Leseprobe ER Energierecht

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ER

EnergieRecht

Prof. Dr. Tilman Cosack IREK, Hochschule Trier

Zeitschrift für die gesamte Energierechtspraxis

Wissenschaftlicher Beirat:

Inhalt der Leseprobe:

Dr. Markus Appel, LL.M., Linklaters LLP

Aufsätze

Reinhard Ruge Bundesfachplanung nach NABEG: Beschleunigungsgesetz ohne Beschleunigungswirkung?

ER aktuell

Aktuelle Entwicklungen im Energierecht

Rechtsprechung

Nichtigkeit der Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung über die Netzentgeltbefreiung von Letztverbrauchern BGH, Beschl. v. 12.04.2016 – EnVR 25/13 (m. Anm. Boris Scholtka und Jule Martin)

Standpunkte

Interview mit Prof. Dr. Christoph M. Schmidt

Herausgeber / Schriftleitung:

Karsten Bourwieg, Bundesnetzagentur Prof. Dr.-Ing. Martin Faulstich, TU Clausthal Dr. Michael Koch, BDEW e.V. Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL.M. Universität Regensburg Thorsten Müller, Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg Dr. Christoph Richter, MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig Katrin van Rossum, OLG Düsseldorf Prof. Dr. Rüdiger Rubel, Bundesverwaltungsgericht Dr. Christian Schneller, TenneT TSO GmbH Dr. Boris Scholtka, PwC Legal

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Prof. Dr. Thomas Schomerus, Leuphana Universität Lüneburg


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Gut vernetzt in ein neues Energiezeitalter Liebe Leserinnen, liebe Leser, der Gesetzgeber war in den vergangenen Monaten nicht müde, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Energiewende weiter auszugestalten. Das Strommarktgesetz, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und besonders das EEG 2017 sind dabei wesentliche Grundpfeiler. Der Gesetzesentwurf zum EEG 2017 verändert das erst rund zwei Jahre bestehende EEG 2014 zum Teil grundlegend und belegt so die beispiellose Dynamik des Energierechts. Für Energieerzeuger, Energieversorger, Netzbetreiber, Kommunen, aber auch unter juristischen Experten sind geltende Regelungen und künftige Gesetzesvorhaben nur mehr schwer zu überblicken. Mit der ER Energierecht bleiben Sie in der Praxis rundum versorgt. Hervorragende Fachbeiträge, wichtige Experten-Interviews, ausgewählte Rechtsprechung mit Anmerkungen und ein Überblick über die jüngsten energierechtlichen Entwicklungen halten Sie immer auf dem neuesten Stand. Eine spannende und nachhaltige Lektüre wünscht Ihnen Ihr

Dr. Joachim Schmidt Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG Geschäftsführung


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Dr. Reinhard Ruge, LL.M. (London) Rechtsanwalt und Stellvertretender Leiter Recht der 50Hertz Transmission GmbH

Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG

Bundesfachplanung nach NABEG: Beschleunigungsgesetz ohne Beschleunigungswirkung? Dr. Reinhard Ruge, LL.M* Mit dem NABEG hat der Gesetzgeber die Bundesfachplanung als neues Planungsinstrument im Leitungsbau für Höchstspannungsleitungen Strom eingeführt und die BNetzA als zuständige Behörde für die im Bundesbedarfsplan1 als landesübergreifende und grenzüberschreitende Vorhaben gekennzeichneten Vorhaben festgelegt. Ziel der gesetzlichen Neuregelung war im Kern die Beschleunigung des Leitungsbaus als Kernelement der Energiewende, bedingt durch den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie nach Fukushima. Fünf Jahre nach Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelungen und drei Jahre nach Inkrafttreten des BBPlG ist bislang noch zu keinem Vorhaben des Bundesbedarfsplans eine Entscheidung über die Bundesfachplanung nach § 12 NABEG ergangen. Der Beitrag setzt sich mit den verschiedenen politischen, gesetzlichen und verfahrenspraktischen Gründen hierfür auseinander.

I. Einleitung Beschleunigungsgesetze für Infrastrukturausbau sind nichts Neues, wie beispielsweise das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz für die neuen Bundesländer2, das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben3 oder das Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen, kurz Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG)4. Deren Bilanz wird in der Tendenz positiv bewertet.5 Von den nunmehr 1800 km der EnLAG-Vorhaben sind immerhin schon 800 km genehmigt und 600 km verwirklicht.6 Obgleich die neuen gesetzlichen Regelungen des NABEG bereits 2011 und die des BBPlG 2013 in Kraft getreten sind, liegt noch keine Entscheidung der BNetzA über die Bundesfachplanung nach § 12 NABEG vor. Dies überrascht auf den ersten Blick besonders, da gerade im ersten Schritt der Planung, der Raumordnung in Zuständigkeit der Länder, mit der sich die Bundesfachplanung zunächst einmal vergleichen lassen muss, oftmals Verzicht auf Raumordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 4 ROG erklärt wurde und die Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Raumordnung in

den Planfeststellungsverfahren beschleunigend mit abgearbeitet wurde. Aber auch dort, wo ein solcher Verzicht nicht erfolgte, werden Raumordnungsverfahren der Länder erfahrungsgemäß durchaus nach 0,5 – 1 Jahr abgeschlossen.7 Im Folgenden werden die wesentlichen drei Gründe herausgearbeitet, die ursächlich für diesen deutlichen Unterschied in der Verfahrensdauer sein dürften. Maßgeblich dürften politische Einflüsse auf die vom Gesetzgeber selbst festgelegten Prozesse (dazu unter Punkt II.), die gesetzgeberische Konstruktion der Bundesfachplanung (dazu unter Punkt III.) sowie die behördliche Entscheidungspraxis mit der Tendenz zum Setzen neuer Standards in den Verfahren (dazu unter Punkt IV.) sein.

II. Der politische Faktor im Netzausbau

* Die Ausführungen stellen persönliche Auffassungen des Verfassers dar. 1 Ruge, Neues vom Netzausbau: Bundesbedarfsplangesetz, EnWZ 2013, 435 ff.

1. Das Konzept: Transparenz und Überprüfung der Bedarfsermittlung Mit den gesetzlichen Regelungen zur Energiewende im Jahr 2011 hat der Gesetzgeber neben dem NABEG auch die Bedarfsermittlung für den Ausbau des Übertragungsnetzes Strom in den §§ 12a ff. EnWG neu geregelt.8 Nachdem die Netzbetreiber zuvor in Umsetzung ihrer Netzausbaupflichten nach §§ 11, 12 EnWG eigenverantwortlich und unternehmensintern den Bedarf für den

2 Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin 16.12.1991 (BGBl. I S. 2174), zul. geänd. durch Art. 464 VO v. 31.08.2015 (BGBl. I S. 1474, 1542). 3 Gesetz v. 09.12.2006 (BGBl. 2006 I S. 2833, Berichtigung BGBl. 2007 I S. 691). 4 Gesetz v. 21.08.2009 (BGBl. I S. 2870). 5 Stüer, Fachplanungsrecht in Ost und West – Reformbedarf, DVBl 2009, 1145 ff. 6 BNetzA, Netzausbau-Monitoring I/2016, www.netzausbau.de.

7 Dies bezieht sich sowohl auf die Vorbereitung und Vorabstimmung der Unterlagen als auch auf das förmliche Verfahren der Raumordnung, für das in Bund und Ländern Regelungen zur Dauer existieren, z. B. gemäß § 32 LPlG NRW i. V. m. § 15 Abs. 4 ROG. 8 Zum aktuellen Stand Ruge, Netzentwicklungsplan Strom: Aktuelle Gesetzesänderungen und Rechtsfragen der Bedarfsplanung von Höchstspannungsnetzen, EnWZ 2015, 497 ff.


Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG Netzausbau ermittelten, entschied sich der Gesetzgeber mit den Neuregelungen dafür, bereits im frühen Stadium der Netzplanung, der Bedarfsermittlung, das Verfahren der Ermittlung für den notwendigen Netzausbau sehr transparent unter Beteiligung der Öffentlichkeit und mit Überprüfung durch die BNetzA auszugestalten. Zunächst werden im Szenariorahmen die Randbedingungen für die Netzberechnungen, wie prognostizierter Verbrauch, prognostizierte Erzeugung differenziert nach Energieträgern etc., festgelegt. Auf der Grundlage dieser Randbedingungen erfolgt dann die Ermittlung konkreter Netzausbauprojekte. Auf der ersten Stufe der Netzplanung, der Festlegung des Szenariorahmens nach § 12a EnWG, müssen auch politische Ziele berücksichtigt werden. So hat der Gesetzgeber ausdrücklich in § 12a Abs. 1 Satz 1 EnWG geregelt, dass der Szenariorahmen mindestens drei Entwicklungspfade (Szenarien) umfasst, die für die mindestens nächsten zehn und höchstens 15 Jahre die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen im Rahmen der mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung abdecken. Allerdings: Ist der Szenariorahmen genehmigt und bestandskräftig, muss der Netzentwicklungsplan auf dieser Grundlage erstellt werden, politische Ziele sind auf der zweiten Stufe der Netzplanung nach den rechtlichen Vorgaben selbst in diesem Stadium nicht mehr vorgesehen. Soweit die Theorie, nun zur Praxis. 2. Realitäten der Bedarfsermittlung: Regelmäßige Anpassungen der Bedarfsplanung aufgrund politischer Einflüsse Die noch recht junge Geschichte des Netzentwicklungsplans zeigt, dass der von Fachleuten erstellte und öffentlich konsultierte und von einer unabhängigen Aufsichtsbehörde geprüfte und genehmigte Netzentwicklungsplan trotz des hohen Maßes an Transparenz und unabhängiger Überprüfung weiterhin Gegenstand politischer Diskussion ist, die sich auch in zeitlicher Hinsicht auf die Netzplanung auswirken kann. Dies betrifft die in den Jahren 2014, 2015 und 2017 erstellten bzw. zu erstellenden Netzentwicklungspläne. Das erste Beispiel ist der NEP 2024, der angesichts veränderter Randbedingungen des EEG 2014 deutlichen Anpassungen unterlag, die teilweise auf bereits fortgeschrittene Planungsverfahren einwirkten. So wurden die Netzverknüpfungspunkte der beiden HGÜ-Vorhaben Korridor C und D verschoben, andere Vorhaben wurden entbehrlich, einige kamen hinzu.9 Das zweite Beispiel ist die intensive politische Diskussion um das Thema Erdkabel, welche zu einer Anpassung der Beschleunigungsgesetze EnLAG und BBPlG und der Möglichkeiten zur (Teil-) Verkabelung führten und sich ebenfalls unmittelbar auf den NEP 2025 auswirkte. Grundlegende Anpassungen wurden zwischen den Parteivorsitzenden der CDU, CSU und SPD auf politischer Ebene im Energiewende-Eckpunktepapier 2015 vereinbart und dann gesetzlich umgesetzt.10 Die Umstellung der mehrere hundert Kilometer langen HGÜ-Vorhaben auf Kabel und eine gleichzeitig vom Gesetzgeber eingeführte Verschiebung der Netzverknüpfungspunkte führte dazu, dass die bereits zwei Jahren laufenden Planungen in den betroffenen Vorhaben neu aufgesetzt werden mussten und in einem der beiden Verfahren sogar ein Vorhabenträgerwechsel stattfand, weil die Verschiebung des Netzverknüpfungspunktes über eine Regelzonengrenze hinweg zur Änderung

9 Netzentwicklungsplan Strom 2014, 2. Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber, S. 19 ff. 10 Zur bewegten Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderungen Ruge, We Love Cable: Erdkabel im Höchstspannungsbereich als Allheilmittel für mehr Akzeptanz für den Netzausbau, RdE 2016, 105 (107 f.).

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der Durchführungsverantwortung11 führte. Als Ergebnis dieser politischen Einflüsse verschieben sich die Inbetriebnahmedaten der Korridore C und D um 3 Jahre auf 2025.12 Das dritte und letzte Beispiel betrifft den NEP 2025 und den Szenariorahmen und NEP (2030) 2017. Erneut ist es eine Novelle des EEG, welche zu erheblichen Konsequenzen bei der Bedarfsermittlung führt (Kabinettsbeschluss v. 08.06.2016 zum EEG 2016). Mit dem Ziel der besseren Verzahnung von Windenergiezubau und Netzausbau plant der Gesetzgeber bestimmte Netzausbaugebiete auszuweisen, in denen eine Steuerung des Windzubaus erfolgen soll, weil hier die Netze durch den Zubau von Windenergieanlagen an Land besonders belastet sind (§§ 36c, 88b EEG 2016-E). Damit soll für eine Übergangszeit der Windausbau verlangsamt werden, damit der erforderliche Netzausbau nachziehen kann. Nicht ganz klar ist, welche Konsequenzen dies für die Bedarfsermittlung hat. Würde man, wie in der Gesetzesbegründung zu § 118 Abs. 16 EnWG-E vorgesehen, Änderungen bei den Grundannahmen, bei den Ausbaupfaden und der räumlichen Verteilung der Erneuerbaren Energien auf Grundlage der Regelungen zu den Netzausbaugebieten bei der Bedarfsermittlung berücksichtigen13, hätte dies geringere Einspeiseprognosen in der Zukunft und damit weniger prognostizierten Netzausbau zur Folge. Genau dies ist jedoch nicht das Ziel der Regelung, die der Gesetzgeber in der Begründung zu § 36c EEG 2016-E ausdrücklich als Übergangsregelung bezeichnet, um den erforderlichen Netzausbau nachzuziehen. Insofern dürften Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Norm dafür sprechen, dass sie eine spezifische Regelung für die Vergütung von EEG-Anlagen darstellt, jedoch keinen Einfluss auf die Netzberechnungen haben soll. Abgesehen von diesem Problem zeigt aber auch dieses Gesetzesvorhaben mit auch im Übrigen veränderten EEG-Randbedingungen, wie stark die Netzplanung von den sich laufend ändernden Rahmenbedingungen abhängig ist. In § 118 Abs. 16 EnWG-E soll geregelt werden, dass das Verfahren zur Bestätigung des Offshore-NEP 2025 fortgeführt wird, das Verfahren zur Bestätigung des Onshore-NEP 2025 hingegen nicht. Damit ist die erfolgte Planung und Öffentlichkeitsbeteiligung zum NEP 2025 hinfällig.

III. Gesetzliche Gründe für kompliziertere Verfahren nach dem NABEG als bei Raumordnung und Planfeststellung in Landeszuständigkeit 1. Zweistufiges Verfahren Das NABEG sieht sowohl für die Bundesfachplanung als auch für die Planfeststellung ein neuartiges, zweistufiges Antragsverfahren vor. Mit der Antragstellung nach § 6 NABEG wird für die Antragskonferenz eine Informations- und Diskussionsgrundlage geschaffen. Auf der Grundlage der Festlegung des Untersuchungsrahmens nach § 7 Abs. 4 NABEG erfolgt dann die Erstellung der eigentlichen Unterlagen gemäß § 8 NABEG. Anders als in der Raumordnung sind bereits die Unterlagen nach § 6 NABEG umfassend Gegenstand öffentlicher Diskussion.

11 Ruge, Durchführungsverantwortung für neue Höchstspannungsleitungen – Wer darf und muss ab wann die Vorhaben aus NEP und BBPlG realisieren?, ER 2015, 131 ff. 12 BNetzA, Netzausbau-Monitoring I/2016, www.netzausbau.de. 13 So legt es die Gesetzesbegründung zum EEG 2016 nahe.


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2. Einschränkung der planerischen Gestaltungsfreiheit des Vorhabenträgers Bereits in der Bundesfachplanung ist die planerische Gestaltungsfreiheit des Vorhabenträgers14 zu Gunsten der Planfeststellungsbehörde BNetzA deutlich eingeschränkt.15 So kann etwa die BNetzA den Vorhabenträger verpflichten, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Antrag zu stellen (§ 6 Satz 2 NABEG), sie kann – ebenso wie die Länder – die Prüfung zusätzlicher Alternativen verlangen und auch eigene Alternativenvorschläge einbringen (§ 7 Abs. 3 NABEG), die der Vorhabenträger dann in seinen Unterlagen darstellen und bewerten muss. Anders als in der Raumordnung hat der Vorhabenträger keine UVP, sondern eine SUP zu erstellen (Anlage 3, Ziffer 1.11 UVPG). Im Rahmen der UVP zur Raumordnung bestimmt der Vorhabenträger nach § 15 Abs. 1 Satz 3 ROG, ob und welche Alternativen Verfahrensgegenstand werden. Im Rahmen der SUP zur Bundesfachplanung hat er diese Freiheit nicht; er ist vielmehr zu einer umfassenden Alternativenprüfung gesetzlich verpflichtet. Dieser Ansatz scheint sich künftig auch in der Raumordnung durchzusetzen, wie sich aus dem Referentenentwurf zum Raumordnungsgesetz16 ergibt. 3. Entscheidung über die Bundesfachplanung als umfassende Abwägungsentscheidung Der Gegenstand der Entscheidung über die Bundesfachplanung ist deutlich weiter als das Ergebnis der Raumordnungsverfahren: In der Raumordnung beschränkt sich die Prüfung auf raumbedeutsame Auswirkungen der Planung und der überörtlichen Gesichtspunkte, private Belange werden im Raumordnungsverfahren nicht geprüft. Das Ergebnis der Prüfung ist Raumverträglichkeit, Raumunverträglichkeit oder Raumverträglichkeit unter Maßgaben. Demgegenüber erfolgt in der Entscheidung über die Bundesfachplanung nach § 12 NABEG eine umfassende Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Belange (§ 5 NABEG), nicht zuletzt mit Blick auf die neuartige Verbindlichkeit der Bundesfachplanung für die Planfeststellung. 4. Verbindlichkeit der Bundesfachplanung für die Planfeststellung Ein zentraler Unterschied zwischen der Bundesfachplanung und der Raumordnung, welcher die Hauptbegründung für eine erhöhte Prüfungstiefe17 der BNetzA darstellt, ist die Verbindlichkeit der Bundesfachplanung für die nachfolgende Planfeststellung. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG als sonstiges Erfordernis der Raumordnung in nachfolgenden Planungsentscheidungen nur zu berücksichtigen. Daher können sich nachfolgende Entscheidungsträger im Rahmen der Abwägung in der Planfeststellung über das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens hinwegsetzen, auf Ebene der Raumordnung nicht entdeckte Hindernisse für einen bestimmten Korridorverlauf können im nachgelagerten Planfeststellungsverfahren „geheilt“ werden. Die Entscheidung nach § 12 NABEG ist hingegen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG für die Planfeststellungsverfahren nach den §§ 18 ff. NABEG verbindlich. Stellt sich in der Planfeststellung aufgrund vertiefter Untersuchungen heraus, dass ein zuvor ausgewählter Trassenkorridor nun doch nicht möglich

14 Std. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 15.11.2013 – 9 B 37/13, juris Rn. 4. 15 Adressat der planerischen Gestaltungsfreiheit sind originär die Vorhabenträger. Drygalla-Hein, in: De Witt/Scheuten, NABEG, 2013, § 24 Rn. 68. 16 Gesetzesentwurf zur Änderung des Raumordnungsgesetzes (ROG) vom 28.08.2015. 17 Ruge/Kohls, ZUR 2016, 23, 25 sprechen von der angemessenen Prüftiefe als „Dauerproblem der Bundesfachplanung“.

Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG ist, so muss das Verfahren über die Bundesfachplanung wieder eröffnet und mit einer erneuten Bundesfachplanungs-Entscheidung nach § 12 NABEG abgeschlossen werden. 5. Alternativenprüfung: SUP statt UVP Ein grundlegender Unterschied zwischen Raumordnung und Bundesfachplanung ist der unterschiedliche Prüfungsmaßstab bei der Alternativenprüfung. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 UVPG bestimmen sich Inhalt und Umfang der Unterlagen zur UVP nach den Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens maßgebend sind. Nach § 15 Abs. 1 Satz 3 ROG sind die vom Träger der Planung eingeführten Standort- oder Trassenalternativen Gegenstand der Prüfung. Bringt der Vorhabenträger keine Alternativen in das Raumordnungsverfahren hinein, so muss er im Rahmen der UVPG ebenfalls keine Alternativen prüfen. Anders ist dies bei der SUP: Nach § 14g Abs. 1 Satz 2 UVPG werden die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen der Durchführung des Plans sowie vernünftiger Alternativen ermittelt, beschrieben und bewertet. Mit der Vorgabe zur Prüfung vernünftiger Alternativen enthält das SUP-Recht somit eine eigenständige, vom zu Grunde liegenden Fachverfahren unabhängige Vorgabe zur Alternativenprüfung. Diese umweltrechtliche Vorgabe muss bei der Interpretation der im NABEG benannten „infrage kommenden Alternativen“ und „ernsthaft in Betracht kommenden Alternativen“ berücksichtigt werden. Scheidet der Vorhabenträger „vernünftige Alternativen“ ohne hinreichenden Grund frühzeitig aus, so kann dies im Ergebnis zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses und damit zur Aufhebung der Baugenehmigung führen. In Bezug auf die großräumigen HGÜ-Erdkabelvorhaben hat der Gesetzgeber dieses Problem erkannt und versucht, die Alternativenprüfung durch Einführung des Optimierungsgebots der Geradlinigkeit räumlich einzuschränken.18 6. Größere Formalisierung der Festlegung des Untersuchungsrahmens Gegenüber dem zur UVP nach § 5 UVPG bekannten Scoping ist die Festlegung des Untersuchungsrahmens breiter angelegt und stärker formalisiert. So ist die Festlegung des Untersuchungsrahmens nicht auf Umweltauswirkungen beschränkt, sondern erfasst zudem Belange der Raumordnung und sonstige öffentliche und private Belange. Außerdem ist das Verfahren nicht als Beratungsgespräch ausgestaltet, sondern über eine förmliche Antragskonferenz mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Zudem ist die nicht richtige Vorlage einer Unterlage nach § 33 Abs. 1 NABEG bußgeldbewehrt. Nicht richtig ist eine Unterlage dann, wenn sie nicht auf Grundlage der Ergebnisse der Antragskonferenz erstellt wurde. 7. Kein Verzicht auf Bundesfachplanung möglich Nach § 15 Absatz 1 Satz 4 ROG kann von der Durchführung eines Raumordnungsverfahrens bei Planungen und Maßnahmen abgesehen werden, für die sichergestellt ist, dass ihre Raumverträglichkeit anderweitig geprüft wird, sog. Verzicht. Eine entsprechende Regelung zum Verzicht auf die Bundesfachplanung fehlt im NABEG und wäre mit Blick auf die Verbindlichkeit der Bundesfachplanung für die Planfeststellung wohl auch systemwidrig. Stattdessen gibt es das sog. vereinfachte Verfahren nach § 11 NABEG.

18 Ruge, We Love Cable: Erdkabel im Höchstspannungsbereich als Allheilmittel für mehr Akzeptanz für den Netzausbau, RdE 2016, 105 (109).


Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG 8. Vereinfachtes Verfahren in der Praxis kaum anwendbar wegen hoher gesetzlicher Anforderungen Das vereinfachte Verfahren ist gemäß § 11 Abs. 1 Nrn. 1–4 NABEG in vier ausdrücklich im Gesetz festgelegten Fallgestaltungen möglich. Es setzt jedoch zusätzlich voraus, dass nach § 14d Satz 1 UVPG eine SUP nicht erforderlich ist. Im vereinfachten Verfahren kann die Behörde nach § 7 Abs. 7 NABEG auf die Durchführung einer Antragskonferenz verzichten sowie nach § 9 Abs. 7 NABEG auf eine Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung. In diesem Fall entfällt die Möglichkeit, nach § 9 Abs. 6 NABEG Einwendungen zu erheben und als Konsequenz entfällt auch der nach § 10 NABEG ansonsten vorgesehene Erörterungstermin. Die Vorschrift des § 11 NABEG i.V. m. § 14d UVPG ist unklar, da die Anwendungsfälle des in Bezug genommenen § 14d UVPG auf die Situation des vereinfachten Verfahrens nicht passen und die Erfüllung der darin genannten Voraussetzungen bei größeren Vorhaben schwer zu erreichen ist. Hierdurch ergeben sich Rechtsunsicherheiten. Aufgrund hoher gesetzlichen Anforderungen (Nichtvorliegen einer SUP-Pflicht) sind die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens zudem in der Praxis eher selten erfüllbar. Zudem ist der Verzicht auf eine SUP in der Regel schwieriger als der Verzicht auf eine UVP. Grund hierfür ist, dass die UVP bereits projektbezogen konkrete Auswirkungen im Blick hat, während dies normalerweise bei der SUP aufgrund des höheren Abstraktionsgrads nicht der Fall ist. Die BNetzA hat dem Vernehmen nach in einer internen Verfahrensanweisung festgelegt, dass die Entscheidung, ob ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt wird, erst nach der Antragskonferenz getroffen wird. Damit entfällt eine wesentliche Erleichterung des Gesetzgebers, was die Anwendung des Verfahrens weniger attraktiv macht. Es ist auch kaum zu erwarten, dass die BNetzA die Äußerungsmöglichkeiten Privater in der Antragskonferenz ausschließt.19 9. Deutlich größeres Gewicht der Öffentlichkeitsbeteiligung Die Öffentlichkeitsbeteiligung bekommt in den gesamten Verfahren von der Netzentwicklungsplanung bis zur Planfeststellung nach NABEG ein wesentlich größeres Gewicht als bisher. Hintergrund ist der Ansatz des Gesetzgebers, dass durch größere Transparenz mehr Akzeptanz für die Vorhaben erzielt werden kann und dies letztlich zu einer Beschleunigung des Gesamtprozesses führen würde. Konkret bedeutet dies, dass in der Bundesfachplanung und der Planfeststellung bereits in der Antragskonferenz die Öffentlichkeit zugelassen ist. Zudem gilt die noch relativ neue Vorschrift für die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG20.

IV. Verwaltungspraxis der BNetzA mit hohen Anforderungen an Prüftiefe und Transparenz sowie neuen Standards Die BNetzA hat mit der Zuständigkeit für die Planungs- und Genehmigungsvorhaben eine für sie neue Aufgabe übernommen. Dieser Aufgabe widmet sie sich mit Engagement und Energie. Sie geht dabei, sicherlich auch getrieben durch verschiedenste gesetzliche Besonderheiten der Bundesfachplanung (insbesondere

19 Vgl. instruktiv zum vereinfachten Verfahren Appel, ER 2013, 3 ff. 20 Dazu Ziekow, NVwZ 2013, 754 ff.; Schink, DVBl. 2011, 1377 ff.

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der Verbindlichkeit der Bundesfachplanung für die Planfeststellung), sehr sorgfältig und stark auf Rechtssicherheit setzend vor. Hinzu kommt das Selbstverständnis der Behörde zur Durchsetzung größtmöglicher Transparenz. All das führt in der Praxis dazu, dass neue Standards in den Verfahren gesetzt werden. So lässt eine Zwischenbilanz zu verschiedenen Verfahren der Bundesfachplanung erkennen, dass die Behörde Anforderungen stellt, die in dieser Form bislang noch nicht Praxis in energierechtlichen Genehmigungsverfahren gewesen sind. Hervorgehoben seien insofern die Forderungen der Behörde, ein sog. Zielsystem zu entwickeln (dazu unter Punkt 1.), im Bereich des Natur- und Umweltrechts die Wirksamkeit der Vogelschutzmarker artspezifisch und nicht pauschal herzuleiten (dazu unter Punkt 2.) und die Forderung, die Alternativenprüfung in der Abweichung nach § 34 Abs. 3 BNatschG nicht auf die Prüfung prioritärer/nicht prioritärer Arten zu beschränken, sondern sich sehr genau mit den verschiedenen Wirkintensitäten der betrachteten Alternativen auseinander zu setzen (dazu unter Punkt 3.). Weiterhin sei beispielhaft verwiesen auf die Forderung nach barrierefreier Gestaltung der Antragsunterlagen (dazu Punkt 4.) sowie auf die Forderung nach Abschnittsbildung bei größeren Vorhaben (dazu Punkt 5.). 1. Die Forderung nach einem „Zielsystem“ Bislang unbekannt in der Planung von Energieleitungsvorhaben ist die Forderung der BNetzA nach der Aufnahme eines ausdifferenzierten Zielsystems in den Antrag auf Bundesfachplanung. Was die Behörde unter einem Zielsystem versteht, hat sie erstmalig in ihrem Positionspapier HGÜ-Erdkabelvorhaben21 öffentlich dargestellt: „Grundlage für die Ermittlung, Analyse und den Vergleich von Trassenkorridoren muss ein transparentes und konsistentes Zielsystem (Festlegung, Einordnung und Anwendung von Planungszielen) sein. Der Vorhabenträger hat zu Beginn der Planung Ziele zu formulieren, die die Analyse- und Entscheidungsschritte des gesamten Planungsprozesses im Rahmen der Bundesfachplanung prägen. Auf diese Weise wird dargelegt, welche Ziele mit welchem Gewicht in die jeweiligen Planungsentscheidungen eingeflossen sind.“22 Ein solches Maß an Transparenz hinsichtlich der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben und ihrem Niederschlag in der konkreten Planungsunterlage einschließlich Gewichtung gab es bisher in den Planungsverfahren noch nicht. Das erste Vorhaben, in dem ein solches Zielsystem in der Praxis umgesetzt wird, dürfte das Wechselstrom-Vorhaben Nr. 14 des BBPlG des Vorhabenträgers 50Hertz Transmission GmbH sein. Hier werden als Ergebnis enger und konstruktiver Abstimmung zwischen Vorhabensträger und BNetzA in transparenter und nachvollziehbarer Weise aus den maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben die Planungsleit- und -grundsätze und daraus abgeleitete Planungskriterien dargestellt. Gleichzeitig wird deutlich, welche Planungskriterien auf welcher Stufe der Planung mit welchem Gewicht in die Trassenkorridorfindung einfließen.23

21 BNetzA, Bundesfachplanung für Gleichstrom-Vorhaben mit gesetzlichem Erdkabelvorrang, Positionspapier der Bundesnetzagentur für Anträge nach § 6 NABEG, Stand April 2016. 22 BNetzA, Bundesfachplanung für Gleichstrom-Vorhaben mit gesetzlichem Erdkabelvorrang, Positionspapier der Bundesnetzagentur für Anträge nach § 6 NABEG, Stand April 2016, Ziffer 3.2.1, S. 11. 23 Die Einreichung des Antrags nach § 6 NABEG in diesem Vorhaben ist für die zweite Jahreshälfte 2016 geplant.


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2. Die Forderung nach artspezifischer Begründung der Wirksamkeit von Vogelschutzmarkern Nach Einreichung der Unterlagen nach § 8 NABEG in dem Vorhaben Nr. 11 BBPlG hat die BNetzA im Rahmen der Vollständigkeitsprüfung der Unterlagen die Forderung gestellt, im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatschG die Wirksamkeit der Vogelschutzmarker artspezifisch nachzuweisen.24 Diese Forderung geht über die bisher vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen und die entsprechende Planungspraxis in den Vorhaben hinaus, die sich bislang mit pauschalen Verweisen auf existierende Studien zufrieden gegeben haben, ohne die Wirksamkeit der Marker für einzelne Vogelarten herzuleiten.25 Diese Forderung stellt den Vorhabenträger vor einige Herausforderungen, da bislang – soweit ersichtlich – noch niemand den Nachweis der Wirksamkeit von Vogelmarkern artspezifisch erbracht hat. Gemeinsam mit dem beauftragten Gutachterbüro hat 50Hertz Transmission GmbH in dem Verfahren ein erstes dreischrittiges Konzept für den artspezifischen Nachweis erstellt. Zunächst werden umfassend die vorliegenden Studien auf artspezifische Aussagen geprüft, im nächsten Schritt auf artgruppenspezifische Aussagen. Im dritten Schritt werden über eine Recherche der spezifischen, relevanten Eigenschaften der betroffenen Vögel mit Blick auf die Marker weitere Aussagen zur artspezifischen Wirksamkeit gemacht. Verbleibende Unsicherheiten werden über einen worst-case-Ansatz gelöst und die betroffene Art in die geringste Wirksamkeitsklasse eingestuft. Damit werden die Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts an die Ermittlungstiefe umgesetzt: „Der Gegenbeweis der Unschädlichkeit eines Vorhabens misslingt zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum anderen auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Erforderlich ist die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen. Zulässig ist es, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist auch der Analogieschluss, mit dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards bestehende Wissenslücken überbrückt werden.“26 Es ist absehbar, dass aufgrund zu erwartender FuE-Vorhaben dieser erste Ansatz zur Herleitung der artspezifischen Wirksamkeit von Vogelschutzmarkern verfeinert und modifiziert werden wird. Angesichts der Uckermarkentscheidung und der Forderung nach artspezifischem Nachweis zum Anprallrisiko erscheint die artspezifische Betrachtung auch der Vogelschutzmarker allerdings nur konsequent.

24 BNetzA, Notation v. 20.11.2015, Rn. 45. 25 BVerwG, Urt. v. 18.07.2013 – 7 A 4.12, Rn. 48 – Thüringer Strombrücke; BVerwG Urt. v. 21.01.2016 – 4 A 5.14, Rn. 109 f. – Uckermarkleitung. 26 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05 , Rn. 64 und 66 – Westumfahrung Halle; BVerwG, Urt. v. 21.01.2016 – 4 A 5.14, Rn. 102 – Uckermarkleitung.

Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG 3. Die Forderung nach ausdifferenzierter Alternativenprüfung im Rahmen der Abweichungsprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatschG Nach Einreichung der Unterlagen nach § 8 NABEG in dem Vorhaben Nr. 11 BBPlG hat die BNetzA im Rahmen der Vollständigkeitsprüfung der Unterlagen die Forderung gestellt, bei der Alternativenprüfung im Rahmen der Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatschG auch die Anzahl der im Bereich der Alternativen (potenziell) vorkommenden planungsrelevanten Arten, den Umfang der (potenziellen) Betroffenheit von Arten und ggf. Individuen mit hoher artenschutzrechtlicher Bedeutung (Erhaltungszustand, Gefährdungsgrad, Häufigkeit), das Vorkommen bedeutender Rastflächen oder sonstige Konzentrationen kollisionsgefährdeter Vogelarten sowie die Möglichkeit und Wirksamkeit von kompensatorischen Maßnahmen (FCS-Maßnahmen) zur Sicherung des Erhaltungszustandes als Prüfkriterien zu berücksichtigen.27 Diese Forderung geht über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Alternativenprüfung nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatschG hinaus. Danach brauchen Planungsalternativen nicht erschöpfend, sondern nur so weitgehend ausgearbeitet und untersucht zu werden, dass sich einschätzen lässt, ob sie für – prioritäre oder nicht prioritäre – FFH-Schutzgüter ein erhebliches Beeinträchtigungspotenzial bergen. Vergleichbar der durch das planungsrechtliche Abwägungsgebot geforderten allgemeinen Alternativenprüfung wird zur Beurteilung dieser Fragestellung häufig eine bloße Grobanalyse ausreichen. Selbst in Fällen, in denen sich eine genauere Untersuchung als notwendig erweist, lässt sich das Vorhandensein eines erheblichen Gefährdungspotenzials doch jedenfalls einschätzen, ohne die betreffenden Alternativen einschließlich möglicher Schadensminderungs- und Ausgleichsmaßnahmen bis zur Planreife auszuarbeiten und ihrerseits einer vollständigen Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Ein derartiger Untersuchungsaufwand ginge im Übrigen nicht nur über das Maß des Erforderlichen hinaus, sondern wäre auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und Verwaltungspraktikabilität nicht zu rechtfertigen.28 Der Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts wird teilweise als zu eng kritisiert: „Bei der naturschutzfachlichen Betrachtung von Alternativen sollte daher nicht allein auf die beiden in der Rechtsprechung herangezogenen Kategorien (prioritär – nicht prioritär) abgestellt werden. Vielmehr sollte die Beeinträchtigungsdimension als zentraler Teil der Beeinträchtigungsschwere betrachtet und in den Vergleich einbezogen werden.“29 In Umsetzung der Anforderungen der BNetzA hat die 50Hertz Transmission GmbH in dem Vorhaben Nr. 11 BBPlG in den Unterlagen nach § 8 NABEG – soweit ersichtlich – als erstes Vorhaben im Energieleitungsausbau eine deutlich ausdifferenziertere FFH-Alternativenprüfung – als von der Rechtsprechung im Jahr 2008 gefordert – entwickelt. Dabei stützt sie sich auf das von Simon et al. entwickelte Konzept zur Einstufung der Konfliktschwere für jede Art. 4. Forderung nach barrierefreier Gestaltung der Unterlagen In zwei NABEG-Verfahren fordert die BNetzA den Vorhabenträger auf, die Antragsunterlagen soweit als möglich barrierefrei zu er-

27 BNetzA, Notation v. 20.11.2015, Rn. 94 – 98. 28 BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3/06; BVerwGE 130, 299–383, Rn. 171 – Hessisch Lichtenau. Zustimmend Spieth/Appel, Genehmigungsprojekte unter dem Damoklesschwert der FFH-Abweichungsprüfung, NuR 2009, 669 ff. 29 Simon et al., Bewertung von Alternativen im Rahmen der Ausnahmeprüfung nach europäischem Gebiets- und Artenschutzrecht, BfN-Skripten 420, 2015, S. 12.


Ruge, Bundesfachplanung nach NABEG stellen und stellt dafür konkrete Anforderungen auf.30 Zur Begründung verweist sie auf § 11 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und vertritt die Auffassung, dass aus rechtlicher und fachlicher Sicht die Barrierefreiheit nur durch den Urheber eines Dokuments sichergestellt werden kann. Mit Blick auf die geltenden rechtlichen Grundlagen ist fraglich, ob der Vorhabenträger als privates Unternehmen tatsächlich verpflichtet ist, Antragsunterlagen barrierefrei zu erstellen. Die BNetzA muss nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 und 11 BBG als Träger öffentlicher Gewalt die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen, wie sie sich aus dem Behindertengleichstellungsgesetz und der auf dessen Grundlage erlassenen Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung („BITV 2.0“) ergeben. Sie muss ihre Internetseite, auf der die Antragsunterlagen für die Bundesfachplanung zu veröffentlichen sind (§ 9 Abs. 4 NABEG), entsprechend gestalten. Dies schließt allerdings nicht zwingend die Pflicht ein, auch die Antragsunterlagen selbst barrierefrei bereitzustellen, weil es sich hierbei für die BNetzA um Fremdinhalte handelt, auf die sich die Pflicht zur barrierefreien Gestaltung der Internetseite nicht bezieht.31 Die ÜNB sind ihrerseits jedenfalls nicht unmittelbar Adressat der Verpflichtungen aus BGG und BITV 2.0. Maßgeblich ist im Ergebnis, ob die auf den Internetseiten der BNetzA veröffentlichten Inhalte die nötige Anstoßfunktion erfüllen können. Insofern erscheint es in der Praxis ratsam zu sein, in enger Abstimmung mit der Behörde in den Vorhaben unter Beachtung des dafür erforderlichen zeitlichen Aufwands eine möglichst weitgehende Umsetzung der Anforderungen anzustreben. Eine umfassende Bindung der Vorhabenträger an die Vorgaben zur Erstellung barrierefreier Unterlagen muss damit freilich nicht einhergehen. 5. Die Forderung nach Abschnittsbildung Einen weiteren Anwendungsfall für neue Anforderungen in der Verfahrenspraxis zum NABEG stellt die Anforderung der BNetzA in größeren Verfahren dar, bereits die Anträge nach § 6 NABEG in Abschnitten zu stellen. Die Abschnittsbildung war in Zeiten vor dem NABEG ein von der Praxis entwickeltes und der Rechtsprechung anerkanntes Mittel der Vorhabenträger, große Verfahren zur besseren Handhabbarkeit in Abschnitte aufzuteilen. Nach der Rechtsprechung unterlagen sie dabei gewissen Anforderungen, etwa dem Nachweis, dass den Vorhaben keine unüberwindbaren Hindernisse in nachfolgenden Abschnitten entgegenstehen, dass der Rechtsschutz Dritter durch die Gestaltung der Abschnitte nicht ausgeschlossen wird und im Straßenbau zudem der Nachweis einer eigenständigen Verkehrsfunktion.32 Das NABEG hat nun erstmalig ausdrücklich die Abschnittsbildung durch den Vorhabenträger, aber auch durch die Behörde geregelt. Dabei gilt für den Vorhabenträger nach §§ 5 Abs. 3, 6 Satz 4 NABEG, dass er Abschnitte beantragen kann, dies aber nicht muss. Deutlich wird im Positionspapier Erdkabel, dass die BNetzA hier eine graduell abweichende Auffassung vertritt: „Die Bundesnetzagentur erwartet von den Vorhabenträgern die Bildung von Abschnitten bei HGÜ-Vorhaben mit gesetzlichem Erdkabelvorrang, um Beschleunigung und Transparenz der Verfahren umsetzen zu können. Die Bundesnetzagentur erwartet zudem, dass der Vorhabenträger eine Entscheidung gegen eine Abschnittsbildung im Antrag nach § 6 NABEG dezidiert begründet. Insbesondere ist darzulegen, dass

30 BNetzA, Schreiben v. 09.05.2014, Anforderungen von barrierefreien pdf-Dateien für den Internetauftritt der BNetzA. 31 Begründung zur BITV 2.0 vom 12.09.2011, S. 7. 32 Vgl. insgesamt Appel, in: Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 3, 3. Aufl. 2014, § 5 Rn. 160 ff.

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die Vorhabenträger über die erforderlichen Ressourcen (Personal, Gutachter etc.) verfügen, um eine Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der jeweiligen Verfahrensschritte der Bundesfachplanung für das gesamte Vorhaben ohne zeitliche Verzögerung gewährleisten zu können. Denn nur dann ist sichergestellt, dass die fehlende Abschnittsbildung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens führt.33 Es ist offensichtlich, dass damit die Herangehensweise der Rechtsprechung umgekehrt wird: Nach der bisher geltenden Rechtslage hat ein Vorhabenträger zu begründen, warum er Abschnitte bilden möchte. Nach den Anforderungen der BNetzA zu HGÜ-Erdkabelvorhaben haben die Vorhabenträger zu begründen, warum sie keine Abschnitte bilden wollen. Bei der Entscheidung über eine Beantragung der Abschnittsbildung müssen die zeitlichen Auswirkungen sorgfältig geprüft werden. Erfolgt eine serielle Bearbeitung von abschnittsweise gestellten Anträgen nach § 6 NABEG durch die Behörde, kann dies aufgrund begrenzter Ressourcen zu erheblichem zeitlichen Verzug führen. Dies ließe sich dadurch vermeiden, dass Prüfungen der abschnittsweise eingereichten Unterlagen parallelisiert werden, was mit erheblichem Aufwand bei der Behörde verbunden sein mag, jedoch über die Möglichkeit des Einsatzes von Projektmanagern nach § 29 NABEG durchaus abgefedert werden könnte. Im Ergebnis sollten Vorhabenträger und Behörde gemeinsam bewerten, welche Vor- und Nachteile eine Abschnittsbildung im konkreten Einzelfall bietet und nach Möglichkeit zu einer einvernehmlichen Vorgehensweise finden. Eine Pflicht zur Begründung, warum Abschnitte nicht gebildet werden, gibt es für die Antragsunterlage nach § 6 NABEG jedenfalls nach dem Gesetz nicht.

V. Fazit Höhere gesetzliche Anforderungen sowohl an die Bundesfachplanung als auch an die Raumordnung machen die Verfahren komplizierter, Änderungen bei den energiepolitischen Randbedingungen g ge n wirken wiirk rken ken sich sic ich nachteilig ich nach cht hte teil teil iliig ig auf auff das das Beschleunigungsziel Besch chl hle leun leun uniig igun ungs g ziiell der gs der NABEG-Vorhaben NABE NA BEG BE G-Vo GVorh hab aben ben aus. aus us.. Gleichzeitig Gleiich chze hze zeit itig it ig g ist istt in in der der Verwaltungspraxis de Verwal Verw Ve alt ltu tung gsp praxi xis is das behördliche das da behörd behö be rdli dlich che he Bestreben Best Best Be stre reb re ben deutlich, ben be deut deut de utli lich ch, h, zur zur Erreichung Erre Erre Er reiic ichu ich hung hung g verbesserter ver erb bess bess be sser erte er terr te Nachvollziehbarkeit N Na ach chvo hvo voll llziieh ehb hba bark kei eit it und und größerer größ größ gr ößer erer er er Rechtssicherheit Rec echt htss ht ssiic ss iche ich herh hei eit it teilweise teil teil te ilwe weiis we ise neue ise neue und höhere Standards zu setzen als bislang nach der Rechtsprechung erforderlich und in der Praxis üblich. Damit entsteht zufür Leseprobe, vollständiger Vorhabenträger bei Erstellung der An Ansätzlicher Aufwand für die(gekürzt Abdruck in Heft ER 04/16) tragsunterlagen. Deutlich scheint zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Bundesfachplanung bislang keine sichtbaren Beschleunigungseffekte zeigt. Insofern kann die vorliegende Bestandsaufnahme aber nur eine Zwischenbilanz der ersten Erfahrungen mit den neuen Verfahren sein. Gerade mit man Blick dem auf die neu geregelte »... mangelnde Aktivität kann energieVerbindlichkeit der Entscheidung über die Bundesfachplanung auch im Jahr 2016 wahrlich nachrechtlichen § 12 NABEGGesetzgeber für die nachfolgende Planfeststellung besteht die Hoffnung, dass sich (…) dortBesondere Beschleunigungseffekte ergeben und nicht vorwerfen. Aufmerksamkeit sich der zur Umsetzung derder hohen gesetzlichen wirdgrößere dabei Aufwand in den nächsten Monaten Reform und behördlichen Anforderungen an Transparenz, Nachvollziehdesund EEGFortentwicklung zukommen ...«von Umweltstandards durch größere barkeit Prof.der Dr. Tilman Cosack (Herausgeber / Schriftleitung ), IREK – Institut Akzeptanz Vorhaben vor Ort auszahlt. für das Recht der Erneuerbaren Energien, Energieeffizienzrecht und Klimaschutzrecht; Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld, im Editorial der Ausgabe ER 02/16.

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Die ER EnergieRecht wird allen, die professionell mit energierechtlichen Fragestellungen betraut BNetzA, Bundesfachplanung für Gleichstrom-Vorhaben mit gesetzlichem sind, zu diesem und weiterem neuesten GescheErdkabelvorrang, Positionspapier der Bundesnetzagentur für Anträge nach § hen 6 NABEG, Stand Aprilberichten. 2016, Ziffer 5. praxisnah


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E Europäisches Gericht entscheidet

über Beihilfebeschluss der Kommission zum EEG 2012

Am 10.05.2016 entschied das Europäische Gericht (EuG) in erster Instanz über den Beihilfebeschluss der Europäischen Kommission zum EEG 2012.1 Das Gericht wies mit seinem Urteil die von der Bundesregierung eingelegte Klage ab und bestätigte den Beschluss der Kommission. Mit Beschluss vom 25.11.2014 hatte die Europäische Kommission festgestellt, dass der Umlagemechanismus und die Besondere Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen (SIU) des EEG 2012 eine Beihilfe darstellten, die gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstoße.2 Die Begrenzung der EEG-Umlage verschaffe den stromintensiven Unternehmen einen Vorteil im Sinne der Unionsvorschriften über staatliche Beihilfen. Sie befreie diese Unternehmen nämlich von einer Belastung, die sie normalerweise tragen müssten. Bereits nach dem Beschluss der Kommission war das BAFA verpflichtet, auf Grundlage des EEG 2012 gewährte Begrenzungsbescheide gegenüber SIU teilweise wieder zurückzunehmen. Weitere Teilrückforderungen durch das BAFA auf der Grundlage des Urteils bestehen nicht. Gegen den Beschluss der Kommission hatten die Bundesregierung und betroffene Unternehmen3 geklagt. In dem von der Bundesregierung geführten Verfahren entschied das EuG nun in erster Instanz, dass es sich beim EEG-Umlagemechanismus und bei der Besonderen Ausgleichsregelung um Beihilfen handele, weil sie aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigungen darstellten. Anders als im Urteil des EuGH im Fall PreussenElektra, das im Jahr 2001 zum deutschen Stromeinspeisegesetz erging, sah das EuG im Fall des EEG 2012 den Tatbestand der Beihilfe als erfüllt an. Das System des EEG 2012 unterscheide sich insbesondere im Hinblick auf Modalitäten der Verwaltung, der Verwendung, der Umlage und der Zuweisung der betreffenden Mittel wesentlich von dem im Fall PreussenElektra zugrundeliegenden Sachverhalt. Denn die ÜNB seien im Rahmen des EEG 2012 mit der Verwaltung des Systems zur Förderung der Erzeugung von EEGStrom beauftragt und unterlägen dabei der strengen Kontrolle der BNetzA. Das EuG vertrat die Ansicht, dass die im Zuge der EEGUmlage erwirtschafteten Gelder von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) gemeinsam verwaltet würden und unter dem beherrschenden Einfluss der öffentlichen Hand blieben.4 Zudem seien

1 EuG, Urt. v. 10.05.2016 – Rs. T-47/15. 2 Kommission, Beschl. (EU) 2015/1585 der Kommission vom 25.11.2014 über die Beihilferegelung SA.33995 (2013/C) (ex 2013/NN) – Förderung erneuerbaren Stroms und stromintensiver Unternehmen – C(2014) 8786. 3 Klage eingereicht am 27.02.2015 – Bundesverband Glasindustrie u. a./ Kommission, Rs. T-108/15, bei Erstellung des Beitrags war über das Verfahren der betroffenen Unternehmen noch nicht entschieden. 4 EuG, Urt. v. 10.05.2016 – Rs. T-47/15, Rn. 93 ff.

ER aktuell die mit der EEG-Umlage erwirtschafteten Beträge als Gelder unter Einsatz staatlicher Mittel zu qualifizieren, welche einer Abgabe gleichgestellt werden könnten.5 Die Befugnisse und Aufgaben der ÜNB ließen nach Ansicht des EuG den Schluss zu, dass sie weder frei noch auf eigene Rechnung handelten. Vielmehr erschienen sie als Verwalter einer aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfe. Diese seien einer Einrichtung gleichgestellt, die eine staatliche Konzession in Anspruch nehme. Hinzu komme, dass die ÜNB verpflichtet seien, die finanziellen Beträge auf einem der Kontrolle durch staatliche Stellen unterliegenden Sonderkonto zu verwalten. Gegen das Urteil des EuG besteht für die Bundesregierung die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zum EuGH einzulegen.6 Die Rechtmittelfrist beträgt zwei Monate ab Zustellung des Urteils.

E OLG Schleswig zu Nachzahlungs-

ansprüchen eines Lieferanten im Falle der Verwechslung von Stromzählern

Mit Urteil vom 14.03.2016 bestätigte das OLG Schleswig die Rechtsauffassung der Vorinstanz7 und entschied, dass bei einer Lieferantenkonkurrenz zwischen zwei Strom-Vertragsversorgern im Fall der Verwechslung des Stromzählers der Ausgleich zwischen den beiden Endverbrauchern vorzunehmen sei. Die bestehenden Vertragsverhältnisse zwischen dem jeweiligen Endverbraucher und seinem vertraglichen Lieferanten bleiben unangetastet. Folglich kann der Lieferant keine Nachzahlung von seinem vertraglichen Lieferkunden verlangen. In dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall schloss der beklagte Frisörsalon mit dem klagenden Lieferanten einen Vertrag über die „Stromlieferung für Geschäftskunden“. Als Ort und Umfang der Leistung wurde unter anderem die Zählernummer 2219261 vereinbart. Bei Umbauarbeiten wurden die Zählernummern des beklagten Frisörsalons und einer von der Gemeinde betriebenen öffentlichen Toilette vertauscht. Die Gemeinde G. hatte ihrerseits einen Stromlieferungsvertrag mit dem Grundversorger an einen Zähler mit der Nummer 2215060 geschlossen. Über diesen Zähler lief nach der Vertauschung anschließend der Strom für den beklagten Frisörsalon. Dieser Stromverbrauch wurde auch von der Gemeinde G. an ihren vertraglichen Versorger gezahlt in der Annahme, dass damit der Strom für den Betrieb der öffentlichen Toilette abgegolten werde. Zur Begründung verwies das OLG Schleswig darauf, dass die Beklagte auf Grund des Stromlieferungsvertrages nur die Bezahlung der Stromlieferung schulde, die über den Zähler mit der Endziffer 61 lief. Der Stromzähler diene nicht nur der Erfassung und Abrechnung des gelieferten Stroms, sondern konkretisiere auch die Abnahmestelle und damit Lieferort und Lieferumfang. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 StromGVV gehöre zu den notwendigen

5 Das EuG verweist hier auf das Urt. des EuGH v. 17.07.2008, Essent Netwerk Noord u. a. – Rs. C-206/06, Rn. 66, und das Urt. des EuG v. 11.12.2014, Österreich/Kommission, Rs. T-251/11 – Rn. 68. 6 Zur Zeit der Erstellung des Beitrags prüfte die Bundesregierung noch, ob sie gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen wird. 7 OLG Schleswig, Urt. v. 14.03.2016 – 14 U 52/15 und LG Kiel, Urt. v. 18.11.2015 – 13 O 93/15.


ER aktuell Angaben eines Strom-Grundversorgungsvertrages neben der Angabe der Anlagenadresse auch die Bezeichnung des Zählers oder des Aufstellungsorts für den Zähler. Darüber hinaus sei bezüglich des Zählers mit der Endziffer 60 kein Stromlieferungsvertrag zustande gekommen. Zwar sei in dem Leistungsangebot der Klägerin eine sog. Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu sehen, das gelte aber dann nicht, wenn zwischen dem Versorgungsunternehmen und einem Dritten schon eine Energieliefervereinbarung bestehe. Um unterschiedliche Versorgungsverträge für dieselbe Abnahmestelle zu vermeiden, sei grundsätzlich von dem Vorrang des durch ausdrückliche Vereinbarung begründeten Vertragsverhältnisses gegenüber einem Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten auszugehen.8 Um etwas anderes annehmen zu können, hätte der klagende Lieferant darlegen und beweisen müssen, dass er die zugrunde liegenden Strommengen tatsächlich auf dem Strommarkt erworben und auch an den beklagten Frisörsalon geliefert habe. Schließlich habe der Lieferant auch keinen Zahlungsanspruch aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag.9 Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 38 EnWG bleibe kein Raum für die Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Wenn nämlich die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung gelangten, liefe der Kunde Gefahr, von ihm nur einmal bezogenen und gegenüber seinem Vertragspartner bereits bezahlten Strom nachträglich nochmals an den Grundversorger (oder aber einen weiteren Vertragsversorger) zahlen zu müssen. Damit bestehe die Gefahr, dass Verbraucher für Stromlieferungen zunächst doppelt zahlen müssten. Die Regelungen des EnWG 2005 seien jedoch in ihrer ausdrücklich verbraucherschützenden Zielrichtung dahingehend auszulegen, dass der Verbraucher von unnötigen finanziellen Belastungen und Prozessrisiken möglichst freigehalten werde.10 Deshalb sei es auch sachgerecht, im Fall der Verwechslung eines Stromzählers die Rückabwicklung und den Ausgleich zwischen den beiden Endverbrauchern vorzunehmen und die bestehenden Vertragsverhältnisse unangetastet zu lassen. Das Urteil liegt dem BGH zur Prüfung vor.11

E Aktuelles aus Europa Mit Entscheidung vom 27.05.2016 stellte die Europäische Kommission fest, dass die von Deutschland geplante Gewährung öffentlicher Mittel in Höhe von 1,6 Mrd. EUR für die schrittweise Stilllegung von acht Braunkohlekraftwerken mit den EU-Beihilfevorschriften in Einklang steht.12 Ihre Entscheidung, keine Einwände zu erheben, stützt die Kommission dabei auf Art. 107 Abs. 3 Buchstabe (c) AEUV. Die Maßnahme fördere umweltpolitische Ziele der EU, da sie Deutschland helfe, sein CO2-Emissionsziel zu erreichen, ohne übermäßigen Einfluss auf den Wettbewerb im Binnenmarkt zu nehmen. Gemäß § 13g Abs. 1 des Gesetzes-

8 Vgl. auch BGH, Urt. v. 06.07.2011 – VIII ZR 217/10, NJW 2011, 3509 f., Rz. 16; BGH, Urt. v. 27.04.2005 – VIII ZR 140/04, WM 2005, 1717; BGH, Urt. v. 26.01.2005 – VIII ZR 66/04, NJW-RR 2005, 639; BGH, Urt. v. 17.03.2004 – VIII ZR 95/03, NJW-RR 2004, 928. 9 Vgl. auch BGH, Urt. v. 06.07.2011 – VIII ZR/10, NJW 2011, 3509 f., Rn. 21. 10 Vgl. auch LG Frankfurt, Urt. v. 16.07.2010 – 6a S 108/09, VersorgW 2011, 128-130, juris Rn. 41 ff. 11 BGH – VIII ZR 78/16. 12 Kommission, Beschl. (EU)2016/3124 der Kommission v. 27.05.2016 über die Beihilferegelung SA. 42536 (2015/N) – Stilllegung deutscher Braunkohlekraftwerksblöcke.

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entwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (StrommarktG)13 sollen acht Braunkohlekraftwerke, auf die 18 % der deutschen Gesamtkapazität aus Braunkohlekraftwerken entfallen, schrittweise bis Oktober 2019 stillgelegt werden. Während die Betreiber die Stilllegungskosten selbst tragen, sieht § 13g Abs. 5 i. V. m. Abs. 7 des StrommarktG vor, dass die Kraftwerksbetreiber einen Ausgleich für ihre entgangenen Gewinne erhalten. Die Kommission berücksichtigte bei der Prüfung des Ausgleichs, dass die Maßnahme Deutschland bei der Verwirklichung seines Emissionsziels deutlich voranbringt. Die Stilllegungen sollen die CO2-Emissionen um 11 –12,5 Mio. Tonnen pro Jahr verringern. Dies ist mehr als die Hälfte des zusätzlichen Beitrags, den die deutsche Energiewirtschaft noch leisten muss, um das Emissionsziel Deutschlands für das Jahr 2020 zu erreichen. Die Vergütung betroffener Betreiber sei keine ungerechtfertigte Benachteiligung der Wettbewerber, weil sie im Wesentlichen auf den Gewinnen einer hypothetischen Strommarkttätigkeit der Betreiber von vier weiteren Jahren basiere und somit die durchschnittlich erwartete Lebensdauer der Anlagen nicht ausschöpfe. Laut Kommission würden etwaige beihilfebedingte Wettbewerbsverfälschungen durch die Vorteile für die Umwelt weitgehend ausgeglichen, sodass die Maßnahme nur geringe Auswirkungen auf den Strommarkt habe.

E Zu guter Letzt Das OVG Münster hatte im März über die Klage eines Gebäudeeigentümers zu entscheiden, der von der Gemeinde die Wiederherstellung eines Netzanschlusses verlangte. Der Netzanschluss war nach Darstellung des Klägers bei Straßenbauarbeiten durch die Gemeinde zerstört worden.14 Der Kläger behauptete das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs. Das OVG Münster sah es hingegen als unerheblich an, ob tatsächlich, wie vom Kläger behauptet, ein Netzanschluss vorhanden gewesen sei. Der Folgenbeseitigungsanspruch bestehe vielmehr bereits deswegen nicht, weil die begehrte Herstellung des Netzanschlusses ausschließlich dem Netzbetreiber vorbehalten und daher für die Gemeinde rechtlich unmöglich sei. Wird bei Straßenbauarbeiten durch die Gemeinde ein Netzanschluss eines Gebäudes beschädigt, haftet die Gemeinde nach dieser Rechtsprechung dem Netzbetreiber nach Maßgabe des Konzessionsvertrags. Die Wiederherstellung des Netzanschlusses kann der betroffene Kunde vom Netzbetreiber verlangen, da die Netzanschlüsse nach § 8 Abs. 1 NAV bzw. § 8 Abs. 1 NDAV zu den Betriebsanlagen des Netzbetreibers gehören und ausschließlich vom Netzbetreiber unterhalten, erneuert, geändert, abgetrennt und beseitigt werden dürfen. Das LG Dessau entschied Ende Februar, anders als noch das OLG Naumburg für die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Nr. 1 EEG 2009,15 für die Nachfolgevorschrift im EEG 2012, dass auch dann ein Vergütungsanspruch des Anlagenbetreibers bestehe, wenn der Bebauungsplan erst nach der Inbetriebnahme der Anlage bekannt gemacht werde und damit in Kraft trete.16 Es verurteilte den be-

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Abrufbar auf der Internetseite des BMWi. OVG Münster, Beschl. v. 17.03.2016 – 11 A 1292/14. OLG Naumburg, Urt. v. 16.04.2015 – 2 U 82/14. LG Dessau, Urt. v. 24.02.2016 – 3 O 6/16.


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klagten Netzbetreiber durch einstweilige Verfügung zur Zahlung von Abschlägen. Der Netzanschluss war in diesem Fall bereits Ende Mai 2015 in Betrieb genommen worden. Mitte Juni erfolgte dann der Satzungsbeschluss und eine Woche später die Abnahme der Modulmontage, der Unterkonstruktion und der Wechselrichter. Die Bekanntmachung datierte auf den 01.08.2015. Das LG Dessau war der Ansicht, dass der Gesetzgeber mit dem EEG 2012 die Voraussetzungen bewusst geändert habe und es seitdem nicht mehr auf das Inkrafttreten, sondern auf den Satzungsbeschluss ankomme. Nach dem Urteil des BGH zum Anlagenbegriff für Photovoltaikanlagen erfolgt die Inbetriebnahme der Anlage erst dann, wenn alle Komponenten betriebsbereit sind.17 Daher wurde der Satzungsbeschluss vor Inbetriebnahme und damit noch rechtzeitig gefasst. Dass mit der Errichtung der Anlage bereits vor dem Satzungsbeschluss begonnen worden war, sah das LG Dessau als unschädlich an. Seit dem 01.09.2015 werden Freiflächen-Photovoltaikanlagen nach dem EEG nur noch gefördert, wenn sie erfolgreich an einer Ausschreibung teilgenommen haben. Bis zu diesem Zeitpunkt war es nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 EEG 2014 Voraussetzung der Förderung, dass die Anlage im Bereich eines beschlossenen Bebauungsplans errichtet worden war. Am 27.04.2016 wurde die Verordnung (EU) 2016/631 der Europäischen Kommission vom 14.04.2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger im Amtsblatt der EU veröffentlicht.18 Die Verordnung legt unmittelbar verbindlich technische Anforderungen an die elektrischen Eigenschaften von Erzeugungsanlagen fest. Die technischen Anforderungen müssen ab dem 27.04.2019 von allen neuen Erzeugungsanlagen eingehalten werden.19 Die nationalen Regulierungsbehörden müssen dafür sorgen, dass Verträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen, die den Netzanschluss neuer Stromerzeugungsanlagen betreffen, mit den Anforderungen der Verordnung in Einklang gebracht werden. Bestehende Stromerzeugungsanlagen müssen die Anforderungen der Verordnung nur einhalten, wenn sie wesentlich geändert werden und der Netzbetreiber mit Zustimmung der Regulierungsbehörde die Anwendung der technischen Vorgaben für erforderlich hält.20 Stromerzeugungsanlagen gelten auch dann als bestehende Anlagen, wenn innerhalb von zwei Jahren ein Vertrag über den Erwerb der Hauptkomponenten abgeschlossen wird und der Netzbetreiber und der Übertragungsnetzbetreiber fristgerecht förmlich über den Vertragsschluss informiert werden.21 Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE) plant die Veröffentlichung bzw. Überarbeitung von Anwendungsregelungen zur Umsetzung der Anforderungen der Netzkodex-Verordnung. Zukünftig soll es vier VDE-Regelwerke für die Netzebenen Höchstspannung, Hochspannung, Mittelspannung und Niederspannung geben. Die BDEW-Mittelspannungsrichtlinie und der Transmission Code 2007 werden im Zuge dessen durch die neuen Regelwerke abgelöst. Am 01.06.2016 fand vor dem federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie des Bundestages eine öffentliche Anhörung zu Konzessionsverträgen statt. Dabei nahmen Sachverstän-

17 BGH, Urt. v. 04.11.2015 – VIII ZR 244/14. 18 Verordnung (EU) 2016/631 v. 14.04.2016 zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger, ABl. L 112 v. 27.04.2016, S. 1. 19 Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/631 der Kommission vom 14.04.2016 (VO). 20 Art. 4 Abs. 1 VO. 21 Art. 4 Abs. 2 Ziff. b) VO.

ER aktuell dige zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung vom 21.04.2016 Stellung. Bei den Sachverständigen handelte es sich um Vertreter von Verbänden der Energiewirtschaft und der Gebietskörperschaften sowie um Rechtsanwälte, die in der kommunalen Versorgungswirtschaft tätig sind. Die Teilnehmer stimmten darin überein, dass die gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für Konzessionierungsverfahren Anlass zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten gegeben hätten. Konzessionierungsverfahren seien gegenwärtig nur schwer rechtssicher durchzuführen. Vor diesem Hintergrund sprachen sie sich übereinstimmend für eine Neuregelung des Rechtsschutzes gegen Konzessionierungsentscheidungen der Gemeinden aus. In Betracht komme eine Angleichung an das Kartellvergabeverfahren. Außerdem kritisierten die Sachverständigen die im Gesetzesentwurf enthaltene Formulierung des „objektivierten Ertragswerts“ als Kaufpreis für Netzübernahmen. Dieser Begriff sei unbestimmt und lasse zahlreiche Streitigkeiten erwarten. Außerdem käme es dann auf die Regulierungspraxis der Bundesnetzagentur an, die indirekt über den Wert des Netzes entscheiden würde. Bei anderen Fragen lagen die jeweiligen Standpunkte hingegen weit auseinander. Von kommunaler Seite wurde kritisiert, dass der Gesetzesentwurf eine Berücksichtigung der kommunalen Belange neben den Zielen von § 1 EnWG vorsehe. Die Kommunalvertreter strebten insofern zumindest eine Gleichrangigkeit der Ziele nach § 1 EnWG und der „örtlichen Belange“ an. Von Seiten der Versorgungswirtschaft wurde angemahnt, die Konzessionierungsverfahren müssten fair, transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Kontrovers wurde die Frage nach der Rechtsnatur der Vergabe von Konzessionsverträgen diskutiert. Die Kommunalvertreter stellten sich auf den Standpunkt, hier solle, auch aufgrund der Dienstleistungskonzessionsrichtlinie, eine Inhouse-Vergabe ermöglicht werden. Gleichfalls unterschiedlich wurde die Gefahr des „Rosinenpickens“ bewertet: In Flächenländern bestehe das Risiko, dass in Netzgebieten mit geringer Versorgungsdichte, die zugleich große Mengen EEGStroms aufnehmen müssen, die Netznutzungsentgelte steigen, wenn einzelne Ballungszentren herausgebrochen werden. Weitgehende Einigkeit herrschte abschließend bei der Einschätzung, dass mit der angestrebten Neuregelung einige streitige Fragen geklärt werden könnten. Allerdings berge sie in der jetzigen Fassung die Gefahr neuer Rechtsunsicherheiten, insbesondere hinsichtlich des Netzkaufpreises und der Auswahlkriterien. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen im Gesetzesentwurf der Ausschuss nunmehr vorschlagen wird. Dr. Boris Scholtka, Dr. Jule Martin, Micha Klewar, Rebecca Trampe und Tim-Oliver Neumann sind Rechtsanwälte der PwC Legal AG Rechtsanwaltsgesellschaft.

ER EnergieRecht ist das Fach- und Praxisforum für Rechtsanwender aus allen Gebieten des Energiewirtschafts- und Energieumweltrechts. Regelmäßig erfahren Entscheider aus der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis, aus Unternehmen und Behörden, was das Energierecht aktuell und in naher Zukunft bewegt.


Rechtsprechung

Rechtsprechung Nichtigkeit der Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung über die Netzentgeltbefreiung von Letztverbrauchern § 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV vom 26.07.2011, § 19 Abs. 2 Sätze 12 bis 16 StromNEV vom 14.08.2013, § 24 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 EnWG 1.

2.

3.

§ 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV i.d. F. von Art. 7 des am 04.08.2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26.07.2011 (BGBl. I S. 1554, 1594) sind nichtig (Ergänzung zu BGH, Beschl. v. 06.10.2015, EnVR 32/13). § 19 Abs. 2 Sätze 12 bis 15 StromNEV in der ab 22.08.2013 geltenden Fassung (Satz 13 bis 16 in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung) sind ebenfalls nichtig. Die Festlegung der Bundesnetzagentur vom 14.12.2011 (BK8-11-024) ist mit Wirkung für alle Netzbetreiber aufgehoben.

(Leitsätze des Gerichts) BGH, Beschl. v. 12.04.2016 – EnVR 25/13 vorgehend: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.03.2013 – VI-3 Kart 43/12 (V) Sachverhalt: [1] A. Die Betroffene, die ein Elektrizitätsübertragungsnetz betreibt, wendet sich gegen die Festlegung der Bundesnetzagentur vom 14.12.2011 (BK-8-11-024), in der Einzelheiten eines Umlageverfahrens zur Kompensation von entgangenen Erlösen aufgrund der Vereinbarung individueller Netzentgelte und der Befreiung von Netzentgelten gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV in der ab 04.08.2011 geltenden Fassung geregelt werden. [2] Die Bundesnetzagentur ist der auf Aufhebung der Festlegung und erneute Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, hilfsweise auf Feststellung des Nichtbestehens einer Pflicht zur Erstattung entgangener Erlöse an Betreiber nachgelagerter Verteilernetze gerichteten Beschwerde entgegengetreten. [3] Das Beschwerdegericht hat die Festlegung aufgehoben, aber die Anträge auf Neubescheidung und Feststellung zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Bundesnetzagentur und die Betroffene mit ihren vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden, denen die Beigeladenen zu 40, 44, 45, 105 und 116, die Verteilernetze betreiben, entgegentreten.

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sätzlich von Rechtsverordnungen befugt. sät sä ätz tzli tzli lich ch h zzur ur Änderung Änd der erun ung un g vo on Re R Rech ech chts tsve ts vero ve rord rdnu dnung ngen gen b efug gt. t. Die Die gegenannte nann na nntte nn te Regelung Reg gel elun lun ung g weise weiise we ise aber ab ber nicht nicht icht den den hierfür hie ierf rfü für ür erforderlichen erf rfor ord derl de rli liche iche hen n sachlichen Zusammenhang sa chli ch hlich chen hen Z usam us amme meenh nhan ang g mi mit it weiteren weit we iter it eren er en gesetzgeberischen ges eset etzg zg geb eber eriis isch chen hen MaßMaß aßnahmen nahm na hmen en auf. auf uf. f Ferner Ferner Fern er halte hal alte te sich sich ich die die vollständige voll vo llst stän ändi dig ge Befreiung ge Bef efre freiu iung ng von von den den Net Ne tzen entg tgel elte ten n nicht nich ni chtt in den den Grenzen Grenzen der Ermächtigungsgrundlage. Netzentgelten zudem das DiskriminierungsverDie Befreiungsregelung verletze (gekürzt für Leseprobe, vollständiger Vorgaben der ER Richtlinie bot des § 21 Abs. 1 EnWG, das die Abdruck in Heft 04/16) 2003/54/EG umsetze.

Anmerkung: I. Hintergrund Der Beschluss des BGH ist eine weitere bemerkenswerte Entscheidung zur Regelung der individuellen Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 StromNEV. Der BGH erklärt in seinem Beschluss den Wälzungsmechanismus gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV alter und neuer Fassung1 nicht nur für rechtswidrig, sondern für nichtig (Netzentgeltbefreiung II).2 Bereits im Oktober 2015 hatte der BGH in seinem viel beachteten Beschluss zum Befreiungstatbestand gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV a. F. die Auffassung des OLG Düsseldorf bestätigt und entschieden, dass eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 24 EnWG gedeckt sei (Netzentgeltbefreiung I).3 Nachdem das OLG Düsseldorf die vollständige Befreiung von den Netzentgelten im März 2013 für rechtswidrig erklärt4 und die Europäische Kommission zudem ein Beihilfeverfahren zu § 19 Abs. 2 StromNEV a. F. eingeleitet hatte,5 besserte der Verordnungsgeber nach und regelte eine gestufte Befreiung, die nicht weniger als 10 Prozent des veröffentlichten Netzentgelts betragen darf. Die auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 StromNEV mit Wirkung ab dem 01.01.2012 erlassene Festlegung (BK8-11-024) hatte die BNetzA bereits nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf mit Wirkung zum 01.01.2015 gegenüber allen Netzbetreibern widerrufen.6 Mit der nun ergangenen Entscheidung erklärt der BGH die Wälzung der Erlösausfälle, die Verteilnetzbetreibern aus individuellen Netzentgelten resultieren, seit ihrem Inkrafttreten am 04.08.2011 für unwirksam. II. Bewertung Mit dieser weitreichenden Entscheidung des BGH, insbesondere durch die Ausdehnung auf die aktuelle Rechtslage sowie die erga omnes Wirkung dürften die wenigsten gerechnet haben. Sämtliche Marktteilnehmer – vom Übertragungsnetzbetreiber, über den Verteilernetzbetreiber bis hin zum Letztverbraucher, der mit der § 19 Abs. 2-Umlage belastet ist – sind von der Entscheidung betroffen. Denn mit ihr entfällt der Ausgleich der bei den Verteilernetzbetreibern durch Begünstigung von Letztverbrauchern entstandenen Mindererlöse zwischen den Übertragungsnetzbetreibern. Auch eine „Wälzung“ dieser Mindererlöse auf Letztverbraucher in Form der § 19 Abs. 2-Umlage ist den betroffenen (Verteiler-)

Aus den Gründen: [4]

B. Die zulässigen Rechtsbeschwerden sind unbegründet.

I. [5] Das Beschwerdegericht hat seine unter anderem in juris veröffentlichte Entscheidung (3 Kart 43/12) im Wesentlichen wie folgt begründet: [6] Die angefochtene Festlegung sei schon deshalb rechtswidrig, weil die am 04.08.2011 in Kraft getretene Änderung des § 19 Abs. 2 StromNEV nichtig sei. Der Gesetzgeber sei zwar grund-

1 § 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV in der Fassung v. 04.08.2011, BGBl. I S. 1554, 1594 und § 19 Abs. 2 Sätze 12 bis 15 in der ab 22.08.2013 geltenden Fassung (seit 01.01.2014 Sätze 13 bis 16). 2 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.03.2013 – VI-3 Kart 43/12 (V). 3 BGH, Beschl. v. 06.10.2015 – EnVR 32/13. 4 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.05.2013 – VI-3 Kart 178/12 (V). 5 Europäische Kommission, Staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/ NN) – Deutschland Netzentgeltbefreiung für stromintensive Unternehmen (§ 19 StromNEV) v. 06.03.2013, C(2012) 8765 final. 6 BNetzA, Beschl. v. 14.12.2011 – BK8-11-024, widerrufen durch BNetzA, Beschl. v. 03.12.2014.


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Netzbetreibern – also solchen, an deren Netz von § 19 Abs. 2 StromNEV begünstigte Letztverbraucher angeschlossen sind – nach der Entscheidung nicht mehr zulässig. Einen Anspruch auf Vereinbarung eines individuellen Netzentgeltes haben Letztverbraucher gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 StromNEV aber weiterhin, da die gestaffelte Netzentgeltbefreiung nach Änderung der StromNEV im Jahr 2013 rechtmäßig ist. Die Argumentation des BGH überzeugt nicht vollends. Seine Begründung, die § 19-Umlage sei kein Netzentgelt und könne daher nicht auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 EnWG gestützt werden, lässt Fragen offen. Denn die § 19-Umlage kann, ebenso wie andere energierechtliche Umlagen auch, stets nur gemeinsam mit den Netzentgelten in Ansatz gebracht werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 9 KWKG a. F., auf den § 19 Abs. 2 Satz 15, 2. Hs. StromNEV verweist, können die Netzbetreiber die aus dem Umlagesystem resultierenden Zahlungen „als Bestandteil des Netznutzungsentgelts“ gegenüber dem Letztverbraucher in Ansatz bringen. Der Charakter der Umlage als „Bestandteil des Netznutzungsentgelts“ ist demnach vom Gesetzgeber vorgegeben. Eine grundsätzliche Klärung der Einordnung der energierechtlich geregelten Umlagen führt die Entscheidung nicht herbei. Hierzu musste sich der BGH auch nicht äußern, weil dies nicht Gegenstand der zu klärenden Rechtsfrage war. Daher kann eine eindeutige Charakterisierung den Ausführungen des BGH, die § 19 Abs. 2-Umlage knüpfe zwar an den Tatbestand der Netznutzung an, sei aber kein Entgelt für diese Nutzung, sondern eine zusätzliche Abgabe, nicht entnommen werden. Eine zusätzliche „Abgabe“ im herkömmlichen Rechtssinn können die Umlagen nicht sein, weil nur der Staat und nicht, wie in den Wälzungsvorschriften stets geregelt, ein Privatrechtssubjekt zur Erhebung einer Abgabe befugt ist.7 Auch die Argumentation des BGH, § 19 Abs. 2 StromNEV könne nicht auf § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EnWG gestützt werden, überzeugt nicht ganz. Denn der Regelung des Wälzungsmechanismus kann durchaus eine vergleichbare Bedeutung beigemessen werden, wie einer Regelung, durch die Kosten des Netzbetriebs, die zuordenbar durch die Integration von dezentralen Anlagen zur Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen verursacht werden, bundesweit umgelegt werden können. Denn durch die Netzentgeltermäßigung gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV soll ausweislich der Verordnungsbegründung eine Stromabnahmecharakteristik, die von der Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus derselben Netz- oder Umspannebene abweicht, gefördert werden, weil diese abweichende Abnahmecharakteristik die Netzstabilität für alle anderen Netznutzer erhöht.8 Derartige Instrumente zur Sicherung der Netzstabilität sind erst seit der Entscheidung für die Energiewende aufgrund der zunehmenden und naturgemäß unregelmäßigen Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen erforderlich. III. Folgen der Entscheidung Der Beschluss ist nicht zuletzt deswegen bemerkenswert, weil der BGH den in § 19 Abs. 2 StromNEV geregelten Wälzungsmechanismus für nichtig und damit von Anfang an rechtswidrig erklärt. Bemerkenswert – gleichwohl nur konsequent – ist die Entscheidung zudem, weil sowohl § 19 Abs. 2 StromNEV alter als auch neuer Fassung von der Nichtigkeit umfasst sind. Das bedeutet, dass nach der Entscheidung alle davon betroffenen Marktteilneh7 Vgl. zur Zulässigkeit einer Abgabe oder Sonderabgabe BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633/86, NJW 1995, 381 (Kohlepfennig). 8 BR-Drs. 245/05 v. 14.04.2005, S. 40.

Rechtsprechung mer sich sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft Ansprüchen auf Rückzahlung ausgesetzt sehen könnten. Zukünftig auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 StromNEV zu leistende Zahlungen sollten folglich bis zur abschließenden Klärung der Rechtslage vorsorglich unter den Vorbehalt der Rückforderung gestellt werden, um die Einwendung der Kenntnis der Nichtschuld gemäß § 814 BGB auszuschließen. Eine grundsätzliche Aussage im Hinblick auf die Einordnung der energierechtlich geregelten Umlagen insgesamt kann der Entscheidung nicht entnommen werden. Der eindeutige Wortlaut der Gesetzesbegründung zu § 9 KWKG a. F. spricht dafür, dass die Umlagen als Bestandteil der Netzentgelte anzusehen sind. Eine solche grundsätzliche Aussage müsste entsprechend auf sämtliche, im Kern vergleichbar geregelten Umlagen angewendet werden. Eine andere Bewertung würde nicht nur weitere Fragen hinsichtlich des rechtlichen Charakters aufwerfen, sondern auch Folgeprobleme mit sich bringen, deren Tragweite nicht absehbar wäre. Zu nennen sei insoweit nur die Frage der steuerlichen Einordnung, wenn die Umlagen in Zukunft nicht mehr als Bestandteile der Netzentgelte in Ansatz gebracht werden könnten. Denn dann entfiele auch die Erhebung der Umsatzsteuer auf diesen Teil der gegenüber dem Letztverbraucher geltend gemachten Kosten. IV. Ausblick Die Auswirkungen der Entscheidung auf eine grundsätzliche Einordnung der Umlagen bleiben abzuwarten. Bis zu einer endgültigen Klärung dieser Frage dürften noch einige höchstrichterliche Entscheidungen folgen. Um einer möglichen Klagewelle und den Schwierigkeiten, die mit einer etwaigen Rückabwicklung verbunden gewesen wären entgegenzutreten, wurde der Gesetzgeber in kürzester Zeit tätig und „heilte“ mit Verabschiedung des Strommarktgesetzes (BT Drs. 18/7317) in der vom Wirtschaftsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 18/8915) am 23.06.2016 inzwischen rückwirkend die festgestellte Nichtigkeit durch Änderung eines neu eingefügten § 24 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 5 EnWG. Dieser ermächtigt den Verordnungsgeber nunmehr zu regeln, in welchen Sonderfällen und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde im Einzelfall individuelle Entgelte für den Netzzugang genehmigen oder untersagen kann. Gemäß Satz 2 Nr. 5 kann der Verordnungsgeber bei einer Regelung nach Satz 1 Nr. 3 zudem vorsehen, dass ein Belastungsausgleich entsprechend den §§ 26, 28 und 30 des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes erfolgen kann. Damit ist die noch ausstehende beihilferechtliche Genehmigung des KWKG durch die Europäische Kommission auch in Bezug auf § 19 Strom NEV weiter von Bedeutung. Die Regelungen des neuen § 24 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 5 EnWG sollen nach einem neuen § 118 Abs. 9 Satz 1 EnWG rückwirkend zum 01.01.2012 in Kraft treten. Die Rückwirkung dürfte verfassungsrechtlich zulässig sein.9 Am 08.07.2016 soll das Strommarktgesetz im Bundesrat beraten werden. Nach Verabschiedung des Gesetzes wäre noch offen, ob und wenn ja mit welchem Inhalt die BNetzA eine neue Festlegung zur Ersetzung der durch den Beschluss des BGH ebenfalls aufgehobenen Festlegung zur Regelung des Wälzungsmechanismus (BK8-11-024) erlassen wird. Dr. Boris Scholtka und Dr. Jule Martin

9 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 76. Ergänzungslieferung Dezember 2015, Art. 20 GG, Rn. 86.


Standpunkte

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Interview mit Prof. Dr. Christoph M. Schmidt Prof. Dr. Christoph M. Schmidt

Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

ER: Fünf Jahre Energiewende nach Fukushima – war der doch ziemlich abrupte Ausstieg der Bundesregierung aus der Atomenergie der richtige Weg? Schmidt: Prinzipiell ja, allerdings war er fraglos viel zu überstürzt. Fundamentale Fehler konnten da nicht ausbleiben: Die sukzessive Abschaltung der AKWs hätte zeitlich stärker gestreckt und geordneter erfolgen sollen, um den heutigen Mangel an Kraftwerkskapazitäten im Süden Deutschlands zu vermeiden. Die Abschaltung der AKWs hätte insbesondere mit dem Netzausbau synchronisiert werden müssen, um die volkswirtschaftlichen Kosten in Grenzen zu halten und um zumindest teilweise den wegfallenden Atomstrom im Süden durch grünen Strom aus dem Norden ersetzen zu können. Andere Länder, etwa die Schweiz, gehen bei ihrem Atomausstieg wesentlich bedächtiger vor und erlauben ihren AKWs eine Lebensdauer von 60 Jahren und mehr.

ER: Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen ist klar, dass die zukünftige Energieversorgung weltweit von einer konsequenten Dekarbonisierung geprägt sein muss. In welchen Schritten sollte aus Ihrer Sicht der nationale Kohleausstieg erfolgen?

gut hätte gebrauchen können. Mit dieser hätte es gelingen können, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung in ähnlicher Weise zu steigern, aber die Kosten dafür sehr viel geringer zu halten. Jetzt müssen die Stromverbraucher aufgrund dieses Versäumnisses in den kommenden Jahren durch Umlagen, die den Strompreis deutlich erhöhen, eine riesige finanzielle Last schultern. Zudem ist es äußerst schade, dass nach wie vor massiv eine gezielte nationale Förderpolitik für bestimmte Technologien betrieben wird. Denn klimapolitische Erwägungen würden es eigentlich erfordern, auf eine europäische Lösung zu setzen. Ideal wäre es, wenn der europaweit betriebene Emissionszertifikatehandel (ETS) auf andere Sektoren ausgeweitet und der Preis für Kohlendioxid durch entsprechende Mechanismen stabilisiert – und gleichzeitig die nationale Förderpolitik zurückgefahren würde.

ER: Wie beurteilen Sie die hierüber intendierte Mengensteuerung?

ER: Ab dem Jahr 2017 soll die Förderung der wesentlichen Erneuerbaren Energien, konkret der Windenergie und der Photovoltaik, nahezu vollständig mit Hilfe von Ausschreibungen erfolgen. Wie bewerten Sie diese Systemumstellung?

Schmidt: Das größte Problem der national ausgerichteten Förderpolitik durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) war doch bislang nicht das Fehlen von Korridoren für die Kapazitätsausweitung einzelner Technologien. Vielmehr ist es nach wie vor ein Kardinalfehler, im großen Stil eine industriepolitisch motivierte und auf einzelne Technologien spezifisch zugeschnittene Förderung für solche Technologien zu verfolgen, die das Nischendasein längst hinter sich gelassen haben. So kann weder der technische Fortschritt gefördert werden, noch lässt sich eine Industrie etablieren, die irgendwann auf eigenen Füßen stehen kann. Und bei diesem grundsätzlichen Zuschnitt soll es ja bleiben, die Erneuerbaren werden nicht in den Wettbewerb untereinander geschickt. Es wundert nicht, dass diese Mengensteuerung allen Anzeichen nach bislang unwirksam geblieben ist. Denn die Ausschreibungsmengen werden ebenso wie die Ausbaukorridore für die einzelnen Technologien im EEG politisch festgelegt. Im Interesse der Bundesländer, die auf die Subventionen im Rahmen des EEG schielen, wurden die Ausbaukorridore zu großzügig gestaltet – auf Kosten der Verbraucher. Die Politik scheint wissentlich das Ziel eines Grünstromanteils von 35 % für das Jahr 2020 überschreiten zu wollen.

Schmidt: Dies ist zwar schon ein Schritt in Richtung stärkerer Kosteneffizienz. Dieser Schritt kommt leider aber viel zu spät. Es wurde viel Zeit verschenkt, in der man eine bessere Förderpolitik

ER: Würden Sie eine technologieneutrale Förderung durch die Einführung von Grünstromzertifikaten für effektiver halten?

Schmidt: Mit dem Ausbau der Erneuerbaren gemäß dem Ziel, bis zum Jahr 2050 den Grünstromanteil auf 80 % zu erhöhen, ist der Rückgang der Kohleverstromung programmiert. Ob es aber wirklich klüger ist, die restlichen 20 % des Stroms mit Erdgas zu produzieren anstatt mit heimischer Braunkohle, muss in Frage gestellt werden. Es wäre jedenfalls sehr viel teurer und die Abhängigkeit von Erdgasimporten war in jüngster Vergangenheit nicht unkritisch. Und schließlich gilt: Ob der konventionelle Strom mit heimischer Braunkohle oder mit Erdgas erzeugt wird, ist bei Existenz eines Emissionshandels für die Treibhausgasbilanz irrelevant. Die EU-weite Obergrenze würde so oder so eingehalten, und nur die kann, wenn überhaupt, eine klimapolitische Bedeutung haben.


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Standpunkte

Schmidt: In der Tat: Mit einer Quotenregelung für grünen Strom, bei der sich die Quoten exakt an den Ausbauzielen für Erneuerbare orientieren, würde ein Überschießen der Ziele wohl verhindert werden können. Und wenn man schon unbedingt an einer direkten Förderung des Aufbaus von Kapazitäten der Stromerzeugung auf Basis der Erneuerbaren Energien festhalten möchte, statt auf einen reformierten Emissionshandel zu setzen, dann wäre eine technologieneutrale Förderung deutlich vorzuziehen. Ein System, bei dem Grünstromzertifikate neu aufgebaute Kapazitäten belohnen, sich aber deren Preis am Markt ergeben muss, führt die verschiedenen Erneuerbaren Energien und ihre Standorte in den Wettbewerb untereinander. Das sorgt dafür, dass der angestrebte Kapazitätsaufbau zu den geringsten volkswirtschaftlichen Kosten erreicht werden kann. Daher hat etwa der Sachverständigenrat mehrfach vorgeschlagen, das Quotensystem für grünen Strom dem EEG als Förderinstrument vorzuziehen.

ER: Sehen Sie realistische Optionen, den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien kosteneffizienter als bisher zu gestalten? Schmidt: Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dazu wenig Hoffnung besteht. Die Politik ist, wie bei der ehemals sehr teuren Photovoltaik, auch bei der sehr teuren Windstromerzeugung vor deutschen Küsten nicht gewillt, die Bremse einzulegen. In gewisser Weise wiederholen sich auf diese Weise alte Fehler: So kam es allen frühzeitigen Warnungen zum Trotz – unter anderem in RWI-Publikationen aus dem Jahr 2007 – in den Jahren 2010 bis 2012 zur Kostenexplosion infolge des vermeintlichen Solarbooms. Die Politik hatte bei der EEG-Novelle 2009 schlichtweg die Chance vertan, die Vergütungen für Solarstrom im gebotenen Maße zu senken. Jetzt hätte es zumindest die Chance gegeben, das EEG mit einer harmonisierten Einspeisevergütung auszugestalten, bei der alle Erneuerbaren Energien und ihre Standorte miteinander konkurrieren. Dabei ginge es um eine Einspeisevergütung, die deutlich niedriger ausfallen würde als diejenige, die aktuell für die Offshore-Windenergie relevant ist. Leider würden sich die mittlerweile sehr mächtigen Profiteure des bestehenden Fördersystems gegen eine derartige Reform wohl sehr stark und vermutlich erfolgreich zur Wehr setzen.

stunde niedriger ausfallen. Sie würde also statt bei 6,35 Cent bei knapp 5 Cent liegen. Dieser Entlastung der Stromverbraucher stünde aber die ernst zu nehmende Gefahr gegenüber, die energieintensiven Unternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze existentiell zu gefährden. Hier sollten meiner Einschätzung nach keine noch größeren Risiken eingegangen werden. Letztlich sollte die Diskussion um die Lastenverteilung nicht vom Versäumnis der Politik ablenken, mit mehr Disziplin bei der Einhaltung der Ziele für Erneuerbare für eine Dämpfung beim Anstieg der Stromkosten zu sorgen.

ER: Die staatliche Förderpolitik konzentriert sich bisher stark auf den Stromerzeugungssektor auf der Grundlage von Erneuerbaren Energien. Sollten aus Ihrer Sicht zukünftig andere Schwerpunkte im Bereich des Energiesektors gesetzt werden? Schmidt: Richtig. Ein weiteres Versäumnis der deutschen Energiewende ist die bislang starke Fokussierung auf den Stromsektor. Doch können wegen der Bindungswirkung des europäischen Emissionshandels für den Sektor der Stromerzeugung trotz der durch das EEG ausgelösten Investitionskosten von Hunderten von Milliarden Euro dort keinerlei zusätzliche Emissionseinsparungen erzielt werden. Diese Diskrepanz zwischen Wunschvorstellung und tatsächlicher Wirkung ist tragisch. Alle anderen Sektoren, insbesondere der Verkehrssektor, die zumindest bislang nicht unter den Emissionshandel fallen, werden hingegen beinahe sträflich vernachlässigt. In der effektiven Kopplung der Sektoren liegt daher bei der Umsetzung der Energiewende erhebliches Potenzial, das es jetzt rasch zu heben gilt.

ER: Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht, die nationale Energiewende in eine gesamteuropäische Strategie für einen effektiven und effizienten Klimaschutz einzubetten?

Die Zeitschrift gibt es als Printversion oder als eJournal.

ER: Bisher gehen die Kosten der Energiewende im Wesentlichen zu Lasten des privaten Endkunden. Sehen Sie hier das Erfordernis und zugleich das Potential, die Kostenlasten gerechter zu verteilen?

Schmidt: Nationale Maßnahmen der industriepolitischen Förderung einzelner Erneuerbarer Energien, etwa durch das EEG, und die eigentlich angestrebte Vertiefung des europäischen Binnenmarkts für Strom stehen vom Grundsatz her in einem starken Konflikt miteinander. Zudem ist klar, dass die Antwort auf die Herausforderung des Klimaschutzes kein nationaler, sondern ein europäischer Ansatz sein muss, verbunden mit einem weltweiten koordinierten Bemühen um Klimaschutz. Daraus würde auch die Idee des vertieften europäischen Binnenmarkts für Strom gestärkt hervorgehen. Glücklicherweise gibt es bereits ein auf europäischer Ebene etabliertes Instrument, um einen derartigen europäischen Ansatz zu verfolgen, den Emissionshandel (ETS). Es wäre richtig, wenn die europäischen Regierungen ein langfristiges Bekenntnis zum ETS als Leitinstrument abgäben, dieses Bekenntnis durch eine konsequente Rückführung der nationalen Förderinstrumente und das Einbeziehen der Bereiche Verkehr und Wärme unterfütterten und den Einsatz von Mechanismen beschlössen, die dazu geeignet wären, den Preis für Kohlendioxid im Rahmen des ETS zu stabilisieren. Dafür stünden mehrere Vorschläge zur Verfügung, beispielsweise die Festlegung von Preiskorridoren für ETS-Zertifikate.

2 Ausgaben gratis.

Schmidt: Das vordringliche Problem war und ist nicht die Verteilung der Lasten, die durch die Förderung der Erneuerbaren Energien entstanden sind. Das eigentliche Problem liegt darin, dass man diese Förderung unter völliger Missachtung der dabei entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten betrieben hat. Ihre Umlage auf den Strompreis macht sich zum einen besonders für einkommensschwache Haushalte bemerkbar, die meist zur Miete wohnen und keine Solaranlage auf ihrem Hausdach oder ihrem Feld installieren können. Hier gibt es im krassen Gegensatz zu allen sonstigen Weichenstellungen der Steuer- und Sozialpolitik also eine deutliche Umverteilung von unten nach oben. Zum zweiten belasten sie besonders die energieintensiven Unternehmen. Würde man die für sie geltenden Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage gänzlich abschaffen, würde diese nach unseren Berechnungen zwar um rund 1,5 Cent je Kilowatt-

4 Wochen gratis.

ER: Herr Professor Schmidt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Das Interview mit Herrn Prof. Dr. Christoph M. Schmidt führte Prof. Dr. Tilman Cosack.


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