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Kunst der Revolte
from #3 Begehren
by engagée
Die Kunst der Revolte
Geoffroy de Lagasnerie - Buchbesprechung
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Am Mittwoch des 20. Aprils 2016 erklärte das Bundesverfassungsgericht in Deutschland, dass die Methoden des Bundeskriminalamtes zur Terrorabwehr teilweise gegen die Grundrechte verstießen. Die Unverhältnismässigkeit, mit der Wohnungen überwacht, Telefongespräche abgehört und Computer online durchsucht werden, verletze die Zugriffsvoraussetzungen und gewähre nicht den Schutz privater Lebensgestaltung, so die Begründung des Richterspruchs.
In Die Kunst der Revolte problematisiert der Philosoph Geoffroy de Lagasnerie diese aktuellen Phänomene der „Auflösung des Rechts“. Das Buch versammelt zahlreiche kritische Überlegungen zu Überwachungsmaßnahmen, Staatsgeheimnissen und der Logik des Staats in ihrem Verhältnis zu den Erfordernissen der Demokratie. Mit seiner Analyse von nichtdemokratischen Sphären demokratischer Staaten zielt Lagasnerie auf die Erweiterung unseres Verständnisses, was eine demokratische Politik heute bedeuten könnte. Dazu hinterfragt er unsere theoretische Sprache und prüft zeitgenössische Analysen der Macht und Souveränität sowie das Verhältnis von Bürger_innen zum Staat, zur Nation, zum Recht und zur Demokratie. Sein ambitioniertes Vorgehen gilt auch dem Anspruch, das zeitgenössische Dispositiv der Politik und der politischen Theorie, das die Politik und Öffentlichkeit aneinander bindet, durch ein neues Dispositiv des Widerstands zu ersetzen. Dabei rückt er die Kategorie der Anonymität in den Mittelpunkt und vertritt die These:
Wenn der Staat um der Sicherheitwillen die Rechte der Bürger_innenauf Privatsphäre einschränkt, wird politisches Handeln in die Anonymität gezwungen.
Lagasneries Verständnis von Anonymität ist im Kern positiv besetzt, weil die politischen Subjekte, die radikal und anonym handeln können, vervielfacht werden, wie der Fall WikiLeaks eindrucksvoll zeigt: „Die Praxis der Anonymität ermöglicht politisches Handeln, ohne dass man sich als identifizierbares Subjekt darstellt. Das anonyme Subjekt tritt nicht als ein Subjekt auf, das erscheint: Im Gegenteil bewerkstelligt es seine Unsichtbarkeit; es löst sich als öffentliches Subjekt auf.“ (90)
Gerade weil Diskurse wie der Krieg gegen den Terror und der Staatssicherheit dazu benutzt werden, die Rechte der Bürger_innen immer mehr einzuschränken, sind neue Formen des Widerstands erforderlich. Mit Lagasnerie gesprochen besteht die dringende Aufgabe darin, „Schutzmaßnahmen für die Sphäre des Individuums gegen das Eindringen der Staaten wiederzuerlangen und andererseits die Kontrolle der Regierten über die Regierenden auszuweiten, indem man die Tatsache ablehnt, dass das Feld der Politik immer mehr im Geheimen arbeitet und sich darauf stützt, Entscheidungen zu treffen, die dem Blick der Bürger entzogen sind.“ (37)
Welches Begehren?
Mit Rekurs auf Arendt, Butler und Agamben theoretisiert Lagasnerie, welches radikal-emanzipatorische Potenzial sich hinter dem Vorgehen verbirgt, die Revolte mit der Praxis des Exils und der Flucht zu verbinden. Mit seinen Überlegungen zu einem neuen politischen Subjekt, das im Umfeld von Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning auftaucht, zeigen sich neue Formen politischen Aufbegehrens als Ausdruck eines neuen Verhältnisses des Subjekts zum Recht, zum Staat und zum Dissidententum. Was die drei Personen miteinander verbindet ist, dass sie alle aus der Anonymität heraus gehandelt und sich in die Flucht begeben haben. Mit WikiLeaks will Assange, der trotz UN-Gutachtens, noch immer in der ecuadorianischen Botschaft in London lebt, einen verschlüsselten Raum ohne Möglichkeit der Nachverfolgung der Quelle zur Verfügung stellen. Snowden, der im Exil in Russland lebt, machte Spitzelleien der NSA publik und Manning, die in einem amerikanischen Gefängnis sitzt, wurde bekannt durch die Weiterleitung von Geheimdokumenten an WikiLeaks, die Kriegsverbrechen der Amerikaner_innen im Irak-Krieg aufgedeckt haben.
Lagasnerie entwickelt seine Überlegungen zu einem neuen politischen Subjekt ausgehend von einer grundlegenden Kritik am Subjekt des zivilen Ungehorsams. Ein solches Subjekt sei immer noch ein Subjekt des Staates, das im Namen der Gesetze handelt auch wenn es gelegentlich seine Zugehörigkeit zum Rechtssystem aberkennt, indem es öffentlich Ungehorsam gegen Gesetze übt, die offensichtlich mit den Werten der Gerechtigkeit unvereinbar sind (69). Anders als das Subjekt des zivilen Ungehorsams verhält es sich laut Lagasnerie mit dem neuen politischen Subjekt, das sich um Personen wie Snowden, Assange und Manning konstituiert: „Das Subjekt, dessen Umrisse wir hier erkennen, konstituiert sich nicht als verantwortliches Subjekt, das öffentlich in der politischen Sphäre handelt. Es handelt entweder als anonymes Subjekt, das sich versteckt, oder als Subjekt, das das Gesetz nicht akzeptiert und seine eigene Zugehörigkeit zur Ordnung des Gesetzes nicht anerkennt.“ (75) Politische Handlungsfähigkeit wird bei Lagasnerie außerhalb des Nationalstaatsgedankens gerückt und somit in die Nähe zur Idee eines Weltbürger_innentums, das mit Hilfe des Internets realisiert werden kann. Konkret schlägt er vor, statt von Staatenlosigkeit als Untersuchungsgegenstand von der Staatsbürger_innenschaft auszugehen. Dies schließt mit ein, an die Stelle des Ausnahmezustands, eine Analyse der Funktionsweise des Rechtsstaats zu setzen. Ausgehend von seiner Kritik des Rechts in seiner Positivität plädiert er schließlich dafür, dass Zugehörigkeit nicht dem Zwang unterliegen darf, sondern frei wählbar sein sollte.
Insgesamt lässt sich für Die Kunst der Revolte feststellen, dass es sich dabei um ein Buch handelt, welches in erster Linie Gedankenspiele zu einem neuen politischen Subjekt und einem neuen Dispositiv des Widerstands versammelt. Auffällig ist, dass die Überlegungen darin stark von der Theorie inspiriert sind und manches Mal eigenartig abwesend von der Praxis erscheinen. So beispielsweise, wenn Lagasnerie das Thema Flucht als bewusste politische Tat am Beispiel der Lebensgeschichten von Snowden, Assange und Manning behandelt und nicht als notwendige Konsequenz, um politischer Verfolgung, Krieg und anderer humanitärer Katastrophen zu entgehen.
Die Kunst der Revolte. Snowden, Assange, Manning Geoffroy de Lagasnerie. Jürgen Schröder (Übers.), Suhrkamp 2016, 158 S., 19,90€.
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