#4 Gewalt

Page 40

Verbale Gewalt »Hate Speech« Im Kontext gesellschaftlich akzeptierter Simplifizierung

Ich lese keine Kommentare mehr, davon könnte ich immer kotzen.

W

as macht es so schwer, gegen den Hass anzuschreiben? Und kümmern sich um „die schlimmen Aussagen“ nicht eh Admins – argumentativ bewaffnet mit dem Strafgesetzbuch? Es bedarf keiner besonderen Sensibilisierung oder persönlichen politischen Agenda, um eine scheinbar verrohte Netzgesellschaft auszumachen. Nach juristischen Gesichtspunkten ist eine Hassbotschaft, eine Hate Speech, eine Straftat, wenn sie »in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet«. (Strafgesetzbuch, §130(1)). Verbale Gewalt, Einschüchterung und Hassbotschaften beginnen jedoch (bereits) früher. Der rechtliche Rahmen deckt, wie so oft, nur die Extremfälle ab.

Verbale Gewalt kann verschiedene Formen annehmen und ist keineswegs immer durch Aggressivität, Menschenfeindlichkeit, Ausrufezeichen oder besonders viele Großbuchstaben zu erkennen. Bei eher unauffälligen Hate Speeches werden Stereotype bedient, um bei den Rezipient*innen des Ausspruches Abneigung hervorzu-

rufen. Die Grenze zwischen gesellschaftlich akzeptierter Verallgemeinerung und einer als inakzeptabel aufgefassten, diffamierenden Hasstirade ist dabei fließend. Hassbotschaften sind hierbei nicht auf bestimmte politische Lager oder Opferrollen beschränkt. Neben „den Asylschmarotzern“ kann es auch „faule Hartz-IV-ler“ oder „die da oben/ die verschwörerischen 1%“ treffen. Das Bemerkenswerte ist, dass sich die Messlatte von akzeptierter, polemischer Simplifizierung bis hin zu inakzeptablen Hassbotschaften verschieben kann. Während bestimmte Bezeichnungen heute „nicht mehr gehen“ und als „unpassend“ eingestuft werden, normalisieren sich andere Rassismen. Diese sich verändernde Einschätzung vollzieht sich dabei recht schnell. Manche homophobe Witze beispielsweise, die bis Ende der Neunziger gern im Mainstreamfernsehen verwendet wurden, sind heute eher unüblich. Gleichzeitig werden andere Bezeichnungen wie „der Islam“, „der nordafrikanische Mann“ oder „der Flüchtling“ zunehmend ethnisiert und in der „Mitte der Gesellschaft“ als Kategorie verankert. Zum einen werden diese Rollenbilder mit klaren Charakteristika verknüpft – beispielsweise einer sexuell enthemmten Art beim „nordafrikanischen, muslimischen Mann“. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass diese Bilder durch eine regelmäßige Wiederholung von Narrativen – wie „nordafrikanischer


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook

Articles inside

Autor_innen Künstler_innen Impressum

10min
pages 95-96

anthropophage engagée Die Diskussion über kulturelle Identität ist

6min
pages 89-90

call for action: engagées vielfältige

0
page 94

The Case for Missionary Atheism

7min
pages 91-93

Wir haben die Schnauze voll

5min
pages 86-88

Auszugaus: Königreich der Dämmerung

10min
pages 82-85

Penetrante Männlichkeit

13min
pages 74-81

No Border Camp 2016

4min
pages 66-73

AuseinemAlphabetderGewalterfahrung

7min
pages 55-57

OMG Armory Safety Solutions

1min
pages 62-63

IdeologicalScalpel

0
pages 60-61

1:72

0
pages 58-59

StaatsbürgerschaftzwischenVerfassung undInsurrektion

6min
pages 46-47

Subculture ofviolence through the perspective ofthe refugee crisis

4min
pages 43-45

Hate speech als Form verbaler Gewalt

6min
pages 40-42

Die Wiege derGewalt

8min
pages 18-19

Vom Staat der Kontrolle zu einer Praxis destituierender Macht

20min
pages 30-36

Fanon and the Violence ofthe Mother Tongue

8min
pages 37-39

Kulturkampfund soziale Frage

5min
pages 28-29

Die Zerrissenheit derWelt

6min
pages 24-27

Die Ausnahme als Gründungsakt denken

12min
pages 14-17

Polizei – Demonstrationen – Gewalt

8min
pages 11-13

Zur Produktivität der Gewalt

7min
pages 8-10
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.