Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM)

Page 1

Das EmployeeLifetime-ValueModell als Entscheidungsgrundlage

Fachbeirat:

Dr. Oliver Bungartz, BRL Risk Consulting GmbH & Co. KG, Leiter „Risk Advisory“

Prof. Dr. Peter Fissenewert, BUSE, Partner

Prof. Dr. Werner Gleißner, FutureValue Group AG, Vorstand, Technische Universität Dresden

Prof. Dr. Thomas Henschel, Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin

Prof. Dr. Ute Vanini, Fachhochschule Kiel

Andreas Wermelt, Deloitte GmbH, Partner

ZfRM 01 24 5. Jahrgang Februar 2024 S. 1 – 28 Praxiswissen risikobasierte Unternehmensführung www.ZfRMdigital.de
Zeitschrift für RISIKOMANAGEMENT
Duale Führung als Chance
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)

Timo Herold · Dr. Thomas Uhlig · Dr. Kai Fabian Henke · Katharina Thurnwald

Magdalena Dietrich M. A. · Prof. Dr. Katharina Dillkötter · Prof. Dr. Anna-Luisa Stöber · Beatrice Zier M. A.

978350310785 Inhalt 01
24 Editorial Schlüssel zum Erfolg 1 Wolfhart Fabarius Risk Governance Entwaldung und Lieferkettentransparenz 4
.
Duale
Chance 9
Führung als
Risk Management Personalmangel 16 Prof. Dr. Roman Stöger Enterprise Risk Management und Corporate Social Responsibility 19 Ingkar
News 2, 8 Law Report 28 Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)
Bekish, MA · Prof. Dr. Thomas Henschel

Schlüssel zum Erfolg

Liebe Leserinnen und Leser,

nicht den Wind ändern wollen, sondern die Segel richtig setzen. Diese Weisheit von Aristoteles trifft die Situation im Risikomanagement sehr gut. Die Herausforderungen sind nun mal da. Jetzt kommt es darauf an, die Risiken so geht es geht im Griff zu haben und sich bietende Chancen zu nutzen. Der aktuelle PwC Global Risk Survey zeigt es deutlich: Bei allen Unwägbarkeiten etwa aus Cybergefahren, Inflation und geopolitischen Konflikten will immerhin die Hälfte der deutschen Unternehmen in Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Automation investieren, um Risiken zu steuern und Chancen zu nutzen.

Welchen Einfluss übt das Enterprise Risk Management (ERM) auf die Performance in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus? Einen signifikant positiven, zeigen Ingkar Bekish und Prof. Dr. Thomas Henschel. Das bezieht sich sowohl auf die finanzielle als auch nicht­finanzielle Performance. Eine wesentliche Erkenntnis nach Analyse von 983 KMU: Ein ERM ist nicht nur wichtig für den Fortbestand eines Unternehmens, sondern trägt auch wesentlich dazu bei, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

An der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin ist Herr Prof. Dr. Thomas Henschel im Fachbereich Wirtschafts­ und Rechtswissenschaften für die Bereiche Risikomanagement, Krisenmanagement, Resilienz, Unternehmensplanung und Corporate Governance zuständig. Wir freuen uns sehr, ihn als ausgewiesenen Experten weit über das Risk Management hinaus nun auch als ZfRM­Fachbeirat gewonnen zu haben.

Um die Herausforderungen globaler Lieferketten geht es in dem Beitrag von Timo Herold, Dr. Thomas Uhlig, Dr. Kai Fabian Henke und Katharina Turnwald. Sie widmen sich dabei insbesondere den Risiken durch Naturkatastrophen, politische Ereignisse und Logistikprobleme. Hintergrund: Die EU Deforestation Regulation verstärkt die Fokussierung auf transparente Lieferketten, Umweltschutz und Menschenrechtsachtung. Die Verordnung zielt darauf ab, Entwaldung und Waldschädigung Einhalt zu gebieten. Das Risikomanagement spielt bei der Umsetzung eine zentrale Rolle.

Kommen wir zum Titelthema dieser Ausgabe: das Konzept der Dualen Führung. Es geht darum, eine Führungsposition durch zwei Personen zu besetzen, die gleichrangig sind und gemeinsam Entscheidungen treffen. Dieses Modell wird zunehmend genutzt, um offene Stellen mit qualifizierten Mitarbeitenden zu besetzen, die aufgrund von Lebensumständen eine Führungsrolle nicht allein übernehmen können. Einerseits bietet Duale Führung die Möglichkeit, Führungspositionen flexibler zu besetzen, andererseits bestehen auch Herausforderungen. Um die Einführung der Dualen Führung zu bewerten, stellen Magdalena Dietrich, Prof. Dr. Katharina Dillkötter, Prof. Dr. Anna­Luisa Stöber und Beatrice Zier ein quantitatives Bewertungsmodell auf Basis des Employee­Lifetime­Value­Modells vor. Das Modell misst den geschätzten finanziellen Wert, den Mitarbeitende über ihre gesamte Betriebszugehörigkeit für das Unternehmen generieren. Dadurch lassen sich Chancen und Risiken auf finanzieller Grundlage einschätzen.

An das Thema Personalmangel speziell auch bei Führungskräften knüpft Prof. Dr. Roman Stöger direkt an. Die Kennzahl der nicht besetzten, erfolgskritischen Stellen wird nach Einschätzung des Autors zu einer zentralen Messgröße für die Wettbewerbsfähigkeit. Notwendig sei ein Radar über Zu­ und Abgänge von Menschen, Know­how und die Position am Arbeitsmarkt. Eine wichtige Frage ist, inwieweit Digitalisierung, Automatisierung und KI genutzt werden können. Legen wir die eingangs erwähnte Investitionsbereitschaft zugrunde, ist dieses Thema mit dem Risikomanagement bereits eng verknüpft. Mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches Jahr 2024. Bleiben Sie stark!

978350310785 Editorial 1 01.24 Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM)
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)
Wolfhart Fabarius ist Chefredakteur der Zeitschrift für Risikomanagement

Entwaldung und Lieferkettentransparenz

Praxisempfehlungen für das Risikomanagement

Timo H erold · d r . THomas UH lig · d r . K ai Fabian H en K e ·

K aTH arina THU rnwald

Globale Lieferketten stellen eines der wesentlichen Risikofelder für Unternehmen dar. Hierzu zählen insbesondere die eingeschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen durch Naturkatastrophen, politische und soziale Ereignisse oder Probleme in der Logistik. Mit der kürzlich verabschiedeten EU Deforestation Regulation (EUDR) kommen weitere Risiken hinzu. Die Europäische Union setzt mit dieser Verordnung verstärkt auf transparente Lieferketten, Umweltschutz, Menschenrechtsachtung und Nachhaltigkeit. Ein zentraler Aspekt der Verordnung betrifft das Risikomanagement in den Lieferketten. Dieser Beitrag analysiert die EUDR aus Sicht des Risikomanagements und leitet aus der Praxis Empfehlungen ab. So können Unternehmen nicht nur die rechtlichen Anforderungen effizient erfüllen, sondern auch einen nachhaltigen Beitrag leisten.

Herausforderungen für Lieferketten

Der Abbruch oder Zusammenbruch von Lieferketten gehört zu den größten Risiken für Unternehmen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen und weitreichenden Lieferbeziehungen bergen viele Risiken.1 Dazu gehören beispielsweise die Nichtverfügbarkeit von Produkten und Rohstoffen aufgrund politischer und sozialer Ereignisse oder Naturkatastrophen, Handelshemmnisse, schwankende Preise oder auftretende Probleme in der Logistik.

Neben den operativen und strategischen Risiken stehen Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Umweltschutz im Zentrum des öffentlichen Interesses und sind damit Themen, die für das Risikomanagement in den Lieferketten zunehmend wichtiger werden. Die rechtliche Verantwortung von Unternehmen (Compliance), entlang ihrer globalen Lieferketten nachhaltige Praktiken zu gewährleisten, erfordert eine fundierte Auseinandersetzung mit den Risiken, die mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden verbunden sind.2

Ein erster Schritt in der Regulatorik ist das im Juni 2021 in Deutschland verabschiedete Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lie-

ferketten, bekannt als das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Dieses Gesetz legt Anforderungen an Unternehmen fest und verpflichtet sie dazu, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Lieferketten zu verhindern.3

Um den Herausforderungen globaler Lieferketten aus ökologischer Sicht zu begegnen, bringt die Europäische Union mehrere Initiativen voran. Dazu gehört auch die EU-Verordnung zur Verhinderung der Entwaldung und Waldschädigung4 (EUDR), die im Juni 2023 in Kraft trat und ab 30.12.2024 gilt. Sie ist die Antwort auf weitreichende Umweltzerstörungen, beispielsweise die Abholzung von Wäldern im Umfang der gesamten Europäischen Union in den vergangenen 30 Jahren.5 Die EUDR ist Teil des EU Green Deal und zielt darauf ab, den Einfluss von Entwaldung und Waldschädigung einzudämmen, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu bewahren.6

Das Risikomanagement spielt in der EUDR eine zentrale Rolle. Die Verordnung unterstützt Unternehmen nicht nur, mögliche Sanktionen zu vermeiden, sondern trägt auch dazu bei, dass nachhaltige Praktiken und transparente Lieferketten entwickelt werden.7, 8 Ein effektives Risikomanagement wird somit zu einem unverzichtbaren

978350310785 Risk Governance 4 Lieferketten Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM) 01.24
Timo Herold Partner im Bereich Risk & Compliance Services, KPMG Dr. Thomas Uhlig Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law Dr. Kai Fabian Henke Senior Manager im Bereich Consulting, KPMG
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)
Katharina Turnwald Mitglied der KPMG ESG Service Group

Instrument für Unternehmen. Nur so können den gesetzlichen Anforderungen entsprochen und nachhaltige Lieferketten gewährleistet werden. Transparentes und nachhaltiges Management der Lieferbeziehungen kann in Unternehmen außerdem die Resilienz von Lieferketten steigern. Unternehmen können Synergien aus einer regulatorischen Pflicht als Chance nutzen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen der EUDR

Der Geltungsbeginn der in der EU-Verordnung zur Verhinderung der Entwaldung und Waldschädigung statuierten Pflichten ist der 30.12.2024. Die Verordnung legt klare Erwartungen an Unternehmen fest. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um die Entwaldung und Waldschädigung entlang ihrer globalen Lieferketten zu verhindern. Die EUDR zielt konkret darauf ab, die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen zur Produktion von Rohstoffen wie Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz zu begrenzen. Die Liste der betroffenen Rohstoffe wird regelmäßig aktualisiert, um sich ändernde Entwaldungsmuster zu berücksichtigen.9

Die EUDR gilt sowohl für natürliche als auch juristische Personen als Marktteilnehmer (Art. 2 Abs. 15 EUDR), die relevante Erzeugnisse in der EU erstmals auf dem Markt bereitstellen (Inverkehrbringen) oder aus der EU ausführen (Art. 4 Abs. 1 EUDR). Im Gegensatz zum LkSG hängt der Geltungsbereich der EUDR somit nicht von der Rechtsform und Größe ab. Die EUDR gilt aber weitgehend auch für Händler (Art. 5 EUDR). Lediglich für KMU und Kleinstunternehmen gelten beschränkte Pflichten und längere Umsetzungsfristen.

Obwohl der Geltungsbeginn der Verordnung erst Ende Dezember 2024 sein wird, müssen Unternehmen künftig die Entwaldungsfreiheit und Freiheit von Waldschädigung für die relevanten Flächen bezogen auf den Stichtag 31.12.2020 prüfen (Art.2 Abs. 13 EUDR).

Die Sanktionen für Verstöße sind in Artikel 25 der Verordnung umrissen und umfassen Gewinnabschöpfung , Bußgelder von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes, die Beschlagnahmung der daraus hergestellten Erzeugnisse und der damit erzielten Einnahmen sowie ein vorübergehendes Verbot

der Einfuhr von Rohstoffen in die EU. Bei schweren Verstößen besteht auch die Möglichkeit, vorübergehend von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen zu werden. Die Nicht-Einhaltung der Verordnung birgt für die betroffenen Unternehmen ein wirtschaftliches Risiko. Sie sollte deshalb Teil der Betrachtung des Risikomanagements sein.

Gemäß Artikel 3 der Verordnung wird das Inverkehrbringen, das Bereitstellen am Markt und die Ausfuhr relevanter Rohstoffe und Erzeugnisse in der EU nur zugelassen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

• Entwaldungsfreiheit seit 31.12.2020

• Einhaltung der Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes

• Vorliegen einer Sorgfaltserklärung

Die Sorgfaltserklärung umfasst hierbei folgende Aspekte:

1. Informationsanforderungen (Art. 9 EUDR): Unternehmen müssen detaillierte Angaben zu den Rohstoffen, Mengen, Ursprungsländern und Lieferanten bereitstellen. Eine Geolokalisierung der Anbaugebiete sowie Nachweise zur Entwaldungsfreiheit und Einhaltung von Rechtsvorschriften sind unerlässlich.

2. Risikobewertung (Art. 10 EUDR): In einer umfassenden Risikobewertung sind eine Reihe von Kriterien wie Herkunftsland, Waldbestände, indigene Gemeinschaften, Entwaldungsverbreitung und mehr zu berücksichtigen. Auch Komplexitäten der Lieferkette und Verarbeitung spielen eine Rolle.

3. Risi kominderungsmaßnahmen (Art. 11 EUDR): Unternehmen müssen angemessene Strategien, Kontrollen und Verfahren entwickeln, um das Risiko von Nichtkonformität zu verringern. Die dokumentierte jährliche Überprüfung gewährleistet die Anpassung an neue Entwicklungen.

Gemäß Artikel 12 der Verordnung müssen weiterhin die Regelungen zur Konformität jährlich überprüft und aktualisiert werden. Unternehmen, die nicht als KMU eingestuft werden, sind verpflichtet, öffentlich über ihre Sorgfaltspflichtregelungen, inklusive Risikobewertungen und ergriffenen Maßnahmen zu berichten. Alle relevanten Unterlagen müssen für einen Zeitraum von fünf Jahren aufbewahrt und bei Bedarf den Behörden vorgelegt werden.

978350310785 Risk Governance Lieferketten 5 01.24 Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM)
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)

Die Integration eines effektiven Risikomanagements ist entscheidend, um die Erfüllung dieser Bedingungen sicherzustellen. Unternehmen wird ein präventiver Rahmen für die Einhaltung der EUDR geboten.

Umsetzung im Unternehmen:

Integration der EUDR in das Risikomanagement

Die Anforderungen der EUDR können Unternehmen im Rahmen des bestehenden Risikomanagementsystems umsetzen. Um dabei möglichst effizient vorzugehen, können auf verschiedenen Ebenen Synergien genutzt werden, beispielsweise in der Organisation, Risikoidentifikation und -bewertung sowie in der Berichterstattung.

Nutzung bestehender Organisationselemente

Die Umsetzung der EUDR erfordert die Einrichtung einer Organisation, mit der sich die Risiken identifizieren, bewerten und steuern lassen. Hierfür ist eine Governance mit Rollen und Verantwortlichkeiten notwendig. Eine besondere Bedeutung im Managementsystem erhält die Einführung oder Aktualisierung eines Kontrollsystems in der Lieferkette, die das Herzstück der Sorgfaltspflichten herstellt. Denn nur mit ausreichend validen Informationen, die aus strukturierten Prozessen hervorgehen, können die Sorgfaltspflichten erfolgreich erfüllt werden. Um parallele Strukturen zu vermeiden und entsprechende Synergien zu nutzen, sollte dieses Kontrollsystem in die bestehenden Managementsysteme für Compliance und Risikomanagement integriert werden. Unternehmen können so auf bestehende GovernanceStrukturen und bekannte Systematiken zurückgreifen. Neben der zentralen Funktion des Risikomanagements als Governance-Funktion kommen weiteren Bereichen Funktionen als Risikoeigner zu, insbesondere dem Einkauf und dem Vertrieb. Die Risikoeigner sind inhaltlich für die Bewertung und Steuerung der Risiken im Hinblick auf die Entwaldung verantwortlich.

Wie im allgemeinen Risikomanagement kommt auch bei der EUDR neben den operativen Bereichen vor allem der Unternehmensleitung eine entscheidende Bedeutung zu. Sie setzt den Maßstab, um die sowohl fachlich als auch zeitlich herausfordernden Anforderungen zu erfüllen.

Betroffenheitsanalyse und Informationserhebung als erster Schritt der Risikoanalyse Aufgrund der selektiven Betroffenheit von Unternehmen, die relevante Produkte in der EU in Verkehr bringen oder aus der EU ausführen wollen, sollten die Unternehmen zunächst eine Betroffenheitsanalyse durchführen. Dies stellt den ersten Schritt der Risikoanalyse dar. Die betroffenen Fachbereiche im Unternehmen – dazu gehört insbesondere der Einkauf, aber auch Entwicklung und Vertrieb – sollten zunächst alle Waren identifizieren, die aus Soja, Ölpalmen, Rindern, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz bestehen oder daraus hergestellte relevante Erzeugnisse nach Anhang 1 der EUDR enthalten. Die Komplexität dieser ersten Analyse wird dabei von der Produktart und der Stellung in der Wertschöpfungskette bestimmt und sollte durch die Rechtsabteilung entsprechend begleitet werden.

Der nächste Schritt in der Risikoanalyse und eine der Anforderungen der EUDR ist die Informationserhebung. Sie stellt in der Umsetzung eine der größten Herausforderungen dar, denn die globalen Lieferketten sind häufig nur sehr eingeschränkt transparent. Laut einer Erhebung des Bundesverbands für Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik (BME) im Jahr 2023 verfügt nur ein Prozent der Unternehmen in Deutschland über eine vollständige Transparenz ihrer Lieferkette. Ebendiese Transparenz wird nun durch die EUDR erforderlich. Neben der Beschreibung und der Menge der relevanten Erzeugnisse sind auch Informationen zum Erzeugerland, der Geolokalisierung der Grundstücke, dem Zeitpunkt oder Zeitraum der Erzeugung, der Kontaktdaten der Lieferanten und eine Massenbilanz bei der Vermischung von Lieferungen notwendig. Ein Teil dieser Informationen findet sich klassischerweise nicht in den Produkt- oder Lieferantenstammdaten, sondern muss gesondert erhoben werden. Hierfür kann es unter Umständen ratsam sein, neue Technologien zum Informationsaustausch innerhalb der Wertschöpfungskette zu implementieren.

Die hier gesammelten Daten können neben der EUDR auch zum weiteren Risikomanagement in der Lieferkette genutzt werden. Beispielsweise lassen sich durch die gewonnene Transparenz größere Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten oder Regionen identifizieren und operativ steuern. Bei wesentlichen Abhängigkeiten von einzelnen Rohstoffen aus bestimmten Regionen kann es

978350310785 Risk Governance 6 Lieferketten Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM) 01.24
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)

auch sinnvoll sein, dies aus strategischer Sicht zu betrachten. Aufgrund des Klimawandels wird zum Beispiel der Anbau von Rohstoffen in gewissen Regionen langfristig nicht mehr möglich sein. Dadurch können schon heute strategische Handlungsoptionen für die Zukunft diskutiert werden. Dieses Beispiel zeigt, wie ein ganzheitlich und integriert gedachtes Risikomanagement die Resilienz der Lieferkette erhöhen kann und die regulatorische Pflichterfüllung um einen wirtschaftlichen Nutzen erweitert wird.

Neben dem Lieferkettenrisikomanagement können die Daten auch für die Erfüllung weiterer Pflichten, beispielweise aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), genutzt werden.

Integration der Risikobewertung und -steuerung in das Risikomanagement Sobald alle notwendigen Informationen erhoben wurden, ist das Entwaldungsrisiko für die betroffenen Produkte zu bewerten. Zu dieser Risikobewertung gehören unter anderem die Bewertung der Glaubwürdigkeit der gesammelten Informationen, die Verbreitung von Entwaldung oder Waldschädigung im Erzeugerland, die Komplexität der Lieferkette und das Risiko der Umgehung dieser Verordnung. Auch bei der Risikobewertung können neue Technologien zur strukturierten Auswertung und Kombination von Informationen dienlich sein, um manuelle, zeitintensive und fehleranfällige Prozesse zu vermeiden. Um die Risiken im Unternehmen nachvollziehbar darzustellen und zu kommunizieren, ist die Integration in das bestehende Risikomanagement eine wichtige Voraussetzung. Unternehmen sollten dabei für alle Risiken die gleichen Prozesse und Methoden nutzen, um die Konsistenz der Risikobewertung sicherzustellen.

risikoorientiert abzuleiten, bestehende Maßnahmen zu dokumentieren und neue Maßnahmen zielgerichtet nachzuhalten.

Die erfolgreiche Umsetzung erfordert die enge Zusammenarbeit der relevanten Fachbereiche und den Einsatz moderner Technologien, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Ein durchdachtes Risikomanagement ist integraler Bestandteil des gesamten Prozesses und unterstützt Unternehmen dabei, effektiv auf mögliche Compliance-Herausforderungen zu reagieren.

Interne und externe Berichterstattung

Der letzte Schritt der Umsetzung ist die Berichterstattung. Das bestehende Risikomanagement kann dabei als Basis für die interne Berichterstattung dienen, das alle notwendigen Informationen revisionssicher zusammenträgt und kommuniziert. Das interne Berichtswesen bildet dann die Grundlage für die erforderliche externe Berichterstattung in Form der Sorgfaltserklärung. Bis zum 30.12.2024 errichtet und unterhält die Europäische Kommission ein Informationssystem, in dem die Sorgfaltserklärungen eingereicht werden können.

Fazit und Ausblick

Ergibt sich ein hohes Risiko für Entwaldung, sind Risikominderungsmaßnahmen zu ergreifen. Mögliche Maßnahmen sind

• eine Richtlinie gegenüber Zulieferern und Geschäftspartnern, die auch als Vertragsgrundlage angewendet werden kann,

• die Aufnahme weiterer Vertragsklauseln,

• Zertifizierungen und Auditierungen.

Weitere Maßnahmen können beispielsweise die Anforderung zusätzlicher Daten von Zulieferern oder die Durchführung und Auswertung von Audits darstellen. Das bestehende Risikomanagement ermöglicht es, erforderliche Maßnahmen

Die Anforderungen der EUDR ähneln stark dem klassischen Aufbau eines Risikomanagements. Somit lassen sich Effizienzen bei der Umsetzung der Anforderungen erzielen. Unternehmen haben die Möglichkeit, auf der vorhandenen Risikomanagementorganisation aufzubauen und bestehende Prozesse und Methoden zu nutzen. Die EUDR stellt zusätzlich sehr spezifische Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Beschaffenheit und der Herkunft der Produkte und Rohstoffe. Deren Umsetzung ist zunächst mit hohem Aufwand verbunden, kann aber in einem ganzheitlichen Risikomanagement auch einen Nutzen bringen. Durch die gewonnene Transparenz lassen sich beispielsweise Synergien mit dem sonstigen Lieferkettenrisikomanagement und insbesondere mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der künftigen Europäischen Lieferkettenrichtlinie Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) erzielen. Außerdem können die Informationen das operative und strategische Risikomanagement in der Lieferkette verbessern. Durch entsprechende Analysen und Stresstests lassen sich Krisenszenarien modellieren und da -

Jetzt gratis testen
Testzugang zum eJournal inkl. 2 Ausgaben gratis
Gratis testen
978350310785 Risk Governance Lieferketten 7 01.24 Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM)
Leseprobe, mehr zum Beitrag unter https://zfrmdigital.de/ © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2024(www.zfrmdigital.de)

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.