Sozialversicherungsrecht kompakt
Der in Studium und Praxis bewährte und topaktuelle Leitfaden bietet sowohl eine übersichtliche Darstellung der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung als auch aller übrigen Sozialrechtsbereiche. Das für viele unerlässliche sozialrechtliche Grundwissen wird verständlich und systematisch erläutert – dabei orientiert sich die Gliederung am Aufbau des SGB. Beispiele und Schaubilder sowie Hinweise auf gesetzliche und andere Fundstellen erleichtern hierbei den thematischen Zugang.
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Die Neuauflage gibt den aktuellen Rechtsstand wieder, einschließlich der Neuregelungen zum sozialen Entschädigungsrecht im SGB XIV, das den veränderten Erfordernissen der Zeit und neuen Opfergruppen Rechnung trägt.
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Auch als
Sozialversicherungsrecht und sonstige Bereiche des Sozialrechts
Leitfaden für Praxis und Ausbildung mit Schaubildern und Beispielen
Herausgegeben von Prof. Dr. Hans-Dieter Braun und Dr. Andreas Jüttner
14., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage
2024, ca. 430 Seiten, ca. € 32,80.
ISBN 978-3-503-23691-6
eBook: ca. € 29,90. ISBN 978-3-503-23692-3
978350310785
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WegezurSozialversicherung
Zeitschriftfürdie
Sozialversicherungs-Praxis
Inhalt
EDITORIAL
AUFSÄTZE
78.Jahrgang Seiten1–36
RECHTSPRECHUNG
ArnoBokeloh
GeldleistungenundSachleistungenimRechtderEuropäischenUnion Begriff,Definition,Bedeutung______________________________________________3
ThomasRennar
SozialversicherungspflichtbeinichtgeschäftsführendenGesellschaftern?____________6
RechtsprechungdesEuGH_________________________________________________21 RechtsprechungdesBundesverfassungsgerichts________________________________22 RechtsprechungdesBundessozialgerichts_____________________________________24 RechtsprechungderInstanzgerichte_________________________________________28
978350310785
WzS
01.24
GESETZGEBUNGUNDPRAXIS ______________________________________________________________________9 NACHRICHTENAUSDEREU ______________________________________________________________________16
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Editorial
SehrgeehrteLeserinnen,sehrgeehrteLeser, dieRedaktionundderVerlagwünschenallenLeserinnenund LesernderWzSeingesundesundglücklichesNeuesJahr.
DieEuropäischeUniongarantiertsowohlArbeitnehmernals auchSelbstständigendieFreizügigkeit.Arbeitnehmerhabendie Möglichkeit,jederzeiteineBeschäftigungineinemanderenMitgliedstaataufzunehmen,SelbständigehabendieMöglichkeit, sichineinemanderenMitgliedstaatniederzulassenunddortihre Tätigkeitauszuüben.DieInanspruchnahmedieserMöglichkeiten hatzurFolge,dassdieRechtsvorschriftenmehrererMitgliedstaatenüberdieSozialeSicherheitanwendbarwerden.Ohneeine VerzahnungdieserRechtsvorschriftenkönntengravierende NachteilefürdiebetroffenenPersonenentstehen,dieimErgebnisdieInanspruchnahmederFreizügigkeiterheblicherschweren würden.DaherverpflichtetderVertragüberdieArbeitsweiseder EuropäischenUnion(AEUV)dieMitgliedstaatendazu,dieauf demGebietderSozialenSicherheitfürdieHerstellungderFreizügigkeitderArbeitnehmerundSelbständigennotwendigen Maßnahmenzubeschließen.ZudenwichtigstenKoordinierungsinstrumentenzählendervolleGeldleistungsexportanPersonen, dieineinemfürdieSozialeSicherheitnichtzuständigenMitgliedstaatwohnen,unddieSachleistungsaushilfe,d.h.derfinanzielleErsatzvonSachleistungenanPersonen,dieineinemsolchennichtzuständigenMitgliedstaatwohnen.Inunseremersten Beitrag„GeldleistungenundSachleistungenimRechtderEuropäischenUnion“(S.3)geht Dr.ArnoBokeloh aufdieUnterscheidungzwischendiesenbeidenInstrumentenein.Maßgeblichfür dieFrage,obeinenationaleLeistungalsGeld-oderalsSachleistungeinzuordnenist,seialleindasUnionsrecht.Belastetwerde aber,gleichgültigobeineLeistungalsGeld-oderalsSachleistungeinzuordnenist,stetsderfürdiesozialenLeistungenzuständigeMitgliedstaat,beiSachleistungenallerdingsnurindem Umfang,indemsieimWohnsitzstaataneigeneStaatsangehörigegewährtwürden.DieUnterscheidungzwischenGeld-und Sachleistungendürfeabernichtdazuführen,dassderVersichertezwarzurZahlungvonBeiträgenverpflichtetsei,aberhieraus
systembedingtkeinerleiLeistungenfließenkönnten.Dieshabe derEuGHwiederholtfestgestellt.
EineSozialversicherungspflichtistgeradebeibeherrschendenGesellschafter-Geschäftsführernregelmäßigzuverneinen. SchwierigeristdieSachlagejedochbeilediglich50%-igerBeteiligungsquoteohneGeschäftsführungstätigkeitodergarbei Minderheitsgesellschaftern.InunseremzweitenBeitrag„SozialversicherungspflichtigeGesellschafterbeschäftigungohneGeschäftsführungstätigkeit?“(S.6)gibt Dipl.-Finw.(FH),Thomas Rennar einenÜberblicküberdiedarausresultierendenFragestellungen.ZurEinstufungeinersozialversicherungspflichtigenGesellschafterbeschäftigungseiregelmäßigaufdensozialrechtlich definiertenArbeitnehmerbegriffzurückzugreifen.FürdieAbgrenzungabhängigerBeschäftigungvonselbstständigerTätigkeitseiderUmfangderKapitalbeteiligungunddasAusmaßdes sichdarausergebendenEinflussesaufdieGesellschaftdaswesentlicheMerkmal.DermitarbeitendeGesellschaftereinerGmbH, dernichtzurGeschäftsführungbestelltsei,unterliegebeiAusübungeinerTätigkeitfürdieGesellschaftnurdannnichtder Sozialversicherungspflicht,wennereinenbeherrschendenEinflussaufdieGeschickederGmbHhabe.
DieRubrik„Rechtsprechung“(S.21)gibteinenÜberblicküber diewichtigstenaktuellensozialrechtlichenEntscheidungen.
DarüberhinausberichtenwirüberEntwicklungenausGesetzgebungundPraxis(S.9)sowieüberNachrichtenausderEU (S.16).
FürdenVerlagundRedaktion
Dr.LindaNehring-Köhler
978350310785 Editorial I WzS 01.24
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GeldleistungenundSachleistungen imRechtderEuropäischenUnion
Begriff,Definition,Bedeutung
Dr.ArnoBokeloh,Bonn
1.Einleitung
DieEuropäischeUniongarantiertsowohlArbeitnehmernals auchSelbstständigendieFreizügigkeit.Arbeitnehmerhabendie Möglichkeit,jederzeiteineBeschäftigungineinemanderenMitgliedstaataufzunehmen,SelbständigehabendieMöglichkeit, sichineinemanderenMitgliedstaatniederzulassenunddortihre Tätigkeitauszuüben.DieFreizügigkeitderPersonenisteinetragendeSäuledesEuropäischenBinnenmarktes,nebendemfreien Dienstleistungsverkehr,demfreienWarenverkehrunddemfreien Kapitalverkehr.
DieInanspruchnahmederFreizügigkeithatzurFolge,dass dieRechtsvorschriftenmehrererMitgliedstaatenüberdieSoziale Sicherheitanwendbarwerden.Hierauskönnten–ohneeineVerzahnungdieserRechtsvorschriften–gravierendeNachteilefür diebetroffenenPersonenentstehen,dieimErgebnisdieInanspruchnahmederFreizügigkeiterheblicherschwerenwürden. DeshalbverpflichtetderVertragüberdieArbeitsweisederEuropäischenUnion(AEUV)dazu,die„aufdemGebietderSozialenSicherheitfürdieHerstellungderFreizügigkeitderArbeitnehmernotwendigenMaßnahmen“zubeschließen(Art.48 Satz2AEUV);dieseVerpflichtungerstrecktsichauch,wiesich ausArt.48Satz1Halbsatz2ergibt,aufSelbstständige.Ausführlichgenanntist–nebenderZusammenrechnungderVersicherungszeiten–dieZahlungderLeistungenanPersonen,dieim HoheitsgebietderMitgliedstaatenwohnen.
ZudenwichtigstenKoordinierungsinstrumentenzähltder volleGeldleistungsexportanPersonen,dieineinemnichtzuständigenMitgliedstaatwohnen,unddieSachleistungsaushilfed.h. dieErbringungvonSachleistungenanPersonen,dieineinem nichtzuständigenMitgliedstaatwohnen.
DieUnterscheidungzwischenbeidenInstrumentenistvon zentralerBedeutung.Geldleistungenwerdenvomzuständigen Mitgliedstaaterbracht;wichtigster–aberkeineswegseinziger–AnwendungsfallistderExportvonRenten.DasGeldfließtgewissermaßenüberdieGrenzen.Sachleistungenkönnendiesjedochnicht,siewerdenvomnichtzuständigenMitgliedstaaterbrachtanPersonen,diedortwohnenodersichdortaufhalten. Wichtigster–aberwiederumnichteinziger–Anwendungsfallist dieErbringungdurchdieTrägerderKrankenversicherung.Der zuständigeTrägerhatdieseLeistungenzuerstatten.1
2.Geldleistungen
DieVO883enthältindemDefinitionenkatalogdesArt.1keine DefinitionderGeldleistungen.Diesistwohlauchnichterforderlich,weildieserBegriffaussichherausverständlichist.DerGesetzgebungsauftragdesArt48AEUVwirdnäherkonkretisiertin Art.7VO883.GeldleistungendürfenaufGrundderTatsache, dassderBerechtigteineinemanderenMitgliedstaatwohnt,nicht gekürzt,geändert,zumRuhengebracht,entzogenoderbeschlag-
nahmtwerden.AlsMitgliedstaatenindiesemSinngeltenauch dieEWR-StaatenNorwegen,IslandundLiechtensteinsowiedie Schweiz,fürdie–wiefürdieMitgliedstaaten–dieVO883gilt. GeldleistungensindinersterLinieRentendergesetzlichen Rentenversicherung,derUnfallversicherung,dasKrankengeld (zumPflegegeldvgl.unten)undauchdieFamilienleistungen.
IndiesemZusammenhangesindeinigeUrteiledesEuGHgeradefürDeutschlandvonbesondererBedeutung.
ImUrteilMovrin2 gingesumdenBeitragszuschusszurKrankenversicherung.DerKlägerwohnteindenNiederlandenund bezogsowohleineniederländischealsaucheinedeutscheRente. AlsDoppelrentnerunterlagerderniederländischenKrankenversicherung;zudiesermussteerBeiträgeentrichten,derenHöhe sichsowohlnachderniederländischenalsauchnachderdeutschenRenterichtete.DieBeklagte,dieLVAWestfalen,hatteargumentiert,derZuschussseieineLeistungbeiKrankheit,mithin seiendieNiederlandezuständig.3 DerEuGHhatdemwidersprochenundinsbesondereausgeführt,derZuschusswerdenichtim Krankheitsfallgezahlt,einZuschuss,dereineBeteiligunganden AufwendungenfürdieKrankenversicherungdarstelle,könne nichteinLeistungderKrankenversicherungsein(insbes.Rn.41); eshandelesichvielmehrumeineGeldleistungderRentenversicherung,dienachArt.10VO(EWG)Nr.1408/71(heuteArt.7 VO883)zuexportierensei.
IndemUrteilHabelt,MöserundWachter4 gingesimWesentlichenumdieFrage,obRenten,dieaufZeitenaußerhalbdes GebietesderBundesrepublikberuhten,inMitgliedstaatenaußerhalbDeutschlandszuexportierensind.AnhangVI.D. DeutschlandZiff.1zudamaligenVO1408schloss–wieauch §§114,272SGBVI–einenderartigenExportimWesentlichen aus.WohntendieBerechtigtendagegeninderBundesrepublik Deutschland,sohattensieeinenAnspruch,dessenZweckdarin bestand,sieindieBundesrepublikDeutschlandzuintegrieren. DieserZweckistaberentfallen,wenndieBerechtigtenihren WohnsitzineinenanderenMitgliedstaatverlegen.IneinemfrüherenUrteil5 hattederEuGHdieseExportausschluss-Klausel nochbestätigtundimWesentlichendamitbegründet,dieseLeistungengehörtennichtzurSozialenSicherheit,sieseienmithin nichtGeldleistungenderRentenversicherung(Rn.7).Jetztaber hatderEuGHdiesenExportausschlussfürmitArt.42EG(heute Art.48AEUV)unvereinbarerklärtunddiebeklagteLVAzum
1NähereszurUnterscheidungvonGeld-undSachleistungenunten3. 2C-73/99v.6.7.2000.
3ZumnäherenVerständnisfürdieseArgumentation:DieinArt.10VO1408 enthalteneExportverpflichtungbezogsichaufRentenderRentenversicherung,derUnfallversicherungunddieSterbegelder.DieExportverpflichtung desArt.19Abs.1lit.bVO1408bezogsichaufPersonen,dieimnichtzuständigenMitgliedstaatwohnen.DieswaraberbeidemKlägernichtder Fall,erwohnteimzuständigenMitgliedstaat.
4VerbundeneRechtssachenC-396/05,C-419/05und450/05v.18.12.2007. 5C-79/76v.31.3.1977,Fossi.
978350310785 Bokeloh,GeldleistungenundSachleistungenimRechtderEU 3 WzS 01.24
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ExportdieserLeistungenindieMitgliedstaatenverpflichtet.AnhangVI.D.Ziff.1zurVO1408wurdespäteraufgehoben.
IndemUrteilBorawitz6 gingesumdenMindestbetragfürdie VornahmeeinerNachzahlung.DasdeutscheRechtdifferenzierte in§118Abs.2SGBVIzwischendenNachzahlungsbeträgenim InlandundimAusland–keineAuszahlungimInland,wennder BetrageinZehnteldesaktuellenRentenwertesnichtüberstieg, keineAuszahlungindasAusland,wennderBetragdreiZehntel desaktuellemRentenwertes(damals13,80DM)nichtüberstieg. DerEuGHhatdieseDifferenzierungfüreinenVerstoßgegendie Gleichbehandlung(damalsArt.3VO1408,heuteArt.4VO883) erklärt.DieentsprechendeVorschriftimdeutschenRechtwurde spätergestrichen.
Eine–jedenfallsausdeutscherSicht–besonderskritische FallkonstellationlagdemUrteilMolenaar7 zuGrunde.Geklagt hattedasEhepaarMolenaar,beidemitWohnsitzinFrankreich undinDeutschlandbeschäftigt,mitdemZiel,keinePflegeversicherungsbeiträgezahlenzumüssen;dieKlägerhattensichzur BegründungihrerKlageauf§34Abs.1SGBXIberufen.Danach ruhtderAnspruch,solangesichderVersicherteimAuslandaufhält.InderGesetzesbegründung(zumdamaligen§30aufS.110) heißteswörtlich:„AuchdasPflegegeld(§33)wirdnichtexportiert.DasPflegegeldistkeineGeldleistungimeigentlichenSinn. VielmehristeszweckgebundenzuSicherstellungderPflegeund ersetztnurdieeigentlicheLeistung,nämlichdieSachleistung (sogenanntes„Sachleistungssurrogat“)8.Hingewiesenwurdefernerdarauf,dassbeiWohnenimAuslandeinelaufendeKontrolle nichtmöglichsei.DieseLösungwargewissermaßensehrbequem:VermiedenwurdendamitalleProbleme,diesichbei einemWohnsitzdesGepflegtenimAuslandstellten,wieetwa dielaufendeKontrolle,aberauchdieFeststellungderPflegebedürftigkeitunddesPflegegrades.AberdienaheliegendeKonsequenz–nämlichdieBefreiungvonderZahlungvonPflegeversicherungsbeiträgenbeiWohnsitzimAusland–wurdenicht gezogen.AbernichtdieQualifizierungimdeutschenRechtist maßgeblichfürdieEinordnungderLeistung,vielmehristdies SachedesUnionsrechts.DerEuGHstuftedasPflegegeldalsGeldleistungeinundführtedafürimWesentlichendreiGründean: DieperiodischeZahlung(unabhängigvonentsprechendenNachweisen),derfesteBetragsowiedieweitgehendeFreiheitdesBegünstigtenüberdieVerwendungdesPflegegeldes(Rn.14).Damit hattendieKlägerihrformalesZiel–BefreiungvonPflegeversicherungsbeiträgen–nichterreicht.Esdürfteihnenaberim Grundegenommendarumgegangensein,imPflege-VersicherungsfalldasPflegegeldinFrankreichzuerhalten–diesesZiel habensieerreicht.DasUrteilhat–nebenderAnwendungder KoordinierungsregelungenfürdieKrankenversicherungaufdie Pflegeversicherung–weitreichendeKonsequenzen.Eslässtsich abersagen,dassdieadministrativenProblemeweitgehendgelöst werdenkonnten.DerdeutscheGesetzgeberhatdemUrteildurch dieEinfügungdesAbsatzes1ain§34SGBXIRechnunggetragen.Esbleibtaberdabei,dassderAnspruchruht,wenndiePflegebedürftigennichtineinemEU-Mitgliedstaat,nichtineinem EWR-StaatundnichtinderSchweizwohnen.Diesgiltunabhängigdavon,obDeutschlandmiteinemStaatdurcheinSozialversicherungsabkommenverbundenist;keinSozialversicherungsabkommenbeziehtsichauchaufdiePflegeversicherung.
EinebesondereKategorieinnerhalbderGeldleistungenbilden die„besonderenbeitragsunabhängigenGeldleistungen“(Art.3 Abs.3undArt.70VO883).DieseLeistungenfolgennichtder klarenUnterscheidungzwischenSozialerSicherheit(alsovolle AnwendungderKoordinierungsvorschrifteneinschließlichder Exportpflicht)undSozialhilfe(keineAnwendungderKoordinierungsvorschriften).Siestehenvielmehrdazwischen,weisenalso
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einerseitsMerkmalederSozialenSicherheitaufundandererseits MerkmalederSozialhilfe,MerkmalederbesonderenbeitragsunabhängigenGeldleistungensind:Zusätzlicher,ersatzweiseroder ergänzenderSchutzgegeneinesvonArt.3VO883erfasstenRisiken,GarantieeinesMindesteinkommenszurBestreitungdes Lebensunterhaltes(alternativzudiesenKriterien;dieLeistung dientdembesonderenSchutzderBehinderten),Finanzierungder LeistungausschließlichdurchSteuern,nichtdurchBeiträge, NennungderLeistunginAnhangXzurVO883.FürDeutschland sindhiergenanntdieLeistungenderGrundsicherungimAlter undbeiErwerbsminderungnachdemViertenKapiteldes SGBXIIunddieLeistungenzurSicherungdesLebensunterhalts derGrundsicherungfürArbeitsuchende,soweitfürdieseLeistungennichtdemGrundenachdieVoraussetzungenfürdenbefristetenZuschlagnachBezugvonArbeitslosengeld(§24Abs1 SGBII)erfülltsind.AuchdiemeistenanderenMitgliedstaaten habenbestimmteLeistungeninAnhangXeingetragen,natürlich nachvorherigerPrüfungdurchVertreterderEuropäischenKommission.DereigentlicheundentscheidendeGrundfürdieSchaffungderRechtsfigurfindetsichinArt.70Abs.3VO883.Diese Leistungenwerdennichtexportiert.Sieverlierendadurchaber nichtihrenCharakteralsGeldleistungen.
3.Sachleistungen
Eine–allerdingsnichtbesondershilfreiche–DefinitiondesBegriffesSachleistungenfindetsichinArt.1lit.vaVO883.Sie werdendefiniertfürdieLeistungenbeiKrankheit(undPflege) undnachdemmitihnenverfolgtenZweck,nämlichärztliche BehandlungunddiedieseBehandlungergänzendenProdukte undDienstleistungeneinschließlichderdirektenBezahlungoder ErstattungdieserKosten(lit.i);einevergleichbareDefinitiongibt esfürLeistungenbeiArbeitsunfällenundBerufskrankheiten(lit. ii).EsmussmithineinsachlichesSubstratvorliegen(imEnglischen„benefitinkind“).EineweitereKonkretisierungdesBegriffesSachleistungfindetsichimBeschlussS3derVerwaltungskommissionvom12.6.2009.9 DanachumfasstdieserBegriff auchLeistungen,dieimZusammenhangmiteinerchronischen oderbereitsbestehendenKrankheitsowieinZusammenhangmit einerSchwangerschaftoderEntbindungerbrachtwerden.Sachleistungenentfallenjedochnichthierunter,wenndieInanspruchnahmedieserBehandlungZweckdesAufenthaltesin einemanderenMitgliedstaatist.
DieBegriffe„Sachleistungen“und„Geldleistungen“sindautonomgemeinschaftsrechtlichauszulegen,dieKlassifizierungim nationalenRechtisthierfürohneBedeutung.10 DiefürdasUnionsrechtwichtigeUnterscheidungzwischenGeld-undSachleistungenfindetkeineEntsprechungimdeutschenRecht(und vermutlichauchkeineEntsprechungimRechtderanderenMitgliedstaaten).Diesistauchnichterforderlich.DasdeutscheRecht regeltgrundsätzlichnurSachverhalteimeigenenTerritorium. GehtesausnahmsweiseauchumSachverhaltemitAuslandsbezug(Beispiele:§§17,18SGBV,110–114SGBVI),sowirdim Einzelnenbestimmt,welcheLeistungenzuerbringensind;einer
6C-124/99v.21.9.2000. 7C-160/96.5.3.1998. 8BT-Drucksache12/5262S.110. 9ABl.C-106v.24.4.2010,auchabgedrucktinFuchs,EuropäischesSozialrecht,7.Aufl.2018,S.711,712. 10EuGHC-466/04,AceredaHerrera,Rn.29,30,auchvonChamier-Glisczinski, C-208/07v.19.7.2009,Rn.48.AusführlichzuderUnterscheidungHahn, DerWohngruppenzuschlagnach§38aSGBXI–Geld-oderSachleistung i.s.d.VO(EG)Nr.883/2004,ZESAR2022,S.99ff.
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Bokeloh,GeldleistungenundSachleistungenimRechtderEU
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kategorialenUnterscheidungzwischenGeld-undSachleistungen bedarfesinsoweitnicht,
DiewohlwichtigstegrenzüberschreitendeimUnionsrechtgeregelteKonstellationistdieSachleistungsaushilfebeiWohnenin einemnichtzuständigenMitgliedstaat(wichtigsterAnwendungsfallwohlRentner,dieihrenRuhestandineinemanderenMitgliedstaatverbringen).DerBegriffWohnenistinArt.1lit.j VO883definiertalsOrtdesgewöhnlichenAufenthaltes.AnwendbarsindnundieRechtsvorschriftendesWohnstaates.DieserentscheidetausschließlichnachseinenRechtsvorschiften, welcheSachleistungenererbringt;erdarfnichtdifferenzieren zwischenseinenVersichertenundVersicherteneinesanderen Mitgliedstaates,dieinseinemStaatsgebietwohnen.Dasbedeutet auch:EsspieltkeineRollemehr,welcheLeistungenderVersicherungsstaatenthält.Mithin:DieVerlegungdesWohnsitzesin einenanderenMitgliedstaatkannnachteilig–aberauchvorteilhaft–sein.DieshatderEuGHunmissverständlichindemUrteil vonChamier-Glisczinsky11 klargestellt.ZuGrundelagderFall einerKlägerin,dieinDeutschlandwohnteundhiervollstationärePflegenach§43SGBXIenthielt.SiewollteihrenWohnsitz nachÖsterreichverlegen,umweiterhininderNäheihresMannes zusein,derdorteinUnternehmenübernehmenwollte.DasösterreichischeRechtkenntabereineentsprechendeLeistungnicht. DerEuGHhatklargestellt,dassDeutschlandnichtzurÜbernahmederineinemprivatenPflegeheiminÖsterreichentstehenden Kostenverpflichtetist.ErhathierzuinRn.85ausgeführt:„Somit kannArt.18Abs.1EGeinemVersichertennichtgarantieren, dasseinUmzugineinenanderenMitgliedstaathinsichtlichder sozialenSicherheit,insbesondereinBezugaufLeistungenbei Krankheit,neutralist…kanneinsolcherUmzugaufgrundder Unterschiede,dieindiesemBereichzwischendenSystemenund denRechtsvorschriftenderMitgliedstaatenbestehen,jenach KombinationdernationalenRegelungen…fürdiebetroffenen PersonenVorteileoderNachteilehaben“.
Die–angeblichschlechtere–medizinischeVersorgungwar frühereinimmerwährendesProblemfürdieRentner,dieihren WohnsitznachSpanienverlegthatten.Siehattenwohlerwartet, inSpanieneinedendeutschenLeistungenvergleichbaremedizinischeVersorgungzuerhalten,fandenihreErwartungenaber häufignichtbestätigt.EinBetroffenerhatesineinemBeschwerdebriefsoformuliert,erbezahleinDeutschlandfürseineKrankenversicherungfüreinenMercedes,enthalteaberinSpanien dafürnureinMoped. FürDeutschlandistdieseProblematik inzwischendurcheinUrteildesBSG etwasentschärft:Versicherte,dieineinemanderenMitgliedstaatwohnen,habendas Recht,auchjederzeitLeistungenderKrankenversicherungin DeutschlandinAnspruchnehmenzukönnen.Inzwischengibtes einevergleichbareRegelungauchimUnionsrecht,jetztnatürlich nichtmehrbegrenztaufDeutschland.Voraussetzungistallerdings,dassderzuständigeMitgliedstaatinAnhangIVzur VO883eingetragenist,dorthabensichdiemeistenMitgliedstaateneintragenlassen. VonderentsprechendenMöglichkeit wirdvermutlichinsbesondereGebrauchgemachtwerden,wenn dieBehandlungim(neuen)Wohnstaatnichtodernichtinder gewünschtenQualitätmöglichist,beispielsweisebeikompliziertenOperationen.Diesändertabernichtsdaran,dassdienormale
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ärztlicheVersorgungimWohnstaatstattfindet,nachdendortigenModalitätenundGepflogenheiten.
VomWohnenimnichtzuständigenMitgliedstaatistderAufenthaltdortzuunterscheiden.DieserwirdinArt.1lit.kVO883 definiertalsvorübergehenderAufenthalt.Versicherte,diesichin einemnichtzuständigenMitgliedstaataufhalten,habenAnspruchlediglichaufdieSachleistungen,diesichwährendihres Aufenthaltesdortalsmedizinischnotwendigerweisen(Art.19 Satz1VO883).WiebeimWohnenimnichtzuständigenMitgliedstaatbestehtauchhierAnspruchlediglichaufdieSachleistungen,dieimSystemdesAufenthaltsstaatesvorgesehensind. BeiderBeurteilung,obdieErbringungdermedizinischenLeistungerforderlichist,istdieArtderLeistungenunddievoraussichtlicheDauerdesAufenthalteszuberücksichtigen.Diesbedeutetkonkret:BeieinembeabsichtigtenlängerenAufenthalt bestehteinweitergehenderAnspruchalsbeieinemkürzeren Aufenthalt.ErfasstwerdenauchchronischeKrankheiten,bei denendieNotwendigkeiteinerBehandlungbereitsbeiBeginn desAufenthalteserkennbarist.NaturgemäßistdieEntscheidung, obeinemedizinischeLeistungwährenddesAufenthalteserforderlichist,schwierig,zumalderaushelfendeTrägerhierbeiauf dieAngabendesVersichertenangewiesenist.Zuständigfürdie EntscheidungderNotwendigkeiteinerBehandlungiststetsder aushelfendeTräger.
4.Resümee
Wiebereitsausgeführt,istmaßgeblichfürdieFrage,obeinenationaleLeistungalsGeld-oderalsSachleistungeinzuordnenist, alleindasUnionsrecht.Belastetaberwird,gleichgültigobeine LeistungalsGeld-oderalsSachleistungeinzuordnenist,stets derzuständigeMitgliedstaat.BeiGeldleistungenbedarfdieskeinerbesonderenErläuterung,beidenSachleistungenerfolgteine ErstattungdurchdenzuständigenTräger,undzwarentwederals ErstattungimEinzelfalloderaberpauschal(vgl.Art.35VO883 undArt.62-69VO987).InEinzelfällengibtesnochErstattungsverzichtsabkommen,somitdemEWR-StaatNorwegen.15 Das früherbesonderswichtigeErstattungsverzichtsabkommenmit Großbritannienistgekündigtworden.BeiErstattungsverzichtsabkommenlässtsichvoneinemBezahlen„mitgeschlossenem Portmonee“sprechen–diejeweilserbrachtenSachleistungen werdengegenseitigverrechnet.
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DieUnterscheidungzwischenGeld-undSachleistungendarf abernichtdazuführen,dassderVersichertezwarzurZahlung vonBeiträgenverpflichtetist,aberhieraussystembedingtkeinerleiLeistungenfließenkönnen.DieshatderEuGHwiederholt festgestellt,insbesondereimUrteilMolenaar(dazuoben2). DamithatsichderEuGH–einmalmehr–alsAnwaltderUnionsbürgererwiesen.
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11C-208/07v.16.7.2009. 12HierzudifferenzierendRainerFuchs,SorgenfreilebenunterSpaniens Sonne,2016,S.63ff.,abermitdemHinweis,dassspanischeÄrzte,obwohl zurkostenlosenBehandlungverpflichtet,nichtseltenbeideutschenResidentenzusätzlicheineBarzahlungverlangen.
13BSGE84,98v.5.7.2005,B1KR2/84R. 14Art.27Abs.2VO883i.V.m.AnhangIV. 15BGBl.II2000S.9.
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