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American Dream
American Dream: Charakteristisch für den Begriff American Dream ist seine
Unschärfe. Obwohl seine ideologischen Grundlagen weit in die amerikanische Geschichte (↗ History) zurückreichen – etwa zum Gründungsmythos des puritanischen Gemeinwesens (↗ Puritanism) in Neuengland oder zu den natur- und verfassungsrechtlichen Idealen der ↗ Declaration of Independence und der ↗ Constitution –, wurde er inmitten der Weltwirtschaftskrise 1931 vom Historiker James Truslow Adams zum ersten Mal verwendet, als sich das Land angesichts der krisenhaften wirtschaftlichen (↗ Economy) und sozialen Zuspitzung auf seine fundamentalen Werte zu besinnen und sich seiner ↗ National identity zu vergewissern suchte. Die große Bedeutungsbandbreite – seine inhaltliche Ausfüllung reicht von individual success bis national purpose, von American consciousness bis world’s salvation, von dream of liberty bis dream of material things – hat seine schlagwortartige Verwendung und Verbreitung beschleunigt. Er lässt unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zu und verwischt als vager Oberbegriff auch gegensätzliche Vorstellungen. So lässt sich ein inzwischen inflationärer Gebrauch auf allen gesellschaftlichen Ebenen durch Politiker (↗ Political culture), Schriftsteller (↗ Literature), Wissenschaftler (↗ Science), Journalisten (↗ Journalism) und Gesellschaftskritiker feststellen. Eine Eingabe des Begriffs bei Google erzielte 2012 rund 31 Millionen Ergebnisse. Sogar Präsident (↗ Presidency) Barack Obamas State of the Union-Rede von 2012 wurde in Presseberichten mit der Schlagzeile „American Dream in Peril“ eingeleitet. Und wenn man sich heutzutage um eine Arbeitserlaubnis für die USA bewirbt, kann man sich an die Auswanderungsberatungsstelle The American Dream wenden (↗ Immigration). Mehr als auf das Gemeinwohl insgesamt zielt der Begriff jedoch auf die – meist zukünftig noch zu verwirklichenden – Erwartungen von Einzelnen und Gruppen. Grundlage ist demnach ein schrankenloser ↗ Individualism; jeder, so lautet das Credo, könne durch harte Arbeit und eigene Willenskraft sein Leben selbst bestimmen und sich selbst verwirklichen. Im Umkehrschluss wird für sein Scheitern der Einzelne selbst verantwortlich gehalten. Gerade amerikanische Schriftsteller haben diese Kehrseite des amerikanischen Traums thematisiert – etwa Arthur Miller in Death of a Salesman, William Faulkner in seinem Essay On Privacy … The American Dream: What Happened to It, Edward Albee in The American Dream und Norman Mailer in An American Dream. Das Streben nach Glück und Erfüllung – pursuit of happiness – ist eingebettet in die Forderung nach Chancengleichheit und Zugang zu angemessener Bildung (↗ Education). Der Begriff American Dream suggeriert, dass individueller Fleiß den sozialen Aufstieg, materielle Absicherung und am Ende auch Wohlstand ermöglicht. In der State of the Union-Rede im Januar 2012 formulierte Präsident Obama dieses „basic American promise that if you worked hard, you could do well enough to raise a family, own a home, send your kids to college, and put a little away for retirement“. 84
American Dream
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Einwanderer (↗ Immigration) kamen mit eben diesen Erwartungen in die USA; für viele von ihnen symbolisierte die ↗ Statue of Liberty den American Dream, der vielleicht nicht für sie selbst, aber zumindest für ihre Kinder und Kindeskinder Realität werden sollte. Martin Luther King, Jr. träumte 1963 vom Ende der Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung (↗ African Americans). In den letzten Jahrzehnten sind solche hohen Erwartungen an die Versprechungen des American Dream mehr und mehr der Enttäuschung gewichen. Beinahe die Hälfte der Amerikaner glaubt ihnen nicht mehr, da die soziale und Einkommensungleichheit (↗ Income distribution) seit den 1970er Jahren enorm zugenommen hat, der Mittelstand Hausbesitz (↗ Housing) und eine Collegeausbildung (↗ Colleges and universities) der Kinder kaum mehr finanzieren kann und mehr Familien unter die Armutsgrenze gerutscht sind (↗ Poverty). ↗ Capitalism; Family; Film; Popular culture. Freese, Peter, „America“ – Dream or Nightmare? Reflections on a Composite Image (Essen 19943); Hochschild, Jennifer L., Facing up to the American Dream: Race, Class, and the Soul of the Nation (Princeton 1995); Cullen, Jim, The American Dream: A Short History of an Idea that Shaped a Nation (Oxford 2003); Jillson, Calvin C., Pursuing the American Dream: Opportunity and Exclusion over Four Centuries (Lawrence 2004); Johnson, Heather Beth, The American Dream and the Power of Wealth: Choosing Schools and Inheriting Inequality in the Land of Opportunity (New York 2006); Hanson, Sandra L. & White, John Kenneth (Hg.), The American Dream in the 21st Century (Philadelphia 2011).
Hartmut Keil
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