der Nebel zum Ereignis. Dass er tatsächlich den Nebel komponierte, entdeckte ich erst nach unserem Spaziergang am Strand. »(… Brouillards)«, eben »Nebel« steht am Ende der 52 Takte für Klavier, ganz diskret. Takte sind in diesem Prélude von 1913 zwar notiert, aber

sie sind so wenig zu hören wie irgendein tonaler Halt in all den hauchfeinen Bögen rascher Noten. Dicht ist dieser Nebel, aber auch hell und durchlässig – in ihm können sich alle Nebelspaziergänger wiederfinden. Und da finde ich auch, nur ein A im Bass, das dunkle Brausen wieder, und in einer Quintparallele den Sonnenfleck. Andere werden anderes finden. Gehen wir weiter in dieser und aller Musik! Vielleicht kommen wir dabei auch mit der Natur ins Gespräch, die nie ein Wort sagt.

INTERNATIONALES MUSIKFEST HAMBURG Do, 28. 4. – Mi, 1. 6. 2022 Elbphilharmonie und Laeiszhalle Das Programm finden Sie unter www.musikfest-hamburg.de


M u s i k ge s c h i c h t e

31

N AT U R 28.4.— 1.6.2022 mi t mehr al s 60 Konzer ten in Elbphilhar monie und L aeis zhalle

W W W. M U S I K F E S T- H A M B U R G . D E


32

B e r g u n d Me n s c h

SEHNSUCHT NACH DEM DROBEN Auf dem Berg geht es immer um mehr als bloß um Natur – so auch in Ernst Kreneks »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«. VON WALTER WEIDRINGER


B e r g u n d Me n s c h

33

Souverän in vielen Stilen: Ernst Krenek

S

ie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich alles schon wegkomponiert«, soll Gustav Mahler seinem Freund und Kollegen Bruno Walter bei einem Spaziergang am Attersee gesagt haben, im oberösterreichischen Salzkammergut, dort, wo das Land gegen Osten ins Höllengebirge aufsteigt. In­mitten dieses spektakulär schönen Panoramas hatte Mahler gerade seine Dritte Sinfonie fertiggestellt mit ihrem ausgeklügelten, wenn auch später unterdrückten Pro­ gramm, das vom Frühlingserwachen der Natur über die Stufen des Lebens emporsteigt bis zur reinen, göttlichen Liebe. Auf Bergeshöhen geht es eben immer auch um mehr als bloß um Natur. »Seid ihr wohl zuweilen ernst und still / Auf einen Berg gestiegen nah den Himmeln?« Mit diesen im Original französischen Gedichtzeilen Victor Hugos ließ Franz Liszt seine »Bergsinfonie« anheben, genauer gesagt: seine Sinfonische Dichtung Nr. 1 »Ce qu’on entend sur la montagne«. Was man auf dem Berge hört, das sind bei Liszt »zwei Stimmen: die eine unermesslich, prächtig und ordnungsvoll, dem Herrn ihren jubelnden Lobgesang entgegenbrausend – die andere stumpf, voll Schmerzens­ laut, von Weinen, Lästern und Fluchen angeschwellt. – Die eine spricht ›Natur‹, die andere ›Menschheit‹!« Auch Lord Byrons romantischer Antiheld Manfred, der, von Schicksalsfragen des Daseins gequält, in den Alpen umherirrt, hat eine mystische Erfahrung, wenn er im Regenbogen der Gischt eines Wasserfalles der AlpenFee begegnet – zu hören in Tschaikowskys »Manfred-­ Sinfonie«. Mensch und Natur: Widerspruch und unauflösliche Verbindung zugleich. Selbsterfahrung, die vielleicht riskant ausgekostete Gratwanderung zwischen Leben und Tod, das Einswerden mit Gott – nicht ohne Grund hat Moses erst in der Einsamkeit des Sinai den brennenden Dorn­ busch gefunden und später die Gesetze empfangen: »Ein

eigentümlicher Berg, ausgezeichnet vor seinen Geschwis­ tern durch eine Wolke, die, niemals weichend, dachförmig über seinem Gipfel lag und tags grau erschien, nachts aber leuchtete«, wie Thomas Mann in seiner Moses-Er­ zählung »Das Gesetz« es beschreibt. Mit Bedacht ließ auch Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra in die Isolation der Höhe sich zurückziehen: »Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht (…) Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebnis komme – ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: Man erlebt endlich nur noch sich selber.« Als Richard Strauss seine (bewusst mit dem unbe­ stimmten Artikel versehene) »Eine Alpensinfonie« kompo­ nierte, tat er es zunächst unter dem projektierten Nietz­ sche-Titel »Der Antichrist«. Hinter der scheinbar banalen Schilderung einer Bergwanderung verbirgt sich eine Lebensreise. Deskriptive Stationen camouflieren den Blick auf die zentrale »heidnische« Naturmystik und den flexi­b­len Wechsel zwischen äußeren und inneren Ereignissen, den die Musik immer wieder vollzieht: Das Ich dieser musika­ lischen Erzählung lässt »das erbärmliche Zeitgeschwätz von Politik und Völker-Selbstsucht unter sich«, wie es bei Nietzsche heißt. Im »Dritten Reich« durch Tod, Verfolgung und Emigration der engsten Freunde zunehmend isoliert und vereinsamt, schickte Anton Webern einmal dem rechtzeitig vor den Nazis in die USA emigrierten Pianisten Eduard Steuermann per Post ein Päckchen mit »AlpenkräuterduftExtrakt und Edelweiß-Schau«: Er wusste, wie sehr dieser die Geste schätzen würde. Und Samson Raphael Hirsch, der 1808 in Hamburg geborene Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie, war überzeugt davon, vom Höchsten folgende Frage zu hören, wenn er dereinst über sein Leben Rechenschaft abzulegen habe: »Hast du meine Alpen ge­ sehen?« Gott als stolzer Schöpfer. ›


34

D

BErG und mEnsch

och hinunter ins Tal!, zu den nur allzu aktuell klingen­ den Begriffen Zeitgeschwätz, Politik, Völker­Selbst­ sucht. Sie bringen uns direkt in Ernst Kreneks Welt. 1900 als Sohn eines k.u.k.­Offiziers böhmischer Herkunft in Wien geboren, 1991 in Kalifornien gestorben, in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt: Allein die nüchter­ nen Eckdaten lassen schon vermuten, dass das Leben dieses Komponisten schicksalhaft mit dem 20. Jahrhun­ dert und seinen historischen Verwerfungen verkettet war. Krenek begann als Student von Franz Schreker in Wien und Berlin, verkehrte in den Kreisen der musika­ lischen Avantgarde und war einige Monate mit Gustav und Alma Mahlers Tochter Anna verheiratet. Seine 1927 in Leipzig uraufgeführte Oper »Jonny spielt auf« wurde dank ihrer Jazz­Elemente zu einem der größten Erfolge jener Zeit – und 1933 nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland verboten. Nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 emigrierte der als »Kulturbolschewist« Verfemte in die USA. Kreneks Bedeutung als unermüdlich experimen­ tierfreudiger Komponist und Lehrer ist vermutlich bis heute noch nicht voll anerkannt. Er hat sich nie auf seinen Lorbeeren ausgeruht, sondern, im Gegenteil, auf einen Erfolg eher mit einem Stilwandel als mit einer Wieder­ holung reagiert. Wie sonst nur noch Strawinsky verstand er es, sich in verschiedenen musikalischen Spielarten der Moderne souverän auszudrücken. Das zeigt auch sein eindringlicher Liederzyklus »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«, der unmittel­

bar von den Erlebnissen einer Österreich­Rundfahrt inspiriert war: Kurz nach dem »Jonny« entstanden, ver­ zichtet das Werk auf die gerade noch bejubelten Jazz­ Anklänge und erfindet im Geiste Franz Schuberts die Tonalität gleichsam neu – in einer charakteristischen Mischung der Techniken, die sowohl für die – künstlerisch wie politisch – so spannungsreichen Entstehungsjahre typisch ist, als auch zeitlos wirkt. Ein einstiger Schüler und Freund Kreneks, der Musikjournalist Lothar Knessl, hat diesen »Reisebuch«­ Stil treffend in Worte gefasst: »Es sind keine Tonarten vorgezeichnet, und es gehören auch die wenigsten der zwanzig Lieder einer durchgehenden Tonart an. Fast jedes gleicht einem kleinen Reisebuch durch die Tonarten, wobei die Strecke den Quintenzirkel vermeidet, über Orte der Quarten­ und Ganzton­Akkordik führt, Felder des Impressionismus berührt, Mischgebiete der Bitonalität durchschneidet, schlanke Stützen nur angedeuteter Harmonik überbrückt und, manchmal erst nach ruppig modulierenden Umwegen, im Kopfbahnhof sauberer Dreiklänge ein Ende findet.«

D

er österreichische Bassbariton Florian Boesch ist einer der stimmgewaltigsten und zugleich subtilsten Anwälte von Kreneks Liederzyklus. Und er ist sich der Wichtigkeit sehr bewusst, den spezifischen Ton des »Reisebuchs« zu treffen – einen Ton, der sich sowohl in der Diktion als auch im Klaviersatz und der allgemeinen Musiksprache mitteilt, die keineswegs epigonal an Schu­ bert orientiert sind: »Das ist kein eindeutig klassischer Liedgesangton, er hat eine lokale Komponente. Mir ist die authentische Artikulation der Texte immer ein großes Anliegen. Aber beim ›Reisebuch‹ funktioniert das interna­ tional nicht, da würde es in der Wahrnehmung der Zuhörer in einer Schublade mit dem Wienerlied landen. Ich bemühe mich um einen Ton, der ausreichend im Wienerischen zu Hause ist, und trotzdem verstanden werden kann.« Es wäre auch zu schade, wenn es hier im Norden zu Verständnisproblemen käme – nicht nur angesichts einer geradezu Social­Media­visionären Pointe Kreneks, auf die Boesch mit hintersinnigem Vergnügen hinweist. Im zehnten Lied des Zyklus, »Auf und ab«, heißt es: »Wie die Narren rennen die Menschen / den Sommer über auf und ab in diesen Alpen (…) fotografieren sich und dahinter auch wohl einen Berg / und sehen nichts, weil sie Ansichtskarten schreiben müssen.«

REISEBUCH Do, 5. 5. 2022 | 19:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Florian Boesch (Bassbariton) malcolm martineau (klavier) Ernst krenek: reisebuch aus den österreichischen alpen m EIN INTERVIEW MIT FLORIAN BOESCH FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER ELPHI.ME/TALK_BOESCH


BErG und mEnsch

®

Registrierte Marke eines Unternehmens der Melitta Gruppe.

da, wo das Leben – spielt.

Melitta –– überall zuhause. www.melitta-group.com

35


36

I n t e r v i ew

»DANN FLIEẞT DIE MUSIK AUF EINMAL WIE VON SELBST«


I n t e r v i ew

37

Klaus Mäkelä und sein Oslo Philharmonic kommen mit allen sieben Sibelius-Sinfonien nach Hamburg. Stoff genug für ein ganzes Gespräch. VON BJØRN WOLL

L

äuft bei ihm!«, würde es im Jugendsprech wohl über Klaus Mäkelä heißen. Und irgendwie passt dieser Slang zu dem gerade mal 26 Jahre alten Finnen mit der leicht nerdigen Brille und dem verschmitzten Lächeln. Und wie es läuft: Studiert hat er an der Sibelius-Akademie seiner Geburtsstadt Helsinki – zunächst Cello, dann aber vor allem Dirigieren bei dem bedeutenden Pädagogen Jorma Panula, aus dessen Dirigenten-Schmiede illustre Namen wie Esa-Pekka Salonen, Jukka-Pekka Saraste und Osmo Vänskä hervor­ gegangen sind. Aus einer finnischen Musiker-Dynastie stammend – der Großvater ist Geiger und Bratschist, der Vater Cellist, die Mutter Pianistin, seine jüngere Schwester tanzt im finnischen Nationalballett und auch seine Frau ist Cellistin –, machte Mäkelä nach ersten Engagements als Orchestermusiker schnell Karriere als Dirigent, in einem Tempo wie mit dem Teilchenbeschleuniger: Als Gastdirigent stand er bereits vor den Sinfonieorchestern aus Chicago, Cleveland und San Francisco, aber auch vor dem Royal Concertgebouworkest, dem London Philhar­ monic sowie den Münchner Philharmonikern. Seit 2020 ist er Chefdirigent beim Oslo Philharmonic Orchestra, und ab diesem Jahr tritt er als neuer Musikdirektor des Orchestre de Paris in die Fußstapfen großer Namen wie Daniel Harding, Paavo Järvi und Christoph Eschenbach. Den langen Lockdown im vergangenen Frühjahr hat Klaus Mäkelä mit dem Oslo Philharmonic im Aufnahme­ studio verbracht, um für sein Exklusiv-Label Decca alle sieben Sinfonien von Jean Sibelius (1865–1957) einzuspielen. Und mit diesen sieben Klassikern des finnischen National­ komponisten gastiert Mäkelä nun auch in Hamburg.

Erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal bewusst Musik von Sibelius gehört haben? Klaus Mäkelä: Eine konkrete Erinnerung habe ich da gar keine, Sibelius war einfach immer da. Das liegt wohl daran, dass er in Finnland allgegenwärtig ist. Er ist so eng mit unserer Kultur verknüpft, dass ich seine Musik wahrscheinlich schon sehr früh gehört habe, ohne zu reali­ sieren, von wem sie eigentlich stammt. Sehr gut erinnere ich mich aber an das erste Mal, als ich eine seiner Sin­ fonien gespielt habe. Das war mit dem Philharmonischen Orchester Helsinki, ich war damals 16 und habe Cello gespielt. Welche Rolle hatte Sibelius danach für Sie als Dirigent? Als finnischer Dirigent gibt es quasi keinen Weg vorbei an Sibelius, es wird fast schon von uns erwartet, dass wir ihn spielen. Ich bin dafür sehr dankbar, weil er eine so große Tiefe besitzt. Allein in seinen sieben Sinfonien finden wir die passende Gemütslage für jeden Schritt oder jedes Kapitel in einem Dirigentenleben. Aus den ersten Sinfonien sprechen noch die Leidenschaft und die Ent­ täuschungen eines jungen Menschen; am Ende finden wir zunehmend die Weisheit eines älteren Mannes, der zu immer mehr Klarheit im Ausdruck findet, statt die Emo­ tionen ungezügelt fließen zu lassen. Einer Ihrer Lehrer war Jorma Panula, der nicht nur in Finnland einen fast schon legendären Ruf als Pädagoge genießt. Welche Rolle spielte er für Ihr Sibelius-Verständnis? Vor allem hat er mir mit auf den Weg gegeben, dass man sich in diese Werke richtig tief reingraben muss, weil sie für den Dirigenten ziemlich fordernd sind. Man braucht vor allem ein gutes Ohr für Artikulation und die richtige Balance. Wenn für Sie als Finne also Sibelius’ Musik in der DNA liegt – wie sieht es damit bei Ihrem norwegischen Orchester aus? Das Oslo Philharmonic gehört zu den skandinavischen Traditionsklangkörpern mit einer mittlerweile 100 Jahre alten Geschichte. Sibelius selbst hat mehrere Konzerte mit dem Orchester gegeben, bei denen er seine 1. Sinfonie dirigiert hat, und danach gab es mehrere finnische Chef­ dirigenten wie Okko Kamu und Jukka-Pekka Saraste. ›


38

I n t e r v i ew

einfach nur verdeutlichen, wie ausgeprägt Sibelius’ Meisterschaft war, zu einer verdichteten, kondensierten Form zu finden. War das eine Entwicklung in seinem Schaffen, oder war diese Meisterschaft von Anfang an vorhanden? Die ersten beiden Sinfonien sind noch mehr der spät­ romantischen Tradition verhaftet: Es sind wundervolle Werke, schon sehr originell, aber eben doch noch tradi­tio­ nell. Das ändert sich mit der 4. und der 5. Sinfonie, darin zeigt sich Sibelius’ reifer sinfonischer Stil. Übrigens nicht nur, was die Form und Architektur angeht, sondern auch in der Textur. Vor allem in den Streichern finden wir bei ihm eine Struktur, eine Art musikalisches Gewebe, das wirklich neu ist und das beim ersten Blick in die No­ten keinen Sinn zu ergeben scheint. Das ist eine der Heraus­ forderungen seiner Musik, diesen sehr speziellen, schwe­ benden Klang zu finden. Plötzlich kann sich aus diesen Texturen eine Melodie entwickeln, die sich dann wieder in Struktur auflöst. Das alles ist Teil seiner ganz persönlichen Grammatik, von der wir eben gesprochen haben.

Da ist also eine natürlich gewachsene Vertrautheit mit dieser Musik. Und das ist wichtig, denn Musik ist eine Sprache, und wie bei jeder Sprache muss man die Gram­ matik verstehen und die Aussprache lernen. Erst dann kann man sich richtig ausdrücken. Was macht sie denn aus, die Sprache von Sibelius? Er hat sozusagen die überwiegend von deutschsprachigen Komponisten geprägte spätromantische Tradition fortge­ führt. Daraus hat er einige Elemente übernommen, aber gleichzeitig einen ganz eigenen Stil gefunden, vor allem in der Orchestrierung und der Gestaltung. Eine seiner größ­ ten Stärken ist für mich etwa sein Gespür für die Archi­ tektur eines Werkes, für die richtigen Proportionen.

Wo können wir das hören? Nehmen wir zum Beispiel die Siebte, die wird von einem großen Atem, einem großen Bogen zusammengehalten. Und trotzdem sagt Sibelius hier alles, was Mahler etwa in seiner Dritten ausdrückt. Er braucht dafür aber nur 20 Minuten und nicht anderthalb Stunden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Mahlers Musik – ich will

Haben Sie ein Beispiel für so einen typischen SibeliusMoment? Jede der Sinfonien hat ihre ganz eigenen Kuriositäten und spektakulären Momente, besonders im Hinblick auf die Orchestrierung. Eine Stelle, dir mir sofort in den Sinn kommt, stammt aus dem 1. Satz der 5. Sinfonie, an der die Streicher eine dieser unverkennbaren Sibelius-Texturen spielen. Wenn man in die Partitur schaut, sieht man diese ganzen kleinen Noten und fragt sich, wie zum Teufel das jemals exakt zusammenklingen kann. Doch eben das wollte Sibelius gar nicht – es soll gar nicht exakt zusam­ men sein, weil erst durch die kleinen Verschiebungen der einzelnen Streicherstimmen dieser unverkennbar schwe­ bende Klang entsteht, den es auch bei Ligeti gibt. Das ist wie in einem Ameisenhaufen: Auf den ersten Blick wuselt dort alles chaotisch durcheinander, aber jede einzelne Ameise folgt einem übergeordneten Prinzip. Jedenfalls, über dieser Streichertextur erklingt dann ein Fagott-Solo – und das ist für mich einer der typischen, originellen Sibelius-Einfälle. Einen starken Einfluss auf Sibelius’ Musik hatte das finnische Nationalepos »Kalevala«, das Komposi­ tionen wie »Kullervo« oder der »Lemminkäinen-­ Suite« zugrunde liegt. Gibt es diesen Einfluss auch in den Sinfonien, oder sind die eher absolute Musik ohne programmatischen Inhalt? In den frühen Sinfonien gibt es vielleicht noch solche Einflüsse, auch wenn Sibelius selbst sie nicht als Pro­ grammmusik verstanden hat. Die 2. Sinfonie wurde zum Beispiel als politisches Werk aufgefasst: Nach dem auf­ gewühlten, beunruhigenden 2. Satz folgt am Ende ein heroisch-optimistisches Finale, was damals als Statement zum Konflikt zwischen Russland und Finnland angesehen wurde, obwohl das nicht die Absicht des Komponisten


I n t e r v i ew

war. Doch spätestens nach den ersten Sinfonien ging es Sibelius ausschließlich um den möglichst puren musika­ lischen Ausdruck, wie er ihn exemplarisch in seiner 7. Sinfonie erreicht hat. Er beschränkt sich hier auf ein Minimum an Mitteln, und trotzdem hat alles eine per­ fekte Form und Harmonie. Spielen die Umstände seines bewegten Lebens denn eine Rolle beim Verständnis seiner Werke? Auf jeden Fall hatte er einen wirklich spannenden Charak­ ter: Sibelius war ein sehr sozialer Mensch, hatte gerne Gesellschaft, trank und rauchte gerne und viel – und gleichzeitig wusste er, dass er zum Arbeiten die Isolation braucht. Mit diesem Zwiespalt hatte er stets zu kämpfen, war teilweise auch depressiv. Doch wenn wir über Kunst sprechen, ist es immer schwierig, sie mit der Biografie ihrer Schöpfer zu erklären. Auf der anderen Seite gibt es Werke wie die 4. Sinfonie, die verbunden sind mit den extremen persönlichen Lebensumständen: Sibelius hatte

39

damals einen Tumor im Hals, musste operiert werden, gleichzeitig starb eine seiner Töchter. Das spiegelt sich auch in der Musik wider. Karajan hat einmal gesagt, dass Mahlers Sechste und Sibelius’ Vierte die einzigen Werke sind, die in einem kompletten Desaster enden. Das stimmt: Am Ende der Vierten gibt es nichts mehr zu sagen, nur noch Leere. Sibelius’ Musik klingt oft voll und dunkel – hatte er eine Vorliebe für tiefe Register? Für die ersten vier Sinfonien stimmt das, die sind von einem wirklich dunklen Klang geprägt, vor allem natürlich die Vierte mit ihren vielen bassbetonten Stellen. Mit der 5. Sinfonie ändern sich die gravitätischen Verhältnisse aber, hier gibt es immer öfter helle Holzbläserklänge und eine Art klassisches Ideal bei den Blechbläsern. Nehmen wir zum Beispiel die Posaunen, die stehen in den ersten Sin­fo­ nien noch für urwüchsige, quasi mythologische Kraft, später sind sie viel stärker sophisticated. ›

»Eine von Sibelius’ größten Stärken ist sein Gespür für die Architektur eines Werkes, für die richtigen Proportionen.«


40

I n t e r v i ew

Anfang 2021 waren Sie mit dem Oslo Philharmonic im Aufnahmestudio, um den kompletten SinfonienZyklus einzuspielen. Das klingt nach einer ziemlich intensiven Zeit mit Sibelius. Wie haben Sie diese erlebt? Das war eine merkwürdige Situation, weil zu dieser Zeit das öffentliche Leben in Norwegen komplett stillstand. Die Straßen waren wie leergefegt, während wir mit 1,5 Metern Abstand im Studio saßen. Die Bedrohung durch die Pandemie und gleichzeitig die große Freude darüber, überhaupt Musik machen zu können, haben für eine ganz spezielle Atmosphäre bei den Aufnahmen gesorgt. Weil keine Konzerte stattfinden konnten, hatten wir auch viel mehr Zeit dafür als sonst üblich, wir waren für mehrere Wochen im Studio und konnten uns aus­ schließlich auf Sibelius konzentrieren. Das wäre im regulären Konzertbetrieb gar nicht möglich gewesen. Durch diese intensive Auseinandersetzung ging uns seine Musik wirklich in Fleisch und Blut über, wurde noch selbstverständlicher für uns.

»Für mich als Dirigent ist eine körperliche Verbindung zum Klang wichtig.« Die Fünfte ist also der Wendepunkt, was ändert sich hier in der Musik? Von der 5. Sinfonie gibt es drei Fassungen, allein daran erkennen wir ihren besonderen Stellenwert. Die erste Version komponierte Sibelius 1915, das war seine Reaktion auf die europäische Moderne. Er hat ganz genau mitbe­ kommen, was kompositorisch los war in der Welt, und hat sich intensiv damit auseinandergesetzt. Offenbar war er mit dem Ergebnis aber nicht glücklich und schrieb ein Jahr später eine neue Fassung, mit der er immer noch nicht zufrieden war. Erst 1919 entstand die finale Fassung. Und die Mühe hat sich gelohnt: Die erste Version ist zwar charmant mit ihren schrägen Dissonanzen und ihrer eigentümlichen Tonsprache, aber sie hat doch einen skizzenhaften Charakter. Am Ende dieses Prozesses findet er mit der finalen Fassung dann aber zu einer stimmigen Form, die einer inneren Logik folgt, obwohl er auch hier die Grenzen von Form und Tonalität erweitert. Grundsätz­ lich können wir sagen, dass Sibelius’ Musik am Anfang noch robuster, rustikaler klang – es ging ihm in den frühen Werken vor allem um Spannung. Später jedoch stand mehr der musikalische Fluss im Zentrum – und in der Fünften können wir diese Änderung hören.

Was ist die größte Herausforderung für eine schlüssige Sibelius-Interpretation? Die innere Logik eines Stücks zu entschlüsseln, denn als Dirigent muss ich den Musikern das Gefühl geben, dass sie mit der Substanz, dem Gehalt eines Werkes verbunden sind. Im Fall von Sibelius bedeutet das einiges an präziser Arbeit, weil seine Musik nicht von alleine lebendig wird. Das ist auch gut so, weil wir so die Bedeutung der Einzel­ teile, jeder Textur, jeder Geste hinterfragen müssen, um sie in einen schlüssigen Zusammenhang zu bringen. Wenn das gelingt, dann fließt die Musik auf einmal wie von selbst. Ihre ersten Sibelius-Schritte sind Sie auf dem Cello gegangen, bleibt dafür überhaupt noch Zeit bei Ihrer Dirigentenkarriere? Ich versuche es zumindest, weil für mich als Dirigent eine körperliche Verbindung zum Klang wichtig ist. Schließ­ lich fordere ich von den Musikern, Dinge auf eine be­ stimmte Art zu spielen. Wenn ich von Zeit zu Zeit also selbst am Instrument sitze, verliere ich zu diesem Prozess nicht den Kontakt, es erdet mich. Ich dirigiere heute zwar überwiegend, aber im Herzen bin ich immer noch Cellist.

KLAUS MÄKELÄ DIRIGIERT JEAN SIBELIUS Elbphilharmonie Großer Saal Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä Mo, 30. 5. 2022 | 20 Uhr: Sinfonien Nr. 1, 6 und 7 Di, 31. 5. 2022 | 20 Uhr: Sinfonien Nr. 2 und 4 Mi, 1. 6. 2022 | 20 Uhr: Sinfonien Nr. 3 und 5 ­M EIN KONZERT MIT KLAUS MÄKELÄ UND DEM CONCERTGEBOUWORKEST FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER ELPHI.ME/CONCERTGEBOUWORKEST


© 2018 SAP SE oder ein SAP-Konzernunternehmen. Alle Rechte vorbehalten.

I n t e r v i ew

Hier spielt die Musik.

SAP ist Principal Sponsor der Elbphilharmonie Hamburg. Wir sind stolz, eines der technologisch fortschrittlichsten Konzerthäuser Europas zu unterstützen und mit einem digitalen Besuchererlebnis zu begleiten. Mehr zu SAP unter sap.de

41


42

Fotostrecke

FOTOSYNTHESE Nein, das hier sind keine irren Spiegelungen überdimensionierter Zimmerpflanzen in der Elbphilharmonie. Für diese glückliche Verbindung von Natur und Architektur hat unser Fotograf einen anderen Weg gefunden: ganz klassisch mit Doppelbelichtungen auf analogem Film. Der Zufall, der dabei naturgemäß eine Rolle spielt, ist natürlich kalkuliert. FOTOS PAUL GREGOR




Fotostrecke

45






50

PL ädoyEr

VERZOPFT? VERKOPFT? VERNIEDLICHT!


Pl ädoyer

51

Joseph Haydn ist der bekannteste Unbekannte der Wiener Klassik. Ein Plädoyer für die Neuentdeckung eines Mannes, der sich mit viel Witz als Künstler und Bürger emanzipierte. VON CARSTEN FASTNER ILLUSTRATION ARINDA CRĂCIUN

K

ennen Sie den? Steht eine Sonate in C-Dur. Kommt das Finale, findet ein cis und biegt ab nach – H-Dur! Nicht lustig? Je nun. Zu Joseph Haydns Zeit war das ein wirklich guter Witz. Kein billiger Schenkel­ klopfer, sondern eine feine, wirkungsvoll gesetzte Pointe, die vom Publikum auf Anhieb verstanden wurde. Weil sie, wie in jedem guten Witz, die Erwartungshaltung auf über­ raschende Weise unterläuft: Das unscheinbare cis, das da im neunten Takt des Finales von Haydns Klaviersonate Nr. 50 aufblitzt, mündet einen Takt später in einen H-DurAkkord – mithin in eine gänzlich unerwartete, der Grund­ tonart C-Dur gegenüber denkbar weit entfernte Tonart. Ganz schön gewitzt! Doch ein Witz, den man erklären muss, ist keiner mehr. Eben das ist heute das Problem mit Joseph Haydn: Seine Musik klingt uns so selbstverständlich in den Ohren, dass wir ihren eigentlichen Reiz gar nicht mehr wahr­ nehmen. Das ist nicht nur unsere Schuld – auch wenn wir musikalisch schlecht ausgebildete Laien kaum noch die Grundzüge der Harmonielehre kennen. Es liegt auch an Haydns Musik selbst, genauer: an ihrem durchschlagen­ den Erfolg. Denn mehr noch als Mozart und Beethoven hat der konsensuale Übervater der Wiener Klassiktrias mit seiner so originären wie originellen Kunst unser gesamtes Musikverständnis geprägt. Haydn entwickelte in Hunderten von Komposi­ tionen die Basis eines radikal neuen Musikverständnisses, das bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als verbindlich gelten sollte, ja, das unterschwellig noch die Struktur und Harmonik der Popmusik prägt. Und nun? Teilt er das Schicksal so vieler Pioniere: Seine Grundlagenarbeit nehmen wir so beiläufig hin wie das Hintergrundgedudel im Format­radio.

WITZ AUF AUGENHÖHE

Dabei gäbe es in Haydns Musik so viel zu hören und zu entdecken, zu staunen und zu lachen. Seine Werke stecken, quer durch alle Genres und Schaffensphasen, voller Rei­ bungen, Regelbrüche und verquerer Einfälle, voller wider­ borstiger Rhythmen, doppeldeutiger Harmonien und abrupter dynamischer Kontraste. Ein paar Beispiele? Im Finale der Sinfonie Nr. 98 spielt das Orchester eine floskelhafte Schlussfigur, die jedoch keineswegs zum Ende führt, sondern in grotesk ausgesponnenen Varia­ tionen wieder und wieder wiederholt wird – bis sich, kurz vor der Erschöpfung, auch noch ein völlig deplatziertes Klaviersolo anschließt. In der 102. Sinfonie braucht das Orchester nicht weniger als vier Anläufe, ehe es sich, wie betrunken torkelnd, ordnungsgemäß in einen Sechzehn­telAuftakt einfädelt. (Der größte Witz steckt freilich in Haydns bekanntestem Werk, wenn auch nur auf der Meta­ ebene: dass nämlich sein »Kaiserlied« durch die Zeitläufte von der österreichischen zur deutschen Nationalhymne wurde.) Beispiele für Haydns Humor ließen sich schier endlos finden. Dieser Komponist liebt es, zu persiflieren, zu karikieren, zu decouvrieren, überraschend den Kon­ text zu wechseln, Unsinn in Sinn zu verwandeln. Indem er so virtuos mit den kunstvoll konstruierten Zusammen­ hängen zwischen Metrum, Tonart und Rhythmus spielt, macht er deutlich, dass diese Zusammenhänge letztlich nur suggeriert sind, nicht naturgesetzlich aus sich heraus existieren, sondern erst im Geist des Hörers entstehen. Haydn wendet sich direkt an sein Publikum, will mit musi­ kalischem Esprit unmittelbare Reaktionen der verstän­ digen Hörerschaft provozieren – und zeigt sich in diesem selbstbewussten dialogischen Verhältnis ganz als Kind seiner Zeit: als Aufklärer par excellence. ›


52

Pl ädoyer

SCHUTZIMPFUNG UND SAUERSTOFF

Haydns Jahrhundert war eines der aufregendsten der Geschichte. Der Mensch begann, neugierig auf sich selbst zu werden, seinen Verstand, seine Welt zu entdecken. »Der Mensch ist das wahre Studienobjekt des Menschen«, befand – in Haydns Geburtsjahr 1732 – Alexander Pope in seinem »Essay on Man«. Als Haydn in seinen Dreißigern war, formulierte Jean-Jacques Rousseau mit dem »Gesellschaftsvertrag« das Verhältnis zwischen Individuum und Staat neu, es be­gannen die Ausgrabungen in Pompeji, und James Watt konstruierte die erste brauchbare Dampfmaschine. Zu Haydns Lebzeiten wurde der Sauerstoff entdeckt, die elektrische Batterie erfunden und die moderne Schutz­ impfung entwickelt. Kant und Voltaire veröffentlichten ihre aufklärerischen Ideen, die Amerikaner erklärten ihre Unabhängigkeit, die Franzosen köpften ihren König. Und als Haydn 1809 hoch betagt starb, stand Napoleon bereits zum zweiten Mal als Sieger in Wien. Auch in der Musik war viel passiert in diesen acht Jahrzehnten, und Haydn hatte gewaltigen Anteil daran. Aus dem einstmals rein höfischen Musikleben war ein aristokratisches Vergnügen geworden, an dem schließlich auch das selbstbewusster werdende Bürgertum teilhaben wollte. Ein neuer Musikmarkt war entstanden, und mit ihm die Nachfrage nach öffentlichen Konzerten; aber auch der Wunsch kam auf, selbst zu musizieren, im Salon kunstsinnige Verständigkeit unter Beweis zu stellen. Die Komponisten reagierten mit der Entwicklung neuer Gattungen: Sinfonien und Solistenkonzerte, Kammer­ musik und Klaviersonaten verdrängten das barocke Prunk­bedürfnis zugunsten feinsinniger Schlichtheit. In zwei Ausprägungen zeigte sich dieser neue, vor­ klassische Stil, beispielhaft repräsentiert durch das Werk zweier Bach-Söhne: dem in heiterem, lebhaftem Tonfall gehaltenen Galanten Stil, wie ihn Johann Christian in London pflegte, und dem expressiven, mitunter stürmisch drängenden Empfindsamen Stil, wie ihn Carl Philipp Emanuel in Berlin und Hamburg kultivierte. Für die Synthese dieser beiden Stilrichtungen aber war Joseph Haydn verantwortlich. Er fand im Laufe der Zeit zu jener klugen Mischung, die wir heute Wiener Klassik nennen. Eine Mischung aus populären Melodien (die oft folkloristisch wirken, ohne es tatsächlich sein zu

müssen), dem Tempo der Opera buffa und den Struktu­ ren der Tanzmusik; aus geistreichem Witz und subtil mit Formen und Proportionen spielenden Techniken. Das kam beim Publikum gut an und erweckte zugleich das Interesse der Kollegen. Haydns Musik gefiel: bei Amateu­ ren und Berufsmusikern, Bürgern und Adeligen, in Frank­­ reich, England, Russland – »von Mexiko bis Calcutta«, wie ein zeitgenössischer Biograf bewundernd feststellte. SPRUNG IN DIE ZUKUNFT

Die gesellschaftlichen Umbrüche des 18. Jahrhunderts spiegeln sich nicht nur in Haydns Musik, sondern auch in seinem Leben. Der Handwerkersohn aus der niederöster­ reichischen Provinz brachte es zum europaweit gefeierten Kapellmeister des Fürsten Esterházy – und schaffte, mit immerhin 58 Jahren, schließlich den Sprung in ein damals gänzlich neues Karrieremodell: in die künstlerische Selbstständigkeit. Aus dem letzten großen Komponisten des Ancien Régime wurde einer der ersten unabhängigen Tonkünstler. Geschickt verstand es Haydn, die tech­ nischen Entwicklungen und die soziale Durchlässigkeit seiner Zeit für sich zu nutzen. Wobei er schon als fürstlicher Untertan ungewöhn­ lich weitreichende Freiheiten zur Vermarktung in eigener Sache genossen hatte. Die jahrzehntelange Abgeschieden­ heit in den esterházyschen Residenzen, über die sich Haydn immer wieder beklagte, bedeutete keineswegs, dass er dort von der Welt abgeschnitten gewesen wäre. Denn er bediente sich ausgiebig des prosperierenden Verlags­ wesens, um seine Musik auf eigene Faust weit über die Grenzen der Monarchie hinaus zu verbreiten. Bestes Beispiel dafür sind jene sechs Sinfonien, die er 1785/86 im Auftrag einer Pariser Konzertgesellschaft schrieb. Mit ihnen wurde der Kapellmeister aus dem fernen Osten zum beliebtesten Komponisten von tout Paris – ohne jemals selbst dort gewesen zu sein. Als er sich – nach der Pensionierung und zwei lukrativen Englandreisen – schließlich am Rande Wiens niederließ, konnte Haydn, der ehemalige Höfling, selbst Hof halten. Im eigenen Haus empfing der alternde Welt­star Kollegen und Bewunderer, Bittsteller und Förderer, nahm Aufträge und Ehrungen entgegen, ließ seine Verleger zu harten Verhandlungen antreten und gewährte seinen Biografen Gesprächstermine. SANFTER SCHLUMMER

Papa Haydns Popularität wurde allenfalls von Paperl Haydn übertroffen – seinem polyglotten Papagei.

Am frühen Morgen des 31. Mai 1809, wenige Tage nach einem Bombardement Wiens durch die napoleonischen Truppen vom nahe gelegenen Linienwall aus, starb Joseph Haydn als freier Mann und selbstbewusster Bürger. Seine Musik galt schon damals als vorbildlich und musterhaft, als klassisch im wahrsten Sinne des Wortes. Und schon bald wurde ihr diese Einschätzung zum Verhängnis. Haydns Werke standen auf allen Spielplänen, wurden so häufig gegeben, dass sie rasch in der mediokren Routine des Alltags versanken. So konnte ein Kritiker über eine besonders schlampige Aufführung der »Schöpfung« ätzen,


PL ädoyEr

demnächst wohl würden »die ausführenden Herrschaften sich bequeme Fauteuils ins Orchester stellen, darauf sanft des Schlummers pflegen, und es dem verehrlichen Publikum überlassen, sich das Werk mittlerweile – zu denken«. Es kam noch schlimmer. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die Romantiker mit der ideellen Entrückung Mozarts und der Monumentalisie­ rung Beethovens. Diesen »unverstandenen Genies«, dem »Musensohn« und dem »Titanen«, jedoch stellten sie einen verniedlichten »Papa Haydn« gegenüber – als zwar ehrwürdigen, aber letztlich langweiligen Steigbügelhalter. Dieses Bild sollte sich für lange Zeit festsetzen. Schon Robert Schumann fand, man könne »nichts Neues mehr« von Haydn erfahren: »Er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der immer gern und achtungsvoll empfangen wird: tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht mehr.« Johannes Brahms sah das an der Wende zum 20. Jahrhundert zwar ganz anders, musste aber doch an der Ignoranz seiner Zeitgenossen verzweifeln: »Die Leute verstehen von Haydn fast nichts mehr.« Substanziell hat sich an diesem Befund bis heute nichts geändert. Vergessen wie einst Bach oder Vivaldi war Joseph Haydn nie, wiederentdeckt muss er also nicht werden. Aber eine Neuentdeckung sind der Mann, seine Musik und sein Witz allemal wert.

SONNENQUARTETT Mi, 20. 4. 2022 | 19:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal cuarteto casals Joseph haydn: streichquartett g-moll op. 20/3 sowie Werke von schostakowitsch und mendelssohn Bartholdy DIE SCHÖPFUNG Do, 28. 4. und Fr, 29. 4. 2022 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal ndr Elbphilharmonie orchester ndr Vokalensemble Wdr rundfunkchor christina Landshamer (sopran) Benjamin hulett (tenor) Benjamin appl (Bariton) alan Gilbert (Leitung) Joseph haydn: die schöpfung / oratorium für soli, chor und orchester ABSCHIEDSSINFONIE Di, 3. 5. 2022 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal academy of st. martin in the Fields

53

Julia Fischer (Violine und Leitung) Joseph haydn: sinfonie fis-moll i:45, »abschiedssinfonie« sowie Werke von mozart, tschaikowsky und suk LONDONER SINFONIE Di, 24. 5. 2022 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal orchestra of the age of Enlightenment sir andrás schiff (klavier und Leitung) Joseph haydn: sinfonie Es-dur i:99 sowie Werke von Beethoven DIE JAHRESZEITEN Mi, 25. 5. 2022 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal orchester des 18. Jahrhunderts cappella amsterdam christina Landshamer (hanne) ian Bostridge (Lukas) Florian Boesch (simon) nicolas altstaedt (Leitung) Joseph haydn: die Jahreszeiten / oratorium für soli, chor und orchester


54

Ca roline Sh aw

ATEMLOS? SICHER NIE!


Ca roline Sh aw

55

Die Sängerin, Geigerin und Komponistin Caroline Shaw sucht Neues abseits der Trampelpfade. VON RENSKE STEEN

M

it Atemgeräuschen kennt sich Caroline Shaw gut aus, und das nicht erst, seit SARS-CoV-2 unserer Welt buchstäblich den Atem geraubt hat. Der Vater der US-amerikanischen Sänge­ rin, Geigerin und Komponistin ist Lungenarzt, durch ihn lernte sie schon früh, sogenannte Atemmuster zu er­ kennen. Ein an COPD (vulgo: Raucherhusten) erkrankter Mensch klingt anders als etwa eine vom RS-Virus be­ troffene Person. Diese unterschiedlichen Muster zu hören und zu erkennen, ist tatsächlich eine von vielen Diagnose­ hilfen bei allen Lungenerkrankungen. Deshalb weiß Caroline Shaw sehr genau, wie wichtig Atmen ist – nicht nur für Menschen, die das nicht mehr so können, wie sie sollten, sondern auch für die Musik. »Unlängst war ich für ein Projekt im Aufnahmestudio, und der Tontechniker hat ohne mein Wissen die Atemgeräusche, die Sänger beim Singen produzieren, entfernt«, erzählte sie kürzlich in einem Interview. »Aber genau das will ich unbedingt hören, genau das soll man später wahrnehmen können! Denn darin liegt der Unter­ schied zwischen einem echten Menschen mit all seinen Unvollkommenheiten und irgendeinem überproduzierten Soundsample in einem Popsong. Da stecken so viele Emotionen drin! Manchmal ist Atem Verletzlichkeit, manchmal Verzweiflung, manchmal Sex. Er ist für mich eine der ausdrucksstärksten Qualitäten im Gesang und in der Musik.« 1982 in der Provinz von North Carolina geboren, lernte Shaw schon mit zwei Jahren Geige nach der Suzuki-Methode, bei der bereits sehr junge Kinder vor allem durch das Prinzip der Nachahmung ans Instrument herangeführt werden. Ihre Mutter, eine Sopranistin, war ihre erste Lehrerin, und so wurde der Gesang neben der Geige auch bald zur bevorzugten musikalischen Ausdrucksmöglichkeit. Kirchenchor, Jugendorchester – eine Kindheit, fast ausschließlich geprägt von klassischer Musik. Shaw erinnert sich, dass sie kaum Berührungs­ punkte zu irgendeiner Form von Popkultur hatte. In der Plattensammlung ihres Vaters fand sie die Beach Boys und Cole Porter. Aber sonst? Sie freundete sich mit dem Organisten der benach­ barten kleinen Kirche an, der zum Spaß alle Orgelstücke von Bach auswendig lernte. Sie war eine begeisterte

Hörerin (und beharrliche Anruferin) des lokalen Klassik­ radios, wünschte sich dauernd bestimmte Werke, um sie daheim mit dem Kassettenrekorder aufzunehmen, und rief dann enttäuscht an, wenn die falsche Aufnahme gesendet wurde. In den Sommercamps spielte sie begeistert Streich­ quartett – eine Liebe, die bis heute anhält. Und nach der High School musste sie sich gar nicht für oder gegen das Geigenstudium entscheiden, das war ohnehin klar. Zunächst an einer Uni in Texas, dann an der Yale School of Music: die ganz klassische Ausbildung mit engem Fokus auf Technik und Standardrepertoire, kein Blick nach rechts oder links.

U

nd plötzlich war Caroline Shaw all das zu eng. Sie stellte fest, dass beispielsweise die Percussion-Abtei­ lung ganz anders mit Musik umging. »Die waren viel cooler als wir Streicher«, erzählte sie einmal. »Wir bewun­ derten sie aus der Ferne. Die durften diese neue Musik spielen und experimentierten mit verrückten Klängen. Und ich war in der Welt von Paganini, Brahms und Beethoven.« Also begann sie, ihren musikalischen Hori­ zont selbstständig zu erweitern. Sie schaute sich gründlich in all dem um, was für sie neu war, um herauszufinden, was sie – sie ganz allein – wirklich mag und schätzt in der Musik, sei es Klassik oder Folk, Blues, Jazz, Pop oder Rap.

»Im Atem stecken so viele Emotionen! Er ist eine der ausdrucksstärksten Qualitäten in der Musik.« Auf Jam Sessions lernte Shaw, nicht nach Noten zu spielen. Und ohne irgendeine formale Kompositionsaus­ bildung gewann sie ein Stipendium, das es ihr ermöglich­ te, an der Universität Princeton das Komponieren von Streichquartetten zu üben. Sie traf dort auf Lehrer, die sie einfach machen ließen, die nicht auf Formalien beharrten oder mit irgendwelchen Kompositionsregeln um die Ecke kamen, wenn sich die Schülerin auch nur einen Zenti­ meter abseits der ausgetretenen Trampelpfade erwischen ließ. ›


56

Ca roline Sh aw

Freunde aus Princeton: Sō Percussion

Und dann, 2009, kam Roomful of Teeth. Ein merkwürdi­ ger Name für eine Gruppe von neun Sängerinnen und Sängern, die den Versuch wagten, die Möglichkeiten des Gesangs so weit auszureizen, dass etwas Neues zwischen Jahrhunderte alter Tradition und kitschigen A-cappellaSongs entstehen kann. Das Ensemble tritt bis heute gemeinsam auf, es gibt sehens- und hörenswerte Videos von Konzertausschnitten im Netz, und wenn man da zuschaut, muss man wieder an die Atemgeräusche denken. Denn Roomful of Teeth singen nicht nur, sie sprechen, summen, schmatzen, stöhnen, schnaufen, kurz: Sie tun alles, was man mit dem Mund, diesem Raum voller Zähne, eben machen kann.

M

it diesem Ensemble hatte Shaw auch ihren bisher größten Erfolg als Komponistin: ihren 20-Minüter »Partita for 8 Voices«, für den sie 2013 wie aus dem Nichts mit dem Pulitzer Prize for Music ausgezeichnet wurde. Das war – kann man sich vorstellen – eine echte Sensa­tion: Eine so junge Frau (die jüngste bis dato), die sich selbst eher als Musikerin denn als Komponistin bezeichnen würde, gewinnt diesen prestigeträchtigsten Kompositions­ preis der USA. Das viersätzige Werk beginnt mit gesprochenen Tanzanweisungen, die sich immer mehr verdichten und überlagern und auf einmal in strahlende Akkorde mün­ den. Ein krasser Effekt, der sich einbrennt. Auch die Art, wie die Performer zu Beginn sprechen, hat Shaw präzise definiert. Sie liebt die tief hinten in der Kehle sitzende Sprechstimme ihrer Landsleute aus dem Süden der USA. Man kennt das ja von sich selbst: Die eigene Sprech­ stimme verändert sich, wenn man in verschiedenen Sprachen oder Dialekten spricht; sie versucht, sich den vorgegebenen Lauten anzupassen. Fasziniert war auch der Rap-Star Kanye West, als er 2015 die »Partita« zum ersten Mal live hörte, und er suchte die Zusammenarbeit mit der jungen Kollegin. Sein Angebot, Orchesterversionen einiger seiner Alben für ihn zu arrangieren, lehnte sie ab – zu langweilig. Sie remixte

lieber den Song »Say You Will«, indem sie ihre Gesangsund Geigenspuren auf eine Weise hinzufügte, die die Besessenheit des Originals noch verstärkt. Das fand auch Kanye West gut und nahm sie mit auf Tournee. Auf einmal waren da Stadien voller Menschen, die Shaw bejubelten – was für eine Erfahrung! Als Kanye West sich allerdings öffentlich für den damals noch amtierenden US-Präsidenten Trump aussprach, verließ Shaw die Tour.

Mit Kanye West war Shaw auf Tournee – bis der sich öffentlich für Donald Trump aussprach. Auch ihre »Partita« kann man derzeit nicht mehr live erleben, seit 2019 die kanadische Inuk-Kehlkopfsängerin Tanya Tagaq die Verwendung von Katajjaq, einer traditio­ nellen Form des Inuit-Kehlkopfgesangs, in Shaws Kom­ position als »kulturelle Aneignung« bezeichnete. Shaw traf diese Anschuldigung hart, doch sie lenkte ein und sucht derzeit noch nach einer Lösung, damit das Werk, das schließlich ihre ganze musikalische Welt spiegelt, endlich wieder aufgeführt werden kann. Und bis dahin? Komponiert sie weiter: Opern, Or­chesterstücke und Konzeptalben wie »Let the Soil Play Its Simple Part« mit dem Schlagwerkensemble Sō Per­ cussion, das sie noch aus ihrer Zeit in Princeton kennt. Und zum allerersten Mal in dieser bemerkenswerten Karrie­re steht diesmal Caroline Shaws eigene Stimme im Mittelpunkt. Und natürlich ihr Atem.

CAROLINE SHAW Di, 17. 5. 2022 | 19:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Caroline Shaw (Gesang) Sō Percussion »Let the Soil Play Its Simple Part« sowie Werke von Angélica Negrón und Bryce Dessner


BESTECHEND BRILLANT

Ca roline Sh aw

57

Mezzo-Star Joyce DiDonato über die Tricks und Geheimnisse ihres Erfolgs – und das neue Album „Eden“

PROMINENT

Wolfgang Rihm zählt nicht nur wegen Opern wie „Jakob Lenz“ zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart.

STERNSTUNDEN

Seit 1986 wurde Verdis Oper „La forza del destino“ nur noch einmal aufgenommen. Das goldene Zeitalter waren die 1950er-Jahre.

RENDEZVOUS DER KÜNSTE

Ein Essay zum Wechselverhältnis von Musik und Literatur

JAHRHUNDERTGEIGER

Der Geiger Gidon Kremer zählt zu den facettenreichsten Persönlichkeiten der klassischen Musikszene.

NACHRUF

Am 1. Februar wäre die Sopranistin Renata Tebaldi 100 Jahre alt geworden.

VERKANNT

Die Klassik schmückt sich nur selten mit der „Black Community“ – außer in der Oper.

DIE ZEHN BESTEN

SPEZIALABO-ANGEBOT * 3 Ausgaben lesen, 2 bezahlen + Gratis-CD

Wichtige afroamerikanische Komponisten von Scott Joplin bis Wynton Marsalis

UNBESCHEIDEN

Wie der Kleinstaat Liechtenstein mit unerwarteten musikalischen Ambitionen aufwartet.

www.fonoforum.de fonoforum.de/spezialabo2021eph Der Abo-Preis im Inland für drei Hefte beträgt *inklusive Porto 16,50 Euro (Ausland auf Anfrage).

Zusatzangebote & Dienstleistungen für Abonnenten gelten nur für Kunden der Reiner H. Nitschke Verlags-GmbH

FONO FORUM erscheint jeden Monat für 9,80 Euro in der Reiner H. Nitschke Verlags-GmbH. Nähere Infos, Abos und Heftnachbestellungen finden Sie auf unserer Internetseite www.nitschke-verlag.de oder telefonisch unter 02251 650 46 0. service.nitschke@funkemedien.de


58

U m ge h ö r t

BÜHNEN Wie ist es, Musiktheater nicht auf die Opernbühne, sondern aufs Konzertpodium der Elbphilharmonie zu bringen? VON LAURA ETSPÜLER UND JULIKA VON WERDER

BEJUN MEHTA: OHNE SCHNICKSCHNACK

»Ich bin ein Theatermensch«, bekennt der Countertenor Bejun Mehta. »Ich liebe es, mich zu verkleiden und im Scheinwerfer­ licht zu stehen. Es gibt nichts Vergleichba­ res!« Gelegentlich ist er aber auch erleich­ tert, wenn er seine Rollen im Konzerthaus ausleben darf, ganz ohne Schnickschnack. Dann geht er völlig in der Musik auf: »Ich muss nichts kompensieren, nur weil ich eine Oper konzertant singe. Im Gegenteil, oft ist die Verbindung zwischen Sängern und ihrem Stoff sogar größer. Der erste Regisseur einer Oper ist immer noch der Kompo­ nist.« In der Elbphilharmonie stand Mehta 2018 in George Benjamins Opernthriller »Written on Skin« auf der Bühne, der Komponist hatte ihm dazu die Doppelrolle als Engel und Jüngling auf den Leib geschrieben. Zu seiner »überirdischen« Vorstellung (Hamburger Abendblatt) mag auch die Nähe des ringsum platzierten Publikums beigetragen haben: »Die Sänger stehen mittiger im Raum und können so dessen Energie bündeln und direkt zurückschicken. Ich liebe das!«

SARAH MARIA SUN: AUF DEM SCHOẞ

Sie gurrt, grölt, jodelt oder fiept in Obertö­ nen: Sarah Maria Sun ist das »Chamäleon« unter den Interpreten für zeitgenössische Musik. Die Sopranis­ tin mit der schwindel­ erregend agilen Stimme hat schon mehr als 350 Urauf­ führungen gestemmt. Wenn es sein muss, studiert sie ein Werk auch in fünf Stunden ein – wie 2017 in der Elbphilharmonie, als sie in Peter Ruzickas »Mnemosyne« für eine erkrankte Kollegin einsprang und als Star des Abends gefeiert wurde. Nicht leicht fällt es ihr hingegen, auf der nackten Elbphilharmonie-Bühne eine Opernpartie zu singen: »Es gibt keine Ablenkungen, der eigene Körper muss alles gestalten.« Um das Publikum zu erreichen, lebt Sun ihre Rollen umso drastischer aus. »Manchmal lasse ich mich wie ein Insekt aus der Ferne beobachten, und manchmal klettere ich den Leuten auf den Schoß, komme ihnen viel zu nah. Ich nerve und provoziere gern.« Bei »My Fair Lady« ging es 2019 dagegen »eher nett« zu: »Da habe ich als Eliza dem Publikum tatsächlich Blumen verkauft. Aber all meinem Charme zum Trotz haben manche Leute mit dem Trink­ geld sehr gegeizt.«

FRANÇOIS-XAVIER ROTH: DIE AUGEN HÖREN MIT

Mal steht er als Dirigent mit dem Orchester mitten auf der Opernbühne, mal verwandelt er einen Konzertabend in ein mitreißendes Theaterabenteuer – die Grenzen zwischen Konzert und Szene, Musik und Drama sind für François-­Xavier Roth fließend, denn: »Wir können und müssen heute neu definieren, wie Musik überhaupt zu erleben ist.« Sein jüngstes Projekt für die Elbphilharmonie, Bernd Alois Zimmermanns Oper »Die Solda­ ten«, wurde zum Corona-Opfer; stattdessen brachte er mit dem Regisseur Calixto Bieito ein inszeniertes Zimmermann-Konzert auf die Bühne. Kein Guckkasten, kein Orchester­ graben, kein Vorhang – genau das gefällt ihm: »Die Nähe zwischen Publikum und Bühne ist wertvoll, gerade bei so vielschichtiger Musik. Und dank der idealen Akustik kann man endlich alle Details in Zimmermanns faszinierender Klangsprache hören« – und auch sehen, denn: »Das Orchester ist das eigentliche Spektakel!«


umGEhört

59

DOVLET NURGELDIYEV: HAUPTSACHE MUSIK

Auf der Opernbühne entsteht für Dovlet Nurgeldiyev eine eigene Welt, in der er für ein paar Stunden lebt – er liebt das: »Es ist eine Frage des Fokus«, erklärt der Tenor aus dem Ensemble der Staatsoper Hamburg: »Durch das Frontlicht wird alles andere ausge­ blendet.« In der Elbphilharmonie hingegen sehe man auch von der Bühne aus jeden im Publikum. Blickkontakt? Vermeidet er oft, für die Konzentration. Aber natürlich scheut er sein Publikum nicht, im Gegenteil: Wo immer es passt, nutzt er die Nähe, schäkert, bindet seine Zuschauer ein, etwa 2018 bei der »Fledermaus«: »Wir hatten solchen Spaß!« Er schlüpft gern in verschiedene Rollen. Aber allzu schräge Inszenierungen? – »Dann doch lieber konzertant«, findet er, denn auch wenn ihm das Szenische Freude macht, braucht er es nicht unbedingt: »Die emotionale Identifikation kommt allein aus der Musik.«

MICHAEL STURMINGER: OPER UNPLUGGED

»Dieser Saal spielt auf spektakuläre Weise immer mit!«, sagt Michael Sturminger. Der Regisseur und Autor war bereits mehrfach mit szenischen Großprojekten in der Elbphilharmonie zu Gast. Schon kurz nach der Eröff­ nung 2017 hat er Maßstäbe in Sachen Theater im Großen Saal gesetzt, gemeinsam mit John Malkovich in dem Multimediastück »Just Call Me God«. Auch seine beiden Silves­ ter­Projekte – »Die Fledermaus« (2018) und »My Fair Lady« (2019) – waren Knaller. Und haben bewiesen, dass Drama auch ohne den Illusionsapparat der Theaterbühne möglich ist. »Unplugged« nennt Sturminger das und meint damit fürs Publikum: nah dran, ja, mitten­ drin sein.

SPEKTAKEL POLINA PASZTIRCSÁK: INSEL IM ZUSCHAUERMEER

Seit sie 16 ist, weiß Polina Pasztircsák, dass sie Sängerin werden will. »Mit dem Singen konnte ich endlich meine gewaltigen inneren Gefühle ausdrü­ cken.« Die Sopranistin liebt das breite Spektrum an Charakteren und Stilen, wechselt vom Renaissance­ Lied zur rauschhaften Wagner­Oper. Ihre wichtigste Aufgabe als Sängerin sieht sie darin, einen Draht zum Publikum zu finden. Vor dem Großen Saal der Elbphilharmonie mit seiner Bühne, die wie eine Insel aus dem Zuschauermeer ragt, hat sie deshalb gehörigen Respekt. Sie wolle ja nicht unhöflich sein und den Leuten den Rücken zuwenden. Trotzdem überwiegt die Vorfreude auf ihr Debüt in Carl Maria von Webers gespenstischem »Freischütz«: »Ich denke nicht allzu viel über die Akustik nach. Beeinflussen kann ich sie sowieso nicht.«

ALAN GILBERT: ANTI-OPER

Eine Oper konzertant aufzuführen, das sei schon für ein Opernhaus eine Knochenarbeit. Wenn aber ein Konzertorchester diesen Schritt wage, dann greife es nach den Sternen. So stand es 2010 in der »New York Times«, als Alan Gilbert – damals Chef des New York Philharmonic – György Ligetis anarchische Anti­ Oper »Le Grand Macabre« auf die Konzertbühne hievte. Gilbert wusste, was er tat. Mit solchen Experimenten lerne man, Geschichten zu erzählen, erklärte er damals. Und: »Orchester sollten immer Geschichten erzählen.« Genau das will er nun auch mit Antonín Dvoráks Märchenoper »Rusalka« – und kann dabei auf seine Opernerfahrungen aus der Elbphil­ harmonie zurückgreifen, wo er 2019 mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester den Sensationserfolg des »Grand Macabre« wiederholte und den Großen Saal sensationell »in eine Avantgarde­Arena mit Rundum­ Bespaßung« verwandelte (Hambur­ ger Abendblatt) – »so selbstverständ­ lich, als sei dieser Raum genau für derartigen Wahnsinn entworfen worden«.


60

W elt m u s i k

TROPISCHE GEIGEN In der Mischkultur Sansibars entstand der einzigartige Klang des Taarab – den sich mit dem Tausi Taarab Orchestra nun auch die Frauen erobert haben. VON STEFAN FRANZEN


W elt m u s i k

W

er von Sansibar spricht, der spricht von Sehnsucht. Einer Sehnsucht der Deutschen, um präzise zu sein, nach Inseln, die sie nie besaßen. »Wozu bin ich in der Welt, wenn ich nicht Sansibar zu sehen bekomme«, heißt es in Alfred Anderschs Roman »Sansibar oder der letzte Grund« (1957), in dem das Archipel vor der Küste Tansanias als Freiheitssymbol im bedrohlichen Alltag des Nationalsozia­ lismus dient. Für fünf kurze Jahre bis 1890 war Sansibar Einflussgebiet des Deutschen Reichs, Stütz- und Aus­ gangspunkt von Expeditionen und christlicher Missionie­ rung, Umschlagplatz für Kaufleute, letztlich eingetauscht bei den Briten für ein paar Küstenregionen und, ja, richtig, für Helgoland. Wohl gerade wegen dieses schnellen Verzichts geistert die Vorstellung von einer exotischen Welt, die nach Nelken, Zimt und Pfeffer duftet, noch immer durch viele Köpfe – bis hinein in einen Film mit Vivi Bach und Hildegard Knef: »Blonde Fracht für Sansibar« (1965). Bei digitalen Nomaden stehen die Gewürzinseln bis heute hoch im Aussteiger-Kurs. Und wie tönt nun der Soundtrack zu dieser Sehn­ sucht? Die sansibarischen Taarab-Orchester liefern eines bestimmt nicht: kitschige Inselmusik. Ihr Klang kann für unsere Ohren erst einmal herb und ungeschliffen daher­ kommen, anfangs vielleicht sogar sperrig, gewinnt aber für geduldige Zuhörer immer mehr an Faszination und Facetten. Dieser besondere Klang ist Ergebnis einer über Jahrhunderte gewachsenen Durchmischung. Seit sich vor 2.000 Jahren die Swahili-Kultur als Hybrid afrikanischer, arabischer, indischer, ja gar fernöstlicher Einflüsse herauszubilden begann, war Sansibar als urbaner Knoten­ punkt des Handels immer schon Spielball und Zankapfel verschiedener Reiche. Im Zeitalter der Entdecker kamen hier alle segelnden Nationen vorbei; die Portugiesen waren diejenige Seemacht, die noch am nachhaltigsten Fuß fasste, immerhin zwei Jahrhunderte lang. Doch erst die Sultane aus Maskat (Oman) setzten sich ab dem 18. Jahrhundert richtig fest. Im 19. Jahrhundert verlegte Sultan Seyyid Said seinen Hofstaat sogar ganz nach Sansibar, erweiterte seinen Einfluss bis an den KongoStrom. Diese omanische Machtfestigung auf dem Archipel war der entscheidende Faktor für den Charakter der heutigen Musik. Denn Saids Nachfolger Bargash besaß auch kulturellen Ehrgeiz: Heimische Musiker sollten ein akademisches Fundament bekommen und wurden ab 1870 zur Ausbildung nach Kairo geschickt. Dort hatte

61

sich zu dieser Zeit bereits ein Musikbetrieb herausgebildet, der in regem Austausch mit dem Abendland stand (nur zur Erinnerung: Verdis »Aida« wurde 1871 in Kairo und nicht etwa in Europa uraufgeführt). 1905 schließlich be­stellte das Sultanat Instrumente aus Ägypten, mit denen das erste Taarab-Orchester Sansibars formiert werden konnte. Die Besetzung eines solchen Orchesters von gut und gerne zwei Dutzend Musikern ist auch in der arabischen Welt einmalig und spiegelt die Mischkultur schön wider: Die arabische Laute Oud, die Ney-Flöte, die Kastenzither Kanun, ein Bass aus Teekisten sowie eine Perkussionsriege aus Dumbak, Bongos, Riqq und schwarzafrikanischen Ngoma-Trommeln begegnen westlichen Akkordeons und Violinen. Im feucht-heißen Klima Sansibars aber scheinen die Geigen eine Art Eigenleben zu führen. Es ist, als hätte sich eine tropische Nachlässigkeit um die genaue Tonhöhe gelegt, die zwar sympathisch umkreist, aber nie genau erzielt wird. Und eben diese verwischte, unscharfe Intona­ tion verleiht dem Taarab seine typische Würze.

Im feucht-heißen Klima Sansibars scheinen die Violinen eine Art Eigenleben zu führen. Das Zusammenspiel dieser einmaligen Besetzung lässt sich in den Instrumentalstücken erleben, die sich Bashraf nennen. Zum Repertoire eines Orchesters gehören aber ganz wesentlich auch Gesangsstücke: Sowohl Sänger als auch – erheblich prominenter – Sängerinnen treten in Erscheinung, ihre Texte sind mal romantisch, mal frech bis derb. Geradezu rivalisierend setzen sich die Frauen in Liebesdingen in Szene. Die größten Ikonen dieser weib­ lichen Taarab-Stimmen waren ab den 1920er-Jahren die Pionierin Siti binti Saad, die auch selbst komponierte und als »Mutter des Taarab« gilt, sowie die ihr nachfolgende Bi Kidude, die international auf Tour ging, für die Gleich­ berechtigung der Frauen kämpfte. Erst 2013 starb sie im biblischen Alter von 103 Jahren. › Heißer Instrumentenmix, typische Würze: das Tausi Taarab Orchestra


62

W elt m u s i k

binti Saad und Bi Kidude. Durch Tausi Taarab haben sich auch die Texte verändert, sind sozialkritisch geprägt, des Öfteren ist jetzt von Gewalt gegen Frauen, Problemen der Jugendlichen und Drogenmissbrauch die Rede. Die Band­mitglieder haben sich Stück für Stück ihren Platz in der Gesellschaft erobert, einige von ihnen studieren an der Akademie. Tausi Taarab feiern die Musik mit weib­ lichem und farbenprächtigem Stolz – nicht umsonst be­ deutet das Wort Tausi »Pfau«.

W Gaststar von den Mondinseln: Nawal Mlanao

Im Taarab-Gesang hört man die arabischen Melismen ebenso wie indische Färbungen, und in den Frage-undAntwort-Wechseln zwischen Gesang und Chor ist ganz klar eine schwarzafrikanische Herkunft zu erlauschen. Ob man nun in der Kultur Sansibars beheimatet ist, oder als Neuling verblüfft auf diesen Klang stößt: Immer versetzt eine solche Darbietung die Zuhörer in eine besondere Stimmung – und auf eben die verweist auch das arabische Wort Taarab. Es steht für eine feinsinnige Gemütsregung durch die Musik, bis hin zu Rausch und Ekstase.

Tausi Taarab feiern die Musik mit weiblichem, farbenprächtigem Stolz – nicht umsonst bedeutet Tausi »Pfau«. Das bis heute mit Abstand bekannteste Orchester nennt sich Mila Na Utamaduri und firmiert international unter der Bezeichnung Culture Musical Club. Seit 1958 hatte diese Formation eine wechselvolle Geschichte, unterstütz­ te den Kampf um die – 1964 erreichte – Unabhängigkeit von England und den darauffolgenden Sturz des Sultans, übernahm dann quasi die Funktion des staatlichen Or­ chesters, stellte sich in den Achtzigern aber auf autonome Beine. Gerade dieser Formation ist es zu verdanken, dass sich der Taarab auch populäreren Elementen öffnete, etwa mit einer ganz eigenen, originellen Version von »La Paloma«. Parallel entwickelte sich eine schlankere Beset­ zung in den sogenannten Kidumbak-Ensembles – eine leichtfüßigere Kammermusik-Variante des Taarab, bei der nicht nur zugehört, sondern auch getanzt wird. Sie mag uns sogar ein wenig an swingenden Jazz erinnern. Mit Mariam Hamdani und ihrem Tausi Taarab Orchestra wurde in der Taarab-Tradition 2009 ein neues Kapitel aufgeschlagen. Erstmalig verlassen Frauen ihre exklusive Sängerinnenrolle und knacken ein bisheriges Tabu: Sie spielen jetzt auch sämtliche Instrumente. Selbst­ bewusst berufen sie sich in der immer noch männer­ dominierten islamischen Gesellschaft Sansibars auf die großen Taarab-Heldinnen des 20. Jahrhunderts, auf Siti

enn sich die Damen von Tausi Taarab in der Elb­ philharmonie für ein gemeinsames Programm mit Nawal Mlanao, der führenden Sängerin und Song­ schreiberin von den benachbarten »Mondinseln«, den Komoren, zusammentun, dann ist das in doppelter Hin­ sicht bemerkenswert: Es ist eine nie zuvor dagewesene weibliche Perspektive auf die zudem wenig beschrittene Kulturbrücke zwischen den Inseln, die doch ein ge­ meinsames Musikerbe teilen. Während der Taarab heute fast nur noch auf Sansi­ bar praktiziert wird, war er früher auch an der tansani­ schen und kenianischen Festlandküste zu finden – und auf den Komoren, woher Mitte des 19. Jahrhunderts viele Einwanderer nach Sansibar strömten. Nawal Mlanao hat als Kind noch erlebt, wie der komorische Taarab auf Hochzeiten gespielt wurde. Er war aber nur Teil einer reich­haltigen Palette von lokaler Musik: Da gab es die Sufi-Rituale, die ihr Vater leitete, und die schwarzafrikani­ schen Bantu-Lieder ihres Kindermädchens, außerdem die im­portierte französische Beatmusik. Nawal ist aber ebenso firm in Sega und Maloya, zwei Musikstilen im Dreiertakt, die auf vielen Inseln des Indischen Ozeans von Madagaskar über La Réunion bis Mayotte die Tanz­ musik bestimmen. All diese Einflüsse hat sie zu ihrer ganz individu­ ellen Liedkunst geformt, in der oft spirituelle Töne auf­­ scheinen. Sie singt diese Lieder in Shikomor, der Sprache der Hauptinsel Grande Comore, einer Swahili-Variante mit Elementen aus dem Arabischen, Bantu, dem Portu­ giesischen und Französischen. Ihr Begleitinstrument ist – neben etlichen Trommeln – die Gambusi, eine komorische Version der Oud. Der Taarab – eine Sehnsuchtsmusik? Je länger sich diese wiegenden und swingenden Klänge in die Gehör­ gänge graben, umso mehr legt man die Bilder von Palmen und Sandstränden ab. Und kann sich schließlich ohne koloniale Klischees dieser faszinierenden Klangwelt öffnen, die jetzt eine neue weibliche Selbstbestimmung erfährt.

TAUSI TAARAB Mo, 13. 6. 2022 | 19:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Tausi Taarab Orchestra Nawal Mlanao ­M WEITERE BEITRÄGE RUND UM DAS THEMA WELTMUSIK GIBT ES IN DER MEDIATHEK UNTER ELPHI.ME/WORLD


DAS ELBPHILHARMONIE MAGAZIN

Für wen ist das Abonnement? Für mich selbst Das Abo soll starten mit der aktuellen ausgabe

Ein Geschenk der nächsten ausgabe

Rechnungsanschrift: name

IM ABO

Vorname

Zusatz straße / nr. PLZ

ort

Land E-mail (erforderlich, wenn rechnung per E-mail)

mit der Zusendung meiner rechnung per E-mail bin ich einverstanden. hamburgmusik gGmbh darf mich per E-mail über aktuelle Veranstaltungen informieren. Ggf. abweichende Lieferadresse (z. B. bei Geschenk-Abo): name

Vorname

Zusatz straße / nr.

Nutzen Sie die Vorteile eines Abonnements und lassen Sie sich die nächsten Ausgaben direkt nach Hause liefern. Oder verschenken Sie das Magazin-Abo. 3 Ausgaben zum Preis von € 15 (ausland € 22,50) Preis inklusive mwst. und Versand Unter-28-Jahre-Abo: 3 ausgaben zum Preis von € 10 (bitte altersnachweis beifügen)

Jetzt Fan der Elbphilharmonie Facebook-community werden: www.fb.com / elbphilharmonie.hamburg

PLZ

ort

Land

Jederzeit kündigen nach Mindestfrist: Ein Geschenk-abonnement endet automatisch nach 3 ausgaben, ansonsten verlängert sich das abonnement um weitere 3 ausgaben, kann aber nach dem Bezug der ersten 3 ausgaben jederzeit ohne Einhaltung einer kündigungsfrist zum Ende der verlängerten Laufzeit gekündigt werden. Widerrufsrecht: die Bestellung kann innerhalb von 14 tagen ohne angabe von Gründen in textform (z. B. Brief, Fax oder E-mail) oder telefonisch widerrufen werden. die Frist beginnt ab Erhalt des ersten hefts. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige absendung des Widerrufs (datum des Poststempels) an: Elbphilharmonie magazin Leserservice, Pressup Gmbh, Postfach 70 13 11, 22013 hamburg tel: +49 40 386 666 343, Fax: +49 40 386 666 299, E-mail: leserservice@elbphilharmonie.de Elbphilharmonie Magazin ist eine Publikation der HamburgMusik gGmbH Platz der Deutschen Einheit 4, 20457 Hamburg, Deutschland Geschäftsführer: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant

Zahlungsweise: Bequem per Bankeinzug

Gegen rechnung

kontoinhaber iBan

Senden Sie uns das ausgefüllte Formular zu: ELBPHILHARMONIE maGaZin Leserservice, Pressup Gmbh Postfach 70 13 11, 22013 hamburg Oder nutzen Sie eine der folgenden Alternativen: tel: +49 40 386 666 343, Fax: +49 40 386 666 299 E-mail: leserservice@elbphilharmonie.de internet: www.elbphilharmonie.de

Bic (bitte unbedingt bei Zahlungen aus dem ausland angeben)

Geldinstitut

SEPA-Lastschriftmandat: ich ermächtige die hamburgmusik gGmbh bzw. deren beauftragte abo-Verwaltung, die Pressup Gmbh, Gläubiger-identifikationsnummer dE32ZZZ00000516888, Zahlungen von meinem konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein kreditinstitut an, die von der hamburgmusik gGmbh bzw. deren beauftragter abo-Verwaltung, die Pressup Gmbh, auf mein konto gezogenen Lastschriften einzulösen. die mandatsreferenz wird mir separat mitgeteilt. hinweis: ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. die Einzugsermächtigung erlischt automatisch mit ablauf des abonnements.

datum

unterschrift


64

Originalkl ang

DER WOLFSSCHLUCHTFLÜSTERER


Originalkl ang

65

Der Originalklang-Guru René Jacobs hat die romantische Oper »Der Freischütz« behutsam in einen Idealzustand zurückversetzt, den es so niemals gab. VON TOM R. SCHULZ

A

ußen, Nacht: Ein einsames Auto fährt auf einer Landstraße durch ein großes Waldgebiet. Plötzlich biegt es auf einen rumpligen Waldweg ab. – Innen, Auto: Am Steuer ein Mann, neben ihm ein Kind. »Komm, wir fangen einen Hasen! Dann haben wir was Leckeres zu essen.« »Nein, Papa! Ich hab Angst hier. Und du bist doch kein Jäger! Du hast doch gar kein Gewehr.« »Wart’s ab! Hasenbraten mögen wir doch beide gern.« – Außen, mitten im Wald: Das Auto bleibt stehen, Motor und Scheinwerfer gehen aus. Dunkel. Wolken­fetzen vor blassem Sichelmond. – Innen, Auto: Stille. Der Junge macht ein furchtsames Gesicht. Unver­ mittelt blendet der Fahrer die Scheinwerfer auf. Im Licht­kegel: ein Hase. Der Fahrer startet den Motor und ver­­sucht, den Hasen zu überfahren. Einmal. Zweimal. Drei­mal. Die Augen des Kindes: schreckgeweitet. Der Hase entwischt jedes Mal. »Pech gehabt!« grummelt der Mann. »Dann eben nicht.« Und legt den Rückwärtsgang ein. Diese Kindheitsszene mit seinem erfolglos wildern­ den Vater kommt René Jacobs als erstes in den Sinn, wenn man ihn fragt, was für ihn der Topos des Waldes bedeutet, der in der deutschen Romantik eine so große Rolle spielt. Immerhin sind der Wald und ein Försterhaus die einzigen Schauplätze in Carl Maria von Webers romantischer Oper »Der Freischütz«. Jacobs hat das Werk und etliche Quellen drum herum in der ihm eigenen Gründlichkeit studiert. Im vergangenen Jahr nahm er das Stück in einer von ihm selbst so genannten Hörspielfassung mit dem Freiburger Barockorchester auf. Und im Mai bringt er es

in einer konzertanten Aufführung in die Elbphilharmonie. Man darf sich die Szene mit dem dreimal nicht totgefahre­ nen Hasen gewissermaßen als Jacobs’ privaten Erinne­ rungsvorspann zum »Freischütz« vorstellen. Mehr noch: als seine ganz persönliche Wolfsschlucht. Wolfsschlucht. Schon der Klang des Wortes birgt Finsternis und Gefahr. Hier herrscht das Unheimliche im Wald, es ist das Reich des wilden Jägers. Kein lichtes Grün, kein Vogelsang, statt würziger Luft nur Moder und Fäulnis. Hier gießt Kaspar, der dem teuflischen Samiel tributpflichtig ist, die Freikugeln, mit denen der grundgute Jäger Max sein entschwundenes Flintenglück zu zwingen hofft. Denn schießt er morgen, wie zuletzt immer wieder, daneben, dann wird das nichts mit ihm und Agathe, der Försterstochter. Doch zu den sechs Kugeln mit garantier­ tem Jagdglück gehört noch eine siebte, diabolische, deren Lauf der Böse lenkt und nicht der Schütze Max. Am Ende nimmt die unheilvolle Geschichte eine gute Wendung, was ihre Beliebtheit beim Publikum gewiss befördert hat. Webers »Freischütz« mit dem Libretto von Friedrich Kind, unter Leitung des Komponisten 1821 in Berlin uraufgeführt, war ein Welterfolg. Und der Erfolg hält bis heute an. Doch die beiden Urheber hat das Werk, das sie zusammenbrachte, gleich wieder entzweit. Denn Weber vertonte das Libretto nicht eins zu eins. Seine Ehefrau Caroline Brandt, eine Sängerin, überredete ihn zu Änderungen, die ihn selbst wenig überzeugten, Kind aber erzürnten. Sie hätten, so klagte er, aus seinem Text eine Statue gemacht, der der Kopf fehle.

D

er Belgier René Jacobs, den man gern einen OpernEntstauber nennt, weil er durch seine hingebungs­ volle Erarbeitung vergessener oder bislang eher langweilig interpretierter Opern viel Licht ins Musiktheater der Gegenwart bringt, hat sich des »Freischütz« nun mit dem Eros eines Kunstrestaurators und der Beherztheit eines plastischen Chirurgen angenommen. Jacobs hat der Statue nicht nur den Kopf, genauer: einen möglichen Kopf, aufgesetzt. Er hat diesem Kopf auch Gesichtszüge model­ liert, aus Material, das er zuvor dem Torso entnahm. Und wo er schon einmal dabei war, verpasste er ihr oben­ drein noch eine coole Frisur, mit Fremdhaar. Alles im Geist der Zeit, und alles im eigenen Sinn. ›


66

Originalkl ang

Die Hörner des Freiburger Barockorchesters klingen wie die Natur selbst. Es sind eben Natur-Hörner.

Der Streit zwischen Kind und Weber entzündete sich an der Figur des Eremiten, der in der Oper wie ein Deus ex machina erst im letzten Akt auftaucht. »Das fand ich immer unpassend, irgendwie barock«, sagt Jacobs, der dem »Freischütz« lange Zeit nicht viel abgewinnen konnte. Dann jedoch fand er heraus, dass in Kinds ursprünglichem Libretto der Eremit schon zu Beginn auftritt, gleich nach der Ouvertüre. In seiner Waldeinsamkeit besucht ihn Agathe, die ihn wie gewohnt mit Obst und Milch versorgt. Und was sie miteinander zu besprechen haben, ist gereimt, war also zur Vertonung bestimmt. Frau Weber, offenbar so etwas wie eine frühe Yoko Ono, trieb einen Keil zwischen Kind und Weber und verfügte in einem Brief an ihren Gatten: »Weg, weg mit den Szenen!« Weber gehorchte seiner Frau, er hat zu den Texten nichts komponiert. In manchen Aufführungen wird Kinds Original halb genüge getan, indem die Verse wenigstens gesprochen werden. Jacobs half dem Glück nun etwas nach und besann sich auf die Tradition der Parodie in der Musik. Darunter versteht man die Umwandlung von bereits bestehendem Material aus einer Komposition in einen weiteren Teil desselben oder eines anderen Werks. »Kreativ (aber unaufdringlich)« habe er acht Takte hier und zwölf Takte da aus der Ouvertüre sowie Teile aus der Eremiten-Arie im letzten Akt »wiederaufbereitet«, schreibt Jacobs in einer Notiz zu seiner »Freischütz«-Aufnahme. Tonmaterial für ein ebenfalls neues Duett zwischen Agathe und dem Eremiten entlieh er aus einer anderen Passage im ersten Akt.

B

esonders tollkühn erscheint der Kunstgriff, den Jacobs anwandte, um eine weitere Schwachstelle der Oper musikalisch zu heilen: den allzu langen Monolog des Oberförsters Kuno gleich nach dem Eingangschor, in dem er den Jägern die Geschichte des Probeschusses erläutert. Auch hier hatte Caroline Brandt die Axt angelegt und Weber ausgeredet, Kuno diese Erklärung in einem von Kind getexteten Strophenlied singen zu lassen. »Für diesen Text hatte ich das Glück, auf eine Musik von Schubert zu stoßen, ein Trinklied aus seinem Singspiel ›Des Teufels Luftschloss‹. Und diese Musik passt wie angegossen. Das war ein Geschenk von Schubert an mich«, sagt Jacobs mit einem zufriedenen, etwas durch­ triebenen Lächeln. Er liebt Schubert sehr, »aber Schubert hat sich eher negativ über Weber und den ›Freischütz‹ geäußert. Er hatte Unrecht. Für mich ist es ein Insider­ witz, dass diese Arie jetzt von Schubert ist.«

Jacobs rechnet den »Freischütz« der Gattung des Sing­ spiels zu, er sieht ihn in der Fortsetzung von Mozarts »Entführung aus dem Serail«, der »Zauberflöte« oder Beethovens »Leonore«, die er im Herbst 2020 in der Elbphilharmonie in einer Corona-bedingt abgespeckten Fassung ohne Chor aufgeführt hat. Zum Singspiel gehört viel Rezitativisches, gehören Sprechtexte. Auch die hat Jacobs freizügig und besten Gewissens im »Freischütz« redigiert und modernisiert. Dabei ist auch eine veritable Rolle für einen Schauspieler herausgesprungen: Max Urlacher hat die weitgehend stumme Präsenz des Dämons Samiel mit Jacobs’ Hilfe und aus eigenem Antrieb zu einer maliziös-bissigen Figur ausgebaut. Dafür ging Jacobs bis zu der Quelle zurück, die auch Friedrich Kind für sein Libretto inspirierte: Johann August Apels »Gespenster­ buch« aus dem Jahr 1810.

D

er Mut, als Dirigent derart weiträumig auch als nachschöpferischer Komponist tätig zu werden, dürfte Jacobs aus seiner gründlichen Erfahrung als Sänger frühbarocken und barocken Repertoires zugewachsen sein. Dort bleibt vieles der Deutung und persönlichen Aus­ gestaltung der Interpreten überlassen, vom Generalbass bis zu den Verzierungen. Künstlerisch gehört Jacobs zu den Pionieren der flämisch-niederländischen Originalklang-Bewegung der Sechziger- und Siebzigerjahre, die mit den KuijkenBrüdern, Ton Koopman, Philippe Herreweghe, Jos van Immerseel und Gustav Leonhardt viele großartige Namen hervorbrachte. Ehrensache, dass das Freiburger Barock­ orchester beim »Freischütz« dem Klang der Weber-Zeit folgt. Besonders glücklich ist Jacobs mit dem Einsatz der Hörner, die die Jägerwelt im »Freischütz« prominent illustrieren: »Schon nach wenigen Takten in der Ouvertüre klingen sie wie die Natur selbst«, schwärmt er. »Es sind eben Natur-Hörer.« Auch sonst hat er die Partitur und Instrumentierung Webers sehr lieben gelernt, kaum dass er sich mit ihr schöpferisch zu befassen begann. Alles war von langer Hand für das Jahr 2021 geplant, zum 200. Jahrestag der Uraufführung. Das hat Corona vereitelt. In die Elbphilharmonie kommt Jacobs’ neu erzählte Fassung nun immerhin zum 200. Geburtstag der Hamburger Erstaufführung. Die war im Februar 1822 und zog gleich sieben weitere Aufführungen nach sich. Schließlich sei »der Freyschütz noch immer das Stück des Tages und scheint sich bey jedesmaliger Wiederholung im Beyfall des Publikums noch fester zu setzen«, wie ein Hamburger Rezensent damals bemerkte. Das gottlob ausbleibende Auto-Jagdglück im bel­gischen Wald als Kind an der Seite seines Vaters hatte für René Jacobs übrigens keine traumatischen Folgen. Zumindest hat sie ihm das Behagen an einem guten Hasenbraten bis heute nicht verderben können.


Originalkl ang

Corona-bedingt chorlos: René Jacobs mit Beethovens »Leonore« in der Elbphilharmonie (2020)

DER FREISCHÜTZ Mi, 4. 5. 2022 | 20 Uhr Elbphilharmonie Großer Saal Freiburger Barockorchester, René Jacobs Polina Pasztircsák (Agathe) Dimitry Ivashchenko (Kaspar) Magnus Staveland (Max) u. a. Carl Maria von Weber: Der Freischütz / Romantische Oper in drei Akten

67


68

e n g a ge m e n t


e n g a ge m e n t

69

ICH BIN EIN FAN Die Juristin Katja Schmid von Linstow weiß genau, warum sie sich als Kuratorin im Freundeskreis Elbphilharmonie und Laeiszhalle engagiert.

D

ie Liebe zur klassischen Musik wurde mir in die Wiege gelegt: Eine meiner Großmütter war Konzertpianistin, konnte aber ihre Profession aufgrund des Krieges und als Mutter von vier Kindern nicht ausüben. Ihr Flügel ist später an mich übergegangen. Als Jugendliche war das Klavierspiel mein großes Hobby, auch heute begleite ich noch ab und zu meine Kinder. Meine Eltern besaßen eine große Schall­ plattensammlung, sie haben die Wiener Klassik favorisiert, eine Beatles-LP war wohl ihre einzige nichtklassische Aufnahme. Auch auf unseren Familienausflügen lief im Auto ständig Klassik. Noch heute erinnere ich mich, sobald ich Mozart höre, an die Fahrten von München an den Tegernsee, die verschneiten Berge, die leuchtenden Gebirgsseen. Wahrscheinlich verdanke ich es dieser Prägung, dass für mich bis heute Musik und der Zauber der Natur eng miteinander verbunden sind. So habe ich in Oberbayern auf Schloss Elmau in wunderschöner Land­ schaft manchen Kindheitssommer verbracht. Schon da­ mals wurden in dem Hotel Konzerte veranstaltet, einmal war auch der große Pianist Friedrich Gulda zu Gast, und wir hörten ihn den ganzen Tag im großen Saal üben und vor sich hin schimpfen. Eine mir unvergessliche Erinnerung! Von München bin ich später mit meiner Familie nach Berlin gezogen. Wir hatten ein Abonnement bei den Berliner Philharmonikern, und trotz dreier kleiner Kinder habe ich versucht, die Konzertbesuche immer irgendwie unterzubringen. Als wir 2013 nach Hamburg kamen, dachte ich ein wenig arrogant, so toll wie in Berlin kann das Musikleben hier nicht werden. Ich hatte zu­ nächst auch keine rechte Vorstellung von der Elbphilhar­ monie. Als dann jedoch das Programm der ersten Saison veröffentlicht wurde, war ich sehr beeindruckt von den hochkarätigen Orchestern und Künstlern. Um Karten hatte ich mich aber zu spät gekümmert, es war schon alles ausverkauft. Zum Glück aber lud mich ein Freund zu einem Konzert ein – und ich war hingerissen von dem Klang und der intimen Atmosphäre in diesem riesigen Saal, damit hatte ich nicht gerechnet. Man hört jede einzelne Stimme im Orchester, egal wo man sitzt. Dabei kann man ganz wunderbar den Ensemblemitgliedern beim Spielen zuschauen, weil man von jedem Platz aus einen tollen Blick auf die Bühne hat.

Zum Freundeskreis von Elbphilharmonie und Laeiszhalle kam ich ein paar Monate später: Mein Mann überraschte mich zu unserem Hochzeitstag mit einer Mitgliedschaft, weil er wusste, wie viel mir die Konzert­besuche bedeuten. Mit meinem Jahresbeitrag unterstütze ich das Konzertpro­ gramm beider Häuser, im Gegenzug werden mir für viele Veranstaltungen Vorbuchungsrechte gewährt. Ich konnte dadurch bereits in den ersten Elb­philharmonie-Jahren meine Wunschkonzerte besuchen. Die anderen exklusiven Angebote, etwa die Kulturreisen oder das jährliche Kura­ toren-Dinner, habe ich bislang aus Zeitmangel noch nicht wahrnehmen können. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich als Kuratorin des Freundeskreises zum Festkonzert anlässlich des fünften Elbphilharmonie-Geburtstags eingeladen wurde. Es hat mir gut gefallen, insbesondere »Wing on Wing« von Esa-Pekka Salonen. Die Krönung war, als am Schluss Salonen und der Dirigent Alan Gilbert auf die Bühne kamen und dem Publikum mit einem Glas Bier zugepros­ tet haben – sehr sympathisch und berührend! Ein Höhepunkt der letzten Jahre war für mich der Liederabend mit Matthias Goerne und Jan Lisiecki im September 2020. Es war mein einziger Konzertbesuch zwischen zwei Lockdowns, und ich war nach so langer Konzertabstinenz richtig ausgedurstet. Meine Freundin und ich saßen in der ersten Reihe direkt vor den Künst­ lern, es war eine Atmosphäre wie bei einem Hauskonzert, sie spielten »gefühlt« nur für uns – ein magischer Moment. Die moderne Architektur der Elbphilharmonie überrascht und begeistert mich immer wieder aufs Neue. Es gibt ja etliche Beispiele neuer Bauwerke, wo aus mangelndem Mut kein großer Wurf gelungen ist. Wenn man dagegen an einem prominenten Platz wie hier so viel wagt, finde ich das großartig. Für mich ist die absolute Steigerung des Genusses, wenn ich gute Musik in einer schönen Umgebung hören kann. Ich glaube mittlerweile auch, dass schöne Gebäude positive Auswirkungen auf die Menschen einer Stadt haben, ich habe es am eigenen Leib erlebt. Die Elbphilharmonie gibt mir den Anstoß, mich wieder mehr mit meinen musikalischen Interessen und eigenen Ambitionen zu beschäftigen. AUFGEZEICHNET VON CL AUDIA SCHILLER FOTO CHARLOTTE SCHREIBER


70

M i ta r be i t e r

PFLICHTTERMIN MIT GUTER LAUNE Das Team der Elbphilharmonie Plaza sorgt dafür, dass sich Millionen Gäste auf Hamburgs schönstem Balkon rundum wohl fühlen. VON FRÄNZ KREMER FOTOS GESCHE JÄGER

CLAUS GRADENWITZ: IM SCHÖNEN KREISLAUF

Wer schon mal länger als zehn Minuten vor dem Haupt­ eingang der Elbphilharmonie auf seine Konzertbegleitung gewartet hat, kennt sie vermutlich, die steife Brise, die hier an der Ostseite des Hauses regelmäßig entlangpfeift. Auch an diesem Samstagmorgen im Januar weht es eisig über den Vorplatz, die Menschen klappen die Kragen hoch, ziehen sich die Mützen über die Ohren, suchen Zuflucht im windgeschützten Nordgang. Claus Gradenwitz bleibt in seiner roten Elbphilharmonie-Jacke draußen stehen. Er hat sich Ohrenschützer anfertigen lassen, extra im zur Jacke passenden Rot-Ton. In dieser Montur wird er die vielen Besucher empfangen, die heute auf die Plaza wollen. Kommunikator nennt sich der Job, den Gradenwitz übernimmt. An besonders besucherstarken Tagen, am Wochenende oder in den Schulferien, wenn bis zu zehn­ tausend Gäste auf die Plaza strömen, steht Gradenwitz bereit, um Fragen zu beantworten und die langen Schlan­ gen zu organisieren. An anderen Tagen gibt er am Info­ point die Eintrittskarten aus, steht oben auf der Plaza oder arbeitet als Kassierer im Shop. Als Mitarbeiter des Elb­­­ philharmonie-Dienstleisters Eventteam ist Gradenwitz einer der vielen Helfer, die dafür sorgen, dass sich die PlazaGäste wohlfühlen und ihr Besuch reibungslos verläuft. »Für die Touristen in unserer Stadt ist der PlazaBesuch ein Pflichttermin«, sagt Gradenwitz nicht ohne Stolz. Tatsächlich zählt die Plaza mit 15 Millionen Be­ suchern in fünf Jahren nicht nur zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Hamburgs, sondern spielt in puncto Besucherzahlen in derselben Liga wie die berühmtesten

»Es macht einfach Spaß, mit den unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch zu kommen.«


M i ta r be i t e r

Aussichtsattraktionen der Welt, vom Riesenrad London Eye bis zum Empire State Building in New York. Aber ob man in New York auch von einem Helfer in roter Jacke empfangen wird? Und ob der so für das Gebäude hinter sich schwärmt wie Gradenwitz für die Elbphilharmonie? Unwahrscheinlich. »Als Hamburger war ich von Beginn an fasziniert von diesem Haus«, sagt Gradenwitz. Gearbeitet hat er bis zu seiner Rente als Informatiker, gelebt hat er schon immer für die Musik. »Die Elbphilharmonie-Eröffnung fiel genau in die Zeit, in der ich in Ruhestand gehen sollte. Ich sah die Ausschreibung und wusste: Das ist genau meins.« Seit seiner Kindheit ist Gradenwitz ein leidenschaftlicher Chorsänger, er ist in mehreren Hamburger Chören aktiv, singt um die 20 Konzerte pro Jahr. Mit dem Symphoni­ schen Chor Hamburg trat er schon zwei Mal im Großen Saal der Elbphilharmonie auf; zuletzt, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, präsentierten sie in Großbesetzung das Oratorium »Les Béatitudes« von César Franck. Sein erstes Abo des (damaligen) NDR Sinfonie­ orchesters bekam Gradenwitz vor 60 Jahren von seinen Eltern zum neunten Geburtstag geschenkt. Er besitzt es heute noch – und einige weitere Abos, von Kammer­ musik bis Jazz. Dazu besucht er auch viele Einzelkonzerte. »Ich zähle nicht mit, aber 50 Veranstaltungen im Jahr sind es bestimmt.« Das Geld, das er in seinem 20-Stunden-­ Job an der Elbphilharmonie verdient, fließe zu einem erheblichen Teil für Konzertkarten wieder dorthin zurück. »Und das finde ich einen sehr schönen Kreislauf.« Gradenwitz schätzt an seinem Job aber nicht nur die Nähe zur Musik, sondern auch die vielen Begegnungen: »Die Besucher der Plaza sind meistens im Urlaub und gut gelaunt, oder sie besuchen ein Konzert, auf das sie sich freuen. Es macht einfach Spaß, mit den unterschiedlichs­ ten Leuten ins Gespräch zu kommen.« Auch der Kontakt mit den Kollegen sei etwas Besonderes: »Viele sind schon lange dabei, aber es werden auch dauernd neue Leute gesucht. Es gibt Rentner wie mich, aber ebenso viele Stu­ denten, die sich hier etwas dazuverdienen. Eine schöne Mischung.«

71

CLAUDIA BOGO: IN DER SCHALTZENTRALE

Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Eventteam sind in der Regel täglich allein für die Plaza eingeteilt. Sie zu koordinieren und je nach Bedarf einzuplanen, ist die Aufgabe von Claudia Bogo. Als Mitarbeiterin des PlazaManagements liegt ihr Büro hinter dem ElbphilharmonieBesucherzentrum am Kaiserkai. Es ist die Schaltzentrale, von der aus der Plaza-Betrieb gesteuert wird. »Unser Ziel ist es, dass im Hintergrund alles möglichst reibungslos verläuft, damit die Besucher ein schönes Erlebnis haben«, erklärt sie. Bogo ist dafür neben dem Dienstleister Eventteam noch mit vielen anderen Akteuren in Kontakt: mit der Gebäudetechnik von Spie ebenso wie mit den Sicherheits­ kräften der VSU, die Bogo bei den unterschiedlichsten Vorfällen anfunken. »Man weiß nie, was passiert«, sagt sie. Mal funktioniert die Technik bei der Eingangskontrolle ›


72

M i ta r be i t e r

nicht, mal sucht ein Kind seine Eltern, mal ist ein herren­ loser Hund vor dem Nordgang angeleint oder ein Fahr­ stuhl defekt. »Wir sind da, um diese vielen kleinen Dinge schnell in Ordnung zu bringen«, sagt Bogo. Auch über die Eintrittskarten für die Plaza waltet sie von ihrem Schreibtisch aus. Sie gibt Kontingente an Partner heraus, an das Hotel Westin, das Restaurant Störtebeker, an Hamburg Marketing oder externe Stadt­ führer. Sie schaltet aber auch die Kontingente im haus­ eigenen Kartensystem frei, auf die alle Besucher zugreifen können – entweder indem sie online einen bestimmten Zeitraum vorbuchen, oder indem sie sich vor Ort eine Gratis-Karte abholen. Viel Zeit verbringt Bogo auch damit, die unzähligen Kundenfragen zu beantworten, die täglich in ihrem Postfach landen. Dabei kommt ihr einerseits ihre Berufs­ erfahrung zugute – sie arbeitete zuvor lange bei einer Fluggesellschaft – andererseits die vier Sprachen, die die gebürtige Französin spricht. Bei einigen Anfragen muss sie trotz aller Routine doch schmunzeln, etwa, als mal eine Feuerwehrtruppe Fotos für ihren Kalender auf der Plaza machen wollte. »Grundsätzlich gilt: Nichts aufbauen,

nichts absperren, keine anderen Besucher stören. Aber die Feuerwehr war da, ja, auch mit wechselnden Outfits.« Hochzeitsfotos seien ebenfalls ein großes Thema – und Heiratsanträge: »Es sind in der Regel Männer, die da schreiben«, lacht Bogo. »Manche wirken eher spontan, andere schicken mir sehr detaillierte Ablaufpläne, wie sie sich das vorstellen: mal mit Kerzen und Blumen, mal mit rotem Teppich, Deko, Überraschungsgästen oder Musik. Manchmal müssen wir da ein wenig bremsen.« Eine Sache zeige sich für Bogo bei allen Gästen, seien es Einzel­ touristen, Reisegruppen, Schulklassen oder Heiratswillige: »Die Elbphilharmonie zu besuchen, ist für alle etwas sehr Besonderes.« ANN-CHRISTIN LESSINGER: VOR WUNDERBAREM PANORAMA

Dafür, dass alle von diesem Erlebnis auch eine Erinnerung mit nach Hause nehmen können, ist Bogos Kollegin Ann-Christin Lessinger verantwortlich. Ihr Arbeitsbereich, der Elbphilharmonie Shop, liegt auf der Nordseite der Plaza. Vor einem wunderbaren Stadtpanorama werden hier, auf stilvollen schwarzen Regalen, die unterschied­ lichsten Artikel angeboten. Über 500 verschiedene Pro­dukte umfasst das Sortiment. Der Feuerwehrkalender, soviel sei verraten, gehört nicht dazu – ansonsten gibt es von Büchern über CDs bis zur Espressotasse fast alles. Ann-Christin Lessinger kennt die Produkte in- und auswendig: Sie ist sowohl für die Auswahl des Sortiments als auch für die Entwicklung neuer Produkte zuständig.


M i ta r be i t e r

73

»Wir wollen Touristen ebenso wie Konzertbesucher bedienen. Beides soll sich nicht ausschließen.«

Im Elbphilharmonie Shop hat Lessinger schon gearbeitet, als er noch gar nicht als Shop erkennbar war. »Als Event­ team-Mitarbeiterin habe ich vor der Plaza-Eröffnung im November 2016 Produkte aus Kartons gepackt und in die Regale geräumt«, sagt sie. »Ich habe mich gezielt auf diesen Job beworben, weil ich dachte: Die Erfahrung, etwas mit zu eröffnen, ist sicher sehr bereichernd. Und so war es auch.« Wenig später wurde Lessinger fest einge­ stellt. Um das Sortiment ständig zu erweitern, ist sie mit Händlern und Entwicklern in Kontakt und auf Messen unterwegs, um sich inspirieren zu lassen. Möglichst nachhaltig und lokal zu produzieren – gern in Zusammen­ arbeit mit Hamburger Unternehmen – ist ihr dabei ein besonderes Anliegen. »Die Herausforderung ist, dass wir verschiedene Zielgruppen bedienen wollen: die Touristen, die eine Postkarte suchen, genauso wie anspruchsvollere Konzertbesucher, die etwas Exklusives mitnehmen möchten. Beides soll sich nicht ausschließen«, so Lessin­ ger. Das Sortiment könne man sich daher wie eine Pyramide vorstellen: »Der Sockel unten sind die Schlüssel­

anhänger, Becher, Kühlschrankmagnete, Postkarten: Alles, was Tagestouristen gut in der Handtasche mitneh­ men können.« Weiter oben in der imaginären Produktpyramide fänden sich dann etwa ein hochwertiges Schneidebrett, das von einem Familienunternehmen aus besonderen französischen Hölzern handgefertigt wird, oder ein Stift­ halter aus einem Stück der im Großen Saal verbauten »Weißen Haut«. »Wir haben keinen Online-Shop, und man kriegt diese Produkte auch nirgendwo anders«, erklärt ­Lessinger. »Insofern ist es schon etwas Besonderes. Das Schneidebrett ist zum Beispiel ein sehr beliebtes Hoch­ zeitsgeschenk.« Nicht nur für jene, die sich hier verlobt haben.

­M MEHR SPANNENDE GESCHICHTEN RUND UMS TEAM DER ELBPHILHARMONIE FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE/MEDIATHEK


74

Rep o r ta ge

INSELN DER NATUR In Hamburg gibt es 1.460 Parkanlagen. Vier davon haben wir uns genauer angeschaut. Und festgestellt: Jede hat eine besondere Geschichte. VON STEPHAN BARTELS FOTOS MELINA MÖRSDORF

JENISCHPARK: DAS EXPERIMENT

Viermal am Tag kam unten in Teufelsbrück der Schiet an. Daran gibt es nichts zu beschönigen, auch wenn Anke Rees das nie so formulieren würde. Sie steht auf dem Weg, der den Jenischpark im Osten begrenzt, malt mit der aus­ gestreckten Hand die sanfte Hügellinie hinter dem Sumpfstreifen gegenüber nach, endet im Süden, wo die Elbe in der tapferen Spätwintersonne glitzert: »Da unten landeten Anfang des 19. Jahrhunderts die Ewer aus Hamburg und Altona an, beladen mit menschlichem und tierischem, äh, ›Haus- und Gassendünger‹«, sagt sie dann, »so stand es in den Verträgen.« Das Zeug wurde recycelt: Wo heute der Jenischpark liegt, die vielleicht schönste Grünanlage Norddeutschlands, waren die städtischen Exkremente hochwillkommener Dünger für das, was ein gewisser Caspar Voght hier vor bummelig 200 Jahren veranstaltet hat. Rees ist einerseits Stadtforscherin und Expertin für Kulturgeschichte, andererseits ist sie der mutmaßlich größte lebende Fan des Jenischparks. Sie wohnt auf der anderen Seite der Stadt, aber zum Spazierengehen mit ihrem Hund kommt sie am liebsten hierher, vorzugsweise in der morgendlichen Dämmerung, wenn der Nebel über dem Lauf der Flottbek aufsteigt und die Wiesen noch nass sind vom nächtlichen Tau. »Eigentlich«, sagt sie, »sollte das hier der Baron-Voght-Park sein. Mit ihm fing das nämlich alles an, und seine Idee ist auch immer noch sichtbar.« Caspar Voght war der Sohn einer reichen Hamburger Kaufmannsfamilie, die mit Kolonialgeschäften

zu ordentlich Wohlstand gekommen ist. Der Junge war viel in der Welt unterwegs, bevor ihn Hamburg wieder einfing. Undwer hatte Ideen im Gepäck, etwa über Sozial­ reformen zur Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiter: Er richtete Suppenküchen und Sonntagsschulen ein, hier in Nienstedten baute er Arbeiterhäuser direkt an den Arbeitsplatz, gegenüber seiner eigenen bescheide­ nen Hütte mit 15 Zimmern, Bibliothek und Festsaal. Voght hatte aber auch England besucht und war angefixt von der Art, wie da drüben Natur gestaltet wurde. Er erwarb Ländereien in Flottbek und Niensted­ ten, 240 Hektar Sumpf und Wald und Wiese, der heuti­ ge Jenischpark macht davon gerade mal ein Sechstel aus. Daraus wollte er eine Ornamented Farm aufbauen. Be­deutet: das Nützliche mit dem Schönen verbinden. Er experimentierte mit Pflanzen, holte Agrarreformer ins Boot, Lukas Staudinger zum Beispiel, der 1797 auf Voghts Ländereien die erste Landwirtschaftsschule Deutsch­ lands gründete. Aber er stellte mit dem jungen Schotten James Booth auch einen Landschaftsgärtner ein, der fortan in Richtung Elbe auch eine Baumschule betrieb. Alle zusammen modellierten so allmählich das Gelände – auch dank des täglichen Unrats aus Hamburg, der auf den Feldern landete. Aber je älter Voght wurde, desto weniger war er vom nutzbaren Teil seiner Latifundien überzeugt. 1828 verkauf­ te er an den Mann, dessen Namen das Gelände heute trägt: Martin Johann Jenisch. Dem war die Landwirtschaft gleich mal ganz wurscht, er brauchte einen repräsentativen ›


Rep o r ta ge

Anke Rees im Jenischpark: »Ich sehe hier die Schichten der Jahrhunderte.«

UND WAS WÄCHST HIER SO? Naturexpertin Kathrin Bruun: »Der Jenischpark ist das reinste Paradies für Wildkräuterfans. Sogar im Februar findet man schon kleine Sauerampferpflänzchen, Löwenzahn und Spitzwegerich. Später im Jahr trifft man auf fast alle essbaren Wiesenkräuter und Heilpflanzen wie Baldrian, Mädesüß, Wiesenbärenklau, Gundermann und Gänseblümchen. Bis es soweit ist, gibt es hier aber noch ein weiteres Highlight: Bärlauch. Das Sammeln ist nicht erlaubt, da der Park unter Naturschutz steht. Also: nur gucken, nicht anfassen!«

75


76

Rep o r ta ge

Viktoria Urmersbach im Altonaer Volkspark: »Natur wird immer neu erfunden. Es gibt keinen Urzustand.«

UND WAS WÄCHST HIER SO? »Große Wiese, aber sehr viel Wald. Das heißt: Im Volkspark gibt’s für das Immunsystem heilsame Terpene, die Botenstoffe der zahlreichen Fichten, Douglasien und Kiefern, die die Killerzellen im Körper aktivieren. Und ein bisschen Ruhe und das Gefühl von Natur für die Seele gibt es auch. Nennt sich Waldbaden.«


Rep o r ta ge

Sommersitz. Also: Tschüss Ackerbau, hallo Jenischhaus! Und Guten Tag Pleasureground – Jenisch mochte es hübsch und exotisch und ließ im Norden des Parks in Gewächshäusern Palmen und Orchideen züchten. Seine Erben wollten das Gelände in den 1920ern parzellieren und verkaufen, ein Golfplatz war schon geplant. Das wollte Altona unbedingt verhindern, Bürgermeister Max Brauer pachtete die Fläche für die Stadt – und ließ nun endlich alle hinein. An schönen Tagen sind auch alle da. Familien aus Ottensen mit ihren Lastenbikes, sämtliche Hundebesitzer des Hamburger Westens, Kaffeetrinker im Jenischhaus, Fußballer im Nordosten. Sie sind hier, weil er besonders ist, dieser Park, in dem Voghts Spuren, seine Ideen von Landschaft überall zu sehen sind. Im naturnahen Teil entlang der Flottbek, in den modellierten Hügeln des Geestrückens, in den Bäumen. Anke Rees sieht anders auf ihren Lieblingspark. »Es ist, als ob ich durch ein Holo­ gramm gehe«, sagt sie, »ich sehe die Schichten der Jahr­ hunderte.« ALTONAER VOLKSPARK: EINER FÜR ALLE

Es war kaum auszuhalten in Altona. Die Stadt platzte aus allen Nähten, knapp 150.000 Menschen drängten sich auf zu wenig Raum, am Ende des 19. Jahrhunderts war Altona nach Breslau die am dichtesten besiedelte Stadt Deutschlands: durchindustrialisiert, schmutzig, die Luft zum Schneiden, die Kindersterblichkeit elendig hoch. Und so formierte sich 1895 ein Komitee aus Privatleuten, das an den Altonaer Magistrat mit einer Forderung heran­ trat: Freiflächen für die Menschen müssten her, »im Interesse einer aktiven Gesundheitsfürsorge«, sagt Viktoria Urmersbach. »Grünflächenpolitik galt als soziale Tat.« Urmersbach ist Journalistin, Autorin, Historikerin. Sie leitet das Stadtteilarchiv Ottensen, der Altonaer Volkspark, gelegen in Bahrenfeld, gehört trotzdem zu ihrem beruflichen Beritt. Und er ist auch persönlich wichtig für die 52-Jährige: Wälder sind ihr Ding, in ihnen fühlt sie sich zu Hause. Sie hat Bücher über Wälder ge­ schrieben. Und weiß, warum es so viele Städter am Sonntag zwischen die Bäume zieht: »Das hat mit dem Verlust von Natur zu tun, den wir in den Städten immer wieder erleben«, sagt sie, »da kommt dann diese alte Idee der romantischen Dichter in uns durch: dass der Wald was Schönes ist und heilsam.« Die Idee mit dem Altonaer Gesundheitswald fiel damals auf fruchtbaren Boden. Klar, sonst würde Urmers­ bach jetzt nicht hier auf der großen Wiese stehen, rechts ein Biergarten, links die Trabrennbahn, über sich die Einflugschneise nach Fuhlsbüttel. Ein bisschen mehr als hundert Jahre ist es her, dass sich die Natur der Stadt angenähert hat, seitdem ist der Trend eher umgekehrt: Autobahn, Müllverbrennungsanlage, Flugzeuge – alles zivilisatorische Errungenschaften, die einem auch hier auf die Pelle rücken. Aber anderseits, es gibt ja Platz. Der Volkspark ist die größte Grünanlage Hamburgs: 205 Hektar, über zwei

77

Millionen Quadratmeter, der Stadtpark hat bloß drei Viertel dieser Fläche. Dass es hier so aussieht, wie es nun mal aussieht, hat viel mit Ferdinand Tutenberg zu tun. Der war ab 1913 Gartenbaudirektor von Altona und trieb die Sache mächtig voran: 1.000 Arbeitslose ließ er 1914 als »Notstandsarbeiter« anrücken, um das Gelände nach seinen Visionen umzugestalten. »Da gab es den Dahlien­ garten und Spielwiesen, es gab einen Schulgarten und lauter öffentliche Sportplätze – da, wo jetzt der HSV trainiert«, sagt Urmersbach. »Vor allem aber gab es viel naturnahen Wald. Tutenberg wollte, dass die Leute die Natur so erleben, wie sie nun mal wächst.«

Steile Hügel und wilde Schluchten in Altona? Da wurde topografisch schon ein bisschen nachgeholfen. Obwohl, es gibt durchaus ein paar verblüffende Ecken hier, steile Hügel und wilde Schluchten, »da wurde bei der Topografie schon ein bisschen nachgeholfen«, sagt ­Urmersbach und räsoniert zur Frage, was das eigentlich sei, die wahre Natur? »Die gibt es doch gar nicht. Natur wird immer neu erfunden, es wird hier etwas entnommen und dort etwas hinzugefügt – es gibt keinen Urzustand.« Sie findet es auch schwierig, wenn Natur überhöht wird, wenn man sie vor lauter Schutzbedürfnis nicht betreten darf. »Wir leben doch alle mit dem Wald, wir wollen das auch. Wir stellen uns Holzmöbel in die Wohnung, wir sind Zeugen, wie sich die Natur, wie sich der Wald verändert!« In diesem hier bricht jetzt die Sonne durch die Dougla­ sien, ein echtes Erbe der Baumschule von James Booth im Jenischpark. Urmersbach hebt das Gesicht in Richtung Licht und schließt die Augen. Der Winter war lang und fies in diesem Jahr. ÖJENDORFER PARK: AUF TRÜMMERN GEBAUT

Damit das gleich mal klar ist: Surfen ist hier im Park ver­­ boten, da ist das Schild am Eingang eindeutig. »Ich glaube, damit meinen die eigentlich diese Stand-up-Paddler«, sagt Ingrid Plica und schaut rüber zum See, »aber die lassen sich im Sommer nicht abhalten, so viel ist mal sicher.« Ist ja auch ordentlich Wasserfläche da, fünf Hektar misst der See in der Mitte des Öjendorfer Parks. Sieht auch schön aus, wie das Gewässer so eingebettet ist in die Landschaft, mit den Bäumen links und den sanft an­ steigenden Hügeln rechts. Die Sache ist nur: Hier hat es früher ganz anders ausgesehen, diese Landschaft hat ihr Gesicht mehr als einmal verändert, und Ingrid Plica ist mit ihren 84 Jahren alt genug, um das zu wissen. Vor knapp 100 Jahren war hier alles Hochmoor und Heidelandschaft. Dann wurde das Land tiefer gelegt, der Sand und der Kies unter dem Mutterboden wurden für die Aufhöhung der Horner Marsch gebraucht, wo ein Schlachthof geplant war. Ingrid Plica, geboren 1937 in ›


78

Rep o r ta ge

Ingrid Plica im Öjendorfer Park: »Nach dem Krieg stand hier eine Trümmeraufbereitungsanlage.«

UND WAS WÄCHST HIER SO? »Skurrile Baumformationen findet man zwischen Friedhof und Park. Die Buchen und Birken winden sich in bizarrer Art und Weise und bilden Feenaugen und Druidentore – so nennt man diese geheimnisvollen Kucklöcher und Durchgänge. Man fängt an zu spekulieren: Was ist da energetisch los im Kriegsschutt-Untergrund? Wahrscheinlich aber wurden diese Formen durch Schäden aufgrund von Stürmen und Wetter oder unruhigem Gelände verursacht.«


Rep o r ta ge

Öjendorf, war in den 1940ern erstmals hier. »Da war es ein morastiges Gelände, mit kleinen Dünen mittendrin und Wasserlöchern«, sagt sie. Sie zeigt nach links, wo jetzt eine Insel aus dem See ragt. »Die lag damals im Sumpf, da wuchs Sonnentau, eine fleischfressende Pflanze.« Sie lächelt versonnen. Erzählt von dem Lehrer, mit dem sie dort Exkursionen unternommen haben, »also, ich fand das alles toll.« Ab 1950 kam in gewisser Weise der Kies zurück. Ein Bahndamm wurde gebaut, bis tief in die Kuhle hinein, das andere Ende der Trasse lag in Hamm – es war eine Trümmerbahn, die darauf fuhr, im Akkord wurde der Schutt der zerbombten Häuser aus Rothenburgsort, Hammerbrook und Eilbek in die Grube gebracht. »Da drüben, wo jetzt der Rodelberg ist, da stand eine Trüm­ meraufbereitungsanlage«, sagt Plica, »da haben sie Splitt aus dem ganzen Kriegsschutt gemacht. Und mit dem großen Rest die Kuhle aufgefüllt.« Sie zeigt auf den Weg, auf dem sie steht. »Diese roten Stücke da unten – das ist alles Kriegsschutt, der jetzt wieder hochkommt.« 1954 wurde beschlossen, irgendwann Gras über die Sache wachsen zu lassen – ein Park sollte aus dem Trümmerfeld werden, mit einem See auf dem letzten Rest der Grube, mit neu aufgeschütteten Hügeln, mit Rodelberg, Westernfort, Minigolf, Kiosk. »Hat sich alles Hermann Hiestermann ausgedacht, der Gartenbau­ direktor vom Bezirk Mitte«, sagt Plica, »inklusive Bade­ stellen, Spielplätzen und Hundewiese. Der wusste damals schon, dass sich hier drum herum alles verändern würde, mit viel neuem Wohnraum. Der sagte: Die Leute brau­ chen dann auch einen Platz zur Erholung.« Sie schaut auf den See, ungefähr zu der Stelle, wo nach dem Krieg Panzer im Sumpf versenkt worden sein sollen. »Wir hatten echt Glück, den Hiestermann zu haben«, sagt sie. »Der hatte richtig Weitblick.« Sie selbst wohnt auch in einem dieser frühen Hoch­ häuser. Bis sie 25 war, hat sie bei ihren Eltern gelebt, auf zwei Zimmern mit Kohleofen. Hat Kauffrau gelernt, gearbeitet und ihr Abi an der Abendschule gemacht. Ging dann nach Boston, mal was von der Welt sehen, arbeitete dort als Kinderfrau und fuhr mit einer Freundin 35.000 Kilometer kreuz und quer durch die USA, »das war ja der Nabel der freien Welt«. Zwei Jahre und sieben Monate später kam sie zurück, desillusioniert vom Rassismus, vom Antisemitismus, von der bestürzenden Ungebildetheit in Amerika. Von der großen Welt hatte sie genug gesehen. Ingrid Plica zog 1967 zurück nach Öjendorf, nicht weit weg von ihrem Elternhaus, eine Ein-Zimmer-Wohnung mit, ganz wichtig, Heizung und Bad; einige Jahre später verdoppelte sie die Zimmerzahl im selben Haus. Sie war zufrieden dort, sie hatte die U-Bahn zur Arbeit in der City vor der Tür und die Eltern ums Eck. Und da war ja noch der neue Park, der 1968 mit ordentlichem Brimborium eröffnet wurde. Ingrid Plica hat ihn von Anfang an gemocht. Hat beobachtet, wie er bunter wurde, wie immer mehr Großfamilien anderer Nationalitäten im Sommer die Wiesen bevölkern. »Macht

79

uns alle reicher«, sagt sie, die im Kulturpalast Billstedt arbeitet und Hiphop mag und überhaupt verdammmich jung ist für ihr Alter. Bis auf das linke Knie. Knapp vier Kilometer lang ist eine Runde um den See. Bis vor ein paar Jahren ist Ingrid Plica die noch stramm gewalkt, zweimal die Woche, das geht nicht mehr. Aber zum gemessenen Spazieren reicht es noch. Es hat sein Gutes – wer langsamer läuft, hat mehr Zeit, die Umgebung bei ihrer Veränderung zu beobachten. BAAKENPARK: REIF FÜR DIE INSEL

So ein Landschaftsarchitekt hat schon einen spannenden Job. Den Lebensraum von Menschen und Tieren und Pflanzen schaffen, am besten so, dass alle ihren Platz finden, und das auf Grund und Boden, der ursprünglich gar nicht dafür gedacht war: Felix Schwarz kennt sich da aus. Den Park am Gleisdreieck in Berlin zum Beispiel hat er mitgestaltet, 500 Meter vor der Tür des Atelier Loidl in Kreuzberg, wo er Partner ist. Aber wie fängt man die Sache an, wenn noch nicht mal die Fläche da ist, die man beackern will? So ging es Schwarz, als er am Petersenkai im Baakenhafen stand. Denn da, wo ein Park hin sollte, war nichts als Wasser. Und hinter ihm, wo mal Tausende von Menschen leben sollten, war auch nichts. »Das war skurril«, sagt Schwarz, »und sehr ungewöhnlich. Aber auch eine Riesenchance – wir konnten im Baakenhafen den Ton setzen. Wir waren einfach als Erste da.«

Hamburgs jüngster Park ist eine Mischung aus futuristisch und maritim und ziemlich abgefahren. 2014 ging es los mit dem Bau. Eine 1,6 Hektar große Halbinsel wurde an der Kaimauer aufgeschüttet, gleich ein paar unterschiedliche Ebenen eingezogen, mit klaren Kanten und glatten Flächen. Und ziemlich viel Nutzwert eingebaut: ein kleiner Fußballplatz auf Kunstrasen. Einer für Basketball. Ein Spielplatz mit lauter schiefen Treibgut­ kisten. Eine Streuobstwiese. Hölzerne Sitzstufen. Und als Höhepunkt der Himmelsberg, ein 15 Meter hoher Aus­ sichtsberg. Viel Holz, viel Seil, gewollt rostiges Metall – Hamburg jüngster Park, der 2018 eröffnet wurde, als noch kein Haus im Baakenquartier stand, ist eine Mischung aus futuristisch und maritim und ziemlich abgefahren. Und ausgezeichnet: 2019 gewann der Baakenpark den Deut­ schen Landschaftsarchitektur-Preis. Petra Treutner hat, na ja: einen anderen Blick auf die Sache. Sie ist eine der ersten Anwohnerinnen hier, sie ist im vergangenen Dezember aus Ottensen in die Baaken­ allee gezogen, in ein Wohnprojekt für Frauen ab 60. Vom Balkon aus kann sie den Park sehen, sehr oft war sie noch nicht da, war einfach nicht das Wetter dafür. Aber jetzt steht sie auf der Streuobstwiese und hat Fragen. Wie ist es hier mit der Barrierefreiheit? Wo gibt es eine Toilette? ›


80

r E P o r ta G E

UND WAS WÄCHST HIER SO? »das stückchen Grün inmitten von hafenindustrie und neubauten überrascht mit einer streuobstwiese und einer Vielfalt an wildem Grün: schafgarbe, Wilde möhre, spitzwegerich, Löwenzahn – alle da. Ein echt origineller Fund: das hirtentäschel, das sich eine nische auf dem kunstrasenplatz gesucht hat. das nennt man resilienz und zeigt, was Wildpflanzen können. Überall ist natur, auch wenn man nicht damit rechnet.«

Petra Treutner im Baakenpark: »Wie wär’s mit einem mobilen Imker?«

Sie ist 66 und hat eine chronische Krankheit, manchmal behindert sie die, und dann werden diese Fragen für sie entscheidend. »Und dann denke ich: Ey, Leute, hier sind Wohnprojekte mit Senioren – wie kann man so grundlegende Sachen vergessen?« Noch eine Frage hat sie: diese Gestaltung, diese Schrägen – ob das mit Hochwasserschutz zu tun hat? »Sieht ein bisschen wie Deiche aus«, sagt Treutner. Die Streuobstwiese gefällt ihr, auch die großen Schaukeln, und da, »ein Buchfink!«, man hört ihn durch den Bau­ stellenlärm von den Häusern, die auf den Park zuwachsen. Also, wenn sie sich etwas wünschen dürfte: »Wie wär’s mit einem mobilen Imker? Würde die Sache hier sicher befruchten.« Vielleicht geht es genau darum. So ein Park ist ein veränderliches Gebilde, die Natur ist es schließlich auch. Und jeder kann seine Spuren hinterlassen. Und wenn es nur in Form von Wünschen ist.


r E P o r ta G E

WHAT MOVES YOU, MAKES YOU Cillian Murphy with his StarWalker UltraBlack. Turning words into worlds.

81


82

Förderer

­DIE FÖRDERER UND SPONSOREN DER ­E LBPHILHARMONIE

Große Visionen brauchen ein starkes Fundament. Deswegen unterstützen namhafte Partner aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik die Elbphilharmonie. Gemeinsam bilden sie ein Netzwerk, das die Elbphilharmonie als Konzerthaus von Weltrang begleitet. So ermöglichen sie ein Konzertprogramm mit einem unverwechselbaren musikalischen Profil, Musikvermittlungsideen für alle Generationen sowie innovative Festivalkonzepte, die ­Maß­stäbe im internationalen Konzertbetrieb setzen.


Förderer

83

­D IE FÖRDERER DER STIFTUNG ELBPHILHARMONIE

MÄZENE ZUWENDUNGEN AB 1.000.000 EURO

SILBER ZUWENDUNGEN AB 10.000 EURO

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut und Prof. Dr. h.c. Hannelore Greve Dr. Michael und Christl Otto Hermann Reemtsma Stiftung Christine und Klaus-Michael Kühne Körber-Stiftung Peter Möhrle Stiftung Familie Dr. Karin Fischer Reederei Claus-Peter Offen (GmbH & Co.) KG Stiftung Maritim Hermann & Milena Ebel Hans-Otto und Engelke Schümann Stiftung Christiane und Klaus E. Oldendorff Prof. Dr. Ernst und Nataly Langner

Ärzte am Markt: Dr. Jörg Arnswald, Dr. Hans-Carsten Braun Baden-Württembergische Bank Familie Belling Marlis u. Franz-Hartwig Betz Stiftung Robert Brinks Hans Brökel Stiftung für Wissenschaft und Kultur Jürgen und Amrey Burmester Gisela Friederichsen

PLATIN ZUWENDUNGEN AB 100.000 EURO Ian und Barbara Karan-Stiftung Gebr. Heinemann SE & Co. KG Bernhard Schulte GmbH & Co. KG Deutsche Bank AG M. M. Warburg & CO Hamburg Commercial Bank AG Lilli Driese J. J. Ganzer Stiftung Claus und Annegret Budelmann Berenberg – Privatbankiers seit 1590 Mara und Holger Cassens Stiftung Christa und Albert Büll Christine und Heinz Lehmann Frank und Sigrid Blochmann Else Schnabel Edel Music + Books Dr. Markus Warncke Berit und Rainer Baumgarten Christoph Lohfert Stiftung Eggert Voscherau Hellmut und Kim-Eva Wempe Günter und Lieselotte Powalla Martha Pulvermacher Stiftung Heide + Günther Voigt Gabriele und Peter Schwartzkopff Dr. Anneliese und Dr. Hendrik von Zitzewitz Prof. Dr. Hans Jörn Braun Susanne und Karl Gernandt GOLD ZUWENDUNGEN AB 50.000 EURO Rainer Abicht Elbreederei Christa und Peter Potenberg-Christoffersen HERISTO AG Christian Böhm und Sigrid Neutzer Amy und Stefan Zuschke

FRoSTA AG

Dr. Utz und Dagmar Garbe Anna-Katrin und Felix Goedhart Adolph Haueisen GmbH Katja Holert und Thomas Nowak Isabella Hund-Kastner und Ulrich Kastner Knott & Partner VDI Hartmut † und Hannelore Krome Christian Kupsch Detlev Meyer PJM Investment Akademie GmbH Riedel Communications GmbH & Co. KG Rotary Club Hamburg-Elbe Dr. Gaby Schönhärl-Voss und Claus-Jürgen Voss Melanie und Stefan Wirtgen BRONZE ZUWENDUNGEN AB 5.000 EURO Dr. Ute Bavendamm / Prof. Dr. Henning Harte-Bavendamm Rolf Dammers OHG Ilse und Dr. Gerd Eichhorn Ansgar Ellmer, Ellmer Group Deutschland GmbH Hennig Engels Kiki Fehlauer & Dr. Fabian Fehlauer, Strahlenzentrum Hamburg Dr. T. Hecke und C. Müller Marga und Erich Helfrich Daniela Kämmnitz Korinna Klasen-Bouvatier Dr. Claus und Hannelore Löwe Stiftung Meier-Bruck Georg-Plate-Stiftung Carmen Radszuweit Colleen B. Rosenblat Rölke Pharma GmbH Ute und Jörn Schmitt Hannelore und Albrecht von Eben-Worlée Stiftung


Förderer TEXT84 ALTER STAND

DIE KURATOREN

DES FREUNDESKREISES ELBPHILHARMONIE + LAEISZHALLE E. V.

Jürgen Abraham | Rolf Abraham | Andreas Ackermann | Heike Adam | Anja Ahlers | Margret Alwart | Karl-Johann Andreae | Dr. Michael Bamberg | Undine Baum | Rainer und Berit Baumgarten | Gert Hinnerk Behlmer | Michael Behrendt | Robert von Bennigsen | Joachim von Berenberg-Consbruch | Tobias Graf von Bernstorff | Peter Bettinghaus | Marlis und Franz-Hartwig Betz | Ole von Beust | Wolfgang Biedermann | Alexander Birken | Dr. Frank Billand | Dr. Gottfried von Bismarck | Dr. Monika Blankenburg | Ulrich Böcker | Birgit Bode | Andreas Borcherding | Tim Bosenick | Vicente Vento Bosch | Jochen Brachmann | Gerhard Brackert | Maren Brandes | Verena Brandt | Prof. Dr.­Hans Jörn Braun | Beatrix Breede | Heiner Brinkhege | Nikolaus Broschek | Carolin Bröker | Marie Brömmel | Claus-G. Budelmann | Peter Bühler | Engelbert Büning | Amrey und Jürgen Burmester | Stefanie Busold | Dr. Christian Cassebaum | Dr. Markus Conrad | Dr. Katja Conradi | Dierk und Dagmar Cordes | Familie Dammann | Carsten Deecke | Jan F. Demuth | Karl Denkner | Dr. Peter Dickstein | Heribert Diehl | Detlef Dinsel | Kurt Dohle | Benjamin Drehkopf | Thomas Drehkopf | Oliver Drews | Klaus Driessen | Herbert Dürkop | Christian Dyckerhoff | Hermann Ebel | Stephanie Egerland | Hennig Engels | Dr. Michael Ensser | Claus Epe | Norbert Essing | Heike und John Feldmann | Alexandra und Dr. Christian Flach | Dr. Peter Figge | Jörg Finck | Gabriele von Foerster | Dr. Christoph Frankenheim | Dr. Christian Friesecke | Manhard Gerber | Birgit Gerlach | Dr. Peter Glasmacher | Prof. Phillipp W. Goltermann | Inge Groh | Annegret und Dr. Joachim Guntau | Amelie Guth | Michael Haentjes | Petra Hammelmann | Jochen Heins | Dr. Christine Heins | Dr. Michael Heller | Dr. Dieter Helmke | Jan-Hinnerk Helms | Rainer Herold | Gabriele und Henrik Hertz | Günter Hess | Prof. Dr. Dr. Stefan Hillejan | Bärbel Hinck | Joachim Hipp | Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt | Christian Hoppenhöft | Prof. Dr. Dr. Klaus J. Hopt | Dr. Stefanie Howaldt | Rolf Hunck | Maria Illies | Dr. Ulrich T. Jäppelt | Dr. Johann Christian Jacobs | Heike Jahr | Martin Freiherr von Jenisch | Roland Jung | Matthias Kallis | Dr. Klaus Kamlah | Ian Kiru Karan | Tom Kemcke | Klaus Kesting | Prof. Dr. Stefan Kirmße | Kai-Jacob Klasen | Renate Kleenworth | Gerd F. Klein | Jochen Knees | Matthias Kolbusa | Prof. Dr. Irmtraud Koop | Petrus Koeleman |

VORSTAND: Christian Dyckerhoff (Vorsitzender), Roger Hönig (Schatzmeister), Henrik Hertz, Bert E. König, Magnus Graf Lambsdorff, Dr. Ulrike Murmann und Irene Schulte-Hillen EHRENMITGLIEDER: Dr. Karin Fischer †, Manhard Gerber, Prof. Dr. Dr. h. c. Helmut Greve †, Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve, Nikolaus H. Schües, Nikolaus W. Schües, Dr. Jochen Stachow †, Dr. Michael Otto und Jutta A. Palmer †

Bert E. König | Dr. Tiemo Kracht | Susanne Krueger | Sebastian Krüper | Jörg Kuhbier | Arndt Kwiatkowski | Christiane Lafeld | Marcie Ann Gräfin Lambsdorff | Dr. Klaus Landry | Günther Lang | Dirk Lattemann | Per H. Lauke | Hannelore Lay | Dr. Claus Liesner | Lions Club Hamburg Elbphilharmonie | Dr. Claus Löwe | Prof. Dr. Helgo Magnussen | Dr. Dieter Markert | Sybille Doris Markert | Franz-Josef Marxen | Thomas J. C. und Angelika Matzen Stiftung | Helmut Meier | Gunter Mengers | Axel Meyersiek | Erhard Mohnen | Dr. Thomas Möller | Christian Möller | Karin Moojer-Deistler | Ursula Morawski | Katrin Morawski-Zoepffel | Jan Murmann | Dr. Sven Murmann | Dr. Ulrike Murmann | Julika und David M. Neumann | Michael R. Neumann | Franz Nienborg | Frank Nörenberg | Dr. Ekkehard Nümann | Dr. Peter Oberthür | Thilo Oelert | Dr. Andreas M. Odefey | Dr. Michael Ollmann | Dr. Eva-Maria und Dr. Norbert Papst | Dirk Petersen | Dr. Sabine Pfeifer | Sabine Gräfin von Pfeil | Aenne und Hartmut Pleitz | Bärbel Pokrandt | Hans-Detlef Pries | Karl-Heinz Ramke | Horst Rahe | Dr. Martin Reitz | Ulrich Rietschel | Ursula Rittstieg | Thimo von Rauchhaupt | Prof. Dr. Hermann Rauhe | Prof. Dr.-Ing. Dr. Ing. E. h. Heinrich Rothert | Prof. Michael Rutz | Bernd Sager | Siegfried von Saucken | Birgit Schäfer | Dieter Scheck | Mattias Schmelzer | Vera Schommartz | Katja Schmid von Linstow | Dr. Hans Ulrich und Gabriele Schmidt | Nikolaus H. Schües | Nikolaus W. Schües | Kathrin Schulte | Irene Schulte-Hillen | Prof. Dr. Volker Schumpelick | Ulrich Schütte | Dr. rer. nat. Mojtaba Shamsrizi | Dr. Susanne Staar | Henrik Stein | Prof. Dr. Volker Steinkraus | Wolf O. Storck | Greta und Walter W. Stork | Ewald Tewes | Ute Tietz | Dr. Jörg Thierfelder | Dr. Tjark Thies | Dr. Jens Thomsen | Tourismusverband Hamburg e. V. | John G. Turner und Jerry G. Fischer | Resi Tröber-Nowc | Hans Ufer | Dr. Sven-Holger Undritz | Markus Waitschies | Dr. Markus Warncke | Ulrike Webering | Thomas Weinmann | Dr. Gerhard Wetzel | Erika Wiebecke-Dihlmann | Dr. Andreas Wiele | Dr. Martin Willich | Ulrich Winkel | Nina Kathrien Winterling | Dr. Andreas Witzig | Dr. Thomas Wülfing | Christa Wünsche | Stefan Zuschke Sowie weitere Kuratoren, die nicht genannt werden möchten.


Förderer

­E LBPHILHARMONIE CIRCLE DER UNTERNEHMERKREIS DER ELBPHILHARMONIE

ABACUS Asset Management Addleshaw Goddard LLP AHN & SIMROCK Bühnen- und Musikverlag GmbH Allen Overy LLP Anja Henning Interior & Design Arnold Hertz Immobilien a-tour Architekturführungen Bankhaus DONNER & REUSCHEL Barkassen-Meyer BBS Werbeagentur BDV Behrens GmbH bmk Hamburg cosy architecture BNP Paribas Real Estate Bornhold Die Einrichter Braun Hamburg British American Tobacco Germany C.A. & W. von der Meden Capgemini Deutschland GmbH Carl Robert Eckelmann Clayston Company Companions DNW Dr. Aschpurwis Gmbh & Co. KG Drawing Room ENERPARC AG Engel & Völkers AG Engel & Völkers Hamburg Projektvermarktung Esche Schümann Commichau Eventteam GmbH Flughafen Hamburg Fortune Hotels FRANK-Gruppe Freshfields Bruckhaus Deringer Garbe Gerresheim serviert GmbH Groth & Co. GmbH & Co. KG Grundstücksgesellschaft Bergstrasse Hamburg Team Hanse Lounge, The Private Business Club HBB Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungs­gesellschaft mbH Heinrich Wegener & Sohn Bunkergesellschaft Hermann Hollmann GmbH & Co. HHLA Hotel Wedina Hamburg Igepa group IK Investment Partners

INP-Holding Iris von Arnim ISA-Traesko GmbH Jäderberg & Cie. JARA HOLDING GmbH Joop! Kesseböhmer Holding KG KLB Handels GmbH Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette GmbH Larimar Portugal Lehmann Immobilien Lennertz & Co. GmbH loved Lupp + Partner Madison Hotel Malereibetrieb Otto Gerber GmbH Miniatur Wunderland Nordgetreide GmbH & Co. KG Notariat am Gänsemarkt Notariat an den Alsterakaden Otto Dörner GmbH & Co. KG Plath GmbH print-o-tec GmbH Robert C. Spies Gewerbe & Investment Rosenthal Chausseestraße GbR ROXALL Group Schlüter & Maack GmbH SHP Primaflex GmbH Steinway & Sons Stolle Sanitätshaus GmbH Strebeg Verwaltungsgesellschaft mbH Taylor Wessing The Fontenay Hotel THE STUDIOS Trainingsmanufaktur Dreiklang UBS Europe SE Hamburg Unger Hamburg Vita Apotheke Vladi Private Islands Weischer.Media Worlée Chemie WTS Steuerberatungsgesellschaft Wünsche Handelsgesellschaft

Sowie weitere Unternehmen, die nicht genannt werden möchten.

FÖRDERKREIS

INTERNATIONALES MUSIKFEST HAMBURG

Jürgen Abraham Corinna Arenhold-Lefebvre und Nadja Duken Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein und Nikolaus Broschek Annegret und Claus-G. Budelmann Christa und Albert Büll Birgit Gerlach Ulrieke Jürs Ernst Peter Komrowski Dr. Udo Kopka und Jeremy Zhijun Zeng Helga und Michael Krämer Sabine und Dr. Klaus Landry Marion Meyenburg

Zai und Edgar E. Nordmann Christiane und Dr. Lutz Peters Änne und Hartmut Pleitz Engelke Schümann Martha Pulvermacher Stiftung Margaret und Jochen Spethmann Birgit Steenholdt-Schütt und Hertigk Diefenbach Farhad Vladi Anja und Dr. Fred Wendt Constanze und Christian Wriedt Sowie weitere Förderer, die nicht genannt werden möchten.

85


86

FördErEr

SPONSOREN UND FÖRDERSTIFTUNGEN

diE PartnEr dEr ELBPhiLharmoniE

PRINCIPAL SPONSORS

PRODUCT SPONSORS


FördErEr

CLASSIC SPONSORS

FÖRDERSTIFTUNGEN

87


Impressum

Die nächste Ausgabe des Elbphilharmonie Magazins erscheint Mitte August 2022.

Herausgeber HamburgMusik gGmbH Geschäftsführer: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant Platz der Deutschen Einheit 4, 20457 Hamburg magazin@elbphilharmonie.de www.elbphilharmonie.de Chefredakteur Carsten Fastner Redaktion Katharina Allmüller, Melanie Kämpermann, Clemens Matuschek, Tom R. Schulz; Gilda Fernández-Wiencken (Bild) Formgebung GROOTHUIS. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH für Kommunikation und Medien, Marketing und Gestaltung; groothuis.de Gestaltung Lars Hammer (Leitung), Miriam Kunisch, Susan Schulz; Bildredaktion Angela Wahl; Herstellung Carolin Beck, Steffen Meier; Projektmanagement Ulrike Jänecke; Projektleitung Alexander von Oheimb; CvD Rainer Groothuis Beiträge in dieser Ausgabe von Stephan Bartels, Simon Chlosta, Arinda Crăciun, Laura Etspüler, Carsten Fastner, Stefan Franzen, Volker Hagedorn, Lars Hammer, Julia Herold, Gesche Jäger, Fränz Kremer, Konrad Paul Liessmann, Clemens Matuschek, Melina Mörsdorf, Till Raether, Nadine Redlich, Claudia Schiller, Tom R. Schulz, Albrecht Selge, Renske Steen, Walter Weidringer, Julika von Werder, Bjørn Woll

Lithografie Alexander Langenhagen, edelweiß publish, Hamburg Korrektorat Ferdinand Leopold Druck gutenberg beuys, Feindruckerei GmbH, ­Langenhagen Dieses Magazin wurde klimaneutral auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft produziert.

Anzeigenleitung Antje Sievert, Anzeigen Marketingberatung Sponsoring Tel: 040 450 698 03, antje.sievert@kultur-anzeigen.com Vertrieb PressUp GmbH, Hamburg Leserservice / Abonnement Elbphilharmonie Magazin Leserservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg leserservice@elbphilharmonie.de Tel: 040 386 666 343, Fax: 040 386 666 299 Das Elbphilharmonie Magazin erscheint dreimal jährlich. ­ ild- und Rechtenachweise B Cover: Paul Gregor; S. 1 Michael Zapf; S. 2 mittlere Spalte: Kyle Dorosz, rechte Spalte oben: Konrad Waldmann, rechte Spalte unten: Philippe Matsas; S. 3 oben: Olivia Kahler, mitte: Marco Borggreve, unten: Melina Mörsdorf; S. 4–10 Julia Herold; S. 12/13 Lars Hammer; S. 14 Lina Jushke, S. 15 Franz Neumayr /

picturedesk.com / picture alliance, S. 16 Promostar; S. 18 WHA / World History Archive / akg-images, S. 19 links: akg-images, S. 20 Fritz Eschen / akg-images; S. 22 Nadine Redlich; S. 24–30 akg-images (4); S. 32 IMAGNO / Öst. Volkshochschularchi | Anonym / picture alliance, S. 33 fine-art-images / akg-images, S. 34 MAGNO / Austrian Archives | Austrian Archives / picture alliance; S. 36 Philipp Seliger, S. 38 Marco Borggreve, S. 39 Daniel Dittus (2), S. 40 Marco Borg­ greve; S. 42–49 Paul Gregor; S. 50–53 Arinda Craciun; S. 54 Dayna Szyndrowski, S. 56 Stefan Cohen; S. 58 links oben: Josep Molina, links unten: Gesche Jäger, rechts oben: Daniel Dittus, S. 59 links oben: Peter Hundert, links unten: Giancarlo Pradelli, rechts oben: Henriette Mielke, rechts unten: Peter Hundert; S. 60 Konrad Waldmann, S. 61 Peter Bennett, S. 62 Emma­ nuel Delaloy; S. 64 Philippe Matsas, S. 67 oben: Marion Kalter / akg-images, unten: Daniel Dittus; S. 68 ­Charlotte Schreiber; S. 70–73 Gesche Jäger; S. 74–80 Melina Mörsdorf; S. 82–87 Nuture / i-stockphoto (3); S. 88 Charlotte Schreiber Redaktionsschluss 21. März 2022 Änderungen vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Träger der HamburgMusik gGmbH:


Manche Träume hat man nur eine Nacht lang. Andere begleiten einen das ganze Leben. Denn sie bestehen aus etwas Besonderem. Aus Sehnsucht, Mut und Ambition. Wer jemals einen solchen Traum hatte, ruht nicht. Sondern folgt ihm rund um die Uhr. Und gibt Tag und Nacht alles. So wie wir alles geben. Lassen wir diese Träume gemeinsam Wirklichkeit werden.

Dreamers. On. Große Träume haben eine große Bühne verdient. Ganz besonders, wenn die Bühne selbst aus einem Traum geboren ist. Entdecken Sie weitere inspirierende Träume: porsche.de/dreams


le I n d i v i d utei ol n P räve n

e v i t a v o n In Se r vi c e s

E T S N R MO DE IN M E DI Z HanseMerkur Private Krankenversicherung HanseMerkur unterstützt seit Jahren zukunftsweisende Technologien und bietet innovative Gesundheitsdienstleistungen an, wie z. B. eine Soforthilfe bei psychischen Belastungen, die Erstellung mobiler Elektro-Kardiogramme, die Beratung auch durch Online-Ärzte und eine Therapie zur Behandlung von Tinnitus. Modernste und digitale Behandlungsmethoden für unsere Versicherten zeigen: Hand in Hand ist HanseMerkur.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.