Alp #2

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MAGAZIN FÜR
LEBEN O VORARLBERG! ALP
DAS
HÖHERES
SOMMER
#2

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

Das ist die zweite Ausgabe des Alpmagazins. Einer Anregung von Josef Rupp folgend, erscheint für jede Jahreszeit eine Ausgabe, die sich mit verschiedenen Aspekten des Alplebens beschäftigt. Diese widmet sich dem Sommer. Das Alpleben ist ein kleines Paralleluniversum, ein „Seelenschutzgebiet“, wie es Erich Schwärzler formuliert, der in Vorarlberg für Alpwesen zuständige Landesrat. Im großen Gespräch dieser Ausgabe erklärt er, warum die Alpwirtschsaft für das bäuerliche Leben im Land und für unsere Lebensqualität insgesamt unerlässlich ist.

Die Alpwirtschaft hat verschiedene Gesichter, schon in Vorarlberg zeigt sie mehrere. Die Schmugglergeschichte deutet das an, Montafoner Alpen sind anders als Bregenzerwälder Alpen, und es gibt nicht nur Kühe auf der Alp. Ganz anders als hier geht es wiederum in Slowenien zu, wo sich eine der größten Alpen Mitteleuropas befindet, gegründet übrigens von Kaiserin Maria Theresia. Krain hieß das Gebiet damals, und Štajerska heißt es auf Slowenisch noch heute. Wir beschreiben dieses Märchenland höheren Lebens. Ob Pflanzenkunde, Brauchtum, Kochrezepte oder Porträts – wir wünschen Ihnen viel Freude mit unseren Berichten von den Alpen.

Herausgeber und Medieninhaber: Rupp AG, Krüzastraße 8, 6912 Hörbranz, T: +43 (0)5573 8080, E: cheese@rupp.at, www.rupp.at; Konzept, Redaktion und Produktion: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Bereich Corporate Publishing, Chefredaktion: Christian Zillner, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien. T: +43 (0)1 53660-0. E: magazine@falter.at; Artdirektion/Grafik: GREAT (www.great.design)

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Armin Thurnher
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Fotos: Georg Alfare (Cover); Reinhard Mohr, Georg Alfare, Vlbg. Landesarchiv, Ludwig Berchtold, Christian Kerber, Bojan Kolman, Bröll Fotografie, Irena Rosc; Illustration: Adrienn Dorsánszki
3FRÜHLING 4 Sennalpen 12 Alpkalender 14 Landesrat Erich Schwärzler über die Bedeutung der Alpwirtschaft 20 Alpspitz’n 22 Sennwirtschaft mit Robotereinsatz 29 Alpkäseherstellung Schritt für Schritt 30 Älpler 34 Alpsagen 36 Die slowenische Alp Velika planina 42 Alpgewand 45 Käsegedicht von Arthur Conan Doyle 46 Schmuggler auf der Alp 52 Porträt einer Alpwirtschafterin 56 Natters Alpträume im Sommer 64 Porträt der Bundesbäuerin Andrea Schwarzmann 66 Groß schauen. Hart arbeiten. Ruhig genießen 74 Alpenblumen 78 Hausmannskäse. Hausmannskost mit Alpkäserezepten 83 Vorschau Herbst Grün
Seiten im Magazin,
Überblick
geben, Fakten
Zahlen bringen, oder
der Geschichte,
INHALT 36 66 52 64 81 SOMMER 74
sind die
auf denen wir einen
über ein Thema
oder
aus
etwa über Schmuggler, erzählen.

AUF DER

SENNALP

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Alp Sentum über Oberblons bei Blons im Großen Walsertal. Wen die Füße selbst nicht tragen wollen, kann den Alpbus nehmen. Er fährt jeden Montag von Mitte Juni bis Anfang/Mitte September
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Foto: Georg Alfare
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Senn auf der Alp Loch. Sie wird von Richard und Emma Fuchs aus Lingenau im Bregenzerwald bewirtschaftet, liegt aber in der Nagelfluhkette der Allgäuer Alpen
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Fotos: Ludwig Berchtold Pfister auf der Alp Gemeine Finne. Die ehemalige Gemeinschaftsalp liegt bei Egg im Bregenzerwald und wird heute von der Familie von Reinhard Schneider aus Andelsbuch als Bio-Alp geführt
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Alpe Brongen über Schetteregg bei Egg im Bregenzerwald. Ab Mitte Mai sennt hier Familie Meusburger aus der Milch von fünfzig Kühen Käse, Joghurt und Butter
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Foto: Ludwig Berchtold
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Alp Hintere Niedere bei Andelsbuch. Pfister und Sennen sind gerade bei dem Teil der Alparbeit, die Sennalpen den Namen gibt, also beim Sennen
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Foto: Ludwig Berchtold

ALPKALENDER

Bauernregeln und Lostage im Alpsommer

„Fällt im September Schnee in der Alp, kommt der Winter nicht so bald.“ Ob an der Bauernregel etwas dran ist, lässt sich schwer sagen. Schließlich besagt eine andere, dass Schneefall am BartholomäusTag, dem 24. August, bald noch mehr Schnee bringe. Verfrühte Eiskristalle sind in den heimischen Bergen jedenfalls keine Seltenheit. Von den sommerlichen Wintereinbrüchen lassen sich die Kühe ebenso wenig beeindrucken wie erfahrene Älpler. Sogar Ende Mai kann schon mal ein halber Meter Schnee auf die Alpwei-

den fallen. Darum führt man heute zur Vorsorge Heu nach oben. Einst mussten Mensch und Vieh kurzzeitig wieder ins Tal ziehen. Denn damals wäre es beschwerlicher gewesen, Heu nach oben zu tragen.

ALTE WEISHEITEN

Seit alters her sind die Bauern auf die Macht des Wetters angewiesen. Sonne, Mond, Regen, Frost und Dürre ausgesetzt, hing ihre Existenz stets vom Tun und Lassen im passenden Moment ab. Daher

wurde das Wechselspiel des Wetters, lange bevor sich die Meteorologie als mehr oder weniger exakte Wissenschaft etablierte, von Bauern und Hirten beobachtet. Man erkannte wiederkehrende Muster und Abläufe, die für das Überleben nutzbar gemacht wurden. Ihr Wissen gaben die Bauersleute von Generation zu Generation mündlich weiter. So entstanden die leicht zu merkenden, häufig gereimten Sprüchlein, die das Jahr in feste Zyklen gliederten. „Wenn man im Sommer viel Heu hat, kommt ein strenger Winter. Das sagt man

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Abbildungen mit freundlicher Genehmigung aus: Alter Bauernkalender 2018/Leykam Alpina

noch immer und es stimmt auch, man braucht das Heu“, erzählt Anja Nigsch, die gemeinsam mit ihrem Mann German die Alp Oberdamüls bewirtschaftet. Ihre Mutter sagte stets, man müsse auf das Wetter beim ersten Neumond im Mai achten. Ist es schlecht, dann ist es bei jedem weiteren Neumond des Sommers ebenso schlecht. Neben den Sprüchen gibt es noch die Lostage. Das sind jene Tage im Heiligenkalender, an denen langfristige Wettervorhersagen getroffen werden.

DER ALPSOMMER

Auf der Alp vergeht die Zeit nach eigenen Gesetzen. Der etwa hundert Tage umfassende Kalender der Älpler beginnt mit dem Auftrieb ab Mitte Mai. Er zieht sich durch den Sommer und endet mit dem alljährlichen Alpabtrieb und der Rückkehr ins Tal. Abhängig vom Ende der Saison im Heimbetrieb, unterliegt der Beginn des Alpsommers jährlich leichten Schwankungen. Für die Zeitspanne spielt das Wetter eine wichtige Rolle, bestimmt es doch die Entfaltung der Vegetation und damit die Tage des Auf- und Abtriebs. Während die einen nach dem Wetter schauen, halten sich manche an traditionelle Auftriebstermine. Ein sehr später Marker für den auf diese Weise geregelten Beginn der Alpsaison ist der 8. Juli, der Tag des Heiligen Kilian. Im Bregenzerwald war es lange Brauch, an diesem Tag auf die Hochalpen zu ziehen. Früher ging es nämlich später nach oben, der Klimawandel ändert das ge rade. Dank seiner Auswirkung gibt es mittlerweile kaum noch fix geregelte Termine. Auf den Wochentag achtet man hingegen noch immer. Ein Mittwoch komme weder

für den Aufzug noch den Abtrieb in Frage, sind sich Anja und German Nigsch einig. Am Mittwoch nichts Neues zu beginnen, sei ein alter Brauch. Selbiges Tabu gilt für die alljährliche Alpsegnung, bei der ein Pfarrer zu Beginn des Alpsommers Salz und Weihwasser segnet und anschließend auf offenem Feld Messe hält.

REGELN UND LOSTAGE AUF DER ALP

Der Feiertag der Kreuzerhöhung, der Heiligkreuztag, fällt ziemlich genau in die Mit te des Septembers, auf den 14. des Monats. In Alberschwende und Schwarzenberg ist die Tradition verwurzelt, an diesem Tag mit Sack, Pack und Vieh heimzuziehen. Die Serie der Alpabtriebe zieht sich durch den gesamten September. Schon der erste Tag des Monats, der Ägidius-Tag, benannt nach dem Schutzpatron der Hirten, ist überaus verheißungsvoll. „Ist Ägidius ein heller Tag, so folgt ein guter Herbst“, lautet die Bauernregel. Das Ende des Alpsommers wird bereits am Bartholomäus-Tag, dem 24. August, eingeläutet. In einigen Alpenregionen gilt der BartholomäusTag als Feiertag, der mit Tanz und Musik begangen wird. Besonders zu beobachten ist dabei die Wetterlage: „Gewitter um Bartholomä bringen Hagel und Schnee“ oder „Wie Bartholomäitag sich hält, so ist der ganze Herbst bestellt“. Und wenn es gar schneit, kommt bestimmt noch mehr Schnee. „Es heißt, der Bartholomä geht übers Joch und holt noch mehr“, schmunzelt German Nigsch. Der Siebenschläfertag am 27. Juli ist ein weiterer bedeutender Lostag. Ist das Wetter gut, werden die nächsten sieben Wochen schön. Wenn nicht, wird es ungemütlich.

Zu Maria Himmelfahrt am 15. August werden vielerorts Bergmessen abgehalten. Auf der Alp Oberdamüls kommen die Bauern am Feiertag zur Visite, um nach ihrem Vieh zu schauen. Eine ähnliche Tradition gab es im Kleinwalsertal am 25.Juli, dem Jakobi-Tag. An diesem Tag, etwa zur Mitte der Alpsaison, kamen einst die Viehbesitzer auf die Alp. Am darauffolgenden Sonntag gönnten sich die Älpler ein schönes Fest mit Tanz und Spiel. Den Endtermin der Alpabtriebe markiert in der Regel der Matthäus-Tag am 21. September. Bis dahin sollten die Letzten ins Tal zurückgekehrt sein. Und das hoffentlich bei bestem Wetter, besagt doch eine Bauernregel: „Tritt Matthäus stürmisch ein, wird bis Ostern Winter sein.“

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LANDESRAT ERICH SCHWÄRZLER

ARMIN THURNHER

ARMIN THURNHER

Herr Landesrat, warum ist das Alpwesen für Sie so wichtig?

ERICH SCHWÄRZLER

Das Alpwesen ist nicht nur für den Agrarlandesrat, sondern für das ganze Land Vorarlberg wichtig und entscheidend, weil es das zweite Stockwerk unserer Landwirtschaft ist.

AT Erklären Sie das, bitte.

ES Erstens haben viele Bauern zu wenig Heimfläche. Die Talflächen sind zu knapp, deshalb ist entscheidend, dass das Vieh während des Sommers das Futter auf unseren Vorsäßen und Alpen gewinnen kann. Zweitens ist für das Vieh die Alpung aus Gesundheitsgründen wichtig. Drittens ist die Alpbewirtschaftung in unseren Bergregionen, ob das der Bregenzerwald, das Montafon, das Walsertal ist, ein Stück Tradition. Gerade die Drei-Stufen-Bewirtschaftung – Heimbetrieb, Vorsäß, Alp – gehört zur Talschaft und zum Land und ist so nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den Tourismus wichtig, und neuerdings auch für die einheimische Bevölkerung. Viele Menschen schöpfen an den Sommertagen auf der Alp Erholung und Kraft.

AT Ist es jetzt mehr ein touristisches Projekt oder ein landwirtschaftliches Projekt?

Die Alp als Seelenschutzgebiet

Zufällig fand am Vortag unseres Gesprächs der Vorarlberger Alpwirtschaftstag statt. Darauf nimmt Erich Schwärzler hier auch Bezug. Geboren 1953 und seit 1985 in der Politik, als Vizebürgermeister von Lingenau, als Nationalrat (1988–93), seitdem Landesrat, immer natürlich für die ÖVP, ist er das längstdienende Mitglied der Landesregierung. In den Medien wird er liebevoll „Landes-Erich“ genannt. Er steht für eine Hands-on-Politik, die so gar nicht zu den Rezepten Social-Media-getriebener Politik passt. Schwärzler liebt die Leute, er kennt sie in Vorarlberg fast alle, und er liebt seinen Beruf. Er ist für Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserwesen, Energie und Sicherheit zuständig und hat es geschafft, dass in Vorarlberg kein politisches Problem mit Flüchtlingen existiert: Schwärzler überzeugte sämtliche Gemeinden, welche aufzunehmen. Zur Alpwirtschaft hat er, wie das Gespräch zeigt, eine ganz besondere Beziehung.

ES Absolut ein landwirtschaftliches Projekt. Wir haben ungefähr 1.000 Älplerinnen und Älpler, die im Sommer auf der Alp sind. Wir sind das Land, das prozentmäßig am meisten Alpsennereien hat. Es ist für mich wichtig, dass die Milch nicht ins Tal gekarrt, sondern direkt auf der Alp verarbeitet wird. Deshalb haben wir auch in den letzten Jahren relativ viel in gute Alpgebäude investiert. Weil es entscheidend ist, dass wir eine gute Qualität haben, vor allem in der Milchverarbeitung. Und dass wir auch passable Alpgebäude mit einem hohen Qualitätsstandard haben, wo die Älplerinnen und Älpler wohnen. Im Land Vorarlberg haben wir das Glück, dass Familien mit ihren Kindern auf der Alp sind. Wir haben im Sommer außerdem etwa 170 Kinder von nichtbäuerlicher Bevölkerung, die im Sommer auf der Alp eine Bildungswoche oder Bildungstage verbringen, um das Älplerleben und die Zusammenhänge auf den Alpen kennenzulernen.

» Ich bin froh, dass wir in Vorarlberg 1.000 Älplerinnen und Älpler haben, die im Frühjahr eine große Sehnsucht haben, wieder auf die Alp zu kommen. «

AT Wie wird das organisiert?

ES Entweder über einen direkten Kontakt zwischen den Älplerinnen und Älplern und den Familien, die ihre Kinder auf die Alp bringen möchten, oder über die Alpwirtschaftsabteilung im Amt der Landesregierung. Wenn Kinder den Sommer über einige Wochen auf der Alp verbringen, ist das

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gut für die Kinder. Sie lernen die Naturzusammenhänge, es gibt schönes Wetter, es gibt möglicherweise Schneefall, es gibt Regenwetter, es gibt ein Unglück im Stall, es gibt Arbeit von morgens früh bis abends spät. Es ist wichtig, dies kennenzulernen, denn von etwas oder über etwas zu reden, ist zweierlei. Und wenn Kinder auf der Alp sind, dann kommen auch die Eltern und schauen, wie es dem Kind geht.

AT Sind das eher Bauernkinder?

ES Zum Teil. Zum Teil sind es auch Kinder von Familien, die vielleicht noch eine bäuerliche Herkunft haben, oder aus Verwandtschaftskreisen kommen. Aber das ist mir wichtig, weil dadurch ein engerer Kontakt zwischen den Älplern stattfindet und jener Bevölkerung, die nicht mehr den direkten Kontakt zur Landwirtschaft hat.

AT Wieso gehen tausend Leute eigentlich auf die Alp? Und wie können die sich das eigentlich leisten?

ES Ich habe gerade auf dem Vorarlberger Alpwirtschaftstag gesagt: Ich bin froh, dass wir in Vorarlberg 1.000 Älplerinnen und Älpler haben, die im Frühjahr darauf warten und eine große Sehnsucht haben, dass sie wieder auf die Alp gehen können. Die mit Freude auf die Alp gehen. Die dann mit einer hohen Verantwortung den Sommer über die Alp bewirtschaften, das Vieh betreuen, hervorragenden Alpkäse produzieren und im Herbst mit großem Stolz mit dem Vieh wieder ins Tal kommen. Das ist für mich immer wieder schön zu sehen, wenn die Alpabtriebe sind, mit welchem Stolz die Älpler das Vieh wieder ins Tal bringen und dem Bauern übergeben: Schau, ich hab’ dir gut drauf aufgepasst.

AT Ist bloß der Stolz die Motivation? Das ist in unserer Zeit fast schon unverständlich. Verdienen die auch was, damit sie über den Winter kommen?

ES Ja, selbstverständlich. Die Freude, die Begeisterung gehört dazu. Wer auf die Alp gehen muss, hat keine Begeisterung. Es gehört dazu, dass man diese Arbeit gern macht, alles andere ist nicht gut. Das Zweite ist: Selbstverständlich wird unsere Alpwirtschaft finanziell gut unterstützt. Wir haben das Einkommen aus der Produktion, dann haben wir die Leistungsabgeltungen. Wir zahlen für das Vieh, das auf der Alp ist, Beiträge, und ich bin tief davon überzeugt, dass das Geld gut angelegt ist. Auf dem Markt kann man aus dem Produkterlös das Einkommen leider nicht mehr erwirtschaften, aber aus Produkterlös und Leistungsabgeltung ergibt sich ein brauchbares Einkommen für die Älplerinnen und Älpler. Ich sage aber dazu: Ungefähr vierzig Prozent der Alpen sind Privatalpen. Dort geht im Sommer oft die ganze Familie auf die Alp. Und der Rest sind Genossenschafts- und Gemeinschaftsalpen, wo Älplerinnen und Älpler angestellt werden, die im Sommer auf die Alp gehen. Der Großteil, ich würde sagen rund siebzig Prozent der Alpen, hat seit vielen Jahren immer dasselbe Alppersonal. Auch diese Nachhaltigkeit ist wichtig.

AT Was verdient man so im Schnitt?

ES Das ist unterschiedlich. Wenn das eine Kuhalp ist, verdient ein Senner relativ brauchbar. Wenn das eine kleine Jungviehalp ist, kann man dem Personal weniger zahlen. Wenn es eine große Jungviehalp mit etwa 300 Stück ist, da sind dann ein Großhirte und drei, vier Kleinhirten oben, dann sind die Hirten besser bezahlt.

AT Ungefähr 2.000, 3.000 Euro im Monat?

ES In der Größenordnung, ja.

» Ich habe das Glück gehabt, dass ich bis zu meinem 24. Lebensjahr jedes Jahr auf der Alp war. Sechs Sommer habe ich selber die Milch zu Alpkäse verarbeitet. Das prägt einen Menschen schon. «

AT Sie brauchen ja auf der Alp nicht viel Geld, oder?

ES Sie brauchen wenig. Sie sind im Endeffekt Eigenversorger. Auf der Alp geht’s nicht jedes Wochenende in die Disko. Das Alpleben ist ein genügsames Leben. Ich sage, es ist ein schönes Leben. Ich habe das Glück gehabt, dass ich bis zu meinem 24.Lebensjahr jedes Jahr auf der Alp war. Sechs Sommer habe ich selber die Milch zu Alpkäse verarbeitet. Das prägt einen Menschen schon.

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Landesrat Erich Schwärzler Foto: Reinhard Mohr

AT Gemeinschaftsalp oder eigene Alp?

ES Eigene Alp. Wir haben ungefähr 35 bis 40 Kühe auf der Alp gehabt, die ganze Familie mit neun Kindern war auf der Alp. Im Sommer mussten wir nach Lingenau hinausgehen, um die Heuarbeit zu erledigen: am Morgen hinaus, am Abend hinein. Wenn wir als 18-, 19-Jährige einmal im Sommer auf eine Veranstaltung gekommen sind, war das viel. Wir haben am Abend um acht Uhr abends mit der Melkarbeit begonnen, das hat bis zehn gedauert. Am Morgen hat man zuerst das Vieh ausgetrieben und dann um acht Uhr wieder eingestallt und die Kühe gemolken. Dann hat die Sennarbeit begonnen, die Pflege der Weiden und die Betreuung der Tiere. Es gibt viel Arbeit. Aber es ist eine schöne Arbeit.

AT Sie haben zwar einen Bauernhof, aber jetzt kommt das Vieh in die Gemeinschaftsalp, nehme ich an?

ES Nein, der Bruder hat die Alp übernommen. Im Sommer habe ich das Vieh beim Bruder auf der Alp.

AT Was hat die Alp ökologisch betrachtet für eine Funktion?

ES Mir ist wichtig, dass die Vielfalt der Alpwirtschaft als Qualitätskriterium erhalten bleibt. Ich will nicht die Einheitsalp vom Bregenzerwald bis ins Montafon. Deshalb möchte ich, dass die unterschiedlichen, gewachsenen Strukturen auch erhalten bleiben. Eine Montafoner Alp wird anders bewirtschaftet als eine Wälder Alp. Im Bregenzerwald haben wir die großen Alpgebäude, im Montafon und im Walsertal sind die kleinen Alpgebäude, jeder hat dort seine fünf bis zwölf Kühe im Stall usw. Vor 15, 20 Jahren hat es einmal eine Tendenz gegeben, alles müsse rationell gemacht werden. Ich sagte: Nein, lasst in der Alpwirtschaft bitte zu, dass die gewachsenen Strukturen erhalten werden können und sich die Menschen dort wohlfühlen. Die Alpwirtschaft steht und fällt mit Menschen, die eine gute Qualität machen. Das betrifft die Vielfalt in der Struktur, im Pflanzenbestand und in der Gesamtausrichtung. Vielfalt ist eine Bereicherung. Es muss aber Grenzen und Begrenzungen geben, auch in der Alpwirtschaft. Zum Beispiel hat Soja nichts zu suchen auf der Alp, die Gentechnik und auch der Klärschlamm haben auf der Alp nichts verloren.

» Die Alpwirtschaft steht und fällt mit Menschen, die gute Qualität machen. Das betrifft die Vielfalt in der Struktur, bei den Pflanzen und in der Gesamtausrichtung. «

AT Gibt es da Sorgenkinder oder böse Buben?

ES Da hat auch der Herrgott einige Kostgänger. Aber ich habe die klare Vorgabe, dass wir das nicht wollen und dass wir das in der Leistungsabgeltung mit berücksichtigen.

AT Das heißt, Sie knüpfen die Förderung …

ES Die Leistungsabgeltung. Das ist mir wichtig. Wir zahlen keine Förderung aus und überhaupt keine Subvention. Ich habe einmal im Landtag gesagt, wenn mir jemand sagt, dass ich einen Euro Subvention ausbezahle, dann stelle ich das morgen in der Früh ab. Wenn die Leistung nicht erbracht wird, dann wird nicht bezahlt. Es ist immer diese Sprache. Wenn eine Leistung erbracht wird, dann soll man sie bezahlen. So klar es ist, dass jeder, der da in dem Haus einen Lohn verdient, so braucht es Klarheit für die Alpen und auch Wertschätzung. Diese Wertschätzung der bäuerlichen Arbeit ist wichtig. Wir haben in der Landwirtschaft eine enorme Veränderung, auch in den Gemeinden: vom Bauerndorf zur Rolle des Bauern im Dorf – dies ist ein großer Unterschied. Im Bauerndorf haben alle aufeinander geschaut, jeder war Bauer. Jetzt sind noch ein paar Prozent Bauern, aber die Bauern haben eine ganz neue Rolle im Dorf bekommen.

AT Nämlich?

ES Sie müssen am Wochenende arbeiten und Rücksicht nehmen auf die Nachbarn. Sie müssen schauen, wann sie Mist und Jauche ausbringen, und, und, und. Auch dass sie mit den Nachbarn halbwegs gut auskommen, die Bauernarbeit findet ja immer unter freiem Himmel und im Schaufenster statt. Lebensmittel werden nicht in unseren Einkaufstempeln erzeugt, aber sie verdienen das Geld damit! Erzeugt werden unsere hochwertigen Lebensmittel durch die Handarbeit unserer Bäuerinnen und Bauern. Darum bin ich froh, dass wir derzeit eine schöne Entwicklung im Land haben, diese Sehnsucht der Bevölkerung nach Regionalität. Immer mehr, gerade junge Menschen, wollen wissen, wer ist der Produzent, wie wird produziert, wo kommen die Lebensmittel als Mittel zum Leben her.

AT Was kann die Alpwirtschaft da tun?

ES Wir haben letztes Jahr begonnen, jeden Monat einen Tag der offenen Alptüre zu veranstalten. Kommt vorbei, schaut hinein und lernt die Alpwirtschaft und die Älpler kennen. Das kommt sehr gut an. Das ist die neue Rolle der Bauern im Dorf: dass man die bäuerliche Arbeit nicht hinter verschlossenen Türen verrichtet. Zu lang hatten wir die geschlossene Stalltüre. Wichtig ist, die Arbeit und Leistung sehen lassen! Dann kommt auch das Verständnis hierfür stärker.

AT Vermarktung braucht es aber auch.

ES Ja, wir erzeugen ein hervorragendes Qualitätsprodukt. Und ich bin froh, dass wir mit Josef Rupp einen hervorragenden Vermarkter haben. Das werde ich ihm nie vergessen: Vor zwei Jahren, als der Milchpreis in den Keller gefallen ist, hat Herr Rupp mich angerufen und gesagt: „Ich bleib’ dabei, ich reduziere den Preis nicht, weil die Älplerarbeit ist ja dieselbe geblieben! Der Aufwand ist auch derselbe geblieben und ich habe hohen Respekt vor unseren Älplern.“ Das sind Unternehmer, die in schwierigen Zeiten zur Landwirtschaft stehen. Das ist das Wichtige: die Anerkennung der Arbeit, die Wertschätzung der Arbeit. Ich sage immer wieder den

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Alp Laguz im Großen Walsertal. Erich Schwärzler möchte die Unterschiede zwischen den Alpen der verschiedenen Regionen in Vorarlberg erhalten Foto: Dietmar Walser/Vorarlberg Tourismus

Bürgermeistern: Siehst du, wer deine Fläche bewirtschaftet? Siehst du, wer Heimat in deiner Gemeinde schafft? Vieles schätzt man erst dann, wenn man es nicht mehr hat. Für mich sind die Alpgebiete Seelenschutzgebiete. Ich besuche jeden Sommer etwa dreißig bis vierzig Alpen. Weil ich die Menschen und ihre Sorgen kennenlernen will und auch die Freuden, selbstverständlich. Ich treffe dort viele Vorarlberger auf den Alpen, auch Gäste. Und da spürst du, wie viele Alpbesucher am Abend sagen: Boah, jetzt geht es mir gut! Das ist diese Seelenschutzaufgabe. Eine bewirtschaftete Alp mit Vieh mit Kuhglocken, das ist, was immer mehr Menschen suchen.

AT Über den Weltmarkt haben Sie einmal gesagt, das sei der Schleudermarkt für Lebensmittel. Hier beschreiben Sie ein Gegenteil.

ES Das sage ich sehr klar: Unsere Alpprodukte haben mit Schleuderpreisen am Weltmarkt nichts verloren. Wir dürfen schon auf dem Weltmarkt verkaufen – als Premiumprodukt, als ganz besonderes Produkt. Das muss nicht alles in Vorarlberg gegessen werden. Es muss aber ein hochpreisiges Produkt bleiben, das verlangt die bäuerliche Arbeit. Mir ist wichtig, dass wir nie den Weg gehen, nur Mengen zu erzeugen. Die Erzeugung von Alpprodukten ist ja eh eingeschränkt. Die Futtergrundlage begrenzt eigentlich das Alpprodukt.

» Im Zweifelsfall bin ich ein Anhänger einer Erschließung, aber auch der Begrenzung. Ich brauche nicht jeden Gast mit dem Auto auf der Alp. «

AT Nun hat die industrielle Erzeugung viel Mangel beseitigt. Kann man die ganze Menschheit mit Qualitätsprodukten ernähren?

ES Nein. Es wollen nicht alle hohe Qualität. Es gibt Menschen, die schauen nicht auf Qualität. Der Vorarlberger Landtag hat jetzt einen Beschluss gefasst: Krankenhäuser und Großküchen verarbeiten verstärkt regionale Produkte. Das kostet vielleicht bis zu zwanzig Prozent mehr. Es gibt einzelne Bürgermeister, die sagen: Erich, das kostet mehr! Ich sage dann: Moment, erstens machen die Kosten der Lebensmittel fünf Prozent der Gesamtkosten aus. Und jetzt erklärst du mir, dass du Menschen, die du in deinem Altersheim hast, die ein Leben lang unter schwierigen Bedingungen gearbeitet haben, mit Billigprodukten ernährst! Das kann doch nicht der Weg sein. Im Milchbereich funktioniert das relativ gut, im Fleischbereich sind wir noch unterwegs, im Gemüsebereich haben wir zu wenig. Wir müssen uns auch sauber abgrenzen und dies sichtbar machen. Ich sage, dass leider derjenige den Markt beherrscht, der am brutalsten den Boden und das Vieh ausbeutet. Das ist aber nicht unser Zukunftsweg.

AT Die Gesamtrechnung von Glück und Gesundheit wird am Weltmarkt selten gemacht …

ES Als ich in der Politik begonnen habe, gab es noch die Käfighaltung. Da war ich einmal in einem Käfigbetrieb. Der Chef war nicht da und ich bin allein durchgegangen. Wie ich herausgekommen bin, habe ich gesagt, jetzt kämpfe ich so lange, bis das Käfigverbot kommt. Wir waren das erste Bundesland, das ein Käfigverbot erlassen hat. Damals war Tierschutz noch Landeskompetenz. Das kann doch nicht sein, dass ich auf kleiner Fläche die Hühner einsperre, die nur Eier legen müssen. Die Frage des Tierwohls spielt auch auf unseren Alpen eine große Rolle. Die Tiere kommen auf die Weide. Ich würde mir das auch bei Heimbetrieben verstärkt wünschen.

AT Weil Sie vorhin von Seelenfenster und Ruhezone sprachen. Wie steht es mit der Digitalisierung auf der Alp? Kann man die fernhalten?

ES Handy gibt es selbstverständlich! Die Alpen können über Funk erreicht werden. Da immer mehr Menschen auf unseren Alpen sind, muss das Alarm- und Rettungssystem gut funktionieren, sollte einmal etwas passieren. Wir haben gottlob eine erfolgreiche Bergrettung. Ein Spannungsfeld ist das Erschließen von Alpen mit Straßen. Ich sage, Melkalpen müssen erschlossen sein, bei Jungviehalpen kann man darüber diskutieren. Im Zweifelsfall bin ich ein Anhänger einer Erschließung, aber auch der Begrenzung. Ich brauche nicht jeden Gast mit dem Auto auf der Alp. Bei der Digitalisierung gilt nicht so viel wie möglich, sondern nur so viel wie notwendig.

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Das Tierwohl spielt auf unseren Alpen eine große Rolle Foto: Georg Alfare, Michael Gunz/Vorarlberg Tourismus

AT Romantisch ist das nicht.

ES Es gibt immer solche, die sagen, da darf man gar nichts tun. Ich sage: In unserem Industriebereich ist auch nicht alles vorgestrig, lass Entwicklung zu, dass junge Menschen bereit sind, auch in Zukunft diese herrliche Landschaft zu bewirtschaften; dass junge Menschen bereit sind, die Höfe zu übernehmen. Ich kann doch nicht verlangen, dass sie weiterhin mit den Holzschuhen und dem Pferd auf die Alp gehen sollen, oder? Natürlich haben wir auch extreme Alpen, die man nie erschließen kann. Das bleibt auch so. Demzufolge zahlen wir im Frühjahr Hubschrauberflüge zur Zaunerstellung, oder wenn ein Rind abstürzt, das Abholen, selbstverständlich. Ich habe heute auf dem Alpwirtschaftstag auch gesagt, wir werden wieder ein paar Dinge ändern müssen aufgrund der Gesamtentwicklung. Früher war es so, dass es bei den Gemeinschaftsalpen jede Menge Eigentümer gegeben hat, die mit auf die Alp gegangen sind, um das Tagwerk zu leisten. Das wird immer schwieriger. Da müssen neue Strategien der Alppflege entwickelt werden. Mir geht es darum, dass es uns gelingt, dass unsere 522 Alpen auch in Zukunft bewirtschaftet bleiben.

AT Und der Roboter?

ES Der hat auf der Alp nichts verloren.

AT Und die Alp der Zukunft schaut so aus wie jetzt oder wie?

ES Die Alp der Zukunft wird sich weiterentwickeln, davon bin ich überzeugt. Es wächst eine neue Generation von Jungbäuerinnen und Jungbauern heran, die ein paar Dinge anders be werten. Ich glaube, dass ein Teil der Tradition bleibt, ein Teil der Tradition wird sich weiterentwickeln. Ich sehe das in der Zeit, wie ich früher auf der Alp war und wie man jetzt die Dinge gestaltet – es werden dort und da vielleicht ein paar Pflegeleistungen anders gemacht. Man hat mehr technische Möglichkeiten, die Alpen zu pflegen. Wir mussten früher alles mit der Hand mähen. Aber nicht alles, was technisch machbar ist, sollte auf der Alp umgesetzt werden. Da lege ich Wert darauf.

» Wir mussten früher alles mit der Hand mähen. Aber nicht alles, was technisch machbar ist, sollte auf der Alp umgesetzt werden. Da lege ich Wert darauf. «

AT Zum Schluss noch eine Frage: Kässpätzle ist Ihre Lieblingsspeise, habe ich gelesen. Spätzle oder Knöpfle?

ES Käsknöpfle!

AT Können Sie die selber machen?

ES Na klar!

AT Was für einen Käse nehmen Sie?

ES Bergkäse.

AT Nur Bergkäse? Keinen Räßkäse?

ES Ja. Nur Bergkäse.

AT Feucht oder trocken?

ES Mittelmäßig. Nicht zu trocken.

AT Sie essen Käse zum Frühstück?

ES Ja, sehr gern.

AT Wer wird in der Politik Ihr Erbe übernehmen?

ES Das weiß derzeit nur Gott.

AT Das heißt, Sie müssen es noch eine Zeitlang machen.

ES (lacht): Ich lieben meinen Beruf – da müssen wir gugga*.

19SOMMER
*schauen
Käsknöpfle, die Lieblingsspeise von Erich Schwärzler

ALPSPITZ’N

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Millionen Euro flossen im Jahr 2016 in Vorarlberg an öffentlichen Geldern in die Landwirtschaft. Sie dienen zur nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums, entschädigen für schlechte Ernten oder Ausfälle und helfen bei der Umsetzung umweltpolitischer Maßnahmen. Nicht zuletzt tragen sie zur Stärkung der gemeinsamen europäischen Identität und zu einem konkurrenzfähigen europäischen Markt bei. Entgegen den Erwartungen bildeten nicht etwa die Zuwendungen aus Brüssel, sondern die 35,9Millionen Euro des Landes Vorarlberg den größten Posten im Budget. Aus den Fördertöpfen der Europäischen Union kamen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) immerhin 28,9 Millionen in die heimischen Landwirtschaftsbetriebe. Da nehmen sich die 10,2Millionen Euro des Bundes verhältnismäßig bescheiden aus.

landwirtschaftliche Teil- und 3.249 Vollbetriebe listet der Grüne Bericht 2017 in Vorarlberg auf. Der Großteil davon wird nach wie vor familiär geführt. Knapp 85 Prozent der angestellten Arbeitskräfte kommen aus den Familien der Eigentümer. Großbetriebe mit mehreren Angestellten gibt es hingegen kaum. Nur 222Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen, das sind knapp sieben Prozent, waren im Jahr 2016 unter 30Jahre alt. Der Frauenanteil lag mit 633 bei 19,8Prozent. Österreichweit sind es nur in Tirol weniger. Der bundesweite Durchschnitt beträgt rund 27Prozent.

Prozent betrug der Anteil erneuerbarer Energieträger in der Vorarlberger Landwirtschaft im Jahr 2015. Tendenz steigend. Zehn Jahre zuvor waren es noch 32 Prozent. Für den beachtlichen Aufwärtstrend zeichnet in erster Linie die Energiegewinnung aus Sonne und Holz verantwortlich.

Tausend Hektar beträgt die landwirtschaftlich genutzte Fläche Vorarlbergs. Das sind 44 Prozent der Landesfläche. Die Höhen und Tiefen des bergigen Landes spiegeln sich in der Statistik wider. Den 69.570Hektar Alpfläche, von denen etwa 50.000 Hektar beweidet werden, stehen 45.461Hektar landwirtschaftlicher Grundfläche in den Tälern gegenüber. Damit liegt also mehr als die Hälfte der Nutzfläche auf den Alpen. Das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL) förderte im Jahr 2016 68.459 Hektar von 3.033Betrieben mit insgesamt 14,2Millionen Euro.

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Quellen: Agrarbericht des Landes Vorarlberg 2017 und Agrarstrukturerhebung 2010.

VORARLBERGER LANDWIRTSCHAFT

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Tausend Gästenächtigungen gab es 2016 in den rund 1.250 Gästebetten der hundert Mitgliedsbetriebe des Vereins „Urlaub am Bauernhof“. Die Auslastung von über sechzig Prozent kann sich sehen lassen. Profitabel ist die Bettenvermietung in zweierlei Hinsicht: als schöner Zuverdienst und als Zeugnis hoher Wertschätzung und anhaltenden Interesses am bäuerlich-ländlichen Leben.

Millionen Euro betrugen 2016 die Kosten für sämtliche Tiergesundheitsmaßnahmen. Davon erhielten 2.498 Betriebe eine Gesamtprämie von 142.949 Euro für den Verzicht auf gentechnisch verändertes Soja. Zum Geld für Gesundheitsmaßnahmen steuerte der Tiergesundheitsdienst weitere 845.150 Euro für Tiergesundheitsprogramme bei. Dazu zählten Screening-Verfahren gegen Rindererkrankungen, Untersuchungen bei Schafen und Ziegen, Schweineimpfungen, Parasitenbekämpfung, Fruchtbarkeits- und Zuchthygienemaßnahmen oder aber auch Ferkelkastrationen und Entwurmungen.

Millionen Euro betrug die Summe aller Exporte im Bereich der Nahrungs- und Genussmittel im Jahr 2016. Demgegenüber lagen die Importe bei 813 Millionen Euro. Am Ende des Jahres stand damit ein Plus von 81 Millionen Euro in der Vorarlberger Handelsbilanz. Rund neun Prozent der Gesamtausfuhr fiel auf die Warengruppe der Nahrungs- und Genussmittel. Den größte Posten bildeten die Getränke mit rund 190 Millionen Euro. Getreide, Mehl und Backwaren wurden im Umfang von 162 Millionen Euro exportiert. Bei Milch und Molkereierzeugnissen waren es 137, bei Gemüse- und Fruchtprodukten 130 Millionen Euro. Vier Fünftel aller Nahrungsmittelexporte gingen in den EU-Raum, fast 500 Millionen Euro allein nach Deutschland. Ein starkes Ungleichgewicht fällt beim Import und Export von Fleischwaren auf: Der Ausfuhr im Wert von 6,5 steht eine Einfuhr im Wert von rund 24 Millionen Euro gegenüber.

Biobetriebe gibt es mittlerweile im Ländle. Die ökologisch zertifizierten Betriebe bewirtschaften rund 12.600 Hektar der Landwirtschaftsfläche. Unterstützt werden die Vorarlberger Biolandwirtschaftsbetriebe durch weitere rund 160 zertifizierte Produzenten, Verarbeiter und Vermarkter. In den vergangenen Jahren legte der Anteil biologisch wirtschaftender Bäuerinnen und Bauern stetig zu. Die wachsende Nachfrage nach Bioprodukten macht sich auch im Kühlregal der Supermärkte bemerkbar. Dort findet man immer mehr Waren mit dem Ländle-Bio-Herkunfts- und Gütesiegel. All das zeigt: Das Interesse an Herkunft und Verarbeitung der Produkte sowie am schonenden Umgang mit der Natur ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

ZUR
ZAHLEN
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WEISST DU, WIE VIELE ROBOTER SENNEN?

Das Prinzip ist einfach. Seit Jahrhunderten basiert das Sennhandwerk auf den gleichen Gesetzen: Käse entsteht, wenn Milch sauer wird und sich die festen Bestandteile, also Eiweiß, Fett, Milchzucker und Mineralstoffe, von den flüssigen trennen. Doch wenn es um die einzelnen Käsesorten, die eingesetzten Rohstoffe und Arbeitstechniken geht, kommt es auf die Feinheiten an. Dieser Tatsache ist man sich im Bregenzerwald besonders bewusst. Hier gibt es die am besten erhaltene Alp- und Talsennereistruktur in Österreich. Sie erzeugt Hartkäse nur aus silofreier Rohmilch.

TALSENNEN MIT DEM ROBOTER FRED

In der Sennerei Riefensberg ist Daniel Fink seit 15 Jahren tätig. Ursprünglich hatte der heute 35-jährige Betriebsleiter Schreiner werden wollen. Doch zwei Sommer als Helfer auf einer Alp im Nenzinger Himmel brachten ihn auf den Geschmack und die Idee, Senn zu werden. Nach einer Ausbildung zum Käse- und Molkereifach-

arbeiter in Lingenau und dem Meisterkurs in Rotholz landete er wieder in Riefensberg. Dem Ort, in dem er aufgewachsen ist und heute seinen Nachwuchs groß werden sieht. Zwei Kinder sind schon da, das dritte unterwegs. „Das ist der Vorteil des Berufs: Ich fange schon früh, gegen fünf Uhr, mit meinen beiden Kollegen an. Dafür kann ich mit meiner Familie mittagessen und den Nachmittag mit ihr verbringen“, sagt er. Abends geht er zu seiner „zweiten Schicht“ los: Reinigung, Pflege des Roboters, Buttern und das Ansetzen der Käsekulturen stehen dann auf seinem Programm.

23 Bauern beliefern die Sennerei Riefensberg. Einer davon ist Daniels Vater. „Aber ich bin der Erste in meiner Familie, der auch käst“, lacht er. Die Arbeit des Vormittags ist geschafft. Nun hat er Zeit, den neugierigen Besucher durch die Sennerei zu führen. Blaue Schutzüberzüge für meine Schuhe, und dann kann es losgehen. Stolz präsentiert er mir das Herzstück, den blitzblank glänzenden Käsefertiger, der innen mit Kupfer bezogen ist und insgesamt 13.000 Liter fasst. Diesem Gerät entnimmt

Daniel die 30 bis 32 Kilogramm schweren Käselaibe.

Aus der Presswanne werden sie am nächsten Tag in den nächsten schmutzfreien Raum gebracht, um in zwei verschiedenen Varianten ausgiebig mit Salz in Berührung zu kommen. Neben dem Schwimmsalzbad, aus dem die Laibe noch ein kleines Stück herausragen, gibt es das Tauchsalzbad, in dem sie völlig versinken. Nach drei Tagen im einen oder anderen Bad geht es ein Stockwerk tiefer in den Keller. Hier verrichtet der vierte Mitarbeiter seinen Dienst, Roboter Fred. In einem zweiten Keller, von Daniel liebevoll „Schatzkammer“ genannt („Denn hier lagert bis zu zwanzig Monate alter Käse“), wird der Käse dann von Hand gesalzen.

Vor vier Jahren sind die Räumlichkeiten erneuert worden. Ein richtiger Schritt, wie Fink meint: „Ohne Renovierung wären wir auf Fremdhilfe angewiesen. So ist alles in einem Haus untergebracht. Ich sehe den Käse von der Produktion bis zum Verkauf, das ist das Schöne daran.“ Seine wichtigsten Kunden sind Rupp, Sutterlüty sowie viele kleine Marktfahrer. „Wir stehen

VON THORSTEN BAYER
Die Senner im Bregenzerwald interpretieren bei ihrer Arbeit die jahrhundertealten Techniken, aus Milch Käse zu machen, ganz unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen allen aber der hohe Qualitätsanspruch
22ALP #2
Daniel Fink arbeitet in der Sennerei Riefensberg im Bregenzerwald. Zu seinen Arbeitskollegen gehören auch Roboter
23SOMMER
Foto: Christian Kerber Auf der Alp Wildmoos der Familie Eberle gibt es zwar keine Schausennerei, man lässt Gäste auf Wunsch aber beim Sennen zusehen
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Fotos: Margit Eberle, privat

gut da“, sagt er und zeigt im Büro auf die Urkunden, die unter anderem eine Goldmedaille bei der Schwarzenberger Käseprämierung 2017 dokumentieren. So schön diese Auszeichnung ist, überbewerten möchte sie Daniel Fink nicht: „Das ist eine gute Werbung. Aber unsere Verkaufszahlen und ein fairer Milchpreis für die Bauern sind mir wichtiger.“

Im Winter ist Gebhard Eberle Tischler im Tal, doch zur Alpzeit geht er auf 1.400 Metern Seehöhe einer anderen Arbeit nach. Er bewirtschaftet mit seiner Familie die Alp Wildmoos in Bezau, unweit der Winterstaude. Dreißig Kühe liefern die Milch für Alpkäse, Butter, Topfen und Joghurt. Sogar Sig, auch „Wälder Schokolade“ oder „Alpenkaramell“ genannt, entsteht hier oben. Dabei handelt es sich um eingekochte Molke mit Butter, Rahm und Zucker. Neben den Kühen leben von Ende Mai bis Mitte September 15 Schweine, eine Ziege und einige Hühner auf der Alp. Seit dem Jahr 1953 kümmert sich die Familie Eberle darum. Damals war sie nur zu Fuß und mit dem Pferd zu erreichen. Seit 1974 ist die Zufahrt mit Allradfahrzeugen möglich. Zur Jahrtausendwende gab es endlich Strom. Der letzte große Schritt war der Umbau im Herbst 2013, als Sennerei und Stall erneuert wurden. „Die Sennerei war im Wohnbereich, neben Küche und WC. Der Stall stieß auch direkt an die Sennerei“, erzählt Gebhard Eberle. „Wir hatten keine Schmutzschleuse, keine Sennerumkleide. Die Sennerei entsprach nicht den Hygienevorschriften.“

Von der Seilbahn Bezau ist der Weg zur Alp Wildmoos nicht weit. So kommen immer wieder Wanderer vorbei. Auch wenn die Eberles keine Schausennerei haben, demonstrieren sie den Vorgang bei Nachfrage. Besonders häufig werden sie gefragt: Wohnen Sie das ganze Jahr auf der Alp? Wie lange reift der Käse bis zum Verzehr? Eine meiner Fragen an Gebhard lautet: Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen der Arbeit in einer Alp- und einer Talsennerei?

„Der Unterschied kann sein, dass alles, also Käsepressen, Ausnehmen und Pflege, Handarbeit ist“, antwortet er. „Die Milch von der eigenen Alp wird verarbeitet. Also

hat der Senner die Milchqualität selber im Blick und ist meist selber im Stall tätig.“ Eine konstante Kühlung auf eine bestimmte Temperatur ist auf der Alp nicht möglich. Die Milch lagert über Nacht in Gebsen, also Bottichen aus Holz. Wechselndes Wetter hat Temperaturschwankungen zur Folge, der Reifegrad wird somit verändert.

SENNEN FÜR DIE FEINKOSTLÄDEN IN PARIS

Sehr viel Wert auf Tradition legt Hermann Berchtold. Besonders deutlich wird das im „Rehmar Sinnhus“, der Sennerei in Au-Rehmen. „Das Beste aus Milch“ macht der sechzigjährige Berchtold dort, wie am Türschild zu lesen ist. Darunter steht „Sennerei und Feinkostladen“. Damit ist bereits das Wesentliche über Berchtolds Anspruch gesagt. Seit drei Generationen steht seine Familie für puren Käsegenuss. Dazu zählen unter anderem die Lagerung auf Holzbrettern oder im Naturkeller ohne künstliche Klimatisierung, händische Pflege ohne künstliche Zusätze und vor allem die Handschöpfung mit dem Käsetuch, der sogenannten Bleacho. Er arbeite auf „altmodische Weise“. Damit meint er zum Beispiel, dass die Bauern ihm selbst die kuhwarme Milch in die Sennerei bringen. Eine Zentrifuge zum Entrahmen

hat er nicht, keine Pumpe zum Herausnehmen des Käses. Die verwendeten Molkekulturen und der Lab aus Kälbermagen stammen aus eigener Herstellung. Beim Sennen entsteht bei ihm auch „Seagen“, die Sennsuppe. Er verarbeitet sie zu Zieger Molkekäsle, eine Art Ricotta, weiter. Mit seinem Verzicht auf Maschinen produziert er weniger Käse.

Ist sein Käse also teurer? „Jedenfalls nicht billiger“, erklärt er mit einem Lächeln. „Doch viele Menschen schätzen unsere Arbeitsweise und sind bereit, etwas mehr zu zahlen.“

Berchtold betreibt Läden in Brand, Tirol und dem Kleinwalsertal und beliefert mit seinen Käsespezialitäten Feinkostläden und den Feinkost-Großhandel. Die Orte, an denen er sich orientiert, sind Rom, Hamburg, Paris und Wien. Vor sechs Jahren kaufte er die Sennerei Au-Rehmen.

„Mir ging es darum, die Tradition weiterzuführen“, sagt er. Die wachsende Rolle der Technik sieht er kritisch. Sein Knowhow ist international gefragt. Einmal wurde er bereits in die Türkei eingeflogen, um als Berater mitzuhelfen, einen Bauernhof mit 2.500 Kühen und einer Sennerei aufzubauen.

„Mein Hobby ist Feinkost. Damit beschäftige ich mich Tag und Nacht.“ Für ein besonderes Abendessen fährt er von seinem Wohnort Schwarzenberg schon einmal an einem Tag nach Paris und wieder zurück.

25SOMMER
Anja Eberle am Käsekessel auf der Alp Wildmoos bei Bezau im Bregenzerwald

KÄSE VOM »BEFÄHIGTEN MILCHTECHNOLOGEN«

Ingo Metzler ist weit über den Bregenzerwald hinaus mit seinen Käsesorten aus Ziegen- und Kuhmilch, den Molkeprodukten und der Sennschule vor Ort in Egg bekannt. Sein ältester Sohn Manuel absolvierte vor elf Jahren die Ausbildung zum Molkereifachmann „mit ausgezeichnetem Erfolg“. Seit dem Abschluss der Meisterschule ist er „befähigter Milchtechnologe“. Früher nannte sich der Lehrgang „Meisterkurs für Molker und Käser“.

Ist die heutige Arbeit in der Käseproduktion tatsächlich so technisch, wie es der neue Name vermuten lässt? „Die Arbeit ist eine Kombination aus dem Umgang mit dem natürlichen Rohstoff Milch und moderner

Technologie. Bei uns im Betrieb werden Kuh- und Ziegenheumilchprodukte noch handwerklich hergestellt“, sagt Manuel Metzler. „Es ist sehr viel Gefühl und Erfahrung nötig, um von der Heugabel bis zur Besteckgabel Produkte in gleichbleibender und bester Qualität herzustellen.“

Das Interesse an diesem Prozess ist groß, wie die Metzlers an der Nachfrage nach ihrer Sennschule merken: „Hier können bis zu zwanzig Personen – jeder für sich –ihre eigenen drei unterschiedlichen Käse herstellen. Viele Menschen aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten nützen dieses Angebot von Fühlen, Schmecken, Kreativität, Teambildung usw. Auch namhafte Firmen wie Blum, Zumtobel und andere nehmen unser Angebot regelmäßig in Anspruch.“

Guter Käse bedarf regionaler Milch und hingebungsvoller Pflege – auch von Robotern
26ALP #2
Einer der Roboter im Käsekeller in Lingenau im Bregenzerwald ist nach Landesrat Erich Schwärzler benannt
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Fotos: Christian Kerber, Ludwig Berchtold

SEITE AN SEITE MIT SAUSI UND OKI

Eine zentrale Rolle, damit der Käse am Ende schmeckt und sich die aufwendige Vorarbeit der Sennen auszahlt, spielt die Pflege und Reifung der Laibe. Hierbei ist der Bregenzerwälder Käsekeller von besonderer Bedeutung. In Lingenau können rund 33.000 Laibe reifen. Im Dezember 2017 kam ein weiterer Keller in Hard mit rund 8.000 Plätzen dazu. An diesen beiden Standorten sind sieben spezielle Mitarbeiter aktiv: Sausi, Erich, Johannes, Markus, Oki, Ecke und Wolfgang. Sie haben ein beeindruckendes Pensum zu absolvieren: Jede Stunde pflegen sie rund 120 Käselaibe – und das 22 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Doch sie schaffen die Arbeit spielend und ohne zu klagen. Denn es handelt sich bei ihnen um Roboter.

Sie sind nach wichtigen Persönlichkeiten rund um den Käsekeller benannt: darunter Politiker wie der frühere und aktuelle Landeshauptmann (Sausi und Markus), ein Landesrat (Erich Schwärzler), der Architekt des Käsekellers Oskar Leo Kaufmann, der langjährige Rupp-Mitarbeiter Wolfgang Alge sowie der Kirchenpatron der Kirche Lingenau Johannes. Nur Ecke hat keine reale Person zum Vorbild, sondern eckigen Käse. Um runde Laibe kann er sich aber ebenso kümmern.

Sechs Roboter sind nur für die Pflege zuständig, einer für die Ein- und Auslagerung. „Unsere Maschinen sind mit die größten Roboter für Bergkäsepflege“, erläutert Ulrich Gärtner, Geschäftsführer der Bregenzerwälder Käsekeller GmbH. Der Anschaffungspreis für einen Roboter liege bei einem Richtwert von 240.000 Euro.

„Wir verwenden zur Pflege nur Trinkwasser und Kochsalz“, sagt Gärtner, „die notwendigen Kulturen kommen bereits von den Salzbädern der Sennereien und unserer eigenen ‚Hausflora‘ durch die Luft des Reifekellers mit.“ Acht Menschen sind in Lingenau beschäftigt, die Arbeit von Mensch und Maschine greift ineinander. Das selbst entwickelte „Store Manage-

ment System“, kurz SMS, erleichtert die Abwicklung und Dokumentation. Viele Abläufe sind komplett automatisiert. „Durch unser System werden die Käse bei der Anlieferung bzw. Einlagerung nicht von Menschen berührt. Somit können wir Infektionen ausschließen“, sagt Gärtner. Mitarbeiter vor Ort reinigen, kontrolliert durch den Käsemeister, den Roboter und tauschen die Bürsten für unterschiedliche Reifestadien der Käsesorten.

Wie immer die Bregenzerwälder Sennen ihren Käse zubereiten, wichtig ist ihre individuelle Arbeit für einen wirklich einzigartigen Geschmack. Der und höchstmögliche Qualität sind das Ziel auf dem langen Weg vom Melken der Kuh bis zum Verzehr des fertigen Käses.

KÄSE IM BREGENZERWALD

Über hundert Melkalpen beliefern zwanzig Talsennereien, hinzu kommen die Alpsennereien. 1.300 bäuerliche Betriebe liefern die Milch, um jedes Jahr 4.500 Tonnen Käse zu produzieren. Über die Hälfte wird zu Emmentaler verarbeitet, dazu entstehen 1.600 Tonnen Alp- und Bergkäse.

Der Rest ist Schnittkäse, Frisch-, Weich- und Schimmelkäse in allen Variationen.

Im Käsekeller in Lingenau pflegen sechs Roboter die Laibe Foto: Ludwig Berchtold
28ALP #2

Die Milch wird durch den Zusatz von Lab, einem natürlichen Enzym aus Kälbermägen, zum Gerinnen gebracht. In der Fachsprache heißt dieser Vorgang »Dicklegen«. Es entsteht die sogenannte »Dickete« oder »Gallerte«.

2 Mit der »Harfe« in gleichmäßigen »Käsebruch« geschnitten, wird dieser mit einer meist schwenkbaren Holzfeuerung auf 52 Grad Celsius erhitzt. Ein Rührwerk verhindert während dieser Erwärmungsphase das Absitzen der Bruchmasse. Je feiner der Käsebruch zerkleinert wird, desto mehr Molke setzt sich ab und umso härter wird der fertige Käse. Für Weichkäse benötigt man also größere Bruchkörner als für Schnittkäse.

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Bis zum Verkauf muss der Käse regelmäßig gepflegt werden – entweder von Hand oder mithilfe von Robotern.

KÄSEHERSTELLUNG SCHRITT FÜR SCHRITT

Nach zwanzig Stunden wird er aus der Form genommen und mehrere Tage lang in einer »Sole« gewürzt und anschließend in Holzregalen im Käsekeller gelagert. Durch seinen Fettgehalt von mindestens 45 Prozent und die Beimengung von Salz wird der Käse ohne Beigabe chemischer Behelfe konserviert.

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Ist die entsprechende Temperatur erreicht, wird der Käsebruch mit Käsetüchern dem Kupferkessel entnommen und in die Rundlaibform gepresst.

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Nun beginnt der Reifungsprozess.

Damit die Restmolke aus dem Käselaib entweichen kann, muss der Laib in Handarbeit mehrmals gewendet und gepresst werden.

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29SOMMER

ÄLPLER

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Imelda Geser hat mit ihrem Mann Jakob im Jahr 2013 die Alp Andlis-Brongen bewirtschaftet
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Fotos: Georg Alfare Jakob Geser hat als Senn im Sommer 2013 zum letzten Mal Käse auf der Alp Andlis-Brongen gemacht
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Carina Kraus hat im Sommer 2013 einen Monat lang ihrem Cousin, dem Senn auf der Alp Gamp, als Wirtschafterin ausgeholfen. Mit dabei die damals sechs Monate alte Lotta
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Günter Nigsch sennt im Sommer auf der Alp Ober-Überlud Fotos: Georg Alfare

SAGENHAFTES AUF DER ALP

Von Alpenbützen, abergläubischen Älplern und dem Stier im Sünser See

„Wenn es im Hochsommer heftig donnert und kracht, so sagt das Volk im Bregenzerwalde, unser Herrgott führe sein Heu in den Himmelstadel ein und das Gerassel komme von den über die Bretter kollernden Rädern des Heuwagens her.“ Diese recht bäuerliche Deutung des meteorologischen Phänomens findet sich in der 1953 vom Volkskundler Richard Beitl herausgegebenen Sammlung „Im Sagenwald“. Neben solch elementaren Welt- und Naturerklärungen enthält der mündlich überlieferte Sagenfundus viele Geschichten rund um sonderbare Schauplätze oder erzählenswerte Ereignisse. Letzteres unterscheidet die Sagen von den Märchen. Denn im Gegensatz zu diesen lassen sich die volkstümlichen Erzählungen in der Regel in Raum und Zeit verorten. Die Sagen sind gleichsam an den Orten des Ge schehens verwurzelt. Im Alpenraum haben

sich viele von ihnen bis heute erhalten. In den Sagen wird Merkwürdiges gedeutet und erklärt, ob seltsam anmutende Felsformationen, markante Bäume oder mysteriöse Geschehnisse. Die Geschichten spielen bei schwer zugänglichen, geheimnisumwitterten Schluchten, in und um tiefblaue Alpseen oder auf felsigen Gipfeln. Alle rufen sie den Kundigen die sagenhaften Ereignisse wieder in Erinnerung. Ein schönes Beispiel dafür ist die Sage vom Steinriesen, der in der Nähe der Alp Stongerhöhe bei Andelsbuch verortet wird. Dort befinde sich ein Steinhaufen, der einem Menschen ähnle. Einst sei der Haufen ein Riese gewesen, der durch selbst verschuldeten Frevel in Stein verwandelt wurde. Wer dem Versteinerten eine Frage stelle, dem antworte er: „Nichts.“ Wer es wagt, kann noch heute den sagenhaften Riesen aufsuchen und befragen.

DER SAGENSCHATZ DER ALPEN

Etwa hundert Jahre vor Beitl machte sich der Arzt und Mundartdichter Franz Josef Vonbun (1824–1870) erstmals daran, den Sagenschatz der Vorarlberger zu retten. Bereits im Vorwort seiner „Volkssagen aus Vorarlberg“ von 1847 lobt er die bewahrende Kraft des Gebirgsvolks. Denn im Gegensatz zu den „offenen Landen“ hätten sich dort nicht nur Sprache, Recht und

Kleiderwesen, sondern auch „anmutige Erzählungen aus längst entschwundenen Zeiten“ erhalten. Die Sagen lauschte er den „Bauern, Hirten, Almerinnen und andern guten Leuten, die abseits von Straßen und Marken in Einfalt das Leben fristen“, ab. Dank des dokumentarischen Einsatzes wurden viele Sagen der flacheren Regionen für die Nachwelt bewahrt.

Wie die Märchen werden auch viele Sagen von übernatürlichen Wesen bevölkert und von geheimnisvollen Kräften durchwirkt. Wo andernorts Wichte, Zwerge, Haus, Berg- oder Waldgeister ihr Unwesen treiben, sind in Vorarlberg die „Bütze“ am Werke. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Art zählen die Alpbütze. „Sie hausen hauptsächlich den Herbst und Winter über in den Sennhütten und treiben dort ihr Unwesen, erscheinen jedoch auch in jener Zeit, wo die Knechte und das Vieh auf den Alpen sind. Wer ihnen nichts zuleide tut oder wer sie nur unfreiwillig beobachtet, hat von ihnen wenig zu fürchten; wenn man sie aber reizt, werden sie bösartig und sogar grausam.“ So beschreibt der Sagensammler Franz Josef Vonbun das Wesen der heimlichen Gesellen, die es sich bei Abwesenheit der Älpler in deren Hütten gemütlich machen. Dort

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VON JOSHUA KÖB

kochen, sieden, braten, sennen sie den ganzen Winter lang und veranstalten dabei selbstverständlich einen Heidenlärm. In den Walsergebieten Vorarlbergs erzählt man sich, dass die Alpbütze gefallene, an Berggräten und Alpen hängen gebliebene Engel seien. Das mag ihren mitunter zweideutigen, zwischen Gut und Böse changierenden Charakter erklären. Neben den Alpbützen versammeln sich unter anderem Hexen, Bergmännlein, wilde Leute, Windsbräute sowie dämonische Waldwesen, die Fenken, in den Vorarlberger Alpsagen.

der Sage nach etwa auf der Alp Schiedlen bei Schoppernau: Die Knechte erzählen sich eines Abends schaurige Geschichten über die zur Nachtzeit menschenverlassene Obere Alp und das wilde Treiben der Alpbütze. Nur einer will sich mit eigenen Augen überzeugen und muss dafür mit dem Leben bezahlen. Ohne Haut und Haar finden die anderen den „gesottenen Kuhhirten“ am nächsten Morgen tot im Kessel liegen.

Eine weitere schön-schaurige Warnung ist die sisyphusartige Geschichte vom Geist auf der Alp Hintern: Vormals war dieser ein ungeduldiger und jähzorniger Hirte, der eine unfolgsame Kuh den steilen Hang in den Tod hinabstieß. Dem Besitzer des Tieres log er vor, die Kuh sei selbst hinabgefallen. Zur ewigen Strafe muss der Senn nach seinem Tod ebendiese Kuh wieder und wieder zur steilen Stelle hinauftragen und von dort hinunterwerfen. Irgendwann erlöst zum Glück ein freundlicher Alpknecht den armen Geist durch die Begleichung des Schadens. Man merke sich: Alpknecht, bleib bei deinen Pflichten! Dank des weit verbreiteten Aberglaubens und der tiefen Gottesfurcht des Volkes dürften Mahnungen wie diese durchaus gewirkt haben.

SÜNSER STIER UND GEIST IM KUJALOCH

Jahr starb das Vieh so zahlreich wie noch nie. Die Geschichte einer ungeduldigen Sennerin erzählt die Sage vom Geist im Kujaloch. Sie spielt am Kojenkopf, dem Hausberg der Gemeinde Riefensberg. Dort befindet sich die gespenstische, etwa zehn Meter lange Tropfhöhle, in der eine Sennerin auf ewige Zeiten zu buttern verdammt ist. Zu Lebzeiten wollte sie den unschuldigen Geißbock für das nicht und nicht gelingende Butterschmalz verantwortlich machen und die Felswand hinunterwerfen. Bei dieser Hauruckaktion verhakte sich der Bock mit seinem Horn im Gewand der Sennerin und riss die böse Frau mit sich hinab. Seit diesem denkwürdigen Ereignis muss die Sennin im Kujaloch das ewige Butterfass rühren.

STÖBERN UND ENTDECKEN

Zum Abschluss ein Tipp: Der an der Universität Innsbruck lehrende Ethnologe Wolfgang Morscher sammelt gemeinsam mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Berit Mrugalska-Morscher, Sagen aus dem deutschsprachigen Raum. Im Haymon Verlag erschienen Sagenbücher aus den neun Bundesländern und Südtirol. Daneben betreiben die beiden das umfangreiche Webportal www.sagen.at.

ABERGLAUBE UND MAHNUNG

In der 1889 posthum herausgegebenen umfangreichen Sammlung von Franz Josef Vonbun findet sich eine interessante Anmerkung zur Funktion so mancher Geistersage auf der Alp. Da die meist angeworbenen Alpknechte aufgrund der Distanz zum Dorf kaum von ihren Dienstherren überwacht werden konnten, blieb ihr Tun und Treiben die meiste Zeit ihrem eigenen Gewissen überlassen. Zur Sicherheit sollten ihnen die fürchterlichen Sagen immer wieder die katastrophalen Folgen böser oder fahrlässiger Handlungen vor Augen führen. Abschreckendes begab sich

Neben den bereits erwähnten sind die Sage vom Stier im Sünser See und jene vom Geist im Kujaloch besonders erzählenswert. Über den unweit der Alp Süns gelegenen kleinen See erzählt man sich, dass darin seit alters her der Sünser Stier hause. Der eigentümliche Bulle erhebe sich aus den Tiefen und erschrecke und zerstreue das Vieh am Ufer. Schon manche Kuh sei vor lauter Furcht die Felsen hinabgestürzt. Wer das wilde Treiben des schaurigen Stiers leugnet, dem ergeht es wie einst den ungläubigen Besuchern, die den Stier mit Steinwürfen und Schimpfworten schmähten. Aus Rache erhob sich der Sünser Stier des Nachts und polterte vor der Alphütte. In allerletzter Sekunde konnten die tapferen Alphirten den brüllenden Riesen zurück ins Nass scheuchen. Doch in jenem

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Zeichnung von Werner Vogt Die Sagensammlung des Ethnologen Wolfgang Morscher und der Kunsthistorikerin Berit Mrugalska
Abb.:
Vorarlberger Landesbibliothek
36ALP #2
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Velika planina, die „Große Alp“ in Slowenien Von Irena Rosc Foto: Bojan Kolman

Wenn Ende Mai die Schneedecke schmilzt, bedeckt sich Sloweniens größte, bekannteste und historisch am besten erforschte Alp mit einem purpurfarbenen Blütenmantel aus Hunderttausenden leuchtenden Frühlingskrokussen (Crocus vernus). Den atemberaubenden Hintergrund dazu bilden die schneebedeckten Gipfel der Steiner und Sanntaler Alpen. Die Aussicht von dem nach drei Seiten hin offenen Plateau ist prächtig: Das Laibacher Becken liegt den Besuchern zu Füßen und die würzige Bergluft atmend meint man, das Blau der Adria in der Ferne zu erahnen.

Die Velika planina, zu Deutsch Große Alp, ist eine Karstfläche mit Besonderheiten wie Dolinen, also Abgründen und Höhlen. Nahe der höchsten Erhebung der Alp, dem Gradišče mit 1.668 Metern Höhe, befinden sich die beiden größten Höhlen, die kleine und die große Vetrnica. Beinahe fünfzig Meter tief, bilden diese Höhlen auch im Sommer ein gutes und sicheres Schneereservoir zur Wassergewinnung. Wasser ist auf dem nur mit einer dünnen Erdschicht

bedeckten Kalkgestein besonders kostbar. Jahrhundertelang haben Hirten Schnee aus den Höhlen auf ihrem Rücken zu den Hütten transportiert und geschmolzen. Schnee war in den Sommermonaten die einzige sichere Trinkwasserversorgung für Mensch und Tier.

SCHON URMENSCHEN DEN ALPSOMMER VERBRACHTEN

„Velika planina“ ist der Sammelbegriff für mehrere kleine Alpen. Archäologische Funde eines Bronzebeiles und verschiedener Keramikscherben lassen auf urzeitliche menschliche Nutzung des Gebietes schließen. Die ältesten Funde einer menschlichen Behausung auf der Alp reichen weit ins 16. Jahrhundert. Der ovalförmige Grundriss einer Hütte von damals blieb bei den zeltartigen, schindelgedeckten Hirtenhütten durch die Jahrhunderte bis zum Zweiten Weltkrieg erhalten. Im letzten Kriegswinter 1944/45

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»Velika planina« bedeutet »Große Alp«.
Von ihr aus glaubt man, die Adria erkennen zu können. Ein Blick auf die slowenische Alp und ihre Geschichte
Foto: Bojan Kolman Die Hirtenhütten wurden im Lauf ihrer jahrhundertealten Geschichte zweimal niedergebrannt

wurde die einzigartige Hirtensiedlung aus 122 Hütten und einer nach Plänen von Jože Plečnik, dem wichtigsten slowenischen Architekten, errichteten Kapelle von den nationalsozialistischen Besatzern und ihren einheimischen Helfern niedergebrannt. Nur zwei Hütten überdauerten unter der Schneedecke.

Ein gewaltsames Niederbrennen von Hirtenhütten fand schon einmal statt, vierhundert Jahre früher. Es folgte ein vierzig Jahre lang dauernder Streit um die Weiderechte. Diesem Streit verdanken wir die ältesten schriftlichen Dokumente über die Alp. Dabei handelt es sich um Gerichtsakten aus dem Jahr 1539, in dem die Alp „gross ross albenn“, also „große Ross-Alp“, genannt wird. Rösser waren das wichtigste Transportmittel in das unterhalb der Alp gelegene Kamnik (dt. Stein). Die Stadt war durch Jahrhunderte eines der wichtigsten Handelszentren des Herzogtums Krain. Als die Alp in den Besitz der Habsburger kam, entstand die erste und genaueste Dokumentation des Gebietes. Auf der 1787 erstellten Militärkarte der ÖsterreichUngarischen Monarchie sind die Velika und die Mala planina schon eingezeichnet. Zur Zeit Napoleons und nach dem Friedensabkommen von Wien 1809 verlief auf dem Gebiet der Velika planina die Grenze zwischen Österreich und Frankreich.

Rechte an der Weide auf der Velika planina wurden von vielen Bauern geteilt. Im Kataster des Kaisers Franz von 1830 wurde erstmals die Anzahl der Tiere auf den Weiden der Velika planina dokumentiert: 182 Pferde, 1.507 Rinder, 1.136 Schafe, 500Schweine. Zusammen 3.300 Tiere aus dem Besitz von 333 Bauern. Im Kaiserlich-königlichen Register von 1908 werden 176 weidebegünstigte Bauern aus zwanzig Ortschaften angeführt. Diese Zahl hält sich bis heute. Die Rechte, auf der Velika planina zu weiden, sind streng geregelt und an den jeweiligen Bauernhof gebunden. Sie können nicht verkauft oder geteilt werden. Der Auftrieb der Tiere am Tag der Hl. Peter und Paul am 29. Juni und der Abtrieb am 8. September waren bis zum Zusammenbruch der Monarchie streng vorgeschrieben.

Heute empfängt die Besucher eine samtig-grüne Rasenfläche mit scheinbar unzähligen, in Gruppen gegliederten Holzhäuschen. Die Hirtenhütten, slowenisch „Bajte“, hocken auf dem Plateau „wie eine Schar silbergrauer Vögel, die sich auf der Grasnarbe zur Ruhe niedergelassen haben“, meinte der 2006 verstorbene Vlasto Kopač. Diesem Architekten, Zeichner, Alpinisten, Naturschützer und Sammler verdankt die Alp ihren ganz in der Tradition der letzten Jahrhunderte gehaltenen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Kopač war Widerstandskämpfer gegen die Faschisten und überlebte seine Internierung im Konzentrationslager Dachau.

In den „Dachauer“ Scheinprozessen in Jugoslawien, das gerade mit Stalin gebrochen hatte (wer ein Konzentrationslager überlebte, wurde generell der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt), wurde Kopač zunächst zum Tod und dann zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Begnadigung widmete er sich seinem großen Lebenswerk, die geliebte Alp Velika planina wieder aufzubauen und für die Zukunft zu erhalten. Ohne Kopač gäbe es die Schönheit der Velika planina heute nicht mehr.

Ende der 1950er Jahre kümmerten sich im jungen Jugoslawien sogenannte „Bauernreferenten“ um die Zukunft der Alp. Ihr großer Plan sah vor, alle von den Hirten wiedererrichteten Hütten abzureißen und endlich moderne Gemeinschaftsstallungen auf der Alp durchzusetzen. Das wollten die Hirten nicht und drohten, diesmal ihre Hütten selbst anzuzünden.

Architekt Vlasto Kopač, damals Referent für Denkmalschutz, erarbeitete einen urbanistischen sowie einen NaturschutzGesamtplan für die Alp. Damit sicherte er den Weideteil der Alp vor dem Zugriff wilder Verbauung und bewahrte die einzigartige Alparchitektur der Hirtenhütten. Anfang der 1960er Jahre wurde eine Seilbahn auf die Alp gebaut. Für die immer intensivere touristische Nutzung benötigte man Unterkünfte. Kopač plante auf der nordwestlichen Seite der Alp eine Feriensiedlung mit sechzig Hütten, für die er fünf Prototypen eines Ferienhauses in Stil, Material und Ausführung der Hirtenbehausungen entwarf. Er war davon überzeugt, dass der Typus dieser Hirtenhütten ein Erbe aus vorslawischen Zeiten dar-

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Foto: Bojan Kolman
TOURISTISCHE ERSCHLIESSUNG DER
Die Kapelle auf der Alp entstand nach Plänen des bedeutenden slowenischen Architekten Jože Ple
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stellt. Die ersten „Touristen“ und Liebhaber der Alp mieteten schon ab 1930 im Winter die Hirtenhütten, die Bajte (damals ohne sanitäre Anlagen und ohne Fenster), und nennen sich noch heute stolz „bajtarji“. Unter Kopačs Aufsicht wurde 1988 auch das niedergebrannte Kirchlein seines Lehrers Jože Plečnik wiedererrichtet. Vor der Kirche geht es beim Hirtenkirchtag mit feierlichem Gottesdienst im August recht ausgelassen zu. Umso besinnlicher ist es dort am Heiligen Abend bei der Mitternachtsmette und dem Fackelzug über die verschneite Alp. Eine der Hütten, die Preskarjeva bajta, ist in dem Zustand erhalten wie die Hütten vor dem Krieg. Sie ist heute ein Minimuseum, in dem man eine Ahnung von der starken Bindung zwischen einem Hirten und seinen Tieren bekommt, die durch Jahrhunderte das Überleben der Menschen sicherten.

DIE KARGEN BEHAUSUNGEN DER HIRTEN UND DER SAURE KÄSE

Karg hatte es so ein Hirte ehemals in seiner Behausung. Die Schlafstätte war mit Heu ausgestattet. In einem hölzernen Schaffel mit Stoppel befand sich Schnee, den der Hirte mittels Buckelkorb herbeigeschafft hatte – sein Wasservorrat.

Seitlich vom Eingang befand sich die offene Feuerstelle, die einzige Lichtquelle

bei Dunkelheit. Die offene Feuerstelle war Koch- und Wärmequelle, um nach Regen oder Schnee das karge Gewand zu trocknen und um sich zu wärmen. Wärme kam auch von den Tieren, die, vor Wölfen und Bären geschützt, unter demselben Dach wie der Hirte untergebracht waren. Der Rauch entwich durch die Zwischenräume der Schindeln oder bei Tag durch die offene Türe. Tische und Stühle gab es in der fensterlosen Bajta nicht. Gegessen wurde mit dem selbst geschnitzten Holzlöffel, die Schüssel hielt man auf den Knien. Behältnisse aus Holz oder Keramik dienten zum Säuern der Milch und zum Käsen. Ein schmales hölzernes Butterfass komplettierte die karge Ausstattung.

Oberhalb der Feuerstelle trocknete der kleine, „saure“, Trnič genannte Käse. Seine archaische Herstellung mit den Händen lässt vermuten, dass seine Wurzeln im Frühmittelalter liegen, wenn nicht sogar in der Antike. Der Trnic ist zwiebelförmig, stark gesalzen und wird mit Pisava-Stäben verziert. Pisava sind aus Holz geschnitzte Siegel oder Stempel mit Symbolen und Ornamenten, die man in den noch weichen, frischen Käse einprägt. Die Trniči wurden im Buchenrauch über der Feuerstelle in der Bajta geräuchert und so haltbar gemacht. Hergestellt wurde immer ein gleiches Paar.

Die Käseproduktion auf der Velika planina war immer schon sehr einfach und

gering. Die Tiere wurden nicht wegen der Käseproduktion auf die Alp gebracht, außerdem ist die Weidesaison kurz. Die vielen verschiedenen Tierrassen auf der Alp ermöglichten keine große Käseproduktion. Historiker vermuten, dass Slawen wie schon zuvor die Kelten zur Zeit ihrer Ansiedelung in den Alpen nur aus saurer Milch hergestellten Weichkäse kannten. Dass es in der Gegend nie zu einer bedeutenden Käseproduktion kam, liegt auch an der Wanderweidewirtschaft. Die Hirten hatten eine „Basishütte“, trieben ihre Tiere aber über die Baumgrenze und übernachteten in Höhlen oder selbst errichteten Notunterkünften. Bei dieser Wanderweidewirtschaft fehlten Geräte zur Produktion und eine Stelle zur Aufbewahrung des Käses.

40ALP #2
Die Hütten vermitteln heute noch die starke Bindung zwischen dem Hirten und seinen Tieren Trnic heißt der Käse, der hier hergestellt wird Foto: David Lotric Foto: Bojan Kolman

ENDLICH SÜSSER KÄSE, HIRTINNEN UND SCHNITZERINNEN

Auf der Velika planina wurde Käse auf einfachste Art produziert. Die Rohmilch kam in eine Tonschüssel, dann wurde die sich absetzende Sahne zur Buttergewinnung abgeschöpft. Den Rest kochte man fünf Stunden und gewann daraus einen gesalzenen Magerkäse. Als Untertanen hatten die Bauern das Beste an die adelige Herrschaft oder Kirche abzuliefern. Jeder, der seine Tiere auf die Alp brachte, musste an die Herrschaft in Kamnik streng geregelte Abgaben in Form von Käse und Milchprodukten entrichten.

„Süßer“ Hartkäse wird in diesem Gebiet erst im späten Mittelalter auf Bauernhöfen produziert, die oberhalb der Getreide­

grenze liegen. Dokumentiert sind die Käsemengen, die so ein Bauernhof an die Klöster abliefern musste: 300 Laibe „Herrenkäse“ (ein 1 bis 1,5 Kilogramm schwerer Laib) aus Kuhmilch an das Männerkloster und 300 Laibe „Nonnenkäse“ (ein 0,5 Kilogramm schwerer Laib) aus Schafmilch an das nahe Frauenkloster in Gornji grad.

Unter den Hirten gab es immer schon Frauen. Sie waren Kräuterkundige und Schnitzerinnen, mit ihrem Heilkräuterwissen heilten sie Tiere und Menschen.

Die schwarzen Beulen des gefährlichen Milzbrandes bei Paarhufern entfernten sie mit einem Zaubermesser, in dessen Klinge neun Halbmonde und neun Kreuze eingraviert waren. Eine der bekanntesten Hirtinnen war Jožefa Humar. Sie galt als eine der begabtesten Holzschnitzerinnen

von Zierstempeln für den Trnič­Käse, aber auch von Gebrauchsgegenständen, Kinderspielzeug und einer Besonderheit der Velika planina, den hölzernen Taschensonnenuhren.

Slowenien ist heute eine Republik und Mitglied der EU. Vlasto Kopač, Retter der archaischen Hirtenarchitektur auf der Velika planina, wurde 1913 noch in der Österreich­Ungarischen Monarchie geboren und starb 2006 im selbstständigen Slowenien. Er und die von ihm geliebte Alp haben im letzten Jahrhundert fünf Staatsformen erlebt. Dank seiner Weitsicht erfasst der Zauber der Alp auch viele junge Menschen, die man schon einmal ausrufen hört: „Hier ist es wie in ,Herr der Ringe‘!“

41SOMMER
Die Hirtenhütten wurden nach den Vorschlägen des Architekten und Retters der Alp Vlasto Kopač wiedererrichtet Foto: Bojan Kolman

DIE DRECKLEREI GEHT NICHT MEHR

Ein genauer Blick auf alte Fotografien verrät einem, was früher auf der Alp Mode war: Hosenträger zu langen, dunklen Wollklapphosen oder Kniebundhosen aus Stoff oder Leder. Dazu meist einfache, ungefärbte weiße Leinenhemden. An den Füßen robustes Schuhwerk, lederne Stiefel oder Holzschuhe. Ihren Oberkörper schützen die Alphirten mit einfachen Westen und Jacken vor der allmorgendlichen Kälte und den launischen Wetterkapriolen der Berghöhen. Den Kopf bedeckt häufig ein Filzhut. Pfeifen und Holzstöcke sieht man oft. Wie der Hirte präsentiert sich auch der Senn bevorzugt mit

seinem Arbeitsgerät. Er hat eine lange, helle Schürze umgebunden und hält nicht selten Käsereiutensilien wie eine Käseharfe in der Hand. Wenig verwunderlich tragen die Frauen und Mädchen meist gemusterte, karierte oder gepunktete Kleider, hin und wieder aber auch Faltenröcke oder Pluderhosen zu Blusen oder Hemden. Fast immer übergestreift: die Schürze. Statt Schmuck, Bänder oder anderem Tand ist der Melkkübel Markenzeichen der Bäuerinnen. Ihre Füße stecken in Holzschuhen oder ledernen Halbschuhen, Mädchen und Burschen sind hingegen oft barfuß abgelichtet.

42ALP #2
VON JOSHUA KÖB
Modisches auf der Alp – einst und heute

GUT DING HAT WEILE

Zu allen Zeiten kleideten sich die Älpler äußerst zweckdienlich und ohne großen Zierrat. Während im Stall und in der Sennerei moderne, schmutz- und wasserabweisende Stallbekleidung, Melkkittel und bequeme Overalls Einzug gehalten haben, unterscheidet sich der Sonntagszwirn wenig von jenem vergangener Tage. Wenn die Arbeit am Ende der Woche ruht, trägt man weiße Leinenhemden, grüne, rote oder blaue Karohemden sowie Stoffhosen und vereinzelt auch Lederhosen. „Früher war es einfach, da trug man die ganze Woche lang seine Lederhose. Das hat sich mittlerweile aber erledigt“, erzählt Josef Schwärzler von der Alp Gerisgschwend in Hittisau. In der Sennerei dominiert aus Hygienegründen weiße Kleidung. „Die Drecklerei geht nicht mehr“, befindet auch German Nigsch, der gemeinsam mit seiner Frau Anja seit 15 Jahren die Alp Oberdamüls bewirtschaftet. Ergänzt wird die moderne

Arbeitskleidung um andere nützliche Stücke wie Jeans, abgetragene T-Shirts und Funktionskleider aus Fleece oder Kunststoff. Hosenträger sind beliebt wie eh und je. Und da es im Sommer auf der Höhe nach wie vor etwas kälter werden kann, dürfen Pullover, dicke Jacken und warme Socken in keinem Kleiderschrank fehlen.

Praktisch halten es auch die Älplerinnen. Wie die Männer tragen sie für gewöhnlich Funktionskleidung: Jeans, Shorts, Karohemden, Tanktops oder alte T-Shirts und Pullover. Kopftücher sind beliebt. Sie schützen vor Hitze, bändigen die Haarpracht und bewahren vor Haaren im Käse. Bergschuhe und Holzschuhe haben an Popularität nichts eingebüßt. Allein die ledernen Stiefel wurden beinahe flächendeckend durch pflegeleichte Gummistiefel ersetzt.

Und wer im Bregenzerwald etwas auf sich hält, besitzt mehr als ein Paar der charakteristischen Holzschuhe. Die sogenannten „Hölzlar“ gibt es

in den verschiedensten Ausführungen. Am verbreitetsten sind jene mit aufgenageltem Leder und Ledersohle. Wer seine Vorliebe für Kühe, Ziegen oder Schafe ausdrücken möchte, greift auf eine der zahlreichen felligen Varianten zurück.

So wie die Arbeitskleidung hat sich auch die Instandhaltung und Pflege derselben durch moderne Errungenschaften verändert. Mittlerweile gibt es auf vielen Alpen eine Waschmaschine. Nur selten wird das Gewand noch im hölzernen Waschzuber von Hand gewaschen. Doch zum Trocknen baumeln die Hemden, Socken und Unterhosen heute wie damals an der gespannten Wäscheleine an der Sonne.

43SOMMER
Fotos: Vorarlberger Landesarchiv/Sammlungen
Risch-Lau und Benvenuti

RÜCKKEHR

DER TRACHT

Tracht liegt im Trend. Neben der als nicht besonders authentisch wahrgenommenen Massendirndlproduktion erleben seit einigen Jahren auch die originalgetreuen Trachten eine Renaissance. Ein schönes Beispiel dafür ist die Juppenwerkstatt Riefensberg. Dort versucht man, Tradition und Moderne in Einklang zu bringen. Neben den mit handwerklicher Raffinesse hergestellten plissierten Leinentrachten zeigen Ausstellungen und Veranstaltungen Vergangenheit und Gegenwart des Brauchtums. Die Juppe, die Bregenzerwälder Frauentracht, setzt sich aus Juppenrock und Kurzmieder zusammen. In ihrem Grundschnitt geht die Bregenzerwälder Juppe bis ins Mittelalter zurück. Damit zählt die Juppe zu den ältesten Trachten des Alpenraums. Richard Bilgeri ist Obmann des Heimatpflegevereins Bregenzerwald. Er kennt sich mit Trachten bestens aus. Zwölf Jahre lang war er Obmannstellvertreter der Juppenwerkstatt. Dort wird übrigens nur der Stoff hergestellt, alles andere – Bordüren, Bändel, Latz, Gürtelschnalle, Kopfbedeckung – fertigen hauptsächlich Kunsthandwerkerinnen. Daher sind an der Herstellung einer Juppe in der Regel über zehn Personen beteiligt. Für eine komplette Garnitur legt man um die 3.500 bis 8.000 Euro hin. Schließlich ist jedes Teil eine Spezialanfertigung. „Früher wurde eine Kopfbedeckung oder eine Gürtelschnalle um den Gegenwert einer Kuh gehandelt“, verrät Bilgeri. So teure Anschaffungen sind alles andere als alltäglich, weswegen

die Juppen von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Das kostbare Kleidungsstück wäre beinahe für immer verschwunden. Bis zur Gründung der Juppenwerkstatt gab es im ganzen Bregenzerwald fast zehn Jahre lang keinen Juppenfärber und damit keine Möglichkeit mehr, eine neue Glanzjuppe fertigen oder die bestehende auffrischen zu lassen.

Im Gegensatz zum Aufschwung bei der Frauentracht beschränkt sich das Tragen der schwarzen, blauen oder braunen Jacken mit Revers, der meist roten Westen über den weißen Hemden, der schwarzen Kniebundhosen und der blauen Strümpfe der Bregenzerwälder Männertracht heute vorwiegend auf Musik­ oder Trachtenvereine. „Immerhin dort, ein Glück“, wie Bilgeri bemerkt. Schon früher sei die Männertracht weit weniger präsent gewesen. Nachdem die Nationalsozialisten die Tracht verboten hatten, sei sie beinahe

komplett verschwunden. Nach dem Krieg trugen selbst die Musikkapellen überwiegend Uniformen. Dennoch waren es die Musikkapellen, welche die Männertracht in verschiedener Form wieder zum Leben erweckten. Wenngleich deren Tracht nur an die alte angelehnt und nicht unbedingt originalgetreu ist. Was dazugehört und was nicht, bleibt bis heute umstritten. Eine der Streitfragen betrifft das Tragen von Lederhosen. Ein weiterer Grund für die geringere Bedeutung der Männertracht war die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, als viele Männer außerhalb der Heimatregion Arbeit fanden. In der Ferne legten sie das traditionelle Gewand ab.

TRACHT AUF DER ALP?

Gibt es auch während des Alpsommers Gelegenheiten, sich in Schale zu werfen? Verlief der Sommer auf einer Alp ohne böse Ereignisse, werden die Kühe für den Alpabtrieb

mit bunten Bändern und den eigens dafür angefertigten Blumenkränzen, den „Maien“, geschmückt und ins Dorf getrieben. Ihre Begleiter tun es ihnen oftmals gleich und bekränzen ihre Filzhüte ebenfalls mit Blumen. Auf der Alp Oberdamüls tragen die Hirten dazu traditionell ein grünes Hemd.

Bei dieser Form des Schmucks belässt man es hierzulande meist. Ganz im Gegenteil zu den pompösen Inszenierungen des Viehscheids im Allgäu. Von solch touristisch motivierten Alpabtrieben hält Richard Bilgeri nicht viel. „Früher zog man hinunter, wenn das Gras aus oder die Kühe schwanger waren. Das verlief ganz ohne Trara und Pomp“, bemerkt er. Im Bregenzerwald sähe man bei Alpabtrieben nur selten einmal eine Juppe. Dafür trägt man sie bei festlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Taufen.

44ALP #2
Foto: Ian Ehm
45SOMMER THE CHEESE-MITES ASKED HOW THE CHEESE GOT THERE, AND WARMLY DEBATED THE MATTER; THE ORTHODOX SAID THAT IT CAME FROM THE AIR, AND THE HERETICS SAID FROM THE PLATTER. THEY ARGUED IT LONG AND THEY ARGUED IT STRONG, AND I HEAR THEY ARE ARGUING NOW; BUT OF ALL THE CHOICE SPIRITS WHO LIVED IN THE CHEESE, NOT ONE OF THEM THOUGHT OF A COW.
(Übersetzung auf Seite 83)

SCHMUGGLER AUF DER ALP

Die Geschichte der Schmuggler erzählt von Georg Sutterlüty

46ALP #2

Waren sie bloß Gesetzesbrecher oder aber die Robin Hoods des Rätikons? Über den illegalen Handel, das Schmuggeln im Grenzgebiet des Montafons und ein Schlepperwesen, das Jura Soyfer zum Verhängnis wurde

Es war bereits später Nachmittag, als ein Montafoner unbekannten Namens sich auf den Weg von Gargellen über das Schlappiner Joch in die Schweiz machte. Sein Ziel: Klosters. Er wollte ein paar Kinderschnuller kaufen. Die hatte es im Montafon damals, in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht gegeben. Seine Frau hatte ihn geschickt. Ihr Baby schrie oft und war nicht leicht zu beruhigen. So also in die Schweiz. Auf dem Weg zurück mied er das Schlappiner Joch. Zu gefährlich, er könnte von einem Grenzzollbeamten aufgehalten werden, und die Ware, die er bei sich trug, hätte verzollt werden müssen. Daher schlug er einen Umweg ein und stieg auf das Antönier Joch. Plötzlich roch er etwas: Auf der Flanke zum Joch mussten Zöllner sein. Er hatte sie nicht gesehen, aber ihren Tabakrauch wahrgenommen. Mittlerweile hatte Dämmerung eingesetzt, die Umrisse der Berge waren in der

einsetzenden Dunkelheit kaum noch zu erkennen. Der junge Montafoner beschloss, die Gefahr zu umgehen. Dann setzte er seinen Weg fort. Doch nach zwei Stunden musste er feststellen, dass sie ihm gefolgt waren. Er befand sich immer noch auf Schweizer Seite und auf freiem, steinigem Gelände. Vorsichtig tastete er sich voran, um nicht abzustürzen, und weitete seinen Umweg aus. Schließlich überwand er die Grenze dort, wo er glaubte, sicher zu sein, und kam frühmorgens zu Hause an. Große Strapazen, bei Finsternis den Gefahren der steilen Schofen ausgesetzt und gar bis Galgenul bei St. Gallenkirch abgestiegen –und alles für ein paar Kinderschnuller.

RÄUBER UND GENDARM

IN DEN BERGEN

Damals war das Montafon eine rein ländliche Gegend. Die Mehrzahl der Bevölkerung verdingte sich als Bauern, und viele

Schmuggeln war im Hochgebirge mit großen Gefahren verbunden
47SOMMER
Fotos: Vorarlberger Landesbibliothek/Sammlungen Risch-Lau, Oliver Benvenuti

Produkte, vor allem Genussmittel, galten als Mangelware. Nur wenige konnten sich den Luxus eines Autos leisten. Der Weg in die Schweiz wurde noch zu Fuß über die Berge gemeistert. Damals blühte der Schwarzhandel und ein Schmugglerwesen, das heute bei übervollen Regalen in Supermärkten, bei kilometerlangen Staus auf den Straßen und bei sich auflösenden Staatsgrenzen in Europa kaum noch nachvollziehbar ist.

Über Jahrzehnte hat das Schmuggeln im Montafon Geschichten geschrieben, Helden hervorgebracht, Menschen in den Tod stürzen lassen, Familien bereichert und Streitigkeiten hervorgerufen. List und Tricks auf der einen Seite, Strafe und Vollzug auf der anderen haben Lebensgeschichten geprägt. Heute erzählen einstige Zeitzeugen gern davon, stets mit einem Schmunzeln im Gesicht, als wäre die Zeit eine rein wildromantische, als wären die Passüberschreitungen lediglich ein Abenteuer gewesen. Es ging in erster Linie um einen Wettlauf zwischen Schmugglern und Zollbeamten und um das Ausloten von Grenzen, die nicht nur die Gesetze vorgaben, sondern vor allem die Natur der Berge.

DAS »SCHWÄRZEN«

BEGANN IM 18. JAHRHUNDERT

Die Grenze zwischen dem Montafon und dem Prättigau sowie dem Engadin in der Schweiz erstreckt sich von der Dreiländerspitze am südöstlichsten Punkt Vorarlbergs bis zu den Dreischwestern bei Frastanz/ Feldkirch. Sie ist 53 Kilometer lang. Dazwischen liegen Dutzende Pässe und Jochs der Gebirgszüge Rätikon und Silvretta, die die Täler verbinden. Ursprünglich waren Prättigau und Engadin Teil der österreichischen Herrschaft, doch um die Mitte des 17. Jahrhunderts kauften sie sich vom habsburgischen Besitz frei, um dann in die Schweizer Eidgenossenschaft eingebunden zu werden. Ab diesem Zeitpunkt bildete sich mitten im Gebirgszug eine politische Grenze, die bis heute besteht. Die Schmuggelei, auch „Schwärzen“ genannt, setzte im 18. Jahrhundert so richtig ein, als Maria Theresia und Joseph II. die Verwaltung ihres Reiches modernisierten und einen Zentralstaat installierten. Er kontrollierte wesentliche Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft. Das damals von allen Imperien praktizierte merkantilistische Wirtschaftssystem sah auch die Kontrolle der Außengrenzen vor: So wurden Binnenzölle abgebaut, die Einfuhrzölle hingegen drastisch erhöht. Im Zuge dessen wurde das Dorf Schruns zu einem Markt- und Gerichtsort erhoben und in Gargellen ein Zollhaus gebaut. Durch die Berge zog nun ein eigenes Wachpersonal, die sogenannten „Kordonsjäger“, um Ausschau nach verdächtigen Personen zu halten. Auch wurden an exponierten wie geschützten Stellen Zollhütten errichtet. Manche haben das Nagen der Zeit überstanden und können heute noch bewundert werden.

»GROSSE INDIGNATION GEGEN DIE GRENZJÄGER«

Allerdings ließ sich der Austausch zwi schen den Montafonern und den Prättigau ern nur schwer eindämmen. Schließlich war man über Jahrhunderte verbunden gewesen, den Alltag prägte ein ständiges Geben und Nehmen. Die rigorose Grenz ziehung bedeutete einen gehörigen Ein schnitt für die Bevölkerung beider Täler.

So kam es immer wieder zu Konflikten mit der Obrigkeit, die Bevölkerung fühlte sich von den Zollbeamten oft schikaniert. Diese lieferten sich zu Pfingsten 1840 gar ein Gefecht mit heimkehrenden Montafoner Heuarbeitern, die für ihre Verwandten kleine Mitbringsel aus dem Nachbartal dabeihatten. Als die Kontrollpatrouille bei ihnen nach Schmuggelware suchte, wurden die Montafoner handgreiflich. Die Grenzbeamten wiederum griffen zu ihren Waffen. Der Vorarlberger Kreishauptmann Johann Nepomuk Ebner schildert das Ereignis und berichtet: „Dieser Vorfall hat in ganz Montafon eine große Indignation gegen die Grenzjäger erregt, denen man es sehr übel nahm, dass sie scharf geschossen haben, da der Wert der Ware, die man einzuschmuggeln versuchte, wohl nur einige Gulden betragen hätte.“

48ALP #2
Buchtipp: Edith Hessenberger (Hg.): Grenzüberschreitungen. Von Schmugglern, Schleppern, Flüchtlingen, Schruns 2008

Im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich das Schwärzen zu einem wichtigen Geschäft, an dem sich Einzelne sehr bereichern konnten und das daher bald über einen hohen Organisationsgrad verfügte. Geschmuggelt wurden aus der Schweiz vor allem Genussmittel wie Kaffee, Tabak und Saccharin. Kaffee etwa war „drüben“ zeitweise um das Vierfache billiger. Die Abnehmer: begüterte Bürger wie Fabrikanten, Ärzte, Advokaten, Beamte und Kaufleute. Montafoner und Prättigauer machten gemeinsame Sache, um illegalen Geschäften nachzugehen. Ihnen fehlte es nicht an Mut, um selbst gegen staatliche Beamte vorzugehen. So berichten die „Innsbrucker Nachrichten“ am 12. Juni 1896 von einer Hetzjagd in den Bergen unter dem Titel: „Der Kampf mit den Schmugglern auf der Tilisunaalpe“.

DER KAMPF AUF

DER TILISUNA-ALP

Zwei Grenzbeamte waren bei einem Kontrollgang oberhalb der Tilisuna-Hütte bei Tschagguns auf einzelne am Boden verstreute Kaffeebohnen gestoßen. Die Spur führte sie schließlich zur Weißplatte an der Grenze, wo ein Mann, beladen mit einem Sack derselben Ware, die Flucht Richtung Schweiz ergriff. Wie sich herausstellte, hatten die Zöllner eine Gruppe bei frischer Tat ertappt. Sie stiegen zur Tilisuna-Alp ab und in die Hütte ein. Dort stöberten sie ein ganzes Lager an Kaffeebohnen auf. Der unbekannte Mann war nach St. Antönien geflüchtet, um Verstärkung zu holen. Man wollte die kostbare Fracht nicht einfach so hergeben. Die Schwärzer bewaffneten sich, erklommen den Pass

Meinrad Juen auf der Alp Zamang (vorne, 3. v. r.). Die Schmuggler hatten in der Bevölkerung großen Rückhalt Die Schmugglerlegende Meinrad Juen
49SOMMER
Fotos: Montafon Archiv

und nahmen die Alphütte unter Beschuss. Die Zollbeamten waren machtlos und mussten sich in Sicherheit bringen. Als endlich auch für ihre Seite Verstärkung eintraf, war das Lager geräumt. Gerichtliche Untersuchungen ergaben später, dass es sich bei den Schmugglern um eine Gruppe von über zehn Personen gehandelt haben muss, die meisten von ihnen Schweizer. Die genaue Zahl der an der Aktion beteiligten Montafoner konnte nicht ermittelt werden. Auch stellte sich heraus, dass angesehene Bürger Teil des gut organisierten Netzes waren, so ein umtriebiger Kaufmann aus Tschagguns, dem die Schmuggelware versprochen war.

Gemeinhin waren die Schmuggler jung und männlich. Sie verfügten über genaue Kenntnisse von Berg und Tal, waren kräftig und ausdauernd, mussten große Distanzen oft bei Nacht oder Nebel überwinden, zuweilen waghalsige Pfade einschlagen, wo sich nur noch Gämse aufhielten. Sie galten als schlau und listig und nie verlegen, sich aus aussichtsloser Lage doch noch zu befreien. Außerdem genossen sie hohes Ansehen in der Bevölkerung. Sie verkörperten den einfachen Mann, der sich gegen die ungerechte, unbarmherzige Obrigkeit auflehnt und diese wie einst Robin Hood sogar bloßstellt.

Dennoch war das Schwärzen kein rein männliches Phänomen. Es gab auch schmuggelnde Frauen, so die St. Gallenkirchnerin Romana Kehrer. In den Akten ist vermerkt, dass sie im Alter von sechzig noch aktiv war. Von Juli 1946 bis April 1949 wurde sie in einem Zollbuch zehnmal erwähnt, viermal wurde sie bei der Einfuhr von Tabak erwischt. Zeitzeugen berichten, in Haft gesessen sei sie nie lange, meist habe sie sich freikaufen können. Denn Geld habe sie genug gehabt.

DIE LEGENDE UNTER DEN SCHWÄRZERN

Zu Kehrers Förderern und Freunden zählte Meinrad Juen. Er war der bekannteste Schmuggler im Montafon, sein Name eine Legende. 1886 in St. Gallenkirch geboren und aufgewachsen, begann er schon in Jugendjahren, Waren über die Grenze zu führen. Wurde er geschnappt und ins Gefängnis gesteckt, schickte er seiner besorgten und religiösen Mutter Geld: Sie solle eine Messe für ihn lesen lassen, damit er früher aus der Zelle freikomme. Er selbst war Landwirt und Metzger, kaufte von Bauern Groß- und Kleinvieh – stets am Fiskus vorbei –, um in der Nacht das Fleisch zu verarbeiten. Dieses führte er dann in die Schweiz aus, holte im Gegenzug Kaffeebohnen, Tabak und Zucker ins Tal. Er verfügte über ein ganzes Netz an Helfern, Trägern, Schmugglern und Informanten, die ihm zuarbeiteten. So baute er sich ein kleines Handelsimperium auf. Er kontrollierte nicht nur den illegalen Handel, sondern verstand es, auch mit politischen und behördlichen Entscheidungsträgern Geschäfte zu machen und diese auf seine Seite zu bringen. Juen erlebte zwei Weltkriege und überlebte vier verschiedene politische Systeme. Keines davon vermochte es, ihm das Handwerk zu legen, auch nicht das totalitäre System des Nationalsozialismus.

SCHLEPPER UNTER DEN AUGEN DER NAZIS

Gerade in der Zeit des Nationalsozialismus erlebte eine neue Form des Schmuggelns eine Hochblüte, das Schlepperwesen. Es hatte sich um 1938 in Wien herumgesprochen, dass Meinrad Juen half, jüdische, aber auch politische Flüchtlinge in die sichere Schweiz zu bringen. Es ist ein dunkles Kapitel, worüber man heute nichts Genaues mehr weiß. Das Schlepperwesen blühte, manche Juden gerieten in falsche Hände, wurden ausgenommen,

50ALP #2

manchmal sogar an der Grenze verraten. Juen soll mindestens 42 Juden zur Flucht in die Schweiz verholfen haben. Auch hier verfügte er über ein dichtes Netz, das bis nach Charkow reichte. Doch unklar ist, ob er sich selbst dabei bereichert hat.

Jura Soyfer, ein politischer Schriftsteller, versuchte hier ebenfalls die Flucht. Er war ein bekennender Kommunist und traf, als Hitler 1938 Österreich ans Nazireich anschloss, die Entscheidung, das Land zu verlassen. Gemeinsam mit seinem Freund Hugo Ebner stieg er mit Skiern von St. Gallenkirch aus nach Gargellen auf. Kurz vor der Grenze wurden sie von einer dreiköpfigen Zollstreife aufgehalten.

Eine Sardinendose seines Freundes sollte das Schicksal des Literaten besiegeln. Sie war nämlich in Zeitungspapier eingewickelt – in eine Gewerkschaftszeitung. Das erregte den Unmut eines SS-Mannes, der den Zöllner gemeinsam mit einem SA-Mann zu begleiteten hatte. Soyfer und Ebner wurden erst im Gemeindekotter in Gargellen inhaftiert und dann nach Feldkirch überstellt. Von dort kam Jura Soyfer nach Innsbruck und in der Folge nach Dachau. Er sollte der Todesmaschinerie des Nationalsozialismus erliegen. Im September 1938 wurde er ins KZ Buchenwald überstellt und verstarb dort am 16. Februar 1939 im Alter von 26 Jahren an den Folgen von Typhus.

Foto: Vorarlberg Archiv/Sammlung Risch-Lau Foto: Montafon Archiv Aus Schmugglern wurden im Zweiten Weltkrieg auch Menschenschlepper
51SOMMER
Die Geburtsurkunde von Meinrad Juen

JULIANE

Eigentlich wollte sie Altenpflegerin werden. Doch dann verschlug es sie auf eine Alp mit fünf Hütten im Nenzinger Himmel. Heute bewirtschaftet sie ihre eigene kleine Hütte im Valorstal

MEISTERT

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DIE ALP
TEXT IRMGARD KRAMER FOTOS NINA BRÖLL
53SOMMER

Jeden Sommer verbringt Juliane auf der Alp. Sie ist eine imponierende Frau mit einer tiefen Stimme. Eine Frau, die man zum Abschied umarmt, auch wenn man sie eben erst kennengelernt hat. In ihrer Gegenwart fühlt man sich wohl. Vielleicht kommen auch deswegen so viele Gäste zu ihr. Eigentlich sei ihre Alp viel zu klein, um darüber zu schreiben, meint sie. Und im Mittelpunkt stehen möchte sie schon gar nicht. Obwohl sie das verdient hätte. Vor allem, wenn man erfahren hat, was diese Frau alles leistet und wie viel Leidenschaft in ihrer Arbeit steckt.

Um Julianes Heimat zu finden, muss man durch einen Wald fahren, eine Forststraße entlang und über eine winzige Brücke, unter der ein Gebirgsbach plätschert. Viele Kurven. Plötzlich lichtet sich der Wald. Man steht vor einem prächtigen Bauernhof, nicht weit von der Stadt entfernt und trotzdem vollkommen abgelegen. Hier wächst Juliane mit drei Geschwistern auf. Altenpflegerin will sie werden. Die Ausbildung dafür macht sie in Bregenz. Wenige Wochen vor ihrem Abschluss lernt sie Nolde, einen Fliesenleger, kennen. Die beiden verlieben sich ineinander. Als ihr Nolde mitteilt, dass er den Sommer auf einer Alp verbringen wird, muss sie so unbedingt mit, dass sie ihre Ausbildung abbricht.

VON ALP ZU ALP IM HIMMEL

Zehn Sommer verbringen Juliane und Nolde im Nenzinger Himmel. Unvergessliche Sommer. Mit zweihundert Rindern, zwei Hirtenbuben und drei Kleinkindern samt Schnullern, Windeln, Kinderwagen, Bettwäsche und Geschirr ziehen sie von Alp zu Alp im Hochgebirge. Sieben sind es insgesamt. Juliane schleppt den gesamten Hausrat mit. Hoch und immer höher. Nur einmal im Frühjahr kauft sie einen Anhänger voll Lebensmittel ein: Nudeln, Mehl und Reis in rauen Mengen. Obst, Gemüse und Brot bringt ihnen der Alpmeister hinauf.

Frühmorgens, wenn es wieder weitergeht auf die nächste Alp, trägt sie die Kinder im Pyjama aus den Betten. Jede Hütte, die sie verlässt, putzt sie, bis sie glänzt, schrubbt die Böden, wischt die Fenster und schließt die Läden. Erst dann zieht sie weiter. Oft schneit es mitten im Sommer. Als der mittlere Sohn zur Welt kommt, ist es Juni. Vom

Spital aus fährt Juliane mit dem Neugeborenen direkt auf die Alp.

Unterdessen bringt Julianes Bruder Karl zuhause im elterlichen Bauernhof das Heu ein. Der Vater stirbt früh. Eines Tages bricht im Hühnerstall Feuer aus. Der 200 Jahre alte Hof der Eltern brennt bis auf die Grundmauern nieder. „Ihr lasst mich doch nicht im Stich!“, fleht die Mutter. Der Hof wird neu aufgebaut und Juliane Bäuerin. Die Zeiten im Nenzinger Himmel sind vorbei. Nolde macht sich als Fliesenleger im Unterland selbstständig. Das Alpleben können sie trotzdem nicht lassen. Juliane pachtet nicht weit vom heimischen Hof entfernt auf etwa tausend Metern Seehöhe eine kleine Alphütte –einen umgebauten Stall und alles andere als komfortabel. Der Umzug auf die Alp wird zum Ereignis. All ihre Tiere müssen mit: Hühner, Hasen, Schweine, Mutterkühe, Kälber, ein Stier und zwei ausgeliehene Kühe, deren Milch Juliane täglich zu Frischkäse verarbeitet. Zwei Anhänger reichen kaum aus, um auch Julianes Kräuter in Töpfen auf die Alp zu transportieren. Vom Edelweiß bis zu Kornblumen: Es blüht und duftet in jeder Ecke.

Im Frühling trocknet sie Veilchen, um sie mit vielen anderen Kräutern, frischen Zwiebeln und Kernöl auf Frischkäse zu servieren. Jeden Tag bäckt sie Kuchen und Brot. Im Holzofen. Strom gibt es keinen. Eine kleine Solarplatte reicht für Licht, Mixer und Radio. Zum Melken gibt es ein Stromaggregat. Daran hängt sie auch manchmal den Staubsauger und selten den Haarföhn, der sehr viel Strom braucht Ein Raum dient als Küche, eine Kammer zum Schlafen. Nicht mehr als eine Koje für die Kinder, die der Reihe nach aus dem Nest fallen und erwachsen werden. Bei gutem Wetter sitzen die Gäste draußen. Wenn es regnet, zwängen sie sich in der Küche um einen Tisch und sehen Juliane bei der Arbeit zu: Wie sie eine Haussulz mariniert, eine Brettljause richtet oder einen Parasolpilz paniert, den sie im Wald gefunden hat. Die Kühlung der Getränke funktioniert in heißen Sommern schlecht – der alte Keller ist zu warm. Daher hält eine Campingtruhe mit Gaspatrone den Weißwein kalt.

DAUERND GÄSTE

AUF DER ALP

Am Abend kommt Nolde von seiner Arbeit herauf. Er bringt Einkäufe mit und melkt, während sich Juliane um die Gäste kümmert. Nolde bleibt über Nacht,

54ALP #2

verlässt jedoch sehr früh die Alp, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein. Juliane bleibt den ganzen Sommer oben. Nur montags fährt sie nach Hause, um dort den Haushalt für ihre zwei Söhne und ihren Mann zu erledigen. Sie schaut nach ihrer Mutter. Wäscht bergeweise dreckige Socken. Putzt die Küche. Staubsaugt, wischt und schuftet. Um dann abends wieder auf die Alp zu fahren.

Manchmal wünscht sie sich einen, nur einen, Abend im Sommer, an dem sie ungestört mit Nolde auf der Bank sitzen und in den Sonnenuntergang schauen kann. Das ist fast nicht möglich. Die Gäste bleiben lang. Biker kommen oft erst spätabends. Weil es bei Juliane so gemütlich und urig ist. Auf der Alp bekommt sie zu wenig Schlaf. Obwohl sie nirgends so gut schläft wie dort.

SELTENE RINDER, WILDE STIERE, EIGENES FLEISCH

Im Winter und an Sonntagen, wenn andere Ski fahren, schauen sich Juliane und Nolde vom Aussterben bedrohte Zuchtstiere an. Sie halten hoch gefährdete Arten wie Tux-Zillertaler und Pustertaler Sprinzen. Diese Rinder dürfen, anders als heute vielfach üblich, ihre Hörner behalten. Außerdem werden sie biologisch ernährt.

Das ist Juliane sehr wichtig. Wichtiger als das Geld. Von ihrer Art der Landwirtschaft könnte sie ohnehin nicht leben. Stiere sind oft übermütig. Das kann zu Unfällen führen. So brach sich Tassilo, laut Tierarzt der beeindruckendste Stier, den er je gesehen hat, auf der Weide das Rückgrat. Im Übermut hatte er eine Kuh decken wollen und war dabei unglücklich gestürzt. Große Trauer in der Familie. Schließlich betreibt Nolde die Aufzucht seiner wenigen Tiere akribisch und voller Leidenschaft. Geschlachtet wird auch. Das hauseigene Fleisch verarbeitet der Metzger zu Landjägern und Kaminwurzen – diese Arbeit wird bald der jüngste Sohn, selbst Metzgerlehrling, übernehmen. Um den Speck kümmert sich Juliane selbst: einpökeln, in die Räucherkammer am Hof hängen, vakuumieren und lagern – im Keller steht ein Kühlschrank mit hauseigenen Produkten nur für die Alp. Dazu gehören auch Saft und Marmelade, liebevoll eingekocht. Während der Wintermonate reifen neue Ideen. Nolde wird auf der Alp eine neue Dusche bauen. So hegt jeder seine Pläne. Aus Vorfreude auf den nächsten Sommer.

55SOMMER
Fotos: Nina Bröll Fotografie/Lichthandwerk.at

Natters Alpträume

ENTKRAMPFTE WELTANSCHAUUNG

Der Philosoph Peter Natter begibt sich auf eine Alp, um dort zu träumen. Diesmal: die Alp

Unterer Hirschberg

Des Alpträumers Sommer ist angebrochen. Die Hochsaison beginnt. Jetzt aber aufwachen, möchte man ihm zurufen. Zum Träumen nämlich lässt der Alpsommer definitiv nicht viel, eigentlich gar keine Zeit. Aber was heißt schon träumen, was sind schon Träume?

Fragt man die einen, handelt es sich dabei um Blödsinn, nicht der Rede wert. Fragt man die andern, geht es um wichtige Arbeit: Seelen-, Traum- und Wortarbeit. Mir sind die andern lieber, die mit der Arbeit, ausnahmsweise, die Aufarbeiter.

Von Natur aus ist der Mensch nämlich ein Faulpelz, sagt ausgerechnet der Traumexperte Nummer eins, Sigmund Freud (1856–1939). Er spricht dem Menschen sogar eine Art von gesunder, artgerechter Arbeitsscheu zu. Das hätte ich bei ihm gar nicht vermutet, dem Herrn Freud. Allerdings: Wie weit es so eine von Natur aus träge, dem Lustprinzip mit starkem Hang zur Bequemlichkeit unterworfene Kreatur bringen kann, wenn sie sich den Anforderungen der sozialen und materiellen Realität ein vernünftiges Stückchen weit

beugt, hat Freud, der große Freud, dann selbst auf überzeugende Weise vorexerziert. Sie, die Kreatur, kann es etwa zu einer fast zwanzigbändigen Ausgabe gesammelter Werke, gegen vielfältige Widerstände, neben aller ärztlichen, psychoanalytischen, forschenden und publizierenden Arbeit plus vielköpfiger Familie und zahlreichen Reisen als Sammler und Beschauer der Welt bringen. Was das mit unserer Sennalp zu tun hat? Ja was?

Auch sie ist ein Ort, an dem enorme Arbeit, echte Kulturarbeit im Freud’schen Sinn geleistet wird. Hier wird hart gearbeitet, jedoch nicht um der Arbeit, sondern um der Sache willen. Die Sache ist in erster Linie der Käse, plus einige nicht minder bedeutende Nebensachen. Die Alp ist für Älpler im Sommer primär kein Ort zum Träumen.

So bin ich heute, an einem milden, strahlend schönen Tag im Frühsommer auf die Untere Hirschbergalp heraufgewandert, mit einem Tag Vorsprung aufs Vieh. So viel Vorsprung vor den Tieren soll dem

Menschen allemal eingeräumt werden, das steht ihm zu, nicht nur als Krone, auch als Bedürftigem der Schöpfung. Ein erster Blick auf die Alphütte, die hinter einer Biegung des Weges links unten auftaucht. Von oben schaut es immer eher kuschelig aus, niedlich fast. Auf den zweiten Blick dann, Aug’ in Aug’ quasi, hat mich die Hütte zwar etwas enttäuscht. Das war dennoch die zweite positive Überraschung an diesem Tag.

Die erste lieferte mir der wunderbare Wald, durch den ich von der Schnepfegg heraufgestapft bin, auf festem Fahrweg, wie ihn schwere Traktoren und große SUV gern mögen. Was für ein wunderbarer Wald! Ein Mischwald aus Weiß- und Rottannen und Laubgehölzen, Buchen waren dabei und Ahörner, so viel kenne ich wenigstens. Aber was für Bäume! Gut und gern dreißig Meter hohe, kerzengerade, mächtige Stämme, wahre Riesen, und dazwischen ganz viel Platz für bemoostes Gestein. Dazu noch die Sonne, die sich in all dem Grün tummelt, spiegelt, spielt. Soll ich noch von den Ausblicken reden,

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Foto: Georg Alfare

die sich darbieten? Sicher: hinüber zur Kanisfluh und ihren imposanten Wänden, zum Enge-Vorsäß, dem mit Fug und Recht heiß umkämpften, hinein nach Au, wo trotzig das Kirchlein steht, weit nach Osten, in die Berge dahinter mit den noch weißen Gipfeln, und nach Westen zu über Berg und Tal, Stock und Stein. Da geht dir das Herz auf!

Also die Hütte. Sie ist ein denkbar krasser Gegensatz zu jenem kompromisslosen Betonquader, der mir auf halbem Weg begegnet ist, am Waldrand prangend, mit kolossalem 180-Grad-Ausguck, die Ferienhütte eines Tischlers, schräg, nein: quadratisch durchdesignt vom mondänen Profi. Das ist auch eine Möglichkeit, eine Variante, hochkultiviert, könnte man sagen: oder eben dialektisch explodierte Bau- und Siedlungsgeschichte. Ich gehe einmal rundum, spähe ins Innere und lasse das Ganze dann stehen, genauer: Ich lasse es links liegen. Jetzt aber die Alphütte: Total archaisch, als gäbe es keine EU und keine Architekten, keine Ästhetik und kein zusammendigitalisiertes Wirtschaften.

Ein immenses Blockhaus aus uralten, wettergegerbten Stämmen, gut und gern 150 Jahre alt, schätze ich. In den beiden links und rechts des Wohnteils befindlichen Ställen ein Boden aus rohen Brettern, dicken, astigen, breiten Trümmern von Balken, blitzsauber. Da wird es den Kühen gefallen. Hoffentlich haben sie Hörner, denke ich. Denn dann sind sie schöner und wehrhafter, richtiger, möchte ich sagen. Auf den Wiesen rundum müssen sie nämlich auch ihr Tier stellen, da geht es steil hinauf und jach hinab und Steine liegen immer noch zuhauf herum.

Da stehe ich also, setze den Rucksack ab, sage schön grüß Gott zum Alppersonal, weise mich aus als schreibender Gast und schaue mich gründlich um. Ist das hier nun die Natur, von der alle so gern schwärmen oder vor der sie sich so sehr fürchten? Oder ist es Kultur? Kulturlandschaft? Agrikultur? Die wäre ja, historisch und etymologisch betrachtet, der Ausgangspunkt und der Anfang aller Umwege, sobald es nicht mehr darum geht, von der Hand direkt in den Mund zu leben.

Ja: der Anfang muss überwunden werden. Die Schwierigkeit und Aufgabe, die schwierige Aufgabe liegt dann darin, ihn, den Anfang, nie aus den Augen zu verlieren. Hand, Mund, Auge, auch jenes Auge, das mitisst: Da sind sie schon fast beisammen, aufgereiht, die sinnstiftenden Sinne. Nase und Ohren noch, die aber eh den Vorteil gewisser Teilautonomie bzw. Nichtverschließbarkeit haben.

Natur und Kultur: Die Kultur ist als höhere Natur nicht das vom Menschen planmäßig Gesetzte, sagt der alte Herder (Johann Gottlieb, 1744–1803, von den schönen frommen Vornamen her könnte er auch ein Wälder sein, oder?). Wer sich auf das Selbersetzen, Selbermachen, Selberwissen kapriziert, gerät schnell in Bedrängnis und Hybrisgefahr. Mit dem Machen ist leicht anzufangen: Aber wo aufhören? Es scheint mir nur noch so zu wimmeln vor lauter Zauberlehrlingen: „Und nun komm, du alter Besen … Nun erfülle meinen Willen!“

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Soll ich von den Ausblicken reden, die sich darbieten? Sicher: hinüber zur Kanisfluh und ihren imposanten Wänden …

Ja, der Anfang muss überwunden werden. Die Schwierigkeit und Aufgabe, die schwierige Aufgabe liegt dann darin, ihn, den Anfang, nie aus den Augen zu verlieren

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Fotos: Georg Alfare

Kein Wunder, dass alle gestresst sind bis ins Mark, während sich hier heroben eine himmlische Ruhe breitmacht, und zwar in mir ebenso wie um mich herum

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Fotos: Georg Alfare

Wann sollen wir es genug, wann sollen wir es gut sein lassen? Wenn die Not so groß ist, dass sie niemand mehr einzugestehen vermag, ist es zu spät. Dann muss der Herr und Meister wieder her, was bekanntlich auch eine zweischneidige Angelegenheit ist.

In diesem Sinne könnte es eine der großen, weithin unterschätzten Leistungen des biblischen Schöpfergottes gewesen sein, ein Einsehen gehabt zu haben, die Hände in den Schoß gelegt zu haben: „Und Gott sah, dass es gut war.“ (1 Mose25) Die Kultur ist als solche, wo es einem ernst ist mit sich selbst, ist das in der Geschichte der Menschheit Gewachsene, nicht mehr und nicht weniger. In der Kultur dreht sich die Welt nicht in erster Linie ums Individuum, sondern um Völker oder gleich die Menschheit insgesamt, zumindest sieht das Herder so.

Was wiederum gut ins Älplerdasein passt, und das sicher nicht der Herde wegen, die morgen angestapft kommt, sondern gerade auch in der Gegenläufig-

keit zur zeitgeistigen Vereinzelung, wo jeder auf Teufel komm raus etwas ganz Besonderes, Eigenes, Einzigartiges sein will. Kein Wunder, dass sie alle gestresst sind bis ins Mark, während sich hier heroben eine himmlische Ruhe breitmacht, und zwar in mir ebenso wie um mich herum. Es dürfte bereits klar sein: Mit Kultur als Hobby, Ausgleich zum Beruf oder Zeitvertreib hat all das nichts zu tun, eher noch mit dem oben erwähnten lieben Gott, oder mit dem schon im ersten Heft angedeuteten transzendentalen Aspekt des Älplerischen. Um Kultur geht es dann ab morgen im Herzstück der Alphütte, in der Sennküche, ganz konkret, weil Kultur immer konkret ist. Im vorliegenden Fall spreche ich von Käsekultur, ohne die beim Naturprodukt Bergkäse nichts zu machen ist, genauer von Käsekulturen. Schon daraus ist allerhand zu lernen: Es gibt die Kultur auch in der und für die Mehrzahl, selbst wenn nicht wenige einen elitären Besitz- und Herrschaftsanspruch auf sie anmelden: Kulturmanager und -veranstalter zum Beispiel, die, bei Lichte besehen, reichlich kuriose Phänomene sind.

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Was das Wirtschaften auf der Alp auszeichnet, ist die zumindest teilweise Aufhebung der in den Tälern, Städten, Metropolen wirksamen Selbstzerstörungstendenzen der Handelnden

Kultur in Dosen. Dose auf, Dose zu, haltbar bis 2024. Das gefällt den Machern, ist aber Käse. Mir gefällt die dosierte Kultur nicht so gut.

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Fotos: Georg Alfare

Es gibt kein Monopol auf Kultur und mittels Kultur kein Monopol auf irgendwas. Kultur ist viel, viel mehr als ein schicker Theaterabend oder eine aufgeblasene Buchmesse. Kultur ist konkret, sie ist praktisch, sie wirkt nach ihren eigenen Gesetzen und sie hat einen Namen, z. B. MT 0.92 FET, das ist etwa eine Schnitt-/ Hartkäse-Kultur, die man kaufen kann, auch übers Internet, praktischerweise in der gewünschten Dosierung. Kultur in Dosen. Dose auf, Dose zu, haltbar bis 2024. Das gefällt den Machern, ist aber Käse. Mir gefällt die dosierte Kultur nicht so gut. Nicht einmal während ich ein paar Meter oberhalb der Hütte im Gras sitze und den Blick schweifen lasse, was an und für sich ungemein schön ist: eine ganz und gar unangestrengte, entindividualisierte, mithin entkrampfte Weltanschauung eben, eine recht älplerische. Am Horizont, im Westen, am Bödele spiegelt sich die Sonne funkelnd in den Scheiben der Autos der Wanderer. Das ist auch eine Kultur- als Degenerationserscheinung: die überfüllten Parkplätze mitten in der Natur, wo jede kleinste Begegnung mit der Freizeitwelt

eine unabsehbare Zerstörung derselben befördert.

Kultur ist eben nicht Fortschritt, Glanz und Gloria. Sie ist schlicht der Preis, den wir als Gemeinschaft dafür bezahlen, dem Chaos des Lustprinzips, der Anarchie des Narzissmus zu entrinnen. Kultur besteht aus der Macht, d. h. aus der Lust, auf die der Einzelne zugunsten des sozialsten Nenners gemeinsamer Weltbewältigung Verzicht übt. Kultur ist die Summe dessen, was die Einzelnen abgeben. Das Alpleben ist eine gute Übung dafür, es ist Training und Ernstfall zugleich!

Was das Wirtschaften und Leben auf der Alp, auf 1.100 Metern Seehöhe und klar außerhalb der gängigen zivilisatorischen Haupterrungenschaften ausmacht, ist die für heutige Verhältnisse radikale Angleichung der empirischen Verhältnisse (sprich: des Komforts, der technischen Unterstützung, der medialen Vernetzung usw.) an die Wirklichkeit des menschlichen Wesens. Auf der Alp wirst du, trotz aller Erleichterungen, die Einzug gehalten

haben, angefangen von der Elektrizität bis zur Kommunikation und Mobilität, wirst du in einem höchst lehrreichen und erfrischenden, notwendigen Ausmaß zurückgestellt, wenn schon nicht auf null, das wäre auch arg weit und nicht wünschenswert, so doch auf eine Erfahrungsebene, die rar geworden und im Verhältnis immer schon eher rar, aber desto humaner gewesen ist. Was das Wirtschaften auf der Alp auszeichnet, diese routinierten, einfachen Handgriffe mit dem Rückgriff auf jahrhundertealtes Wissen und Können, das Arbeiten im Einklang mit der Natur, mit der Umwelt und der Kultur, der Jahreszeit und der Landschaft, ist die zumindest teilweise Aufhebung der in den Tälern, Städten, Metropolen wirksamen Selbstzerstörungstendenzen der Handelnden.

Ich brauche nur zu beobachten, mit welcher Akribie, Hingabe und Selbstvergessenheit, mit welcher kindlich konzentrierten Freude der Senn und sein Gehilfe bei den Vorbereitungen zugange sind. Es geht in den Träumen, so lehrt das Sigmund Freud, stets um eine Wunscherfüllung. Genauer: um die Erfüllung eines in der Kindheit verwurzelten Wunsches. So wie es kein Glück gibt, sagt wiederum Freud, das nicht in der Erfüllung eines kindlichen Wunsches besteht.

Also träume ich, getragen von der Stille und Erhabenheit dieses magischen Ortes, weiter von der Harmonie, von einer Weltenharmonie, die dadurch entsteht, dass „das Maß des genossenen Glücks dem Maß der sittlichen Vollendung entspräche“: So steht es in einem Text des Soziologen Georg Simmel (1858–1918), einem Text von 1917 über Kant und Goethe „zur Geschichte der modernen Weltanschauung“. Dass ich diesen genau hier und jetzt aus dem Rucksack ziehe, ist kein Zufall. Al les aber, was die Spaßgesellschaft lauthals offeriert, hat mit dem Glück der Kinder und der Älpler noch weniger zu tun als ein Bad im Meer mit einem ins Wasserglas getauchten Finger. Davon erzählt mir das Plätschern des Brunnens vor der Alphütte.

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Kultur ist die Summe dessen, was die Einzelnen abgeben. Das Alpleben ist eine gute Übung dafür

AUF DER ALP UND IN DER POLITIK

Bundesbäuerin Andrea Schwarzmann bewirtschaftet mit ihrem Mann und ihrem Sohn den Familienhof in Raggal im Großen Walsertal sowie die Alp Steris oberhalb von Marul

Jeden Sommer verbringt Andrea Schwarz mann etwas mehr als drei Monate auf der Alp: „Es ist eine wunderbare Zeit, auch, weil man den Rhythmus der Natur viel intensiver erlebt als im Tal. Im Juni wird es dort oben noch einmal Frühling. Wenn sich der Sommer Ende August zurückzieht, zieht es auch Mensch und Vieh wieder ins Tal.“

Wie von einem Wesen, das man kennt und achtet, spricht Andrea Schwarzmann von ihrer Alp: „Es ist etwas ganz Besonderes: Im Herbst den Schlüssel der Hütte umzudre hen und diesem Stückchen Natur die Ruhe zu gönnen, die es verdient hat, und im Frühjahr die Türe wieder aufzuschließen, um etwas Neues zu beginnen.“

Mit dem Auto braucht man heute knapp dreißig Minuten auf die Alp Steris. Doch als Kind ist Andrea Schwarzmann noch zu Fuß hinaufgelaufen. „Als mein Großvater noch oben war und es in der Hütte nicht einmal fließend Wasser gab, von Strom oder Sanitäranlagen ganz zu schweigen.“

Wesen zeigt einen Menschen, der seine Berufung schon sehr früh gefunden hat. „Ich habe von Anfang an klargemacht, dass ich mir den Sommer auf der Alp nicht nehmen lasse. Denn dort bekomme ich den Kopf frei, kann meine Wurzeln spüren und erhole mich trotz der vielen Arbeit.“

Aus der bäuerlichen Praxis schöpft Andrea Schwarzmann die Inspiration für ihre Auf gaben als Bundesbäuerin, aus dem Sommer die Kraft für den Winter. „Ich habe einen tollen Mann und eine großartige Familie, die mich unterstützen. Ohne sie wäre das alles gar nicht möglich“, fügt sie lächelnd hinzu.

Seit zwölf Jahren ist Andrea Schwarzmann Vorarlberger Landesbäuerin, seit 2013 österreichische Bundesbäuerin und seit 2016 Vizepräsidentin der Vorarlberger Landwirtschaftskammer

In nur 35 Jahren hat sich viel verändert. „Und das ist gut so. Ein uriges Leben bei Kerzenschein ist schön für ein Wochenende, aber die Romantik hört auf, wenn ich jeden Tag arbeiten muss.“

Schon das Leben zwischen dem Hof in Raggal und der Alp Steris erscheint so ausgefüllt, dass man sich fragt, wie sie Zeit für ihre politische Arbeit findet. „Gute Frage“, lacht Schwarzmann. Ihr zufriedenes

Eine Alp im Großen Walsertal wird tradi tionell im Gemeinschaftsbesitz verwaltet. 16 Besitzer teilen sich die Alp Steris, acht Hütten sind im Sommer bewirtschaftet: „Jeder von uns hat seine eigene Hütte, aber der Rest gehört allen zusammen. Jeder Be sitzer hat unterschiedliche Weiderechte. Im Sommer stellen wir gemeinsam Hirten und einen Senn an. Wir Bauern erledigen die Melkarbeit. Je nach Besitz und Weiderecht muss jeder zudem unentgeltliche ,Fronstun den‘ für die Erhaltung der Alp leisten.“

Das Gemeinschaftswesen mache das Alple ben zu einer hervorragenden Lebensschule, meint Schwarzmann: „Man ist dort oben nie allein. Es gibt unterschiedliche Men schen und unterschiedliche Generationen. Das Miteinander funktioniert nur, wenn man gemeinsam einen Weg geht. Also muss

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VON BABETTE KARNER

man immer wieder Kompromisse finden.“ Viel Sonnenschein und auch Regen gebe es auf einer Alp, sagt Schwarzmann, „aber manchmal eben auch ein Gewitter.“

Die Alpwirtschaft hat viele Bedeutungen. Sie ist ein wesentlicher Teil der Bergland wirtschaft, produziert hochwertige Lebens mittel, schützt gegen Erosion und fördert den Tourismus. „Aber Seelenschutzgebiete für die Menschen aus dem Tal, das sind die Alpen auch.“

Als Wirtin des Steris-Stübi spricht sie aus Erfahrung: „Im Tal sind die Menschen in ihrem Alltag gefangen. Aber wenn man den Berg hinaufwandert, ist es, als ob man mit jedem Höhenmeter Ballast abwerfen und Abstand gewinnen würde. Auch mir geht das so! Natürlich verdienen wir mit dem Ausschank Geld. Aber viel wichtiger ist mir der Kontakt zu den Gästen: Schön, dass man so vielen Menschen eine Freude machen und ihnen die Bedeutung der Alpwirtschaft näherbringen kann. Sobald spätnachmittags alle wieder ins Tal abge stiegen sind, haben wir heroben den Abend und die Stille für uns allein. Was für ein Geschenk!“

Das Berufsbild von Bäuerinnen und Bauern erfordere heute ein sehr breites Wissen, erklärt Schwarzmann. „Man arbeitet nicht mehr nur am Hof, sondern auch in anderen Berufen. Man produziert und vermarktet Lebensmittel oder bietet etwa Urlaub am Bauernhof an.“ Diese Vielfalt bringt die 53-Jährige ins Schwärmen. Aus ihren grünen Augen leuchtet eine große Leiden schaft: „Wer den Mut hat, neue Wege zu ge hen, dem bieten sich so viele Möglichkeiten, und man kann so viel Neues lernen. Auch die Position der Bundesbäuerin ist eine große Bereicherung für mein Leben, weil sie meinen Blick für neue Dinge öffnet.“ Schwarzmanns Weg in die Politik begann bereits in jungen Jahren: 1992 wurde sie zur Ortsbäuerin-Stellvertreterin im kleinen Ort Marul gewählt. „Als Gebietsbäuerin-Stell vertreterin kam ich später in den Fachbeirat auf Landesebene. Diese Sitzungen waren für mich die Welt“, erinnert sie sich. Dreißig Prozent Frauen in agrarischen Gremien seien heute eines der Ziele der Bäuerin nenorganisation, sagt sie dann. Aber die Revolution ist ihre Sache nicht. Schwarz manns gelassene Bestimmtheit ist geprägt

von ihrer Arbeit in und mit der Natur. „Ich kann die Welt nicht von heute auf morgen verändern. Aber ich kann meinen Teil dazu beitragen, gewisse Rädchen mitzudrehen.“ Die politische Arbeit ist kein Honiglecken: „Wir müssen Frauen finden, denen die Poli tik Spaß macht, und sie ermutigen, sich Zeit dafür zu nehmen, auch wenn sie knapp ist.“ Wie in der Alpgemeinschaft sind für Andrea Schwarzmann auch in der Politik der offene Dialog und die Bereitschaft, Kom promisse einzugehen, unabdingbar. 2017 unterzeichneten alle Landwirtschaftskam merpräsidenten am Bundesbäuerinnentag die von Österreichs Landesbäuerinnen ins Leben gerufene „Charta für partnerschaftli che Interessensvertretung“. „Je mehr Zugän ge es zu einem Problem gibt, umso größer ist die Chance auf eine brauchbare Lösung: Wenn Frauen und Männer partnerschaft lich miteinander einen Weg gehen, kann etwas Wertvolles entstehen.“

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Andrea Schwarzmann: „Die Position der Bundesbäuerin ist eine große Bereicherung für mein Leben, weil sie meinen Blick für neue Dinge öffnet.“ Foto: Ernst Weingartner

GROSS SCHAUEN. HART ARBEITEN. RUHIG GENIESSEN

Vier Alpen als Ansitz höheren Lebens

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Untere Auenfeldalp im Lechquellengebirge oberhalb von Lech am Arlberg. Auch im Sommer hängt fallweise Nebel über der Alp

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Foto: Georg Alfare
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Alp Althornbach im Gemeindegebiet von Schoppernau im Bregenzerwald. Senn Josef Rüf liefert rund neunzig Prozent des Alpkäses an Rupp Foto: Ludwig Berchtold
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Alp Sentum oberhalb von Blons im Großen Walsertal. Wanderer bekommen hier auf ihren Touren Getränke und einfache Speisen Foto: Ludwig Berchtold
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Alp Loch über Hittisau im Bregenzerwald. Sie gehört zu den Allgäuer Alpen, liegt also bereits auf deutschem Gebiet, im Allgäu. Die Hittisauer Bauern haben dort einige Alpen

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SOMMER
Foto: Ludwig Berchtold

ALPSCHÖNE

Sie sind die Schönsten auf der Alp: die Blumen. Hier stellen wir ein paar von ihnen vor

ALPENHELM

Seine wissenschaftliche Bezeichnung „Bartsia alpina“ verweist zum einen auf sein Vorkommen in den Alpen, wo er bis in 3.000 Meter Seehöhe wächst, zum anderen auf einen Mann namens Johann Bartsch. Der kam schon im Alter von 28 Jahren als Kolonialarzt und Naturforscher im südamerikanischen Surinam um. Nach ihm benannte sein Freund Carl von Linné die Pflanzengattung „Bartsia“. Der Alpenhelm klingt zwar recht kriegerisch, ist tatsächlich jedoch ein Halbschmarotzer. Er bildet gleich nach der Keimung Saugorgane, mit denen er sich an die Wurzeln benachbarter Pflanzen heftet. Mehr Schelm als Helm.

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Illustration: Adrienn Dorsánszki

EDELWEISS

Sogar im österreichischen Parlament kommt diese Pflanze vor. Es handelt sich dabei um eine „Ansalbung“, das heißt, die Pflanze wurde von Liebhabern dorthin verbracht wie einst im 19. Jahrhundert auf felsige Mittelgebirge. Nach §40 Bundesnaturschutzgesetz sind solche Ansalbungen genehmigungspflichtig. Ob jene Parlamentarier, die sie am Revers trugen, davon wussten? Das natürliche Habitat der Steppenpflanze Edelweiß sind bei uns die Bergwiesen. Was wie weiße Blütenblätter aussieht, ist ein Schimmer auf Hochblättern, der entsteht, weil Tausende kleine Luftbläschen im vielfach durcheinander gewirkten, krausen Haar das einfallende Licht reflektieren. Lockt Insekten an, wärmt und schützt vor Verdunstung.

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Kugelige Teufelskralle

Wer glaubt, die Kugelige Teufelskralle oder zumindest Medizin mit diesem Namen aus der Apotheke zu kennen, der irrt. Es handelt sich nicht um die in den Alpen bis über 2.400 Meter Seehöhe wachsende Teufelskralle, sondern um die Afrikanische. Sie wächst in den Steppen Namibias und Südafrikas und wird als Arzneimittel gegen Gelenkschmerzen eingesetzt. Ihr Name bezieht sich nicht auf die Form der Blüte, sondern auf die Form ihrer Früchte, während unsere katholische ihren Namen vom Gottseibeiuns und der Form seiner Hände hat. Sie gedeiht auf Moorwiesen und auf magerem Rasen.

ALP #2 76 Illustration: Adrienn Dorsánszki/ dorsanszki.com

Gemskresse

Es wird viele bass erstaunen, dass die Gemskresse in Österreich häufig, in Wien und im Burgenland aber gar nicht vorkommt. Der Grund: Dort fehlen ihr die Berge – das Leithagebirge ist ihr einfach nicht hoch genug, der Kahlenberg auch nicht. Früher hieß sie „Pritzelago“ nach dem deutschen Botaniker Georg August Pritzel. Im Berner Oberland wird sie auch das Zigerblüemli genannt. Sie enthält in ihrem Grünzeug und den Samen Senföle und wird daher von Gämsen gern zu Wiener Würsteln gegessen – Unsinn, die Gämsen brauchen keine Wurst dazu.

SOMMER 77

HAUSMANNSKÄSE

Drei Rezepte mit Alpkäse von unterschiedlichem Reifegrad

Kochen bedeutet nichts anderes, als essbare Dinge von einem Aggregatzustand in einen anderen zu bringen, der sie noch besser essbar macht. Bei Käse ist das vielleicht eine überflüssige Übung, denn er ist selbst ein Produkt eines Kochvorgangs oder zumindest einer Verwandlung. Die Königsdisziplin dieser Verwandlung stellen aus Vorarlberger Perspektive die Kässpätzle dar.

Diesmal aber wenden wir uns der Hausmannskost zu. Was könnte das sein? Das, was Hausfrauen ihren Männern vorsetzen, vielleicht? In gewisser Weise ja. Das deutsche etymologische Wörterbuch von Gerhard Köbler (1995) kennt den Ausdruck nicht. Eine meiner Lieblingspublikationen, das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“, kennt es ebenfalls nicht und hat unter dem Stichwort „Hausherr“ nur den trockenen Verweis „s. Mann“. Dort nachzuschauen war mir doch zu langweilig, also blättere ich zum Stichwort „Käse“.

Ich hoffe, ich langweile Sie nicht mit der Mitteilung, dass ich tatsächlich blättere. Ich habe mir schon als Student dieses zehnbändige Lexikon gekauft, das damals in einer günstigen Taschenbuchausgabe nachgedruckt wurde. Mittlerweile ist es bei OnlineAntiquariaten um weniger als 100 Euro erhältlich. Online gibt es nur eine recht unwürdige PDF-Kopie.

Die Schweizer Volkskundler Eduard Hoffmann-Krayer und Hanns Bächtold-Stäubli haben 1927 bis 1942 einen Wust von Volksaberglauben zusammengetragen. Schon die zeitgenössische Kritik daran monierte die mangelnde historische und soziale Einordnung und den Hang zur Vollständigkeit statt zu differenzierter Wertung. Ich muss sagen, ich finde den Wust charmant, nach guter alter Gelehrtenart werden einem die Zitate unübersetzt in Latein und Griechisch vor den Latz geknallt, aber das macht nichts.

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Foto: Vorarlberger Landesbibliothek / Oliver Benvenuti

Zutaten

für 4 Personen

380g Mehl glatt (ev. Einkornmehl)

½ TL Salz

1⁄8l Wasser (bei Bedarf mehr)

2 EL Sonnenblumenöl

70g Alpkäse, gerieben Mehl für die Arbeitsfläche

1 Eiklar, 1 TL Milch

ev. 2 EL fein gehackte frische Kräuter

Zubereitung

Rohr auf 160 Grad vorheizen. Mehl und Salz in einer Schüssel vermischen. Langsam das Wasser und dann das Öl zugeben und kneten, bis ein geschmeidiger Teig entsteht. Am Ende, wenn gewünscht, die Kräuter einkneten. Etwas rasten lassen und auf bemehlter Arbeitsfläche 2 mm dick auswalzen. Milch und Eiklar verschlagen, damit den Teig einpinseln. Den Teig mit Alpkäse bestreuen. In 20cm breite Streifen teilen, diese in 5mm breite Stangerln schneiden. Drehen (wie rechts im Text beschrieben), auf Backpapier auflegen, ca. 20–25 Minuten backen, bis sie goldbraun sind. Zum Abkühlen auf ein Gitter legen.

Dass Käse ein Kraftspender ist, wissen auch Sennbuben und -mädchen zu berichten, die einen Sommer auf der Alp verbrachten. Schon die antiken Athleten aßen Käse, um sich zu kräftigen. Es gab auch eine Sekte, die sogenannten Artotyriten, die Käse und Brot als Abendmahlspeisen betrachteten. Man hat nicht mehr viel von ihnen gehört, da sich die römisch-katholische Variante mit Brot und Wein durchsetzte. Die Altäre der Welt! Was für ein Käsemarkt ist hier verloren gegangen. Da Christus selbst als die himmlische Milch betrachtet wird, ist Käse als fest gewordene Milch auch die Speise der Unsterblichkeit. Bitte dies bei Ihren nächsten Bissen Alpkäse zu bedenken!

Zarathustra oder Zoroaster lebte in der Wüste von Käse. Gern beschriftete man Käse und benützte sie, vorzugsweise in geweihter Form, für Gottesurteile. Das heißt, wer einen in gewisser Weise beschrifteten Käse nicht essen konnte, war der Schuld an einem Verbrechen überführt. Hoffentlich lesen das keine aufgeweckten Künstler und fangen an, Käse mit Lebensmittelfarbe zu beschriften, etwa mit schlechter Lyrik. Mir ist Buchstabensuppe poetisch genug.

So geht es munter weiter: Wer sich für Käseweihen, Kasermandeln, Käsefrevel, käseschleppende Drachen, Käse und den Teufel, Käse als kosmische Erscheinung, Käse als Opfer, Zauber mit Käse und so fort interessiert, der lese nach.

Zaubern mit Käse, das nehmen wir als Stichwort. Zuvor noch ein ganz kurzes Wort zur Hausmannskost. Mit Hausmann war der Paterfamilias gemeint, der in alten Zeiten, als es noch Familien gab, die ein männliches Oberhaupt hatten, eine bessere und solidere Kost bekam als die anderen Familienmitglieder. So wenig sympathisch das klingt, begründet hat man es damit, dass er doch für die Erhaltung ihres Lebens zuständig war. Wer Verantwortung trägt, muss besser essen, das ist auch heute unter anderem Namen noch so. Die eindeutige soziale Ordnung allerdings kam uns abhanden, und es gibt keinen Grund, ihr nachzutrauern.

Mit Hausmannskost will ich auch keine Rangordnung bezeichnen, sondern einfach Speisen, die man leicht selber zu Hause machen kann. Ich gehe die Sache subjektiv an. Ausgewählt wird, was mir schmeckt. Auswahlkriterium ist die Verwendung von Alpkäse. Und leicht soll die Sache auch noch herzustellen sein.

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KÄSESTANGERLN Fotos: Irena Rosc

Die Käsestangerln kann man gut zum Aperitif bauchen, zum Fernsehen oder zu jeder Gelegenheit, bei der geknabbert wird. Der hier verwendete Käse soll ein sehr gut gereifter, trockener, älterer Alpkäse sein.

Die Zucchinitorte hat in unserem Speiseplan einen festen Platz, weil sie so praktisch in der Zucchinizeit ist. Zucchini seien das fieseste Gemüse der Welt – mit einem Comic dieses Titels strichelte sich vor über dreißig Jahren der völlig unbekannte junge Zeichner Tex Rubinowitz in die Herzen der „Falter“-Redaktion. Seitdem ist er ein Fixstern unter den besten der klugen Karikaturisten. Zucchini sind auch deshalb fies, weil man stets zu viel von ihnen hat und nie so recht weiß, was man mit ihnen machen soll. Hugh Fearnley Whittingstall, von dem das Rezept stammt, ist der englische Kultkoch für Vegetarisches. Der verwendete Alpkäse sollte würzig sein, keinesfalls zu mild und jung.

Ähnliches gilt für den pikanten Brennnesselkuchen, der sich sehr gut zum Tee, Cocktail oder einfach zwischendurch macht, lauwarm genossen. Mit einem schönen Veltliner muss man aufpassen, nicht zu viel davon zu essen. Die Herausforderung hier ist natürlich das Sammeln der Brennnesseln. Sie sollten jung sein und noch nicht geblüht haben. Wir empfehlen, beim Sammeln Handschuhe zu tragen. Technische Schwierigkeiten bestehen bei diesem Kuchen sonst nicht, er gelingt einfach jedem. Lassen Sie ihn vor dem Stürzen etwas überkühlen.

Bei den Käsestangerln hat es, zugegeben, eine Zeitlang gedauert, bis wir den Trick herausfanden, wie man sie am besten zwirbelt. Früher drehten wir die Teigstreifen auf der Arbeitsfläche und zogen sie dann etwas aus, auf 25 bis 30 Zentimeter Länge. Es geht aber einfacher. Sie nehmen einen Kochlöffelstiel, wickeln den Teigstreifen um diesen herum, streifen ihn vorsichtig herunter und ziehen ihn anschließend in die Länge. Das Backpapier sollte auf dem Blech vorbereitet sein. Während Sie eine Schicht backen, bereiten Sie die nächste vor.

Übrigens können Sie die Stangerln auch mit Fertigblätterteig ma chen. Dafür ist die Kochlöffelmethode jedoch nicht geeignet. Die gebackenen Stangerln lassen sich in Gläsern oder in einer Schach tel aufbewahren – tagelang, falls sie nicht vorher weggeknuspert werden. Mit einem frischen Dip harmonieren sie prächtig.

Zutaten

für 4 Personen

500 g Zucchini, grob gerieben 75 g weißer Langkornreis, kurz (5 Minuten) vorgekocht 1/2 mittelgroße Zwiebel, fein geschnitten 75 g reifer Alpkäse (12 Monate), gerieben 2 große Eier, leicht verklopft 2 EL Olivenöl je 1 Handvoll Dill und Petersilie, gehackt Meersalz, schwarzer Pfeffer, gemahlen 250 g Filoteig 75 g geschmolzene Butter

Zubereitung

Das Rohr auf 190 Grad vorheizen. Alle Zutaten in einer großen Schüssel mischen. Erstes Filoteigblatt mit Butter bestreichen und mit der Butterseite nach unten in die Tortenform legen, überstehenden Teig über den Rand hängen lassen. Alle Blätter bis auf eines buttern und so einlegen. Füllung einfüllen, überlappende Teigstücke zusammenklappen, sodass die Füllung bedeckt ist. Mit flüssiger Butter bestreichen. Letztes Blatt etwas zusammenknüllen und obenauf legen, an den Seiten etwas einstecken und ebenfalls buttern. Im Rohr 45 Minuten lang goldbraun backen.

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ZUCCHINI-REISTORTE

Zutaten

für 4 Personen

180 g Mehl, mit 1 Päckchen Backpulver vermischt 3 Eier (groß) 100 ml Pflanzenöl 100 ml Milch 100 g Alpkäse (9 Monate), frisch gerieben 100 g alter Alpkäse (12 Monate), frisch gerieben 100 g Brennnesselblätter (zwei Handvoll) Salz, frisch gemahlener Pfeffer etwas frisch geriebene Muskatnuss

Pikante Strudel sind nichts Ungewöhnliches. Werner Matt, der Erneuerer der österreichischen Küche, machte in den 1980er Jahren mit einem Lamm-Kohl-Strudel Furore. Für unsere ReisZucchini-Torte verwenden wir nicht Strudel-, sondern Filoteig. Das ist im Prinzip der gleiche Teig, nur sind Filoteigblätter noch etwas dünner als Strudelblätter. Diese werden gezogen, Filoteigblätter werden ausgewalzt, zumindest bei der manuellen Herstellung – industriell wird jeder der Strudelteige gewalzt.

Sollten sie imstande sein, Strudelteig selbst herzustellen, haben Sie meinen vollen Respekt. Wir verwenden Teig aus der Packung. In besser sortierten Supermärkten bekommt man fertigen Filoteig, die griechisch-türkische Strudelware. Wenn nicht, tut’s auch der gute alte Strudelteig. Die Reistorte braucht eine Form, eine beliebige Auflaufform oder eine Tortenspringform leisten gute Dienste. Außerdem benötigen wir einen Plastikpinsel zum Buttern der Strudelblätter. Für geringen Aufwand werden Sie mit einem ansehnlichen Produkt belohnt. Sie können kleine Stücke davon lauwarm als Vorspeise oder das Ganze heiß als vegetarische Hauptspeise mit Salat servieren. Man braucht dazu nicht einmal eine Sauce, denn die Torte schmeckt überraschend saftig. Gutes Gelingen!

Zubereitung

Das Backrohr auf 180 Grad vorheizen. Eine Kastenform mit Butter einfetten und bemehlen. Eier in eine Rührschüssel geben und mit dem Öl und der zimmerwarmen Milch leicht aufschlagen. Mehl, den geriebenen Käse und die grob gehackten Brennnesselblätter hinzufügen. Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen und vermischen. Den Teig in die Backform füllen und sofort in den Ofen stellen. Den Kuchen ca. 50 Minuten backen und vor dem Stürzen etwas abkühlen lassen.

82ALP #2
BRENNNESSELKUCHEN
Foto: iStock

DIE AUTORINNNEN UND AUTOREN DER SOMMERAUSGABE VON ALP

Thorsten Bayer, Journalist und Autor in Vorarlberg

Erscheint demnächst

Übersetzung des Gedichts von Arthur Conan Doyle auf Seite 45

Wo kommt bloß all der Käse her? Heiß streitet Kobold mit Kobold im Käsekeller; aus der Luft, wie der Orthodoxe weiß. Der Ketzer behauptet, vom Teller. Sie streiten hart, sie streiten wie Meister. Ich höre, sie streiten noch immer zu; aber keiner der kleinen Käsegeister dachte jemals an eine Kuh

Babette

Karner, Autorin in Vorarlberg

Johannes

Irmgard Kramer, Schriftstellerin in Vorarlberg und Wien Moerth, Schreiber und Enziantrinker im Bregenzerwald Peter Natter, Philosoph und Schriftsteller in Vorarlberg Joshua Köb, Journalist in Vorarlberg und Wien Irena Rosc, Künstlerin und Autorin in Niederösterreich Georg Sutterlüty, Historiker und Autor im Bregenzerwald Armin Thurnher, Herausgeber der Wochenzeitschrift »Falter« in Wien
DAS MAGAZIN FÜR HÖHERES LEBEN OVORARLBERG! ALP #3 HERBST
O VORARLBERG,
DEIN KÄSEWERK SAGT MUH DAZU!

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