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Das Magazin für die österreichische Buchbranche

Glorreicher Buchmarkt

Beim Schauen denken

Frankreich ist auf seine Buchbranche stolz. Zu Recht, wie eine Analyse des französischen Marktes zeigt

Die Schriftstellerin und bildende Künstlerin Teresa Präauer erzählt über Bilder, Literatur und das Lachen über sich selbst

Ö S T E R R E I C H I S C H E P O S T A G F I R M E N Z E I T U N G / G Z 0 2 Z 0 3 0 8 7 7 M / 1 5 7. J A H R G A N G

Gewinnspiel: Karten für achensee.literatour + Übernachtung im 5-Sterne-Hotel

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C.-Estera Klein | B. Lahner | S. Ungersböck 11 Routen durch die Welt der Wiener P flanzen und ihre Geschichte. Mit Bezüge zu den Themen Naturschut z und Klimawandel. 224 Seiten, € 29,90 ISBN: 978-3-85439-705-2

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WIEN WÄCHST

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Unsere Buchtipps

– 156. Jahrgang –

„Wo Unmenschlichkeit, Verrohung und Gewalt um sich greifen, muss die Kultur dem entgegentreten und widersprechen“ Benedikt Föger

Gabriel Seitlinger

F O T O : K A T H A R I N A F. R O S S B O T H

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och vor Kurzem habe ich gehofft, diese Zeilen niemals schreiben zu müssen. Ich habe daran geglaubt, dass Gespräche Sinn machen und zu friedlichen Lösungen führen werden. Im Mai wollte ich nach Drohobytsch in der Westukraine zu den sogenannten Österreich-Tagen fahren, die der Leiter der dortigen ÖsterreichBibliothek jährlich organisiert. Ich habe dafür eine Buchausstellung kuratiert. Die von österreichischen Verlagen zur Verfügung gestellten Bücher wollte ich persönlich hinbringen und die Ausstellung eröffnen. Es kam jedoch völlig anders. Alle Versuche der Kommunikation und der Argumentation für den Frieden sind gescheitert. 28 Jahre nach dem Krieg im heute ehemaligen Jugoslawien und 77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es wieder Krieg in Europa. Der russische Präsident Putin hat sich dazu entschlossen, einen brutalen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu führen, wie ihn bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Wer letztendlich davon profitieren wird, bleibt offen. Wer darunter leidet, ist jedoch jetzt schon klar: die Menschen in der Ukraine, die jungen Soldaten auf beiden Seiten, die Demokratie und auch die Kultur. Wie so viele Kulturinstitutionen lehnt auch der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels (HVB), lehnen die österreichischen Verlegerinnen und Verleger, die Buchhändlerinnen und Buchhändler diese Gewalt und Zerstörung, diesen Krieg und die Verletzung der staatlichen Souveränität der Ukraine ab und verurteilen sie aufs Schärfste. Wenn die Welt in der Krise ist, trägt die Kultur eine besondere Verantwortung. Wo Unmenschlichkeit, Verrohung und Gewalt um sich greifen, muss die Kultur dem entgegentreten und widersprechen. Angesichts des Leids und der Verzweiflung, die dieser Krieg in die ukrainische Bevölkerung trägt, möchte der HVB ein erstes Zeichen der Solidarität und der Unterstützung setzen. Das Präsidium des HVB hat gemeinsam mit der Geschäftsführung beschlossen, im Namen der gesamten Buchbranche für jeden bis zum Welttag des Buches am 23. April eingelösten Bücherscheck 10 % des Wertes an die Ukraine-Hilfe der Caritas zu spenden. Das soll ein Anfang sein, weitere Aktionen werden folgen. Und wenn der Krieg endlich beendet ist und die Menschen in ihre Heimat zurückkehren konnten, dann lade ich Sie alle ein, mit mir nach Drohobytsch zu fahren und so viele Bücher wie möglich hinzubringen.

Benedikt Föger HVB-Präsident

H e r a u s g e b e r : Hauptverband des Österreichischen Buchhandels/ISSN 0003-6277, Grünangergasse 4, 1010 Wien, T: +43 1/512 15 35, www.buecher.at G e s c h ä f t s f ü h r u n g : Gustav Soucek P r o j e k t l e i t u n g : Julia Stumvoll, DW 29, stumvoll@hvb.at A b o v e r w a l t u n g : Paula Fabiankowitsch, DW 12, fabiankowitsch@hvb.at M e d i e n i n h a b e r , K o n z e p t , R e d a k t i o n u n d P r o d u k t i o n : Falter Verlagsgesellschaft m. b. H. Bereich Corporate Publishing, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien, T: +43 1/536 60-0, E: magazine@falter.at, www.falter.at C h e f r e d a k t i o n : Christian Zillner, DW 926, Linn Ritsch, DW 991 G e s c h ä f t s f ü h r u n g : Siegmar Schlager A n z e i g e n l e i t u n g : Sigrid Johler, DW 952, johler@falter.at Die Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter-verlag ständig abrufbar D r u c k : Print Alliance HAV Produktions GmbH., Druckhausstraße 1, 2540 Bad Vöslau

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Osttirol Summits

Wandern. Radeln. Skibergsteigen Die „Osttirol Summits“ bieten eine vollständige Liste der jeweils höchsten Punkte aller 33 Osttiroler Gemeinden, die als Berg-, Ski- oder Radtour erklommen werden können. 75 Wander-, Rad- und Skitouren – der niedrigste Summit befindet sich in Osttirol bereits auf über 2000 Metern! 192 Seiten, ISBN 978-3-7025-1054-1

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– Inhalt –

Gute Nachrichten Das Weltgeschehen scheint ausschließlich Entsetzen bereitzuhalten. Doch das Gute ist nicht ganz verschwunden

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Linn Ritsch Chefredakteurin

Frankreich: das Land, in dem das Buch als wichtigstes Kulturgut gilt

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WISSENSWERT Leipzig 2023 Der HVB hat in Leipzig das Programm für den Gastlandauftritt im nächsten Jahr vorgestellt Neues bei Thalia Das Unternehmen investiert in moderne Geschäftszonen

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HVB-PORTRÄTS Claudia Magauer, Isabell Ellmauer, Stefanie Empl Buchhandlung Ellmauer Wilfried Magnet Galerie Magnet Hermine Retzer, Desiree Tax Buch-Papier-Spiel Retzer

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SELBSTREDEND Teresa Präauer Die Ben-Witter-Preisträgerin über ihre Arbeit

SCHWERPUNKT Editor’s Choice: Blutige Romane, die (trotzdem) Kunstwerke sind

BESTSELLER Meistverkauft im Februar

ESSENZIELL Ausländische Buchmärkte: Den Auftakt unserer neuen Serie bildet Frankreich

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KLASSIKER Sir Patrick Leigh Fermor

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GEWINNSPIEL achensee.literatour: Gewinnen Sie Tickets für das Fesival und zwei Übernachtungen im 5*-Hotel!

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Sandra Folie Die Literaturwissenschaftlerin erklärt, warum „richtiges“ Gendern so schwierig ist

INTERNATIONAL Peter Kraus vom Cleff Über seine Pläne beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels

GASTKOMMENTAR

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TERMINE Buchveranstaltungen im April

F O T O : N I N I T S C H AV O L L , I L L U S T R AT I O N : G E O R G F E I E R F E I L

ute internationale Nachrichten sind schon seit einiger Zeit rar, der Schrecken ist hingegen allgegenwärtig. Die Pandemie ist noch nicht vorüber, und einer der mächtigsten Männer der Welt hat beschlossen, einen Krieg zu beginnen, der immer mehr Menschenleben fordert. Ich denke nicht, dass wir wegschauen sollten. Ganz im Gegenteil. Aber ich denke, dass wir zwischendurch auch die kleineren, weniger welterschütternden Dinge sehen dürfen: solche, die gut sind. In unserem Nachbarland Deutschland haben sich Hunderte Menschen darum bemüht, Alternativveranstaltungen zur Leipziger Buchmesse zu planen, und sie waren erfolgreich. Österreich hat bei einer feierlichen Programmvorstellung die Pläne für den Gastlandauftritt im kommenden Jahr präsentiert (S. 5). In Frankreich widmen sich Tausende Personen dem wichtigsten Kulturgut des Landes: dem Buch. Welche Bedeutung Literatur in Frankreich hat, lesen Sie in unserer Titelgeschichte (S. 12). Welche spannenden Bücher aus der ganzen Welt zu uns kommen und was wir aus ihrer Lektüre mitnehmen, erfahren Sie von zwei Buchhändlerinnen (S. 20) und von mir (S. 18). Auch im eigenen Land passiert manches, worüber wir uns freuen dürfen. Anfang Mai findet wieder das achensee.literatour Festival statt, zwei Karten dafür samt einer Übernachtung im Fünf-Sterne-Hotel können Sie bei uns gewinnen. Um österreichische Literatur geht es in „Selbstredend“: Erich Klein hat ein ausführliches Gespräch mit der Ben-Witter-Preisträgerin Teresa Präauer geführt (S. 30).

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– Wissenswert –

Leipzig 2023 ist

Meaoiswiamia

„Mehr als wir“ ist das Motto des österreichischen Gastlandauftritts bei der Leipziger Buchmesse 2023. Am 17. März dieses Jahres fand die Auftaktveranstaltung statt

Text: Linn Ritsch

E

„Wir blicken in Österreich auf eine tief verankerte literarische Kultur und sind stolz auf unabhängige Verleger:innen, die mit Hingabe, Risikobereitschaft und einem ausgeprägten Sinn für Qualität die Buchwelt in unserem Land weiterentwickeln“

V. l.: Benedikt Föger, Andrea Mayer (Kunst- und Kulturstaatssekretärin), Katja Gasser (Gastland-Kuratorin), Oliver Zille (Direktor der Leipziger Buchmesse) Die Ideenvielfalt, die dem Claim „meaoiswiamia“ innewohnt, solle radikal ernst genommen werden, erklärte Gasser bei der Pressekonferenz. Es gehe dabei darum, die vielfältige österreichische Verlagslandschaft zu präsentieren, deren Engagement auch HVB-Präsident Bendedikt Föger lobte. Es sei aber ebenfalls geplant, neben der Literatur auch bildende Kunst, Theater und Filme aus Österreich zu zeigen. Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, erklärte: „Österreich ist der größte und wichtigste Auslandsmarkt für den deutschen Buchmarkt und hat eine hochspannende Verlagsszene, die mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie aktuell in Deutschland bekommt.“ Auf der Schaubühne Lindenfels, die 2023 auf der Buchmesse zum Österreich-Pavillon wird, fand nach der Programmvorstellung unter dem Titel „Wildes Österreich“ ein literarisch-musikalischer Abend statt. Mit dabei waren unter anderem Karl-Markus Gauß, Tanja Maljartschuk, Fiston Mwanza Mujila, Teresa Präauer, Stefanie Sargnagel, Daniela Strigl und Daniel Wisser. Das Erste Wiener Heimorgelorchester und Christopher Just sorgten für Rhythmus und Stimmung.

Benedikt Föger, Präsident des HVB

FOTO: JOHANNA BASCH KE

s war Absage, aber Österreich war da. Die Leipziger Buchmesse fand heuer nicht statt, trotzdem stellte sich Österreich im März als Gastland 2023 in Leipzig vor. Es wurden die Wortbildmarke, das Programm und die Aussicht auf eine „Lange Nacht der Österreichischen Literatur“ präsentiert. „Österreich ist ein Land, das sich gern als Kulturnation bezeichnet. Dass wir es auch wirklich sind, werden wir in den kommenden Monaten und auf der Leipziger Buchmesse 2023 mit unserem Programm unter Beweis stellen – und zwar in einer so vielfältigen Form, dass Klischees keine Chancen haben“, sagte Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur. Wer ist wir? Und was bedeutet Kulturnation? Diese Fragen sollen im Mittelpunkt des Gastlandauftritts stehen. „Die Literatur und die Buchbranche Österreichs sind unberechenbar, erfindungsreich und unkonventionell“, sagt Gastland-Kuratorin Katja Gasser. „Zu dieser Lebendigkeit trägt sicher der Umstand bei, dass Mehrsprachigkeit und Multikulturalität als wesentliche Bestandteile der ‚österreichischen Identität‘ sowie als wichtige Kreativitätsmotoren begriffen werden. ‚Meaoiswiamia‘ bedeutet eben mehr als ‚mia san mia‘: Letzteres hat den Menschen bekanntlich immer schon ins Verderben getrieben.“

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– Wissenswert –

Ö1 Buch des Monats

Julia Schoch: „Das Vorkommnis. Biographie einer Frau“, dtv, 192 Seiten

Thalia setzt erneut auf stationären Handel Thalia investiert in Um- und Ausbau. In den neuen Filialen auf der Mariahilfer Straße und in der Millennium City stehen Attraktivität und Freude am Verweilen im Mittelpunkt Vieles in unserem Leben verlagert sich immer mehr in die Onlinesphäre, auch das Lesen und Kaufen von Büchern. Trotzdem – oder gerade deswegen – setzt Thalia auf stationären Handel. „Wie jeder Retailer investiert auch Thalia regelmäßig in das stationäre Geschäft“, sagt Andrea Heumann, Geschäftsführerin von Thalia. „Neue Präsentationsformen und neue Möbelkonzepte sollen inspirieren.“ Ende September dieses Jahres soll die Thalia-Filiale auf der Wiener Mariahilfer Straße erneuert werden. „Wir freuen uns, dass wir trotz der vielen Unwägbarkeiten durch die Pandemie dieses Vorhaben nun endlich in die Tat umsetzen werden“, erklärt Heumann. Die neue Buchhandlung soll zum „Treffpunkt in der Nähe“ werden, eine angenehme Atmosphäre habe Priorität. Besonderes Augenmerk wird auf Leseförderung gerichtet: Mit einem breiten Angebot, einer ansprechenden Präsentation und Veranstaltungen soll die nächste Generation an Bücher herangeführt werden. Passend dazu wird es in den neuen Räumlichkeiten eine Familienwelt mit einer großen Kinderbuch- und Spielwarenabteilung geben. Außerdem soll das Non-Book-Sortiment mehr

Noch vor Fertigstellung des Umbaus soll eine neue Filiale in der Millennium City im 20. Wiener Bezirk eröffnet werden. Anfang Februar wurde mit dem Bau begonnen, die Eröffnung des neuen Geschäfts soll bereits am 7. April stattfinden. In dem über 300 Quadratmeter großen Geschäft wird es ebenso Verweilzonen wie einen hellen und freundlichen Kinder- und Jugendbereich geben. „Wir setzen auf ein angenehmes, gediegenes Ambiente mit Highlight-Tischen im Buchbereich“, erklärt Heumann. Im Geschäft in der Millennium City wechseln Schwerpunktthemen saisonal. Im April etwa gibt es Bücher zu den Themen „Natur und Garten“ und „Bewegung für Körper und Seele“. Welche Titel präsentiert werden und in welcher Umgebung Kund:innen in den Büchern schmökern können, erfährt man bei der Eröffnung. Auch in der Filiale auf der Mariahilfer Straße darf man einiges erwarten. „Zur Ausstattung im Detail möchten wir noch nichts verraten“, sagt Heumann. „Wir wollen unsere Kund:innen überraschen.“

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum

–3,9 % +2,9 % Umsatz Gesamtmarkt

Raum erhalten. Der Umbau findet Geschoß für Geschoß statt, nach Fertigstellung jeder Etage darf man sich auf jeweils eine MiniEröffnungsfeier freuen.

+81,1%

Umsatz stationärer Handel

Umsatz Reisen

Weitere Marktdaten zur österreichischen Buchbranche liegen dem anzeiger exklusiv für HVB-Mitglieder monatlich bei.

Erhebung: xxxMedia Control im Auftrag des HVB.

Marktdaten Februar 2022

So sieht die Thalia-Filiale auf der Mariahilfer Straße im Moment aus

FOTOS: THALIA, I. ORSINI UND ROSENBERG, HVB

In ihrem neuen Roman „Das Vorkommnis“ schreibt die deutsche Schriftstellerin Julia Schoch die – wie es im Untertitel heißt – „Biographie einer Frau“. Diese Frau wird eines Tages von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig, löst in ihr aber eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf: über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über Wahrheit im Allgemeinen. Zu ihrer Auswahl schreibt die Jury: „Julia Schoch, die auch eine hervorragende Übersetzerin aus dem Französischen ist, entwickelt aus Erinnerungsfragmenten ein Lebensbild, in dem Individuum und Gesellschaft gleichermaßen Kontur bekommen. Und dies in einer Sprache, die an Klarheit und Direktheit ihresgleichen in der deutschen Literatur sucht.“

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– Wissenswert –

Wünsche, Worte, Werden und die Kraken

Österreichischer Buchpreis Mit dem Österreichischen Buchpreis zeichnen das Bundeskanzleramt und der Hauptverband HVB jährlich zum Auftakt der Buch Wien im November das beste deutschsprachige belletristische, essayistische, lyrische oder dramatische Werk einer österreichischen Autorin bzw. eines österreichischen Autors mit einer Preissumme von 20.000 Euro aus. Die vier weiteren für den Preis Nominierten erhalten jeweils 2.500 Euro. Zusätzlich stiftet die Arbeiterkammer

Wien einen Debütpreis (10.000 Euro für den Siegertitel, zwei weitere Finalisten erhalten 2.500 Euro).

Jedes Jahr werden vier Kinder- und Jugendbuchpreise vergeben, die derzeit mit je 6.000 Euro dotiert sind. Die Preisträger:innen 2022 sind:

Möglicher Erscheinungszeitraum: 8. 10. 2021 bis 11. 10. 2022 (letztes Jahr 9. 10. 2019 bis 7. 10. 2021). Verleihung: Montag, 21. 11. 2022, Montag der Buch Wien-Woche.

Brüder Grimm, Julie Völk: Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat, Gerstenberg Verlag 2021

Details zur Ausschreibung finden Sie unter: oesterreichischer-buchpreis.at

Lena Raubaum, Katja Seifert: Mit Worten will ich dich umarmen, Tyrolia Verlag 2021

Leo-Perutz-Preis für Wiener Kriminalliteratur Es wird wieder spannend! Der HVB und die Stadt Wien Kultur vergeben mit freundlicher Unterstützung von Bestattung Himmelblau zum dreizehnten Mal den Leo-Perutz-Preis für Wiener Kriminalliteratur. Die Stadt Wien Kultur stiftet dabei das Preisgeld in der Höhe von 5.000 Euro. Ausgezeichnet werden Kriminalromane, deren Qualität und literarischer Anspruch an den namensgebenden österreichischen Literaten erinnern. Außerdem sollen die Werke innovativ sein und einen Wien-Bezug haben.

Die Einreichfrist endet am 31. März. Die Preisverleihung findet am 11. Oktober im Rahmen der Kriminacht im Wiener Kaffeehaus in Wien statt. Details zur Ausschreibung finden Sie unter www.buecher.at/leo-perutz-preis

Nils Mohl, Regina Kehn: An die, die wir nicht werden wollen, Tyrolia Verlag 2021

HVB-Geschäftsführer Gustav Soucek mit Georg Haas, Geschäftsführer Bestattung Himmelblau

Michael Stavarič, Michèle Ganser: Faszination Krake, Leykam Verlag 2021

Eines Morgens macht der Fischer Wassili in einer Bucht auf der ägäischen Insel Folegandros eine Entdeckung, die ihn veranlasst, seinen Bruder, den Athener Kriminalisten Kyon Theophanes, zu Hilfe zu rufen. – Die Autorin Christa Zettel hinterfragt die abendländische Vorstellung der romantischen Liebe. Sie allein könnte ihn retten. Sie allein wünscht seinen Tod. Die Handlung spielt im Griechenland der 80er-Jahre. Es ist ein Kriminalroman mit Tiefgang, den man ebenso als leichte Lektüre genießen kann. Vögel der Dunkelheit

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Christa Zettel | Softcover, 240 Seiten

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Verlag Margarete Tischler | buch@verlag-margarete-tischler.at

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– Wissenswert –

Mediakolleg: Verlagswesen und Digital Skills Die Seminare des mediakollegs im Frühjahr teraktiv (z. B. anhand von Beispielen oder kleinen Aufgabenstellungen) erarbeitet. Informationen aus dem Seminar werden auf einer Online-Plattform gesammelt, die über die Veranstaltung hinaus zugänglich bleibt.

280 Euro Kursgebühr für Nichtmitglieder (zzgl. 20 % USt.) 12. Mai 2022, Grundwissen Verlag Das Seminar vermittelt Ihnen einen ersten praxisnahen Einblick in die wichtigsten Bereiche des Verlagswesens. Sie erfahren, welche Arbeitsbereiche es im Verlag gibt und wie gedruckte und elektronische Bücher entstehen. Die Themen werden großteils in-

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für die Einzeltitel:

18. Mai Online-Texten. Authentisch und wirkungsstark

Bezahlte Anzeigen. Der Verlag übernimmt keine Haftung dafür, dass die Titel bereits geschützt sind oder durch die Inserate Rechte Dritter verletzt werden.

Mit einer Titelschutzmeldung im anzeiger ist Ihr Buchtitel für sechs Monate bis zum Erscheinungsdatum geschützt. Ihre Titelschutzmeldung ist mit Ihrer Nennung nach kurzer Überprüfung über www.buecher.at abrufbar und erscheint in der darauffolgenden Ausgabe des anzeigers. Titel melden können Sie auf www.buecher. at/titelschutz oder per E-Mail an Isabel Huber unter huber@hvb.at.

in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. Manfred Marc Umfahrer Heinrichstraße, 8010 Graz, Österreich

5. Mai–17. Mai Adobe Photoshop. Grundwissen

Das Seminarprogramm finden Sie unter www.buecher.at => Seminare. Kontakt: Julia Stumvoll, 01/512 15 35 29, mediakolleg@hvb.at

Titelschutzmeldungen

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: Logbuch eines Schmuts

25. und 26. April Digital Business Development

FOTO:SHUTTERSTOCK

Kosten: 230 Euro Kursgebühr für HVB-Mitglieder (zzgl. 20 % USt.)

ONLINE-SEMINARE:

Die gleichzeitige Schaltung von mehreren Titelschutzmeldungen ist besonders günstig: Bis zu drei Titel pro Ausgabe gibt es exklusiv für HVB-Mitglieder* um nur € 80,–/6 Titel € 110,– und bis zu 12 Titel um nur € 210,–. Isabel Huber berät Sie gern unter huber@hvb.at, Tel. 01/512 15 35 DW 14. (*Nichtmitglieder zahlen das Doppelte, alle Preise zzgl. 5 % Werbeabgabe und 20 % MwSt.)

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: NATÜRLICH SCHÖN Anti-Aging mit ätherischen Ölen in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. Marion Pabst Jakob Syz Weg, 8101 Gratkorn, Österreich

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für die Einzeltitel: Der Wilde Polibär Die Reise nach Aix-en-Provence in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. Marco Alcántara Pfeuferstraße 51, 81373 München, Deutschland

Blanke Gier Bleiche Erben Bittere Quellen

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den Reihentitel: der Liebesarchitekt ein etwas anderer Datingcoach

Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: Spontan Vegan

in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. Verlag Anton Pustet Bergstraße 12, 5020 Salzburg, Österreich

in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. mentalLOVE e.U. DI Susanne Bartmann Dr.-Eduard-Heinl-Gasse 2, 1190 Wien, Österreich

in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen- und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. Jelena Maier Am Wiesengrund 7, 2631 Sieding, Österreich

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Elefanten für Österreich

F O T O : VA L E R I E V O I T H O F E R

Die Nominierungen für den Literaturpreis der Europäischen Union 2022 Der Literaturpreis der Europäischen Union (EUPL) würdigt aufstrebende Belletristikautor:innen aus der EU und darüber hinaus. Beim Wettbewerb 2022 beteiligten sich 14 Autor:innen aus 14 Ländern, jeweils von nationalen Einrichtungen nominiert. Für Österreich durfte der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels diese Aufgabe übernehmen. Peter Karoshi ist mit seinem Roman „Zu den Elefanten“ (Leykam Verlag) als österreichischer Beitrag im Rennen. „Es ist die Frage nach der Zeit und ihrem Vergehen, die im Zentrum von Peter Karoshis Novelle ‚Zu den Elefanten‘ steht. Daran gebunden ist die Auseinandersetzung damit, welche Rolle dem Einzelnen zukommen kann in dieser verrinnenden Zeit, und womit es gelingen kann, womit es sich überhaupt lohnt, sich in diese Zeit einzutragen“, heißt es in der Jurybegründung. Der EUPL soll vielfältige Literatur und Kulturen feiern, was in diesen unsicheren Zeiten besonders wichtig ist. Das EUPL-Konsortium wird auch eine Nominierung aus der Ukraine in die Liste für 2022 aufnehmen.

Rubina Möhring – Mahnerin und Freundin Rubina Möhring, die langjährige Präsidentin der Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen Österreich“, ist am 2. März 2022 im Alter von 71 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben. Sie engagierte sich im Kampf um Pressefreiheit und war als Autorin erfolgreich. „Rubina Möhring war eine mutige und aufrechte Stimme in der österreichischen Medienwelt. Sie wird uns nicht nur als Mahnerin und notwendiges Korrektiv fehlen, sondern vor allem als Mensch und Freundin“, sagt HVB-Präsident Benedikt Föger.

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Auch im Jahr 2022

pflanzen wir für jeden Auftrag einen neuen Baum

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Welttag des Buches im Zeichen der Ukraine

Bücherschecks verwenden und die Ukraine unterstützen! Zehn Prozent von jedem eingelösten HVBBücherscheck gehen an die Ukraine-Hilfe der Caritas. Diese Initiative des HVB läuft bis zum Welttag des Buches am 23. April. Auch bereits gekaufte Schecks können verwendet werden, relevant ist der Zeitpunkt des Einlösens. Weitere Informationen auf der Website des HVB: www.buecher.at

FOTO:ISTOCK

Der Welttag des Buches hat seinen Ursprung in Spanien, Dort werden am 23. April, dem Tag des Heiligen Georg, traditionell Rosen und Bücher verschenkt. An diesem Tag ist im Jahr 1616 Miguel de Cervantes gestorben, Schöpfer der Romanfigur Don Quijote. Auch William Shakespeare wird mit diesem Tag in Zusammenhang gebracht: Er soll am 23. April 1564 geboren worden sein – und sein Sterbedatum mit dem von Cervantes übereinstimmen. Auch in diesem Jahr freut sich der HVB auf einen lebendigen Buchmonat April: Bis 29. März 2022 können Mitgliedsbuchhandlungen Förderungen für Lesungen beantragen, die anlässlich des Welttags des Buches veranstaltet werden. 2022 wird der Welttag des Buches in Österreich im Zeichen der Ukraine stehen. Der HVB bekundet seine Solidarität mit den Menschen in der Ukraine in Form einer Spendeninitiative.

N er LE ed EL gli ST it BE -M T VB TZ H JE für r

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Mitgliedsaktion zum Welttag des Buches

Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels bietet seinen Mitgliedsbuchhandlungen zum Welttag des Buches ein Papiertragetaschen-Paket mit 100 Taschen (violett) an. Wenn Sie bis 1. April bestellen, erhalten Sie die Lieferung garantiert vor dem Welttag des Buches. Für die Bestellung der Tragetaschen genügt ein E-Mail an office@hvb.at € 37,- (exkl. USt.) inklusive Versand, Aktion gültig bis 30. April

Die attraktiven Papiertragetaschen bieten genügend Platz für Ihre individuelle Logo-Platzierung (z. B. mit Ihrem Aufkleber). Ein Muster kann gerne angefordert werden.

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Der ehemalige Gesundheitsminister Rudi Anschober schildert die Heraus­ forderungen der Corona­Pandemie.

Foto: © Ulrik Hölzel

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*Auf Empfehlung des österreichischen Importeurs

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Innenansichten eines Ausnahmezustands

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– Essenziell – Der Buchmarkt in Frankreich

F r e ih e it, G le ic h h e it u n d

Literatur

WIR BERICHTEN HIER IMMER ÜBER THEMEN, DIE FÜR DIE BUCHBRANCHE RELEVANT SIND – IN ÖSTERREICH. DOCH WAS PASSIERT JENSEITS UNSERER LANDESGRENZEN? AB JETZT NEHMEN WIR SIE REGELMÄSSIG AUF EINE REISE ZU DEN BUCHMÄRKTEN ANDERER LÄNDER MIT. DEN AUFTAKT MACHT FRANKREICH: DAS WICHTIGSTE KULTURGUT IST DORT DAS BUCH Text: Linn Ritsch Illustration: Georg Feierfeil

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allimard dit stop“ (Gallimard sagt stopp) titelte die französische Tageszeitung La Tribune im April 2021. Diese etwas dramatisch formulierte Nachricht bezog sich nicht etwa auf eine Schließung von Gallimard, einem der größten Verlagshäuser Frankreichs, sondern auf die Schreibwut der französischen Bevölkerung. Laut einer Anfang Mai 2020 durchgeführten Onlineumfrage haben zehn Prozent der über 18-jährigen Französinnen und Franzosen während des Lockdowns begonnen ein Buch zu schreiben. Verlage im ganzen Land erklärten, sie seien mit der Masse der eingesandten Manuskripte überfordert. Bis Gallimard sich gezwungen sah, stopp zu sagen und die Menschen aufzufordern, weniger zu schreiben – und dafür mehr zu lesen.

FRANKREICH – EINE NATION DER BIBLIOPHILEN? „Die Franzosen haben seit jeher die Angewohnheit zu schreiben. Aber seit der Ausgangssperre hat es einen Boom gegeben“, erklärt Karen Haguenauer, Leiterin des Verlagshauses Les Trois Colonnes. Ist Frankreich also eine Nation der Literat:innen, mehr noch als eine Nation der Lesenden? Eine Frage, die man nicht eindeutig beantworten

kann. In den Augen der Bevölkerung hat Li- DER STATIONÄRE BUCHHANDEL teratur einen hohen Stellenwert, und darauf MACHT DAS GROSSE GESCHÄFT ist Frankreich stolz. In diesem Land gilt das In eine französische Buchhandlung zu gehen Buch als Kulturgut Nummer eins, der Buchsei ein grundsätzlich anderes Erlebnis, als sektor ist die größte Kulturindustrie. Jährlich hierzulande Bücher zu kaufen, sagt Danvers, wird mit Büchern mehr als doppelt so viel der bereits seit zwanzig Jahren in Wien lebt. Geld umgesetzt als im Musik- oder Kino„Wenn man in Österreich in eine kleine Buchbereich. handlung kommt, eilt sofort jemand herbei Weltweit liegt Frankreich im oberen Mitund fragt: ‚Kann ich Ihnen helfen?‘– wie in telfeld der Nationen der Viellesenden. Die einem Schuhgeschäft. In Frankreich geht französische Selbstwahrnehmung dürfte man eher davon aus, dass sich Kund:innen davon leicht abweichen: „Die Menschen in in einem Buchladen selbst zurechtfinden, Frankreich haben ein romantisches Bild von man lässt Besucher:innen zunächst alleine sich selbst. Sie können großartig sein oder in den Regalen stöbern und Entdeckungen furchtbar – aber in der Mitte, das geht nicht“, machen.“ meint Christophe Danvers, Lektor für RomaMit über 3.000 unabhängigen Geschäfnistik an der Universität Wien. Was die Liteten hat Frankreich eines der dichtesten ratur und das Lesen betrifft, wird die eigene Buchhandlungsnetze der Welt. „Sie leben Nation ganz bestimmt nicht als furchtbar ausschließlich von ihren Verkäufen“, erklärt wahrgenommen. Danvers. „Der Staat vergibt keine FörderunDas ist sie auch nicht. Es gibt in Frankgen.“ Ein Großteil der Bücher wird im statireich knapp 3.000 Verlagshäuser, jährlich onären Handel verkauft. Der Onlinehandel werden 435 Millionen Bücher verkauft. Der macht nur etwa 15 Prozent der Gesamtkäufe UNESCO zufolge liegt Frankreich damit weltaus. Das gedruckte Buch hat nach wie vor weit an neunter Stelle der Länder mit den einen hohen Stellenwert. meisten Publikationen pro Jahr. Auch der Den beansprucht auch die renommierte Literaturexport läuft gut: Französisch ist die Buchmesse in der französischen Hauptstadt. am zweithäufigsten übersetzte Sprache der Vierzig Jahre nach der ersten Pariser BuchWelt; aus Frankreich werden pro Jahr über messe und nach zwei abgesagten 15.000 Titel ins Ausland verkauft. »

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WEBBÜCHER: DIE „PARALLELLEKTÜRE“ DER JUGENDLICHEN

Veranstaltungen 2020 wird sie in nationale“, also zum großen Anliegen der diesem Jahr wieder stattfinden – unter neu­ Nation, zu erklären. Seit Sommer 2021 und em Namen und in neuer Gestalt: Der „Salon noch bis zum Sommer dieses Jahres gibt es du Livre“, der in den letzten Jahren als „Livre überall in Frankreich Veranstaltungen, die Paris“ bekannt war, wird jetzt zum Pariser Bücher und die Praxis des Lesens ins Zen­ trum der Aufmerksamkeit der französischen Buchfestival. Das Festival du Livre de Paris, das heuer Bevölkerung rücken sollen. Ein Grund dafür ist die mangelnde Lese­ zum ersten Mal allein vom Syndicat national de l’édition (SNE) organisiert wird, soll im kompetenz, die trotz aller positiven Buch­ Vergleich zur bisherigen Messe dynamischer verkaufszahlen auch in Frankreich spürbar und moderner werden. „Wir haben mit De­ ist. „Heute beherrschen zwanzig Prozent der signern und Szenografen das ganze Messe­ Schüler:innen beim Verlassen der Grund­ gelände und die einzelnen Stände kreiert: Es schule die Grundkenntnisse des Lesens nur sind nicht mehr die Verlage selbst, die ihre unzureichend. Dies ist die Quelle eines Groß­ Stände gestalten“, erklärt Pierre Dutilleul, teils der Ungleichheiten in unserem Land“, der Generaldirektor des französischen Ver­ heißt es auf der Website des französischen lagsverbandes SNE. „Außerdem organisieren Bildungsministeriums. Gleichzeitig ist die aktuelle Wahl der wir Orte der Begegnung für Diskussionen und Austausch zwischen den einzelnen „grande cause“ auch mit dem französischen Verlagshäusern und den Besucher:innen. Bewusstsein für die Relevanz des gedruckten Im Mittelpunkt soll das Interesse am Buch Wortes zu erklären. „In Frankreich ist das Buch nicht nur das umsatzstärkste Kulturgut, stehen, nicht nur der Verkauf.“ sondern vielleicht auch das mit dem größten kulturellen Einfluss“, sagt Dutilleul vom SNE. „Das Wort steht am Beginn der Kunst, der Phi­ DAS LESEN ALS „GRANDE CAUSE losophie, natürlich der Literatur. Ich denke, NATIONALE“ DER GRAND NATION Das findet auch Emmanuel Macron. Letztes dieses Bewusstsein ist ein wichtiger Grund Jahr entschied sich der französische Staats­ dafür, dass das Buch während der Pandemie präsident dafür, das Lesen zur „grande cause zum essenziellen Gut erklärt wurde.“

MANGAS ERLEBEN EINEN SAGENHAFTEN BOOM Jugendliche lesen durchaus auch gedruckte Bücher. Geschriebenes also, aber auch Ge­ zeichnetes: Ein unter jungen Menschen sehr beliebtes Genre sind „BD“. „Bandes desinées“ kann man als „gezeichnete Bücher“ über­ setzen. Diese machen in Frankreich einen signifikanten Teil der verkauften Bücher aus,

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Die Maßnahmen zur Leseförderung, die im Rahmen der „grande cause nationale“ ergrif­ fen werden, dienen also wohl nicht zuletzt dazu, die tatsächlichen Verhältnisse an die­ ses theoretische Bewusstsein anzugleichen. Viele Menschen in Frankreich würden nicht lesen, so das Bildungsministerium, „weil Bücher nicht Teil ihres soziokulturellen Um­ felds sind oder weil sie unter einer Sprach­ barriere leiden“. Um das zu ändern, soll in erster Linie mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet werden, es wird vor allem auf Ver­ anstaltungen und Unterrichtsschwerpunkte an Schulen gesetzt. Auf Jugendliche müsse auch in anderer Hinsicht mehr eingegangen werden, meint Pierre Dutilleul. Ihre Lesegewohnheiten unterscheiden sich von denen älterer Men­ schen; eine Tatsache, der oft nicht genug Rechnung getragen werde. „Es gibt in Frank­ reich eine Lesegemeinschaft, die wir ‚young adults‘ nennen, das sind junge Leser:innen bis etwa 25 Jahre. Auf sie müssen wir uns verstärkt konzentrieren.“ Viele von ihnen lesen beispielsweise vor allem „Webbücher“, also literarische Texte, die online publiziert werden und nie in ge­ druckter Form erscheinen. „Unter den zehn meistverkauften Büchern des Jahres 2021 sind drei oder vier, die sich aus Texten in den sozialen Netzwerken entwickelt haben“, er­ klärt Dutilleul. „Manche davon waren nicht – oder sind immer noch nicht – in Buchhand­ lungen erhältlich.“ Obwohl von vielen dieser Onlinebücher jährlich 3.000 bis 4.000 Exemplare verkauft werden, kennen viele Menschen sie und ihre Autor:innen nicht. „Wir sehen, dass damit in der jungen Generation eine Art Parallel­ lektüre entstanden ist, sagt der Generaldi­ rektor des SNE. Die Kluft zwischen verschie­ denen Arten des Lesens soll geschlossen werden: „Es ist in unserem eigenen Interesse, uns damit zu beschäftigen und verstärkt da­ rauf einzugehen.“

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FOTO S: J Ü RG E N BAU E R, M I R IA M ST RO BAC H, S N E

Tendenz steigend. Während Comicbücher in Österreich und vielen anderen Ländern immer noch vor allem als Lektüre für Kinder wahrgenommen werden, gelten sie in Frankreich schlicht als eine weitere ernst zu nehmende Form der Literatur. 2020 machten Comics 12,5 Prozent des französischen Buchmarktes aus. „Ich denke, das lässt sich vielleicht mit der Tradition einer lebendigen Bildkultur in Frankreich erklären“, sagt Christophe Danvers. „In Frankreich sind Menschen daran gewöhnt, nicht nur Worte, sondern auch Bilder zu lesen. Wir haben eine lange Karikaturentradition, die vor allem für Zeitschriften eine wichtige Rolle spielt. Auch sehr wichtige, ernste Themen werden zeichnerisch wiedergegeben und in dieser Form von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Denken Sie etwa an Charlie Hebdo.“ Dadurch habe man weniger Vorurteile gegenüber „Bilderbüchern“ wie Comics und Mangas. Letztere erleben in Frankreich gerade einen nie da gewesenen Aufschwung. „Mangas zählen zwar nicht zu den traditionellen Kulturgütern Frankreichs, gewinnen aber derzeit sehr schnell an Bedeutung für den Buchmarkt“, erklärt Generaldirektor Dutilleul. In dieser Kategorie verzeichnet der französische Buchmarkt 2022 einen Anstieg von achtzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das sei, sagt Dutilleul, „unglaublich, eine historische Zahl“.

NICHT AUS FRANKREICH, ABER FRANZÖSISCH Ein weiteres wichtiges „Genre“ ist Literatur aus den ehemaligen Kolonien Frankreichs. Texte aus diesen Ländern werden häufig zwar als Teil des Kulturgutes der Nation wahrgenommen, trotzdem bilden sie eine eigene Kategorie. „Ich erinnere mich daran, dass mir oft Buchhandlungen aufgefallen sind, die sich auf Literatur aus der Frankophonie spezialisiert haben“, erzählt Julia Schoch, Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Französischen. Von einer auffälligen Trennung zwischen Literatur aus Frankreich und Literatur aus anderen französischsprachigen Ländern berichtet auch Christophe Danvers: „In Frankreichs Buchhandlungen gibt es meist eine Art ,frankophone Ecke‘, die sich vom Rest der französischsprachigen Literatur abhebt.“ In letzter Zeit verschwimmt die einst so deutlich gezogene Grenze allerdings zunehmend: 2021 wurde der senegalesische Autor Mohamed Mbougar Sarr mit dem Prix

„Durch den Austausch zwischen Frankreich und der Frankophonie ist die französischsprachige Literaturlandschaft ganz anders als die deutschsprachige“ Julia Schoch

Julia Schoch, Autorin und Übersetzerin aus dem Französischen

Christophe Danvers, Lektor an der Universität Wien

Pierre Dutilleul, Generaldirektor des französischen Verlegerverbandes

Goncourt ausgezeichnet, für seinen Roman „La plus secrète mémoire des hommes“ (was auf Deutsch sinngemäß mit „Die geheimste Erinnerung der Menschheit“ übersetzt werden kann). Der Roman wurde in Kooperation mit dem Pariser Philippe Rey und dem senegalesischen Verlagshaus Jimsaan veröffentlicht, er ist also gleichzeitig in Frankreich und im Senegal erschienen. „Am Tag der Verleihung ist der Prix Goncourt die Hauptgeschichte in den französischen Abendnachrichten“, erklärt Danvers. Mehr muss man nicht sagen, um die Relevanz französischer Literaturpreise zu erklären. Unter diesen gilt der Goncourt praktisch als Gottes Segen: Der Preis ist so prestigeträchtig, dass alle Schriftsteller:innen, die ihn erhalten, automatisch zu Bestsellerautor:innen werden und als meisterhafte Literat:innen gelten. Die preisgekrönten Bücher werden mit einem roten „bandeau“ mit weißer Schrift umhüllt und sind damit von Weitem als große Literatur erkennbar. Dass ein senegalesischer Autor den Prix Goncourt erhalten hat, ist also eine große Sache. Die Trennwand zwischen der frankophonen und der französischen Literatur ist wieder etwas poröser geworden. Erfreulich ist außerdem: Trotz geistiger Trennung von französischen Autor:innen ist die frankophone Literatur durchaus stark präsent. „Es gibt dazu etwa Universitätsveranstaltungen; für Studierende werden Austauschund Reisemöglichkeiten in diese Länder angeboten“, sagt Julia Schoch. „Durch den Austausch zwischen Frankreich und der Frankophonie – bedingt durch Frankreichs (Kolonial-)Geschichte – ist die französischsprachige Literaturlandschaft zwangsläufig ganz anders als die deutschsprachige. In der Hinsicht kann man das französische Modell als einzigartig betrachten.“

DIE BUCHHÄNDLER:INNEN ALS HELD:INNEN DER PANDEMIE Einzigartig ist auch die Auswirkung der Pandemie auf die französische Buchbranche. Covid-19 hat die Buchmärkte der meisten Länder dazu veranlasst, Katastrophenmeldungen auszusenden: Verkaufszahlen brachen dramatisch ein; Buchhandlungen, die vor allem vom stationären Verkauf leben, konnten sich aufgrund der langen Schließungsphasen kaum über Wasser halten. In Frankreich gestaltet sich die Situation ein wenig anders: Obwohl die Lage nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 ebenso düster war wie in den meisten »

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anderen Ländern (minus 278 Millionen Euro Umsatz gegenüber demselben Zeitraum im Vorjahr laut SNE), ging der Jahresumsatz französischer Buchhandlungen im ersten Pandemiejahr 2020 um nur zwei Prozent zurück. Innerhalb von wenigen Monaten stieg der Umsatz so stark an, dass die Verluste fast vollständig ausgeglichen werden konnten. Entscheidend dafür war die Zusammenarbeit der kleineren, unabhängigen Buchhandlungen: Als sie im November 2020 wieder schließen mussten, organisierten sie sich sofort untereinander in einem Click-and-Collect-System. Ebenso entscheidend war das Interesse der Französinnen und Franzosen. „Gleich nach den lebens- und systemerhaltenden Berufsgruppen, vor allem natürlich dem Gesundheitssektor, wurden Buchhändler:innen in Frankreich als ‚Held:innen der Pandemie‘ wahrgenommen“, sagt Danvers. „Noch nie hat man in der Öffentlichkeit so leidenschaftlich von den Buchhandlungen gesprochen“, jubelte damals auch Guillaume Husson vom

„Während der Coronakrise wurden Buchhändler:innen in Frankreich als ,Held:innen der Pandemie‘ wahrgenommen“ Christophe Danvers

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französischen Buchhändlerverband. Die französische Bevölkerung war ernsthaft um sie besorgt. „Mehr noch als etwa um Kino und Theater“, erklärt Danvers. Hier wären wir also wieder, beim Kulturgut Nummer eins. Dass das Buch in Frankreich tatsächlich als solches wahrgenommen wird, wurde durch die Pandemie bestätigt. Mittlerweile haben die Buchhandlungen wieder geöffnet und erfreuen sich zahlreicher Kund:innen. Wenn es wärmer wird, werden wohl auch die „Bouquinistes“, die Buchhändler:innen mit den kleinen Ständen entlang der beiden Seineufer, wieder von literaturaffinen Menschen umschwärmt. Obwohl die Tätigkeit der Bouquinistes harte Arbeit ist und sich finanziell oft kaum rentiert, bewerben sich jährlich Hunderte Menschen um einen Platz für ihren Buchstand. Diejenigen, die das größte Interesse und die größte Leidenschaft für Bücher beweisen, erhalten eine Lizenz. So ist das eben in Frankreich: Das Wissen um den Wert des gedruckten Wortes ist Teil des Nationalstolzes. «

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Florian Scheuba »Noch komischer als in der österreichischen Polit-Realität von Bussi-Chats und Liebesschwüren wird es nur, wenn Florian Scheuba sich einmischt. Lesen, lachen, lernen!«

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Die Chat-Nachrichten aus dem Umfeld des Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz erschütterten im Herbst 2021 die Republik. Der investigative Kabarettist Florian Scheuba hat sich auf Spurensuche begeben. Und fand so manche Überraschung ... 160 Seiten. Klappenbroschur. € 18,50 [A]* ISBN 978-3-552-07316-6 Erscheint am 11. April 2022

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Leichen gibt es in Kriminalromanen so gut wie immer

KUNST,

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ie besteht ein Künstler in einer Welt der Bildung, der Analphabeten?“, schrieb Friedrich Dürrenmatt einst, und fügte hinzu, dass diese Frage, auf die er keine Antwort wisse, ihn bedrücke. Eine Antwort gab er trotzdem: „Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet. Die Literatur muss so leicht werden, dass sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie gewichtig.“ Was für Dürrenmatt heutige Literaturkritik war, ist für uns die gestrige. Bei diesem Thema scheint zwischen heute und gestern aber kein großer Unterschied zu bestehen. Literarische Texte werden immer noch in ernst zu nehmende „Kunst“ einerseits und „Unterhaltungsliteratur“ andererseits eingeteilt. In Taschenbuch-Krimis mit düsterem Coverbild und bluttriefendem Titel vermutet man keine literarischen Perlen. Wie immer, wenn es um Vorurteile und Verallgemeinerungen geht, kann diese Annahme ein Irrtum sein und dazu führen, dass man großartige Texte ignoriert. Wenn ein Buch einerseits zwar eindeutig ein Kriminal-, Schauer- oder Detektivroman ist, andererseits aber in den Kanon literarisch wertvoller Texte eingeordnet werden soll, einigen sich Kritiker:innen häufig darauf, dass

Auf der einen Seite gibt es Thriller, Kriminalromane und Spukgeschichten – kurz: Unterhaltung. „Wirkliche“ Literatur stehe auf der anderen Seite des belletristischen Spektrums, sagt man … Text: Linn Ritsch

der jeweilige Titel „viel mehr“ sei als schaurige Unterhaltung oder jedenfalls „nicht nur“ als solche gelesen werden darf. So verhält es sich etwa mit dem Erfolgsroman „Kleine Grausamkeiten“ (Steidl Verlag) der irischen Krimiautorin Liz Nugent. Er beginnt mit einer Beerdigung – und damit mit einer Leiche: Einer der drei Drumm-Brüder ist tot, die anderen beiden stehen Seite an Seite an seinem Sarg. Einer der beiden ist ein Mörder, somit stehen wir am Beginn eines klassischen Kriminalromans. Weniger klassisch ist die zusätzliche Frage, die Nugent an den Anfang der Geschichte stellt: Welcher der drei Brüder liegt eigentlich im Sarg? Beide Fragen werden erst fast 400 Seiten später beantwortet, bis dahin wird den Leser:innen in episodenhaften Erinnerungsfetzen aller drei Brüder die Familie Drumm vorgestellt, in all ihrer Dysfunktionalität. Den titelgebenden kleinen Grausamkeiten scheinen die drei schon in frühester Kindheit entwachsen zu sein. Das Verhältnis zwischen der psychisch labilen Mutter und ihren Söhnen ist grausam. Die Sympathie der Leser:innen bleibt nie lange bei einer Figur, und doch versteht man die Handlungsweisen jeder einzelnen. Auch wenn die Frage nach dem Mörder (und dem Ermordeten) bisweilen von

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wo sie niemand vermutet

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meisterhaft verschlungenen Darstellungen der Beziehungen zwischen den Familienmit­ gliedern in den Hintergrund gedrängt wird, schwebt doch stets das Gefühl von Unbeha­ gen über den Ereignissen. Wenn man kurz Atem schöpft zwischen den Zeitsprüngen in den Berichten der drei Protagonisten (die dankenswerterweise jeweils mit einer Jahres­ zahl übertitelt sind), dann erinnert man sich daran, dass einer von ihnen bald tot sein wird. Daraufhin möchte man vor allem wis­ sen, welcher es ist und warum er sterben musste – und wer der Mörder ist. Nugents Ro­ man ist eben ein Krimi. Und er ist ein kluges, lesenswertes, unterhaltendes und besonde­ res Stück Literatur. Auch der Japaner Hideo Yokoyama ist ein erfolgreicher Autor, auch seine Romane sind Kriminalromane. „64“ (Atri­ um Verlag) wird in der deut­ schen Übersetzung sogar als Thriller eingeordnet, eine Be­ zeichnung, die bei den zahlrei­ chen lobenden Kritiker:innen auf Ablehnung stößt: Man sol­ le sich davon nicht in die Irre führen lassen, heißt es immer wieder, sondern sich statt­ dessen lieber auf den Vergleich mit Henry James oder Adjekti­ ve wie „nobelpreisverdächtig“ konzentrieren. Ob unvermutet oder nicht, in diesem Roman, der mit Leichen, fast verjährten Ent­ führungen und mühsamen Ermittlungen aufwartet, stößt man auf literarisches Können. Um die Figur des Yoshinobu Mikami, Presse­ direktor der Polizei in der nicht näher loka­ lisierten Präfektur D, entwirft Yokoyama ein Porträt der japanischen Polizei und ihrer auf Korruption und erzwungener Höflichkeit ba­ sierenden Strukturen. Gleichzeitig zeichnet er damit auf 760 Seiten ein Gesellschaftsbild, das europäischen Leser:innen einen ein­ drucksvollen und lebendigen Blick auf das moderne Japan ermöglicht. Obwohl man Krimis traditionell keine bildende und sensibilisierende Funktion zuschreibt, ist „64“ ein Buch, das den Ho­ rizont erweitert. Wer sich lesend durch das undurchdringliche Hierarchie­Dickicht und die persönlichen Fehden der japanischen

Kriminalpolizei kämpft und langsam den Eindruck gewinnt, dass weibliche Angestell­ te keineswegs eine gerechte Behandlung erfahren, weiß nachher in jedem Fall mehr über die japanische Gesellschaft. Und wem darüber hinaus offenkundige Parallelen zu den Absurditäten der eigenen Gesellschaft auffallen, hat mehr aus der Lektüre mitge­ nommen, als er oder sie zunächst, mit einem Blick auf das Wörtchen „Thriller“ auf dem Buchdeckel, angenommen hat. Natürlich gibt es Krimi­ nalromane, die über jedes Naserümpfen erhaben sind. Etwa jene des oben erwähn­ ten Friedrich Dürrenmatt. (Über ihn werden Sie übri­ gens in der kommenden Aus­ gabe mehr erfahren.) Es gibt Bücher, deren Hauptfiguren halbmenschliche monströ­ se Gestalten sind – die aber trotzdem als große Kunst ge­ feiert werden. Mary Shelleys „Frankenstein“ zum Beispiel, ein Roman, der (zu Recht!) als eines der wichtigsten Werke der englischen Literaturge­ schichte gilt. Oder auch Bram Stokers „Dracula“, der Ur­ vater aller Vampirromane. Letzterer wurde unlängst neu ins Deutsche übersetzt und wird im Steidl Verlag er­ scheinen. Sein Inhalt muss hier kaum erzählt werden, er ist hinlänglich bekannt. Zu sagen bleibt, dass die Überset­ zung ebenso hervorragend ist wie der Originaltext von 1897. Man könnte ihn durchaus (wieder) einmal lesen, vor allem in der Über­ setzung von Andreas Nohl. Man wird viel über Blut und Knoblauch erfahren, bestens unterhalten werden und seine Freude an Stokers klugen Beobachtungen des mensch­ lichen Wesens und seinem schriftstelleri­ schen Können haben. Denn „Dracula“ ist ein Kunstwerk.

Erratum: Wir entschuldigen uns für den Fehler, der uns an dieser Stelle in der letzten Ausgabe unterlaufen ist. Das Kinderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ ist nicht bei Peter Hammer erschienen, sondern im Kunstmann Verlag.

Meine Name ist Adele,

ISBN 978ISBN 3-7704-0 978-3-77 702-6 04-07026

Krimis und Thriller

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– Schwerpunkt – Krimis und Thriller

Krimilesefutter für den Frühling mit Brenner, Lacroix und Ducker Bücherinsel, Gallneukirchen, Claudia Strasser

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„Wir freuen uns, unsere Stammkund:innen mit Neuentdeckungen überraschen zu können“

händler von Notre-Dame“ (Kampa Verlag) erscheint im Frühjahr und verspricht, „eines der spannenden Highlights unter den Neuerscheinungen in diesem Frühjahr zu werden.“ Neben Frankreich ist auch Kanada eines jener Länder, in das Strasser und ihr Team gern literarisch-gedankliche Reisen unternehmen. „Louise Penny und ihr Ermittler Gamache haben sich einen festen Platz auf unserem Krimitisch erobert“, erzählt die Buchhändlerin und beschreibt „Totes Laub. Der elfte Fall für Gamache“ (Kampa Verlag) als „solides Krimilesefutter für diesen Frühling.“ Weiter im Trend bleiben skandinavische Krimis. Nach ihrem Auftakt mit „Nachttod“ ist kürzlich der zweite Band mit dem Titel „Finsterhaus“ (Heyne) der Krimireihe rund um Hanna Ducker von Johanna Mo erschienen. Darin taucht die Polizistin tiefer in die Geheimnisse um das Mordgeständnis ihres Vaters ein und versucht zusammen mit Partner Erik Lindgren gleichzeitig ein kleines Kind zu retten. „Die Hauptfigur wirkt anfänglich etwas abweisend, sodass man als Leser:in nicht gleich mit ihr warm wird“, erklärt Strasser. Dennoch wird man schnell von der Geschichte in den Bann gezogen. Ihr Fazit: Ein Roman, in den man sich erst langsam einfinden müsse, trotzdem werde sie sich den für Frühjahr 2023 angekündigten Folgeband „Dunkelwald“ nicht entgehen lassen. Zum Schluss hat Strasser noch einen Tipp für alle Fans der im vergangenen Jahr verstorbenen Autorin Lucinda Riley: „Im April erscheint der erste und bisher unveröffentlichte Kriminalroman von Lucinda Riley, „Die Toten von Fleat House“, im Goldmann Verlag – darauf warten wir mit Spannung.“

F O T O S : P R I VA T

n der Bücherinsel in Gallneukirchen finden Freund:innen des Nervenkitzels neben anspruchsvoller Kriminalliteratur auch humorvolle Regionalromane und Titel, die in das Genre der sogenannten Cosy Crimes eingeordnet werden können. Abgesehen von bekannten Krimigrößen hat das Team rund um Buchhändlerin Claudia Strasser auch eher unbekanntere Krimineulinge im Sortiment. „Wir verstehen uns als regionaler literarischer Nahversorger und freuen uns, unsere Stammkund:innen mit einer ungeplanten Neuentdeckung überraschen zu können“, sagt die Filialleiterin. Einen fixen Platz im Sortiment der Buchhandlung nimmt die oberösterreichische Autorin Eva Reichl ein, die mit ihrem Neuling „Todesdorf“ ihren Fans nach vier Mühlviertler Krimis nun erstmals einen Thriller beschert. Als „Must-Read“ kann man den Krimi von Wolf Haas mit dem Titel „Müll“ (Hoffmann & Campe) bezeichnen. Claudia Strasser hat den Roman vorab gelesen und mit Freude festgestellt, dass der österreichische Autor mit dem Buch endlich wieder einen „typischen Brenner-Krimi“ auf den Markt gebracht hat. Strasser meint: „Mit lakonischem Humor lässt Haas seinen Brenner in bekannter Weise auf dem Müllplatz mehr Geheimnisse aufdecken, als dieser vielleicht wollte.“ Außerdem fiebern Claudia Strasser und ihr Team bereits einer Reihe interessanter Neuerscheinungen internationaler Schriftsteller:innen entgegen. „Mit Spannung erwarten wir zum Beispiel das neue Buch von Alex Lépic, dessen Commissaire Lacroix der legendären Figur Maigret von Simenon nachempfunden ist“, erklärt Strasser. Der fünfte Fall „Lacroix und der blinde Buch-

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– Schwerpunkt – Krimis und Thriller

Obskure Mordfälle, historische Verschwörungen und kochende Ermittlerinnen Alexowsky Buch- und Papierhandlung Groß-Enzersdorf, Helene Sternig

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b es um die eigene Heimatgegend geht, um ein Urlaubsziel oder eine Destination, für die man ein Faible hat: Das Etikett Regionalkrimi boomt. Auch in der Buch- und Papierhandlung Alexowsky in Groß-Enzersdorf ist die Aufklärung von Verbrechen mit Lokalkolorit sehr gefragt. „Die Menschen lieben spannende Geschichten aus ihrem eigenen Umfeld“, meint Buchhändlerin Helene Sternig. Sind die Protagonist:innen auch noch ein wenig schrullig und ist der Mordfall etwas obskur – umso besser. „Wichtig ist auch eine gute Portion Humor“, fügt die Buchhändlerin hinzu. Nicht verwunderlich also, dass die Kundschaft sehnsüchtig die neuen Krimis von Wolf Haas und Thomas Stipsits erwarte. Neben den österreichischen Krimigrößen findet man in der Buchhandlung Alexowksy eine liebevoll auf die Stammkundschaft gemünzte Krimiauswahl. Laut Sternig ist ein guter Mix das Geheimnis: „Meist bestelle ich interessante Titel, die mir gerade in die Finger kommen und zu unserer Kundschaft passen könnten.“ Unter den Neuerscheinungen empfiehlt die Buchhändlerin das neue Buch von Richard Osman, der in „Der Mann, der zweimal starb“ (Ullstein Verlag) seine scharfsinnige Pensionistentruppe wieder auf Ermittlungen schickt. „Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und bringen einen schnell zum Lachen. Außerdem entwickelt Richard Osman auch einen sehr ansprechenden Krimiplot mit vielen humorvollen Wendungen“, erklärt die Krimiexpertin. Einen laut Sternig sehr fesselnden Schreibstil pflegt auch die in Salzburg geborene Autorin Ellen Dunne. Ihr neuer Kriminalroman „Boom Town Blues“ wurde im Haymon Verlag veröffentlicht und zeigt

„Die Menschen lieben spannende Geschichten aus ihrem eigenen Umfeld“

ein Dublin fernab gängiger Reisekatalogklischees. Sternig sagt: „Die Autorin zeichnet sehr gekonnt ein Bild der auseinanderdriftenden Realitäten jener Menschen ,ganz oben‘, der Mittelschicht und der Menschen, die zum Leben zu wenig haben – eine Leseempfehlung.“ Definitiv kein Roman für Zartbesaitete ist „1795“, das Finale der Trilogie von Niklas Natt och Dag (Piper Verlag). In diesem Buch zeigt der Autor und Journalist ein Stockholm in all seiner Grausamkeit. „Das Wechselspiel zwischen historischem Zeitporträt und Krimiplot ist einfach meisterlich. Ich war sehr beeindruckt“, meint Sternig. Eine raffinierte Gratwanderung zwischen Krimi und wissenschaftlicher Arbeit wagt auch der deutsche Universitätsprofessor für Geschichte Michael Sommer mit „Dark Rome“ (C. H. Beck). „Der Autor betrachtet darin die dunklen Seiten der römischen Geschichte: Von Drogenkonsum zu Giftmischung über Mord und Verschwörung ist alles dabei“, erzählt die Buchhändlerin. Das Buch empfiehlt sie jenen Leser:innen, die sich für das alte Rom interessieren und in die Geschichte dieser Zeit eintauchen wollen. Für alle kochwütigen Krimifans hat Helene Sternig das Kochbuch „No Stress/ Mira kocht“ (Folio Verlag) der im Weinviertel ansässigen Autorin Eva Rossmann in petto. „Gerade schreibt sie an ihrem nächsten Krimi. Um die Wartezeit zu verkürzen, gibt es jetzt ein Kochbuch mit mehr als 200 Rezepten aus den Mira-Valensky-Krimis.“ Im März organisiert die Buchhandlung eine Lesung, bei der auch gekocht wird. „Eva Rossmann liest aus ihren Büchern, und Herbert Breinreich kocht daraus die Rezepte. Das wird ein literarisch-kulinarischer Hochgenuss“.

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und Jessica Lind. Freuen Sie sich auf Tage voller Literatur und Entspannung! Jetzt mitspielen und gewinnen auf: www.falter.at/anzeiger www.achensee-literatour.at Teilnahmeschluss: 15. April 2022

anzeiger

Das Magazin für die österreichische Buchbranche

Teilnahmebedingungen: Teilnahmeberechtigt sind Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr. Schriftverkehr, Rechtsweg und Barablöse sind ausgeschlossen. Der Gewinn ist nicht übertragbar oder auszahlbar. Die Gewinner*innen werden schriftlich verständigt. Teilnahmeschluss: 15. April 2022. Datenschutz: Für die Teilnahme am Gewinnspiel ist eine Angabe von personenbezogenen Daten erforderlich. Die Teilnehmer*innen erklären sich ausdrücklich damit einverstanden, dass die von ihnen übermittelten Daten von der Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien, für die Durchführung und Abwicklung des Gewinnspiels erhoben und verarbeitet werden. Die Daten werden nach vollständiger Durchführung des Gewinnspiels umgehend und unwiederbringlich gelöscht.

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– International –

Nachhaltig unternehmerisch agieren Seit 1. Jänner 2022 ist Peter Kraus vom Cleff Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Hier erklärt er Herausforderungen und Ziele

Text: Linn Ritsch

FOTO: LUKAS WEHNER

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er Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf eine lange (und turbulente) Geschichte zurück. Er wurde bereits 1825 gegründet, seitdem gab es zahlreiche, politisch bedingte, strukturelle Änderungen. So überlebte er etwa die Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten und die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, was eine Auflösung des Börsenvereins und eine spätere Neugründung nach sich zog. Heute ist der Börsenverein als Dachverband organisiert. Er besteht aus dem Bundesverband, sechs rechtlich eigenständigen Landesverbänden und der Regionalgeschäftsstelle NRW. Der neue Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff sieht den BÖV vor allem als den zentralen Punkt eines weitläufigen Netzwerkes: „Wenn man sich die Buchbranche als Stadt vorstellt, dann ist der Börsenverein die Agora: der zentrale Platz. Hier kommen alle Mitglieder zusammen, um miteinander in Austausch zu treten und miteinander Neues zu entwickeln. Wir stellen diesen Raum zur Verfügung, mit Leben füllen ihn die Mitglieder.“ Als Interessensvertretung und zentrales Sprachrohr aller sei es Aufgabe des Börsenvereins, sich um sichere und gute Bedingungen für das Zusammenleben aller zu kümmern. Solche Bedingungen zu schaffen, ist nicht immer leicht. Auch der deutsche Buchhandel ist derzeit mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Die Pandemie habe viele Problemfelder verschärft, wie etwa die Verödung der Innenstädte oder die Defizite bei der Lesekompetenz junger Menschen. Besonders wichtig sei daher die Leseförderung: „Jedes fünfte Kind hat nach Verlassen der Grundschule keine ausreichende Lesekompetenz. Wir wollen weiter an kreativen Ansätzen arbeiten und uns für eine bundesweite Strategie stark machen.“

„Wenn man sich die Buchbranche als Stadt vorstellt, ist der Börsenverein die Agora: der zentrale Platz“ Peter Kraus vom Cleff

Börsenverein des Deutschen Buchhandels H a u pt g e s c h ä f t s f ü h r e r : Peter Kraus vom Cleff V o r s t e h e r i n : Karin Schmidt-Friderichs H a u pt s i t z : Frankfurt am Main M i t a r b e i t e r : i n n e n : 55 M i t g l i e de

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Ein weiterer problematischer Punkt sind pandemiebedingte wirtschaftliche Einbußen. Gerade der Buchhandel vor Ort verzeichnet aufgrund der Ladenschließungen finanzielle Einbußen. „Natürlich hat auch die dritte Absage der Leipziger Buchmesse die Branche schwer getroffen“, sagt Kraus vom Cleff. „Daher ist mir die Arbeit an der Zukunft der Buchmessen in Leipzig und Frankfurt als Leuchttürme unserer Kulturund Kreativwirtschaft ein großes Anliegen.“ Außerdem beschäftigt sich der Börsenverein aktiv mit Herausforderungen, die global und branchenübergreifend sind. Hier gehe es etwa um digitale Transformation und Nachhaltigkeit. „Die großen Themen unserer Zeit sind auch für unsere Branche relevant. Ich möchte im Bereich der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, der Sustainable Development Goals (SDG), gern mehr machen. Das betrifft den Klimaschutz ebenso wie Gleichberechtigung, Menschenrechte und Bildung.“ Auf der zentralen Agora des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wird trotz aller Herausforderungen in nächster Zeit viel Positives geschehen, ist Kraus vom Cleff überzeugt. In der aktuellen Krisensituation der Ukraine sollen etwa Zeichen des Friedens gesetzt werden. Für die nächste Zeit herrscht kein Mangel an Themen, die es zu bearbeiten gilt: „Eine zukunftsentscheidende Frage wird sein, wie wir die unternehmerischen Existenzen der Branche zuverlässig sichern können“, sagt Kraus vom Cleff. Die Margen seien gering, der Kostendruck steigt. Außerdem gelte es, die Marktregeln für die großen Plattformen neu zu fassen: „Sie alle konnten ihre Heilsversprechen nicht halten. Sie schaden ohne wirksame Regulierung dem Markt und untergraben seine Vielfalt. Viel zu tun – aber gemeinsam können wir das schaffen!“

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– Die aktuellen Bestseller –

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– HVB-Mitglieder im Porträt – Buchhandlung Ellmauer

Claudia Magauer, Isabell Ellmauer, Stefanie Empl Text: Lisa Schöttel Foto: Michael Huber

I

m Herzen des Pinzgaus hat Claudia Magauer zusammen mit ihren beiden Schwestern Isabell Ellmauer und Stefanie Empl Bücheroasen geschaffen. Schon beim Betreten der Buchhandlung Ellmauer mit Filialen in Zell am See und Mittersill wird klar: Hier spielen nicht nur Bücher, sondern auch die Menschen, die sie kaufen und lesen, eine wichtige Rolle. Gemütliche Sitzecken, liebevoll sortierte Bücherregale aus Holz und angenehme Musik laden zum Schmökern und Verweilen ein. „Wir haben unsere Buchhandlungen so gestaltet, dass sich Kund:innen wohlfühlen und gern zu uns kommen.“ Egal ob Stadt oder Land – hier finden alle das richtige Buch und können sich gleichzeitig eine kleine Auszeit von der Realität gönnen. Die Liebe zum Buch begleitet die Schwestern schon ihr Leben lang: „Unsere Eltern haben 1983 die Buchhandlung in den Pinzgau gebracht. Wir drei sind also mit dem Buchhandel aufgewachsen“, erzählt sie. Nach dem Schulabschluss studierte Magauer Germanistik an der Universität in Salzburg, merkte aber bald, dass sie nicht nur die Literatur, sondern auch die Arbeit mit Kund:innen zu ihrem Beruf machen wollte. Auch ihre Schwestern stiegen nach ihrem Abschluss – Stefanie Empl absolvierte eine Buchhandlungslehre, Isabell Ellmauer die Tourismusschule – in das Buchgeschäft ein. Bis heute haben sie diese Entscheidung nicht bereut. Magauer beschreibt das so: „Wir sind ein Familienbetrieb und das Buchgeschäft ist unsere große Leidenschaft.“ Der persönliche Kontakt ist das, was die Buchhändlerin an ihrem Beruf besonders schätzt. „Egal ob Autor:innen oder Kund:innen – es ist für mich ein Privileg, mit so vielen interessanten Menschen zusam-

„Egal ob Autor:innen oder Kund:innen – es ist ein Privileg mit so vielen interessanten Menschen zusammenzukommen“

Buchhandlung Ellmauer Zell/See und Mittersill zell@ellmauer-buch.at

menzukommen.“ Sie kennt die Geschichten aller, die den Weg in die Buchhandlung finden, und schickt sie mit dem passenden Buch wieder in die Welt hinaus. Auch in schwierigen Zeiten, wie der momentanen Corona-Pandemie, waren die Schwestern für ihre Kundschaft da. „Wir haben immer versucht, den Kontakt zu halten und auch während des Lockdowns alle mit Lesestoff zu versorgen“, erzählt Magauer. Nichts sei wichtiger als ein Buch, das einen berühre oder zum Lachen bringe. Dieses Engagement blieb bei der Kundschaft nicht unbemerkt. „Viele kommen jetzt zu uns und meinen: Ich kaufe bei euch ein, weil ich möchte, dass es euch weiterhin gibt.“ Zu ihren Mitarbeiter:innen pflegen Claudia, Isabell und Stefanie ebenfalls ein sehr familiäres Verhältnis. „Uns ist es wichtig, dass wir alle miteinander harmonieren“, so Magauer. Man vertraue sich blind und ziehe an einem Strang. „Wir drei sind uns in unseren Entscheidungen immer einig“, sagt die Salzburgerin voll Freude.

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– HVB-Mitglieder im Porträt – Galerie Magnet

Wilfried Magnet Text: Mona Saidi Foto: privat

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n seinem Büro sitzt Wilfried Magnet vor einem Bildschirm, die Wand hinter ihm vom Parkett bis zur Decke mit Bildern bedeckt. Die eingerahmten Werke sind unterschiedlich groß, schwarze Linien und Formen auf weißem und manchmal auf gelblichem Papier. Es sieht aus, als würde man sich in einer kleinen, privaten Sammlergalerie befinden. Passend zum Mann im Sakko, der davor sitzt. Die kleine Papierbuchhandlung seiner Eltern hat Wilfried Magnet 1973 übernommen und knapp ein Jahrzehnt später in ein Antiquariat verwandelt. Heute besteht das Repertoire aus mehr als 800 Titeln, mitunter Monografien über Kunst- und Kulturaustellungen. Einige Exemplare sind nirgendwo anders zu finden. Wilfried Magnet liebt die Kunst. Gemeinsam mit seiner Frau Heidrun, wie er hat sie den Buchhandel gelernt, führt er die Geschäfte des Buchhandels und der Galerie: Beide parallel, doch sind sie auch miteinander verwoben. Zu seinen liebsten Fundstücken zählen Bilder von Kärntner Kunstschaffenden. „Die Kunst aus Kärnten hat in den Zwischenkriegsjahren die klassische Moderne in Österreich stark geprägt und tut das bis heute.“ Kunstschaffende wie Herbert Boeckl, Hans Staudacher und Werner Berg haben Talente aus den Nachbarländern nach Kärnten gezogen, die sich im ländlichen Raum niedergelassen haben und die Kunstszene mitgestalten. Mit ihren Werken hat sich die Galerie Magnet in Österreich und international einen Namen gemacht. „Der Austausch mit unseren Kundinnen und Kunden ist uns sehr wichtig. Das versuchen wir auch in unserem Auftreten zu zeigen“, erklärt der Buchhändler. Der 72-Jährige

„Buchhandel und Galerien sind wichtige Bestandteile dessen, was Kunst und Kultur zu bieten haben“

arbeitet an verschiedenen Standorten. Im Depot in der Wiener Spiegelgasse 23 mit antiquarischen Büchern und Bildern aus dem aktuellen Programm. Oder in der Buchhandlung und den Galerieräumen am Hauptplatz von Völkermarkt in Unterkärnten. Neben Bestsellern bietet diese Buchhandlung eine breite Auswahl an Literatur zu Kärnten – von Bildbänden bis zu Geschichten. Gegenüber vom Klagenfurter Stadttheater befindet sich das kunst- und kulturträchtige Palais Fugger.

Hier stellt Wilfried Magnet sein Programm in einer gekürzten Form vor, der sogenannten Preview, und vermittelt erste Eindrücke noch vor dem Ausstellungshöhepunkt in der Osterwoche. Auch auf Kunstmessen wie der Art & Antique in der Wiener Hofburg oder in der Residenz Salzburg während der Osterund der Sommerfestspiele ist die Galerie vertreten. Für Besucher:innen aus Frankreich, Deutschland und Italien bereitet Wilfried Magnet einen saisonalen Katalog vor. Für ihn sind die Besucher:innen ein wichtiger Teil des Buch- und Kunsthandels, sie stehen seit Beginn seiner Tätigkeiten vor vierzig Jahren im Mittelpunkt: „Die Menschen sollen sich bei uns gut aufgehoben fühlen. Der Buchhandel und die Galerien sind ein wichtiger Bestandteil des Positiven, das Kunst und Kultur zu bieten haben.“

Galerie Magnet Völkermarkt buch.magnet@aon.at

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– HVB-Mitglieder im Porträt – Buch-Papier-Spiel Retzer

Hermine Retzer und Desiree Tax Text: Johanna Heiss Foto: Alexander De Monte

I

m idyllischen Mureck, das in der Südsteiermark, direkt an der Grenze zu Slowenien, liegt, findet man das Geschäft Buch-Papier-Spiel Retzer – eine besondere Buchhandlung. Vor 21 Jahren hat Hermine Retzer den Laden übernommen, nachdem sie drei Jahre lang dort angestellt war. Nach einem Jahr hat Frau Retzers Tochter, Desiree Tax, eine Lehre im Geschäft begonnen. Seitdem führen die beiden den Laden gemeinsam. Hier gibt es neben einer riesigen Auswahl an Literatur – quer durch alle Genres – auch Schulbücher, Büroartikel und Geschenke. Die Buchhandlung bietet alles von steirischen Krimis bis zu Klassikern. Den beiden Frauen ist es wichtig, Platz für heimische Autor:innen zu bieten, aber natürlich gibt es auch internationale Literatur. Die Frage nach ihrem Lieblingsbuch können weder Hermine Retzer noch ihre Tochter eindeutig beantworten – dafür gibt es einfach zu viel gute Literatur. Da Internetgiganten wie Amazon nicht erst seit der Corona-Pandemie eine große Konkurrenz darstellen, haben sich Hermine Retzer und Desiree Tax angepasst und ihren Bestellservice ausgebaut. Damit sind lieferbare Bücher bereits am nächsten Tag in der Buchhandlung abholbar – bestellt werden kann sogar über WhatsApp. Das trägt auch dazu bei, dass die Kund*innen der Buchhandlung treu bleiben. Hauptsächlich lebt die Buchhandlung Retzer von der Stammkundschaft – und das ist auch kaum verwunderlich, denn sowohl Frau Retzer als auch ihre Tochter legen besonders viel Wert auf gute Beziehungen zu

„Manche unserer Kund:innen haben in unserem Geschäft ihre erste Schultasche bekommen und kaufen jetzt bei uns die Schulbücher für ihre Kinder“

ihrer Kundschaft. Im Ort kennt und schätzt man das Geschäft, es kommt nicht selten vor, dass Kund:innen, die ihre eigene erste Schultasche im Laden bekommen haben, nun die Schulbücher ihrer Kinder wieder hier kaufen. Fast alle von ihnen kennen entweder die Mutter oder die Tochter, viele können gleich mit einer neuen Buchempfehlung begrüßt werden. Der enge Kontakt zu den Menschen, die in die Buchhandlung kommen, ist auch das Besondere an ihrer Arbeit, finden sowohl Hermine Retzer als auch Desiree Tax.

Obwohl die Buchhandlung in erster Generation von Hermine Retzer übernommen worden ist, kann man nach zwanzig gemeinsamen Arbeitsjahren von Mutter und Tochter mittlerweile von einem Familienbetrieb sprechen. Von den üblichen Tücken einer solchen Konstellation bemerken Hermine Retzer und Desiree Tax allerdings nicht viel – die Vorteile überwiegen eindeutig. Die beiden stehen in ständigem Austausch, können sehr viel voneinander lernen, und meistens hat eine der beiden die Lösung für auftretende Probleme. Bei Unstimmigkeiten wird ein Mittelweg gesucht. Die Zusammenarbeit macht die beiden vor allem flexibel: Wenn eine der beiden Frauen einmal nicht im Laden sein kann, kann die andere die Arbeit für eine Weile allein stemmen. Intensive Diskussionen gibt es also selten – aber manchmal eben doch. Dann gehen beide am Abend nach Hause – und am nächsten Tag ist meistens sowieso wieder alles gut.

Buch-Papier-Spiel Retzer Hauptplatz 45, 8480 Mureck papier.retzer@aon.at

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Die Schriftstellerin Teresa Präauer wurde mit zahl­ reichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt gewann sie den Ben­Witter­Preis 2022

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– Selbstredend –

Beim

Schauen

denken

So beschreibt die Autorin und bildende Künstlerin Teresa Präauer ihre Herangehensweise an die Literatur. Im Literaturbetrieb sehr erfolgreich, versteht sie es, sich einen Blick zu bewahren, der aus einer Existenz jenseits dieser Kategorien kommt Interview: Erich Klein Fotos: Nini Tschavoll

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ie Schriftstellerin und bildende Künstlerin Teresa Präauer, 1979 in Linz geboren, in Graz und St. Johann im Pongau aufgewachsen, lebt heute in Wien. Sie studierte Germanistik an der Universität Salzburg und der HumboldtUniversität Berlin sowie Malerei am Mozarteum Salzburg. Für ihren ersten Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. „Johnny und Jean“ war 2015 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Ihr neues Buch „Mädchen“ erschien kürzlich beim Wallstein Verlag. Frau Päauer, wann war Ihnen klar, dass Sie Schriftstellerin werden? Teresa Präauer: Es war kein Kinderwunsch, wobei Kinderwunsch hier das falsche Wort ist (lacht). Es war kein Wunsch, als ich noch Kind war, auch später nicht als Studentin. Ich habe Germanistik und am Salzburger Mozarteum Malerei studiert und wollte Künstlerin werden. Jedenfalls wollte ich etwas machen, das nicht von morgens bis abends im Büro stattfindet.

Nach dem Studium habe ich versucht, in der bildenden Kunst Fuß zu fassen, und habe zahlreiche Ausstellungen gemacht. Ich war mit den Eröffnungsreden bei den Vernissagen aber nicht zufrieden und dachte immer wieder, ich würde alles anders sagen. Also begann ich, die Vernissagenreden selbst zu formulieren. Gleichzeitig waren das die letzten Vernissagenreden, weil damit dieser Weg dann auch zu Ende war. Die bildende Kunst ist für mich noch immer ein starker Bezugsrahmen, aber sie ist nicht mehr Beruf und Arbeitsfeld. Ich war knapp unter dreißig, als ich begann, literarische Texte zu schreiben. Sie haben auch Germanistik studiert – was war Ihre Diplomarbeit? Präauer: Ich habe sehr gern wissenschaftlich gearbeitet – das Diplom war eine Arbeit zu H. C. Artmanns Poetologie anhand der Primärtexte und seiner Interviews. Mich interessierte Artmanns künstlerisches Selbstverständnis: Wie er als Autor öffentlich auftrat, aber auch die Momente, in denen er sich selbst widersprach. Vielleicht auch das Spielerische, Komische, das bei ihm eine wichtige Rolle spielt. Mich beschäftigt beim Lesen weniger

das Identifikatorische, sondern das Werk, weniger die Autoren, sondern der Text. Das sagen Literaturwissenschaftler:innen gern – muss man das glauben? Präauer: Es gibt viele Leserinnen und Leser, die Biografien lesen. Ich habe das eigentlich nie getan. An Literatur interessiert mich am meisten die Auseinandersetzung mit der Sprache. Themen dienen oft als Vorwand, sich sprachlich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, ihn ästhetisch oder visuell zu umkreisen oder auch abzulehnen. Mich interessiert auch keine Autorin per se, wenn sie politisch schreibt, sondern wenn sie sich um Stil und Form bemüht. Ich lese ja auch ganz gern Nabokov, der von manchen heute wieder als amoralisch kritisiert wird. Lesen und Schreiben sind freilich kein utopischer Ort, der von völliger Freiheit getragen wäre – aber bis zu einem gewissen Grad eben doch! Ich will in der Literatur nicht unbedingt mich selbst finden, mir geht es um das Andere oder den Anderen – und um etwas, das Teil von mir ist und mir möglicherweise gleichzeitig auch widerstrebt. In diesem Zwischenbereich bewege ich mich. »

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Bücher von Teresa Präauer im Wallstein Verlag Mädchen (2022) Die Erzählung „Mädchen“ fängt überraschend mit einem Buben an: „Wir beginnen mit einem neunjährigen Kind, einem Jungen, ausgerechnet hier und jetzt. Ich habe ihn nicht in die Welt gesetzt, er wurde vom Universum geschickt.“ Sogleich werden Leserin und Leser in ein dichtes Geflecht von persönlichen Erinnerungsstücken der

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Was haben Sie als Kind und Mädchen gelesen? Präauer: Asterix und Obelix, Lucky Luke, „Wir Kinder aus Bullerbü“, Karl May, Irmgard Keun. Sehr früh fing auch das literarische Lesen an, wenn man es so bezeichnen möchte. Ich hatte Glück mit einem Lehrer, der zwar pädagogisch ungeeignet war, stellte er doch an Fünfzehnjährige einen wissenschaftlichen Anspruch. Für den Rest der Klasse war das ein Horror, für mich genau das Richtige. Wir haben Celan gelesen, Handke, Bachmann, Kafka. Er stellte uns die verschiedenen Interpretationsschulen von Kafka vor …

zu fallen und darin total aufzugehen, wäre mir zu naiv.

Sie waren wegen der Literatur gern in der Schule? Präauer: War ich lieber in der Schule als zu Hause? Schwierige Frage. Ich war ganz gern in der Schule, wenn es zu Hause manchmal nicht einfach war. Mein Idealbild war dann, in einer Hängematte zu liegen und für mich allein zu sein – und mich lesend selbst zu vergessen.

Zittern“ könnte ich immer wieder lesen, oder auch die Dichterin Mascha Kaleko.

Keine Schriftstellerinnen – etwa die Bachmann? Präauer: Bachmann gerade nicht mehr. Aber es gibt Autorinnen, die ich als komisch oder witzig empfinde. Dazu gehört Irmgard Keun, die zwar als Boulevard gilt, aber sehr genau schreibt und über schalkhaften Witz verfügt. So etwas kann ich immer wieder lesen und mich für einzelne Sätze begeistern. Auch eine Autorin wie Amélie Nothomb finde ich großartig. Deren „Mit Staunen und

Autorin verstrickt, von literarischen Betrachtungen über Kindheit und Konkurrenz, Mädchenbanden und Bubenspiele. Neben Großvater und Vater passieren Irmgard Keun, Françoise Sagan, Annie Ernaux und zahlreiche Künstlerinnen Revue. Der wiederholte Trommelwirbel „Wer über das Mädchen nachdenkt, denkt über Anfänge nach“ endet schließlich mit dem Aufwachen des Jungen.

Das Glück ist eine Bohne (2021) Liebesgeschichten und Geschichten über die Liebe zu den Dingen, die uns täglich umgeben. Wahres und Erfundenes über den Snowboard-Unterricht mit Phil Collins, ein Hausbesuch von Britney Spears, die erste Londonreise auf den Spuren von Jimi Hendrix, über Datingshows, Hölderlin und Grace Jones. Kurz: Präauers Glamour! Tier werden (2018) Während wir lesen, verwandeln wir uns, so lauten die Warnung und das Versprechen des erzählerischen Essays. Bildbetrachtungen und Überlegungen zu Übergang und Metamorphose anhand von Perchten, Harpyien, allerlei Misch- und Fabelwesen. Johnny und Jean (2014) Der scheue und eigenwillige Johnny und der geschäftstüchtige, aber angepasste Jean werden Künstler. Man träumt von New York, den Alten Meistern, von Zürich und davon, Björk zu heiraten und was jungen Herren sonst noch in den Sinn kommt, etwa eine Freundin auszuspannen. Ein „Jungbrunnen“, wie ihn schon Präauers Säulenheiliger Lucas Cranach malte.

Ein Lieblingsbuch von damals, das für Sie noch immer Bedeutung hat … Präauer: „Wunschloses Unglück“ von Peter Handke. Das hat mein Lesen und mein Denken in dieser Zeit verändert. Hinter dieses Buch kann ich nicht mehr zurück: Diese Art zu erzählen und sich dann vom Erzählen während des Schreibens zu distanzieren und über das Schreiben laut nachzudenken. Der andere Zugang, nämlich ins reine Erzählen

Gibt es eigentlich „weibliches Schreiben“? Präauer: Ich finde, dass wir das in vielen Fällen nicht zuordnen könnten, stünde auf dem Buchcover kein Name. Ich war einmal in der Jury des FM4-Wortlaut-Literaturpreises, für den anonym eingereicht wird. Wir haben beim Lesen Alter und Geschlecht geschätzt – und lagen oft falsch. Meine These ist, dass das Geschlecht nicht das Ausschlaggebende in der Literatur ist. Was ist für Sie das Ausschlaggebende in der Literatur? Präauer: Die Sprache. Als Sie Ihre Künstlerkarriere ad acta legten – wie ging es da weiter?

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Kontinent Kinderbuch Präauer: Ich habe begonnen, täglich eine Seite zu schreiben – oft Bildbeschreibungen, von real existierenden, aber auch von fikti­ ven Bildern. Es ging darum, pro Tag eine Seite zu schreiben. Das hielt ich ein paar Monate lang durch. Ich begann in der Früh zu schreiben, mittags las ich Korrektur und habe das dann noch überarbeitet. Abends habe ich es ausgedruckt – es war ein span­ nender Vorgang. Als ich ungefähr hundert Texte beisammenhatte, habe ich sie erstmals eingereicht. Es kamen dann Reaktionen, die mir Türen geöffnet haben, die ich als bilden­ de Künstlerin kaum aufstoßen konnte. Ich bekam den Eindruck, da gehe etwas weiter,

„Wenn man sich auf die bildende Kunst wirklich einlässt, ist sie ein Mittel, die Grenzen dessen, was man selbst akzeptiert, zu überschreiten“ Teresa Präauer

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es gebe vielleicht Interesse, und das machte dann Spaß, denn ich habe davor fast zehn Jahre lang für die Schublade gearbeitet. Das führte aber auch zu ziemlich existenziellen Fragen … Was war Ihr Vater, der in Ihrem neuen Buch „Mädchen“ kurz auftaucht, eigentlich von Beruf? Präauer: Er war, was seine Ausbildung an­ belangt, Produktdesigner. Meine Eltern wa­ ren die Ersten in der Familie, die etwas an­ deres machten als üblich. Ich war in diesem Sinne vorerst auch nicht abgesichert. Da gibt es keine Biografie, wo man seit Jahrhunder­ ten auf erfolgreiche Künstler zurückblicken könnte. Ich bewegte mich damals innerhalb eines sehr fragilen, prekären Lebensent­ wurfs.

Sind Sie nicht eigentlich zu jung, um schon über Ihre Kindheit zu schreiben? Präauer: Manchmal ist es dichter, je näher man an etwas dran ist. Nicht von ungefähr streiten sich die Nachbarn am meisten. An­ dererseits kann ich mich mit dreiundvierzig Jahren an manches auch nicht mehr im De­ tail erinnern. Der Prozess der Erinnerung, der da beim Schreiben stattfindet, ist auch eine Fiktionalisierung: Die jeweiligen Stim­ men der verschiedenen Lebensalter, an die man sich erinnert, mischen sich. Erinnern ist immer auch etwas Künstliches. Ein wiederkehrender Satz Ihres Buches lautet: „Wer über das Mädchen nachdenkt, denkt über Anfänge nach.“ Präauer: Wir können es auch ersetzen und sagen, über den Jungen oder die Buben nachzudenken, hieße, über Anfänge nachzu­ denken. Ja, aber der Clou in Ihrem Buch ist, dass eine wichtige Figur auf Seite drei sagt: „Ich bin ein Cowboy“ … Präauer: Meine Texte beginnen oft mit die­ sem hic et nunc, mit einer Figur, die sich hinstellt und spricht. Eines meiner Bücher beginnt mit dem Satz: „Ich stelle mir vor, wie ich als junger Bub auf dem Land lebe …“ Mehrere Stimmen klingen da in einer Stim­ me. Ich bezeichne einen solchen Anfang erzähltechnisch als „Purzelbaum in die Fik­ tion“. In fast all meinen Texten gibt es diese Anstrengung, einen Anfang und ein Ende zu finden und eine Art von Spiegelung des An­ fangs im Ende herzustellen. Bei solchen An­ fängen geht es also auch um die Geometrie eines Textes. Mit „weiblichem Schreiben“ hat das nichts zu tun? Präauer: Ich kann mit solchen Begriffen nichts anfangen. Und mit „Frauen an die Macht“? Präauer: Damit könnte ich schon leben. Aber ich glaube nicht, dass es ein weibli­ ches Schreiben gibt. Schreiben geschieht mit Hand und Stift. Ich sehe das recht prag­ matisch. Der Junge in Ihrer Geschichte fesselt die Erzählerin … Das ist ein Kräftemessen, das bis zum Schluss nie ausgeglichen ist: Wer da an der Macht ist, die Erzählerin, die Erzählstimme, oder der kleine Junge. Es gibt neben der Distanz auch eine große Liebe zu dieser Figur. Gleich­ zeitig findet auch noch die stille »

Karin Haller Geschäftsführerin des Instituts für Jugendliteratur, www.jugendliteratur.at

Illusion der Realität Im fiktiven Instagram-Kanal „@ich bin sophiescholl“ postet die Widerstandskämpferin, dargestellt von Luna Wedler, Texte, Fotos und Videos über die letzten zehn Monate ihres Lebens bis zu ihrer Ermordung 1943. Der von BR und SWR gestartete Versuch, Sophie Scholl „aus den Geschichtsbüchern heraus in das mediale Leben heutiger junger Menschen zu holen“, der 300 Tage lang bis Ende Februar geführt wurde, war sehr umstritten. Vor allem die historisch nicht korrekten dramaturgischen StorytellingElemente wurden scharf kritisiert. Unstrittig ist der quantitative Erfolg des Kanals mit 761.000 Followern und durchschnittlich 630 Kommentaren unter jedem Post. (Das erreicht vermutlich keine der 141 Publikationen, die buchhandel. de als Treffer zu Sophie Scholl führt.) Diese Anerkennung würde ich ebenso dem österreichischen „annefrank.digital“Podcastprojekt wünschen. Wird sich also die Zukunft des Erzählens, speziell für ein junges Publikum, immer mehr auch im Social-Media-Bereich ansiedeln? Möglicherweise. Ich finde das nicht schlimm, narrative Formen verändern und erweitern sich laufend. Ich glaube auch nicht, dass das analoge Buch durch das Internet obsolet werden wird. Oder zumindest hoffe ich es …

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Zwiesprache mit den Leser:innen statt: Übrigens, so leicht lasse ich mich nicht fesseln! Mir geht es darum, im Denken und im Schreiben in Bewegung zu bleiben. Deshalb kann ich auch keine Postulate absondern wie „Frauen an die Macht“. Ich hatte meine größten Auseinandersetzungen mit Frauen, und es geht in meinem Text auch nicht um die Glorifizierung des Mädchens. Was meinen Sie damit? Präauer: Es gibt auch vieles, das man in der eigenen Biografie ablehnt, die eigene Sicht ist immer auch eine eingeschränkte. Im Schreiben geht es aber darum, sich die größten Möglichkeiten im Denken und im Sprechen zu schaffen. Und vor allem darum, sich dabei nicht in vorauseilendem Gehorsam Schranken aufzuerlegen. Politische Anliegen beim Schreiben sind auch eine Art von Schranke. Mein politisches Anliegen im Text ist es vielmehr, ständig zweifeln zu können, aber auch großspurig oder großkotzig zu sprechen – um dann über mich selbst und die anderen lachen zu können.

„Präauer analysiert auf poetische Weise die Metamorphosen des Alltags und die ambivalenten Identitäten unserer Lebenswelt. Mit höflicher Ironie illuminiert sie Wunderkammern und tote Winkel, Orte der wahren Kindheit wie der falschen Sehnsucht“ Aus der Begründung der Jury für den Ben-Witter-Preis 2022

Bedeutet das, wenn Sie nicht als Schriftstelle­ rin sprechen, dass Sie keine politische Stimme haben? Präauer: Ich lasse mich als Schriftstellerin nicht auf einzelne Kampfansagen festlegen, weil ich die Sprache gleichermaßen zu ernst und zu wenig ernst nehme. Ich traue der Sprache viel zu – und muss sie doch auch ständig auslachen. Genau das meine ich mit Bewegung. In diesem Jahr erscheint noch ein weiteres Buch von Ihnen – über den Renaissancemaler Lucas Cranach. Wie kam es dazu? Präauer: Es erscheint im Juni und auf Einladung des Kunsthistorischen Museums, ein Buch über Cranach von A bis Z zu schreiben. Cranach: damit sind Vater und der Sohn gemeint, überdies die ganze Werkstatt und die Cranach-Schule. Mich interessierte diese Zeit der Umbrüche, in der die Cranachs lebten, die bürgerliche Gesellschaft, die sich gerade etablierte. Ich habe beim Schreiben viel gelernt über Wirtschaft und Gesellschaft. Und Cranach fasziniert mich unglaublich als Maler – seine Malweise hat etwas äußerst Verführerisches, und zugleich ist sie kühl und distanziert. Die Bilder haben etwas von Ikonenmalerei. Diese starren, stereotypen Gesichter sind fast wächsern oder wie aus Porzellan. Dabei handelt es sich oft ganz einfach um Bürger der Stadt Wittenberg, die nun fast enthoben wirken. Aus dieser Kombination von Künstlichkeit und eindeutiger

„Mein politisches Anliegen im Text ist, ständig zweifeln zu können, aber auch großspurig oder großkotzig zu sprechen – um dann über mich selbst und die anderen lachen zu können“ Teresa Präauer

Zuordenbarkeit – ein Bürger, ein Kaufmann und seine Frau – entsteht in der Malerei etwas höchst Interessantes, das zugleich komisch ist. Das hat mich gereizt; mir scheint, ich habe einen konstruktiven Zugang gefunden. Der literarisch ist … Präauer: Ja, es geht darum, Cranach kennenzulernen, aber aus dezidiert literarischer Sicht. Das Museum holte sich explizit keine Kunsthistorikerin für dieses Buch. Obwohl Sie von der Malerei zur Literatur wechselten, spielt Malerei in Ihrem Denken noch immer eine wichtige Rolle? Präauer: Mit dem Blick der bildenden Künstlerin die Welt zu sehen hat mein Denken und Schreiben stark geprägt. Es hat sich ein Filter über die Welt gelegt, der das, was ich sehe, schnell aus dem Zusammenhang reißt und gleichzeitig ständig neue Zusammenhänge herstellt. Das Futter der Jacke, die dort hinten hängt, ist rot, und die Polsterung der Sitzbank hier im Café ist auch rot – ich stelle eine Gemeinsamkeit her, die inhaltlich gar nicht besteht, aber es gibt diese formalen Gemeinsamkeiten. Ein derartiger Blick befähigt einen, alles ständig umzustürzen und diese heiteren, komischen, märchenhaften Gedanken zu haben, einen Gegenstand aus seinem Zusammenhang zu nehmen, ihn umzudrehen und gegen seine Verwendung zu benutzen. Sie sind ein Augenmensch … Präauer: Ja, und das wirkt sich aufs Denken aus. Wenn man sich auf die bildende Kunst wirklich einlässt, ist sie ein Mittel, die Grenzen dessen, was man selbst akzeptiert, zu überschreiten. Es gibt Bilder, die ich schrecklich finde – und da frage ich mich, was mich daran so aufregt. Genau hier entsteht plötzlich ein Weg, etwas, wo es weitergeht. Es öffnet sich manchmal eine Tür, wo die Mauer am höchsten ist. Ist diese Art von Veränderung der Wahr­ nehmung auch in der Literatur möglich? Präauer: Ich würde das genauso auf die Literatur übertragen, und ich kann das auch gar nicht so deutlich trennen. Meine Texte leben auch von den exakten Beschreibungen einer inneren Landkarte und von einer klaren Erinnerung, die manchmal beschreibend in Standbildern festgehalten wird. Das klingt ziemlich fantastisch – könnten Sie auch einen „normalen“ Roman schreiben? Präauer: Ich hatte immer wieder den Vorsatz, genau das zu versuchen.

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„Der Prozess der Erinnerung, der da beim Schreiben stattfindet, ist auch eine Fiktionalisierung: Die jeweiligen Stimmen der verschiedenen Lebensalter, an die man sich erinnert, mischen sich“ Teresa Präauer

Und wovon würde der handeln? Präauer: Es wäre ein erzählerischer Text, der vom Anfang bis zum Ende eines Tages geht, durchgängig erzählt, ohne Brüche einzubauen. Der Roman eines Tages. Aber wenn ich so etwas sage, muss ich über einen solchen Titel schon wieder lachen (lacht). Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus – streng strukturiert? Präauer: Ich versuch’s, ja. Ich beginne nach dem Kaffee etwa um elf Uhr zu schreiben, höre viel Radio – ein bisschen bin ich auch süchtig nach dem Radiosender Ö1. Ich lese, surfe im Internet, schreibe eigentlich jeden Tag, beantworte E-Mails, und abends trinke ich gern ein Glas Wein.

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Sie sind keine Nachtarbeiterin? Präauer: Es kommt auf die Termine an. Ich bin jemand, der Abgabetermine schätzt. Das erlegt einem einen gewissen Zwang auf, der bisweilen nicht lustig ist, aus dem aber auch etwas entsteht. Wann kommen die Ideen – für den neuen Roman? Präauer: Ich habe etwas, das man als Vorstellung vom eigenen Werk bezeichnen kann. Ich glaube, Michael Köhlmeier hat das einmal gesagt, im alten Buch stecke eigentlich schon der Gedanke für das neue Buch.

Das kann eine Thematik sein oder eine Aufgabe, von der man zuerst noch nichts wusste. Außerdem gibt es einen inneren Zusammenhang all meiner Bücher, ohne hier eine künstliche Gemeinsamkeit oder Chronologie herstellen zu wollen. Das sehr essayistische oder theoretische Buch „Tier werden“ entstand aus der Arbeit am Roman „Oh Schimmi“ und meinem Interesse am Tier-Mensch-Verhältnis, aber ich wollte über die Fragen der Biologie und Entwicklungsgeschichte nicht literarisch drüberlavieren, ich habe vielmehr geschaut, wie weit ich mit der Naturkunde komme. Bei „Mädchen“ gibt es einen gewissen theoretischen Unterbau, aber da war auch der Wunsch, zu erzählen und mich zu erinnern. Es entstand ein Text, den ich als Erzählung bezeichnen würde. Kurioserweise kommt in Ihrem Roman „Mädchen“ auch Nabokovs monströses Buch „Lolita“ vor. Präauer: Das ist eines meiner allerliebsten Bücher. Es ist auch eine Art von Feier der Figur des Mädchens, und zugleich geht es da von Anfang an um die Zwangsgedanken eines Mannes, der bereits verurteilt worden ist. Wir können aufgrund dieser Rahmenhandlung also gleichsam moralisch erleichtert sein. Ich benötige beim Lesen die moralische Anleitung durch den Autor nicht – ich bin imstande, mich als Leserin selbst jeweils

zum Text zu verhalten. Es ist nicht nötig, dass mich der Text oder der Autor an die Hand nimmt und sagt, was richtig und was falsch sei. Wenn Sie nicht mehr schreiben dürften – was würden Sie tun? Präauer: Etwas Künstlerisches wahrscheinlich. Es müsste aber nicht als Kunst ausgewiesen sein, ich schaue auch gern in Container mit Bauschutt. Ich kann an keinem Container vorbeigehen, mich interessiert, was sich dort finden lässt. Das ist nicht sehr viel anders als mit einem Bild von Cranach oder David Hockney, der jetzt gerade im Museum hängt: Es sind Geschichten und Materialien, die von einer Zeit erzählen, was aussortiert und was weggeworfen wird, was man wiederverwenden könnte. Der Inhalt des Containers erzählt etwas über Moden und Ästhetik, über äußere Erscheinungsformen und auch über Entstehen und Vergehen. Sie haben eine Menge Preise bekommen – wie lebt es sich als freie Autorin? Präauer: Es lässt sich leben – aber nicht so, dass ich eine Rechnung mit Umsatzsteuernummer stellen könnte. So geht es vielen Autorinnen und Autoren. Sie wirken aber nicht so, als hätten Sie je große Niederlagen erlitten … Präauer: Sogar sehr schmerzhafte Niederlagen! Viele Dinge sind nicht aufgegangen. Ich habe anfangs auch unzählige Bewerbungen verschickt und selten Antwort bekommen und hatte Lebenspläne, die ganz und gar nicht aufgingen. Es gab Schmerz und ausreichend Zweifel. Es gab Rückschläge, aber das ist jetzt nicht mehr relevant. Die Antwort auf die Eingangsfrage ist noch offen: Wann wussten Sie, jetzt bin ich Schriftstellerin? Präauer: Erst nach dem aspekte-Literaturpreis für mein Romandebüt – also etwa beim zweiten Roman „Johnny und Jean“. Am Tag vor der Preisverleihung ist mein Vater an Krebs gestorben. Ich erwähne das ausnahmsweise, weil Sie nach Preisen und Niederlagen fragten. Manchmal passiert alles an einem einzigen Tag. „Mädchen“ ist auch eine Art Neubeginn am Anfang … Präauer: Ich bin genau in der Mitte. Wenn mir ein hohes Alter vergönnt ist, bin ich jetzt genau in der Mitte, und dessen bin ich mir auch bewusst.

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– Klassiker – neu entdeckt

Abenteuerliche

Reisen

Text: Erich Klein Illustration: Katharina Klein

PATRICK LEIGH FERMOR 1915–2011

Der Reiseschriftsteller Sir Patrick Leigh Fermor war ein Abenteurer. Als Sohn eines berühmten Geologen besuchte er Englands älteste Eliteschule, The King’s School in Canterbury, und begeisterte sich früh für Shakespeare, Latein und Griechisch. Den nächsten Karriereschritt in die Militärakademie Sandhurst brach er vorzeitig ab und machte sich 1933 auf zu einer Fußwanderung durch Europa. Die Beschreibung dieser Reise von Rotterdam über Deutschland (Hitler war schon an der Macht), die Donau entlang bis ans Schwarze Meer und ins damalige Konstantinopel begründete Fermors Weltruf als Autor. „Die Zeit der Gaben“ und „Zwischen Wäldern und Wasser“ sind minutiöse Porträts von Europas Alltag in der späten Zwischenkriegszeit. Mittlerweile mit einer rumänischen Aristokratin verheiratet, nahm er an Aufständen am Balkan teil. Während des Zweiten Weltkriegs erwarb er sich im Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer auf Kreta den Ruf, eine Mischung aus Indiana Jones, James Bond und Graham Greene zu sein. Unter seinen Büchern mit Beschreibungen der Karibik, der Anden und verschiedener Länder Südosteuropas (alle in den letzten Jahren im Schweizer Dörlemann Verlag erschienen) nimmt das frühe Werk „Eine Zeit der Stille“ aus 1953 eine Sonderstellung ein. Die Reise führt in die klösterliche Einsamkeit zweier französischer Abteien. Fermor kommt „ganz ohne Ausrede“ nach

St. Wandrille an der unteren Loire, mit dem Wunsch nach Stille und Abgeschiedenheit, um ein Buch zu schreiben. Der Abt erlaubt ihm, sich dem Alltag der Mönche anzuschließen. Seine erste Reaktion auf den einförmigen Tagesablauf aus Aufstehen um vier Uhr morgens, Gebeten, Messen, Essen, Gebeten und Bettruhe um neun Uhr abends ist eine Depression. Nächtliche Schlaflosigkeit und erschöpfte Müdigkeit untertags folgen. Es dauert, bis der erhoffte Effekt eintritt: „Nach einer Weile erreicht man einen in der Welt dort draußen unvorstellbaren Zustand des inneren Friedens.“ Fermore wäre kein Schriftsteller, wüsste er nicht ebenso eindringlich wie diese innere Reise die Geschichte des Ortes, des Benediktinerordens sowie der Wechselfälle des Klosters zu erzählen. Sie begann bereits im 7. Jahrhundert. Nach mehr als eintausend Jahren noch immer die Gebete aus dem Mund der Mönche zu hören, löst in der Vorstellung des Besuchers, der an Religion nicht sonderlich interessiert ist, einen spirituellen Furor aus. Hingegen klingt sein Resümee eines Besuchs der Abtei Saint-Pierre de Solesmes lakonisch, wenn er über deren Mönche schreibt: „Sie lebten tatsächlich so, als könnte jeder Tag ihr letzter sein (…) sie waren stets bereit, sich ohne Schmerz zu verabschieden.“ Dem entspricht auch ein Vers aus dem Buch „Prediger“, den Fermor seiner Erzählung als Motto voranstellt: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit.“

„Da sich neuerdings depressiv verstimmte Manager und ausgebrannte Besitzer von Fettlebern gern in Klöstern zum Seminar treffen, um sich die Freuden der Stille und Askese zu teilen, ist dem Büchlein aus dem Jahr 1957 unerwartete Aktualität zugewachsen“ Karl-Markus Gauß

Patrick Leigh Fermor: Eine Zeit der Stille. Zu Gast in Klöstern. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren Dörlemann Verlag 2022

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– Gastkommentar –

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„Für problematisch halte ich es, Barrierefreiheit gegen Genderinklusion auszuspielen“ Sandra Folie

Gender*sternchen oder -doppel:punkt? Für die sprachliche Inklusion sind neben Gendersensibilität auch Barrierefreiheit und Lesbarkeit entscheidende Faktoren. Welches Genderzeichen leistet dies? Text: Sandra Folie

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A

ls ich in Wien zu studieren begann, war das Gendern erst im Kommen und an der Universität noch eher verpönt. Es vergingen einige Semester, bis ich mich auf das Binnen-I eingestellt hatte, nur um wenig später auf den inklusiveren, nichtbinären Gender-Gap umzuschwenken. Seit vielen Jahren bin ich nun beim Asterisk, dem Gendersternchen, angelangt, das über den Buchstaben sitzt und in alle Richtungen strahlt. Im Gegensatz zum Unterstrich, der an eine Lücke gemahnt, wird der Asterisk oft als positives Symbol für die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten wahrgenommen. Mit dem Doppelpunkt scheint sich nun eine weitere gendersensible Schreibweise durchzusetzen. Er gibt symbolisch weniger her, zieht aber dafür die Worte nicht so stark auseinander und sorgt so für eine bessere Lesbarkeit. Nicht zuletzt deshalb scheint er das Potenzial zu einer Kompromissschreibweise zu besitzen, was angesichts der hitzig

geführten Debatten um gendersensible Sprache nicht zu unterschätzen ist. Für den Doppelpunkt wird auch häufig angeführt, dass er barrierefreier als der Asterisk sei, weil er von Screenreadern nicht vorgelesen, sondern durch eine kurze Pause wiedergegeben werde. Auch wenn sich Blinde und Sehbehinderte teils positiv zum Doppelpunkt geäußert haben, gibt es diesbezüglich keinen Konsens. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) weist darauf hin, dass Genderzeichen für blinde und sehbehinderte Menschen per se problematisch seien. Das gilt auch für Personen, die schlecht Deutsch können oder eine Leseschwäche, Hörbehinderung oder kognitive Einschränkung haben. Wenn ein Genderzeichen verwendet werde, ziehe der DBSV den Asterisk dem Doppelpunkt vor, was sich auch mit der Empfehlung der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit und Informationstechnik deckt,

u. a. weil dem Doppelpunkt als Interpunktionszeichen bereits eine wichtige Funktion zukomme. Der DBSV betont aber, dass seine Position zum Gendern keine statische sei. Dabei klingt die Hoffnung auf ein dauerhaftes Konsenszeichen an. Dieses Zeichen solle aber aus der LGBTI*Q-Community kommen und von dieser befürwortet werden. Gegenseitige Rücksichtnahme und kontinuierliches Zuhören sind wichtig. Für problematisch halte ich es hingegen, Barrierefreiheit gegen Genderinklusion auszuspielen. Ein aufrichtiges Bemühen um inklusive Sprache wird beide Positionen berücksichtigen: Was sagen Menschen, die auf barrierearme Texte angewiesen sind, zu den Genderzeichen? Was nichtbinäre Menschen? Was blinde, sehbehinderte und anderweitig beim Lesen und Verstehen von Texten beeinträchtigte Menschen der LGBTI*Q-Community? Es handelt sich schließlich weder um strikt voneinander abgrenzbare noch um in sich geschlossene, homogene Gruppen. Konsens braucht Zeit und ist in einem so dynamischen Bereich wie der Sprache oft nicht langlebig. Derzeit gibt es aus meiner Perspektive kein „richtig“ oder „falsch“ in der Frage Gendersternchen oder Doppelpunkt. Auch sind sie nicht die Einzigen, die es gibt. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass es noch nicht die eine perfekte Lösung gibt, und die Entscheidung für eine Variante auch in diesem Bewusstsein zu treffen.

Sandra Folie ist Universitätsassistentin an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien

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– Buchtermine –

Veranstaltungen im April 2022 FREITAG, 1. 4.

MITTWOCH, 20. 4.

Teresa Präauer im Gespräch mit Ricardo Domeneck und Ronya Othmann (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 17:00) Mari Lang: „Frauenfragen“ (Bücher Stierle, Kaigasse 1, 5020 Salzburg, 19:00)

Rudi Anschober: „Pandemia“ (Aichergut Seewalchen, Kapellenweg 7, 4863 Seewalchen am Attersee, 19:30) DONNERSTAG, 21. 4.

SAMSTAG, 2. 4.

Hosea und Klaus Ratschiller „Den Vater zur Welt bringen“ (Container 25, Hattendorf 25, 9411 Wolfsberg, 18:00) Buch & Bühne OÖ: Romina Pleschko: „Ameisenmonarchie“/Wilfried Steiner: „Schöne Ungeheuer“ (Akku Steyr, Färbergasse 5, 4400 Steyr, 20:00) Gläserner Saal: Lesung Jens Harzer: Marcel Proust: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (Musikverein, Bösendorferstraße 12, 1010 Wien, 20:00)

Marie Gamillscheg ist am 31. 3. zu Gast bei den Rauriser Literaturtagen

Literatur & Wein 2022: Eröffnung mit Marc Elsberg (Unabhängiges Literaturhaus NÖ, Steiner Landstraße 3, 3500 Krems an der Donau, 19:00) Buchpräsentation: Angela Stöger: „Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten“ (Buchhandlung Moser, Am Eisernen Tor 1, 8010 Graz, 19:30) FREITAG, 22. 4.

Katharina Rogenhofer, Harald Krassnitzer, Lucia Steinwender: „Klima: Ändert sich nichts, ändert sich alles“ (Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, 19:30)

SONNTAG, 3. 4. SAMSTAG, 23. 4.

Schreibwerkstatt mit Michael Stavarič, Lesungen von Rauriserinnen und Raurisern, Musik: Die Strottern: Rauris.Matinee (Mesnerhaus, Kirchweg 3, 5661 Rauris, 11:00) Sepp Mann: „Der Welt abhanden gekommen“ (Stadttheater Bruck, Raiffeisengürtel 43, 2460 Bruck an der Leitha, 19:00)

Günther Lainer: „Lebensweisheiten, die keiner braucht“ (Thalia Buchhandlung Linz, Landstraße 41, 4020 Linz, 19:00) DIENSTAG, 5. 4.

Hannah Schraven liest am 16. 4. bei der Veranstaltung „Hilfe kommt aus Bregenz“

SONNTAG, 10. 4.

Kinderbuchpräsentation: Laura Melina Berling: „Selma, Küsse, Kuddelmuddel“ (Hauptbücherei / Büchereien Wien, Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien, 10:00)

Politisch-historisches Erinnern mit allen Sinnen. Lesung mit Musik: Therese Hämer: Charlotte Salomon – „Es ist mein ganzes Leben“ (Theater Nestroyhof Hamakom, Nestroyplatz 1, 1020 Wien, 19:30)

MITTWOCH, 6. 4.

DIENSTAG, 12. 4.

Stefan Kutzenberger liest aus „Kilometer null“/ Mario Schlembach liest aus „heute graben“ (Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz, 19:00) Buchpräsentation mit Herbert Lackner, Christoph Zielinski: „Die Medizin und ihre Feinde“ (facultas am Campus, Altes AKH, Hof 1, Alser Straße 4/1/2/1, 1090 Wien, 19:30) DONNERSTAG, 7. 4.

Literaturfrühstück: Thomas Assinger: „Obst und Gemüse für revolutionäre Kinder: Gianni Rodaris Cipollino“ (Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, 10:30 FREITAG, 8. 4.

Florian Klenk & Christian Bacherl: „Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde“ (Das Zentrum, Margarethe-Schütte-Lihotzky-Platz 1, 5550 Radstadt, 19:30)

Iris Blauensteiner: „Atemhaut“ (Quentin Kaffeebar, Kaiserstraße 96, 1070 Wien, 19:00) SAMSTAG, 16. 4.

öffentliche Lesungen an 12 Schauplätzen in Bregenz mit Theodora Bauer, Wolfgang Bleier, Sabine Bockmühl, Gabriele Bösch, Volker Demuth, Irene Diwiak, Daniela Egger, Paul Ferstl, Monika Helfer, Michael Köhlmeier, Christian Reiman, Christian Zillner u. v. m.: Hilfe kommt aus Bregenz – eine Stadt wird belesen (Bregenzer Innenstadt, Leutbühel , 6900 Bregenz, 10:00) DIENSTAG, 19. 4.

Diskussion mit Bodo Hell, Orhan Kipcak, Teresa Präauer, Ferdinand Schmatz, Mod: Fritz Ostermayer: Schreiben lehren (Alte Schmiede – Literarisches Quartier, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien, 19:00) Lucia Leidenfrost: „Wir verlassenen Kinder“/Elisabeth Schmidauer: „Fanzi“ (Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, 19:30)

SONNTAG, 24. 4.

Sophie Passmann: „Komplett Gänsehaut“ (Rabenhof, Rabengasse 3, 1030 Wien, 20:00) MONTAG, 25. 4.

[Montagsfrühstück] Infodemie: Wissen, Glauben, Denken, Schreiben (Literaturhaus am Inn, JosefHirn-Straße 5/ 10. Stock, 6020 Innsbruck, 09:00) Thomas Albrecht: „Die besondere Kraft der achtsamen Sprache“ (Hotel Novapark, Fischeraustraße 22, 8051 Graz, 19:00) MITTWOCH, 27. 4.

Otto Lechner: „Franz Kafka – Nicht einmal gefangen“ (Theater Akzent, Theresianumgasse 16-18, 1040 Wien, 19:30) DONNERSTAG, 28. 4.

Buchpräsentation, mit Musikbeispielen: Sarah Haslinger, Karina Zybina, Siegrid Schmidt, Thomas Hochradner: „Salzburg im Blickfeld“ (Gesellschaft für Musik, Hanuschgasse 3/2. Hof/ Stg. 4/4. Stock, 1010 Wien, 18:00) FREITAG, 29. 4.

Sabine Gruber „Vom Weiterleben der Figuren in anderen Büchern“ (Universität Innsbruck, KatholischTheologische Fakultät, Karl-Rahner-Platz 3, 6020 Innsbruck, 19:00) Bettina Ludwig, Mari Lang: „Unserer Zukunft auf der Spur“ (Thalia Buchhandlung 1030, Landstraßer Hauptstraße 2a, 1030 Wien, 19:00)

F O T O S : M A R I E GA M I L L S , V I T O B R N A C O F R E I TA S

MONTAG, 4. 4.

Le Grand Tour – Autoportrait de l’Europe par ses écrivains (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 18:00) Lesung mit Anja Golob (Unabhängiges Literaturhaus NÖ, Steiner Landstraße 3, 3500 Krems an der Donau, 19:30)

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