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Sensibilität
from #3 Begehren
by engagée
Sensibilität
Begehren; ist es wie z.B. ein knurrender Magen oder vielmehr das, was davon übersetzt wird, also Hunger, Hunger auf etwas Bestimmtes? Bliebe es unübersetzt, unmittelbar/er, könnte man vielleicht von einem Bedürfnis sprechen. Manchmal spricht man auch von den Leidenschaften, die durch den Verstand in eine gesellschaftlich akzeptable Form transformiert würden, vielmehr, er artikuliere ein Interesse auf sozial verträgliche Weise (Deleuze 1997: 8).
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Wann, wenn nicht jetzt!?
Diesen Prozess der Transformation können wir vielleicht nun auch Begehren nennen. Das entspricht auch der Definition, wie sie in der Psychoanalyse meist üblich ist, denn es ist das im weitesten Sinne Sprachliche, das ein Bedürfnis übersetzt, es in gewisse Bahnen lenkt und auch schlicht ausformuliert, wohingegen dieser Schritt Verzerrungen nicht ausschließt. An den Begriff des menschlichen Begehren schließt der Begriff des „Ich“ nahtlos an, welches als ideologisches System verstanden werden könne, das Versuche sämtliche Vorgänge für es in eine nützliche und akzeptable Form zu bringen (vgl. Fink 2013: 357). Um sich spezifisch unterscheiden zu können, benötigt es also etwas, das man manchmal auch kollektive Charaktermasken nennt: den Eindruck oder die Idee des Ichs, den wir alle im Grunde teilen, so individuell es auch erscheinen mag, so nun die Behauptung. Diese Vorstellung formt oder bedingt Identität und so wichtig diese für viele erscheinen mag, ist deren Kehrseite jedoch das Moment der Identifizierung, die in Kategorien mündet und damit wiederum befinden wir uns in dem Bereich, in dem die menschlichen Tiere von den anderen unterschieden werden. Das menschliche Tier, es spricht und es begehrt (zum Sprechen sei die Frage aufgeworfen, ob wir die anderen Sprachen, die der Tiere, lediglich nicht verstehen können). Solche Kategorien kann man als Form symbolischer Gewalt betrachten, da sie im Grunde willkürliche Trennungen und Wertungen vollziehen (ähnlich der Achsen Klasse, Ethnie, Geschlecht etc.) und vielleicht seien daher die meisten Menschen völlig unfähig, den Standpunkt von Tieren einzunehmen, mit denen sie leben oder arbeiten (vgl. ebd., S.41), und die sie konsumieren…
Das führt zu einem Problem: Menschen nehmen sich selbst als Zentrum und Maßstab, ihr Logozentrismus ist es, der ausgehend von seinen Übersetzungserzwingungen alles organisiere (vgl. Derrida 2015: 465 oder auch Nietzsche, MA I, 1.2). D.h. wir, die menschlichen Tiere, denken uns an der Spitze einer Hierarchie, die keineswegs natürlich ist, sondern die wir ausgehend von uns selbst (als Maßstab) ableiten.
Liegt es im menschlichen Begehren, sich wesentlich unterscheiden zu wollen?
Das Problem, das solche Unterscheidungen mit sich bringen, ist die Hierarchie, die Menschen daraus machen, mit sich selbst an oberster Stelle. Wannemacher schreibt von einem „Bild einer in Selbstherrlichkeit erstarrten Disziplin“, die traditionellen Kategorien von Mensch und Tier umschreibend, wobei das „Tier zum Zerrbild des Menschen“ wurde (vgl. Wannemacher 2015: 3). Eine weitere Kritik am Anthropozentrismus, die aber auch andeutet, dass oftmals selbst innerhalb solcher Kritiken der Mensch weiterhin als idealer Entwicklungsschritt gedacht wird. Ein Verweis auf den sog. Speziesismus und für Wannemacher stellt sich die Frage, ob nichtspeziesistisches Denken überhaupt möglich sei.
Nehmen wir, um die Sache mit dem Maßstab zu unterstreichen, als Beispiel eine weitere Kategorie, die der Intelligenz: eine Fähigkeit zur Problemlösung logischer oder anderer abstrakter Aufgaben, sagt eine der menschlichen Theorien zur Intelligenz (wobei man im Grunde auch bei Pflanzen von intelligentem Handeln sprechen kann). Menschen sind intelligente Wesen und inzwischen sagt man das auch von einigen Tieren. Mensch ist geradezu begeistert, wenn er/sie die selbst gesetzten Maßstäbe woanders überraschenderweise wiedererkennt. So erkennen wir inzwischen, dass Tiere durchaus soziale Wesen sind. Mensch begeistert sich für die Erforschung kognitiver und sozialer Fähigkeiten, vor allem auch bei Nutztieren. Im Grunde hat die Sache mit den sozialen Interaktionen bereits Darwin 1872 in Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren angedeutet. Wir alle sind Lebewesen, die die Evolution hervorbrachte und bringt und so die unendliche Varietät an Lebendigem zeigt. Mensch aber braucht Experimente, Forschungsprojekte, um etwas festzustellen, das eigentlich völlig natürlich und selbstverständlich sein sollte.
Was sagt also unser Umgang mit unserer Um- und Mitwelt über unser Begehren aus?
Sind wir sozial, sozial im vollen Sinne von einfühlsam, hilfsbereit? Nein. Sozial im engen Rahmen von gesellschaftlichen Belangen, schon eher, wie Anfangs beschrieben.
Denken wir an die Nutztierhaltung oder die Heimtierzucht, die lediglich unseren perfiden Ansprüchen genügen. Lebewesen werden nach unseren Interessen gezüchtet, seien es vermeintlich ästhetische Interessen oder die des Profits. Die Kategorie „nichtmenschliche Tiere“ dient uns als Objekt für unsere gesellschaftlichen Belange. Das soziale Wesen Mensch zerstört andersartige Gemeinschaften.
Wir behandeln Tiere wie Maschinen, machen Maschinen und Produkte aus ihnen, Turbokühe, Hochleistungshühner und das alles im Namen der Effizienz und der Gesundheit, perfiderweise auch dem des Genusses.
Viele Schweine verbrühen bei lebendigem Leib, pro Jahr etwa 500 000. Eine Toleranzgrenze. Man denke an Biofleisch und beruhigt sich, will die Kluft zwischen Realität und Traum (die Idee der ‚glücklichen Nutztiere‘) nicht wahrnehmen, „sie nicht als schmerzlich empfinden und daher auch wenig unternehmen, um Traum und Realität einander anzugleichen“ (Sezgin 2014: 20). Bedingt der Schritt vom Bedürfnis zum Begehren hier auch den Moment der Verdrängung der grausamen Realität, die abseits hinter hohen Mauern stattfindet? Der Konsum tierischer Produkte, das ist normal, natürlich, notwendig. Drei Lieblingswörter des homo sapiens, mit denen jede auch noch so grausame Praktik legitimiert und jede tiefgreifende Beschäftigung mit diesem Thema verunmöglicht wird. Man denke nur an die Werbestrategien diverser Konzerne (McDonald´s, AMA Österreich, etc.), die Teil des Schleiers einer vernünftigen Welt sind und, so die Behauptung, kollektive Charaktermasken gut bedienen. Wir kleiden uns in Fellen und Leder, ein Stück Natur auf unseren neoliberalen Leibern. Hat sich je jemand gefragt, wieviel chemische Mittel verwendet werden, um Tierhaut überhaupt tragbar zu machen? Hat sich je jemand gefragt, warum wir eigentlich von Leichenteilen umgeben sind? Pelz, Leder, Produkte aus Elfenbein, Gelatine, Borsten, verwestes Fleisch, das wir üblicherweise als „gut Abgehangenes“ bezeichnen, Federn und Daunen und so weiter. Beginnt man sich mit der Thematik der Nutztierhaltung zu beschäftigen, mit den Tierversuchen, dem Lebensweg von Tieren in Zoos, Zirkussen und sonstigen „Vergnügungsparks“, oder auch mit den Prozessen der sog. In-Wert-Setzung der Natur, dann, ja dann geht man durch die Hölle. Die Kehrseite menschlichen Begehrens, das diese Dinge meist als Beherrschung von Natur und deren Wesen bezeichnet.
Nun ein kleiner, sehr puristisch gehaltener Vergleich, um Lebenswelten und ihre grundlegenden Gemeinsamkeiten anzudeuten. Anschließend weitere Eindrücke aus der Welt der Nutztiere.
Wenn Rinder oder Schweine nach einem langen Tag auf den Weiden oder sonstigen Wanderschaften nach Hause kommen (wenn sie frei leben dürfen, machen sie das von selbst, sie müssen nicht angetrieben werden), tun sie das in Erwartung, ihre gewohnte Umgebung wiederzufinden, ihr Strohbett bereiten zu können, sich in ihrer Gruppe schlafen zu legen. Wenn wir Abends nach Hause kommen, erwarten wir unser Bett, in dem wir uns schlafen legen, vielleicht nahe einer vertrauten Person. Wir gehen zwar über das unmittelbar Gegebene hinaus und kaufen beispielsweise verschiedenartige
Wann, wenn nicht jetzt!?
Überzüge, jedoch befinden wir uns in derselben Erwartungshaltung, pflegen doch dieselben Gewohnheiten. Aber wir kaufen zum Beispiel Bettwäsche, die mit Daunen gefüllt ist. Gänse werden in ihrem kurzen Leben bis zu sieben Mal lebend gerupft, die Daunen befinden sich im Unterfell und die entstanden Wunden werden notdürftig versorgt, zuweilen ohne Narkose wieder und wieder genäht. Könnt ihr gut damit schlafen? Die für die Massentierhaltung gezüchteten Hühner legen über 300 (unbefruchtete) Eier pro Jahr. Ihr Instinkt zu brüten, wurde längst weggezüchtet. Die Folgen sind Eileiterund Bauchfellentzündungen, oder Osteoporose, da der Kalk für die Schale des Eis aus ihrem Skelett stammt. Hühner legen Eier nicht für unser Frühstück, denn ein ‚natürliches Huhn‘ würde im Jahr lediglich ca. 20 - befruchtete - Eier legen. Sie würden in sozialen Kleingruppen leben, nicht zu hunderten oder tausenden, in immer beleuchteten Hallen. Auf sog. Gnaden- oder Lebenshöfen lernt man Tiere von einer anderen Seite her kennen, mit ihren Gewohnheiten, Sympathien und Launen. Ein Schwein, das Freundschaften mit Gänsen pflegt, sogar in deren Stall einzieht und nicht mehr mit seinen Artgenossen wohnen will. Katzenmütter, die Enten- oder Kaninchenkinder adoptieren und nebst ihren eigenen Jungen großziehen ohne sich je die Frage zu stellen, ob das nun die „eigenen“ Kinder sind. Unter Tieren findet sich das Soziale in Reinform, Sensibilität ohne Wenn und Aber. Sie schließen art-übergreifend Freundschaften und auch Bündnisse, sie brauchen dafür keine Verträge, Gesetze und auch keine sonstigen symbolischen Akte, mit denen wir uns wiederum so gerne rühmen.
Nutztiere blühen meist auf, nachdem sie aus der Massentierhaltung befreit wurden. Es gibt aber auch Fälle, bei denen die Traumata nicht mehr heilen und allein die Tatsache, dass Tiere traumatisiert werden können, zeigt so viel über ihre Wesen, die sich nicht so sehr von den unsrigen unterscheiden. Das menschliche Begehren, es ist nicht sozial, es will nichts außer sich selbst sehen. Ist es auch unser Begehren, hier nicht zu wissen? Vielleicht liegt es an uns, von unserem Begehren loszulassen, über es hinauszugehen; insofern es auch verstanden werden kann als Motor, der uns auf uns selbst zentriert und durch Übersetzungen Empathie und Unmittelbarkeit in Nützlichkeit im Rahmen sozialer Akzeptanz transformiert. Und eines noch haben Tiere uns voraus: Sie haben keine Angst vor dem Tod. Das eigentlich schwache Geschlecht der Natur, der Mensch? Das Sterben, es fällt uns meist schwer, ebenso wie das Altern. Koko, eine Vertreterin der Gorillas, die wie etliche andere Menschenaffen in Gefangenschaft gelernt hat, in menschlicher Gebärdensprache zu kommunizieren (vgl. Wannemacher, S. 7), antwortete auf die Frage, wohin Gorillas gehen, wenn sie sterben ›Gemütlich - Höhle - auf Wiedersehen‹.
| Chris Oliver Schulz
Literatur:
Bruce Fink: Grundlagen der psychoanalytischen Technik, Wien, 2013.
Gilles Deleuze: David Hume, Frankfurt a.M./New York, 1997.
Hilal Sezgin: Hilal Sezgins Tierleben,München, 2014.
Jacques Derrida: Das Tier und der Souverän I, Seminar 2001-2002, Wien, 2015.
Julia Wannemacher: Ambivalenzen einer Beziehung: Das Tier in der Theologie, in: Disziplinierte Tiere? Perspektiven der Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen, Hg. R. Spannring, K. Schachinger, G. Kompatscher, A. Boucabeille, Bielefeld, 2015
Geschichten vom Lebenshof, siehe z.B. http://www.stiftung-fuer-tierschutz.de.