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Hate speech als Form verbaler Gewalt

Verbale Gewalt »Hate Speech«

Im Kontext gesellschaftlich akzeptierter Simplifizierung

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„Ich lese keine Kommentare mehr, davon könnte ich immer kotzen. “

Was macht es so schwer, gegen den Hass anzuschreiben? Und kümmern sich um „die schlimmen Aussagen“ nicht eh Admins –argumentativ bewaffnet mit dem Strafgesetzbuch?

Es bedarfkeiner besonderen Sensibilisierung oder persönlichen politischen Agenda, um eine scheinbar verrohte Netzgesellschaft auszumachen. Nach juristischen Gesichtspunkten ist eine Hassbotschaft, eine Hate Speech, eine Straftat, wenn sie »in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet«. (Strafgesetzbuch, §130(1)). Verbale Gewalt, Einschüchterung und Hassbotschaften beginnen jedoch (bereits) früher. Der rechtliche Rahmen deckt, wie so oft, nur die Extremfälle ab.

Verbale Gewalt kann verschiedene Formen annehmen und ist keineswegs immer durch Aggressivität, Menschenfeindlichkeit, Ausrufezeichen oder besonders viele Großbuchstaben zu erkennen. Bei eher unauffälligen Hate Speeches werden Stereotype bedient, um bei den Rezipient*innen des Ausspruches Abneigung hervorzurufen. Die Grenze zwischen gesellschaftlich akzeptierter Verallgemeinerungund einerals inakzeptabel aufgefassten, diffamierenden Hasstirade ist dabei fließend. Hassbotschaften sind hierbei nicht aufbestimmte politische Lager oder Opferrollen beschränkt. Neben „den Asylschmarotzern“ kann es auch „faule Hartz-IV-ler“ oder „die daoben/ die verschwörerischen 1%“ treffen.

Das Bemerkenswerte ist, dass sich die Messlatte von akzeptierter, polemischer Simplifizierung bis hin zu inakzeptablen Hassbotschaften verschieben kann. Während bestimmte Bezeichnungen heute „nicht mehr gehen“ und als „unpassend“ eingestuft werden, normalisieren sich andere Rassismen. Diese sich verändernde Einschätzung vollzieht sich dabei recht schnell. Manche homophobe Witze beispielsweise, die bis Ende der Neunziger gern im Mainstreamfernsehen verwendet wurden, sind heute eher unüblich. Gleichzeitig werden andere Bezeichnungen wie „der Islam“, „der nordafrikanische Mann“ oder „der Flüchtling“ zunehmend ethnisiert und in der „Mitte der Gesellschaft“ als Kategorie verankert. Zum einen werden diese Rollenbilder mit klaren Charakteristika verknüpft –beispielsweise einer sexuell enthemmten Art beim „nordafrikanischen, muslimischen Mann“. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass diese Bilder durch eine regelmäßige Wiederholung von Narrativen –wie „nordafrikanischer

Mann raubt/verführt das naive, biodeutsche Mädchen“ –gefestigt werden. Damit werden Aussprüche dieser Art nicht mehr als inakzeptabel und rassistisch aufgenommen, sondern als Teil einer polemisch-provokativen Diskussion, die gerne mit „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“endet. Eine gesellschaftliche Mehrheiterteiltsich hier eine Deutungshoheit und zeichnet mit stiller Gewalt ein herabwürdigendes Bild einer Menschengruppe.

Um diesen Prozess zu verhindern, könnte man zu der berechtigten Schlussfolgerung kommen, dass jegliche Stereotypisierung zu vermeiden ist. Jedoch ist dieses Ziel nur schwer zu erreichen, da Sprache beschränkt ist und beinahe alle Aussagen Rollen und Bilder nutzen –objektivierend oder subjektivierend –und dabei Kontexte simplifizieren. Man möge einmal versuchen, einen Satz auszusprechen, der nicht in der einen oder anderen Weise stereotypisiert. Die Unmöglichkeit, eine nicht-vereinfachende Sprache zu benutzen, sollte jedoch nicht zugleich implizieren, dass dieses Ziel nicht zumindest angestrebt werden kann. Stereotype können beispielsweise gezielt durchkreuzt und durch den Hinweis aufFakten und Widersprüche ad absurdum geführt werden. Gleichzeitig darfdieses Anliegen nicht zu politischer Paralyse führen. Wenn Stereotype nicht beim Namen genannt werden, ist es äußerst schwer, diese anzugehen. „Wir müssen über Rasse reden dürfen, wenn wir Diskriminierung angehen wollen“, sagt die Philiosophin Hourya Bentouhami. Wer also alle Stereotype immer verkompliziert und auf die Individualebene auflöst, kann weder über Klassenunterschiede, noch über Rassismus sprechen –und muss am Ende schweigen.

Beim Namen genannt werden müssen auch die Urheber von Hate-Speech-Kommentaren, die gemäß einer Studie der Universität Zürich erstaunlicherweise oft unter Klarnamen kommentieren (Rost et al., 2016). Es gehört zur Absurdität der Generation Facebook und der Klarnamenpflicht des Netzwerks, dass Kommentare wie „Schickdie Neger/Linken/Juden ins Gas“ von Menschen geschrieben werden, die mit ihrem Profilfoto und Namen oftmals sehr freizügig Einblicke in ihr persönliches Leben geben. Hier fehlen bisher empirische Daten, sodass nicht verallgemeinert werden kann, dass es sich hier vor allem um „angry, white, old men“ handelt. Doch unabhängig vom gesellschaftlichen Hintergrund des Absenders solcher Botschaften müssen die Kommentare beantwortet und/oder gemeldet werden, um die Einwirkungen aufdas gesellschaftliche Klima zu minimieren. Schließlich wird –jenseits der Gesetze und Definitionen von Straffälligkeit –in einerGesellschaft immerauch mitverhandelt, was Satire, Polemik, Kunst oder Hassbotschaft ist und wer „wir“ und „die Anderen“ sind. Es sind diese Definitionen von einem Gruppenselbstverständnis und Prozesse wie Inklusion und Exklusion, die der Motivation, Hassbotschaften zu verbreiten, unterliegen. In einer Welt, die von Globalisierung inklusive weltumspannender Kommunikations- und Mediennetze sowie flexibler Normen geprägt ist, wird das „Wir“ scheinbar gern definiert, indem „das Andere“ besonders scharfkonturiert und besonders fremdartig dargestellt wird.

Sichdaraufnichteinzulassen, istnundieAufgabeeiner inklusiven, demokratischen Gesellschaft. Gesetze allein reichen dafür nicht aus. Die Erfahrung der Geschichte lehrt uns, wie Gesetzgebung von Herrschaftsstrukturen abhängt. Bleiben fremdenfeindliche Äußerungen, die nicht straffällig sind, unkommentiert, bestätigt das nicht nur den Absender und ermutigt ähnlich Denkende –darüber hinaus schüchtert es Menschen ein, die anderer Meinung sind. Der Terminus ‘Zivilcourage im Netz’ beinhaltet nicht ohne Grund das Präfix „zivil-“ –wir können uns also nicht allein auf Admins und die Strafanwaltschaft verlassen. Nur im Sinne einer solchen Kommunikation durch möglichst viele Menschen –der Zivilgesellschaft –kann eine Normalisierungvon solchen Hassbotschaften verhindert werden, die noch nicht den Tatbestand einer Hassbotschaft erfüllt, jedoch bereits das gesellschaftliche Klima vergiftet oder die Basis für tätliche Gewalt schafft.

Dennoch ist die Hürde, bei Hassbotschaften einzuschreiten, groß: Werkommentiert, wirdimNuselbstangegriffen–unabhängigdavon, ob die kommentierende Person der ursprünglichen Zielgruppe des Hasses selbst angehört. Währendviele, die zuKommentaren bereitwären, schlichtweg ihre Zeit anders einsetzen möchten, ist es auch diese verbaleGewalt,dievielepotenzielleKommentator*innenabschreckt. Ebenso abschreckendistoftmals die vermeintliche Aussichtslosigkeit, eine Diskussion zu beginnen. Wer hier einschreiten will, muss sich über die Zielstellung im Klaren sein. Die Urhebervon Hassbotschaften zu„überzeugen“, ist zwar meist eher illusorisch –einen Gedankenanstoß (beim Gegenüber) zu erreichen, ist es jedoch keineswegs. Genauso wichtig ist die pure Präsenz eines Gegenkommentars. Je nach Forum und Urheber*in des Hasskommentars kann Anonymität an dieser Stelle genauso wichtig sein wie auch eine etwaige Absprache mit Unterstützenden.

Manche Gruppen arbeiten auch mit bissigem Humor und „public shaming“. So veröffentlicht beispielsweise die Gruppe „HoGeSa –Hooligans gegen Satzbau“ regelmäßig Screenshots von besonders dümmlichen Hassbotschaften und ihren Rechtschreibfehlern. Diese Taktik sorgt zwar für viele Likes und Retweets, kann aber zu einer Verharmlosung der Hassbotschaften führen. Subtiler ist hingegen die Aktion “Hass-Hilft”. Bei dieser unfreiwilligen Spendenaktion werden Hasskommentare mit einem “Hass-Hilft”-Kommentar versehen. Pro Kommentar geht dann ein Euro Spende an „Aktion DeutschlandHilft“ fürProjekte mitGeflüchteten und„EXIT-Deutschland“, einerInitiative gegen Rechts.

Egal ob ein Shitstorm, ein anonymer Kommentar, eine private Nachricht an einen Bekannten, Spendenkommentar oder belustigende Screenshots: Es gibt viele Herangehensweisen, um mit dem Netzhass umzugehen. Jede Taktik hat ihre Berechtigungund sollte im passenden Moment angewandt werden.

Denn ein hasserfüllter Kommentar ist nie nur ein hasserfüllter Kommentar, sondern auch immer ein Test, ob „man das mal so stehen lassen kann“. Widerspruch bleibt wichtig.

| Marius Hasenheit

Infobox:

Don’t feed the troll, but don’t let ’em grow either. When to act?

Bei der Entscheidung, ab wann ein Kommentar lohnt, hilft die Kategorisierung der Amadeu-Antonio-Stiftung:

a) Direkte Hate Speech („Tötet alle Femnazis“ oder „Ausländer raus!“): In diese Kategorie fallen Aufforderungen zu bestimmten Taten. Eine Diskussion ist kaum durchführbar.

b) Indirekte Hate Speech (“Israel muss aufgelöst werden“ oder „Das Asylrecht gehört abgeschafft!“): Kommentare in dieser Kategorie sehen zunächst unscheinbarer aus, als die der ersten Kategorie. Zu Ende gedacht, unterstützen und legitimieren sie jedoch bestehende Gewalt. Auch hier ist eine sinnvolle Debatte schwer möglich.

c) Uninformierte Aussagen („Die Ausländer beuten die Sozialsysteme aus!“): Diese Aussprüche berufen sich auffalsche Fakten; einen Debattenversuch zu starten, könnte lohnenswert sein.

Hinweise für ein „follow up“:

Relevante Studien:

Heumann, M., Church, T. W., Redlawsk, D. P. (1997). Hate Speech on Campus: Cases, Case Studies and Commentary, Boston: Northern University Press.

Jones, C. H. (1992). Regulating Campus Hate Speech: Is It Constitutional? San Francisco: National Constitution on Crime and Delinquency Press.

Im Text zitierte Studien und andere Verweise:

Rost, K., Stahel, L., Frey, B. S. (2016). „Digital social norm enforcement: Online firestorms in social media.“ PLoS one 11.6 (2016): e0155923.

HoGeSa –Hooligans gegen Satzbau: http://www.hogesatzbau.de

Hass-hilft: http://www.hasshilft.de

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