Deutsche Sprache

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51. Jahrgang

3. Quartal 2023

ISSN 0340-9341

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Sprache

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Artikel vor Anthroponymen

Untersuchung von Vorkommen und Funktion in transkribierten Sprachnachrichten aus Messenger-Gruppen

Abstract

Betrachtet man die Definition von Artikelwörtern und Eigennamen, so schließt sich die Verwendung des Artikels vor Anthroponymen aufgrund der Monoreferentialität aus. Dennoch ist diese Konstruktion vor allem im Gesprochenen sehr verbreitet, weswegen sich die Frage nach einer eigenständigen Semantik der Konstruktion stellt. Die Arbeit untersucht die Verwendung der bestimmten Artikelwörter vor Ruf- und/oder Familiennamen und inwieweit sich diese Varianten in ihrer Semantik unterscheiden. Für eine gebrauchslinguistische Untersuchung wurden aus dem Messengerdienst Telegram Sprachnachrichten extrahiert, die transkribiert die Grundlage für eine korpuslinguistische Erhebung stellten. Dabei zeigte sich, dass die Verwendung der Namensvariante (Rufname, Gesamtname, Familienname) von der Position zur Gruppe abhängt. Die gefundenen Verwendungen unterscheiden sich in ihrer Funktionalität und weisen deiktische Komponenten auf. Die Verwendung des Artikels ist nicht nur ein regionales Stilmittel, sondern übernimmt eigene semantische Funktionen.

The definition of article words and proper nouns precludes the use of the article before anthroponyms due to its monoreferentiality. Nevertheless, this construction is very common, especially in spoken language, which raises the question of an independent semantics of the construction. The study examines the use of definite article before given name and/or family names and asks to what extent these variants differ in their semantics. Voice messages were extracted from the messenger service Telegram and transcribed to form the basis for a survey of language use applying corpus-linguistic methods. The results showed that the use of the specific part of the personal name (given name, full name, family name) depends on a person’s position in the group. The usages found differ in their functionality and display deictic components. The use of the article is not only a regional stylistic device, rather it takes on semantic functions of its own.

Keywords: gesprochene Sprache, Transkription, Artikelwörter, Anthroponyme, Korpuslinguistik

1. Einleitung

Die Untersuchung von Namen und ihren grammatikalischen sowie semantischen Eigenschaften stellt ein komplexes und mehrdimensionales Forschungsthema dar, das aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven beleuchtet werden kann. Eine zentrale Herausforderung in diesem Zusammenhang besteht darin, eine klare Definition dessen zu finden, was als Name im engeren Sinne zu verstehen ist. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Referenten, die eindeutig und direkt auf ein konkretes Objekt bezogen sind. In der Alltagssprache bedienen wir uns jedoch auch an Namen, um Klassen von Objekten mit ähnlichen oder gleichen Eigenschaften zu benennen, wie etwa Pflanzen- oder Hunderassen (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 16 f.). Ferner können auch unbelebte Objekte wie Orte (Düsseldorf, Paris usw.), Landschaften (Lüneburger Heide, Eifel, Baltikum) oder Bauwerke (Eiffelturm, Chinesische Mauer, Siegessäule) benannt werden.

Die Definitheit von Namen widerspricht der Verwendung des Artikels vor ihnen. In traditioneller Sichtweise fungiert der Artikel jedoch als „Geschlechtswort“, das in Kasus, Numerus und Genus kongruent mit dem nachfolgenden Nomen auftritt (vgl. WitwickaIwanowska 2012, S. 43 f.). Dennoch gibt es einige Namen, insbesondere Landschaftsnamen, die mit Artikel auftreten, wie etwa die Sächsische Schweiz, die Eifel oder die Chine-

sische Mauer. Ebenso können auch Länder durch den Artikel determiniert werden, wie z. B. die Schweiz.

Die Komplexität der Problematik zeigt sich unter anderem in der Verwendung der Artikel vor Personennamen. Diese ist ebenfalls möglich, in der Literatur wird es als randständiges Phänomen beschrieben (vgl. Ackermann 2018, S. 25). Der Gebrauch des Artikels ist vor Personennamen durch ihren unikalen Charakter überflüssig. In der Sprachrealität finden sich aber genügend Beispiele, die zeigen, dass die Kombination durchaus vorkommt. Erste Untersuchungen führte Bellmann (1990) durch. Ob jedoch die Verwendungsweisen mit oder ohne Artikel eigene Semantiken aufweisen, darüber wird diskutiert. Bellmann erklärt beispielsweise, dass der Artikel vor Personennamen im Süden Teil des Namens ist, weswegen Ackermann (2018, S. 31) schlussfolgert, dass hier die vollgrammatikalisierte onymische Verwendung vorliegt. Im Norden findet der Artikel vor allem dann Anwendung, wenn die Situation einer Bewertung unterliegt, in anderen fällt er jedoch weg (vgl. Werth 2014, S. 150 f.).

Auffällig ist bei allen Arbeiten zu dem Thema, dass das Phänomen bisher kaum gebrauchsbasiert untersucht wurde. Das kann unter anderem daran liegen, dass die Verwendungsweise in der Schriftsprache kaum vorkommt, im mündlichen Sprachgebrauch jedoch weite Verbreitung findet (Bellmann 1990; Elspaß/Möller 2011, 2012). Bellmann (1990) und Elspaß/Möller (2011, 2012) befragten Sprachnutzer:innen, in welchen Situationen sie den Artikel vor Personennamen üblicherweise setzen würden. Alle drei verwenden in ihren Beispielen Vornamen (z. B. Weiß jemand, wo der Simon ist? (Elspaß/Möller 2012)), andere Kombinationen wie Artikel mit Nachnamen oder Artikel mit vollem Namen wurden nicht erhoben. Der Artikel versucht, mit der Konstruktion „Artikel vor Personenname“ ein typisches Element der gesprochenen Sprache maschinell zu ermitteln und als markiert vor der Annahme des standardsprachlichen Gebrauchs (Personenname ohne Artikel) zu umreißen. Es wird dabei vor allem darum gehen, die Vorteile des methodischen Vorgehens (Auswertung von Telegram-Sprachnachrichten) für explorative Studien dieser Art auszuloten und für weitere Analysen (etwa Name mit/ohne Artikel) zu empfehlen. Die Prämisse, dass der Personenname im standardsprachlichen Gebrauch ohne Artikel steht, ist umstritten. Dennoch ist es die besondere Markiertheit durch demonstrative Qualität, die hier beschrieben wird.

Diese Ausführung wird sich genau mit diesem Forschungsdesiderat beschäftigen, weswegen als erstes die Frage nach den möglichen Verwendungsweisen des Artikels vor Personennamen gestellt wird. In einem zweiten Schritt soll daran anschließend geklärt werden, ob diese Verwendungsweisen unterschiedliche Bedeutungen ausweisen bzw. ob die Konstruktionen an Bedingungen geknüpft sind.

Da der Artikel vor allem im mündlichen Sprachgebrauch vor Personennamen gesetzt wird, werden gesprochensprachliche Daten untersucht, um einen Eindruck von der Verbreitung und Verwendung zu erhalten. Nach der Vorstellung der theoretischen Grundlagen wird die Erhebung erläutert und anschließend werden die Daten veranschaulicht. Die Erhebung ist Teil meiner zugrundeliegenden Forschungsarbeit (Sahlbach 2022). Anschließend sollen die verschiedenen Verwendungsweisen sowie ihre Eigenschaften beleuchtet werden, um so eine Idee der Bedeutung der Gebrauchsweisen zu erhalten.

Veronika Sahlbach

2. Grundlagen

Bevor auf den Forschungsstand zu den Kombinationen von Namen mit Artikeln eingegangen wird, soll zunächst die Wortart Artikel vorgestellt werden.

2.1 Artikelwörter

Der Artikel stellt in der tradierten Grammatikbeschreibung eine Herausforderung dar, so schreibt Gallmann im Grammatik-Duden:

Die Wortart, um die es in diesem Kapitel geht, trägt eine Doppelbezeichnung: Artikelwörter und Pronomen. Das ist zugegebenermaßen eine Verlegenheitslösung. Das zugrunde liegende Problem ist die Mehrdeutigkeit des Fachausdrucks Pronomen, die am Latein entwickelt worden ist und dort eine jahrhundertelange Tradition hat. (Gallmann 2016, S. 247)

Für die Beschreibung der Untersuchung ist eine vollständige Wiedergabe der Kontroversen nicht zielführend, weswegen hier auf die Ausführungen von Kolde (1996) verwiesen wird. Auch Eisenberg (vgl. 2013, S. 163) geht auf die morphologischen und syntaktischen Analyseprobleme durch die fehlende konkrete Trennung zwischen Artikeln und Pronomina ein.

Neuere Ansätze der Artikelbeschreibung etablierten neue, genauere Termini. Vater (1984) wählt den Begriff der Determinantien. Diese fassen „eine Gruppe von Wörtern zusammen, die stets innerhalb einer Nominalphrase (NP) vorkommen, dabei in einer engen Beziehung zum Substantiv stehen und dieses ‚bestimmen‘“ (Vater 1984, S. 19). Mit dieser Definition hebt Vater vor allem die semantische Funktion hervor, nämlich Substantive zu determinieren. Damit eröffnet sich eine neue Gesamtklasse, die auch die klassischen Pronomina umfasst.

Für die Determination der Nominalphrase ist die definite Kennzeichnung ausschlaggebend (vgl. ebd., S. 32). Diese wird ähnlich wie Eigennamen gebraucht, mit dem Unterschied, dass eine definite Kennzeichnung mit einer „bestimmten Qualität verbunden ist“ (ebd.), die durch die Eigenschaften des Individuums zugetragen wird.

Vater geht an dieser Stelle bereits auf die kennzeichnende bzw. verweisende Funktion der Artikelwörter ein. Artikelwörter und Pronomen können verweisende, zeigende, fragende oder quantifizierende Funktionen in einer Nominalphrase übernehmen. Artikelwörter charakterisieren lediglich das Substantiv näher. Substantiv und Artikel stimmen in den grammatischen Merkmalen (Kasus, Genus, Numerus) überein. Syntaktisch stehen Artikel vor dem Substantiv und eventuellen Attributen (vgl. Gallmann 2016, S. 247–249). Die Position der Artikelwörter unterscheidet sie funktionell von den Pronomen. Stehen sie ohne Nomen, spricht man in der Regel von einem Pronomen (vgl. Witwicka-Iwanowska 2012, S. 48). Ausnahmen sind attributive Pronomen, die aufgrund ihres attributiven Status mit Nomen stehen.

Neben der Unterscheidung zu den Pronomen werden die Artikel noch einmal in definite (Formen von der/die/das) und indefinite Artikel (Formen von ein/eine/ein) unterschieden. Auch hier ergeben sich Beschreibungsschwierigkeiten. Gallmann beschreibt den definiten Artikel und erläutert, dass die Form in mehreren Unterarten vorkommen kann – der demonstrative (Das ist ein gutes Buch) und der relative Gebrauch (Das ist die Aufgabe, die noch gemacht werden muss; vgl. Gallmann 2016, S. 252–255.).

Man unterscheidet traditionell den freien und gebundenen Artikelgebrauch. Der freie Gebrauch liegt dann vor, wenn das Nomen auch ohne Artikel stehen kann; sind beide jedoch in festen Wendungen miteinander verbunden, handelt es sich um den gebundenen Gebrauch (vgl. ebd., S. 293). Der freie Gebrauch ist für diese Arbeit nur zweitrangig und wird deshalb ausgelassen, liegt aber vor allem bei Vorerwähnungen, Vorinformationen, Attribuierungskennzeichnungen, Einmaligkeit und Generalisierungen vor (vgl. ebd., S. 293–297).1 Gallmann beschreibt den gebundenen Gebrauch als Wendung, die bei „bestimmten Fügungen“ vorliegt: „Solche Fügungen können nur als Ganzes gewählt werden oder nicht“ (ebd., S. 297). Wendungen mit festem Artikelgebrauch werden ungrammatisch, wenn der Artikel fehlt oder er durch einen unbestimmten ersetzt wird:

(1) Sie hat die Nase in den Wolken. Die Idee ist im Sande verlaufen.

(2) *Sie hat eine Nase in den Wolken Die Idee ist in Sand verlaufen.

Auch wenn die Beispielsätze (2) nicht grammatisch falsch sind, wird durch die Änderung der Artikel die Aussage verändert. Eine zweite Variante des gebundenen Gebrauchs umfasst Konstruktionen mit am, bei denen der Artikel ebenfalls nicht auflösbar ist.

(3) Mina weiß es am besten.

(4) Er war den ganzen Tag am Reden

Die unterschiedlichen Verwendungen sprechen gegen eine Funktionslosigkeit des Artikels. Gallmann beschreibt drei verschiedene Funktionskategorien, die sich folgendermaßen aufgliedern (vgl. 2016, S. 291):

a) Anaphorische Funktion – Wiederaufnahme eines vorangegangenen Gesprächsgegenstandes: Heute ist Freitag. Das ist der letzte Tag vor dem Wochenende.

b) Kataphorische Funktion – Attribuierung aufgrund einer Identifikation, der Artikel richtet sich auf die betreffenden Attribute aus: Das sind die Texte, die ich verwenden möchte.

c) Das Substantiv beschreibt einen allgemeinen oder im bestimmten Rahmen inhärenten definiten Gegenstand: Ich sitze auf dem Stuhl. Das ist meiner.

Thieroff/Vogel (2009) beschreiben eine weitere Funktion in der Verwendung des Artikels. Während der Indefinitartikel einen neuen Referenzpunkt einbringt, verweist der Definitartikel auf bereits bekannte Gegenstände.

Bisle-Müller (1991) beschreibt ebenfalls die Referenzialität der Artikel, er rückt allerdings die semantischen und pragmatischen Aspekte der Verwendung in den Vordergrund. Seine vier Grundthesen eignen sich für eine gebrauchsbasierte Betrachtung der Artikelverwendung, da sie zum ersten die koordinative Rolle der Artikel in der Interaktion hervorheben. In einem zweiten Schritt wird die Referenzkoordination als gleichwertige Aufgabe neben der Charakterisierung und Qualifizierung gleichgestellt. Die Wahl der Koordination mit entsprechenden Artikelwörtern folgt damit nicht einem internalisierten Regelsystem, sondern Erfahrungen aus den Kommunikationssituationen. Die entsprechende Situation und das Wissen der Kommunikationspartner:innen entscheidet damit über die Beschreibung (vgl. ebd., S. 12–14). Bisle-Müller führt die kognitiven Auswirkun-

1 Beispiel für die Kennzeichnung einer Attribuierung – Das ist das beste Café der Stadt.

gen in die Verwendung und Aufgaben des Artikels ein und beschreibt die Wortart daraus abgeleitet folgendermaßen:

Der Definitartikel wird verwendet, wenn eine Abgrenzung von bestimmten Annahmen dem Sprecher nicht nötig erscheint, da die Referentenbestimmung über das allen Sprechern einer Sprache oder Mitgliedern einer größeren oder kleineren Gemeinschaft verfügbare gemeinsame generische oder spezifische Wissen erfolgt oder der Kontext bzw. die Kosituation nur eine textkohärente und situationsangemessene Interpretation ermöglichen […]. (ebd., S. 66)

Mit diesen Vorüberlegungen zu Definition, syntaktischen Aufgaben und Verwendung des Artikelwortes soll nun der Stand der Forschung zur Kombination von Artikeln vor Eigennamen betrachtet werden.

2.2

Grammatik der Eigennamen

Bevor über den Gebrauch von Artikelwörtern vor Eigennamen diskutiert werden kann, werden die Eigennamen als Wortart erörtert.

Der Terminus Name ist eine Unterkategorie der Substantive und umfasst verschiedene Bedeutungen, die für Ausdruck und Beziehung synonym verwendet werden. Ein Beispiel für diesen Mehrfachgebrauch sind Pflanzennamen und Bezeichnungen von Tierarten, die als „Namen“ verwendet werden, obwohl es sich um appellativische Bezeichnungen handelt (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 16). Appellative sind in der Regel Gattungsund Klassenbezeichnungen, die über eine ausreichende Anzahl an gemeinsamen Eigenschaften verfügen und mehrere Individuen umfassen. Im Beispiel (5) hat die Phrase das Kind eine appellativische Bedeutung, da sich anhand der Phrase bestimmte, charakteristische Merkmale schlussfolgern (minderjährig, klein, usw.) lassen; welches spezifische Kind nun aber gemeint ist, kann nicht erkannt werden (vgl. Gallmann 2016, S. 152 f.).

(5) Das Kind spielt auf dem Spielplatz.

(6) Feli spielt auf dem Spielplatz.

Die primäre Eigenschaft der Eigennamen ist jedoch die Monoreferentialität: „Die unbestrittene Hauptfunktion von Namen ist ihr sprachlicher Bezug auf nur ein Objekt, auf ein bestimmtes Mitglied einer Klasse“ (Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 17). Dieser Bezug wird ohne zusätzliches semantisches Material erreicht. Durch den Eigennamen wird eine direkte Referenz zu einem außersprachlichen Objekt aufgebaut, um eine schnelle, direkte und eindeutige Zuordnung in einer Kommunikationssituation zu erreichen (Ackermann 2018, S. 11). In Beispiel (6) wird diese direkte Referenz deutlich. Es wird nicht mehr auf ein Kind aus der Gruppe Kinder, die alle gemeinsame Eigenschaften aufweisen, verwiesen, sondern auf ein bestimmtes Kind mit dem Namen Feli. Allerdings müssen die Referent:innen in der Kommunikationssituation Feli kennen, um die Referenz zu verstehen.

Eigennamen können auch auf verschiedene Bestandteile von Klassen referieren. Typische Eigennamen sind Personennamen, geographische Namen, Mediennamen, Institutionsnamen oder Namen für Ereignisse. Für diese Untersuchung werden nur Personennamen berücksichtigt. Eine Untersuchung der anderen Namensklassen und ihr Auftreten mit einem Artikel sind ebenfalls Desiderate, können aber hier nicht mitbetrachtet werden. Die Haupteigenschaft der Eigennamen ist die Referenz auf genau einen Gegenstand bzw. eine Person. Eine genauere Betrachtung der Semantik erscheint damit obsolet, da mit einer Bezeichnung nicht mehrere Objekte benannt werden können (vgl. Stein 2010, S. 45).

Mit der Verwendung eines Eigennamens wird das entsprechende Wissen über die Zuordnung zu dem zugehörigen Referenzobjekt vorausgesetzt. Das Wissen um die Person und den Namen ermöglicht das Gelingen der Kommunikationssituation (vgl. Ackermann 2018, S. 11). Diese strikte Zuordnung funktioniert auch übersprachlich – Eigennamen ändern sich nicht, wenn die Sprache wechselt, weswegen sie nach Wimmer (vgl. 1973, S. 23) ähnlich wie Interjektionen am Rand der Sprache verortet werden.

Die metalinguistische Deskriptionstheorie ermöglicht einen neueren Beschreibungsansatz für die semantische Beschreibung der Eigennamen. Die Semantik wird dabei in einem erweiterten, kompositionellen Verständnis betrachtet, „so dass sich Wahrheitwertkontraste modellieren lassen. In Referenztheorien verbleibt diese Information im Weltwissen der Sprecher, also den Konventionen, unter denen Sprache erst funktioniert“ (Heusinger 2010, S. 97). Eigennamen offenbaren damit ein umfangreiches semantisches Gehalt und inkludieren das Individuum als Träger:in des Namen. Typische individuelle Eigenschaften des Referenzobjekts transportiert der Eigenname mit, diese müssen aber wiederum den Partizipient:innen geläufig sein.

Es zeigt sich, dass mit den Eigennamen auch immer eine Beschäftigung mit den kognitiven Leistungen einhergeht, bedingt durch die direkte Referenzialität auf ein Objekt bzw. einen Gegenstand. Der Verweis auf die Monoreferentialität und die damit einhergehende fehlende mehrschichtige Semantikbetrachtung ist unzureichend.

Wimmer (1973) kritisiert die generelle Bedeutungslosigkeit und untersucht alternative Interpretationen der Bedeutung von Eigennamen. Er zitiert Sørensen (1967, S. 1879), der feststellt: „[…] identity of meaning entails identity of denotatum [= Referent], whereas identity of denotatum does not entail identity of meaning […]“. Wimmer (1973, S. 71 f.) zeigt, dass diese Theorie Schwierigkeiten aufweist: Erstens ist es schwierig, von bestimmten Referent:innen auf die Bedeutung von Syntagmen zu schließen, und zweitens kann der Zusammenhang zwischen Zeichen und bezeichnetem Gegenstand nicht ohne Kontext bestimmt werden. Weiter schreibt Wimmer:

Es ist jedoch wichtig zu bemerken, daß [sic!] seine [Mills] Auffassung von der Konnotation als ein Mitbezeichnen von Eigenschaften von Gegenständen die Möglichkeit begründet zu haben scheint, den EN [Eigennamen] als Zeichen für mit unzähligen Eigenschaften versehene, individuelle Gegenstände eine besonders reiche Bedeutung zuzuschreiben. (ebd., S. 75)

Er widerspricht der Arbitrarität von Eigennamen und zeigt auf, dass sehr wohl ein direkter Zusammenhang zwischen der Bedeutung des Lexems und der Vorstellung der Sprecher:innen und den damit verknüpften Merkmalen anzunehmen ist.

Mit den Beschreibungen der unterschiedlichen Forschungsrichtungen zur Semantik der Eigennamen wurde verdeutlicht, dass es sich um einen umfangreichen Untersuchungsgegenstand handelt. In eines dieser Forschungsdesiderate fällt auch die Verwendung des Artikels vor Personennamen, auf das sich diese Arbeit fokussiert.

2.3 Verwendung des Artikels vor Personennamen

Die Verwendung von Artikeln vor Eigennamen stellt einen Grenzfall in der traditionellen Grammatikdarstellung dar. Aufgrund der eindeutigen Direktreferenz der Namen ist eine zusätzliche Verwendung von Artikeln überflüssig. Dennoch findet man in der Sprachverwendung viele Beispiele, in denen Artikel vor Eigennamen verwendet werden. Sucht man beispielweise in den Referenz- und Zeitungskorpora des DWDS nach Verbindungen von

definiten Artikelwörtern vor Personennamen, erhält man eine große Treffermenge2 im Schriftlichen, allerdings vor allem vor Institutionsnamen oder die Verwendung des Artikelwortes als Relativpronomen.

Die Personennamen werden von Gallmann in die Gruppe der primären Artikellosigkeit eingeordnet. Der Gebrauch hängt dabei von den lexikalischen Eigenschaften des Namens ab. Nach der standardisierten Annahme gibt es keine Wahlmöglichkeiten, weshalb der Personenname in der Regel ohne Artikel steht (vgl. Ackermann 2018, S. 26–30).

Dennoch ist der Gebrauch verbreitet, vor allem im gesprochensprachlichen Bereich. Untersuchungen zur Verbreitungen gibt es vor allem von Bellmann (1990) und Elspaß/ Möller (2012). Bellmann erhob die Verbreitung der Artikelverwendung durch bundesweit durchgeführte Straßeninterviews:

Abb. 1: Übersicht der Ergebnisse (Bellmann 1990, S. 274)

2 Mit dem Suchbegriff „$p=ART #0 $p=NE“ erhält man im Referenz- und Zeitungskorpora (Gesamtumfang 1.333.289.715) 4.013.897 Treffer.

Die Verwendung des Artikels variiert regional: Im Norden wird er in negativen Kontexten genutzt, im Süden hingegen konsequent vor Vornamen. Im mitteldeutschem Raum ist die Verwendung häufiger, aber weniger strikt. Im Nominativ wird der Artikel häufiger verwendet, besonders bei Bezugnahme auf Dritte. Bei Selbstnennung und Anwesenheit entfällt er meist. Diese regionalen Unterschiede sind fester Bestandteil der Namenskonstruktion (vgl. Bellmann 1990, S. 253–282; Ackermann 2018, S. 30 f.).

Elspaß und Möller führen eine detaillierte Umfrage zur Verwendung des Artikels vor Vornamen durch. Die Ergebnisse zeigen regionale Unterschiede: Der Artikel wird vor allem bei Freund:innen häufiger verwendet, während er im gesamten Sprachgebiet zumindest manchmal vorkommt (Elspaß/Möller 2012):

Abb. 2: Artikel vor Vornamen (Elspaß/Möller 2012)

Im Süden wird der Artikel flächendeckend verwendet, er ist obligatorisch. Schmuck/ Szczepaniak (vgl. 2014, S. 97 f.) gehen von einem onymischen Gebrauch aus. Nübling (2015) beschäftigt sich mit dem Artikelverlust bei der Entwicklung vom Appellativ zum Eigennamen und erweitert die Kategorisierung Gallmanns (2016) nach primärer und sekundärer Artikelverwendung um den Zusatz der Onymie. Der onymische Primärartikel verschmilzt meist mit der Präposition und bezieht sich direkt auf den referierten Gegenstand:

(7) Wir gehen heute ins Kino

Zifonun (2009) beschäftigt sich mit der Konfiguration der Namensintegrität und dem Prinzip der syntaktischen Einpassung, welches Nübling aufgreift. Hierbei differenziert der Artikel, zu welcher Namenklasse ein Gegenstand oder eine Person gehört, anstatt direkt zwischen den Namen zu unterscheiden. Kalverkämpfer (1978, S. 189) bezeichnet dies als automatisierten prädeterminierenden Namenklassen-Index. Weiter schreibt Nübling (2015), dass der Artikel bei Personennamen nicht wie üblich zur Genusmarkierung dient, sondern als Classifier auftritt. Namen können mehrfach in ihrer Zugehörigkeit zu den Namensklassen besetzt sein (vgl. ebd., S. 331). Der verwendete (oder eben nicht verwendete) Artikel zeigt dabei die entsprechende Klasse, wodurch sich unterschiedliche Bedeutungen ergeben:

(8) das Felsenkeller – Biermarke, Restaurant, Hotel usw.

(9) die Felsenkeller – Frau?

(10) der Felsenkeller – Gebäudeteil, Mann?

(11) Felsenkeller – Ort (Siedlung, Dorf, o. ä.)

Der Artikel ist demnach nicht funktionslos, sondern wird „zum Marker für eine semantisch-sortale Klassifikation (wie ‚Fluss‘, ‚Staat‘, ‚Wüste‘, ‚Schiff‘) mit lexikalischer Information angereichert […]“ (ebd., S. 338).

Die onymische Klassifikation ist ein produktives System, das eng mit dem Wissen der Sprachbenutzer:innen verbunden ist. Der onymische Artikel ermöglicht eine Spezifizierung und Individualisierung von Objektklassen. Dabei kann es zu einer Verstärkung der Individualisierung kommen oder zu einer Generalisierung mit appellativem Charakter (vgl. Skljarenko 1991, S. 55). Der Definitartikel vor Anthroponymen bildet ein referenzielles Klassifikationssystem, das Rückschlüsse auf Namensklassen und ihre semantischen Eigenschaften zulässt (vgl. Nübling 2015, S. 317).

Im Norden wird der Artikel vor Eigennamen unregelmäßiger gebraucht, die Verwendung übt aber auch hier eine spezifische Funktion aus. Die klare Zweiteilung entdeckt auch Werth (2014), der den expletiven Gebrauch des Artikels an Daten aus dem Zwirner-Korpus darstellt. Anders als die vorangegangene Forschung geht er davon aus, „dass der Artikel in der Namen-NP (Nominalphrase) verschiedene Funktionsdomänen besetzt und in der Kombination mit PN (Personennamen) eine Vielzahl an syntaktischen, pragmatischen und semantischen Funktionen erfüllt“ (ebd., S. 150). Die funktionalen Möglichkeiten gruppiert Werth weiter in die Referenzfunktion, die Sozialfunktion und die Kasusmarkierung. Letztere umfasst dabei die tradierte Funktionsbeschreibung, die Hennig (Hg.) (2016, S. 173) folgendermaßen zusammenfasst: „Der bestimmte Artikel steht aber, um den Kasus zu verdeutlichen.“.

Die Referenzfunktion „bekräftigt, dass die bezeichnete Person bekannt ist“ (ebd.), womit entweder Referent:innen als neu im Diskurs markiert werden (12), ein Anschluss an vorangegangene Informationen erzeugt (13) oder eine generelle Betonung hergestellt wird (14):

(12) Nika telefoniert mit Jan. Das ist der Jan, der gestern da war.

(13) Das ist der Jan, der jetzt eine Katze hat.

(14) Das sind Nika, Eva und der Jan, der vorgestern einen Vortrag gehalten hat.

Der Artikel fungiert hier paratextuell und kennzeichnet informelle Unterschiede zur Orientierung der Kommunikationspartner:innen (vgl. Werth 2014, S. 153).

Die dritte Funktion, die Sozialfunktion, verdeutlicht eine Intensivierung hinsichtlich der sozialen Nähe bzw. Distanz. Hennig (Hg.) (2016) findet diese vor allem die Rechts- und Verwaltungssprache:

(15) „Die Schmitt verließ daraufhin den Raum.“ (ebd., S. 713)

Werth hebt die Verwendung des Artikels in denunzierenden Kontexten im norddeutschen Raum hervor. Diese Konstruktion kann emotionale Distanz erzeugen oder auch Nähe schaffen. Die du-Form und die Verwendung des Rufnamens verstärken diesen Effekt. Die Wirkung der Verwendung ist jedoch kontextabhängig und kann nicht allein aus der Kon-

struktion abgeleitet werden (vgl. Werth 2014, S. 155; Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 122):

(16) Den Manuel kennt doch wirklich jeder! Der stört in jeder Unterrichtsstunde.

(17) Keiner kennt sich hier so im Fußball aus wie der Manuel

Die Produktivität der Konstruktion von Artikeln vor Anthroponymen wird durch ihre verschiedenen Funktionalitäten verdeutlicht. Allerdings wird insbesondere die Referenzfunktion in der traditionellen Grammatikschreibung nur oberflächlich behandelt. Wimmer (1973, S. 127) fasst das folgendermaßen zusammen:

Über die Redundanz von Artikeln bei EN [Eigennamen] kann aber erst aufgrund von Bedeutungsbeschreibungen von Artikeln und EN entschieden werden. Die Mängel solcher Bedeutungsbeschreibungen haben in der Literatur zu sehr unterschiedlichen Antworten auf die Redundanzfrage geführt.

Die Verwendung des Artikels vor Personennamen hat ihren Ursprung in der mündlichen Sprache und ist später auch in schriftlichen Kommunikationsformen wie Internetforen anzutreffen (vgl. Gallmann 2016, S. 301). Die Untersuchung dieser Konstruktion im Mündlichen ist jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Eine Betrachtung der semantischen und pragmatischen Implikationen ermöglicht Rückschlüsse auf die Bedeutungen und Funktionen der Konstruktionen (vgl. Zima 2021, S. 44). Deshalb wird folgende Untersuchung unter der Annahme betrachtet, dass die Verwendung bestimmter Artikel vor Personennamen eine Bedeutung trägt. Des Weiteren wird erwartet, dass sich die Semantik zwischen den verschiedenen Namen, die mit Artikel auftreten können (Ruf- und Nachnamen, nur Nachnamen oder nur Vornamen), unterscheidet.

3. Methodisches Vorgehen

Um die Konstruktion im Gesprochenen gebrauchsbasiert zu betrachten, braucht es mündliches Sprachmaterial. Faktoren wie Häufigkeit, Verwendungskontexte, Kommunikationsstrukturen und Phänomenvarianten können mit den Daten aus der gesichteten Literatur nicht erhoben werden, sie brauchen den entsprechenden Kontext, in welchem die Konstruktion verwendet wird. Die gesprochene Sprache stellt in der linguistischen Forschung ein eigenes Untersuchungsfeld dar, das losgelöst von schriftlichen Phänomenbeschreibungen steht.

3.1 Gesprochene Sprache in der Linguistik

Die Untersuchung authentischer Sprachäußerungen in verschiedenen Kommunikationssituationen ist entscheidend für eine gebrauchsbasierte Betrachtung von Sprachphänomenen. Früher wurden schriftliche Quellen herangezogen, aber mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Tonaufnahmegeräten rückt auch die mündliche Sprache verstärkt in den Fokus der linguistischen Forschung. Die gesprochene Sprache ist dialogisch strukturiert und findet in einer konkreten Kommunikationssituation statt, in der externe Faktoren eine aktive Rolle beim Verstehensprozess spielen (vgl. Schwitalla 2003, S. 19; Mroczynski 2014, S. 16):

Betonung und Satzmelodie, das Lauter- und Leiserwerden der Stimme, die Art, wie man redet, ob ‚mit leiser gleichgültiger Stimme oder mit starkem Nachdruck‘, die Verstärkung des Gesprochenen mit dem, wie wir heute sagen, Nonverbalen, die Implizitheit und Knappheit der Äußerungen im Vergleich mit dem vom Sprecher Gemeinten und auch vom Hörer Verstandenen, das notwendig vorausgesetzte Wissen von

Veronika Sahlbach

den Redeumständen, das syntaktisch Reihende und wörtlich Wiederholende – all das hatte Behaghel gut beobachtet und dazu auch die Übergänge zwischen Sprechen und Schreiben bemerkt. (Schwitalla 2003, S. 18)

Das methodische Vorgehen bei der Analyse der gesprochenen Sprache ist problematisch, da der Untersuchungsgegenstand nur durch ihr Gegenstück – die Schriftsprache – betrachtet werden kann. Dadurch wird die verbale Sprachverwendung ausgehend von der schriftlichen Sprache untersucht, was zu einer fehlenden neutralen Perspektive führt (vgl. ebd., S. 20). In dieser Arbeit wird die Bezeichnung „gesprochene Sprachverwendung“ genutzt, um eine konkrete verbale Äußerung zu beschreiben.

Die gesprochene Sprachverwendung unterscheidet sich in vielen Aspekten von der Schriftsprache. Schwitalla (2003) identifiziert als grundsätzliche Unterschiede die räumliche Anwesenheit der Sprecher:innen und Hörer:innen, die Funktionsweise des Gedächtnisses, die Variabilität und Normiertheit, die Gedankenbildung und Bedeutungskonstitutionen.

Die Anwesenheit und Involvierung der Sprecher:innen und Hörer:innen ist einer der größten Unterschiede zur Schriftsprache. Eine Interaktion zwischen mindestens zwei Personen findet in einem lebensweltlichen Kontext statt. Wenn die Sprecher:innen und Hörer:innen auch räumlich anwesend sind, können Mimik und Gestik die Kommunikationssituation beeinflussen, leiten und unterstützen. Wenn jedoch sendende und empfangende Parteien nicht im gleichen Raum sind (z. B. bei Telefonaten), wird die Kommunikation erschwert (vgl. Brinker/Sager 2010, S. 13). Die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten erschweren die Definition eines gesprochenen Standards. Dass es eine Leitvarietät geben muss, die alle anderen Varietäten überspannt, ist unumstritten. Diese steht aber losgelöst vom schriftlichen Standard und weist spezifisch-mündliche Konstruktionen auf, die „funktional und unmarkiert [auftreten], obwohl sie keine strukturelle Entsprechung im geschriebenen Standard haben“ (Butterworth/Hahn/Schneider 2018, S. 21, Markierung im Original). Große Korpora, welche für die Erstellung eines Standards herangezogen werden könnten, sind zu großen Teilen aus verschriftlichen Gesprächen zusammengesetzt. Dabei werden die Gespräche jedoch dem schriftlichen Standard angepasst, ein gesprochener Standard kann so kaum ermittelt werden.

Für die Untersuchung der Verwendung des Artikelwortes vor Personennamen müssen diese Überlegungen berücksichtigt werden – mehr noch: die Wahl einer geeigneten Materialgrundlage ist entscheidend für die Entwicklung eines umfassenden Überblicks über die Verwendung der Konstruktion. Die Konzeptionen mündlich und schriftlich sowie das gewählte Medium bedingen sich gegenseitig. So ist beispielsweise ein wissenschaftlicher Vortrag gesprochen realisiert, die Vorbereitung und der Kontext rücken ihn jedoch konzeptionell in das Schriftliche (vgl. Mroczynski 2014, S. 19 f.). Wie bereits festgestellt, wird das Artikelwort standardisiert in der Schriftsprache nicht vor Personennamen gesetzt – in gängigen Grammatikschreibungen nachzulesen (vgl. Gallmann 2016, S. 299). In der neueren Duden-Grammatik wird die Aussage von Gallmann jedoch revidiert:

Eigennamen stehen teils mit, teils ohne definiten Artikel. Der Gebrauch ist meist nicht wählbar, sondern teils lexikalisch, teils syntaktisch gesteuert. […] Bestimmte Eigennamen stehen gewöhnlich mit dem definiten Artikel. (Gallmann 2022, S. 750 f.)

Je näher das erhobene Sprachmaterial der konzeptionellen Schriftlichkeit steht, desto eher werden die Konventionen der Schriftsprachlichkeit beachtet und der Artikel weggelassen. Für die Erhebung der Daten ist es deshalb notwendig, gesprochene Sprache ohne Einfluss

der Schriftlichkeit zu untersuchen. Die Grundlagen für die Auswahl des genutzten Sprachmaterials waren folgende Prämissen:

a) Die Konstruktion soll in der gesprochenen Sprachverwendung untersucht werden, weshalb auditives Material notwendig ist.

b) Das Sprachmaterial soll gebrauchsbasiert sein.

c) Die Erhebung sollte einen hohen Anteil aktueller, spontaner Gespräche beinhalten.

d) Für das methodische Vorgehen sollen sowohl audio(-visuelle) Aufnahmen als auch die entsprechenden Transkriptionen vorliegen.

e) Die Erhebungen sollten von mehreren Sprecher:innen stammen, welche eine Vielzahl an Hintergründen, sozialen Status und Bildungsmilieus repräsentieren.

f) Das Material sollte frei zugänglich und öffentlich einsehbar sein.

Die Beschaffung geeigneter Materialien wird durch spezifische Anforderungen eingeschränkt, insbesondere durch Punkt c und f, die sich gegenseitig widersprechen und somit die Auswahl erschweren. Obwohl es bereits vorhandene Korpora wie die Datenbank für gesprochenes Deutsch (DGD) des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim gibt, die umfassende Angebote mit verschiedenen Schwerpunkten bieten, bestehen diese hauptsächlich aus Aufnahmen aus dem universitären oder wissenschaftlichen Umfeld. Dies steht im Widerspruch zur Erhebungsprämisse e und daher wird von einer Verwendung dieser Korpora abgesehen.3 Stattdessen wurde eine eigene Datengrundlage für eine deduktive Untersuchung erstellt. Das ermöglicht eine eigene Definition, Analyse und Untersuchung der relevanten Kategorien (vgl. Bubenhofer 2009, S. 17).

3.2 Sprachnachrichten als Untersuchungsgegenstand

Sprachnachrichten passen für diese Fragestellung als Untersuchungsgegenstand. Die digitalen Audio-Postings werden in verschiedenen mobilen Messenger-Kommunikationsdiensten ausgetauscht. In diesen können neben schriftlichen und auditiven Nachrichten auch Bilder, Musik, Dokumente, Kontakte und sogar Standortdaten geteilt werden. Es wird hier keine umfassende Untersuchung der verschiedenen Aspekte von Messengerdiensten präsentiert, dafür sei an dieser Stelle auf Mostovaia (2021) verwiesen.

Sprachnachrichten sind eine Option in Messenger-Kommunikationsdiensten. Ein Symbol startet die Aufnahme über das Telefonmikrofon und die Nachricht wird nach der Aufnahme verschickt. Empfänger:innen können die Nachricht asynchron anhören. Es entsteht dabei eine Zeitverzögerung von mindestens dem doppelten Zeitaufwand zwischen Aufnahme und Abspielen. Die Verwendung von Sprachnachrichten bietet den Vorteil, von spontanen Einfällen bis hin zu ausführlichen Schilderungen in jeder Situation aufzunehmen und versenden zu können. Die aufgenommenen Nachrichten verlieren weniger außer-

3 Eine weitere Herausforderung stellt die automatisierte Suche nach Phänomenen im Korpus dar. Die Korpussuche des „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (IDS Mannheim) beispielsweise differenziert beispielsweise differenziert nur in named entity (NE). In diese Kategorie fallen alle Namenstypen (Ländernamen, Firmennamen, usw.). Die Ergebnisse der Suche müssen somit händisch sortiert werden.

sprachliche Informationen wie beispielsweise die Intonation, was schriftlich der Fall wäre. Das bietet für linguistische Forschungen die Untersuchungsmöglichkeiten im Rahmen der Interaktionsmodalität (vgl. König/Hector 2017, S. 21). Das ist auch in Gruppenchats möglich, auf diese Weise wird die Sprachnachricht einem größeren Publikum zugänglich. Der Anbieter Telegram hat die Möglichkeit, in Gruppen bis zu 20.000 Personen auf einmal zu kontaktieren. Diese können zusätzlich noch öffentlich einsehbar sein, womit die Zahl der erreichten Menschen weiter steigt. Wo die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit in Chatgruppen verläuft, ist hier nicht einfach zu definieren (Kühl 2021). Für die Untersuchung wird aber angenommen, dass durch den regen Gebrauch der Chatumgebung das Bewusstsein für die eigentliche Öffentlichkeit gemindert wird und die Aufnahmen eher im Privaten zu verorten sind. Für Untersuchungen bieten die Telegramgruppen ein großes Potenzial, da sie Einblick in die private Kommunikation (schriftlich und mündlich) bieten. Für die Untersuchung wurden aus diesen Gruppen Sprachnachrichten exportiert. Da die Administrator:innen die Möglichkeit haben, über die Zugänglichkeit der Gruppen zu verfügen und die Sichtbarkeit zu regulieren, sind die Inhalte freiwillig veröffentlicht (Telegram). Die ausgelösten Sprachnachrichten erfüllen alle aufgestellten Prämissen für die Datengenerierung.

a) Die Konstruktion soll in der gesprochenen Sprachverwendung untersucht werden, weshalb auditives Material notwendig ist.

→ Sprachnachrichten sind überwiegend gesprochensprachlich.

b) Das Sprachmaterial soll gebrauchsbasiert sein.

→ Sprachnachrichten erfüllen unterschiedliche Funktionen, sind aber zur direkten mündlichen Kommunikation gedacht.

c) Die Erhebung sollte einen hohen Anteil aktueller, spontaner Gespräche beinhalten.

→ Durch die Privatheit wird angenommen, dass der Anteil spontaner Kommunikation hoch ist.

d) Für das methodische Vorgehen sollen sowohl audio(-visuelle) Aufnahmen als auch die entsprechenden Transkriptionen vorliegen.

→ Die auditiven Nachrichten liegen vor, Transkriptionen müssen noch angefertigt werden.

e) Die Erhebungen sollten von mehreren Sprecher:innen stammen, welche eine Vielzahl von Hintergründen, sozialen Status und Bildungsmilieus repräsentieren.

→ Sprachnachrichten werden von mehreren Nutzer:innen erstellt.

f) Das Material sollte frei zugänglich und öffentlich einsehbar sein.

→ Wenn Gruppen auf öffentlich gestellt wurden, können die Inhalte legal eingesehen werden.

Da es keine passende Anwendung zur gezielten Suche nach Telegram-Gruppen gibt, musste die interne Suchfunktion verwendet werden. Die Desktopversion erleichtert das Extrahieren gewünschter Nachrichten über eine begrenzte Suchmöglichkeit. Über die Suchleiste können öffentlich geschaltete Gruppen anhand des Titels gefunden werden. Die Suche wurde auf Themengebiete beschränkt, in denen viel über Menschen gesprochen wird, wie zum Beispiel Sport, Politik und Medien. Insgesamt wurden aus 14 Gruppen Sprachnachrichten exportiert. Es wurden nur Gruppen ausgewählt, die eine hohe

Anzahl an Sprachnachrichten aufweisen, wobei die Länge der Nachrichten ebenfalls berücksichtigt wurde. Gruppen mit überlangen Aufnahmen, die nicht der Spontanitätsprämisse entsprechen, wurden ausgeschlossen.4 Die ausgewählten Gruppen wurden mithilfe der integrierten Exportfunktion der Telegramanwendung heruntergeladen und die Sprachnachrichten wurden mit einer fortlaufenden Identifikationsnummer in einem Unterordner abgelegt. Insgesamt wurden 14 Gruppen zu verschiedenen Themen5 ausgewählt. Es wurden insgesamt 11.198 Sprachnachrichten aus den 14 Gruppen gesammelt. Für weitere korpuslinguistische Untersuchungen sind Transkriptionen erforderlich. Da es unmöglich war, den Gesamtumfang von 370 Stunden händisch zu transkribieren, wurde ein Programm erstellt. Google bot eine Möglichkeit zur automatischen Transkription mit der kostenlosen Speech Recognition API an. Diese Schnittstelle wurde in eine eigens für die Arbeit6 erstellte Software integriert. Das verfasste Python-Programm MemoTrans teilte die betreffenden Dateien nach Bedarf in Segmente auf und gab sie an die Speech Recognition API von Google weiter. Die transkribierten Inhalte wurden anschließend in eine Textdatei zusammengefügt und zwischen den einzelnen Sprachnachrichten wurden Satzmarkierungen erzeugt. Der jeweilige Dateiname wurde darin als Metainformation gespeichert. Darüber konnten später die transkribierten Texte auf die Audiodatei zurückgeführt werden. Als alle Aufnahmen transkribiert waren, speicherte das Programm die Verschriftlichungen ab. Damit waren die Dateien für eine weitere korpuslinguistische Verarbeitung bereit.7 Die Anwendung konnte anschließend in etwa 10 Minuten eine vollständige Transkription für eine Stunde Audiomaterial erstellen. Das Sprachmodell erkannte verschiedene Dialekte, erfordert jedoch manuelle Nacharbeit, um fehlende Wörter oder unklare Stellen zu ergänzen.8 Die Methode wurde erfolgreich für die Transkription von Sprachnachrichten ausgewählter Gruppen eingesetzt. Die Ergebnisse dieser Erhebung waren für eine linguistische Untersuchung bereit. Die Inhalte wurden anschließend korpuslinguistisch untersucht und die entsprechenden Konstruktionen mit Artikelwörtern herausgearbeitet. Die Onlineanwendung sketch engine9 kann nur alle Eigennamen anzeigen, die Unterscheidungen in weitere Namensklassen wird nicht getroffen. Deshalb mussten die Ergebnisse händisch sortiert werden, um wirklich nur die Personennamen betrachten zu können. Insgesamt konnten so über eintausend Belege herausgearbeitet werden.

4 Die meisten Aufnahmen in den Gruppen entsprechen einer Länge von maximal fünf Minuten, die meisten Sprachnachrichten bleiben unter einer Minute. Überlange Sprachnachrichten sind deshalb Aufnahmen über 20 Minuten. Viele dieser Nachrichten entsprachen einem podcastähnlichen Format, weswegen sie wegen fehlender Spontanität ungeeignet waren.

5 Coronapolitik, Lokalpolitik, Fußball, Heimtiere, Shopping, alternative Nachrichten, Demonstrationen.

6 Sahlbach, Veronika (2022): Determinative vor Anthroponymen. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de: bsz:14-qucosa2-797316 (Stand: 24.4.2023).

7 Da die Schnittstelle von Google leider Anfang des Jahres geschlossen wurde, können über diesen Weg keine Inhalte mehr transkribiert werden.

8 Die ermittelte Fehlerquote liegt bei 95%. Dabei wurden zufällig ausgewählte Transkriptionen hinsichtlich der Korrektheit der erkannten Worte untersucht. Zeichensetzungsfehler, fehlende Buchstaben sowie Fehler der Groß- und Kleinschreibung gingen nicht in die Erhebung ein.

9 sketch engine ist ein leistungsstarkes Werkzeug, um die Funktionsweise von Sprache zu erforschen. Es analysiert große Textsammlungen, um typische und ungewöhnliche sprachliche Verwendungen zu identifizieren und eignet sich auch für Textanalyse.

Veronika Sahlbach

Durch Telegramgruppen können leicht große Datenmengen von Text- und Sprachnachrichten von unterschiedlichen Erzeuger:innen gesammelt und analysiert werden. Die Transkription von Sprachnachrichten erleichtert die Analyse. Es gibt auch Probleme mit der Erkennung von Satzzeichen aufgrund loserer Strukturen in der gesprochenen Sprache. Verschiedene Gruppeninhalte können problematisch sein, insbesondere bei Diskussionen über kontroverse Themen wie die Corona-Pandemie.10 Die Zusammensetzungen und Inhalte von Gruppen ändern sich schnell, was langfristige Untersuchungen erschwert. Trotzdem bietet die Methode erhebliches Potenzial für die Erhebung sprachlicher Materialien und ergänzt bereits vorhandene Korpora.

4. Kategorisierung der Ergebnisse

Wie bereits vorher angenommen, konnten verschiedene Namenskombinationen (nur Voroder Nachname oder beides) im Korpus nachgewiesen werden.

4.1 Unterscheidung nach Artikelwörtern

Zur Belegsegmentierung wurden anfangs Kategorien erstellt. Zunächst wurden die Artikelwörter klassifiziert. Da das Ziel dieser Arbeit die Analyse der Konstruktion des bestimmten Artikels vor Anthroponymen ist, bleibt dieser Aspekt der Ergebnisse unbeachtet. Trotzdem sollen die entdeckten Belege hier kurz vorgestellt werden.

Abb. 3: Indefinitartikel vor Anthroponymen, Ergebnisse

Im untersuchten Korpus wurden insgesamt 74 Belege mit einem Indefinitartikel entdeckt, was einem Anteil von 7% am Gesamtkorpus entspricht. Bei genauerer Betrachtung der Anthroponyme und der Sortierung der Ergebnisse nach Rufnamen, Familiennamen oder Gesamtnamen zeigt sich, dass die meisten Belege den vollen Namen (GN) enthalten (35). Abbildung 26 veranschaulicht, dass 19 bzw. 20 Belege den Indefinitartikel mit dem Familiennamen (FN) oder Rufnamen (RN) verwenden.

Den größten Anteil der Ergebnisse bilden die Belege mit Definitartikeln. Mehr als 900 Belege wurden identifiziert und wie bei den Indefinitartikeln zuerst nach den verwendeten Anthroponymen kategorisiert.

10 In den Gruppen wurden vor allem Inhalte ausgetauscht, in denen die Corona-Pandemie geleugnet wurde. Bei der Wahl der Beispiele wurde darauf geachtet, dass keine verfassungsfeindlichen Inhalte publiziert werden.

Abb. 4: Definitartikel vor Anthroponymen, Ergebnisse

In 54% der Fälle werden Rufnamen verwendet, in 24% Gesamtnamen und in 22% Familiennamen. Ein Beispiel11 für die Verwendung des Definitartikels vor dem Rufnamen ist Satz (18), in dem auf die Person Katja Bezug genommen wird, die den Teilnehmenden bekannt ist und einen Livestream teilen wird.

(18) Außerdem gibt es heute Abend das live mit der Katja da geht es unter anderem auch wahrscheinlich um den Widerstand.12

Bei der Verwendung des Familiennamens wird im Satz (19) auf die damals amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel Bezug genommen, während im Satz (20) der komplette Name von Attila Hildmann verwendet wird.

(19) Ich wollte mal fragen wie sieht’s denn aus mit dem Ermächtigungsgesetz die Merkel hat gerade ein Live-Interview bei Rottenburg.

(20) So bitte mal alle den Attila Hildmann unterstützen.

Die Personen können in unterschiedlichen Verhältnissen zum Diskurs stehen, wie im Fall von Johannes, der sich in Satz (21) selbst beschreibt.

(21) Liebe Mitmenschen am Mikrofon ist der Johannes ich begrüße euch ganz herzlich.

Diese Unterschiede wurden systematisiert und werden im Folgenden betrachtet.

4.2 Unterscheidung nach Position zur Gruppe

Bei der Sichtung der Belege zeigte sich, dass die verwendeten Namen in unterschiedlichen Verhältnissen zu der Telegramgruppe stehen können. Zum einen können die Sprecher:innen auf sich selbst Bezug nehmen, was die engste Referenz darstellt (vgl. Beispiel (21)). Eine weitere Möglichkeit ist das Verweisen auf eine Person, die in der Gruppe bereits aufgefallen ist und an deren Mitteilung angeknüpft wird (vgl. Beispiel (18)). In dem Satz wird auf eine Person namens Katja verwiesen, von der angenommen wird, dass sie den Teilnehmenden bekannt oder ebenfalls Mitglied ist. Es ist zu beachten, dass der Name Katja keine eindeutige Identifizierung garantiert, da es sich auch um ein Pseudonym handeln kann. Im Beispiel (19) zeigt sich ein andersartiges Szenario. Die genannte Person, Angela Merkel, ist nicht aktiv an den Diskussionen innerhalb der Gruppe beteiligt. Dennoch ist sie als Bundeskanzlerin eine öffentliche Person und ihr Vorhandensein wird

11 Das Auswahlkriterium der Beispiele aus dem Korpora war vor allem Verständlichkeit im Schriftlichen. Deswegen wurden möglichst kurze und inhaltlich verständliche Sätze ausgewählt.

12 Die ausgewählten Sätze wurden so übernommen wie sie von der automatischen Transkription ausgegeben worden. Entsprechend können Sie von der orthographischen Norm abweichen.

daher als gegeben angenommen. Beispiel (20) stellt eine dritte Kategorie dar. Attila Hildmann ist mittlerweile vielen Menschen bekannt und daher wird angenommen, dass auch Mitglieder der Telegramgruppen, die sich mit der Corona-Pandemie auseinandersetzen, über ihn informiert sind. Im Gegensatz zu Angela Merkel gehört Attila Hildmann jedoch zum erweiterten Netzwerk dieser Gruppen und es ist möglich, dass einige Mitglieder mit ihm direkt in Kontakt stehen.

Aus diesen unterschiedlichen Belegen ergaben sich vier Kategorien, die folgendermaßen eingeteilt werden können:

Abb. 5: Kategorisierung der Belege

Im Korpus wurden insgesamt 494 Belege identifiziert, in denen Bezug auf Personen genommen wird. Davon tritt die Konstruktion selbstbezeichnend in 49 Fällen (5%) auf. Bei 379 Belegen wird auf Personen verwiesen, die außerhalb der Telegram-Gruppen stehen (41%). Es ist jedoch anzumerken, dass die Unterscheidung zwischen internen und erweiterten Bezügen mit Einschränkungen verbunden ist, da die Zugehörigkeit der genannten Personen zur Telegram-Gruppe nicht immer eindeutig feststellbar ist. Aus diesem Grund wurden diese beiden Kategorien zusammengefasst, was einem Gesamtanteil von 54% (494 Belege) entspricht. Für eine detailliertere Analyse dieser Facette des Phänomens bedarf es weiterer Untersuchungen.

Durch die Zusammenführung der verschiedenen Verwendungen der Anthroponyme und der Positionen der angesprochenen Personen ergibt sich das folgende Bild:

Abb. 6: Übersicht über die untersuchten Kategorien

Mehr als 90% der Ergebnisse, bei denen das verwendete Anthroponym selbstbezeichnend wirkt, enthalten den Rufnamen (RN). Es konnte nachgewiesen werden, dass die überwiegende Verwendung signifikant ist (p<0,00001).13 In lediglich drei Fällen wurde der volle Name (GN) genannt (signifikant, p<0003594). Es konnte keine Verwendung der Konstruktion mit dem Familiennamen (FN) nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu wird bei Personen, die außerhalb des Diskurses der Telegramgruppen stehen, der Nachname signifikant häufig (p<0,00001) verwendet, nämlich in der Hälfte der Belege. Der komplette Name wird in 34% der Fälle genannt, während die Konstruktion mit Rufnamen am seltensten verwendet wird. Beide Werte sind signifikant. Der größte Anteil der Korpusbelege bezieht sich jedoch auf Personen, die entweder zum internen oder zum erweiterten Gruppenumfeld gehören. Hier ähnelt die Verteilung der Anteile den Ergebnissen der selbstbezeichnenden Kategorie: Die meisten genannten Personen werden mit ihrem Rufnamen beschrieben (signifikant, p<0,0001), während beide Namen in 82 Fällen genannt werden (nicht signifikant). Auch hier ist die Benutzung des Nachnamens am seltensten zu finden, ebenfalls signifikant. Die verschiedenen Verwendungen der Anthroponyme in Bezug auf die Position der angesprochenen Personen eröffnen ein vielseitiges Feld der Betrachtungsmöglichkeiten für diese Konstruktion.

Die Trennung von Anthroponymen in Rufnamen und Familiennamen hat sich als nützlich erwiesen, da sie zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die meisten Korpusbelege wurden mit Rufnamen gefunden, die als persönlichste und individuellste Namen gelten, während Familiennamen als Personengruppen-Synonym fungieren und eine eindeutigere Zuordnung zu einer Person mit ihrem Telegramaccount ermöglichen (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 108 f., 144). Kenntnisse über die entsprechenden Personen und die Art der gegebenenfalls vorhandenen Anonymisierung sind wichtig für die Bedeutungsbeschreibung der Konstruktion. Die verwendeten Namen wurden auch hinsichtlich ihrer Position zur Diskussion in der Sprachnachricht und zum geäußerten Inhalt geordnet. Die Klassifizierung von internen Mitgliedern und Personen aus dem erweiterten Zugehörigkeitskreis erwies sich als schwierig, da eine Mitgliedschaft in der Gruppe nicht immer sicher ausgeschlossen werden konnte. Personen, die in keiner persönlichen Verbindung zu den Gruppen stehen, wurden als extern klassifiziert. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden auch bei der Verwendung von Namen ersichtlich, insbesondere bei politisch ausgerichteten Gruppen, die häufiger auf Politiker:innen Bezug nehmen. Es wurden auch knapp 50 Belege gefunden, in denen Sprecher:innen die Konstruktion verwenden, um sich selbst vorzustellen. Diese Verwendung stellt einen interessanten Sonderfall dar und eröffnet weitere Untersuchungsansätze. Zur Analyse wurden die Ergebnisse kategorisiert, um die Betrachtung zu erleichtern.

5. Auswertung

Die korpuslinguistischen Ergebnisse werden nun mit konstruktionsgrammatischen Theorien verknüpft. Eine umfassende Betrachtung aller Korpusbelege wird nicht angestrebt. Stattdessen werden Konstruktionen mit Rufnamen (54% der Belege im Korpus) genauer untersucht. Indefinitartikel-Konstruktionen sind ausgeschlossen.

13 Die Signifikanzen wurden mit dem Chi-Quadrat-Test bestimmt, das Signifikanzniveau wurde auf α=0,05 festgelegt.

Veronika Sahlbach

5.1 Konstruktion mit Personen, die auf sich selbst verweisen

Im Korpus fanden sich Konstruktionen, in denen Personen sich selbst vorstellten und dabei den Definitartikel verwendeten. Am meisten wird der Rufname mit Artikel verwendet (94%), es finden sich wenige Belege mit Gesamtnamen und keine mit Familiennamen (siehe Abb. 6). Oftmals findet man diese Verwendung am Anfang einer Nachricht, wie in den folgenden Beispielen:

(22) Guten Abend zusammen hier ist noch mal der Alexander vom telegram Kanal […].

(23) Ja hallo Frank [hier] ist die Sandra aus Zwickau.

Basierend auf dem Netzwerkmodell von Langacker (1988) und dem Konzept des Schemas wird die Konstruktion zu einer Schablone bzw. einer symbolischen Einheit des Sprachinventars, wie von Zima (2021, S. 184) dargelegt. Die Schablone wird dabei im Sprachgebrauch kognitiv verankert, und die Verwendung der Konstruktion aktiviert entsprechende Wissensdomänen. Beispiel (22) zeigt, dass Alexander regelmäßig Sprachnachrichten in die Gruppen sendet, die mit ähnlichen Einleitungen beginnen. Die Zuhörer:innen kennen den Produzenten, und durch die Verwendung der Konstruktion werden entsprechende Wissensdomänen aktiviert. In Beispiel (23) stellt sich Sandra der Gruppe vor und nennt gleichzeitig ein Attribut, das mit ihr verbunden ist: Sie ist die Sandra aus Zwickau. Der Verzicht auf den Familiennamen kann mehrere Gründe haben. Zum einen kann die Wahrung der Anonymität in der Gruppe eine Rolle spielen. Zum anderen wird der Name in diesen Beispielen gesetzt, um eine Zuordenbarkeit der Sprachnachricht zu anderen (schriftlichen) Inhalten zu erreichen. Der Artikel verstärkt diese Referenzherstellung. In Beispiel (22) wird sogar die Referenz anschließend genannt, es handelt sich um Alexander vom Telegram-Kanal.

5.2 Konstruktion mit Personen, die nicht Teil der Gruppe sind

In dieser Gruppe finden sich Beispiele, die auf externe Personen verweisen. Die Verwendung des Artikels vor Familiennamen ist die am häufigsten auftretende Gruppe in der Stichprobe (50%). Innerhalb des Gesamtkorpus wurden insgesamt 189 Beispiele für die Verwendung des Artikels vor Familiennamen gefunden, gefolgt von der Verwendung des Artikels vor kompletten Namen mit 129 Beispielen. Eine Anwendung des Artikels vor nur dem Vornamen wurde in 61 Fällen beobachtet (siehe Abb. 6).

(24) Jeder da draußen soll wissen, dass die Merkel noch bis nach September will und dann kommt ja noch der Winter und dann ist wieder Januar.

(25) Der Putin hat neulich gesagt, ich muss mal gucken, ob ich das noch finde, dass er der einzigste Politiker ist, also von den Staatsoberhäuptern, kein Klon haben.

(26) Und jetzt klärt sich mehr und mehr auf, was für ein schlauer Fuchs der Donald Trump gewesen ist.

(27) Unter Trump hatten wir vier Jahre keine Kriege und der Joe, dem guten Menschenretter, dem Sozialisten im sozialen toben die Krisenherde und Kriege wieder auf Hochtouren.

Die Semantik der betrachteten Konstruktion geht über die Wortbedeutung des betreffenden Namens hinaus, da Anthroponyme stellvertretend für bestimmte Eigenschaften und Bedeutungsinformationen stehen. Werth (2014) verortet die Verwendung des Artikels vor Anthroponymen (vor allem im Norden) in denunzierenden Kontexten. Eine solche denunzierende Verwendung wird auch im Beispiel (27) deutlich, in dem die sprechende Person

Joe Biden14 als Antagonist betrachtet und seine Regierungsfähigkeit im Vergleich zu Donald Trump15 bewertet. Die Ironie in diesem Beispiel wird sowohl durch den Einschub „dem guten Menschenretter“ als auch durch die Konstruktion selbst verstärkt. Die Präsidentschaftswahl in den USA führte zu einer Änderung der Coronapolitik, da Impfangebote vorangetrieben wurden, um die Pandemie einzudämmen (vgl. Kößler 2021). Diese Politik wird von einigen kritisiert, was dazu führt, dass Joe Biden von den sprechenden Personen abgewertet wird. Diese negative Bewertung wird durch die Konstruktion zu den Empfängerinnen und Empfängern transportiert und etabliert entsprechende Wissensdomänen (Abb. 7, in hellgrau dargestellt). Diese Domänen ergänzen das bereits vorhandene Wissen über Joe Biden (dunkelgrau dargestellt), das sich aus individuellen Auseinandersetzungen mit den Medien ergibt. In der Abbildung sind mögliche Wissensdomänen dargestellt, von denen jede ihre eigenen Strukturen aufweist.

Abb. 7: Mögliche Wissensdomänen zu Joe Biden

Die Verwendung von Rufnamen aktiviert unterschiedliche Erfahrungsbereiche und individuelle Domänen im Zusammenhang mit dem Anthroponym. Die Verwendung des Artikels vor dem Namen aktiviert nicht nur inhaltliche Domänen, sondern auch eine entsprechende Bewertung und Distanz zum konzeptuellen Inhalt. Rufnamen werden üblicherweise im Deutschen nur in engen persönlichen Beziehungen verwendet. Wenn jemand den Rufnamen einer Person verwendet, die er nicht persönlich kennt, kann dies dazu dienen, die eigene Kenntnis und Kompetenz in Bezug auf diese Person zu betonen. Die Verwendung des Namens in negativen Kontexten kann dazu führen, dass diese Konstruktion als Schema abgespeichert wird.

14 46. Präsident der Vereinigten Staaten.

15 45. Präsident der Vereinigten Staaten.

Veronika Sahlbach

Der Konstruktionscharakter lässt sich auch bei den Beispielen erkennen, bei denen der Gesamtname verwendet wird oder der Familienname. Die aufgeführten Beispiele präsentieren die Domänenstruktur der Bedeutungen. Durch häufige Verwendung werden Domänen verstärkt und gehen ins gemeinsame Wissen über. Diese Domänen werden dann zur Primärdomäne und damit zum zentralen Teil des Wissens. Personen, die außerhalb des Gruppengeschehens stehen und im gesellschaftlichen Kontext bekannt sind, können als Beispiel dienen. Obwohl die Primärdomäne in einem Beispiel wie der US-Präsidentschaft liegen könnte, kann sie in einer Gruppe durch andere Domänen überlagert werden (vgl. Zima 2021, S. 67).

5.3 Konstruktion mit Personen, die zum erweiterten Gruppenkreis gehören

In dieser Kategorie wurden 14 Belege gefunden, bei denen der Familienname verwendet wird (3%), 82 Belege stehen mit Ruf- und Familiennamen (17%). Der größte Anteil mit 398 Nachweisen im Korpora (81%) steht mit Rufnamen (siehe Abb. 6):

(28) Ja lieber Frank meine Einschätzung zu den Videos von der Jenny, also es handelt sich auf jeden Fall und eindeutig um Schüsse.

(29) Ich komme gerade nicht drauf aber da muss der Uwe wirklich mal aufräumen das geht gar nicht.

(30) Ich glaube an die [Andi] heißt der Mann von der Kathrin der hat es auch vorgelesen.

Die Namen der Personen, die in diesem Abschnitt erwähnt werden, sind außerhalb der Gruppe unbekannt. Diese Namen werden im erweiterten oder internen Gruppendiskurs verwendet, aber es kann nicht vorausgesetzt werden, dass alle Teilnehmenden sie kennen. Trotzdem wird durch die verwendete Konstruktion Bedeutung übertragen. Im Beispiel (28) wird über Jenny berichtet, deren Videos zumindest einem Gruppenmitglied, Frank, bekannt sind. Da diese Nachricht für alle Mitglieder sichtbar ist, können auch andere den Inhalt verstehen. Die Gruppenteilnehmenden sammeln entweder über längere Zeit – falls die Person mehrmals angesprochen wird – oder einmalig Wissen an, welches sich in Domänen festigt. Beispiel (29) funktioniert ähnlich. In der Sprachnachricht wurde die Diskussion um den Ausschluss einiger Mitglieder, die negativ aufgefallen sind, thematisiert. Uwe ist der Gruppenbetreuer, der über die Möglichkeit des Ausschlusses verfügt. Anhand der restlichen Sprachnachricht können die Empfänger:innen diese Wissensdomäne erschließen. Der Definitartikel gibt erneut das Signal, dass auf erfahrungsbasierte Domänen angespielt wird. In Beispiel (28) geht es also nicht um irgendeine Jenny aus der Gruppe, sondern um die Jenny, die entsprechende Videos geteilt hat. Ähnlich verhält es sich in Beispiel (30), auch hier wird mit der Konstruktion auf eben jene Kathrin angespielt, deren Mann die gemeinte Nachricht vorgelesen hat.

5.4 Zusammenfassende Betrachtung

Die Diskussion der verschiedenen Konstruktionen hat gezeigt, dass sie unterschiedliche Einblicke in die kognitiven Strukturen geben. Jede:r Sprachbenutzer:in verfügt über erfahrungsbasierte Wissensdomänen, die durch bestimmte Konstruktionen aktiviert werden können. Die Konstruktionen dienen als kognitive Schemata, die aus dem Sprachgebrauch abstrahiert werden. Die Konstruktion aktiviert Wissensdomänen auf verschiedene Arten. Das Kommunikationsmodell von Roelcke (2004) stellt diese Funktionen schematisch dar:

Abb. 8: Modell Konstruktion mit Rufname

Erfahrungsbasiertes Kontextwissen sowie Kenntnisse des Sprachsystems stehen Produzent:innen und Rezipient:innen zur Verfügung (oben und unten). Dazwischen liegt das gemeinsame sprachliche Wissen, das aus der geteilten Kommunikationsumgebung entsteht. In den untersuchten Beispielen ist dies die Telegramgruppe. Die Grenzen zwischen den Bereichen sind fließend und werden durch eine unterbrochene Linie dargestellt. Die Konstruktion wird von der produzierenden Person als Teil einer größeren Nachricht an den/die Rezipient:in gesendet und steht somit zwischen beiden Wissensdomänen. Alle Beteiligten verfügen über individuelle kognitive Strukturen, die im gemeinsamen Kontext aufgebaut oder individuell vorhanden sind. Die Verwendung des Rufnamens aktiviert alle vorhandenen Wissensdomäne der rezipierenden Person, welche entsprechend selbst die notwendige Domäne zum Verstehen der Nachricht herausfinden muss. Der Definitartikel vor dem Rufnamen aktiviert weitere Wissensdomänen. Er beschränkt die betreffenden kognitiven Bereiche auf diejenigen, die den gemeinsamen Kontext betreffen. Die eigenen Erfahrungen der rezipierenden Person können zwar auch angesprochen werden (dargestellt durch gestrichelte Linien), sind jedoch zum Verstehen der Konstruktion weniger relevant. Um die Konstruktion und die darauffolgende Nachricht zu verstehen, ist es notwendig, die Domänen zu aktivieren, die im gemeinsamen Kontext mit dem/der Produzent:in entstanden sind. Eine prosodische Akzentuierung des Artikels kann diesen Hinweis verstärken. Eine systematische Untersuchung würde diese Untersuchung weiter ergänzen. Diessel bezeichnet die Funktion des Artikelwortes als Diskursdeixis. Das bedeutet, dass es auf eine Verbindung zwischen zwei Propositionen hinweist, welche den Hintergrund für nachfolgende Äußerungen bilden (vgl. Diessel 1999, S. 101). Diese deiktische Funktion kann inhaltlicher Natur sein oder weitere Situierungen nach sich ziehen.

Der Artikel vor dem Anthroponym hat nicht nur die Funktion, die gemeinte Wissensdomäne zu kennzeichnen, sondern weist auch auf eine bestimmte Person hin. Schon in den früheren Arbeiten von Bühler (1999) wird die zeigende Funktion des Artikels beschrieben:

Wenn die historische Tatsache, daß [sic!] die Artikel aller bekannten Artikelsprachen aus dem Bestand der Zeigewörter hervorgegangen sind und in ihrer Keimphase dem anaphorischen Gebrauch der Zeigwörter am nächsten standen, sinngemäß aufgehoben werden soll in einer Theorie vom Artikel, dann gilt es zu erwägen, in welchem Ausmaß auch heute noch die Fügung Artikel + Nennwort ein Zeigmoment enthält. (ebd., S. 313)

In der Auseinandersetzung mit der Funktion von Artikelwörtern und Pronomina (Determinativen) weisen Gallmann (2016) sowie Ahrenholz (2007) auf die zeigende und verweisende Rolle dieser Wortart hin. Ahrenholz bezieht sich dabei auf Braunmüller (1977), der bereits eine direkte deiktische Verwendung der Artikelwörter festgestellt hat (vgl. ebd., S. 121). Weiter geht Ahrenholz auf Ehlich (1989) ein, der neben der von Diessel (1999) angesprochenen Diskursdeixis auch die objektdeiktische Funktion erkennt. Die Objektdeixis dient der Orientierung des Hörers und führt zu einer Neufokussierung und Refokussierung des Gesprächs (vgl. Ahrenholz 2007, S. 98). Demnach weist der Artikel auf ein anderes Objekt hin und verdeutlicht die Distanz zwischen der Sprachproduzent:in und der bezeichneten Person. Neben der emotionalen Deixis kann mit dem Artikel auch eine wertende Distanz aufgebaut werden. (31) Sie bekommen Geld von der Angie und deswegen machen sie ihren Job.

Durch die Verwendung des Spitznamens für die ehemalige Kanzlerin in Beispiel (31) verdeutlicht die sprechende Person nicht nur eine emotionale und intellektuelle Distanz, sondern auch ihre gesellschaftliche Position als überlegen gegenüber der genannten Person. Der Einsatz des Spitznamens verstärkt diese Wirkung noch.

SpottN[amen] fördern die Gruppenintegration der SpottN-Kenner und -Verwender. Dabei sind es meist sozial Tieferstehende, die sozial höherstehenden Autoritätspersonen SpottN[amen] verleihen und dadurch die soziale Hierarchie nivellieren. (Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012, S. 177)

Diese Verortungen sind von subjektiver Natur. Laut Bühler (1999, S. 106) sind sie „subjektiv in dem Sinne, dass jeder Wegweiser eine ‚subjektive‘ Angabe macht, die nur von einem bestimmten Standpunkt aus gültig und fehlerfrei durchführbar ist“. Daher erfolgt nicht nur eine Verortung der genannten Person, sondern auch der sprechenden Person in der entsprechenden Kommunikationssituation. Die Person wird von verschiedenen Umfeldern umgeben, die durch den Artikel eine bestimmte Beziehungsrelation zum Diskurs herstellen und die Person verorten. Die gewählten vier Bereiche basieren auf gefundenen Belegen, es können jedoch auch andere Kategorien auftreten. Die Artikelrolle wird oft durch visuelle Zeigegesten betont, und die Prosodie kann diesen Charakter verstärken.

6. Fazit

Der hier vorliegende Aufsatz behandelte die Funktion des Artikels vor Namen. Die traditionelle Grammatik erfasst nicht alle Facetten von Artikel und Eigennamen. Eine syntaktische Beschreibung des Artikels reicht nicht aus. Eigennamen stehen in enger Verbindung zur Semantik, Pragmatik und zu kognitiven Strukturen der Sprachverwender:innen. Eine gebrauchsbasierte Korpusanalyse auf Grundlage der Kognitiven Linguistik wurde durchgeführt, da Sprach- und Weltwissen untrennbar miteinander verknüpft sind.

Das Vorkommen des Phänomens wurde an gesprochenem Sprachmaterial untersucht. Telegram bot Zugang zu spontanen Sprachaufnahmen von verschiedenen Sprecher:innen, die in diversen Gruppen erhoben wurden. Um die große Menge an Sprachmaterial automatisch zu transkribieren, wurde ein Skript speziell für diese Arbeit entwickelt. Die ersten Ergebnisse zeigten eine große Anzahl von Beispielen, bei denen der Definitartikel vor Eigennamen stand. Da die Wortarten der Eigennamen nicht genau unterschieden wurden, mussten die Ergebnisse manuell sortiert werden, um die Fehlerquote zu minimieren. Die gewonnenen Belege wurden dann kategorisiert und überraschenderweise übertrafen die

Ergebnisse die Erwartungen in Bezug auf die Anzahl und Vielfalt der verwendeten Konstruktionen.

Eine abschließende Beschreibung der Konstruktion wurde mit Hilfe der Belege durchgeführt, wobei besonders die deiktische Funktion der Artikelwörter hervorgehoben wurde. Dabei wurde die Arbeit von Diessel (1999) aufgegriffen und die Diskursdeixis vorgestellt. Der Definitartikel ermöglicht es der sendenden Person, die notwendige Wissensdomäne zu aktivieren, die für die Bedeutungserschließung erforderlich ist. Diese Funktion wurde in einem Modell entwickelt, das an das Kommunikationsmodell von Roelcke (2004) angelehnt ist (Abb. 8).

Darüber hinaus weist die Konstruktion auch eine Objektdeixis auf. Die Verwendung des Artikels stellt einen räumlichen Verweis dar. Ahrenholz (2007), der ausführlich die deiktischen Funktionen der dies-Formen beschreibt, kommt zu dem Schluss, dass auch die d-Formen über eine lokale Orientierungsoption verfügen.

Es wurde dargestellt, dass der Artikel in den beschriebenen Fällen nicht nur eine kasusoder genus-markierende Funktion hat, sondern auch deiktische Eigenschaften besitzt. Diese Tatsache zeigt nicht nur die Vorzüge einer kognitiven Grammatik, sondern stellt auch eine ganze Wortart in Frage. Artikelwörter wurden in der Forschung kritisch betrachtet, aber die Trennlinie zwischen ihnen und den Pronomen wurde nur inkonsequent hinterfragt. Das wurde auch von Gallmann (2016) in der Duden-Grammatik festgestellt. Eine unvoreingenommene linguistische Untersuchung ist notwendig. Die Kognitive Linguistik bietet dafür einen erfolgversprechenden Ansatz. Gemäß der Theorien der Kognitiven Linguistik können sprachliche Konstruktionen als Subsysteme der Kognition nur aus individueller Erfahrung gewonnen werden. Je häufiger diese Konstruktionen verwendet werden, desto fester sind sie im Sprachgebrauch verankert.

Die Artikelverwendung vor Namen findet kaum Umsetzung im schriftsprachlichen Gebrauch, im gesprochenen fanden sich jedoch reichlich Belege. Wenn man sich ausschließlich auf schriftliche Sprachdaten stützt, kann man keine umfassende Analyse der verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten von Sprache durchführen. Mit dem Blick in die mündlichen Belege konnte gezeigt werden, dass Artikelwörter vor Vor-, Nachnamen oder beidem stehen können. Die Wahl des Namens hängt von der Nähe zur sprechenden Person ab. Die Untersuchung konnte nachweisen, dass die gefundenen Konstruktionstypen unterschiedliche Semantiken aufweisen. Die genaue Bedeutung, die durch die sprachliche Konstruktion transportiert wird, kann aus dem Kontext oder dem Vorwissen geschlossen werden.

Literatur

Ackermann, Tanja (2018): Grammatik der Namen im Wandel: Diachrone Morphosyntax der Personennamen im Deutschen. (= Studia Linguistica Germanica 134). Berlin/Boston: De Gruyter Mounton.

Ahrenholz, Bernt (2007): Verweise mit Demonstrativa im gesprochenen Deutsch Grammatik, Zweitspracherwerb und Deutsch als Fremdsprache. (= Linguistik – Impulse & Tendenzen 17). Berlin/Boston: De Gruyter.

Bellmann, Günter (1990): Pronomen und Korrektur. Zur Pragmalinguistik der persönlichen Referenzformen. Berlin/New York: De Gruyter

Bisle-Müller, Hansjörg (1991): Artikelwörter im Deutschen. (= Linguistische Arbeiten 267). Tübingen: Niemeyer.

Veronika Sahlbach

Braunmüller, Kurt (1977): Referenz und Pronominalisierung. Zu den Deiktika und Proformen des Deutschen. (= Linguistische Arbeiten 46). Tübingen: Niemeyer

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Veronika Sahlbach

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Veronika Sahlbach

Technische Universität Dresden

Professur für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte 01062 Dresden

E-Mail: veronika.sahlbach@tu-dresden.de

Deutsche Sprache

Inhalt

Aufsätze

Helga Kotthoff

Gendern unter soziolinguistischer Perspektive

Leitfadeninterviews mit nichtakademischer Klientel zu Haltungen und Spracheinstellungen ......................................................181

Veronika Sahlbach

Artikel vor Anthroponymen

Untersuchung von Vorkommen und Funktion in transkribierten

Sprachnachrichten aus Messenger-Gruppen ..............................221

Guying Zhou/Jing Li

die Frau – sie – ø: Eine korpusbasierte multifaktorielle Analyse zur Wahl anaphorischer Formen im Deutschen .........................248

Notizen

Tagungsankündigung

60.Jahrestagung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache

Gesprochenes Deutsch: Struktur, Variation, Interaktion

5. bis 7. März 2024, Congress Center Rosengarten Mannheim 279

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