Deutsch als Fremdsprache

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Heft 4 /2023 60. Jahrgang

Deutsch als Fremdsprache

Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache

Herausgegeben vom Herder-Institut der Universität Leipzig und von interDaF e.V. am Herder-Institut der Universität Leipzig

Deutsch als Fremdsprache

Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache

INHALTSVERZEICHNIS

Schreibhinweise für Autorinnen und Autoren 194

Eva Breindl / Ma rtine Dalmas / Dm itrij Dobrovol‘skij

Usuelle Wortverbindungen: Einleitung in einen neuen Themenschwerpunkt 195

K athrin Steyer

Dynamik, Adaptation, Unschärfe. Zur Vielschichtigkeit usueller Wortverbindungen 201

Simone Amorocho / Ch ristian Pfeiffer

Vom Konzept zur Anwendung:

Konstruktionsdidaktik am Beispiel von Zitatmarkierungskonstruktionen in der gesprochenen Wissenschaftssprache 213

G ülay Heppınar

Rollenspiele im universitären DaF-Unterricht –Eine gesprächsanalytische Vorgehensweise 225

Rezensionen

Claus Altmayer / Ca rlotta von Maltzan / Rebecca Zabel (Hg.): Zugehörigkeiten.

Ansätze und Perspektiven in Germanistik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache; Andrea Bogner 241

Mohamed Yameogo: Literatur zur Förderung des außerschulischen DaF-Unterrichts in Burkina Faso. Die Literatur schwarzafrikanischer Autor/-innen in deutscher Sprache; Shaban Mayanja 244

Matthias Prikoszovits: Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008. Untersuchungen an Lehrplänen aus Italien und Spanien; Nely M. Iglesias Iglesias 247

Esin Işıl Gülbeyaz: Schriftspracherwerb und Mehrsprachigkeit. Syntaktische Komplexität bei Satzverknüpfungsverfahren mehrspr achiger Schülerinnen und Schüler in ihrer Erst- und Zweitsprache; Wolf-Dirk Skiba 249

Doreen Bryant / Tanja Rinker: Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit; Matthias Schwendemann 253

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Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Themenschwerpunkts „Usuelle Wortverbindungen“.

Usuelle Wortverbindungen:

Einleitung in einen neuen Themenschwerpunkt

Der Beitrag bildet den Auftakt zu einem neuen Themenschwerpunkt „Usuelle Wortverbindungen“ (UWV). Unter diesem Oberbegriff verstehen wir Mehrwortausdrücke unterschiedlichster Natur, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, dass ihre Bestandteile in Korpora hochfrequent zusammen auftreten. Im Rahmen eines kurzen Forschungsabriss‘ werden verschiedene Typen von UWV mit ihren besonderen Eigenschaften vorgestellt. Es wird die Rolle von UWV für den Spracherwerb und ihre Funktion für einen flüssigen (native-like) Sprachgebrauch erläutert und es werden Desiderata für die Sprachdidaktik abgeleitet. Ein Ausblick auf alle Beiträge des Themenschwerpunkts schließt sich an.

Schlüsselwörter: DaF; Zweitspracherwerb; Kookkurrenz; Kollokation; Chunk; Konstruktionsgrammatik; Phraseologie; Usuelle Wortverbindungen

Usuelle Wortverbindungen: Introduction to a new thematic series

The article introduces a new thematic series on „Usuelle Wortverbindungen” (UWV). This umbrella term stands for multi-word expressions of different nature with the common denominator that their constituents occur together with high frequency in corpora. In the context of a brief research outline, different types of UWV with their particular properties are presented. The role of UWV for language acquisition and their function for a native-like language use will be explained and desiderata for language didactics will be derived. An outlook on all contributions of the thematic focus follows.

Keywords: GFL; second language acquisition; cooccurrence; collocation; chunk, construction grammar; phraseology; Usuelle Wortverbindungen

Dieser Beitrag bildet den Auftakt zu einem Themenschwerpunkt, in dem es um einen in verschiedenen Forschungsparadigmen untersuchten, für den Fremdspracherwerb hochrelevanten und in jüngster Zeit unter Stichworten wie „Chunks“ oder „Kollokationen“ auch theoretisch und empirisch neu beleuchteten Gegenstand geht: Usuelle Wortverbindungen. Die Wahl des passenden Terminus als Oberbegriff für Mehrwortausdrücke unterschiedlicher Art schafft bestimmte Probleme, weil in verschiedenen linguistischen Disziplinen und einzelnen Forschungsrichtungen im Rahmen der Phraseologie unterschiedliche Termini bevorzugt werden. Burger et al. (2007: 1–4)

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weisen darauf hin, dass im Deutschen als gene rischer Terminus zwar immer noch ‚Phraseologismus‘ weit verbreitet ist, in jüngster Zeit aber zunehmend der Terminus ‚Phrasem‘ verwendet wird. Da ‚Phrasem‘ und vor allem ‚Phraseologismus‘ vor allem mit dem Kernbereich der Phraseologie, d. h. mit stark idiomatisierten bildlichen Mehrworteinheiten assoziiert wird (man spricht oft von ‚Phraseologismen im engeren Sinne‘), scheint ein neutraler Terminus, der nicht unbedingt mit der Theorie der Phraseologie assoziiert wird, für unsere Zwecke passender.

Als generischen Terminus schlagen wir deshalb hier ‚Usuelle Wortverbindungen‘ (im

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Sinne von Steyer 2013) vor. Das Kriterium, das diesem Begriff zugrunde liegt, orientiert sich nicht an der Spezifik der betreffenden Kookkurrenz bzw. an der Irregularität jeglicher Art (wie dies für die traditionelle Phraseologieforschung typisch ist), sondern ausschließlich an der korpusbasierten Frequenz des gemeinsamen Vorkommens der Konstituenten der Wortverbindung. Der Terminus Usuelle Wortverbindung (UWV) scheint den hier behandelten Bereich am besten abzudecken. Mehrwortausdrücke, die hier im Fokus stehen, sind aus der Sicht der Phrasemklassifikation unterschiedlicher Natur. Das sind Kollokationen (blutiger Anfänger, Maßnahmen treffen),1 grammatische Phraseme (wie dem auch sei), situative Klischees, die auch oft als ‚Routineformeln‘ bezeichnet werden (das fehlte uns gerade noch), Phrasem-Konstruktionen (aus ADJ Gründen), d. h. al le Chunks nichtfigurativen Charakters, die auf der Lexikon-Grammatik-Achse irgendwo in der Mitte sind, reproduzierbare syntaktische Strukturen, die als Ganzes semantische und pragmatische Besonderheiten und eine gewisse Ähnlichkeit mit Einheiten des Lexikons haben.

Da viele UWV nicht-kompositionell sind, bereiten sie schon aus diesem Grund aus der Perspektive der DaF-Lerner bestimmte Probleme, mit denen im Unterricht und in den Lehrwerken umgegangen werden muss. Die UWV, die mehr oder weniger kompositionell sind, bereiten Schwierigkeiten anderer Art. Bei den Kollokationen ist es wichtig, dass die Lerner sie als solche erkennen. Da die Wahl des Kollokators unvorhersagbar ist, verlangt die aktive Beherrschung der Kollokationen zusätzliche Fertigkeiten. Das hängt mit der Unterscheidung zwischen Rezeption und Produktion zusammen, da viele UWV, die wir hier behandeln (z. B. Kollokationen), meistens problemlos verstanden werden können. Die Produktion solcher Einheiten aber hängt stark vom Sprachbeherrschungsgrad ab. Andere Arten der UWV (z. B. situative Klischees) be -

1 Unter Kollokationen werden in der Phraseologie Mehrwortausdrücke verstanden, die sich kompositionell aus ihren Bestandteilen zusammensetzen, wobei eine der Konstituenten in ihrer direkten Bedeutung als ‚Basis‘ fungiert und die Wahl der anderen Konstituente, des ‚Kollokators‘, von der jeweiligen ‚Basis‘ abhängt.

nötigen eine pragmatische Beschreibung. Mit anderen Worten, jede Art der UWV ist in einem bestimmten Sinne irregulär, auch wenn sie aus rein semantischer Sicht auf der Basis produktiver Muster gebildet sind.

Die Beherrschung der UWV hängt im Allgemeinen mit dem Sprachbeherrschungsgrad zusammen. Die Sprachbeherrschung eines L1-Sprechers ist verglichen mit der eines (selbst fortgeschrittenen) Lerners eher als idiomatisch zu bezeichnen.2 Dieser Aspekt der Idiomatizität korreliert mit dem idiom principle bzw. principle of idiom (nicht im Sinne des häufigen Idiomgebrauchs, sondern als Realisierung einer Alternative, die – aus welchen Gründen auch immer – in der Sprachgemeinschaft als die üblichste akzeptiert wird). Sehr oft basiert diese bevorzugte Alternative der Äußerungsgestaltung (single choice) auf dem UWV-Gebrauch. Eine andere Alternative, ist open choice, d. h. eine frei gewählte Kombination syntaktischer Strukturen und Lexeme, die nur durch die Regeln der Grammatik und Referenzbezüge restringiert wird. Auf der Basis des idiom principle greifen Sprecher auf mehr oder minder feste sprachliche ‚Fertigprodukte‘ zurück, die – anders als beim open choice principle –nicht völlig frei kombinierbar sind.3 Oft handelt es sich dabei um quasi vorfabrizierte Chunks. Eben diese Besonderheit einer native -like Sprachbeherrschung zeichnet sich u. a. durch das sogenannte single-choice-Prinzip aus. Selbst wenn es verschiedene Möglichkeiten gibt, einen gegebenen Sachverhalt zu bezeichnen, wählt der Muttersprachler eine bestimmte, eben die durch den Usus lizenzierte Alternative.

2 So weist Hausmann (1997: 284) darauf hin, dass „dans une langue étrangère presque tout est différent, presque tout est idiomatique. C’est le parallélisme qui est l’exception, non la spécificité“ („In einer Fremdsprache ist fast alles anders, fast alles idiomatisch. Der Parallelismus ist die Ausnahme, nicht die Besonderheit.“).

3 „The principle of idiom is that a language user has available to him or her a large number of semi-preconstructed phrases that constitute single choices, even though they might appear to be analysable into segments. To some extent, this may reflect the recurrence of similar situations in human affairs; it may illustrate a natural tendency to economy of effort or it may be motivated in part by the exigencies of real-time conversation“ (Sinclair 1991: 110).

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Diese Art von single choice ist sowohl auf der Ebene des aktiven Gebrauchs usueller Wortverbindungen in den passenden Situationen als auch auf der Ebene der richtigen Produktion einer UWV evident. Einerseits bestimmt die native-like Sprachverwendung in vielen Situationen die Wahl einer bestimmten UWV (statt einer grammatisch richtigen und kommunikativ grundsätzlich akzeptablen Umschreibung). In diesem Fall handelt es sich um single choice auf der Ebene der Ausdrucksweise. Andererseits handelt es sich um single choice bei der Wahl der richtigen Konstituente einer UWV. So ist die Wahl des Verbs bei der Bildung der Kollokation mit dem Substantiv Fenster durch den Usus festgelegt: Der richtige deutsche Ausdruck heißt Fenster putzen, wobei die Wahl von putzen in diesem Fall rein semantisch nicht vorhersagbar ist; es hätte auch reinigen, waschen, wischen o. Ä. sein können. Andere Kollokationen aus dem gleichen semantischen Feld verlangen andere Verben als Kollokatoren; vgl. Geschirr spülen, Fußboden wischen, Wäsche waschen. Aus diesem Grund handelt es sich dabei um irreguläre sprachliche Ausdrücke.

Auch die Klasse der situativen Klischees basiert auf diesem Prinzip. Welches Klischee in welcher Situation gewählt wird, ist trotz der potenziellen Freiheit, einen anderen semantisch passenden Ausdruck zu gebrauchen, durch die sprachlich relevanten kulturellen Regeln und usuellen Präferenzen vorgeschrieben. Dass man z. B. am Ende eines mehr oder weniger formalen Briefes auf Deutsch Mit freundlichen Grüßen und auf Englisch Best regards (und nicht etwa *With friendly greetings) schreibt, ist das Ergebnis des idiom principle und in diesem Sinne idiomatisch.

Die traditionelle Herangehensweise an UWV ist die der Phraseologieforschung; gerade aufgrund ihres idiomatischen Charakters spielten sie für die grammatische Theoriebildung weder im generativen noch im valenztheoretischen Paradigma eine Rolle. Ebenso wenig Aufmerksamkeit schenkte ihnen die primär am Erwerb grammatischer Strukturen interessierte frühe Zweitspracherwerbsforschung zum Deutschen ab den 1980er-Jahren. Eine Thematisierung von UWV in DaF-relevanten Kontexten fand vor allem im Rahmen der kontrastiven Phraseologieforschung statt,

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hier aber mit der Einschränkung auf nicht-kompositionale Verbindungen und mit einem starken kulturkundlichen Schwerpunkt, wie er etwa in den zahlreichen kontrastiven Arbeiten zu Somatismen – Phraseologismen mit Körperteilbezeichnungen wie ins Auge gehen, die Hand für etw. ins Feuer legen etc. –zum Tragen kommt (vgl. z. B. Ka hl 2015; Šichová 2013). Kollokationen vom Typ Maßnahmen treffen, Geld abheben, Zähne putzen oder schwerer Schaden, günstige Gelegenheit, die nicht notwendig idiomatisch sind, wurden zwar vielleicht in wortschatzdidaktischen Übungsmaterialien behandelt (vgl. etwa Buscha / Buscha 1988), waren aber für die Zweitspracherwerbsforschung uninteressant. Das änderte sich mit dem Einzug der Konstruktionsgrammatik in die Germanistik und in die Erst- und Zweitspracherwerbsforschung. Zwei konstruktionsgrammatische Prinzipien spielen dabei eine entscheidende Rolle: Erstens werden Grammatik und Lexik nicht mehr als separate Module betrachtet – und zwar kongruent weder für die grammatische Theoriebildung noch im Rahmen von Modellierungen des gesteuerten oder ungesteuerten Spracherwerbs. Siepmann (2007) wirft der traditionellen Fremdsprachdidaktik eine „falsche Konzeptualisierung des gesteuerten Sprachunterrichts“ vor, bei der davon ausgegangen wurde, dass der Fremdspracherwerb primär über die sukzessive Aneignung stark generalisierter grammatischer Regeln und Strukturen erfolgt, die dann mit Wortschatz aufgefüllt würden. Die konstruktionsgrammatische Zusammenführung von Wortschatz und Grammatik kommt im Übrigen auch der Erfahrung Lehrender entgegen, dass Lerner den Zugang zur Fremdsprache häufig primär über die Lexik suchen, – die Grammatik also eigentlich stärker über die Lexik transportiert werden müsste.

Zweitens wird der Spracherwerb im konstr uktionsgrammatischen Rahmen – in diametralem Gegensatz zum früheren generativen Paradigma – als ein holistischer Erwerb von Mehrworteinheiten (Holophrasen, Chunks) verstanden, die erst in einem zweiten Schritt aufgespalten und aus denen dann in einem hypothesentestenden Prozess grammatische Regeln extrahiert werden. Dass der Erklärungsansatz über die Rolle von Konstruktionen im

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Spracherwerb nicht nur eine theoretische Modellierung darstellt, sondern reale Spracherwerbsprozesse abbildet, wurde zuerst für den Erstspracherwerb empirisch nachgewiesen (vgl. etwa Behrens 2009) und wurde in der Folge auch in seiner Bedeutung für den Zweitund Fremdspracherwerb erkannt. UWV haben für den Fremdspracherwerb mehrere wichtige Funktionen:

a) Sie erleichtern den Lernern die Annäherung an einen idiomatischen, zielsprachenähnlichen (native-like) und flüssigen Sprachgebrauch.

b) Sie setzen durch Automatisierung Kapazitäten für Planungsprozesse bei der Sprachproduktion frei, was insbesondere beim Sprechen einen enormen Vorteil darstellt; man denke etwa an akademische Prüfungsgespräche.

c) Sie können wie im Erstspracherwerb als ‚Steigbügel‘ für den Erwerb grammatischer Strukturen dienen. Holophrasen wie Guten Tag oder Ich hätte gerne einen Kaffee, auf einer niedrigen Niveaustufe in passendem Situationskontext gelernt, können den Erwerb von Akkusativmarkierung oder Konjunktivformen, die in der grammatischen Progression in Übereinklang mit empirisch nachgewiesenen Erwerbsabfolgen zu einem viel späteren Zeitpunkt vorgesehen sind, erleichtern und beschleunigen.

Für Spracherwerbsforschung und Didaktik des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache lassen sich aus den bisherigen Erkenntnissen zu UWV mehrere Desiderate ableiten, die in diesem Themenschwerpunkt aufgegriffen werden sollen.

– Die D eskription des Gegenstands, gerade unter sprachvergleichender Perspektive, muss mit dem aktuellen Standardkorpuslinguistischer Forschung weiterentwickelt werden. Dazu will dieser Themenschwerpunkt beitragen.

– Für die Fremdspracherwerbsforschung ist eine Verbreiterung der empirischen Basis zum Gebrauch von Mehrworteinheiten in Lernersprachen durch systematische Analyse von Lernerkorpora gefragt. Lerner verwenden nachweislich Kollokationen, mit-

unter aber ‚falsche‘, bei denen sie Kollokationsbestandteile aus der L1 oder einer früher gelernten L2 transferieren, wie etwa im folgenden Satz aus der Hausarbeit einer italienischen Studentin: „Der Fragebogen wurde an zwanzig italienische Schüler gegeben, die Deutsch lernen.“ Auf diesem Weg können Probleme (qualitative und quantitative Abweichungen gegenüber L1-Sprechern) beim (Nicht-)Gebrauch von UWV identifiziert und daraus Konsequenzen für die Sprachdidaktik abgeleitet werden. Im Rahmen unseres Themenschwerpunkts beschäftigt sich der Beitrag von Shadrova mit diesem Problem.

Die S prachdidaktik muss ihr Augenmerk verstärkt auf diesen Gegenstand richten und passende Vorschläge und Werkzeuge entwickeln. Impulse, wie sie von den „Chunks für DaF“ (Handwerker / Madlener 2007) ausgesendet wurden, müssten aufgegriffen und in Sprachlernmaterialien umgesetzt werden, aber auch nicht DaF-spezifische Werkzeuge wie Kollokationswörterbücher müssten auf ihr Potential für DaF / DaZ h in analysiert und didaktisch stärker berücksichtigt werden. Das Thema wird in den Beiträgen von Iglesias / Mel lado Blanco, de Knop / Mol lica und Häcki-Buhofer aufgegriffen. Holzinger / Est eban Fonollosa untersuchen dahingehend Lehrwerke.

Mit den neun Beiträgen des Themenschwerpunkts, die sich über sechs Hefte erstrecken, wird das Thema ‚Usuelle Wortverbindungen‘ aus unterschiedlichen – theoretischen, empirischen und praxisorientierten – Perspektiven beleuchtet. Wir geben im Folgenden einen kurzen inhaltlichen Überblick über die einzelnen Aufsätze.

Der (einleitende) Forschungsüberblick, der von Kathrin Steyer geboten wird, ist in erster Linie eine Rückschau auf die Entstehung und Genese des Konzepts ‚Usuelle Wortverbindungen‘ – ein Konzept, das von der Autorin geprägt wurde. Ein Ausblick auf seine Anwendung sowohl im lexikografischen als auch im didaktischen Bereich rundet die Darstellung ab.

Ausgehend vom Erwerb und Gebrauch usueller Wortverbindungen in der L1 befasst sich Karin Aguado mit dem gesteuerten L2-Er-

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werb in unterschiedlichen Lernkontexten. Die Beziehung zwischen Sprachgebrauch und Spracherwerb wird in Verbindung mit unterschiedlichen, externen sowie internen Faktoren gebracht. Zu berücksichtigen sind u. a. die Menge und Frequenz des Inputs, aber auch das Alter, das Vorwissen und die Strategien bei den Lernern.

Der Beitrag von Anna Shadrova ist den Verb-Nomen-Verbindungen in Texten fortgeschrittener L2-Lerner gewidmet. Vor dem theoret ischen Hintergrund eines phraseologischen Kontinuums, bei dem usuelle Wortverbindungen zu den weniger festgelegten Formen gehören, geht es der Autorin darum, ein Bild über den Stand des idiomatischen Prinzips auf unterschiedlichen Erwerbsstufen zu liefern. Die Fähigkeit der Sprecher/-innen, auf vorgefertigte Einheiten zurückzugreifen, wird hier anhand von Korpusdaten auf einer hohen Abstraktionsstufe analysiert.

Zwei Aufsätze befassen sich mit dem (gesteuerten) Erwerb bestimmter Konstruktionen im DaF-Unterricht. Bei Nely Iglesias Iglesias und Carmen Mellado Blanco geht es um die adverbiale halbschematische Konstruktion [in ALL Nabst]. Mit dem Einsatz von Sprachkorpora im Fremdsprachenunterricht wird für einen datengeleiteten und formfokussierenden Erwerb plädiert. Anhand einer quantitativen und qualitativen korpusbasierten Untersuchung zeigen die Autorinnen, wie diese Konstruktion in ihren unterschiedlichen Realisierungsformen didaktisch behandelt werden kann. Die Lerner sollen einerseits aufgrund der Frequenz auf die emergente Idiomatisierung bestimmter Formen hingewiesen werden und anderseits durch die Fokussierung der Formen – auch im Vergleich mit der L1 – eine höhere sprachliche Bewusstheit in der L2 erreichen.

Sabine De Knop und Fabio Mollica behandeln in ihrem Aufsatz den Umgang mit Kollokationen und Funktionsverbgefügen mit ditransitiver Struktur im DaF-Unterricht, die aufgrund ihres idiosynkratischen Charakters für DaF-Lerner eine Herausforderung darstellen. Es wird ein konstruktionsbasierter Ansatz bei der Beschreibung solcher Strukturen vorgeschlagen, der sich aus verschiedenen Tests

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mit italophonen DaF-Lernern unterschiedlicher Niveaustufen ergeben hat. Bei der Beschreibung geht es einerseits um mögliche Slot Fillers und deren Vorhersagbarkeit und andererseits um Interferenzaspekte , die vor allem das Verb betreffen und didaktisch mitberücksichtigt werden sollen.

Usuelle Wortverbindungen in mündlichen Kommunikationsformen sind Gegenstand von zwei weiteren Beiträgen. Bei Christian Fandrych und Franziska Wallner geht es um explizite Positionierungshandlungen in wissenschaftlichen Vorträgen : Sie werden anhand des GeWiss-Korpus sowohl formal als auch funktional untersucht und mit entsprechenden Handlungen in schriftsprachlichen Texten verglichen. Die Autoren wollen dabei auf signifikante Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit hinweisen, die für DaF-Lerner im Bereich Wissenschaftskommunikation von besonderer Relevanz sind.

Simona Tomášková befasst sich mit der Unterrichtskommunikation: Ziel der korpusbasierten Untersuchung ist, Formulierungsmuster in bestimmten Unter ric htssequenzen aufzudecken und zu beschreiben, um ein Repertoire der entsprechenden usuellen Formen zu erstellen und es nicht-muttersprachlichen DaF-Lehrkräften zur Verfügung zu stellen.

Lehrwerke werden von Herbert Holzinger und Maricel Esteban Fonollosa im Hinblick auf die Beschreibung und Didaktisierung usueller Wortverbindungen unter die Lupe genommen. Ausgehend von der Feststellung einer mangelhaften Berücksichtigung solcher Einheiten werden Vorschläge zu Verbesserungen gemacht. Mit Hinweisen und Ratschlägen zur Entwicklung von zusätzlichem Lehrmaterial wenden sich die Autoren in erster Linie an die Lehrenden und plädieren für ein gesteuertes Erkennen usueller Wortverbindungen mit dem Ziel eines adäquaten Erwerbs. Besondere Beachtung wird dabei dem kontrastiven Aspekt Deutsch-Spanisch geschenkt.

Last, but noch least : Die lexikografische Erfassung von Kollokationen, ein sowohl für die Lehrenden als auch

für die Lerner besonders wichtiger Bereich, wird im Beitrag von Annelies Häcki-Buhofer behandelt. Als Autorin eines bekannten Kollokationswörterbuchs beleuchtet sie theoretische und praktische Aspekte und zeigt, wie vielschichtig eine solche Arbeit ist. Diese ‚Innensicht‘ gewährt einen aufschlussreichen Blick auf die Beschreibung fester Wortverbindungen, der für deren Vermittlung eine wertvolle Hilfe ist.

Prof. Dr. Eva Breindl Universität Erlangen Department Germanistik und Komparatistik eva.breindl@fau.de

Prof. Dr. Martine Dalmas Sorbonne Université Institut für Germanistik und Nordistik Martine.Dalmas@sorbonne-universite.fr

Prof. Dr. Dmitrij Dobrovol’skij Institut für russische Sprache und Institut für Linguistik der Russ. Akademie der Wissenschaften dobrovolskij@gmail.com

Literatur

Behrens, Heike (2009): Konstruktionen im Spracherwerb. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 37, 427–444.

Burger, Harald / Dobrovol’skij, Dmitrij / Küh n, Peter / Nor rick, Neal R. (2007): Phraseologie: Objektbereich, Terminologie und Forschungsschwerpunkte. In: Burger, Harald / Dobrovol’skij, Dmitrij / Küh n, Peter / Norrick, Neal R. (Hg.): Phraseologie: ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband. Berlin / New York, 1–10.

Buscha, Joachim / Buscha, Annerose (1988): Deutsches Übungsbuch. 4. unveränd. Aufl. Leipzig.

Handwerker, Brigitte / Madlener, Karin (2009): Chunks für DaF. Theoretischer Hintergrund und Prototyp einer multimedialen Lernumgebung. Baltmannsweiler.

Hausmann, Franz Josef (1997): „Tout est idiomatique dans les langues.” In: Martins-Baltar, Mi-

chel (Hg.): La locution entre langue et usages. Fontenay, 277–290.

Kahl, Stephanie (2015): Kontrastive Analyse zu phraseologischen Somatismen im Deutschen und Italienischen. Bamberg.

Šichová, Kateřina (2013): Mit Händen und Füßen reden. Verbale Phraseme im deutsch-tschechischen Vergleich. Tübingen.

Siepmann, Dirk (2007): Wortschatz und Grammatik. Zusammenbringen, was zusammengehört. In: Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung, 46, 59–80.

Sinclair, John M. (1991): Corpus, concordance, collocation. Oxford.

Steyer, Kathrin (2013): Usuelle Wortverbindungen. Zentrale Muster des Sprachgebrauchs aus korpusanalytischer Sicht. Tübingen.

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