Elbphilharmonie Magazin — vorwärts | 3 / 2021

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Wanderer zwischen den Welten

FLORIAN BOESCH

»Ich bin ein Bekenner«

3 | 2021

Ein Leben voller Widersprüche und aufregender Musik

Euro 6,50

HANNS EISLER


MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT.

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L

iebe Leserin, lieber Leser,

Fußballvereine tragen das Wort in ihrem Namen, Schützenclubs, auch eine traditionsreiche Zeitschrift. »Vorwärts«, Motto dieser Ausgabe des »Elbphilharmonie Magazins«, ist nicht einfach nur eine der vielen Richtungsangaben in der deutschen Sprache. Seit dem 19. Jahrhundert vereint der Schlachtruf »Vorwärts!« Arbeiter in ihrem Kampf um gerechtere Lebensverhältnisse. Im »Solidaritätslied« meißelte Hanns Eisler die Sprachmelodie des Worts in eine fallende Moll-Terz. Unaufhaltsam drängt dieses »Vorwärts!« zur Tat, unvergesslich nistet es sich im Gedächtnis ein. Natürlich war Hanns Eisler, dem die Elbphilharmonie im Herbst ein langes Konzertwochenende widmet, einer der Ideengeber für das Thema dieses Hefts. Albrecht Selge bringt Ihnen den vielleicht unbekanntesten bekannten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts näher (Seite 4). Die historischen Umstände einer ganz anders gearteten Vorwärtsbewegung beleuchtet Juliane WeigelKrämer anlässlich des »Mozart Momentum 1785 / 86«, das der Pianist Leif Ove Andsnes mit dem Mahler Chamber Orchestra im November in Hamburg gestaltet. Dabei geht es um die riesigen Schritte in musikalisches Neuland, die Wolfgang Amadeus Mozart wagte, als er seinen Lebens-

mittelpunkt von Salzburg nach Wien verlegte, in das Habsburgerreich unter dem Reformkaiser Joseph II. (Seite 12). Bis ins Doktrinäre gehender Fortschrittsglaube prägte manche Ausgabe der Donaueschinger Musiktage, die, längst von allzu straffem Vorwärtswahn kuriert, in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiern (Seite 58). Wie manchmal erst ein entschiedenes Zurück ein neues Vorwärts einleiten kann, zeigt die Originalklangbewegung, zu deren revolutionärsten Vertretern Nikolaus Harnoncourt gehörte. Einer, der ihm das Wesentliche seines musikalischen Gestaltungsvermögens verdankt, ist der Bassbariton Florian Boesch, der Harnoncourts Credo von der Musik als Klangrede in seinem Gesang wunderbar einlöst (Seite 26). Und auf welches Gerät Jordi Savall bei seiner intensiven Erforschung lange zurückliegender musikalischer Zeitschichten zurückgreift, glaubt Renske Steen in ihrem Portrait des katalanischen Vergangenheitsvergegenwärtigungsvirtuosen herausgefunden zu haben (Seite 46): Es muss eine Zeitmaschine sein. Eine zeitlos inspirierende Lektüre wünscht Ihnen Ihr Christoph Lieben-Seutter Generalintendant Elbphilharmonie und Laeiszhalle


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FOTO S T R E C K E

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SCHRITT FÜR SCHRITT VON MARTIN VENEZKY

M U S I KG E S C H I C H T E

MOZARTS MOMENT

Schaffensrausch im Wien von 1785 VON JULIANE WEIGEL-KRÄMER A LT E M U S I K

18 MUSIKLEXIKON

STICHWORT »VORWÄRTS!«

Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte. VON CLEMENS MATUSCHEK

SIE SIND VON A BIS Z AUF KRIEGE EINGESTELLT

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Lea Desandre singt barocke Arien aus der Welt der Amazonen.

E N GAG E M E N T

VON REGINE MÜLLER

WIR SIND FANS VON CLAUDIA SCHILLER

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68 M I TA R B E I T E R

NICHTS IST UNMÖGLICH

Wenn die Elbphilharmonie vermietet wird, kommt die Abteilung Produktion ins Spiel. VON JULIKA VON WERDER

R E F L E K TO R

WANDERER ZWISCHEN DEN WELTEN

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Max Richter gestaltet ein langes Wochenende in der Elbphilharmonie. VON SIMON CHLOSTA

J O R D I S AVA L L

DER SCHATZ DER ERFAHRUNG

Der Gambist und Dirigent überwindet mühelos die Jahrhunderte.

24 G LO S S E

VORWÄRTS, RÜCKWÄRTS, SEITWÄRTS, TAP

Gesellschaftlicher Fort- und Rückschritt sind nicht immer klar zu unterscheiden. VON TILL RAETHER

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VON RENSKE STEEN

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72 R E P O RTAG E

ZEIT, DASS SICH WAS DREHT

Drei Hamburgerinnen, die wissen: Man kommt nur vorwärts, wenn man sich verändert. VON STEPHAN BARTELS

U M G E H Ö RT

MUSIKALISCH–LITERARISCH

Wie können Musik und Literatur einander bereichern?

58 D O N A U E S C H I N G E R M U S I K TAG E

JA Z Z

NOTEN FLIEGEN DURCH DIE LUFT

DIE KUNST DER STRAẞE

Wie lernt man Jazz?

Das wichtigste Forum für zeitgenössische Musik wird 100.

VON TOM R. SCHULZ

VON VOLKER HAGEDORN

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FÖRDERER UND SPONSOREN

IMPRESSUM


52 K L A S S I K D E R W E LT

FLIEẞENDE KONTINUITÄT

Mit seiner Musik hat Indien ein paar Jahrhunderte Vorsprung vor dem Abendland. VON STEFAN FRANZEN

4 HANNS EISLER

REVOLUTIONSKUGEL AUS WIDERSPRÜCHEN

Der kommunistische Komponist ist aufregend gerade in seinen Ungewissheiten. VON ALBRECHT SELGE

26 INTERVIEW

»ICH BIN EIN BEKENNER«

Der Bassbariton Florian Boesch über den Reiz seiner Residenz an der Elbphilharmonie VON BJØRN WOLL


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HANNS EISLER

REVOLUTIONSKUGEL


HANNS EISLER

AUS

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WIDERSPRÜCHEN

»Künftigen Glückes gewiss«? Der kommunistische Komponist Hanns Eisler ist aufregend gerade in seinen Ungewissheiten. VON ALBRECHT SELGE

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an braucht weder Kommunist noch Ostalgiker zu sein, damit einem Hanns Eislers spätes Lied mit dem wenig einladenden Titel »XX. Parteitag« ans Herz greifen kann – wetten? Unter allen berühmten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts ist dieser Eisler vielleicht der vielseitigste, oder der widerprüchlichste: herausragender Schüler von Arnold Schönberg und später vielgeehrter Tonsetzer der DDR-Nationalhymne, zorniger Verfasser aufpeitschender Arbeiter märsche und wandlungsfähiger Filmmusiker, der feinsinnige Klänge zum experimentellen Stummfilm-Gedicht schuf und ebenso den passenden Sound zur Hollywood-Schmonzette. Trotz dieser Vielseitigkeit und seines berühmten Namens dürfte Hanns Eisler (1898 –1962) heute einer der überhörtesten Komponisten sein. In Konzertprogrammen taucht er kaum auf, und ein ansonsten vorzügliches Musiknachschlagewerk wie der verbreitete RowohltKonzertführer widmet seinem Schaffen kaum mehr als ein paar merklich verlegene Sätze. Viele dieser Widersprüche lassen sich jedoch begreifen, wenn man sich Eislers Leben und Denken genauer ansieht. Und sie lösen sich in Staunen auf, wenn man das Beste von Eislers Musik hört: zuallererst seine Lieder. Zahllos sind sie, viele hinreißend, pendelnd im weiten Gesangsland zwischen Franz Schubert und sarkastischem Cabaret.

WO ANDEREN DAS KREUZ BRACH

Vielleicht war dieser Hanns Eisler ja einfach noch einer jener mythischen »Kugelmenschen«, wie Platon sie in seinem »Symposion« beschreibt: die vollständigen Wesen der Vorzeit, die von den bedrohten Göttern in zwei Hälften zerschnitten wurden, so dass das Halbwesen Mensch seither seine andere Hälfte sehnsüchtig begehrt und sucht. Diese Unzerschnittenheit würde nicht nur Eislers Reichtum an inneren Gegensätzen erklären, sondern auch die auffällige Abwesenheit des Erotischen in seinen Liedern (oder auch in der sexuell gleichgültigen Hauptfigur seiner gescheiterten Faust-Oper, ganz im Gegensatz zu Goethes lüsterlichem Heißbegehrer). Auch Wolf Biermann hatte 1965 nicht nur Äußerlichkeiten im Sinn, als er sein Gedicht über Hanns Eisler »Die Anatomie der Kugel« nannte: »Da wo den andern so leicht das Kreuz brach, / Wölbet sich mächtig sein fröhlicher Bauch.« Die schönste Beschreibung des eislerschen Erscheinungsbildes aber stammt wohl von dem ukrainischjüdischen Dirigenten Jascha Horenstein, einem lebenslangen Freund: »Der Gesamteindruck war, dass sein Anzug ihm gleichzeitig zu eng und zu weit war. Als ob das nicht genug wäre, hatte der Dreizehnjährige schon eine Glatze wie ein Vierzigjähriger. Wenn man sich vorstellt, dass auf einem eher kurzgebauten Körper ein großer Kopf saß, mit einem heiteren, vollmondförmigen, immer hämisch schmunzelnden Gesicht, und dass ›


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HANNS EISLER

dieser Kopf bei jeder brüsken Wendung eine Glatze enthüllte, dann wird man verstehen, warum ich nach mehr als fünfzig Jahren diesen ersten Eindruck, den ich von Hanns empfangen habe, nicht vergessen kann.« Diese Heiterkeit und schmunzelnde Häme halfen Eisler, selbst unter bedrückenden Umständen nicht zu zerbrechen. Im Exil etwa, das er seit 1938 lieber in den ihn befremdenden USA als in der Sowjetunion verbrachte, die ihm doch ideologisch viel nähergestanden wäre. Darin war er seinem engen Weggefährten Bert Brecht ganz ähnlich, aber viel anpassungsfähiger als dieser. Was nicht mit rückgratloser Geschmeidigkeit zu verwechseln ist. Eisler parlierte in seinem mehr als holprigen Englisch einfach ungehemmter, jovialer, gewitzter als der unter der Sprachbarriere leidende Kollege Schriftsteller. Brechts selbstquälerische Hollywood-Elegien aber vertonte Eisler, etwa das berühmte Gedicht: Jeden Morgen mein Brot zu verdienen gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.

»Politisch unzuverlässig«: Eisler als Soldat des österreichisch-ungarischen Heeres (1917)

HINEINGEZOGEN UND AUSGESPIEN

Eisler begann mit der Komposition seines »Hollywooder Liederbuchs«, nachdem er sich 1942 aus materieller Not von New York in die Umlaufbahn der Traumfabrik begeben hatte und in einem billigen Hotel auf seine Chancen hoffte, gelangweilt und leidend unter der Hitze. Von einem bizarren Reiz ist die Vorstellung, dass Eisler unter derartigen Umständen nicht nur 28 Texte des geliebten Brecht vertonen sollte, sondern auch Verse des griechischen Lyrikers Anakreon, dessen Wirkungsgeschichte man gemeinhin eher in den Idyllen des Rokoko verortet. Und Brecht selbst war zunächst überaus befremdet davon, dass Eisler neben echten BB-Texten wie dem hintersinnigen Gleichnis »Vom Sprengen des Gartens« auch immer wieder zu Oden des deutschen Pathospriesters Friedrich Hölderlin griff. Selbst dessen »Gesang des Deutschen« vertonte Eisler – aber gefiltert, offen durchdacht und ohne Scheu gekürzt, unter dem Titel »Erinnerung«. Insgesamt sechs Hölderlin-Songs finden sich in Eislers »Hollywooder Liederbuch«, dessen über 50 Stücke keinen geschlossenen Zyklus bilden, sondern eher ein musikalisches Tagebuch, aus dessen Schätzen ein Sänger frei wählen kann. Kaum ein Sänger wird dabei ein erschütterndes Lied wie »Über den Selbstmord« auslassen, das die Musikwissenschaftlerin Friedrike Wißmann in ihrem lesenswerten Eisler-Buch eine Mischung aus Schuberts »Winterreise« und »fahlem Blues an der Hotelbar« nennt. Als bemerkenswerteste Eigenheit der Hollywood-Lieder arbeitete bereits der noch mit Brecht und Eisler persönlich bekannte Musikologe Fritz Hennenberg die oft irritierenden, abrupten Schlüsse heraus: abgerissen, unaufgelöst – ungewiss. Oder wie Wißmann schreibt: »In Eislers Lieder werden wir zwar hineingezogen, aber spätestens am Ende mitsamt etwaiger Gefühlsduselei wieder ausgespien.« Zwar schrieb Eisler an seine vorerst in New York verbliebene zweite Frau Lou über Hollywood: »Hier gibt es zwei Typen. Die einen sind korrumpiert (…). Die anderen sind deprimiert, weil niemand sie korrumpieren will.« Trotzdem fand er seinen Weg. In New York hatte er noch eine äußerst subtile Kammermusik zu Joris Ivens’ betörendem experimentellen Stummfilm »Regen« von 1929 geschrieben (den man mitsamt der Eisler-Musik im Internet findet), eine von Eislers schönsten Instrumentalmusiken überhaupt: Als »Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben« wird sie viel zu selten im Konzert gespielt. Diese Musik ist reine l’art pour l’art, etwas, das Eisler früher wütend abgelehnt hatte. In einem Land aber, wo allgegenwärtige aktivierende Musik nicht zur proletarischen Revolution, sondern »zum Kauf von Coca-Cola animieren« sollte, erschien Eisler solche musikalische Zweckfreiheit auf einmal als Akt wenn nicht des Widerstands, so doch der Nichtanpassung. In Hollywood zeigte Eisler sich aber auch anpassungsfähig und schuf den passenden Soundtrack zu Filmen von Jean Renoirs »The Woman on the Beach« bis zum Piratenstreifen »The Spanish Main« (»Die Seeteufel von ›


HANNS EISLER

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Besuch im Spanischen Bürgerkrieg: Für die Interbrigaden schrieb Eisler einige Lieder (1937).

»Wem gehört die Welt?«: Eisler mit Bertolt Brecht und dem Regisseur Slatan Dudow bei der Arbeit am Film »Kuhle Wampe« (1932)

Filmausschnitte »Kuhle Wampe« (1932)

Heiterkeit und schmunzelnde Häme halfen Eisler, selbst unter bedrückenden Umständen nicht zu zerbrechen.


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HANNS EISLER

»Vorwärts und nicht vergessen«: Dem Sänger Ernst Busch schrieb Eisler zahlreiche Lieder auf den Leib (1950).

Cartagena«). Und der gequälte Brecht mag von diesem eislerschen leichten Gelingen ebenso befremdet gewesen sein wie vom Hölderlin-Faible. Wobei nicht verschwiegen werden darf, dass es auch zu einer gemeinsamen Hollywood-Arbeit von Brecht und Eisler kam, nämlich in Fritz Langs Anti-Nazi-Film »Hangmen Also Die«. FRÜHE WIENER WIDERSPRÜCHE

Aber zum Befremden hatte Hanns Eisler ein Talent. Schon sein Lehrer Arnold Schönberg, in dessen Wiener Kontrapunktklasse Eisler 1919 eintrat, war einige Jahre später verärgert über die politischen Massen-Allüren des hochbegabten Schülers und sinnierte in einem Brief darüber, Eisler »übers Knie zu legen«, um ihm den Sozialismus auszutreiben. Doch anders als der Meister und seine anderen Zwölfton-Einserschüler Alban Berg und Anton Webern wollte Eisler sich damals nicht mit der strengen Trennung von hehrer Kunstsphäre und schnöder Welt abfinden. Revolution nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Politik! »Breiiges Kleinbürgertum« und »mondänen Nihilismus« warf Eisler 1928 in der kommunistischen Parteizeitung »Rote Fahne« der »modernen Musik« vor, aus der er selbst kam. Und über zeitgenössische Musikfestivals ätzte er (mancher Skeptiker mag da Parallelen zur Gegenwart ziehen): »Bei völliger Interesse- und Teilnahmslosigkeit

irgendeines Publikums feiert eine leerlaufende Betriebsamkeit Orgien der Inzucht.« Da ist es wieder, das Kugelwesen, das die krassen Widersprüche unter seinem runden Bauch vereint und sich auch durch die schönbergsche Androhung von Keile nicht zerbrechen lässt. Gegensätze standen schon am Ursprung von Eislers Leben: Geboren wurde er 1898 als Kind eines Wiener Philosophen und einer Leipziger Metzgerstochter, beide Eltern jüdisch (der Sohn hielt die Mutter für die größte, aber tragisch unausgelebte Begabung in seiner Familie). Johannes hieß er da noch, ein Name wie ein langer Strich, den er schon früh zu Hanns verkugelte. Was auch im proletarischen Kampf viel besser klang, den der doch eigentlich hoffnungslos überqualifizierte Dodekaphonist Eisler wirkungsvoll aufnahm. Wenige Jahre, nachdem seine auch heute noch packende erste Klaviersonate Schönbergs großes Wohlwollen fand, fabrizierte der aufmüpfige Schüler packende Arbeiterchöre und kommunistische Kampflieder, etwa »Roter Wedding« oder das berühmte »Solidaritätslied«. Der kommunistische Sänger Ernst Busch war neben Brecht Eislers wichtigster Partner. Hört man diese schmetternde Musik heute, staunt man nicht nur über die naturgemäß mitreißende Wirkung, sondern auch über originelle Synkopik und borstige Taktwechsel.


HANNS EISLER

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SPÄTE OST-BERLINER RESIGNATION

Unamerikanisch: Vor dem McCarthy-Ausschuss erklärte Eisler, dass er Kommunist gewesen sei, der Partei aber nicht mehr angehöre (1947).

Im Osten war für Eislers »elitären« Avantgardismus kein Platz, im Westen war er als Kommunist verpönt.

Ernüchtert: Nach einer betrunkenen Taxifahrt durch West-Berlin musste Eisler für eine Nacht in Polizeigewahrsam (1953).

1948, zu Beginn der hysterisch antikommunistischen McCarthy-Ära, wurden Hanns Eisler und seine Frau Lou aus den USA ausgewiesen und kehrten nach Wien zurück. Doch Eisler gelang es nicht, Fuß zu fassen, auch die Ehe kriselte, und so zog er nach Ost-Berlin, das bald darauf zur Hauptstadt der DDR wurde. Mit seiner dritten Frau Stephanie fand er dort später privates Glück. Doch das öffentliche Glück war in Wahrheit trübe, selbst wenn Eisler hohe Preise erhielt und zu Johannes R. Bechers Text »Auferstanden aus Ruinen« die Nationalhymne der DDR schrieb. Denn für den als spätbürgerlich verrufenen »elitären« Schönberg-Avantgardismus vieler Eisler-Werke war in der DDR kein Platz (während im Westen, wo dafür Platz gewesen wäre, sein Ruf als angebliche kommunistische Parteigestalt ruiniert war). Auch Eislers ambitioniertes Projekt einer großen Faust-Oper wurde als viel zu pessimistisch in der sozialistischen Luft zerrissen, es sollte niemals entstehen. Dafür wurde 1959 ein anderes Großwerk uraufgeführt: die »Deutsche Sinfonie«, eine Monumentalkantate, die mit ihren riesigen Dimensionen in Eislers Werk singulär dasteht. Entstanden war sie in der Hauptsache bereits ab 1935, »Konzentrationslager-Sinfonie« hatte sie zunächst heißen sollen. Die zeitliche Entstehung erklärt zum Teil, warum der Fokus auf den eingesperrten und ermordeten Widerstandskämpfern liegt, während die Judenverfolgung in Brechts Texten gar nicht vorkommt. (In einem erschütternden Klassiker der Filmgeschichte von 1956, für den Eisler ebenfalls die Musik komponierte, ging es hingegen um die Shoah, aber bis auf eine Ausnahme ohne ausdrücklich die Juden als Hauptopfergruppe zu erwähnen: Alain Resnais’ epochale KZ-Dokumentation »Nuit et brouillard«, zu deutsch »Nacht und Nebel«.) So erklärbar der Zeitdokument-Charakter der »Deutschen Sinfonie« ist, musste sie schon 1959 etwas unbefriedigend und problematisch wirken. Heute tut sie das erst recht, zumal verglichen mit einigen in zeitlicher Nachbarschaft um 1960 entstandenen späten Schostakowitsch-Sinfonien, in denen die Shoah eine wichtige Rolle spielt. ›


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HANNS EISLER

EIN LETZTER WIDERSPRUCH

Trotz der Groß-Premiere und der offiziellen Ehrungen scheint Eislers späte DDR-Existenz auch eine Zeit der Einsamkeit und wohl auch zunehmender Ratlosigkeit gewesen zu sein. Eislers Schweigen oder gar Zustimmung zu den Staatsverbrechen des 17. Juni 1953 und des Mauerbaus 1961 wirkt auf den heutigen Betrachter befremdlich, ja bedrückend. Umso offener aber kann uns Eislers Spätwerk treffen, das eine ganz eigen temperierte Form tiefer Trauer auszeichnet: resignierend und zugleich heiter, sogar optimistisch – ein letzter, vielleicht nicht zu überlebender Widerspruch. Die im Todesjahr 1962 fertiggestellten »Ernsten Gesänge« sind vielleicht Eislers ergreifendste Komposition überhaupt. Man solle diese traurigen Stücke nicht durch traurigen Gesang ersticken, bat Eisler, sondern müsse sie singen, »als wenn Sie’s aus dem Baedeker vorlesen«. Vier der acht kurzen Lieder haben wiederum Texte von Hölderlin zur Grundlage. (Darin liegt übrigens eine bemerkenswerte Verwandtschaft zur zeitgenössischen Musik im Westen, deren jüngeren Vertretern um 1960, etwa Boulez und Stockhausen, Eisler so ignorant begegnete wie diese ihm: Auch für Luigi Nono oder Bruno Maderna und später Holliger, Kurtág oder Zender wurde ausgerechnet Hölderlin überaus wichtig.) In dem beklemmenden Lied »XX. Parteitag«, das sich auf Chruschtschows geheime Ansprache zur Entstalinisierung von 1956 bezieht, ist die Rede von einem »kaum erträumten Glück: Leben, ohne Angst zu haben«. In diesen wenigen Worten meint man, ein ganzes schreckliches Jahrhundert zu hören und zugleich das Resümee eines zerrissenen, vielleicht sogar gescheiterten Jahrhundertlebens – des Lebens von Hanns Eisler.

Eislers späte DDR-Existenz scheint auch eine Zeit der Einsamkeit und Ratlosigkeit gewesen zu sein (um 1960).

Im »Epilog der Ernsten Gesänge« aber heißt es in Worten von Stephan Hermlin, und darin liegt in der Musik spürbare Todesnähe wie trotzige Hoffnung: »Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiss.« Dreimal wird im Lied das letzte Wort »gewiss« wiederholt. Man könnte an das finale »ewig« in Gustav Mahlers »Lied von der Erde« denken. Aber man kann kaum umhin, hinter dem allerletzten »gewiss« ein Fragezeichen zu hören. Todtraurig, doch keinesfalls sentimental.

DEUTSCHE SINFONIE Fr, 26.11.2021 Elbphilharmonie Großer Saal NDR Elbphilharmonie Orchester, MDR-Rundfunkchor Matthias Goerne (Bariton) Hanns Eisler: Deutsche Sinfonie op. 50 ERNSTE GESÄNGE Sa, 27.11.2021 Elbphilharmonie Großer Saal Ensemble Resonanz Matthias Goerne (Bariton) Hanns Eisler: Ernste Gesänge Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben op. 70 sowie weitere Lieder von Hanns Eisler HOLLYWOODER LIEDERBUCH So, 28.11.2021 Elbphilharmonie Großer Saal Matthias Goerne (Bariton) Markus Hinterhäuser (Klavier) Hanns Eisler: Hollywooder Liederbuch sowie ausgewählte Lieder von Franz Schubert


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MUSIKGESCHICHTE

MOZARTS MOMENT


M u s i kge s c h i c h t e  13

Wenn der richtige Mensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann Außergewöhnliches entstehen. VON JULIANE WEIGEL-KRÄMER ILLUSTRATIONEN JÖRN KASPUHL

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ien, 1785: In der Stadt pulsiert das Leben. Seit fünf Jahren herrscht Kaiser Joseph II. allein über das Habsburgerreich, dessen Hauptstadt sich zu einer prosperierenden Metropole entwickelt. Die Bevölkerung wächst explosionsartig, der prunkliebende  Adel kurbelt durch repräsentative Prachtentfaltung die Wirtschaft an. Künstler, Intellektuelle, Bürger und niederer Adel treffen sich in Salons, debattieren über Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Politik. Es ist das Zeitalter der Aufklärung, und es gibt kaum einen Ort, an dem die  Aufbruchsstimmung dieser Zeit stärker zu spüren ist als hier. Mittendrin: Wolfgang Amadeus Mozart. Als er vier Jahre zuvor nach Wien gekommen war, stellte er rasch fest, dass die blühende Stadt »ein herr­ licher Ort – und für mein Metier der beste Ort von der Welt« sei, wie er an seinen Vater Leopold schrieb. Nach frus­ trierenden Jahren in Diensten des Salzburger Fürst­­ erzbischofs war Mozart mehr als bereit, in der kaiser­ lichen Hauptstadt seine Flügel auszubreiten – und der Zeitpunkt dafür hätte besser nicht sein können. »HABE MUT, DICH DEINES EIGENEN VERSTANDES ZU BEDIENEN!«

Wie aber kam es, dass Mozart solche idealen Bedingungen vorfinden konnte? Die Wurzeln dieser Entwicklung gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Schon damals hatte sich in Europa ein Umdenken in Bezug auf den Menschen und seine Rolle in der Welt angebahnt. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nahm diese Bewegung an Fahrt auf. Vor­denker wie Immanuel Kant und Voltaire sprachen von der Gleichheit aller vor dem Gesetz, von religiöser Toleranz – und immer wieder von Vernunft. »Sapere aude!«, forderte Kant mit Horaz: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. In der Forschung ging es nun darum, Ver­mutungen mit wiederholbaren Experimenten zu beweisen: Die moderne Wissenschaft war geboren. Parallel zu diesen Entwicklungen verlor die Kirche an Macht. In einer Welt, in der das kritische Hinterfragen althergebrachter Glaubensgrundsätze zum Credo er­ho­

ben wurde, gerieten die religiösen Dogmen in eine Legitimationskrise. »Zweifle an allem wenigstens einmal, und wäre es auch der Satz zwei mal zwei ist vier«, brachte der Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg die neue Denkweise auf den Punkt. Auch die absoluten Monarchen konnten sich nun nicht mehr auf Gottes Gnade als Legitimation für ihre Herrschaft stützen. Der aufgeklärte Fürst verstand sich vielmehr, mit den Worten Friedrichs des Großen, als »erster Diener des Staates« und war somit für Glück und Zufriedenheit seiner Untertanen zuständig. Diese wiederum sprengten das Korsett eines Daseins in Demut, Gehorsam und Gottgefälligkeit: Das Recht des Einzelnen auf Leben, Freiheit und Glück wurde zum Gebot der Stunde. Von diesen Umbrüchen profitierte in erster Linie das Bürgertum, das mit wachsender Arbeitsund Finanzkraft an gesellschaftlichem Einfluss gewann. AUFKLÄRUNG VON OBEN: DER JOSEPHINISMUS

Auch für die Fürsten war die Philosophie der Aufklärung aus handfesten machtpolitischen Gründen durchaus attraktiv. Immerhin bedeutete ein stärkeres und finanzkräftigeres Bürgertum fast automatisch, dass der Adel an Einfluss verlor – zugunsten des absoluten Herrschers. Und so machte sich mehr als ein europäischer Monarch die neuen Ideen zu eigen. Namentlich sind heute Friedrich der Große und Katharina die Große als aufgeklärte Fürsten bekannt – und nicht zuletzt der »Reformkaiser« Joseph II. Der 1741 geborene Sohn der Erzherzogin Maria Theresia war bereits 1764 in Frankfurt am Main zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden – freilich eine zu diesem Zeitpunkt längst nur noch titularische Würde. Machtpolitisch relevant war vielmehr, dass er im Jahr da­ rauf auch Mitregent seiner Mutter und nach deren  Tod 1780 alleiniger Herrscher in den habsburgischen Ländern wurde; im Erzherzogtum Österreich, den Ländern der böhmischen Krone, dem Königreich Ungarn und den Österreichischen Niederlanden konnte er nun unmittelbar durchregieren. ›


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M u s i kge s c h i c h t e

Ganz Kind der Aufklärung, hatte Joseph noch zu Leb­ zeiten Maria Theresias auf Reformen gedrängt, doch erst nach ihrem Tod konnte er seinen vollen aufklärerischen Furor entfesseln. Und ein Furor war es, den der Kaiser auf sein Reich niedergehen ließ, das muss man ehrlicherweise sagen. Innerhalb weniger Jahre schaffte Joseph Folter und Leibeigenschaft ab und führte eine für Adlige wie Nichtadlige gleichermaßen zuständige Gerichtsbarkeit ein. Pressefreiheit und freie Religionsausübung für NichtKatholiken wurden (bis zu einem gewissen Grad) gewährt. Zudem löste Joseph alle kontemplativen Mönchs- und Nonnenorden auf und verstaatlichte deren Besitz. Überhaupt ordnete er das gesamte Staats-, Bildungs- und Gesundheitswesen neu. Sein erklärtes Ziel war ein straff organisierter, zentralistischer Staat mit Deutsch als Amtssprache – im habsburgischen Vielvölkerstaat ein durchaus brisantes Unterfangen –, mit einer schlanken und effizienten Verwaltung und ihm selbst an der Spitze. Die Reformen des als sparsam geltenden Kaisers, der für pompöses Zeremoniell wenig übrighatte und sich selbst am liebsten in schlichter Uniform zeigte, stießen zunächst durchaus auf Zuspruch. Als Joseph jedoch immer tiefer in das Leben des Einzelnen eingriff, machte sich allmählich Unmut breit. Der Adel fühlte sich zurückgesetzt. Die nicht-deutschsprachigen Gegenden des Reiches re­bellierten gegen die Beschneidung ihrer politischen und sprachlichen Eigenständigkeit. Der Papst bangte um seinen Einfluss. Und als der Reformeifer des Kaisers schließ­lich in ein an Kontrollwahn grenzendes MikroManagement ausartete, hatte er sich endgültig die ­Sym­pathien seiner Untertanen verspielt: Der Einsatz von wiederverwendbaren »Sparsärgen« bei Beerdigungen und Vorschriften zur Anzahl der Kerzen, die im Gottesdienst angezündet werden durften, überforderten auch die Toleranz von Josephs glühendsten Anhängern. Und so war vielen seiner Reformen keine dauerhafte Existenz beschieden. Verbittert musste der Kaiser am Ende seines Lebens etliche davon zurücknehmen, andere wurden von seinem Nachfolger Leopold II. ab 1790 kassiert. Dennoch hatte Joseph – wenn auch auf etwas brachiale  Art und Weise – eine gesellschaftliche Dynamik angeschoben, die sein Land nachhaltig prägen sollte.

Nie zuvor war die Gesellschaft in Wien so offen und dynamisch wie auf dem Höhepunkt der josephinischen Reformen.

»DER BESTE ORT VON DER WELT«

Für Mozart war diese Dynamik ausschlaggebend, als er 1781 beschloss, nach Wien zu übersiedeln. Die kaiserliche Residenzstadt profitierte am unmittelbarsten vom Wirken Josephs II., der wirtschaftliche und kulturelle  Aufschwung war hier überall zu spüren. So resultierte die 1781 eingeführte Pressefreiheit in einer Flut neuer Publikationen: Von Zeitungen über philosophische Traktate und Satiren bis hin zu Belletristik jeglicher Couleur gab es plötzlich Lesestoff zu erschwinglichen Preisen. Für diejenigen, die sich selbst das nicht leisten konnten, entstanden die so­ genannten »Lesekabinette«, Vorläufer der heutigen Leih­ bibliotheken. Eine Diskussionskultur, die ihresgleichen sucht, entstand in der multikulturellen und lesefreudigen Metropole. Nie zuvor war der Geist der habsburgischen Gesellschaft so offen wie in Wien auf dem Höhepunkt der josephinischen Reformen. Auch das öffentliche Konzertwesen blühte auf. Musikalische Unterhaltung war lange den Kirchen und den Adelspalästen vorbehalten gewesen, nun gab es Konzerthäuser, die jedermann offenstanden. Zudem kam das häusliche Musizieren in Mode. All dies eröffnete Mozart ein vielfältiges Betätigungsfeld als freischaffender Musiker: Er unterrichtete adlige Damen im Klavierspiel, komponierte Kammermusik für den Hausgebrauch und trat als Pianist öffentlich auf – vielfach mit eigenen Werken. Dabei profitierte er gerade als Komponist von der Auf­bruchsstimmung in der Donaumetropole. Nachdem er mit »Idomeneo« 1781 bereits die Konventionen der italienischen Oper mutig in Frage gestellt hatte, folgte 1782 »Die Entführung aus dem Serail«, die Mozart in Wien schlagartig berühmt machte. Mit der Uraufführung von »Le nozze du Figaro« gelang dem jungen Salzburger im Jahr 1786 ein weiterer Coup. Die politisch durchaus brisante Oper über ein kluges Dienerpaar, das seinen schürzen­jagenden adligen Herrn an der Nase herumführt und schließlich gründlich blamiert, entwickelte sich zu einem derartigen Hit, dass der Kaiser sich genötigt sah, die Anzahl der Zugaben per Dekret zu begrenzen, damit die Aufführung auch irgendwann einmal zu Ende war. GLEICHBERECHTIGT UND AUF AUGENHÖHE

Setzte Mozart schon im Bereich der Oper neue Maßstäbe, so galt das erst recht für das Klavierkonzert. Namentlich in den Jahren 1785 und 1786, auf dem Höhepunkt der kulturellen Glanzzeit des josephinischen Wiens, schrieb Mozart seine heute als »sinfonische« Klavierkonzerte bekannten bahnbrechenden Beiträge zu dieser Gattung. Dazu zählen das d-Moll-Konzert KV 466, das ›


MUSIKGESCHICHTE

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MUSIKGESCHICHTE

Das Ideal der Gleichberechtigung ist in Mozarts Musik der Wiener Jahre deutlich zu spüren.

MOZART MOMENTUM 1785 / 1786 Elbphilharmonie Großer und Kleiner Saal Mahler Chamber Orchestra Christiane Karg (Sopran) Leif Ove Andsnes (Klavier) Mo, 8.11.2021 Klavierkonzert C-Dur KV 467 Sinfonie D-Dur KV 504 »Prager« Klavierkonzert d-Moll KV 466 Di, 9.11.2021 Klavierkonzert A-Dur KV 488 Ch’io mi scordi di te … KV 505 Maurerische Trauermusik c-Moll KV 479a Klavierkonzert c-Moll KV 491 Mi, 10.11.2021 Klaviertrio B-Dur KV 502 Klavierquartett Es-Dur KV 493 sowie ausgewählte Lieder

C-Dur-Konzert KV 467 sowie die Konzerte in A-Dur und c-Moll KV 488 und KV 491. Allen vier gemeinsam ist, dass sie das Verhältnis zwischen Orchester und Solist neu definieren: Bisher hatte ein Klavierkonzert ausschließlich dazu gedient, die Virtuosität des Solisten ins Rampenlicht zu rücken, während dem Orchester eine rein begleitende Funktion zukam. In Mozarts Konzerten hingegen agieren Solist und Orchester gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Auch der Aufbau der Kompositionen ist neuartig: Waren die einzelnen Sätze von Solokonzerten bis dahin musikalisch meist relativ unabhängig voneinander, so spannte Mozart motivisch-thematische Bögen, die sich über das ganze Werk erstrecken. Mit diesen Neuerungen wies er schon voraus auf die Klavierkonzerte der kommenden Epoche, insbesondere die von Beethoven und Brahms. Und nicht zuletzt öffnete Mozart auch in der Kammermusik neue Türen. Wie in den Klavierkonzerten, so agieren auch in seinem 1786 entstandenen Klavierquartett Es-Dur KV 493 alle vier Instrumente auf Augenhöhe: Das vordemokratische Ideal der Gleichberechtigung ist in Mozarts Musik der Wiener Jahre deutlich zu spüren. So lässt sich denn auch der Künstler Mozart nicht unabhängig von seiner Zeit denken. Ohne den Reformeifer Josephs II., ohne die Pressefreiheit und den Bedeutungsverlust von Kirche und Frömmigkeit hätte Mozart wohl nicht das Selbstbewusstsein entwickeln können, eine sichere Anstellung zu verlassen und als Künstler eigene Wege zu gehen. Und dann sähe die Musikgeschichte heute gewiss ganz anders aus.


MUSIKGESCHICHTE

Manche Dinge muss man einfach selbst erleben. Ob auf dem Fahrersitz eines Porsche oder auf einem der Plätze im Großen Saal der Elbphilharmonie: Hier lassen sich Erlebnisse genießen, die noch lange im Gedächtnis bleiben. Umso mehr freuen wir uns als neuer Partner der Elbphilharmonie auf die kommenden Jahre mit zahlreichen unvergesslichen Musikmomenten.

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MUSIKLE XIKON

Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte. Diesmal …

STICHWORT: »VORWÄRTS!« VON CLEMENS MATUSCHEK ILLUSTRATIONEN LARS HAMMER

HANS CHRISTIAN LUMBYE: KOPENHAGENER EISENBAHN-DAMPF-GALOPP

Nur wenige Erfindungen haben die Menschheit so vorangezogen wie die Dampflokomotive – und wohl keine andere wurde von Komponisten so oft und so hingebungsvoll vertont. Wo auch immer in Europa Eisenbahnlinien in Betrieb gingen, folgten entsprechende Stücke, die meist den Genretitel »Galopp« trugen und damit auf die ungeheure Geschwindigkeit des »Dampfrosses« verwiesen. So hielt es 1847 auch Hans Christian Lumbye, Dirigent und Hauskomponist des Orchesters vom Kopenhagener Vergnügungspark Tivoli. Ohnehin pflegte der »Johann Strauß des Nordens« eine Vorliebe für Sonderinstrumente und Klangeffekte. Und so schnauft, faucht, rattert und tutet seine Zug-Nummer, dass es eine Freude ist. Übrigens: 100 Jahre später kam dieser Trend auch im Jazz an, mit »Chattanooga Choo Choo«, dessen Melodie Udo Lindenberg wiederum für seinen »Sonderzug nach Pankow« entlehnte.

FRANZ SCHUBERT: DER WEGWEISER

HANNS EISLER / BERTOLT BRECHT: SOLIDARITÄTSLIED

»Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!« Mit markigen Worten und zackiger Melodie riefen die überzeugten Kommunisten Brecht und Eisler 1929 zum Klassenkampf auf: »Proletarier aller Länder, einigt euch und ihr seid frei.« Die Verwendung im Agitprop-Film »Kuhle Wampe« befeuerte die Verbreitung des Solidaritätsliedes zusätzlich. Damit setzte sich Eisler deutlich von der bourgeoisen Hochkultur seines Lehrers Arnold Schönberg ab – nur folgerichtig, dass er 20 Jahre später die Nationalhymne der DDR lieferte. Doch so einfach zu fassen ist Eisler auch wieder nicht: Er schrieb Filmmusik für Hollywood und behielt auch als DDREhrenbürger nicht nur seinen österreichischen Pass, sondern stets eine Prise (Selbst-)Ironie. Zum »Lied der Arbeitslosen« notierte er die Vortragsanweisung: »Dieses Lied singt man am besten so: Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, leicht grölend, damit es nicht zu schön klingt.«

Wir alle bewegen uns vorwärts durch die Zeit. Wir werden geboren, wir altern, wir sterben. Unausweichlich. Diese lakonische Erkenntnis steht im Zentrum von Schuberts düsterem Liederzyklus »Winterreise« – verbunden mit der bitteren Pointe, dass das lyrische Ich den Tod sogar selbst sucht. Gebeutelt von Liebeskummer und gesellschaftlicher Isolation, wankt es 24 Lieder lang durch eine erstarrte Welt, mit flackernden Gedanken und einer einzigen Sicherheit als Wegweiser: »Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück.« Kurz vor seinem eigenen viel zu frühen Tod vollendete Schubert 1827 die »schauerlichen Lieder«, wie er sie selbst nannte. Inwieweit sich der beruflich und amourös eher erfolglose Komponist mit dem Protagonisten identifizierte, wird seither von der Forschung heiß diskutiert, ist aber letztlich egal – seine Musik ist unsterblich.


MUSIKLE XIKON

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JOHN PHILIP SOUSA: STARS AND STRIPES FOREVER

Wenn ein Instrument das Motto »Vorwärts« verkörpert, dann das Sousaphon. Immerhin wurde es in den 1890ern als marschierfähiger Ersatz für die in dieser Hinsicht extrem unpraktische Tuba erfunden. Dabei sieht es ja schon kurios aus, wie eine Mischung aus bronzezeitlicher Lure und Riesengrammophon, und es dürfte auch das einzige Instrument sein, das man sich zum Spielen über den Kopf zieht. Der Trichter des ersten Modells war schwenkbar und ließ sich auch nach oben ausrichten, was ihm den Spitznamen »Raincatcher« einbrachte. Entwickelt wurde es auf Anregung des Amerikaners John Philip Sousa. Zwölf Jahre lang leitete er die bei jedem Staatsanlass präsente United States Marine Band und schrieb zahlreiche populäre Märsche wie »Stars and Stripes Forever«, der praktisch zur zweiten Hymne avancierte. Die Ironie: 1892 schied Sousa aus dem Dienst aus, um seine eigene Band zu gründen. Mit ihr gab er in 40 Jahren gut 15.000 Konzerte – aber nur acht davon im Gehen.

JOHN ADAMS: SHORT RIDE IN A FAST MACHINE

»Wissen Sie, wie es ist, wenn man eingeladen wird, in einem tollen italienischen Sportwagen mitzufahren, und sich dann wünscht, man hätte es nicht getan?« So kommentierte Adams – als Amerikaner nie um einen lockeren Spruch verlegen – den Titel seines Orchesterstücks aus dem Jahr 1986, in Auftrag gegeben immerhin vom noblen Pittsburgh Symphony Orchestra. In gut vier Minuten vermittelt es tatsächlich den Eindruck, als hilfloser Beifahrer entfesselten Fliehkräften ausgeliefert zu sein. Als Motor fungiert ein simpler Holzblock, der Hörer und Orchester mit 150 bpm gnadenlos vor sich her treibt – »auch die dicke Tuba und die Kontrabässe«, wie der Komponist feixte. Darüber schichtet Adams getreu den Prinzipien der Minimal Music immer komplexere Patterns, die sich am Schluss in einer Fanfare entladen »wie die letzte Stufe einer Rakete, die die Schwerkraft überwunden hat und ins Weltall schwebt«.

ARNOLD SCHÖNBERG: STREICHQUARTETT NR. 2

Immer höher, schneller, weiter! In ihrem fast zwanghaften Bestreben, sich stetig vorwärts zu entwickeln, spiegelt die abendländische Hochkultur den unbedingten Fortschrittsglauben heutiger Industrienationen. Beispiel Musik: Die gregorianischen Choräle des Mittelalters sang man einstimmig, erst nach und nach wurden zusätzliche Intervalle erlaubt; ein vierstimmiger Bach-Satz wäre Gotteslästerung gewesen. Bach wiederum hätte über Richard Wagners wabernde Harmonik nur den Kopf geschüttelt. Die maximale Eskalation besorgte 1908 Arnold Schönberg mit der Erfindung der atonalen Musik, die überhaupt keine Akkorde im herkömmlichen Sinne mehr kennt. Zu hören in seinem Streichquartett Nr. 2, bezeichnenderweise verstärkt um eine Sopranistin, die »Luft von anderem Planeten« schnuppert. Dass es auch anders geht, lehrt der Blick etwa nach Japan: Dort wird die Gagaku-Hofmusik seit über 1.000 Jahren praktisch unverändert gepflegt.

THE BEATLES: RAIN

Manchmal ist rückwärts das wahre Vorwärts. Die letzte Strophe von »Rain« – die B-Seite der 1966er Single »Paperback Writer« – etwa klingt wie reines Kauderwelsch. Nur wer sie rückwärts abspielt, versteht den Text. Zustande kam der kreative Geniestreich zwar nur, weil John Lennon ein paar Joints zu viel geraucht hatte und das Tonband, das er frühmorgens nach der Aufnahmesession abhören wollte, verkehrt herum einlegte. Doch da die Beatles ohnehin gerade für Karlheinz Stockhausens Elektronik-Experimente schwärmten, behielten sie den Effekt bei. Und traten eine ungeahnte Lawine los. Fortan suchten fanatische Fans die gesamte Hitparade nach versteckten Botschaften ab und hörten mit heißen Ohren und reichlich Fantasie absurde satanische Schwüre und Aufrufe zum Drogenkonsum heraus. Was wiederum manche Band zu einem Spaß reizte: Wer Pink Floyds »Empty Spaces« rückwärts abspielt, hört: »Congratulations! You have just discovered the secret message.« M DIE PLAYLIST ZUM LEXIKON FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE / MEDIATHEK


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REFLEKTOR

WANDERER DEN WELTEN Mit seiner Kunst elektrisiert Max Richter Klassikliebhaber und Pop-Fans gleichermaßen. Mit seiner Partnerin Yulia Mahr gestaltet er ein langes Reflektor-Wochenende in der Elbphilharmonie. VON SIMON CHLOSTA

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ls Kind wollte Max Richter Astronaut werden. »Doch dann fand ich heraus, dass man dafür entweder Amerikaner oder Russe sein musste.« Also entschied sich der Brite, der 1966 im niedersächsischen Hameln geboren wurde, noch einmal um – nur um einige Jahre später als Komponist doch noch in Welten aufzubrechen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: ins Sydney Opera House und in das Berliner Berghain, auf die große Kinoleinwand, und ja, auch in die Kölner Lanxess Arena zum Finale von Heidi Klums Castingshow »Germany’s next Topmodel«. Für Richter ist all das kein Widerspruch: »Musik ist für mich vor allem ein Weg, um Menschen anzusprechen. Es geht darum, ein Gespräch zu führen.« Diese

Offenheit – nicht nur geografisch, sondern vor allem auch für verschiedene Stile, Genres und Einflüsse – hat ihn zum derzeit wohl populärsten Vertreter einer neuen Form klassisch anmutender Musik gemacht, für die es noch nicht einmal einen Namen gibt. Und auch ins All hat es Richter inzwischen geschafft: 2019 flog seine Filmmusik im Weltraum-Blockbuster »Ad Astra – Zu den Sternen« zusammen mit Brad Pitt bis zum Neptun. Seinen Weg zur Musik fand Richter ganz automatisch, wie er selbst sagt. »Sie war immer da. Schon als Kleinkind hatte ich ständig Melodien im Kopf, und ich wusste gar nicht, dass es anderen Leuten nicht auch so ging. Ich habe einfach immer schon komponiert.« Einen entscheidenden Anteil an seiner Entwicklung hatte dann der Milchmann seines Wohnortes Bedford in der Nähe Londons, wie Richter einmal erzählte: »Als ich zwölf, dreizehn war übte ich fleißig Klavier, und eines Tages hat mich der Milchmann gehört. Er war ein großer Fan von zeitgenössischer Musik, hatte eine enorme Plattensammlung und machte mich gewissermaßen zu seinem Projekt. Fortan lieferte er morgens zusammen mit der Milch auch experimentelle Platten aus.« So hörte der junge Max zum ersten Mal von amerikanischen Minimalisten wie Terry Riley und Philip Glass – und war sofort verzaubert von den hypnotischen Klängen und der rhythmischen Kraft dieser Musik, deren wesentliches Strukturelement die Wiederholung ist. Nach seinem Studium an der Royal Academy of Music und bei dem Avantgarde-Komponisten Luciano Berio in Florenz gründete Richter das aus sechs Pianisten bestehende Ensemble Piano Circus, das sich genau ›


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REFLEKTOR

Max Richter und Yulia Mahr suchen für ihren Reflektor eine experimentelle Ästhetik, die ganz unabhängig vom jeweiligen Genre ist. dieser Art von Musik widmete, Werke von Komponisten wie Steve Reich, Arvo Pärt und Brian Eno spielte. Die Auseinandersetzung mit diesen Komponisten hatte dann wiederum ganz unmittelbaren Einfluss auf Richters eigene Kunst: »Durch ihr Vorbild habe auch ich meine musikalische Sprache vereinfacht.« Genau dies führte jedoch dazu, dass gerade die Klassik-Branche Richter anfangs mit Nichtbeachtung strafte. Zu simpel, zu plakativ sei seine Kunst, um vor dem Neue-Musik-Establishment zu bestehen. Viele seiner frühen Kompositionen veröffentlichte Richter

daher direkt auf CD – die eigentlichen Uraufführungen im Konzert erfolgten oft erst viele Jahre später. »Damals gab es einfach eine gewisse Orthodoxie in der Frage, was gute Musik ist: Zweite Wiener Schule, Modernismus, Boulez. Der Anspruch war, dass eine Komposition immer auch eine Art Manifest ist. Ich hingegen wollte Geschichten erzählen, Gefühle transportieren. Mir war wichtig, eine Sprache zu entwickeln, die gut verständlich, ausdrucksstark und direkt ist.« Und wenn Max Richter heute genau deswegen auch von den Klassik-Tempeln auf der ganzen Welt umworben wird, dürfte das nachträglich für Genugtuung sorgen. Es war unter anderem die Filmmusik zu Ari Folmans Oscar-nominiertem Animationsfilm »Waltz with Bashir« (2008), die Richter viel künstlerische Anerkennung einbrachte. Zu einem regelrechten Komponistenstar wurde er dann 2012 mit seiner ersten Einspielung für das Traditionslabel Deutsche Grammophon: Auf »Recomposed by Max Richter: Vivaldi – The Four Seasons« präsentierte er seine Neufassung von Antonio Vivaldis berühmten »Vier Jahreszeiten« – einem Stück, das Richters Meinung nach


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»seinen Zauber verloren« habe. Auch wenn das Original deutlich erkennbar bleibt, ließ Richter keinen Ton an seinem angestaubten Platz und schuf mit rein orchestralen Mitteln einen Klang, der an elektronische Musik erinnert. Wohl auch deshalb wurde die Aufnahme, die zusammen mit dem Geiger Daniel Hope und dem Konzerthausorchester Berlin entstand, ein großer Erfolg und machte Richter vor allem bei einem jungen und wenig Klassikaffinen Publikum bekannt. Auf Spotify wurde das Album bisher rund 40 Millionen Mal angeklickt.

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ür diese Herangehensweise an die Musik haben manche Musikjournalisten Richter bald das Etikett »Neoklassik« verpasst – einen Begriff, den er jedoch ablehnt. Er selbst bezeichnet sich stattdessen halbironisch als »Post-Klassiker«. Das passt ja auch viel besser, denn das klassische Komponieren hat Richter längst hinter sich gelassen. »Ich hatte eine sehr klassische musikalische Ausbildung, interessierte mich aber ungeheuer für das, was Anfang der Achtziger um mich herum in Großbritannien lief – und das waren Electronica und Punk. Die ersten Gigs, die ich besuchte, waren The Clash und Kraftwerk. Mir gefiel die ursprüngliche Energie des Punk, aber gleichzeitig studierte ich ernsthaft klassische Musik und baute in meinem Zimmer mit einem Lötkolben analoge Synthesizer zusammen. Für mich flossen all diese Dinge schon immer zusammen.« Kein Wunder, dass für Richter auch die Trennung zwischen akustischen und elektronischen Instrumenten keine Rolle spielt: »Ich sehe in der Elektronik eher eine Fortführung, eine Erweiterung der verfügbaren Klangpalette. Insofern wäre es für mich nur logisch, wenn auch mehr Elektronik Eingang ins Orchester fände.« Neben allen klanglichen Aspekten ist es für Richter aber auch essenziell, seiner Kunst einen konkreten Sinn zu verleihen: »Ich finde es spannend, über die Nützlichkeit von Musik nachzudenken. In der zeitgenössischen Musik ist so ein Ansatz verpönt, aber im Barock oder in der Klassik ging es immer auch um den Gebrauchswert von Musik. Mozart hat Werke für jede erdenkliche menschliche Aktivität geschrieben, und auch ich schreibe selten Musik einfach nur so.« So verfolgt etwa sein 2015 entstandenes Projekt »Sleep« einen ganz konkreten Nutzen: Es soll beim Einschlafen helfen. Das achteinhalbstündige Hörerlebnis besteht aus insgesamt 31 Kompositionen, die alle auf demselben thematischen Material basieren – wie eine moderne Version von Bachs »Goldberg-Variationen«, die mit ihrer langsamen und kontemplativen Musik explizit zum Träumen einlädt. Bei Aufführungen in Berlin, Paris und Los Angeles standen denn auch massenhaft Betten und Kissen für das Publikum bereit. Richters Anspruch geht jedoch noch über den praktischen Nutzen seiner Musik hinaus: »Musik soll weniger eine technische Übung sein als vielmehr ein Transportmittel für Inhalt. In meinem Werk geht es daher immer ›um‹ etwas, denn ohne einen klaren sozialen Zweck ist Kreativarbeit nicht sonderlich zugkräftig.« Besonders offensicht-

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»Musik soll weniger eine technische Übung sein als vielmehr ein Transportmittel für Inhalt.« lich tritt dies in seiner jüngsten Komposition »Voices« zutage, in der manche Kritiker schon sein Opus magnum sehen. Nichts Geringeres als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat sich Richter darin zum Thema genommen, deren Text ein Sprecher zu einer getragenen, rund einstündigen Musik vorträgt. »Ich habe mich hier für eine sehr lesbare Formel entschieden, bei welcher der Text alles überstrahlt. Die Musik ist minimal und reduziert, das ermöglicht dem Zuhörer, über die Worte nachzudenken, die er gerade gehört hat.« Das Ergebnis ist eine gleichermaßen zugängliche wie moralisch ambitionierte Programmmusik.

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it »The Four Seasons«, »Sleep« (als nächtlichem Livestream) und der deutschen Erstaufführung von »Voices« erklingen die drei Hauptwerke Max Richters nun auch bei seinem Reflektor im Oktober in der Elbphilharmonie. Das Programm dafür hat Richter gemeinsam mit seiner künstlerischen und privaten Partnerin, der Filmemacherin und Videokünstlerin Yulia Mahr, kuratiert. Die beiden scharen zahlreiche gleichgesinnte Musikerinnen und Musiker um sich: »Wir sehen das ReflektorProgramm als eine Art klangliche Landkarte dessen, was derzeit im gesamten musikalischen Spektrum interessant und lebendig ist. Die Künstler, die wir eingeladen haben, sind sehr vielfältig, von Klassik bis Jazz, Live-Elektronik und vieles mehr. In dieser Vielfalt sehen wir aber auch ein gemeinsames Prinzip, nämlich die künstlerische Freiheit des Ausdrucks und eine experimentelle Ästhetik, die ganz unabhängig vom jeweiligen Genre ist.« Wie üblich beim Reflektor werden auch Richter und Mahr die ganze Elbphilharmonie für ihr Programm nutzen und das Haus von den Kaistudios bis zu den beiden Sälen bespielen: »Dieses Gebäude ist eine außergewöhnliche Leistung, und dort aufzutreten ist ein unvergessliches Erlebnis. In gewisser Weise stellt die Elbphilharmonie den Höhepunkt einer Reihe von Aufführungs- und Musiktraditionen dar, und wir freuen uns darauf, das Potenzial für vielfältige und neue Werke in diesen Räumen zu erkunden.«

REFLEKTOR MAX RICHTER 6. bis 10.10.2021 Elbphilharmonie DAS GENAUE PROGRAMM FINDEN SIE UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE


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GLOSSE

VORWÄRTS, RÜCKWÄRTS, SEITWÄRTS, TAP Ausgerechnet in der Tanzschule hat unser Autor gelernt, dass gesellschaftlicher Fort- und Rückschritt nicht immer klar zu unterscheiden sind. Und dass Ironie dabei nicht hilft. VON TILL RAETHER ILLUSTRATION NADINE REDLICH


GLOSSE

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esellschaftliche Entwicklungen sind wie ein Disco-Fox: Zwei Schritt vorwärts, seitwärts, Tap. Zwei Schritt rückwärts, seitwärts, Tap. Es geht vor und zurück und manchmal zur Seite. Zur Erstellung dieser Metapher habe ich Fachliteratur zu Tanzschritten konsultiert, dies hat mich an einen dunklen Ort meiner Vergangenheit zurückkatapultiert, an dem die nun folgende Geschichte spielt. Sie handelt von Fortschritt, Rückschritt und davon, warum man Dinge nicht ironisch, sondern heiter tun sollte. Was kompliziert ist. Aber nicht so kompliziert wie die diagrammische Darstellung etwa des Rumba-Grundschritts. Ich bin in den Achtzigern groß geworden. Damals begann man damit, Dinge ironisch zu tun, um sich von ihnen zu distanzieren und sich ihnen überlegen zu fühlen. Mode war es, Second-Hand-Anzüge kiloweise zu kaufen und diese einstigen Uniformen des Respektablen mit neonfarbenen Accessoires und möglichst lustlosem Gesichtsausdruck zu kombinieren, als würde man dadurch die Hierarchien infrage stellen. Es gab die ersten ironischen Schlagerrevivals, und man ging in ritualisierte Aufführungen der »Rocky Horror Picture Show«, weil es hieß, dieser Film sei »so schlecht, dass er schon wieder gut ist«. Fortschritt bestand also darin, dass man sich über die Vergangenheit lustig machte. Ich sah eine gute Gelegenheit dafür, als eine Schulfreundin mich fragte, ob ich mit ihr in die Tanzschule käme. Es war 1985, und aus meiner Sicht gingen nur Leute in die Tanzschule, die in der Jungen Union waren oder von ihren Eltern dazu gezwungen wurden. Beides war bei mir nicht der Fall. Meine Eltern wunderten sich: Waren sie 1968 auf die Barrikaden gegangen, oder sagen wir: hatten sie zustimmend genickt, als andere es taten, damit ihr Sohn keine 20 Jahre später wieder in die Tanzschule ging? Ich erklärte ihnen, dass ich es mir »witzig« vorstellte. Ich war neugierig auf die Rituale aus einer untergegangenen Welt. Die Tanzschule war so konservativ wie ihre Südberliner Adresse: Ostpreußendamm. Ich dachte, das muss man sich mal ansehen. Am Ostpreußendamm jedoch wurde ich gebrochen. Ich musste feststellen, dass Ironie nicht gegen Angst hilft: Damit ihm die Pubertierenden nicht auf der Nase herumtanzten, führte der Leiter der Einrichtung ein strenges Regiment. Wer etwas falsch machte, musste vortanzen und wurde dann Schritt für Schritt zerlegt. Wer gegen die Kleidungsvorschriften verstieß, erhielt einen Vortrag über seine charakterliche Eignung. Einmal trug ich neonrosa Socken zum grauen Anzug, und ich dachte, diese ironische Distanz wäre mein Schild, aber ich stellte fest, dass

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sie mich verließ, sobald ich – sechzehn, ungeschickt und schüchtern – vor anderen zur Schnecke gemacht wurde. Nach vielen katastrophalen Fehltritten beim Mittelball brach ich die Tanzschule ab, fest überzeugt, dass der Teenager-Tanzschulbesuch ein einziger Rückschritt war, und dass meine Generation die letzte wäre, die ihn machen würde. Später dann belegte ich mit meiner Frau zwei Paartanzkurse, man konnte anziehen, was man wollte, und wir hatten Freude. So war es doch gut: die Tanzschule zur Unterhaltung für Erwachsene, nicht als Initiationsritus für Jugendliche.

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is mir mein Sohn mit vierzehn mitteilte, er wolle nun in die Tanzschule gehen, die anderen seien schon angemeldet. Ich war verblüfft. Hatten wir ihn dafür jahrelang Deutschrap hören und Animes schauen lassen? »Das ist nicht so witzig, wie du vielleicht denkst«, sagte ich. »Wieso witzig«, sagte er, »ich hab gehört, das macht Spaß.« Ich rieb mir die Stirn. Man will die Kinder vor den Fehlern bewahren, die man selbst gemacht hat. Es soll doch vorwärts gehen für die Brut. Aber nein, sie wollen rückwärts, rückwärts, seitwärts, Tap. Ich stählte mich also für bevorstehende TeenagerKrisen. Stattdessen sagte er auf Nachfrage, der Kurs sei »ganz nice«, er fand eine nette Tanzpartnerin, lieh sich von mir Hemd und Krawatte, und als der Ball näher rückte, erinnerte er uns daran, den Tisch zu buchen. Als wir den Ballsaal betraten, bekam ich Flashbacks: an die Scham, die mich überkam, als ich beim Mittelball aus dem Tritt geraten war, an die Angst, den Konventionen nicht zu genügen, über die ich mich doch eigentlich hatte erheben wollen. Mein Sohn, seine Freunde und Freundinnen wirkten auch aufgeregt, aber so, wie Figuren in russischen Romanen vor wichtigen Bällen: freudig, erwartungsvoll, ausgelassen. Ihre Tanzlehrer moderierten den Abend mit einer Heiterkeit, die mich komplett entwaffnete. Ich begriff, mit fast 50 Jahren, dass etwas nicht so ernst zu nehmen nicht bedeutete, es ironisch zu tun, sondern, es gern zu tun, ohne Druck. So war das also: Nicht die Existenz der Institutionen und Rituale stellt den Fortschritt oder Rückschritt dar, sondern, wie sie mit Leben gefüllt werden. Zumindest das habe ich nun in der Tanzschule gelernt. Als mein Sohn und seine Partnerin den zweiten Platz beim Disco-FoxWettbewerb belegten, war ich überproportional stolz. Wegen des zweiten Platzes. Und weil sie dabei so happy aussahen. Es war, als hätte mein Sohn durch seine Zufriedenheit wiedergutgemacht, was ich mir 1985 durch Ironie zugefügt hatte. TILL RAETHER, 1969 in Koblenz geboren, arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg, u. a. für das »SZ-Magazin« und die »Brigitte«Gruppe. Er wuchs in Berlin auf, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München und studierte Amerikanistik und Geschichte in Berlin und New Orleans. Seine Kriminalromane um Kommissar Adam Danowski (erschienen bei Rowohlt) spielen in Hamburg.


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»ICH BIN EIN BEKENNER«


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Der Bassbariton Florian Boesch über den Vorteil eines Akzents, die Natürlichkeit im Künstlichen, das Sprechen im Singen und den Reiz seiner Residenz an der Elbphilharmonie. VON BJØRN WOLL

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er Vater Christian war Opernsänger, die Großmutter Ruthilde Kammersängerin und erste Gesangslehrerin von Florian Boesch. Und dennoch war der österreichische Bassbariton ein echter Spätstarter und begann erst mit 27 Jahren sein Gesangsstudium. Als »Sänger auf dem vierten Bildungsweg« bezeichnet er sich selbst, nachdem er in Wien zuvor schon Design und Bildhauerei studiert hatte. Musikalisch be­ einflusst wurde er vom Bassbariton Robert Holl, einem Schüler des legendären Hans Hotter, und, wichtiger noch, vom Dirigenten Nikolaus Harnoncourt: »14 Jahre, Hunderte Konzerte! Harnoncourt ist die musikalisch prägendste Figur in meinem Leben.« Auf der Opernbühne ist Boesch selten anzutreffen, und wenn doch einmal, dann am liebsten mit seinem bevorzugten Regisseur Claus Guth und am Theater an der Wien, das zu seinem Opernstammhaus geworden ist. Doch richtig zu Hause fühlt sich der heute Fünfzigjährige auf den Liedpodien der wichtigen Konzerthäuser weltweit und der großen Festivals wie den Salzburger Festspielen. Dort ist er meist mit seinen Langzeitpartnern am Klavier, Malcolm Martineau und Roger Vignoles, zu erleben. Oder er inszeniert einen Liederabend gemeinsam mit dem Ensemble Franui als Maskenmusiktheater. Gerade dieser intensive  Austausch mit Künstlerkollegen und -freunden spielt im Musikverständnis von Florian Boesch eine zentrale Rolle. Sein Wissen gibt er seit 2015 als Professor für Lied und Oratorium an der Wiener Musikuniversität auch an die jüngere Generation weiter. Herr Boesch, sind Sie ein Frühaufsteher? In aller Regel schlagen Künstler für Interviews deutlich spätere Uhrzeiten vor, und gerade Sänger mögen oft gar nicht gerne morgens sprechen, so wie wir jetzt. Florian Boesch: Ein für mich spannendes und hoch­ak­ tuelles Thema, das auch mit der pandemiebedingten Unterbeschäftigung zusammenhängt: Eigentlich dachte ich, dass ich ein Nachtmensch bin, doch im letzten Jahr bin ich immer öfter mit der Sonne aufgestanden. Das habe ich sehr genossen, aber es ist mit meinem Beruf auf Dauer nicht vereinbar. Wenn ich wieder 70 bis 100 Abende

im Jahr singe, wird sich das zwangsläufig wieder nach hinten verschieben. So langsam kommt da aber auch die senile Bettflucht hinzu: Ich bin im Mai 50 geworden, ich kann nicht mehr so lange schlafen, wie ich will. Ich bin also gerade dabei, mich zu einem Frühaufsteher zu ent­ wickeln, was mich wegen meines Berufes noch ein paar Jahre problematisch begleiten wird. Ich hatte schon ein bisschen Angst vor unserem Gespräch, weil Sie in einem Interview mal gesagt haben, dass Ihnen von Journalisten oft langweilige Fragen gestellt werden. Ach ja, dieser Satz verfolgt mich. Aber ich sage Ihnen was: Es ist Ihre Lebenszeit, und es ist auch meine. Und wenn mir dann die immer gleichen Fragen gestellt werden, finde ich das nicht zielführend. Ich glaube, dass es der Sache guttut, wenn der Journalist einen halben Millimeter aus seiner Routine ausbricht und sagt: Vielleicht kann ich da noch eine Facette rauskitzeln, die etwas anderes beleuchtet. Jedenfalls hatte ich seitdem spannendere Interviews. (lacht) Dann hoffe ich, dass Sie die nächste Frage auch spannend finden: Als Österreicher sprechen Sie einen Akzent, was Einfluss auf die Artikulation und Vokalfärbung hat. Ist das fürs Singen eher ein Vor- oder ein Nachteil? Unbedingt ein Vorteil! Die individuelle Färbung der Sprache ist ein absoluter Mehrwert, weil sie an die Natürlichkeit des Sprechens andockt. Wenn ich einen Sänger in seiner Äußerung erlebe, der sich in eine Arti­ kulation zwängt, die nichts mit der zu tun hat, in der er lebt und aufgewachsen ist, dann ist das für mich schon künstlich. Das heißt nun nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn ich Goethe, Heine oder Eichendorff in meinem lokalen Akzent oder gar Dialekt sänge. Aber das Ahnen des Lokalkolorits, des Klangs, der Phonetik, der Vokal­ färbung als notwendige oder zumindest mehrwertige Qualität einer Natürlichkeit des Singens, das ist eine Möglichkeit, die man – richtig dosiert – wunder­ bar verwenden kann. ›


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»Alles wird gut« mit der Musicbanda Franui: Lieder von Mahler, Schubert & Co in neuem Klanggewand

Stichwort Natürlichkeit: Eigentlich ist der klassische Gesang doch so ziemlich die künstlichste Form, in der sich ein Mensch äußern kann. Gerade bei Liedsängern gibt es Vertreter wie Dietrich Fischer-Dieskau oder heute Christian Gerhaher, die eher das Artifizielle betonen; auf der anderen Seite gibt es Sänger wie Holger Falk oder Johannes Martin Kränzle, deren Vortrag eher ungekünstelt wirkt, die einen natürlichen Erzählfluss haben. Erleben Sie das auch so? Und wo sortieren Sie sich da ein? Da bin ich ganz bei Ihnen, auch wie Sie die Namen gerade gereiht haben. Wenn ich mir diese beiden, sagen wir mal: Schulen anschaue, geht die eine zurück auf FischerDieskau und die andere auf Hans Hotter. Mein Ideal des Singens ist ein natürliches Referieren oder noch einfacher gesagt: Ich spreche. Wenn ich einen guten Liederabend singe, gehe ich von der Bühne und sage: Ich habe gesprochen. Und zwar sowohl in der artikulatorischen Umsetzung als auch in der gesanglichen. Ich möchte im Gesang ein natürliches menschliches Bekennen entwickeln. Aber natürlich haben Sie recht, dass das Singen a priori die künstlichste Äußerungsform ist. Das hat aber auch einen entscheidenden Vorteil. Nämlich? Wegen der Künstlichkeit des klassischen Gesangs kommen wir Sänger niemals in den Problembereich der EchtheitsPrätention. Im Schauspiel sieht das ganz anders aus: Wenn auf der Bühne im Wiener Burgtheater geflüstert wird, ist das wirklich absurd, weil auf dieser riesigen Bühne laut und angestrengt geflüstert werden muss, damit das Publikum überhaupt noch etwas versteht. Da gibt es also eine Realitätsbehauptung, mit der die Disziplin immer im

Clinch liegt. Im Gesang haben wir dieses Problem nicht, weil zum Beispiel unsere Artikulationshaltung per se eine künstliche ist. Damit heben wir das auf eine ganz andere Ebene, weil wir völlig neu und etwas anderes bauen können. Wie erreichen Sie als Sänger trotzdem Natürlichkeit im Vortrag, wenn es die doch eigentlich gar nicht geben kann? Es gibt einen Satz von Heinrich Heine, der aus »Es leuchtet meine Liebe« stammt, ein Gedicht, das Schumann vertont hat. Dort heißt es: »Wenn ich begraben werde, dann ist das Märchen aus.« – Ich habe nichts zu erzählen in der Welt, außer das Einzige, auf das ich Zugriff habe – und das bin ich selbst. Ich kann nur von mir erzählen. Deshalb ist mein Erzählen immer auch ein Bekennen: Ich bin beruflich ein Bekenner – und halte dieses Berufsverständnis auch für entscheidend verlinkt mit der Bedeutung meines Tuns für die Gesellschaft und das Publikum. Ich gehe auf die Bühne, um mich zu bekennen in meiner Menschlichkeit und einem Publikum zu sagen: Zumindest für einen Moment lang seid ihr nicht alleine mit eurem Menschsein, auch wenn ihr euch nicht bekennen könnt, weil unsere Gesellschaft das rausgekürzt hat aus dem Alltagsleben. Mögen Sie deshalb den Liederabend so gerne, weil er so klein, so intim, so leise und persönlich ist? Also eigentlich all das, was in unserer Gesellschaft zumindest öffentlich immer weniger stattfindet. Ich bin ein Textsänger, ich singe Texte. Immer! Wenn Schubert ein Lied geschrieben hat, ist er dem Text begegnet, wurde von einem Text inspiriert. Bis auf »Wozzeck«


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und wenige Ausnahmen von Hofmannsthal oder Oscar Wilde kenne ich nicht ein einziges Opernlibretto, das in die Nähe eines Fünfzeilers von Heine, Goethe oder Eichendorff käme. Ich kenn’ keins! Auch nicht die hochgelobten Da-Ponte-Opern von Mozart. Ich ertrage sie kaum noch, da ist nicht eine Zeile drin, die mich wirklich bewegt. Deswegen interessiert mich die Kunstform Oper auch so wenig. Dann bleiben wir doch beim Liederabend und sprechen über die Zusammenarbeit mit Pianisten. Bei der Residenz an der Elbphilharmonie sind Sie mit verschiedenen Pianisten zu erleben, mit Alexander Lonquich und Ihrem Langzeitpartner Malcolm Martineau. Welchen Einfluss haben die auf Ihren Gesang, singen Sie anders mit unterschiedlichen Pianisten? Ich singe an jedem Abend anders! Ich bin ein WenigProber, deswegen schätze ich die langjährige Zusammenarbeit mit Pianisten – bei Malcolm Martineau reden wir da von mittlerweile fast 20 Jahren. Ich probe ja nicht, um eine Form zu finden, die ich für richtig halte, um sie dann zu replizieren. Mich interessiert der Moment, und da spielt Durchlässigkeit eine wichtige Rolle – darauf muss man sich einlassen, damit man den Moment überhaupt spürt. Ich beschäftige mich mit einer Literatur, die mir nahegeht. Von der bin ich berührt, aufgewühlt oder bewegt. Mein Singen ist dann das Erzählen von meinem Bewegtsein. Und das ist jeden Tag ein anderes. Ich habe mittlerweile bestimmt über 50 Mal die »Winterreise« gesungen – und jedes Mal war ich an einem Ort, an dem ich vorher noch nie war, an einer Textstelle, die ich völlig anders erlebt oder gespürt habe. Das macht es für mich so spannend: Ich will nichts darüber wissen, ich will etwas

»Ich weiß vorher nicht, was da kommt – und muss spontan darauf reagieren.«

Langzeitpartner: Malcolm Martineau und Florian Boesch

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Neues darüber entdecken. Insofern ist das, was der Pianist spielt, unglaublich wichtig, weil ich vorher nicht weiß, was da kommt – und ich spontan darauf reagieren muss. Diese Gegenwärtigkeit im Singen, nirgendwo anders zu sein, als hier und jetzt – darum geht’s im Liedgesang. Hat es einen Vorteil, dass Sie als Residenzkünstler wie jetzt an der Elbphilharmonie mehrere Programme gestalten können und nicht nur eines wie sonst als Gastkünstler üblich? Ich gebe Ihnen das plakativste und klarste Beispiel: Ich brenne für Ernst Křeneks »Reisebuch aus den österreichischen Alpen«, das ich für einen der bedeutendsten Liedzyklen überhaupt und sicher des 20. Jahrhunderts halte. Aber das Publikum reagiert immer noch angstvoll, wenn es diesen Namen auf dem Programmzettel liest, weil es den späten Křenek mit der atonalen Musik im Ohr hat. Dabei ist das »Reisebuch«, 1929 entstanden, ein Manifest dafür, dass man selbst in der Schönberg-Doktrin noch eine tonale, individuelle Klangsprache entwickeln konnte. Wann immer ich eine Residenz habe, will ich diesen Zyklus singen. Und wenn er von zum Beispiel Haydns »Jahreszeiten« oder Schumanns »Das Paradies und die Peri« mit Simon Rattle flankiert wird, dann lässt er sich auch besser verkaufen. Sie singen im Rahmen der Residenz auch Bach-Kantaten mit Il Pomo d’Oro, einem Ensemble der historischen Aufführungspraxis. Macht es für Sie als Sänger einen Unterschied, ob Sie mit einem traditionellen oder einem Originalklang-Orchester musizieren? Nein. Schlecht sind nur alle Orchester, die der Ansicht sind, dass sie wissen, wie es geht! Und zwar alle – egal, ob es die traditionsreichsten modern klingenden oder ›


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die traditionsreichsten historisch informierten sind. Die Bedingung für Qualität, für Wachheit, für Durchlässigkeit liegt nur in der Flexibilität, in der Offenheit und dem Interesse an Gegenwart.

»Nein, man muss nichts ändern! Man muss es nur besser machen, ehrlicher, interessanter!«

KAMMERMUSIK UND LIED Fr, 22.10.2021 Elbphilharmonie Kleiner Saal Mitglieder des Artemis Quartetts Alexander Lonquich (Klavier) Florian Boesch (Bassbariton) »Auf den Saiten zu singen« – Franz Schubert und Robert Schumann in Lied und Kammermusik BACH-KANTATEN Di, 18.1.2022 Elbphilharmonie Großer Saal Il Pomo d’Oro Anna Prohaska (Sopran) Florian Boesch (Bassbariton) Kantaten von J. S. Bach und Buxtehude DAS PARADIES UND DIE PERI Mi, 23.2.2022 Elbphilharmonie Großer Saal Staatskapelle Berlin, Chor der Staatsoper Unter den Linden Berlin, Sir Simon Rattle Solisten: Lucy Crowe, Anna Prohaska, Anna Lapkovskaja, Andrew Staples, Florian Boesch Robert Schumann: Das Paradies und die Peri op. 50 LIEDERABEND Do, 5.5.2022 Elbphilharmonie Kleiner Saal Florian Boesch (Bassbariton) Malcolm Martineau (Klavier) Ernst Křenek: Reisebuch aus den österreichischen Alpen op. 62 DIE JAHRESZEITEN Mi, 25.5.2022 Elbphilharmonie Großer Saal Orchester des 18. Jahrhunderts, Cappella Amsterdam, Nicolas Altstaedt Solisten: Christina Landshamer, Ian Bostridge, Florian Boesch Joseph Haydn: Die Jahreszeiten Hob. XXI / 3

In Ihrem Kammermusikabend mit Mitgliedern des Artemis Quartetts und Alexander Lonquich stellen Sie Lieder von Schubert und Schumann neben deren Kammermusik. Und auch in Ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit der Musicbanda Franui setzen Sie das klassische Kunstlied in einen anderen Kontext. Muss das Publikum manchmal aus seiner Erwartungshaltung geschubst werden, brauchen wir diesen Perspektivwechsel? Zunächst einmal bin ich als Liedsänger ein brennender Verfechter der Originalform: Ich halte den klassischen Liederabend für völlig ausreichend. Ich bin auch absolut kein Fan davon, daran irgendetwas zu ändern, nur um sagen zu können: Wir müssen mal was anders machen. Nein, muss man nicht! Man muss es nur besser machen! Ehrlicher machen! Es interessanter machen! Wenn ich andere Formate ausprobiere, hat das für mich ganz viel damit zu tun, mit wem ich das mache. Glauben Sie mir, mit einer Musicbanda wie Franui einen Liederabend zu gestalten, ist ein spannender, interessanter und inspirierender Prozess. Das erlaube ich mir, um es selbst erleben zu dürfen. Im Gegensatz zu den meisten Ihrer Kollegen sind Sie in der digitalen Welt kaum präsent, es scheint fast, dass Sie sich den sozialen Medien völlig verweigern – oder täuscht der Eindruck? Instagram ist das absolut Böse! Facebook ist das absolut Falsche! Ich kann gar nicht sagen, wie verheerend ich das alles finde. Das ist meine persönliche Einschätzung, obwohl ich weder ein Technologie- noch ein Kulturpessimist bin – und natürlich akzeptiere, dass meine Gesangsstudierenden eine digitale Präsentation brauchen, mit der ich nichts mehr anfangen kann. Obwohl ich es nicht will, muss ich mich also zwangsläufig damit auseinandersetzen. Aber was da gerade in dieser unserer Welt im Zusammenhang mit sozialen Medien passiert, ist ein totales Drama, in dem die größten Demokratien manipuliert und die einzelnen Individuen zu Konsumsoldaten erzogen werden. Und nicht zufällig habe ich Instagram an erster Stelle genannt, denn es schreit nach der gefakten Oberfläche als der bedeutendsten Kategorie der Existenz. Das ist der »Niederbruch des Lebenswerts«, wie es Křenek in seinem »Reisebuch« nennt: »die Verpöbelung des Menschen«.


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DIE KUNST DER STRAẞE


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Wie lernt man Jazz? Akademien sind eine gute Möglichkeit. Aber wirklich wichtig ist etwas ganz anderes. VON TOM R. SCHULZ

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FOTO GIUSEPPE CARDONI

ing Louis Armstrong als Kind in New Orleans auf eine Spezialschule für Musik? Hat er an so etwas wie einer amerikanischen Frühversion von »Jugend musiziert« teilgenommen? Durchlief er gar eine akademische Musikausbildung? Die wäre ihm zu Zeiten schärfster Rassentrennung in den Südstaaten der USA allenfalls an einem für Schwarze bestimmten Institut erlaubt gewesen, sofern es dergleichen in New Orleans damals schon gab. Aber Jazz hätte er dort kaum gelernt, denn Jazz war damals ja gerade erst geboren. Er kam so ungefähr um 1900 zur Welt, wie Louis Armstrong. Satchmo lernte seine Kunst also nicht auf der Schulbank, sondern auf der Straße, bei den Blaskapellenparaden in der Second line, bei den fidelen Trauerfeiern des Südens. Ältere Musiker spielten mit ihm und zeigten ihm ihre Tricks. Er hörte zu, er ahmte nach und machte daraus etwas Neues, Eigenes, nie zuvor Dagewesenes. Wie Louis Armstrong, der erste Weltstar des Jazz, lernten auch die meisten anderen großen afroamerikanischen Künstlerinnen und Künstler aus der Ära des Swing bis hinein in den Bebop das Wesentliche ihrer Kunst voneinander. Fernab jeder Akademie. Wer heute im Jazz etwas werden will, scheint an gepflegter musikalischer Früherziehung, an engagierter Mitwirkung in der Schulbigband und anschließendem Jazz-Studium kaum mehr vorbeizukommen. Jazz, diese elektrisierende, überschäumende Straßenkunst von einst, ist längst zu einem Hochschulfach geworden, mit Bachelor- und Masterabschlüssen und sogar Promotionsmöglichkeiten. Skalen und Akkordverbindungen

bosseln. Soli der alten Meister transkribieren. Ein paar Hundert Standards aus dem »Real Book« draufhaben. Neue Akkorde zu alten Melodien finden oder umgekehrt. Das eigene Instrument immer besser kennenlernen. Am Sound arbeiten. Viel andere Musik hören. Sich in den diversen Rollen erproben, die sich im Ensemblespiel ergeben. Komponieren. Andere Instrumente ausprobieren. Vor allem: Das Rhythmische immer besser verstehen, die Bewegungsenergie, die im Jazz der Ahnen vor allem aus diesem Schaukel-Drive bestand, der die Leute zum Fingerschnippen und Fußwippen bringt – ohne den Swing, diese uralte rhythmische Zauberformel, ist alles nichts im Jazz. Und, allerwichtigstes, allerschwierigstes Lernziel: Man selber werden beim Improvisieren. Der Jazz ist ein Museumsdorf. Alle Stile seiner über hundertjährigen Geschichte – Oldtime, Swing, Bebop, Cool und so weiter – werden an vielen Orten der Welt hingebungsvoll von darauf spezialisierten Ensembles gepflegt und gespielt. Manche nähern sich dem alten Werk auf Filzpantoffeln, andere gehen kecker damit um. Der Jazz ist aber auch Abenteuerspielplatz, Hexenküche, Chemielabor. Manchmal bleibt die Küche kalt, und

es kommt jahrelang nichts Neues. Dann wieder sind da und dort Alchemisten am Werk, die den alten Wein in neue, betörende Elixiere verwandeln und den Swing in eine ekstatische Offenbarung.

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ie Berklee School of Music in Boston hat im vergangenen Jahr ihr 75-jähriges Bestehen gefeiert. Sie war weltweit die erste ihrer Art und gilt vielen bis heute als das Nonplusultra aller Jazzakademien. In Deutschland standen bis vor 40 Jahren die Musikhochschulen von Weimar und Köln mit ihren Jazzstudiengängen noch allein auf weiter Flur. Inzwischen hat, wer später mal was mit Jazz machen will, die Wahl unter 51 Studiengängen an 20 Hochschulen, von Leipzig bis Saarbrücken, von Weimar bis Trossingen, von Nürnberg bis Hamburg, private Institute nicht mitgezählt. Die Landesmusikräte der deutschen Bundesländer übertreffen sich gegenseitig mit Förderangeboten. Sie richten Wettbewerbe und Ferienkurse aus und unterhalten eigene Jugendjazzorchester. Und ab und zu kommt ein Konzerthaus wie die Elbphilharmonie um die Ecke und denkt sich ein neues Weiterbildungsangebot wie die ›

Allerwichtigstes, allerschwierigstes Lernziel im Jazz: Man selber werden beim Improvisieren.


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Jazz Academy aus. Eine Masterclass, bei der Ende August eine Woche lang 15 junge Solistinnen und Solisten aus ganz Europa in der Elbphilharmonie aufeinander losgelassen werden, ausgewählt unter Hunderten und kreativ angeleitet von international erfolgreichen Dozentinnen und Dozenten. Fächer: Trompete / Posaune, Saxofon, Klavier, Bass, Schlagzeug, Komposition. Abschlusskonzert im Großen Saal inbegriffen. Die Akademisten haben alle studiert oder studieren noch. Das Coronajahr war für die meisten von ihnen das reine Grauen. Die Hochschulen waren geschlossen, die Clubs auch, Bläser waren als vermeintliche Aerosolschleudern zu besonderem Stillschweigen verurteilt. Jazz aber lebt vom Zusammenspiel, vom gemeinsamen Ausprobieren und Weiterentwickeln, auch vom Abhängen nach einem Konzert und dem mal fachlichen, mal nicht so fachlichen Austausch untereinander. Nichts davon ging unter Corona und so mancher wird sein Instrument Tag für Tag stundenlang ganz für sich allein im Kämmerlein geübt und sich ansonsten von früh bis spät JazzVideos auf YouTube reingezogen haben. In den Tiefen dieser gigantischen Orbital-Garage fürs bewegte Bild lagern neben fachkundigen Anleitungen zur Kunst des EyelinerAuftrags, zum akkuraten Anbringen einer Ikea-Jalousie oder zur Optimierung des Ernteertrags im Hochbeet auch unfassbar viele Videos, in denen Jazzmusikerinnen und -musiker ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Derlei Aufnahmen, oft handgemacht und wenig glossy, dürften von Debütanten wie Fortgeschrittenen in der Kunst der Improvisation generell mit mehr Fleiß und Gewinn rezipiert werden als manche Dozen-

Wer gut werden will in dieser Kunst, braucht Durchlässigkeit für feine Strömungen, Richtungsänderungen, Perspektivwechsel.

ten-Vorlesung in Interpretationskunde, Jazztheorie oder Jazzgeschichte an der heimischen Musikhochschule.

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abei verdanken sich die besten Videos oft solchen Lehrsituationen. Was etwa Michael Brecker im krisseligen Mitschnitt eines Gastauftritts vor Studenten in Kentucky im September 1998 über seine ÜbeRoutinen erzählt (immer alles in allen Tonarten!), über selbst gestellte Aufgaben und sein anfangs offenbar gar nicht so dolles Rhythmusgefühl, dürfte Nachwuchs-Saxofonisten, die Brecker als Hausgott auf ihrem Altar der Vorbilder stehen haben, dazu anspornen, jetzt mal wieder besonders gründlich an ihrer eigenen Time zu arbeiten. Joe Lovano demonstriert vor Studenten in Berklee auf seinem Tenor, dass der Verlauf einer Improvisation entscheidend davon bestimmt wird, ob man ihr ein Viertel-, Halbe- oder Ganze-NotenFeeling unterlegt, und wie vollkommen unterschiedlich die Linien sind, die dabei jeweils herauskommen. Steile These: Wer nur genug erstklassige Videos dieser Art guckt und all die Tipps und Anregungen aufnimmt und ins eigene Spiel integriert, wird am Ende kein schlechterer Jazzer als ein Berklee-Absolvent. Technisch mag das zutreffen. Doch selbst das athletischste Trockenschwimmen nützt wenig im Ernstfall

ELBPHILHARMONIE JAZZ ACADEMY Sa, 28.8.2021 Elbphilharmonie Großer Saal Abschlusskonzert mit den Dozenten Yaron Herman, Melisa Aldana, Theo Croker, Julia Hülsmann, Matt Brewer und Ziv Ravitz sowie den Teilnehmern der Elbphilharmonie Jazz Academy

Meer. Jazz verändert sich in dem Augenblick, in dem andere mit ihren Instrumenten dazukommen. Wer gut werden will in dieser Kunst, braucht offene Ohren, Durchlässigkeit für feine Strömungen und Richtungsänderungen, auch die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Was, wenn das zu Hause tausendmal Geübte jetzt plötzlich gar nicht passt? Wenn alle Licks ins Leere laufen? Im Jazz zählt die spontane Erfindung, die Abweichung, nicht das Vorgefertigte. Wie Michael Brecker in Kentucky einem Studenten sagt: »Du hast das Solo von Vincent Herring selber transkribiert? Super. Und du hast es tierisch gut gespielt. Aber weißt du was? Lieber hätte ich dein eigenes Solo gehört.« Im Jazz war es immer so, dass die Jungen nicht nur von den Alten gelernt haben, sondern mit ihnen. Und sie alle wissen: Die größte und beste Lehrerin ist und bleibt die Bühne. Sie ist der Ort, an dem beim gemeinsamen Musikmachen Intellekt und Intuition, spontane Impulse und Interaktion zusammenkommen – müssen. In jedem Augenblick, immer wieder neu, und deshalb unwiederholbar.

M WEITERE SPANNENDE BEITRÄGE RUND UM DEN JAZZ GIBT ES IN DER MEDIATHEK UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE / MEDIATHEK


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SCHRITT FÜR SCHRITT

Wie ein außer Rand und Band geratener Filmstreifen sind diese Collagen angeordnet: Nicht nur neben-, sondern auch übereinander, sich überlappend und umrahmend stehen hier die Bilder. Die Richtung aber bleibt stets klar: Es geht vorwärts, ausgehend vom Blick aufs Wasser und auf den Horizont, zur Elbphilharmonie, zur Musik, zum Publikum – Schritt für Schritt in die Zukunft. COLL AGEN MARTIN VENEZKY









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ENGAGEMENT


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WIR SIND FANS Der Unternehmer Ansgar Ellmer und seine Frau Michaela Schombier wissen genau, warum sie sich für die Elbphilharmonie engagieren.

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nsgar Ellmer: Wir durften heute Abend tatsächlich beim Wiedereröffnungskonzert der Elbphilharmonie dabei sein! Ich bin ganz erfüllt und erleichtert, dass wir nach dem langen Lockdown endlich wieder ein Konzert besuchen konnten. Zu erleben, wie es vorwärts geht, und dann auch noch das Glück zu haben, beim ersten Konzert mit Publikum dabei zu sein, das ist ein echtes Gänsehauterlebnis. Ich musste vor lauter Freude sogar ein Tränchen unterdrücken. Streamings und Zooms, die wir in den vergangenen Monaten ausgiebig genutzt haben, können einfach nicht das Gefühl ersetzen, gemeinsam mit vielen anderen Menschen in einem Raum ein Kulturereignis zu teilen. Michaela Schombier: Ich habe den Abend auch sehr genossen, nach langer Zeit war das heute unsere erste große, gemeinsame Veranstaltung. Nicht nur aufgrund der Corona-Einschränkungen, auch durch unseren kleinen Sohn haben wir zurzeit nicht so oft die Gelegenheit dazu. Das Konzert hat mich sehr beeindruckt und berührt, diese unglaublich starken Stimmen, das tolle Orchester. Ich habe kein Problem damit, dass ein Konzertbesuch zurzeit noch etwas anders als gewohnt abläuft: Wir mussten die ganze Zeit Masken tragen, und die Gastronomie hat noch nicht geöffnet. Das Live-Erlebnis macht für mich diese Einschränkungen wett. Ansgar Ellmer: Ich bin der Elbphilharmonie von Anfang an sehr verbunden und habe bereits im Jahr vor ihrer Eröffnung geschaut, wie ich mich engagieren kann. So habe ich mit meiner Firma eine Foyerstufe gestiftet. 2016 bin ich auch Stuhlpate geworden und habe einen Platz im Großen Saal übernommen. Mich hat überzeugt, dass mit meiner Zuwendung Projekte des Musikvermittlungsprogramms der Elbphilharmonie unterstützt werden. Es ist mir nämlich ein besonderes Anliegen, Kinder und Jugendliche zu fördern und ihnen musikalische Erlebnisse zu ermöglichen. Zu dem einen Stuhl sollen in Kürze noch ein zweiter für meine Frau sowie ein dritter für unseren Sohn Max Justus dazu kommen, der dann wahrscheinlich als jüngster Stuhlpate in die Elbphilharmonie-Geschichte eingehen wird (lacht). Michaela Schombier: Schließlich durfte er schon während der Schwangerschaft viel klassische Musik hören, auch wenn ja leider keine Konzertbesuche möglich waren. Wir wollen ihn auch bald zu Baby- und Kinderkonzerten mitnehmen, damit kann man gar nicht früh genug anfangen. Wir sind bereits jetzt viel mit ihm unterwegs.

Ansgar Ellmer: Mir wurde von meinen Großeltern das Interesse an klassischer Musik in die Wiege gelegt. Sie lebten damals in Berlin und waren der Berliner Philharmonie sehr verbunden, was sich auf mich übertragen hat. Die ganz große Begeisterung hat aber erst die Elbphilharmonie in mir entfacht. So gehören für mich die Gastspiele der Berliner Philharmoniker in der Elbphilharmonie zu den großen Konzert-Höhepunkten, da stimmte einfach alles. Ein überwältigendes Erlebnis war natürlich auch das Eröffnungskonzert im Januar 2017, auch wenn ich mit dem teilweise recht modernen Programm etwas gefremdelt habe. Meine beiden Großmütter – heute 90 und 95 Jahre alt – haben mich begleitet, und was soll ich sagen: Sie waren restlos begeistert – von dem Bauwerk und von der Musik! Mehrfach musste ich ihnen erklären, dass man die Stockwerke auf den entkernten Kaispeicher aufgesetzt hat, sie wollten es einfach nicht glauben. Meine Hamburger Großmutter hat noch das im Zweiten Weltkrieg zerbombte Hamburg miterlebt. Für sie war es sehr berührend zu sehen, dass an so zentraler Stelle ein neues, imposantes Konzerthaus entstanden ist. Michaela Schombier: Die Architektur ist wirklich gelungen. Egal, wo man sich gerade aufhält, die Aus- und Einblicke sind schön und einzigartig. Auch die Aufteilung der Plätze gefällt mir, selbst in einem vollbesetzten Saal fühle ich mich nicht beengt. Man muss die Elbphilharmonie wirklich gesehen und gehört haben – und sollte immer auf die Details achten, denn das lohnt sich. Ansgar Ellmer: Als Hamburger Jung und passionierter Segler zieht es mich immer wieder ans Wasser. Ich bin mit meiner Firma in die HafenCity gezogen, weil es mich fasziniert, dass hier ein neuer, spannender Stadtteil direkt an der Elbe entstanden ist, der auch heute noch viel in Bewegung ist. Toll ist natürlich auch, dass es vom Büro bis zur Elbphilharmonie nur ein Katzensprung ist – besser geht es doch nicht! AUFGEZEICHNET VON CL AUDIA SCHILLER FOTO CHARLOTTE SCHREIBER

i ZUKUNFT BRAUCHT PLATZ

Stuhlpaten machen Visionen möglich – zur Jubiläumssaison 2021 / 22 können ab dem 1. September 2021 wieder Stuhlpatenschaften übernommen werden. INFO UNTER WWW.STIFTUNG-ELBPHILHARMONIE.DE / STUHLPATENSCHAFT


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DER SCHATZ DER ERFAHRUNG


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Jordi Savall überwindet mühelos die Jahrhunderte – demnächst in Hamburg etwa die zwischen französischem Barock, Beethoven und unserer Gegenwart. VON RENSKE STEEN

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rgendwo dürfte Jordi Savall eine Garage besitzen, vielleicht in Bellaterra, jenem Vorort von Barcelona, der auch die Heimat seines vor mehr als zwanzig Jahren gegründeten Labels Alia Vox ist. Und in dieser Garage, zwischen Regalmetern voll seiner Aufnahmen, Preise und Auszeichnungen, steht eine Zeitmaschine – es muss einfach so sein. Ein silbernes Gefährt mit Fluxkompensator wie aus »Zurück in die Zukunft«, das würde hervorragend passen. Allerdings nicht verbeult und abgewrackt wie das Modell am Ende der Filmreihe von Robert Zemeckis, sondern elegant und formvollendet, so wie Jordi Savall selbst. Seit fünf Jahrzehnten prägt der Katalane das internationale Musikleben. Das klingt lang und für manche vielleicht sogar ein bisschen verstaubt. Doch ist dieser Gambist, Dirigent und Musikforscher keinesfalls aus der Zeit gefallen, nur weil er mühelos die Jahrhunderte überwindet. Savall benutzt seine mutmaßliche Zeitmaschine nicht, um staunend durch die Musikgeschichte zu reisen und wie ein Tourist fremd scheinende Kulturen von außen zu betrachten. Nein, er gräbt sich geradezu ein, taucht ab, ist immer für neue Entdeckungen bereit. Derart neugierig zu bleiben, sich einen solch unverstellten Blick zu bewahren, ist eine hohe Kunst, die außerordentliche Sensibilität und Feinnervigkeit voraussetzt. »Nehmen wir einmal an, ich wüsste nicht, dass ich am 1. August 1941 geboren wurde«, erklärte Savall einmal. »Es würde sich für mich nichts ändern, weil ich mein Fühlen, meine mentale Kapazität, mein physisches Potenzial nicht an Zahlen festmachen kann. Was sich sagen lässt: Man ist jung, solang man noch Visionen hat und Kreativität.«

ERFAHRUNG UND ENTFALTUNG

Auf die richtige Perspektive kommt es also an. Beschäftigte man sich beispielsweise mit dem Opernkomponisten Claudio Monteverdi und dessen Neuentdeckung der Stimme um 1600, und könnte man dabei trotzdem Richard Wagners wortgewaltiges Musiktheater aus dem späten 19. Jahrhundert nicht vergessen: Dann nähme man doch eigentlich der Erfahrung bereits die Entfaltung vorweg. »Wenn wir Musik hören, fühlen wir die gleichen Emotionen, die die Menschen schon vor 100 Jahren beim Hören hatten.« Dieser Satz, den Savall in unterschiedlichen Versionen schon häufig geäußert hat, wirkt auf den ersten Blick logisch und nicht weiter strittig. Klar: Der 2. Satz aus Beethovens »Eroica« erinnert so sehr an einen Trauermarsch, dass die Musik schmerzvolle, traurige Gefühle hervorruft. Aber was wäre, wenn wir zum ersten Mal in unserem Leben einen Trauermarsch hörten? Würden wir auch dann zwangsläufig traurig werden? Oder würden wir diese Klänge womöglich als Schlaflied verstehen? ›


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J OR DI S AVA L L

Man sucht sich automatisch Bezugspunkte in bereits Gehörtem und Erlebtem. Der Erfahrungshorizont wächst im Laufe eines Lebens immer weiter und gehorcht meist keiner einheitlichen Richtung. Jordi Savall dagegen überlässt seinen Erfahrungshorizont nicht dem Zufall, sondern hütet ihn wie einen Schatz: Er wählt die Richtung, aus der er sich den Werken nähert, und lässt sich dann von der Musik selbst führen: »Musik ist eine Sprache, die nicht vom Intellekt geprägt ist – sie kommt durchs Fühlen. Nur wenn man etwas fühlt, kann man die Musik gut spielen.« Auf dieses Gefühl konnte sich Jordi Savall in seiner Musikerlaufbahn immer verlassen. So wechselte der ausgebildete Cellist früh auf sein erklärtes Lieblingsinstrument, die Viola da gamba, und er erkannte schon als Student, dass sein erstes Zuhause die Alte Musik sein würde. Gemeinsam mit seiner Frau, der 2011 verstorbenen Sopranistin Montserrat Figueras, gründete er 1974 mit Hespèrion XXI ein erstes eigenes Ensemble, das sich ganz auf die frühe Musik der iberischen Halbinsel konzentrierte. Eigens für die Interpretation mittelalterlicher geistlicher Musik riefen die beiden 1987 die Capella Reial de Catalunya ins Leben. Und kurz darauf mit Le Concert des Nations auch noch ein Kammerorchester, das auf Originalinstrumenten ein Repertoire vom Barock bis zur Romantik spielt.

»Musik ist eine Sprache, die nicht vom Intellekt geprägt ist – sie kommt durchs Fühlen.« Jordi Savall und Montserrat Figueras

EINE FRAGE DER RICHTUNG

Mit eben diesem Ensemble, Le Concert des Nations, hätte Savall bereits im vergangenen Jahr seinen Blick auf Beethovens Sinfonien in der Laeiszhalle präsentieren wollen. Und noch bevor die Pandemie diesem Projekt einen vorläufigen Strich durch die Rechnung machte, erklärte er: »Meine Herangehensweise wird anders sein, weil ich von der Musik Bachs oder Rameaus her zu Beethoven komme und nicht wie viele andere Dirigenten aus der entgegengesetzten Richtung: von Brahms oder Mahler. Aus dieser Perspektive könnte man ja leicht denken, Beethoven gehöre zum gleichen spätromantischen Stil. Aber das stimmt nicht.« Da wir nun aber unser Beethoven-Bild – stieseliger Wuschelkopf mit Hang zu inhaltlich stark aufgeladener Klangsprache – vor allem der Romantik zu verdanken haben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn uns Savall nun, da diese Konzerte nachgeholt werden, mit seiner Interpretation aus den Socken hauen könnte. »Es gibt in diesen Sinfonien einen unglaublichen Reichtum an Details, die davon erzählen, was von der Alten Musik bei Beethoven noch anzutreffen ist: das inegale Spiel etwa oder eine differenzierte Artikulation, wie sie sich nur auf Darmsaiten gut verwirklichen lässt.« Dieses erwähnte Prinzip der Notes inégales stammt aus dem Barock. Dabei werden eigentlich gleichwertige Noten nicht in gleicher Länge, sondern so unterschiedlich gespielt, dass ein tänzerischer, swingender Eindruck entsteht – für die Musikerinnen und Musiker von Le Concert des Nations eine Selbstverständlichkeit, wie auch die im Ensemble obligaten Darmsaiten, die einen wunderbar warmen und differenzierten Klang haben, aber so wartungsintensiv und anfällig sind, dass sie auf modernen Instrumenten nicht mehr zum Einsatz kommen. All dieses Wissen kann man nur haben und vor allem optimal einsetzen, wenn man Beethovens Musik aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet – von ihrer Entstehungszeit her. »Dann sieht man auch, was bei Beethoven neu ist«, erklärt Savall: »Die Benutzung von Bogenstrichen und eine zuvor unübliche Artikulation mit Akzenten, heftigen Kontrasten, plötzlichen Dynamikwechseln.« Die umstrittenen Metronom-Angaben, die von Beethoven selbst stammen sollen – Savall hält sich dran und findet sie keineswegs viel zu schnell. Und noch einen wichtigen Punkt betont Savall: »Haydn komponierte 107 Sinfonien, Mozart 41, Beethoven nur neun – jede davon eine Revolution, ein Neustart. Und er schrieb nicht für eine Elite wie Haydn oder Mozart, er schrieb für die Menschen. Beethoven versuchte in seiner Musik eine sehr direkte Sprache, und wenn man wie ich und meine Musiker vom Barock kommt, ist jeder Takt, jede Phrase überraschend.«


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Beethoven aus Richtung Bach: Jordi Savall mit Le Concert des Nations

ALLE WINKEL DER WELT

Die Neubeschäftigung mit Bekanntem prägt Savalls Arbeit ebenso sehr wie die unvoreingenommene Ausein­ andersetzung mit Unbekanntem. Und stets nimmt er die Menschen von heute in den Blick, wenn er in der Ver­ gangenheit gräbt. Kein musikalischer Winkel dieser Welt scheint ihm dabei zu fern zu sein: Er beschäftigte sich mit der Musik von Wüstenbewohnern aus Afrika und Asien, erforschte Klangtraditionen von südamerikanischen indigenen Völkern und brachte sie zusammen mit lokalen Instrumentalisten und seinen eigenen Ensembles auf die Bühne. 2016 bewegten ihn die immensen Flüchtlingsströme, er besuchte Lager in Calais und Thessaloniki und fand: »Was mit den Flüchtlingen in Europa passiert, ist skanda­ lös. Das geht gegen alles, was Europa in solchen Hilfe­ fällen eigentlich leisten müsste.« Mit seinem Ensemble Hespèrion XXI, in dem mittlerweile viele Mitglieder aus Syrien, Griechenland, Marokko und der Türkei stammen, organisierte er Hilfskonzerte mit südeuropäischer Musik aus dem 14. Jahrhundert, die deutliche Gemeinsamkeiten mit der Musik aus den orientalischen Herkunftsländern der Flüchtlinge aufweist.

lebt und von seinem aufstrebenden, ihm ganz und gar gegensätzlichen Schüler Marin Marais in seinem fest­ gefahrenen Weltbild erschüttert wird. Savall wählte für diesen Film Werke von François Couperin, Jean-Baptiste Lully sowie natürlich von den ­beiden Protagonisten aus – und das mit einem solchen Fingerspitzengefühl und intimen Verständnis, dass wohl schon damals seine ominöse Zeitmaschine im Spiel gewesen sein muss. Wie auch immer: Wenn er dieses be­ rühmte Programm nun aus der Garage holt, um es pünktlich zum fünfjährigen Jubiläum der Elbphilharmonie nach Hamburg zu bringen, dann können wir sicher sein, dass es wieder klingen wird, als entstünde diese Musik im Augenblick zum ersten Mal.

ALLE MORGEN DER WELT

So, 10.10.2021 Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

Seinen größten Erfolg vor breitem Publikum feierte Jordi Savall vor genau dreißig Jahren im Kino: mit dem Film »Die siebente Saite« (»Tous les matins du monde«) des Regisseurs Alain Corneau. Eigentlich hatte Savall keinerlei Erfahrungen mit Filmproduktionen, doch er erkannte rasch, dass dieses Projekt nicht nur ein Musikfilm, sondern ein Film über Musik sein sollte. Es geht um die Geschichte des Gambisten Monsieur de Sainte-Colombe aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der als Witwer zurückgezogen und verbittert auf dem Land nahe Paris

BEETHOVEN-ZYKLUS Laeiszhalle Großer Saal Le Concert des Nations Jordi Savall

So, 17.10.2021 | 11 Uhr Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 So, 17.10.2021 | 20 Uhr Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125

TOUS LES MATINS DU MONDE Fr, 14.1.2022 Elbphilharmonie Kleiner Saal Jordi Savall, Lorenz Duftschmid,­­ Rolf Lislevand, Pierre Hantaï Werke für Viola da gamba, Theorbe und Cembalo von Marin Marais, François Couperin, Jean-Baptiste Lully und Monsieur de Sainte-Colombe


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UMGEHÖRT

MUSIKALISCH Musik beginne dort, wo die Sprache endet, heißt es. Bei Harbour Front Sounds finden beide auf einer Bühne zusammen. Wir haben ein paar Autoren gefragt, wie Musik und Literatur einander bereichern können.

SIMONE BUCHHOLZ

Musik füttert mein Schreiben, treibt mich an, füllt meinen Beat mit Gefühl, ganz einfach, weil ich beim Schreiben fühle, indem ich höre: Es dauert manchmal eine Weile, bis ich den passenden Song zu einem Text – Miniatur, Essay oder Roman – gefunden habe, aber wenn er dann bei mir ist, höre ich ihn auf repeat, so dicht an meinem Gehirn wie möglich, also über Kopfhörer. So formt eine bestimmte Komposition mein Schreiben. Jedem meiner Romane ist der Text des jeweiligen Songs voran gestellt, als kleiner Dank und als Verneigung. Das ist aber nur die pragmatische Musikals-Werkzeug-Variante, oft ist es noch viel grundsätzlicher: Kunst ist für mich immer interdisziplinär, wir alle bilden die Gruppe derer, die am Lagerfeuer von dem erzählen, was einer Gesellschaft widerfahren ist. Das geht nur gemeinsam. Und wenn ich mal nicht weiter weiß mit einer Stimme oder einer Figur, dann treffe ich mich mit einem Musiker auf ein Bier an der Elbe und rede. Danach weiß ich, was zu tun ist, zum Beispiel: mehr Bass.

DANIEL SPECK

Seit sieben Jahren schreibe ich Romane statt Drehbücher. Und irgendetwas fehlt. Nein, nicht die Bilder. Wenn man nur Sprache zur Verfügung hat, um eine Geschichte zu erzählen – keine Kamera, keine Schauspieler, kein Orchester –, erzeugt man immer noch Bilder im Kopf. Auch die Charaktere kann ein Roman zum Leben erwecken. Aber Musik entzieht sich der Sprache – und dafür liebe ich sie. Deshalb laufen in meinen Romanen immer Songs aus dem Radio. Oder jemand singt. In »Jaffa Road« sind es zwei Lieder über Jerusalem, gesungen von einer israelischen und einer palästinensischen Familie, kurz nach dem Sechstagekrieg 1967: »Yerushalayim shel zahav« und »Al-Quds Al-Atika«. Besser kann man die widersprüchlichen Gefühle für einen Ort kaum beschreiben. Das Spannendste aber ist das Schweigen zwischen dem einen und dem anderen Lied. Darin liegt die brennende Frage, die mich beim Schreiben begleitete: Wie können zwei Völker, die dasselbe Stück Land Heimat nennen, zu einer gemeinsamen Erzählung finden?

ANDREAS KOSSERT

Flucht ist Menschheitsgeschichte, leider auch im 21. Jahrhundert. Menschen, die ihre Heimat gegen ihren Willen verlassen müssen, können kaum etwas Materielles mitnehmen. Aber sie können ihr unsichtbares Gepäck retten, das von unschätzbarem Wert ist: Rezepte aus der alten Heimat etwa helfen vielen über das Heimweh hinweg. Für einen Augenblick ersteht die alte Welt wieder neu, über den Geschmack und den Duft. Genauso ist es mit der Musik. Es hilft, den Verlust zu verarbeiten, wenn man über Heimweh und Trauer singt. Zugleich verleiht Musik neue alte Identität, baut eine Brücke in die zurückgelassene Welt. Deshalb war mir Musik aus Kulturen, die einen kollektiven Heimatverlust erlebt haben, für mein Schreiben wichtig. Sie hat mir Ohren und Sinne geöffnet, um den kulturellen Reichtum zu verstehen, den Flüchtlinge aufgeben müssen. Musik lässt ihren ungeheuerlichen Verlust wenigstens erahnen.


UMGEHÖRT

PETER SLOTERDIJK

HARBOUR FRONT SOUNDS 9. bis 14.9.2021

Musik und Literatur brauchen sich fürs Erste nicht gegenseitig zu bereichern, weil beide Vollständigkeiten in sich sind, die keiner Ergänzung durch Äußeres und Anderes bedürfen. Jedoch ist der Musik immer schon etwas Sprachartiges eigen, auch wenn sie nicht Sprache ist, ebenso wie der Sprache etwas Musikartiges innewohnt, das sich im Spiel der Vokale und Konsonanten zeigt. Die beiden latenten Qualitäten sind der Verstärkung und Entfaltung fähig. Sie treffen sich am deutlichsten im Kultgesang, im Lied, im Hymnus, in der Oper.

Jedes Reden ist ein Gesang. Und der Gesang handelt: von sich selbst. Denn er klingt. Jede Sprache ist ein Gesang. Sie bildet eine Melodie. Die sich singt. Ob sie will oder nicht.

WOLFGANG NIEDECKEN

Jeder Mensch bildet einen SOUND. Ob er will oder nicht. Denn: Es entsteht ein Sound, wenn man ein Leben macht.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich zum ersten Mal Bob Dylans »Like A Rolling Stone« gehört habe. Ich war fünfzehn, und mit Gedichten konnte ich überhaupt nichts anfangen. Aber siehe da: Plötzlich wollte ich nicht mehr Bass in unserer Schülerband spielen, sondern solche Texte schreiben und singen wie der Typ mit der Sonnenbrille. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob mich Dylans Text auch dermaßen geflext hätte, wenn ich ihn nur gelesen hätte. Natürlich nicht. Denn Text und Musik bilden auf dieser Platte eine untrennbare Einheit. Man muss wissen, dass unser Begriff von Lyrik aus der griechischen Antike stammt: Es geht um die »zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung«, und erst nach Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern konnte Lyrik auch in geschriebener Form Verbreitung finden. Bis dahin war ihre Präsentation allein den fahrenden Sängern vorbehalten. Allen Ginsberg, der legendäre Beat-Poet und Verfasser des Poems »Howl« sagt, er habe geweint als er Bob Dylans Lied »A Hard Rain’s A-Gonna Fall« zum ersten Mal gehört habe. Vermutlich weil Musik das Unsagbare formulieren kann.

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Eine Kooperation der Elbphilharmonie und des Harbour Front Literaturfestivals mit 15 musikalisch-literarischen Programmen INFO: WWW.ELBPHILHARMONIE.DE ODER WWW.HARBOURFRONT-HAMBURG.COM

PETERLICHT

Wenn man über die Straßen geht. Wenn man den Rechner hochfährt. Wenn man am Bankautomaten steht. Wenn sich ein Lebenslauf ergibt. Soviel kann man sagen: Es gibt kein lautloses Leben. In allem ist Klang. In allem ist Krach. In jedem Atem ist Krach. In jeder Ungerechtigkeit. In jedem System. Ist Klang. Den man hört, wenn man hinhört. Ich wüsste nicht, wie ich lautlos wäre. Ich singe mich vor mir her. Es gibt einen Soundtrack, der mich umgibt, und der ich dann bin. Eine Schallwelle dringt in mein Ohr und verlässt als Sprache meinen Mund. Ich gehe durch die Straßen, ich gehe durch ein Leben (z. B. meins) und bin durchzogen von Schallwellen (oder sind es Sinnwellen?), die mich tragen. Ob wir wollen oder nicht: Wir sind der an ein Ohr und an einen Mund angehängte Rest eines Menschen.

LITERARISCH


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FLIEẞENDE KONTINUITÄT Mit seiner klassischen Musik hat Indien ein paar Jahrhunderte Vorsprung gegenüber dem Abendland. In der Reihe »Klassik der Welt« vertreten Aruna Sairam und Indrani Mukherjee die beiden Hauptströmungen dieser großen Tradition. VON STEFAN FRANZEN

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enn wir uns einmal darauf einlassen wollen, die eurozentrische Sicht- und Hörweise des Begriffs »Klassik« abzustreifen, dann kann uns ein Blick auf die Geschichte Indiens durchaus verblüffen: Die klassische indische Musiktradition ist tatsächlich weitaus älter als ihr westliches Pendant. Ihre zwei großen Hauptströmungen im Norden und Süden des Subkontinents schöpfen aus persischen und arabischen Quellen einerseits, aus hinduistischer Spiritualität andererseits. Und wollen wir bei unserer Betrachtung chronologisch vorgehen, sollten wir nicht mit der bei uns viel bekannteren hindustanischen Musik des Nordens ansetzen, sondern zunächst bei der in Südindien gespielten karnatischen Musik verweilen. Denn deren Grundregeln sind bereits in den religiösen vedischen Texten auf Sanskrit formuliert und gehen mindestens auf die Zeit des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurück. Man muss kein Altertumsexperte sein, um festzustellen: Da haben die Inder einen gewaltigen Vorsprung gegenüber dem Abendland. ERSTAUNLICHE GLEICHZEITIGKEIT

In ihrer Blütezeit im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wies die karnatische Hochkultur eine Dreifaltigkeit von Komponisten auf: Thyagaraja (1767 –1847), Shyama Shastri (1762–1827) und Muthuswami Dikshitar (1775 – 1835) schufen mit Hunderten von Werken einen Kanon für das auch heute noch gültige Repertoire, und sie haben erstaunlich gleichzeitig mit den drei Meistern der Wiener Klassik – Haydn, Mozart, Beethoven – gewirkt. Dem

Wiener Trio haben die indischen Meister voraus, dass sie als Heilige verehrt werden. So manch glühender Beethoven-Verehrer könnte da Protest anmelden. Doch für die Klangschöpfer der Trimuˉrti, der Dreifaltigkeit, gilt dies nicht nur im übertragenen Sinne: Sie haben ihre eigenen Schreine. Tatsächlich ist die gesamte karnatische Musik stets eingebettet in einen religiösen Kontext: Die Kritis, Andachtshymnen, die die Basis für einen Großteil der karnatischen Musik bilden, werden nicht nur im Tempel und auf der Bühne, sondern auch während der alltäglichen Aufgaben gesungen oder gesummt. Zwar hat die karnatische Musik auch herausragende Instrumentalisten hervorgebracht – unter ihnen etwa der Mandolinenspieler U. Shrinivas, der auf Peter Gabriels Real-World-Label veröffentlichte, oder der Elektro-Violinist L. Shankar, der auch für seine Arbeiten im Bereich des westlichen Rock und Jazz bekannt ist. Doch der vokale Strang bildet ohne Zweifel das Herzstück der karnatischen Musik. Denn im Gesang manifestiert sich am unmittelbarsten das indische Sprichwort: »Musik ohne Ornament ist wie ein Flussbett ohne Wasser.« Stets gibt es in den kompositorisch fixierten Stücken auch Raum für Improvisation. Für unsere Ohren hören sich diese Passagen an wie Girlanden, die zwischen den Tönen umherschweifen, ähnlich wie das etwa im amerikanischen Soul passiert. Unter diesem Aspekt ist es nicht nur eine flapsige Laune der Kritiker, dass die Sängerin Aruna Sairam schon als »New Queen of Soul« bezeichnet wurde – ein Titel, den bisher Aretha Franklin innehatte. ›


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Aruna Sairam

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Indrani Mukherjee


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LIEBE, LEIDENSCHAFT, HINGABE

Aruna Sairam zählt heute zu den wichtigsten Vertreterinnen der karnatischen Vokalmusik. Sie ist verwurzelt in der Tradition der klassischen Gesangsschule, die sie bei herausragenden Gurus durchlief. Da sie als Südinderin aber in Mumbai aufwuchs, mischten sich in ihren Ohren von Beginn an die Klänge des Südens mit den urbanen Radio- und Straßensounds. Als sie in Chennai, dem Mekka der karnatischen Musik, mit über 40 Jahren dann endlich in unmittelbaren Kontakt zu den Wurzeln ihrer Vorfahren trat, hatte Sairam bereits eine ganz andere, weitere Perspektive und stieß in ihrem Bestreben, die Überlieferungen zu erneuern, auch auf Widerstände. Denn so tief Aruna Sairams Gesangskunst in den Überlieferungen gründen mag, sie schöpft ebenso aus Bollywood-Soundtracks und indischer Rockmusik. Mit ihrer kosmopolitischen Erfahrung, ihren weltweiten Tourneen als Hintergrund macht sie in ihrem künstlerischen Anspruch nicht Halt an den Grenzen Indiens: Sie ließ sich etwa schon auf einen Trialog mit der arabischen Sufi-Musik und der christlichen Gregorianik ein, hat ihre Vokaltechnik bei internationalen Gesangslehrern erweitert. Für die klassische Seite ihres Repertoires greift sie auf seltene Formen zurück, etwa das Padam, das ein besonderes Gewicht auf die Mimik des Tanzes legt, oder auf die seelenvolle Pilgermusik Abhang. Außerdem widmet sie sich dem Ragam-Tanam-Pallavi, der ausgefeiltesten karnatischen Gesangsdisziplin. Oft steht die karnatische Musik der hindustanischen nach, was die Komplexität und epische Ausschmückung des Tonvorrats eines Raga angeht. In dieser Form jedoch ist der Süden dem Norden ebenbürtig: Ein solcher Raga kann – ganz im Gegensatz zu den üblicherweise fünf- bis achtminütigen Kritis – auch mal eine Stunde dauern. Für Aruna Sairam steht Virtuosität, so wichtig sie sein mag, nicht an erster Stelle: »Die Schönheit der klassischen karnatischen Musik liegt in ihrem formalen Reichtum«, sagt sie. »Liebe, Leidenschaft, Hingabe, Bhakti – nenn es, wie du willst, es ist der ekstatische Ausdruck der tiefsten Gefühle, den diese Musik verkörpert.« Der Westen hat für diese große Gesangstradition längst auch seine eigenen Musiktempel geöffnet. Dafür steht eine bemerkenswerte Premiere in Aruna Sairams Karriere: Als erste Inderin in fast 120 Jahren gastierte sie 2011 bei den BBC Proms in der Royal Albert Hall.

Ragas sind nicht einfach Tonleitern wie bei uns. Sie sind musikalischer Ausdruck von verschiedenen Gefühlszuständen.

DAS EMPFINDEN DER JAHRESZEITEN

Während die karnatische Musik in der Glaubenswelt des Hinduismus wurzelt, ist die Musik Nordindiens in ihrer heutigen Form ein Resultat des Einflusses aus Persien und der arabischen Welt. Die Teilung des Subkontinents in zwei kulturelle Einflussbereiche begann im 13. Jahrhundert mit der Invasion muslimischer Eroberer und setzte sich mit der Herrschaft der Moguln bis ins 16. Jahrhundert fort. Musikalisch bedeutet dies, dass sich die neuen Einflüsse auf die älteren hinduistisch geprägten Klänge aufpropften. Das auch in Südindien existente RagaSystem bildete sich hier nun zu einer bedeutend verfeinerteren Form heraus: Ragas sind nicht einfach Tonleitern nach unserem Verständnis, sie sind musikalischer Ausdruck von Gefühlszuständen, bilden das Empfinden von Tages- und Jahreszeiten, von Licht und Düften ab. Sie gewinnen Kontur durch die Art der Kombination der Töne, dadurch, wie zwischen ihnen mittels Glissandi vermittelt wird, ebenso durch den Gebrauch von Verzierungen und Mikrointervallen. Den Tonvorrat eines Ragas in kunstvoller Improvisation auszugestalten, von der langsamen Einleitung Alap bis zum rasanten, virtuosen Finale Jhala, ist für Instrumentalisten und Sänger gleichermaßen der Kern ihrer Darbietung. Das höchste Ziel einer Vorstellung ist es, dass der Raga sowohl für Ausführende wie auch für Zuhörer zum Vehikel für eine mystische Erfahrung wird. Durch die persischen und muslimischen Einflüsse hat sich mit dem Raga-System als Grundvokabular eine Vielfalt von Genres ausgeformt, die mal der strengen, mal der leichteren Klassik zugeordnet werden. GEFÜHLE AUS WEIBLICHER SICHT

Auf zwei der leichteren Genres spezialisiert ist Indrani Mukherjee aus Kalkutta, die derzeit zu den herausragenden Vokalistinnen der hindustanischen Klassik zählt. Mukherjee singt regelmäßig im staatlichen All India Radio und Fernsehen, tourt und lehrt weltweit und hat auch den Schritt hin zu Teamworks mit Jazzmusikern wie dem Trompeter Erik Truffaz getan. Sie stellt den Khayal und den Thumri in den Fokus ihrer Darbietungen, zwei Stile, die durch melodischen und improvisatorischen Reichtum gekennzeichnet sind. Mit ihrer flexiblen, tief empfundenen und zugleich hochvirtuosen Vokalkunst gestaltet sie diese traditionsreichen Vokalgenres in frischer, fast jugendlicher Ausprägung. ›


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INDRANI MUKHERJEE Do, 4.11.2021 | 18 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Apurba Mukherjee, Murad Ali »Evening Ragas«

Ein indisches Sprichwort lautet, Musik ohne Ornament sei wie ein Flussbett ohne Wasser.

ARUNA SAIRAM Do, 4.11.2021 | 20:30 Uhr Elbphilharmonie Kleiner Saal Vittal Rangan, J Vaidhyanathan, S V Ramani »Sparks from the Carnatic Hemisphere«

Was verbirgt sich nun hinter den Begriffen Khayal und Thumri, und warum werden sie der sogenannten »leichten Klassik« zugeordnet? Eine Analogie zur westlichen Welt sollte man hier eher nicht versuchen, denn Khayal und Thumri sind weitaus mehr als die Operetten der indischen Musikkultur. Der Khayal (wörtlich: Vorstellungskraft oder auch Meditation) ist durch die Begegnung der persischen mit der nordindischen Musik entstanden. Er war im 18. Jahrhundert an den Höfen der Moguln äußerst beliebt und gründet auf Liedformen mit Texten auf Urdu oder Hindi. Mit ihnen improvisiert die Sängerin auf der melodischen Grundlage des Raga und einem RhythmusSystem namens Tala. Ein Khayal »fließt« durch verschiedene Entwicklungsstufen von der langsamen Introduktion, die den Sängern die Entfaltung ihrer ornamentalen Fähigkeiten erlaubt, über eine auskomponierte Sektion bis zum schnellen Finale, in dem lautmalerische Silben den rhythmischen Aspekt des Geschehens in den Vordergrund stellen. Die Themen des Khayal sprechen von Liebe, die irdischen oder göttlichen Charakter haben kann, oder vom Lobpreis von Königen und Göttern; auch die bildreiche Reflexion der Natur ist ein Thema.

Zugänglicher, noch etwas leichter und romantisch-erotisch ist der Thumri, der vor allem in Mukherjees Heimat Kalkutta seit dem 19. Jahrhundert eine Blüte durch höfische Sängerinnen erfuhr, die die ersten indischen Diven waren. Die abstrakte Raga-Form steht beim Thumri im Hintergrund, tatsächlich können hier verschiedene Ragas in einem Stück vermischt werden, wenn es dem emotionalen Gehalt dient. Denn am wichtigsten ist die direkte, farbenprächtige und nahezu tänzerische Umsetzung von Gefühlen aus weiblicher Sicht. Trennung, Streit und Versöhnung, Begegnung des liebenden Paares, auch die Geschichte der Götter Krishna und Raˉma sind die Themen des Thumris, in dem sich mit Monsun-, Frühlings-, Sommer- und Ernteliedern auch der jahreszeitliche Zyklus spiegelt. Die indische Klassik, insbesondere ihre Vokalmusik, scheint wie ein nie versiegender Strom alle Zeiten zu überdauern. In fließender Kontinuität erneuert sie sich von Beginn an durch Befruchtungen aus benachbarten Regionen und Genres. Und ist doch immer stark genug, ihren Ausdruck nicht zu verwässern.


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100 Jahre Donaueschinger Musiktage: Das älteste Festival für zeitgenössische Musik ist noch immer deren wichtigstes Forum – und zeigt, dass die Avantgarde ihre Gettozeit hinter sich hat. VON VOLKER HAGEDORN

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ür Leute, die über Musik schreiben, ist Donaueschingen der Ironman unter den Festivals, ein Hawaii auf den Höhen des Schwarzwalds, von wo man nach drei Tagen komplett zerschlagen zurückkommt. Für das Publikum vom Alt-68er bis zum Millennial ist es vor allem eine so spannende wie einzigartige Veranstaltung in schöner Umgebung. Die Journalisten aber müssen ihre Eindrücke und Erlebnisse aus rund zwanzig Uraufführungen irgendwie auf die Reihe kriegen, auswählen, beschreiben, bewerten, Trends erkennen. Freitags abends erklingt der erste neue Klang; Montagfrüh bleiben dann maximal siebeneinhalb Stunden bis zum Redaktionsschluss – die aktuelle Weltbestzeit im Ironman. Schwimmen, Radfahren, Marathon, alles auf einmal. Man schwimmt im Unbekannten. Wer zum ersten Mal ein Stück für sechs vierteltönig gestimmte Flügel und Orchester hört, dessen Klänge wie schmelzendes Geröll ineinanderfließen, weiß ja nicht, wie ihm geschieht. Im Programmbuch mag »27 Minuten« stehen, aber ein Ufer ist nicht in Sicht und in diesem Fall weiter als die triathlon-üblichen 3,86 Kilometer entfernt. Man beginnt schon mit dem Radfahren und strampelt sich ab auf Touren durchs Hinterland der neuen Klänge, die es ohne die alten

»Limited Approximations« für sechs Flügel und Orchester von Georg Friedrich Haas (2010); »Triadisches Ballett« von Oskar Schlemmer (1926)

Paul Hindemith (2. v. r.) und sein Amar-Quartett (1922); Prinz Max zu Fürstenberg, der Sohn des Festivalgründers, mit dem Dirigenten Hans Rosbaud und dessen Frau (1953)

nicht gäbe, sucht unterwegs nach Bezügen und Modellen. Und ist zugleich schon im Marathon, von dem immer nur bekannt ist, welchem Stundenplan er folgt, aber nie, welche Strecke er nimmt. Zwar versuchen die Festivalleiter, einen solchen Verlauf ungefähr abzustecken, Schwerpunkte und Themen zu setzen. Aber eine Strecke, an der all die Werke liegen, gibt es nicht – sie ist fiktiv und doch bedeutsam, denn sie folgt dem Verhältnis der neuen Musik zu unseren Zeitläuften. Unterdessen legen wir in dem schönen Städtchen sowieso schon 42,195 Kilometer zurück, wenn auch von Konzert zu Konzert gehend zwischen den Donauhallen und der Baar-Sporthalle, dem Sternensaal, allerlei Außenposten und dem Fürstenschloss. DIE ANFÄNGE: FÜRSTLICHES BIER UND DER »URQUELL DER MUSIK«

Ohne das Schloss nebst Fürst gäbe es dieses erste und älteste Spezialfestival der Welt überhaupt nicht. Maximilian Egon II. zu Fürstenberg beschäftigte als Klavierlehrer einen Schüler von Hans Pfitzner, und dieser Heinrich Burkard rief 1921 unter fürstlicher Protektion die »Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst« ins Leben. Im Ehrenausschuss saßen neben Pfitzner die Komponisten Richard Strauss, Franz Schreker, Ferruccio Busoni und der Dirigent Arthur Nikisch. Unter den Komponisten, die insgesamt 630 Partituren einreichten, war ein 25-Jähriger, der schon ›


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Luigi Nono, Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen (1958); Hans Werner Henze mit der Sängerin Gloria Davy und der Dichterin Ingeborg Bachmann (1957)

Wolfgang Rihm (M.) und Mauricio Kagel (r.) (1982); Helmut Lachenmann

beim Schott Verlag publizierte und der Uraufführung von zwei Einaktern entgegensah: Paul Hindemith schickte gleich mehrere Werke. Man entschied sich für sein noch nicht gespieltes 3. Streichquartett. Hindemith, ein ausgezeichneter Geiger und Bratschist, stellte eigens für Donaueschingen ein Ensemble zusammen und schoss mit seinem Opus 16 den Vogel ab: Er verbinde die »Atonalität« mit »instinktiver Musikalität«, jubelte das »Karlsruher Tagblatt«; ein Berliner Kritiker sah sogar den »Urquell der Musik« wieder sprudeln. Nach den Verwüstungen des Krieges kam Hindemiths Vitalität besser an als Alban Bergs an Grenzen sinnende Klaviersonate von 1908. Auf jeden Fall startete man hochkarätig. Neben Berg und Hindemith waren auch Ernst Křenek, Philipp Jarnach und Alois Hába dabei, zu der Zeit noch auf der Suche nach den eigenen Wegen und hier nicht als radikale Neuerer auftretend, eher zurückgreifend. Um die »tollen Brüder Paul und Rudolf Hindemith«, den Bratschisten und den Cellisten des neuen Quartetts, bildete sich eine muntere Runde, man stritt fröhlich, trank das Spezialbier des Fürsten und ging im Park spazieren. Das kleine Festival – drei Konzerte an zwei Sommertagen – etablierte sich rasant. 1923 wurde der shooting star Hindemith selbst in den Arbeitsausschuss gebeten und ließ die Zweite Wiener Schule anrücken. Mit seinem AmarQuartett – das Ad-hoc-Ensemble hatte sich etabliert – spielte er die Uraufführung von Anton Weberns Opus 9, und Arnold Schönberg selbst dirigierte seine Serenade Opus 29.

Nach dem fünften Jahr zogen die expandierenden Neutöner aus Platzmangel um nach Baden-Baden, es gab Bühne und Ballett, Kurzopern von Darius Milhaud, Kurt Weills und Bert Brechts »Mahagonny« wurde als »Songspiel« aufgeführt, der Rundfunk kam dazu. Aber nach dem Börsencrash 1929 hatte der Kurort kein Geld mehr; in der Hauptstadt versandete 1930 der Festivalableger »Neue Musik Berlin«. Und als die Nazis an die Macht kamen, konnten sie in Donaueschingen nur noch die Marmortafel im Rathaus beseitigen, auf der man stolz der ersten fünf Jahre des Festivals gedachte. Fürst Egon wurde umgehend zum Bewunderer Hitlers und hätte darum die »entartete Musik« ohnehin kaum weiter beschirmt.


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DIE WILDEN JAHRE: SCHOCKS, TROTZ UND RADIKALE KLASSIKER

Welche Strahlkraft die Donaueschinger Anfangsjahre hatten, lässt sich einen Weltkrieg später im »Dr. Faustus« (1947) nachlesen. Thomas Manns fiktiver Tonsetzer Adrian Leverkühn schreibt unter anderem ein Werk für Kammerensemble, Sprecher und Sänger, »welche agierenden Puppen ihre Stimme leihen«. Diese »Gesta Romanorum« werden 1921 beim »ersten Musikfest zu Donaueschingen« uraufgeführt, »vor einem keineswegs unempfänglichen, ich möchte sagen: künstlerisch›republikanisch‹ gesinnten Publikum«. Vielleicht hatte Theodon W. Adorno, der dem Autor auch Schönbergs Komponieren mit zwölf Tönen erklärte, diesen Ort nahegelegt. Auch in der Realität kehrte man zu Ort und Aura des Aufbruchs zurück, so richtig allerdings erst 1950, nachdem die Währungsreform überstanden und der Chef der »Neuen Musik Donaueschingen«, der mit den Nazis kooperiert hatte, weggeschickt worden war. Nun kamen Orchester und Etat des Südwestfunks dazu und gewaltiger Nachholbedarf in Sachen Moderne. Es begann mit Hindemith, Honegger und Strawinsky, aber schon ein Jahr später erschien der erste junge Radikale, Pierre Boulez, der jeden Musiker »unnötig« fand, »der die Notwendigkeit der zwölftönigen Sprache nicht erkennt«, und darüber hinaus alles musikalische »Material« der Subjektivität entziehen wollte. Das hatte viel mit der historischen Situation zu tun und traf sich mit den Gedanken des aus dem Exil zurückgekehrten Philosophen Theodon W. Adorno. Dieser auch im musikalischen Diskurs maßgebliche Geist befand, »die Auseinandersetzung des Komponisten mit dem Material« sei »die (Auseinandersetzung, Anm.) mit der Gesellschaft«, und er unterschied zwischen »Fortschritt« und »Restauration« – sehr verkürzt gesagt. Jedenfalls ging es in Donaueschingen bald polarisierend zu. Hans Werner Henze, gleichaltrig mit Boulez, erinnert sich, wie 1957 seine Ver-

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tonung von Gedichten Ingeborg Bachmanns für Sopran und Orchester uraufgeführt wurde: »Nach den ersten Takten schon haben sich Pierre, Gigi und Karlheinz gemeinsam erhoben und sind rausgegangen.« Demonstrativ. Gigi war Luigi Nono, Karlheinz war Stockhausen, sehr verschiedene Typen, Nono an politischer Botschaft interessiert und Stockhausen an serialistischer Verfeinerung, während »Robespierre« Boulez sich schon wieder Freiheiten gestattete. Aber Traditionsverbundenes blieb verdächtig, und gern schockierte man – mit Adornos Segen: »Die Schocks des Unverständlichen (…) erhellen die sinnlose Welt.« Uraufführungsskandale wie 1913 in Wien und Paris konnte es allerdings kaum noch geben, weil die neue Musik (die komponierte, anders als die ebenfalls innovative Popmusik) nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft stattfand, selten in großen Häusern und umso regelmäßiger auf den Höhen des Schwarzwalds. Wohl auch deshalb schrieb sie sich nun trotzig mit großem N. Andererseits kam der Rundfunk als Auftraggeber und Multiplikator dazu, ebenso das Vinyl. Etwa die Schallplatte vom Label Wergo mit den mikropolyphonen »Atmosphères« von György Ligeti, 1961 uraufgeführt, die dem Filmregisseur Stanley Kubrick in die Hände geriet. Als Teil des Soundtracks von »2001: A Space Odyssey« wurde das Stück weltberühmt. Vergleichbar aufregende Partituren wurden mit einer Frequenz aus der Taufe gehoben, die den Nimbus von Donaueschingen stetig wachsen ließ. Boulez’ »Poésie pour pouvoir«, Pendereckis »Anaklasis«, Messiaens »Chronochromie«, Stockhausens »Punkte«, Ysang Yuns »Réak« – das ist nur eine winzige Auswahl an Klassikern der wilden Jahre bis 1966. DAS ORCHESTER: KERNKOMPETENZ FÜR AVANTGARDE

Wie viel Orchesterarbeit in solchen Produktionen steckt, vom Üben ganz zu schweigen, ist unvorstellbar. Als Großes Orchester des Südwestfunks 1946 gegründet und 70 Jahre später ins SWR Symphonieorchester überführt, spielt in Donaueschingen das weltweit einzige öffentlich ›

Ernest Bour (1973)

Hier wurden aufregende Partituren mit einer Frequenz aus der Taufe gehoben, die den Nimbus von Donaueschingen stetig wachsen ließ.


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finanzierte sinfonische Ensemble mit Kernkompetenz für Avantgarde, groß geworden gemeinsam mit der Neuen Musik. Natürlich müssen, wollen und können seine Mitglieder auch »Repertoire« spielen. Aber bei sechs, sieben Uraufführungen pro Jahr erschrickt man nicht mehr vor jedem Mikrointervall und vor Spielanweisungen, die den meisten Hochschulprofessoren noch heute kalten Schweiß auf die Stirn treiben. »Bis in die kleinsten Einzelheiten verstanden« fühlte sich Salvatore Sciarrino, das kompositorische Genie der Nuancen. Und als 1975 Helmut Lachenmanns »Schwankungen am Rand« gespielt wurden, eine Musik der Geräusche, Fetzen, Signale und Zitate, fand er sie plastischer, »als ich es seinerzeit ihr zugetraut hatte«. Dafür sorgte auch Ernest Bour, ein uneitler, penibler Chefdirigent, der zwischen 1964 und 1979 nicht weniger als 110 Uraufführungen dirigierte – einer der herausragenden Chefs, zu denen der glühende Pionier Hans Rosbaud (1948–1962) ebenso zählt wie jene drei Brüder im Geiste, denen von 1986 bis 2016 ein geradezu Goldenes Zeitalter dieses Orchesters gelang: Michael Gielen, Sylvain Cambreling und François-Xavier Roth. Dieses Orchester war stets – und ist auch in seiner heutigen Form unter dem Chefdirigenten Teodor

Sofia Gubaidulina; Aufführung ihrer »Stunde der Seele« (1992)

Currentzis – nicht nur Interpret, es ist auch Inspirator und durchaus kritisches Gegenüber der Komponisten. So erlebte es der 24-jährige Wolfgang Rihm, als er 1976 mit »Sub-Kontur« eingeladen wurde: »Mein Stück wird erst einmal vom Blatt durchgespielt. Schon im letzten Klang bricht Wutlärm aus, Noten fliegen durch die Luft.« Dann aber nähert man sich einander an: Er ändert, die Musiker beginnen zu verstehen, und am Ende »klang es wieder so hervorragend, dass die Kritiker jetzt weinen vor Wut und sich betrinken müssen«. NACH DER WENDE: AUFBRUCH AUS DEM GETTO

Kein Spaliergaffen beim Eintreffen langer Limousinen, keine Fanfaren, kein Zelebrieren oder Befragen stets derselben Werke, statt fünf Wochen nur drei Tage: Donaueschingen ist das Gegenteil von Bayreuth, aber nicht nur. Auch hier ist man stolz auf Kontinuität. Die Gewissheit, sich immer an der Spitze der Musikgeschichte zu befinden und von dort aus kritisch auf die Welt zu blicken, ließ die Musiktage auch zu einem Platz der »institutionalisierten Revolution« werden. Heute ist man lockerer, aber zeitweise hatte das auch etwas Verschworenes, und es gab durchaus eine Art latenten »Neglou«: Performative Installation im Schwimmbad für Trompete, Unterwasserklang, verschwommene Aktionen von Kirsten Reese (2019); »Müll«: Komposition für Orchester, Stimmen, Elektronik und Müllwagen von Dror Feiler (2008)


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Lagern, von denen jeder bestritten hätte, dass es sie gab, wurden seichter. Der 85-jährige Pierre Boulez hatte schon fast Mitleid mit den jungen Kollegen im frühen 21. Jahrhundert: »Sie sind frei und können machen, was sie wollen. Das ist vielleicht schwieriger, als kämpfen zu müssen wie wir damals.« Aber wohl nur in Donaueschingen kann ein Komponist dafür sorgen, dass die örtliche Blaskapelle feierlich hinter einem Müllwagen herdefiliert, wie es Dror Feiler 2008 in »Müll« verlangte. KOMPONISTINNEN: LANGSAM WIRD ES BESSER

Cathy Berberian performt »Stripsody« (1968)

Die Gräben zwischen den Lagern, von denen jeder bestritten hätte, dass es sie gab, wurden mit der Zeit seichter. Dresscode: Anfang der Neunziger etwa steckte ein komplettes Sortiment der in dreißig Jahren entwickelten Formen von Rauschebärten in Cordanzügen, die schon gewagt waren, als man noch Cord trug; ältere Herren trugen Extremkurzhaarschnitt und die Damen Rollkragenpullis von 1967. Die Jüngeren kombinierten Yuppie-Look mit Schlapphut. Musikalisch war man weiter. Nachdem Joseph Häusler das Festival 17 Jahre lang im Geist der Avantgarde gelenkt hatte, war ab 1992 Armin Köhler ein Gärtner auf dem grünen Hügel der Postmoderne, 1952 geboren, zuvor Musiklektor in Leipzig. Sanft brach er auf, was doch ein bisschen Getto geworden war. Gleich in seinem ersten Jahrgang lud er eine russische Komponistin ein, die von Fragen des »Materialstands« denkbar weit entfernt war: Sofia Gubaidulinas »Stunde der Seele« für Mezzosopran und Orchester wurde mit solcher Wärme willkommen geheißen wie selten ein Werk. Dagegen wirkte Dieter Schnebels antitraditionelle Großdemontage »Sinfonie X« schon fast überholt. Die Ästhetik des Sperrigen und Hinterfragenden verschwand seitdem keineswegs, aber die Gräben zwischen

Schwieriger gestaltete sich der Einzug der Komponistinnen ins Festival – so wie überall. Nur etwa dreißig von ihnen bekamen von der Gründung bis zur Jahrtausendwende überhaupt eine Chance zwischen hunderten männlicher Kollegen. Die erste war 1968 Cathy Berberian mit ihrer »Stripsody«, selbst als Performerin einer ComicPartitur auftretend und insofern außer Konkurrenz. Eine auffallende Bresche schlug eine damals 35-jährige Südkoreanerin in die Männerbastion: Younghi Pagh-Paan hatte 1980 mit ihrem Orchesterwerk »Sori« solchen Erfolg, dass sie einen weiteren Auftrag des Orchesters bekam und später als erste Frau in Deutschland eine Kompositionsprofessur erhielt. Trotzdem blieben Komponistinnen in Donaueschingen noch lange Exoten. Adriana Hölszkys genialer »Lichtflug« für Flöte, Violine und Orchester (1990) und Sofia Gubaidulinas »Stunde der Seele« ließen hoffen, und bald hörte man hier auch Werke von Olga Neuwirth, Isabel Mundry und Rebecca Saunders. Aber als 2012 die »Großform« zum Thema wurde – große Formate, sinfonisches Erbe –, bekam keine einzige Komponistin einen Auftrag zu dieser Aufgabenstellung. So kann man es schon als Erfolg sehen, dass bei der bislang jüngsten Ausgabe der Musiktage 2019 sieben von 2w Komponisten Frauen waren. Im kommenden Jahr, nach dem Abschied von Björn Gottstein, übernimmt dann erstmals eine Frau die künstlerische Leitung in Donaueschingen: Lydia Rilling, zur Zeit Chefdramaturgin in Luxemburg. Eines aber wird sich wohl auch in den nächsten hundert Jahren nicht ändern: Das Gelächter der Enten auf den Gewässern im fürstlichen Park. Es entspannt einen irgendwie. Und es begleitet zuverlässig die Geister all der Werke, die ihre Uraufführung nicht überstehen und für immer an der Brigach bleiben müssen. M NOCH MEHR LESENS- UND SEHENSWERTES ÜBER NEUE MUSIK FINDEN SIE IN DER MEDIATHEK UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE / MEDIATHEK

JUBILÄUMSKONZERT 100 JAHRE DONAUESCHINGEN Mi, 20.10.2021 Elbphilharmonie Großer Saal SWR Symphonieorchester, SWR Vokalensemble, Sylvain Cambreling Sara Glojnarić : Sugarcoating #2 Francesco Filidei: Passion nach E. A. Poes »Die Maske des roten Todes«


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SIE SIND VON A BIS Z AUF KRIEGE EINGESTELLT


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Die Mezzosopranistin Lea Desandre nähert sich einem überraschend vielseitigen Thema: den Amazonen. VON REGINE MÜLLER

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mazonen – was für ein imposantes, stolzes und klangvolles Wort! Es vereint in sich den ersten und den letzten Buchstaben des Alphabets und weckt reiche Assoziationen, die aus mythischer Vergangenheit bis in die unmittelbare Gegenwart reichen. Vage Erinnerungen an ein kriegerisches Frauenvolk der griechischen Mythologie mischen sich mit Bildern des majestätischen Amazonas, der als größter Fluss der Erde durch den wilden Urwald Amazoniens fließt. Ganz aktuell sind Amazonen-Figuren in Gestalt heutiger FantasyFrauen aus »Game of Thrones« oder »Die Tribute von Panem«. Und nicht zuletzt ist Amazon auch – und natürlich nicht zufällig – der Name jenes allgegenwärtigen Online-Versandhandels, der seinen Gründer Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gemacht hat. Ein vieldeutiges Wort also, das seine Karriere neben seinem Wohlklang vor allem seiner tiefen Verwurzelung im kollektiven Unbewussten zu verdanken scheint, der Weite seiner Assoziationen und damit auch den Möglichkeiten seiner sich immer wieder erneuernden künstlerischen Interpretationen, sei es auf der Opern- oder Theaterbühne, in der Literatur oder in der Bildenden Kunst. Neulich stellte der für seine starken Worte und provozierenden Performances berüchtigte Konzeptkünstler Jonathan Meese in einer Düsseldorfer Galerie neueste Arbeiten unter dem Titel »Amazonengold« aus und erläuterte im Interview dazu: »Das Wort Amazone klingt zunächst toll, jeder hat eine Fantasie dazu. Es ist auch befreit von Fragestellungen weiblich-männlich. Wenn ich an eine Amazone denke, denke ich nicht unmittelbar an eine Frau – ich denke an Babys, Kraft, Macht. Ich denke an etwas völlig Sachliches, einen Mythos, der vielleicht aus der Zukunft kommt.« HISTORIE UND MYTHOS

Bereits im Altertum formte sich das Bild der Amazonen zu einer Mischung aus Historie und Mythos: Lange Zeit galten die kriegerischen Frauen als Hirngespinste griechischer Geschichtenerzähler, deren Legenden diesen Frauen teils bizarre, teils furchterregende Eigenschaften andichteten. Die auf Pferden reitenden und mit Hosen bekleideten Amazonen sollen sich die Brüste abgeschnit-

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ten haben, um besser mit dem Bogen zielen zu können, angeblich verstümmelten oder töteten sie ihre männlichen Kinder oder gaben sie weg an die Völker der lediglich als Erzeuger dienenden Männer. In der griechischen Mythologie waren sie die Erzfeinde der alten Griechen, deren Helden (Herkules, Achill, Theseus) sich im Kampf gegen eine der mächtigen Amazonen-Königinnen (Penthesilea, Antiope, Hippolyta) zu bewähren hatten. Diese geheimnisvollen Frauen, die vielleicht Männerhasserinnen, vielleicht radikale Feministinnen und vielleicht auch Rabenmütter waren, sollen in den Steppen Eurasiens nördlich und östlich des Mittelmeers gelebt haben. Dort haben Archäologen inzwischen Tausende von Gräbern eines Reiternomadenvolks aus dem 8. bis 4. Jahrhundert vor Christus ausgegraben, das die Griechen als Skythen bezeichneten. Die Forscher entdeckten, dass die Frauen dieser Nomaden jagten, im Krieg kämpften und wie die Männer Pfeil und Bogen benutzten, was anhand von Grab-Beigaben zweifelsfrei bewiesen wurde. Außerdem deckten sich Details der in den Gräbern gefundenen Bekleidung und Bewaffnung der Frauen mit Darstellungen auf griechischen Vasen. Doch die skythischen Frauen waren keineswegs die einzigen kämpfenden Frauen auf der Welt. In der Zeit der Konquistadoren, im Jahr 1542 kam es in Südamerika zu einem denkwürdigen Kampf der erobernden Spanier mit Indigenen, den der spanische Missionar Gaspar de

»Sie kämpften gegen uns an der Spitze ihres Volkes, mit langen Haaren und fast nackt, so tapfer wie zehn Krieger.« Carvajal in seinem Tagebuch festhielt: »Dann kamen wir in das Reich der Amazonen. Sie kämpften gegen uns als Anführer an der Spitze ihres Volkes, mit langen Haaren und fast nackt, mit Pfeil und Bogen bewaffnet und so tapfer wie zehn Krieger. Die indianischen Männer wagten nicht, die Flucht zu ergreifen. Wer es trotzdem tat, den erschlugen sie, vor unseren Augen.« Die Schilderungen des mit der griechischen Mythologie vertrauten Carvajal verbreiteten sich rasch und sorgten in Europa für Aufsehen. Und so wurde der große Fluss, an dessen Ufer die Kämpfe stattgefunden hatten, mit der üblichen Geste kolonialer Aneignung kurzerhand als »Fluss der Amazonen« benannt und das ihn umgebende Land als Amazonien. (Jeff Bezos übrigens hatte offenbar nicht die kühnen Amazonen im Sinn, als er den effektvollen Namen für sein Unternehmen fand. Einer Anekdote zufolge ging es ihm darum, einen einprägsamen Namen ganz vorne im Alphabet zu finden, der gut klingt und zugleich insinuiert, dass sein Unternehmen von A bis Z alles zu liefern imstande ist.) ›


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ANZIEHUNG UND BEDROHUNG

Die Faszination für die mythischen Kriegerinnen und ihre Kampfansage an tradierte Rollenbilder und das Patriarchat bestand stets in einer Mischung aus Anziehung und Bedrohung. In der Kunst sorgte diese nie versiegende Faszination für überaus ergiebige Sujets, dramatische Geschichten und Theaterstoffe. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert brach in Mitteleuropa ein regelrechtes Amazonen-Fieber aus, das sich vor allem im noch jungen Genre der Oper ausbreitete. In Frankreich, Italien und Deutschland fieberte das Publikum mit den Amazonen oder ihren Feinden, und die Librettisten und Komponisten malten das Leben, Kämpfen und vor allem das widersprüchliche Lieben der kühnen Frauen in allen Formen und Facetten aus. Diesem faszinierend vielfältigen Amazonen-Thema wendet sich nun die Mezzosopranistin Lea Desandre in ihrem neuen Programm zu. Die junge französisch-italienische Sängerin ist eine eigenwillige Erscheinung, die ihr Repertoire selbst formt und konsequent ihren eigenen Karriere-Regeln folgt. Ganz zu Hause ist sie in der Barockmusik; der Dirigent und Cembalist William Christie war einer ihrer wichtigsten Mentoren. In letzter Zeit erweitert Desandre jedoch ihr Repertoire, singt mehr und mehr Mozart und Rossini. »Meine Stimme wächst und entwickelt sich, was ja ganz natürlich ist. Ich möchte aber immer wieder auch zurückkehren zum barocken Repertoire. Die Flexibilität ist gesund für die Stimme.« Mit Mozart erreichte sie im vergangenen Jahr denn auch die ganz große Aufmerksamkeit, als sie bei den Salzburger Festspielen in Christof Loys abgespeckter Version von »Così fan tutte« eine aufreizend nüchterne und abgebrühte Despina gab. Und beim Festival d’Aix-en-

Provence begeisterte sie erst im vergangenen Juli Publikum und Kritik in der Hosenrolle des Cherubino in Mozarts »Le nozze di Figaro«. Das neue Amazonen-Programm aber führt die Sängerin wieder zurück zu ihrer barocken Basis. Die Idee zu diesem Thema hat sie gemeinsam mit einem guten Freund entwickelt, wie sie am Telefon erzählt: »Yannis François ist Tänzer und Opernsänger, er hat eine enorme Repertoire-Kenntnis und sucht immer weiter nach neuen oder vergessenen Werken. Und das tut er nicht nur für sich selbst, sondern er berät auch Kolleginnen und Kollegen und entwickelt dramaturgische Konzepte. Eines Tages sagte er zu mir, ›Lea, ich habe das perfekte Thema für Dich gefunden: Amazonen!‹« TRAUER, LIEBE, SEHNSUCHT, FREUDE

Lea Desandre ist begeistert von der Vielfalt und dem Facettenreichtum der Charaktere und der Musik, die sie zu einem großen Teil ganz neu für sich entdeckt hat. Das Programm bringt überwiegend Raritäten zu Gehör und kombiniert Arien und Instrumentalmusik von bekannteren Komponisten wie Antonio Vivaldi und Francesco Cavalli mit weniger geläufigen Namen wie Giovanni Buonaventura Viviani oder Giuseppe de Bottis. Tatsächlich hat das Amazonen-Fieber des 17. und 18. Jahrhunderts eine wahre Fülle von Opern hervorgebracht, die aus den mythologischen Vorbildern ganz unterschiedliche Konzeptionen dieser Frauenfiguren ableiteten: »Es gibt eine Menge Musik und sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Amazonen. Uns hat gereizt, so viele Charaktere, Farben und Affekte zu präsentieren wie nur möglich. So ist etwa auch eine Arie dabei, in der nicht eine Amazone selbst singt, sondern in der ein junger Mann schildert, wie die Amazonen auf einer Insel leben, die er besucht hat. Er beschreibt, wie sie reiten und kämpfen.« Begleitet wird Desandre auf ihrer gesanglichen Reise durch das Reich der Amazonen von dem jungen BarockEnsemble Jupiter. Die 2018 gegründete Truppe ist solistisch besetzt und greift unter der Leitung des Lautenisten Thomas Dunford weitgehend auf Originalpartituren zurück – »so original wie möglich«, wie die Sängerin betont. »Wir mussten eigentlich nichts arrangieren. Durch die Besetzung mit wunderbaren Solisten behalten die Stücke ihren kammermusikalischen Charakter – das war uns wichtig.« Das Kämpferische der Amazonen und die temperamentvollen Vertonungen der starken Affekte haben sie gereizt, sagt Desandre, aber das emotionale Spektrum der Arien dieses Programms reiche noch viel weiter. »Es gibt Todesschmerz und Trauer, Liebe, Sehnsucht und Freude. Und was man gar nicht erwarten würde: Die barocken Komponisten haben für die Amazonen auch viele betrachtende Arien geschrieben, die von der Schönheit der Natur handeln, wie etwa ›Lieti fiori‹ (›glückliche Blumen‹) aus ›Mitilene‹ von Giuseppe de Bottis. Solche Arien besingen die Naturverbundenheit der Amazonen. Und gerade dieser Aspekt ist mir persönlich sehr nah.«


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AMAZONES Mo, 18.10.2021 Laeiszhalle Großer Saal Jupiter Ensemble, Thomas Dunford Lea Desandre (Mezzosopran) Französische und italienische Arien des Barock


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NICHTS IST UNMÖGLICH Firmenevents, szenische Großprojekte, Dinner- und Clubabende, aber auch ganz klassische Konzerte: Wenn die Elbphilharmonie als Spielort vermietet wird, kommt die Abteilung Produktion ins Spiel. VON JULIKA VON WERDER FOTOS GESCHE JÄGER

SONDERWÜNSCHE WILLKOMMEN: NADIN HANZIG

Kleiner Saal der Elbphilharmonie, 7. Juni 2017: Umgeben von einer riesigen U-förmigen Leinwand steht Wladimir Klitschko auf der Bühne und spricht mit einem charmanten Lächeln über seine Zukunft, seine Unternehmenspartnerschaften, über den Schlüssel zum Erfolg. Sogar ein Pop-Orchester hat er für dieses Launch-Event vor Journalisten und Vertretern aus Sport und Wirtschaft mitgebracht; mit »Can’t Stop« von den Red Hot Chili Peppers sorgt es für die richtige Stimmung im Publikum. Dass der ehemalige Boxweltmeister da vorne so eine gute Figur machen kann, ist nicht zuletzt der jungen Frau mit Funkgerät hinter der Bühne zu verdanken. Nadin Hanzig ist in der Elbphilharmonie verantwortlich für sogenannte Sonder-Events. Sie vermittelt zwischen den Vorstellungen der externen Veranstalter und den Bedingungen und Möglichkeiten des Konzerthauses. Denn – das muss man dazu wissen – die Elbphilharmonie wird nur zu einem Drittel vom eigenen Veranstalter, der HamburgMusik, bespielt und an den restlichen Tagen an externe Veranstalter vermietet. Tagelang wurde für Klitschkos Präsentation im Kleinen Saal aufgebaut und vorbereitet. Wie viele Stunden sie dabei vor Ort war? »Viele«, sagt Hanzig und lacht.


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Jährlich verantwortet Hanzig rund 70 Events, darunter Lesungen, Produktpräsentationen, große Konferenzen. »Ich finde es immer wieder toll, wie sehr sich die Räume verwandeln lassen«, sagt sie und erzählt von exklusiven Dinner-Abenden im Kleinen Saal. Oder von dem britischen Sänger James Blunt, der am 12. März 2020 das erste Geisterkonzert im Großen Saal gab: Erst am Mittag dieses Tages war entschieden worden, dass sein Auftritt coronabedingt ohne Publikum stattfinden müsse – ein Beispiel dafür, wie spontan Hanzig reagieren muss. Und kann. Seit 2007 ist sie für die Elbphilharmonie tätig. Sie arbeitete bei der Stiftung und im Marketing, übernahm später den Elbphilharmonie Pavillon und die Baustellenführungen. Besser als sie kann man das Haus also kaum kennen – ein Segen für alle, die nach kreativen Lösungen für eine optimale Umsetzung ihrer Vorstellungen suchen. Leicht ist es nicht immer, die außergewöhnlichen Ideen und Wünsche ihrer Gäste mit den Mitteln des Hauses umzusetzen. »Eventuell denkt der eine oder andere auch, ich bin etwas streng‹«, erzählt Hanzig lachend, »aber das muss ich manchmal sein, um einen perfekten Abend zu gewährleisten« Scheitern lassen sie und ihre Kollegen jedenfalls nichts.

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VERLEIHT FLÜGEL: FLORIAN RICHARD

Die Elbphilharmonie ist jedoch nicht nur für Events eine begehrte Bühne, sondern vor allem auch für externe Konzertveranstalter. Dazu gehören Hamburger Institutionen wie die Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette, das Ensemble Resonanz und das Philharmonische Staatsorchester. Auch sie haben in der Elbphilharmonie einen eigenen Ansprechpartner: Florian Richard betreut oft mehrere Projekte pro Woche. Sein Büro im 10. Stock sieht er an solchen Tagen nur selten. »10.000 Schritte geht man da mindestens«, erzählt er. Auch während der Konzerte ist er hinter der Bühne zu finden. Seine Hauptaufgabe? »Nur schauen, dass alle wissen, was sie wissen müssen«, erklärt er bescheiden. Als Vermittler zwischen der Elbphilharmonie und den Veranstaltern ist Richard nicht nur im Vorfeld für die Koordination von Technik, Quality Management und allgemeiner Disposition des Hauses zuständig, sondern sorgt auch während des Konzerts für einen reibungslosen Ablauf. »Das heißt, wenn ich vorher einen guten Job mache, ist der Abend entspannt«, sagt er und lächelt verschmitzt, denn natürlich kann trotz aller guten Vorbereitungen immer noch einiges passieren, von Verspätungen über technische Ausfälle bis zu spontanen ›


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Szenische Umsetzungen, im Saal verteilte Musiker, Lichtinstallationen: Manchmal wollen Veranstalter etwas anderes probieren.

Künstlerbedürfnissen. Aber zu improvisieren macht ihm Spaß. Auch die sehr kurzfristige Wiedereröffnung der Elbphilharmonie im Mai verlangte viel Flexibilität von allen Beteiligten. Doch dafür hat Richard den Hörer natürlich gerne in die Hand genommen. »Das Ob war bei allen sofort klar. Die Frage war nur noch das Wie.« Neben der Konzertorganisation ist Richard auch für die Disposition der vier Steinway-Flügel des Konzerthauses zuständig, die rund 400 mal pro Saison zum Einsatz kommen. Sein Lieblingsmoment in der Elbphilharmonie: Als der Pianist Daniil Trifonov während einer Sound-Probe für die optimale Flügelposition im Großen Saal anfing, sein Programm zu üben und damit der gesamten Sound-Delegation minutenlang den Atem raubte: »Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.« An der gefundenen Flügelposition hat danach niemand mehr etwas ändern wollen. Und noch eine ganz besondere Aufgabe hat der Orga-Künstler Florian Richard: Er pflegt nebenher den internen Kalender über die Öffnungen der Klappbrücke vor der Elbphilharmonie – und hat damit schon so manchem Kollegen den pünktlichen Arbeitsantritt gerettet.

GROẞES THEATER: JULIA BRAWAND

Vor allem über Veranstalter, die einmal etwas anderes probieren wollen, freut sich Richards Kollegin Julia Brawand: szenische Umsetzungen, quer durch den Saal verteilte Musiker, Lichtinstallationen – davon kann es für sie gar nicht genug geben. »Blaues Licht steht dem Saal besonders gut«, findet sie. Ihr Werdegang an der Elbphilharmonie erzählt die Geschichte einer echten Überzeugungstäterin: Angefangen hat sie als Empfangsmitarbeiterin, bis 2019 der Regisseur Nicolas Stemann mit einem szenischen Großprojekt seinen Weg in die Elbphilharmonie fand. Damals bot Brawand, die einige Jahre am Theater gewesen war und mit Stemann gearbeitet hatte, ihre Hilfe in der Produktionsleitung an. Das Projekt war ein großer Kraftakt, aber auch ein voller Erfolg – und Brawands Einstieg in die Produktionsleitung. Ausgerechnet zum allgemeinen Lockdown im Frühling 2020 hat sie die Verantwortung für alle Projekte des NDR Elbphilharmonie Orchesters übernommen. Doch anders als andere Klangkörper hat das Rundfunkorchester mit seinen festen Sendeterminen auch im vergangenen Jahr viel gespielt und aufwendige StreamingProjekte produziert. Was ihr Arbeitspensum angeht, änderte die Wiederaufnahme des Konzertbetriebs im


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vergangenen Mai also kaum etwas für Brawand – und gleichzeitig doch alles: »Es blieb ja bis zum Schluss seltsam und traurig, wenn vor dem Konzert nicht irgendwann die Türen aufgehen und das Publikum kommt. Das fehlte so sehr!« Inzwischen gehen die Türen endlich wieder auf, und Brawand freut sich auf die nächste Saison. Ihr persönliches Wunschkonzert in der Elbphilharmonie? Eric Clapton im Großen Saal. KEIN HELIKOPTER: STEPHAN PÖTER

Auch Stephan Pöter hat eine konkrete Vorstellung davon, wen er gerne mal auf die Elbphilharmonie-Bühne stellen würde: die Pet Shop Boys. Schon als Kind war er ein großer Fan des Elektropop-Duos und konnte es kaum glauben, als er die beiden Briten 2016 durch die Elbphilharmonie führte. An einer guten Stelle für solche Träume sitzt der ausgebildete Veranstaltungsmanager auf jeden Fall. Denn er programmiert und organisiert nicht nur die regelmäßigen Jazz-Konzerte im Hamburger Kulturcafé in der Mönckebergstraße, sondern ist als Produktionsleiter auch für Nicht-Klassik-Konzerte von Veranstaltern wie FKP Scorpio und der Karsten Jahnke Konzertdirektion verantwortlich. Wenn sich die Elbphilharmonie-Bühne also mal wieder in eine spektakuläre

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Show-Kulisse verwandelt, wenn der Kleine Saal zu einer großen Tanzfläche wird, wenn Club-Feeling aufkommt und der ganze Saal tobt – dann steht hinter der Bühne wahrscheinlich Stephan Pöter. Dort versucht er meistens, sich so wenig wie möglich einzumischen, und vertraut auf den direkten Kontakt zwischen der Technik-Crew der Elbphilharmonie und dem Veranstalter selbst. Er sei kein »Helikopter-Produktionsleiter«, sagt er über sich. Humor hat er, Geduld auch. Wer ihn kennt, weiß: Aus der Ruhe zu bringen ist dieser Mann nicht so schnell. In diesem Sommer ist Pöter zusätzlich mit einer ganz besonders schönen Aufgabe betraut: Er durfte das Programm für das mehrwöchige »Hope ’n’ Air«-Festival an der Elbe zusammenstellen. Eingeladen hat er dafür Musikerinnen und Musiker aus Hamburg und Umgebung, darunter alles zwischen Newcomer und Hamburger Original. Mit guter Musik von Klassik bis Pop sorgt Pöter so für ausgelassene Konzertabende unter freiem Himmel und dafür, dass es in Hamburg endlich wieder laut wird.

M WEITERE GESCHICHTEN AUS DEM TEAM DER ELBPHILHARMONIE FINDEN SIE UNTER WWW.ELBPHILHARMONIE.DE / MEDIATHEK


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ZEIT, DASS SICH WAS DREHT Die eine holt alte Menschen zurück ins Leben. Die andere trainiert die Stabilität fremder Seelen. Und die dritte wird laut, damit Frauen ab 50 sichtbar bleiben. Eine Geschichte über drei Hamburgerinnen, die gelernt haben, dass man nur vorwärtskommt, wenn man sich verändert. VON STEPHAN BARTELS FOTOS MATTHIAS OERTEL


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DAS 20-MINUTEN-GLÜCK: MITRA KASSAI

In dem Jahr, in dem Ruth 90 wird, sind die Dinge für sie noch einmal ins Rollen gekommen. Sie ist dement und lebt in einer Pflegeeinrichtung, dem Rumond-Walther-Haus in Ottensen. Ihre Tochter Brigitte kommt vorbei, sooft sie kann, aber da ist noch diese andere Frau, und über die freut sich Ruth neuerdings mindestens genauso. Diese Frau heißt Mitra Kassai, und sie sorgt samstags zuverlässig für Ruths Wochen-Highlight. Samstag ist Rikscha-Zeit. Dann steht ein Fahrer – heute ist es Simon – den Bewohnern des Rumond-Walther-Hauses zwei Stunden lang mit einem Personenbeförderungselektrofahrrad für eine 20-Minuten-Tour zur Verfügung, vorbei an der Christianskirche, rüber zum Altonaer Balkon, ums Rathaus herum und durch den kleinen Park daneben wieder zurück. Mitra Kassai ist der Anfang und das Ende dieser Fahrt. Sie hilft den, wie sie sagt, »Senioren und Senioritas« in die Rikscha und wieder heraus, sie sorgt für einen sicheren Sitz und gute Laune. Vor allem aber hat sie dafür gesorgt, dass es diese Elektro-Rikschas überhaupt gibt.

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Drei von den Dingern hat sie im Frühjahr angeschafft, oder sagen wir besser: sich spendieren lassen, von einer Bank, einer Stiftung, einem braun-weißen Fußballclub. R’OLL On hat sie diesen Rikscha-Service genannt, und das mit dem Service ist wörtlich zu nehmen: Jeder, der in Hamburg über 60 ist, kann eine Rikscha buchen. Wenn’s passt, kommt einer der ehrenamtlichen Piloten vorbei und kutschiert die Passagiere an ihr Ziel. Das kostet nichts. Spenden aber sind willkommen, denn dadurch finanziert sich Oll Inklusiv, die ganze Initiative dahinter. Mitra Kassai kommt aus München, wo sie im Olympiajahr 1972 geboren wurde, der Vater ein Iraner, die Mutter eine starke, selbstbewusste Deutsche. Nach dem Abi hat sie eine Lehre als Modistin begonnen und, weil das Lehrlingsgehalt ein schlechter Witz war, erst in Clubs gekellnert und dann die Veranstaltungen dort organisiert. Hat sich in Prince verguckt und noch mehr in Paul Weller und den Style Council. Ist eingetaucht in diese Musikwelt, hat beim Indie-Label Trikont angefangen. »Ich wusste immer, wo die Partys sind«, sagt sie. ›


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»Ich habe gemerkt, dass mir das Herz aufgeht, wenn ich alte Menschen und junge Hunde sehe.«

Und dann hat sie auf einem Festival einen Mann kennengelernt. Einen aus der Musikbranche, einen vom anderen Ende der Republik. Sie ging mit diesem Mann nach Hamburg; er ist heute, mehr als 20 Jahre später, noch immer ihrer. Sie machte beruflich da weiter, wo sie in München aufgehört hatte: Sie organisierte – eine Ausstellung in den Astra-Hallen, einen DJ-Wettbewerb, das monströse HipHop-Festival Flash! im Millerntorstadion. Sie war Managerin von Fünf Sterne deluxe und Ferris MC, arbeitete für Vertriebe und Online-Plattformen. Immer war Musik in ihrem Leben, und die Regler waren dauerhaft weit oben. Und dann kam der Burnout. 2013 war das, eine Depression voller Heimtücke. »Meine Hausärztin hat mir damals das Leben gerettet«, sagt Mitra Kassai, die sich damals danach fragte, was sie im Leben eigentlich mag. »Ich habe gemerkt, dass mir das Herz aufgeht, wenn ich alte Menschen und junge Hunde sehe«, sagt sie. Denn die Alten, das ist gelebte Geschichte und Geschichten, das ist

Konsequenz aus guten und falschen Entscheidungen, die vielleicht Jahrzehnte her sind. Also stellte sich Mitra Kassai im Rumond-WaltherHaus vor. Sie ließ sich zur Seniorenassistentin ausbilden, spielte mit den Bewohnern, redete mit ihnen, las ihnen vor, alles ehrenamtlich. Irgendwann fragte sie sich, wie sie ihr altes Leben mit dem neuen verbinden könnte, sie war doch vernetzt wie kaum eine zweite in der Hamburger Kultur. Und so gründete sie 2018 Oll Inklusiv. Mit Oll Inklusiv holt Mitra die Alten aus den Wohnungen und Heimen und der Einsamkeit, bringt sie in die Clubs und zurück ins Leben und in die Mitte der Gesellschaft. Im Mojo-Club hat es angefangen. Das »Abendblatt« hatte darüber berichtet, und plötzlich standen da 30 Leute zwischen 60 und 96 mit ausgerissenen Zeitungsartikeln. »Halbpension« nannte Kassai diese bunten Nachmittage, die nicht nur im Mojo stattfanden, sondern auch im Knust, im Stageclub, im Kukuun. Es gab Lesungen – Greta Silver war schon


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da und Linda Zervakis –, ein Musikbingo, hinterher Tanz. Es gab Ausflüge zu Stefan Gwildis bei einer Aufnahme im Liebermann-Studio, zu einem Festivalauftritt der Beginner, Backstage-Mahlzeit inklusive. Es gab Graffiti-Workshops und StreetartRundgänge. Doch dann kam Corona. Also hat Mitra Kassai eine App konzipiert. Hat Online-Shows geschmissen. Hat die Rikschas organisiert. Ihr Oll Inklusiv-Team ist auf 40 Leute angewachsen, alle machen gern und umsonst mit, Mitra ist stolz darauf. Und preisgekrönt: 2019 hat sie den Annemarie-Dose-Preis für »Innovatives Engagement« bekommen, benannt nach der Gründerin der Hamburger Tafeln. Deren Enkel hat bei der Preisverleihung zu Mitra gesagt, sie sei ganz genau wie seine Oma. Auch darauf ist sie mächtig stolz. Und jetzt schickt sie wieder die Rikscha auf die Reise, sie sieht Simons Rücken hinterher, der Richtung Christianskirche radelt. Es ist die letzte Tour für heute. Ihr Arbeitstag ist dann noch nicht zu Ende, sie wird sich auf ihr Klapprad

schwingen und nach Planten & Blomen fahren. Dort wartet schon ein blauer Van auf sie, unten an der Asphaltfläche, die im Winter Eisbahn ist. Aus ihrem Van heraus vermietet Mitra im Sommer Roller Skates, zwei Stunden für fünf Euro. Geld, von dem sie nichts behält, alle ihre Einnahmen fließen in ihre Initiative. Es ist und bleibt ein Ehrenamt, »aber auch ein 24-Stunden-Job«. Mitra Kassai kennt dieses Rund-um-dieUhr-arbeiten aus ihrem alten Leben. Damals hat sie dafür ordentlich Geld bekommen. Jetzt lebt sie von … ja, wovon eigentlich? Sie zuckt die Schultern. »Ich brauche nicht viel«, sagt sie. »Ich habe lieber eine gute Zeit als Geld auf dem Konto.« ›

»Es ist ein 24-Stunden-Job. Aber ich brauche nicht viel. Ich habe lieber eine gute Zeit als Geld auf dem Konto.«

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IN DEN GRÜNEN BEREICH: PRISCA FREITAG

Drei bunte Papierkreise liegen vor den Füßen von Prisca Freitag. Der gelbe, sagt sie, stehe für Gefahr, dafür, dass der Körper in den Kampf- oder Fluchtmodus gehe. Bei Rot würden so viele Betäubungsstoffe ausgeschüttet, dass man nicht mehr spüre, wie man vom Säbelzahntiger gefressen wird. »Der grüne Punkt, der symbolisiert unsere sichere Zone«, sagt sie, »da wollen wir hin, und zwar immer wieder.« Die beiden Frauen vor ihr nicken. Prisca, die mal Grafik- und Kommunikationsdesign studiert hat, ist heute ihre Trainerin. Genauer: Sie trainiert die Strapazierfähigkeit ihrer Seelen. Prisca Freitag trainiert Resilienz.

»Ich dachte: Was wir da machen, ist faszinierend. Und eigentlich blöd, denn das bezahlt uns jetzt keiner.«

Resilienz, laut Duden die »Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen«, basiert auf sieben Säulen. 1. Akzeptanz: 2001 war Prisca mit dem Studium fertig, sie war 26 und hat mit zwei Studienfreundinnen ihre eigene Firma gegründet: fhpdesign, Verpackungsdesign, Webauftritte für Firmen, besonders die Hamburger Schifffahrtsbranche verdankt ihren Look Priscas Firma. Der Laden wuchs, sie stellten sechs Mitarbeiter ein, es lief zehn Jahre richtig gut und dann nicht mehr. Es gab verdeckte Konflikte zwischen den dreien, »wir hatten nicht mehr das gleiche Menschenbild«, sagt Prisca. 2. Lösungsorientierung: Einmal hatten Prisca und ihre Kolleginnen einen neuen Kunden. Ein renommiertes Architektentrio hatte sich in seine Einzelteile aufgelöst, einer der ehemaligen Partner saß nun vor ihnen und brauchte ein neues Erscheinungsbild. »Das Problem war nur: Der Mann war total verloren«, sagt sie, »er hatte ohne die anderen beiden keine Ahnung, wer er selbst war.« Also pulten sie in endlosen Findungsprozessen seine neue berufliche Identität

heraus, und Prisca dachte: »Was wir da machen, ist faszinierend. Und eigentlich blöd, denn das bezahlt uns jetzt keiner.« Sie hatten zuvor schon ein systemisches Coaching besucht, Prisca war fasziniert gewesen von den neuen Ansätzen im Umgang mit Konflikten, die vordergründig mit der Firma zu tun hatten und dahinter mit ihrem eigenen Leben. Und sie spürte einen Sog: So etwas wollte sie auch tun. 3. Selbstwirksamkeit: Prisca Freitag ist ein Beziehungsmensch, sie ist gut vor allem im Austausch mit anderen. Sie hat lange darunter gelitten, dass das ausgerechnet in Liebesdingen nicht so recht funktionierte, dass nie zählte, was sie selbst wollte. »Aber genau darum geht es in der Resilienz«, sagt sie: »Was brauchst du, um dich zu entfalten?« Und wenn man das findet, dann mündet es in eine Positivschleife. 4. Eigenverantwortung: Als sie 2014 eine Tochter bekam, war klar, dass es mit der Firma nicht mehr weitergehen konnte. Prisca entdeckte die Resilienz für sich als Thema und Berufsperspektive. Sie entwickelte sich weiter. Der Vater ihres Kindes empfand: weg von ihr. »Das sehe ich


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»Die Kunst ist es, uns in den grünen Bereich zurückzuregulieren. Für mich bekomme ich das immer öfter ganz gut hin.« anders, so war es nicht gemeint«, sagt sie. Es half nichts: Die Beziehung hielt nicht aus, dass Prisca einen eigenen Weg einschlug. 5. Zukunftsorientierung: Sie weiß noch, wie sie das erste Mal vor einer Gruppe stand, ein Führungskräftetraining bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. »Die hatten alle keinen Bock darauf, die haben mich ausgelacht«, sagt sie. »Ich bekomme jetzt noch körperliche Symptome, wenn ich darüber spreche.« Das Training damals machte Prisca für eine Organisation namens »Menschenkenner«, sie ist heute noch Mitglied des Teams dort. Sie ist Teil des Hamburger Coaching-Programms, und sie machte ein neues Projekt auf, »Peter + Frei«, wieder mit einer Freundin. Dort ist sie spezialisiert auf Resilienztraining. Training, das passt als Begriff: Man kann die Widerstandskraft der Seele trainieren wie einen Muskel. 6. Optimismus: Prisca weiß jetzt, wie sie Leute ansprechen muss, damit sie ihr an den Lippen hängen. Sie macht Gruppentraining, begleitet Einzelpersonen als systemische Beraterin. Sie hat eigentlich alles gern gemacht in ihrem Berufsleben, aber erst jetzt hat sie ein paar Dinge so richtig verstanden. Zum Beispiel: dass sie sich klein gemacht hat, auch in der alten Firma. Eine Opferrolle angenommen hat, die ihr nicht gut stand. »Um Resilienz auszubilden, brauchst du eigentlich eine Krise«, sagt sie. Und die hatte sie, es gab

depressive Phasen in ihrem Leben. Und sie erzählt, wie viel Mut es ihren Klienten macht, dass sie gelernt hat, offen darüber zu sprechen. 7. Netzwerk und Beziehungen: Der wichtigste Faktor für Resilienz, sagt Prisca, sei für sie Bindung. Das ist ihr Ding, sie ist 45 und lebt allein mit ihrer Tochter in einer rasend schönen Altbauwohnung in Ottensen, das mit dem Design steckt halt in ihr. Aber einsam ist sie nie, fast jeden Abend ist jemand bei ihr, ihre Urlaube verbringt sie meist in größeren Gruppen. Ihr Leben ist nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hat, alleinerziehend war nicht darin vorgesehen. Aber es ist gut, wie es ist. »Die Kunst der Resilienz ist es, uns in den grünen Bereich zurückzuregulieren«, sagt Prisca Freitag. »Für mich bekomme ich das immer öfter ganz gut hin.« ›


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FILTERLOSE SUPERKRAFT: SIMONE BUCHHOLZ

Es gibt eine Welt, in der das Mietshaus an der Herrenweide anders aussieht als jetzt. »Das haben ein paar Jungs heiß entmietet mit 500 Litern Brennstoff«, sagt Simone Buchholz und schaut an der intakten Fassade hinauf: »Ist nicht mehr viel von übrig danach.« Und es gab einen ziemlichen Aufruhr und Arbeit für Chastity Riley, jedenfalls im Kopf von Buchholz und dann in »River Clyde«, ihrem neuen Buch. Es ist der zehnte und letzte Krimi mit der Halb-Amerikanerin Riley als Hamburger Staatsanwältin und all den Polizisten, die so heißen wie ehemalige Spieler des FC St. Pauli. Ach, St. Pauli! Das hier ist ihr Stadtteil, ihre Inspiration, der Ort, wo das Herz von Simone Buchholz vor Anker gegangen ist. Sie wohnt seit 18 Jahren auf der anderen Seite der Reeperbahn, in der Wohlwillstraße. St. Pauli ist ein Dorf, und Simone ist eine Institution hier. Manchmal braucht sie für die paar hundert Meter vom Edeka nach Hause eine Dreiviertelstunde, da ist alle paar

Gehwegplatten jemand zum Dranhängenbleiben. »Ich glaube, bei St. Pauli und mir war es die Arschauf-Eimer-Nummer«, sagt sie. Buchholz ist in Hanau geboren, im Spessart aufgewachsen, aber ihre Mutter kommt aus Hamburg, Simone hat als Kind ihre Ferien bei den Großeltern verbracht, drüben in Pöseldorf. Ihr Opa, ein Opernsänger, ist mit ihr gern nach Helgoland gefahren, das Wasser, die Möwen, der Geruch nach Schiffsdiesel, all das hat Kerben hinterlassen für den Rest ihres Lebens. Und so wurde es dann Hamburg, als sie 1996 aus Aschaffenburg abhauen musste, weil ihr Freund eine andere schwängerte. Sie begann, bei der Zeitschrift »Allegra« zu arbeiten. Ging auf die Henri-Nannen-Schule und danach zu »Brand Eins«. »Das war toll«, sagt sie, »aber ich bin ohne Filter gebaut, und das ist auf Dauer nicht gesund in diesen Strukturen.« Was sie meint: Sie hat bis in die Nacht gearbeitet, kaum geschlafen, sich auf- und abgerieben. Als 2001 der FC St. Pauli aus der Bundesliga abstieg, hat Simone gekündigt, wurde von ihrem


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»Wir Kulturschaffenden sind nicht zu viel nütze, aber für eine Sache sind wir gut: Wir sind die Freaks, die am Lagerfeuer sitzen und der Gesellschaft erzählen, was in ihr vorgeht.«

Freund verlassen, und sie machte mit drei Freundinnen ein Büro in der Clemens-Schultz-Straße auf. 2008 wurde sie Mutter, und sie bekam einen Drei-Buch-Vertrag für den Beginn einer Krimiserie, das war das endgültige Ende ihrer Journalistenkarriere. Aber die Krimis waren von Anfang an viel mehr als reine Spannungsliteratur. Buchholz sucht Verbindungen in allem, »darum geht es in allen meinen Geschichten: Such dir deine Verwandtschaft, such dir deine Gruppe – verloren und allein bist du lang genug«. Mit »River Clyde« kommt die Chas-Riley-Reihe nun an ihr Ende. »Sie wird repariert in diesem Buch«, sagt Buchholz, »und das war’s. Dann ist die Geschichte auserzählt.« Aber das nächste Buch drückt schon. Kein Krimi mehr. Sondern die mysteriöse Geschichte eines Geisterschiffs, das seit über einem Jahrhundert unbehelligt durch den Nordatlantik schippert. In der Lincolnstraße wird gerade eine Wohnung geräumt, verschwitzte Männer tragen uralte, zerwohnte Möbel auf die Straße. »Da muss jemand gestorben sein«, murmelt Simone, und man sieht, wie sich hinter ihrer Stirn die Geschichte zu

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diesen Möbeln formt. Ihr Berufsdefekt. »Wir Kulturschaffenden sind nicht zu viel nütze«, sagt sie, »aber für eine Sache sind wir gut: Wir sind die Freaks, die am Lagerfeuer sitzen und der Gesellschaft erzählen, was in ihr vorgeht. Das ist die Superkraft der Filterlosen.« Sie sagt, sie habe die Bruchkanten dieser Gesellschaft am eigenen Leib gespürt. »Der Konsens, auf dem unsere Generation Kinder bekommen hat – also: Du kannst beides haben, Kind und Karriere – ist innerhalb weniger Tage einkassiert worden, als das Virus um die Ecke kam«, sagt Simone Buchholz. Das war nicht nur eine narzisstische Kränkung, es war vor allem ein Aha-Erlebnis: »Das also ist das Land, in dem wir leben, und das fühlt sich immer noch an wie Helmut-Kohl-City«, sagt sie. Sie spürte: Die Veränderungen, die es gab, waren nie von Visionen geleitet, sondern von dem Versprechen, dass sich alte weiße Männer um ihre Privilegien keine Sorgen machen müssen. Deshalb hat sie im letzten Frühjahr eine Rechnung an Schulsenator Ties Rabe geschickt, öffentlich, provokant: 8.294,30 Euro, ›


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»Ich nehme mich so wichtig, dass ich aktiv teilnehmen möchte an der Gestaltung dieser Gesellschaft.«

so hoch sei nach sechs Wochen der Aufwand zu beziffern, den die Corona-Politik durch die Verschiebung des Beschulungs- und Betreuungsauftrags in ihren Haushalt generiert habe. Das hat Wellen geschlagen. Es ging ja gar nicht um das Geld, sagt Simone Buchholz. Sie wollte nur zeigen: Ohne dass die Mütter ganz selbstverständlich einfach den Hammer fallen ließen, wäre gar nichts gegangen. Aber noch etwas hat sie gelernt damals: »Wenn Mütter öffentlich über das Geldverdienen reden, dann ist Alarm«, sagt sie. »Was da für eine braune Brühe im Internet über mich geschwappt ist, war unglaublich. Von Vergewaltigungsfantasien bis zu Euthanasieandrohungen für mich und meinen Sohn.« Simone Buchholz wird 50 im nächsten Jahr, sie sagt, das sei so eine Marke, hinter der Frauen traditionell unsichtbar würden. »Ich glaube, Frauen um die 50 sind eine mons-

tröse Bedrohung für die patriarchale Gesellschaft«, sagt sie. »Sie sind wütend, weil sie 40 Jahre lang auf eine Rolle festgelegt wurden. Und jetzt, wo die Kinder groß sind, haben sie Zeit. Deshalb müssen Männer viel Energie aufwenden, ihre Wut zu unterdrücken.« Die Sache ist nur: Die Patin von St. Pauli hat gerade erst angefangen, sich einzumischen. Und will so schnell nicht wieder damit aufhören. »Ich nehme mich so wichtig, dass ich aktiv teilnehmen möchte an der Gestaltung dieser Gesellschaft«, sagt sie. Und rettet nebenbei ein Leben: Füttert eine Hummel, die auf dem heißen Gehweg zu verdorren droht, erst mit ein paar Tropfen Capri-Sonne, dann bringt sie das Insekt über die Straße in den Schatten eines Busches. Das Herz der Simone Buchholz, es ist groß. Auf St. Pauli findet fast jeder seinen Platz darin.


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FÖRDERER

DIE FÖRDERER UND SPONSOREN DER ELBPHILHARMONIE

Große Visionen brauchen ein starkes Fundament. Deswegen unterstützen namhafte Partner aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik die Elbphilharmonie. Gemeinsam bilden sie ein Netzwerk, das die Elbphilharmonie auf dem Weg zu einem Konzerthaus von Weltrang begleitet. So ermöglichen sie ein Konzertprogramm mit einem unverwechselbaren musikalischen Profil, Musikvermittlungsideen für alle Generationen sowie innovative Festivalkonzepte, die Maßstäbe im internationalen Konzertbetrieb setzen.


FÖRDERER

DIE FÖRDERER DER STIFTUNG ELBPHILHARMONIE

MÄZENE ZUWENDUNGEN AB 1.000.000 EURO

SILBER ZUWENDUNGEN AB 10.000 EURO

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut und Prof. Dr. h.c. Hannelore Greve Dr. Michael und Christl Otto Hermann Reemtsma Stiftung Christine und Klaus-Michael Kühne Körber-Stiftung Peter Möhrle Stiftung Familie Dr. Karin Fischer Reederei Claus-Peter Offen (GmbH & Co.) KG Stiftung Maritim Hermann & Milena Ebel Hans-Otto und Engelke Schümann Stiftung Christiane und Klaus E. Oldendorff Dr. Ernst und Nataly Langner

Ärzte am Markt: Dr. Jörg Arnswald, Dr. Hans-Carsten Braun Baden-Württembergische Bank Familie Belling Marlis u. Franz-Hartwig Betz Stiftung Prof. Dr. Hans Jörn Braun Robert Brinks Hans Brökel Stiftung für Wissenschaft und Kultur Jürgen und Amrey Burmester Gisela Friederichsen

PLATIN ZUWENDUNGEN AB 100.000 EURO Ian und Barbara Karan-Stiftung Gebr. Heinemann SE & Co. KG Bernhard Schulte GmbH & Co. KG Deutsche Bank AG M. M. Warburg & CO Hamburg Commercial Bank AG Lilli Driese J. J. Ganzer Stiftung Claus und Annegret Budelmann Berenberg – Privatbankiers seit 1590 Mara und Holger Cassens Stiftung Christa und Albert Büll Christine und Heinz Lehmann Frank und Sigrid Blochmann Else Schnabel Edel Music + Books Dr. Markus Warncke Berit und Rainer Baumgarten Christoph Lohfert Stiftung Eggert Voscherau Hellmut und Kim-Eva Wempe Günter und Lieselotte Powalla Martha Pulvermacher Stiftung Heide + Günther Voigt Gabriele und Peter Schwartzkopff Dr. Anneliese und Dr. Hendrik von Zitzewitz GOLD ZUWENDUNGEN AB 50.000 EURO Rainer Abicht Elbreederei Christa und Peter Potenberg-Christoffersen HERISTO AG Christian Böhm und Sigrid Neutzer Amy und Stefan Zuschke

FRoSTA AG

Dr. Utz und Dagmar Garbe Susanne und Karl Gernandt Anna-Katrin und Felix Goedhart Adolph Haueisen GmbH Katja Holert und Thomas Nowak Isabella Hund-Kastner und Ulrich Kastner Knott & Partner VDI Hartmut † und Hannelore Krome Christian Kupsch Detlev Meyer PJM Investment Akademie GmbH Riedel Communications GmbH & Co. KG Rotary Club Hamburg-Elbe Dr. Gaby Schönhärl-Voss und Claus-Jürgen Voss Melanie und Stefan Wirtgen BRONZE ZUWENDUNGEN AB 5.000 EURO Dr. Ute Bavendamm / Prof. Dr. Henning Harte-Bavendamm Rolf Dammers OHG Ilse und Dr. Gerd Eichhorn Ansgar Ellmer, Ellmer Group Deutschland GmbH Hennig Engels Dr. T. Hecke und C. Müller Marga und Erich Helfrich Korinna Klasen-Bouvatier Chippi Klindworth Dr. Claus und Hannelore Löwe Georg-Plate-Stiftung Carmen Radszuweit Colleen B. Rosenblat Rölke Pharma GmbH Ute und Jörn Schmitt Hannelore und Albrecht von Eben-Worlée Stiftung

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FÖRDERER

DIE KURATOREN

DES FREUNDESKREISES ELBPHILHARMONIE + LAEISZHALLE E. V.

Jürgen Abraham | Rolf Abraham | Heike Adam | Anja Ahlers | Margret Alwart | Karl-Johann Andreae | Dr. Michael Bamberg | Undine Baum | Rainer und Berit Baumgarten | Gert Hinnerk Behlmer | Michael Behrendt | Robert von Bennigsen | Joachim von Berenberg-Consbruch | Peter Bettinghaus | Marlis und Franz-Hartwig Betz | Ole von Beust | Wolfgang Biedermann | Alexander Birken | Dr. Frank Billand | Dr. Gottfried von Bismarck | Dr. Monika Blankenburg | Birgit Bode | Andreas Borcherding | Tim Bosenick | Vicente Vento Bosch | Jochen Brachmann | Gerhard Brackert | Maren Brandes | Verena Brandt | Prof. Dr. Hans Jörn Braun | Beatrix Breede | Heiner Brinkhege | Nikolaus Broschek | Carolin Bröker | Marie Brömmel | Claus-G. Budelmann | Engelbert Büning | Amrey und Jürgen Burmester | Stefanie Busold | Dr. Christian Cassebaum | Martina Cleven | Dr. Markus Conrad | Dr. Katja Conradi | Dierk und Dagmar Cordes | Familie Dammann | Carsten Deecke | Jan F. Demuth | Karl Denkner | Dr. Peter Dickstein | Heribert Diehl | Detlef Dinsel | Kurt Dohle | Benjamin Drehkopf | Thomas Drehkopf | Oliver Drews | Klaus Driessen | Herbert Dürkop | Christian Dyckerhoff | Hermann Ebel | Stephanie Egerland | Hennig Engels | Dr. Michael Ensser | Claus Epe | Norbert Essing | Heike und John Feldmann | Alexandra und Dr. Christian Flach | Dr. Peter Figge | Jörg Finck | Gabriele von Foerster | Dr. Christoph Frankenheim | Dr. Christian Friesecke | Manhard Gerber | Birgit Gerlach | Dr. Peter Glasmacher | Prof. Phillipp W. Goltermann | Inge Groh | Annegret und Dr. Joachim Guntau | Amelie Guth | Michael Haentjes | Petra Hammelmann | Jochen Heins | Dr. Christine Heins | Dr. Michael Heller | Dr. Dieter Helmke | Jan-Hinnerk Helms | Rainer Herold | Gabriele und Henrik Hertz | Günter Hess | Prof. Dr. Dr. Stefan Hillejan | Bärbel Hinck | Joachim Hipp | Eberhard Hofmann | Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt | Christian Hoppenhöft | Prof. Dr. Dr. Klaus J. Hopt | Dr. Stefanie Howaldt | Rolf Hunck | Maria Illies | Dr. Ulrich T. Jäppelt | Dr. Johann Christian Jacobs | Heike Jahr | Martin Freiherr von Jenisch | Roland Jung | Dr. Klaus Kamlah | Ian Kiru Karan | Tom Kemcke | Klaus Kesting | Prof. Dr. Stefan Kirmße | Kai-Jacob Klasen | Renate Kleenworth | Gerd F. Klein | Jochen Knees | Matthias Kolbusa | Prof. Dr. Irmtraud Koop |

VORSTAND: Christian Dyckerhoff (Vorsitzender), Roger Hönig (Schatzmeister), Henrik Hertz, Bert E. König, Magnus Graf Lambsdorff, Dr. Ulrike Murmann und Irene Schulte-Hillen EHRENMITGLIEDER: Dr. Karin Fischer †, Manhard Gerber, Prof. Dr. Helmut Greve †, Prof. Dr. h. c. Hannelore Greve, Nikolaus H. Schües, Nikolaus W. Schües, Dr. Jochen Stachow, Dr. Michael Otto und Jutta A. Palmer †

Petrus Koeleman | Bert E. König | Dr. Tiemo Kracht | Susanne Krueger | Sebastian Krüper | Jörg Kuhbier | Arndt Kwiatkowski | Marcie Ann Gräfin Lambsdorff | Dr. Klaus Landry | Günther Lang | Dirk Lattemann | Per H. Lauke | Hannelore Lay | Dr. Claus Liesner | Lions Club Hamburg Elbphilharmonie | Dr. Claus Löwe | Prof. Dr. Helgo Magnussen | Dr. Dieter Markert | Sybille Doris Markert | Franz-Josef Marxen | Thomas J. C. und Angelika Matzen Stiftung | Helmut Meier | Gunter Mengers | Axel Meyersiek | Erhard Mohnen | Dr. Thomas Möller | Christian Möller | Karin Moojer-Deistler | Ursula Morawski | Katrin MorawskiZoepffel | Jan Murmann | Dr. Sven Murmann | Dr. Ulrike Murmann | Julika und David M. Neumann | Michael R. Neumann | Franz Nienborg | Frank Nörenberg | Dr. Ekkehard Nümann | Dr. Peter Oberthür | Thilo Oelert | Dr. Andreas M. Odefey | Dr. Michael Ollmann | Dr. Eva-Maria und Dr. Norbert Papst | Dirk Petersen | Dr. Sabine Pfeifer | Sabine Gräfin von Pfeil | Martin Philippi | Aenne und Hartmut Pleitz | Bärbel Pokrandt | Hans-Detlef Pries | Karl-Heinz Ramke | Horst Rahe | Dr. Martin Reitz | Ulrich Rietschel | Ursula Rittstieg | Thimo von Rauchhaupt | Prof. Dr. Hermann Rauhe | Prof. Dr.-Ing. Dr. Ing. E. h. Heinrich Rothert | Prof. Michael Rutz | Bernd Sager | Siegfried von Saucken | Birgit Schäfer | Dieter Scheck | Mattias Schmelzer | Vera Schommartz | Katja Schmid von Linstow | Dr. Hans Ulrich und Gabriele Schmidt | Nikolaus H. Schües | Nikolaus W. Schües | Kathrin Schulte | Gerd Schulte-Hillen | Prof. Dr. Volker Schumpelick | Ulrich Schütte | Dr. rer. nat. Mojtaba Shamsrizi | Dr. Susanne Staar | Henrik Stein | Prof. Dr. Volker Steinkraus | Wolf O. Storck | Greta und Walter W. Stork | Reinhard Stuth | Ewald Tewes | Ute Tietz | Dr. Jörg Thierfelder | Dr. Jens Thomsen | Tourismusverband Hamburg e. V. | John G. Turner und Jerry G. Fischer | Resi Tröber-Nowc | Hans Ufer | Dr. Sven-Holger Undritz | Margarethe Wacker-Frankenberger | Markus Waitschies | Dr. Markus Warncke | Thomas Weinmann | Marianne Wessel | Dr. Gerhard Wetzel | Erika Wiebecke-Dihlmann | Dr. Andreas Wiele | Dr. Martin Willich | Ulrich Winkel | Nina Kathrien Winterling | Dr. Andreas Witzig | Dr. Thomas Wülfing | Christa Wünsche | Stefan Zuschke Sowie weitere Kuratoren, die nicht genannt werden möchten.


FÖRDERER

ELBPHILHARMONIE CIRCLE DER UNTERNEHMERKREIS DER ELBPHILHARMONIE

ABACUS Asset Management Addleshaw Goddard LLP AHN & SIMROCK Bühnen- und Musikverlag GmbH Allen Overy LLP Arnold Hertz Immobilien a-tour Architekturführungen Bankhaus DONNER & REUSCHEL Barkassen-Meyer BBS Werbeagentur BC Beach BDV Behrens GmbH BNP Paribas Real Estate BONNING2 GmbH Bornhold Die Einrichter Braun Hamburg British American Tobacco Germany C.A. & W. von der Meden Capgemini Deutschland GmbH Carl Robert Eckelmann Company Companions DNW Dr. Aschpurwis Gmbh & Co. KG Drawing Room Engel & Völkers AG Engel & Völkers Hamburg Projektvermarktung Esche Schümann Commichau Eventteam GmbH Flughafen Hamburg Fortune Hotels FRANK-Gruppe Freshfields Bruckhaus Deringer Garbe Germela Gerresheim serviert GmbH Groth & Co. GmbH & Co. KG Grundstücksgesellschaft Bergstrasse Hamburg Team Hanse Lounge, The Private Business Club HBB Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH Heinrich Wegener & Sohn Bunkergesellschaft Hermann Hollmann GmbH & Co. HHLA Hotel Wedina Hamburg Igepa group IK Investment Partners

INP-Holding Iris von Arnim ISA-Traesko GmbH Jäderberg & Cie. JARA HOLDING GmbH Joop! Kesseböhmer Holding KG KLB Handels GmbH Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette GmbH Lehmann Immobilien Lennertz & Co. GmbH loved Lupp + Partner Madison Hotel Malereibetrieb Otto Gerber GmbH Miniatur Wunderland Nordgetreide GmbH & Co. KG Notariat am Gänsemarkt Notariat an den Alsterakaden Otto Dörner GmbH & Co. KG Plath GmbH print-o-tec GmbH Robert C. Spies Gewerbe & Investment Rosenthal Chausseestraße GbR ROXALL Group Schlüter & Maack GmbH SHP Primaflex GmbH Steinway & Sons Stolle Sanitätshaus GmbH Strebeg Verwaltungsgesellschaft mbH Taylor Wessing The Fontenay Hotel THE STUDIOS Trainingsmanufaktur Dreiklang UBS Europe SE Hamburg Unger Hamburg Vita Apotheke Vladi Private Islands Weischer.Media Worlée Chemie WTS Steuerberatungsgesellschaft Wünsche Handelsgesellschaft

Sowie weitere Unternehmen, die nicht genannt werden möchten.

FÖRDERKREIS

INTERNATIONALES MUSIKFEST HAMBURG

Jürgen Abraham Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein und Nikolaus Broschek Annegret und Claus-G. Budelmann Christa und Albert Büll Birgit Gerlach Ulrieke Jürs Ernst Peter Komrowski Dr. Udo Kopka und Jeremy Zhijun Zeng Helga und Michael Krämer Sabine und Dr. Klaus Landry Marion Meyenburg

Zai und Edgar E. Nordmann Christiane und Dr. Lutz Peters Änne und Hartmut Pleitz Engelke Schümann Martha Pulvermacher Stiftung Margaret und Jochen Spethmann Birgit Steenholdt-Schütt und Hertigk Diefenbach Anja und Dr. Fred Wendt Constanze und Christian Wriedt Sowie weitere Förderer, die nicht genannt werden möchten.

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FÖRDERER

SPONSOREN UND FÖRDERSTIFTUNGEN

DIE PARTNER DER ELBPHILHARMONIE

PRINCIPAL SPONSORS

PRODUCT SPONSORS


FÖRDERER

CLASSIC SPONSORS

FÖRDERSTIFTUNGEN

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IMPRESSUM

Die nächste Ausgabe des Elbphilharmonie Magazins erscheint am 13. Dezember 2021.

Herausgeber HamburgMusik gGmbH Geschäftsführer: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen Margedant Platz der Deutschen Einheit 4, 20457 Hamburg magazin@elbphilharmonie.de www.elbphilharmonie.de Chefredakteur Carsten Fastner Redaktion Katharina Allmüller, Melanie Kämpermann, Clemens Matuschek, Tom R. Schulz; Gilda Fernández-Wiencken (Bild) Formgebung GROOTHUIS. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH für Kommunikation und Medien, Marketing und Gestaltung; groothuis.de Gestaltung Janina Lentföhr (Leitung), Lars Hammer, Susan Schulz; Bildredaktion Angela Wahl; Herstellung Johanna Lohse, Steffen Meier; Projektleitung Alexander von Oheimb; CvD Rainer Groothuis Beiträge in dieser Ausgabe von Stephan Bartels, Simon Chlosta, Stefan Franzen, Volker Hagedorn, Lars Hammer, Gesche Jäger, Jörn Kaspuhl, Clemens Matuschek, Regine Müller, Matthias Oertel, Till Raether, Nadine Redlich, Claudia Schiller, Charlotte Schreiber, Tom R. Schulz, Albrecht Selge, Renske Steen, Martin Venezky, Juliane Weigel-Krämer, Julika von Werder, Bjørn Woll Lithografie Alexander Langenhagen, edelweiß publish, Hamburg Korrektorat Ferdinand Leopold Druck gutenberg beuys, Feindruckerei GmbH, Langenhagen

Dieses Magazin wurde klimaneutral auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft produziert.

Anzeigenleitung Antje Sievert, Anzeigen Marketingberatung Sponsoring Tel: 040 450 698 03, antje.sievert@kultur-anzeigen.com Vertrieb PressUp GmbH, Hamburg Leserservice / Abonnement Elbphilharmonie Magazin Leserservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg leserservice@elbphilharmonie.de Tel: 040 386 666 343, Fax: 040 386 666 299 Das Elbphilharmonie Magazin erscheint dreimal jährlich. Bild- und Rechtenachweise Cover Collage: Martin Venezky, zur Verfügung gestellte Fotografien von Claudia Höhne, Jewgeni Roppel, Maxim Schulz, Oliver Viaña und Michael Zapf S. 1: Michael Zapf; S. 2 linke Spalte: Mike Terry, mittlere Spalte: David Ignaszewski, rechte Spalte: Christine Ledroit Perrin; S. 3 oben links: Breitkopf & Härtel, mitte: picture alli-ance / Heritage Images / Fine Art Images, unten: Julia Wesely; S. 4: Breitkopf&Härtel; S. 6: The History Collection / Alamy Stock Foto; S. 7 oben: akg-images, links: picture alli-ance / ullstein bild (3), rechts: akg-images / Ruth Berlau; S. 8: Akademie der Künste / Berlin; S. 9 oben: picture-alliance / dpa / UPI, unten: akg-images / picture-alliance / Günter Bratk; S. 10: akg-images / Imagno; S. 12-16: Jörn Kaspuhl; S. 18-19: Lars Hammer; S. 20-23: Mike Terry;

S. 24: Nadine Redlich; S. 26: Julia Wesely; S. 28: franui / Anja Koehler; S. 29: Frankfurter Oper / Barbara Aumüller, S. 30: Andreas Weiss; S. 32: Guiseppe Cardoni; S. 36-43: Martin Venezky, zur Verfügung gestellte Fotografien von Claudia Höhne, Jewgeni Roppel, Maxim Schulz, Oliver Viaña und Michael Zapf; S. 44: Charlotte Schreiber; S. 46: picture alli-ance / dpa / Adam Warzawa; S. 47: picture alliance / Fred Toulet / Leemage; S. 48: Louis Mo-nier / Rue des Archives / Süddeutsche Zeitung Photo; S. 49: Philippe Matsas; S. 50 rechts: Gerald von Floris, links oben: Gib Martorana, unten: Tobias Hein; S. 51 oben: Antonia Jacobsen, rechts: Christian Knieps, unten: Tina Niedecken; S. 53 Red Consulting / Chennai (2); S. 54: Rehmat Rayatt (2); S. 56 links: Kaushik Roy, rechts: Studio 52 / London; S. 58 oben: SWR / Armin Köhler, unten: SWR / Kurt Grill; S. 59: SWR / Kurt Grill (2); S. 60 oben links: SWR / Kurt Grill, darunter: SWR / Willy Pragher, oben rechts: Franz Krickl, darunter: SWR; S. 61 SWR / Irmtraud Wirth; S. 62 unten links: Ralf Brunner / laif, darunter: SWR / Franz Krickl, oben rechts: akg-images / SNA, darunter: Franz Krickl; S. 63: SWR / Pressebild Heinz Finke; S. 64-67: picture alliance / imageBROKER / Michael Nitzschke; S. 66: Julien Benhamou; S. 68-71: Gesche Jäger; S. 72-80: Matthias Oertel; S. 82-83: istockphoto / cookelma; S. 8-854: istockphoto / Dimitris66; S. 86-87: istockphoto / abadonian; S. 88: Jewgeni Roppel Redaktionsschluss 29. Juli 2021 Änderungen vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Träger der HamburgMusik gGmbH:


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