Das Magazin für die österreichische Buchbranche
anzeiger
Der Markt in Zahlen: Informationen zu Umsatz und Preis
Italien in Frankfurt
Nach 36 Jahren ist Italien wieder Gastland in Frankfurt. Das Land präsentiert sich mit Blick auf Vergangenheit und Zukunft
Der Unerhörte
Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Rüdiger Görner versucht Anton Bruckner über seine Musik nahezukommen
Elke
Longlist
So geht’s weiter: Shortlist: 9. Oktober, Verleihung: 18. November
„Mit
dem Ehrenpreis zeigen der HVB und der österreichische Buchhandel, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind, die die Branche traditionell wahrnimmt“
Benedikt Föger
Wir befinden uns am Beginn eines spannenden Bücherherbstes. Täglich erscheinen die lange angekündigten neuen Titel. Buchhändler:innen, Redaktionen und Leser:innen stürzen sich darauf, die Auswahl fällt schwer. Im Wochenabstand werden neue Bestsellerlisten, Bestenlisten und Long und Shortlists von Preisen veröffentlicht. Sie dienen dazu, das Augenmerk auf ausgewählte Titel zu legen und Neues zu entdecken.
Nicht einen einzelnen Titel, sondern das Lebenswerk eines Autors oder einer Autorin hervorzuheben, ist der Anspruch des Ehrenpreises des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln, der höchsten Auszeichnung, die wir zu vergeben haben. Den Ehrenpreis für das Jahr 2024 wird der israelische Schriftsteller David Grossman erhalten. 1954 in Jerusalem geboren, ist er einer der führenden israelischen Schriftsteller seiner Generation. Als Friedensaktivist tritt David Grossman darüber hinaus seit Jahrzehnten für eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinenser:innen ein. Er fordert einen differenzierten und einfühlsamen Umgang mit den Schicksalen aller Beteiligten, unabhängig von Herkunft oder politischer Gesinnung.
Ich freue mich, dass der Preisträger sein Kommen zur Preisverleihung am 10. November in Krems umgehend zugesagt hat und dass der große Literaturkenner Lothar Müller die Laudatio halten wird. Mit diesem Preis zeigen der Hauptverband und der österreichische Buchhandel, dass sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind, die die Buchbranche traditionell wahrnimmt, und dass sie diese Verantwortung auch mit Haltung und Anspruch nach außen tragen. Bei diesem Preis geht es nicht darum, Verkäufe und Umsätze anzukurbeln, sondern die Idee einer besseren Welt aufgrund individuellen Handelns zu stärken. Darauf sind wir stolz.
Benedikt Föger
HVB-Präsident
Herausgeber: Hauptverband des Österreichischen Buchhandels/ISSN 00036277, Grünangergasse 4, 1010 Wien, T: +43 1/512 15 35, www.buecher.at Geschäftsführung: Gustav Soucek Projektleitung: Lesley Kirnbauer, DW 11, kirnbauer@hvb.at Aboverwaltung : office@hvb.at Medieninhaber, Konzept, Redaktion und Produktion: Falter Verlagsgesellschaft m. b. H. Bereich Corporate Publishing, MarcAurelStraße 9, 1011 Wien, T: +43 1/536 600, E: magazine@falter.at, www.falter.at Chefredaktion: Christian Zillner, DW 926, Linn Ritsch, DW 991 Geschäftsführung: Siegmar Schlager Leitung Sales: Ramona Metzler, DW 952, metzler@falter.at Die Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter-verlag ständig
abrufbar Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH., Druckhausstraße 1, 2540 Bad Vöslau
Alpine Heilkraft im Schnapsglas
Michaela Thöni-Kohler Heilende Schnäpse aus den Alpen Destillate, Ansatzschnäpse und Liköre selbst gemacht In diesem faszinierenden Buch erfahren Sie alles über die traditionsreiche Kunst der Kräuterheilkunde, die seit Jahrhunderten in den Alpen praktiziert wird. Lernen Sie die Schätze der Natur und die richtigen Techniken zur Kräuterernte, dem Graben von Wurzeln und der Herstellung von wohltuenden Destillaten, Ansatzschnäpsen, Tinkturen und Einreibungen kennen.
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Balanceakt
Zwischen berechtigter Sorge und Vertrauen in die Zukunft
Einerseits ist es zum Verzweifeln:
Immer mehr kleine Buchhandlungen, Verlage und Auslieferungen müssen aufgeben. Andererseits gibt es viele, die ihre Nischen erfolgreich bedienen, die Jugend thematisch abholen oder zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Innovation setzen.
Wir möchten diese Gleichzeitigkeit im anzeiger abbilden. Manchmal gelingt es uns (hoffe ich). In der aktuellen Ausgabe berichten wir über Herausforderungen – etwa über zwei neue Gesetze, die für die Branche Arbeit bedeuten (S. 12 und S. 27). Und wir schreiben nicht nur von Vorfreude, sondern auch von Turbulenzen und Sorgen rund um den Gastlandauftritt Italiens in Frankfurt (S. 14).
Hier finden Sie aber auch die inspirierende Idee von zwei jungen Österreicherinnen: ein Videocast von der Branche für die Branche. Außerdem feiern wir gleich drei Verlagsjubiläen: Czernin wird heuer 25 Jahre, Picus vierzig und Manz feiert den 175. Geburtstag. Darauf kann man als unabhängiger Verlag stolz sein. Die Marktdaten (gleich hier nebenan, auf Seite 5) zeugen in diesem Monat auch von einer erfreulichen Entwicklung.
Außerdem hat der HVB wieder seinen wichtigsten Preis vergeben: Mit dem Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln wird heuer David Grossman ausgezeichnet. Wir berichten auf Seite 9 darüber. In der kommenden Ausgabe (10/24) lesen Sie ein Interview mit dem Autor. Für den aktuellen anzeiger hat Erich Klein mit Rüdiger Görner gesprochen, der einen besonderen BrucknerRoman geschrieben hat.
Nach 36 Jahren ist Italien zum zweiten Mal Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Im Vorfeld herrschen Aufregung, Vorfreude und Hoffnung
5 DER MARKT IN ZAHLEN
Marktdaten August 2024
6 WISSENSWERT
Österreichischer Buchpreis
Das ist die Longlist
David Grossman
Der Gewinner des Ehrenpreises für Toleranz in Denken und Handeln
12 MARKTBEOBACHTUNG
Barrierefreiheit
Umsetzung der neuen Richtlinien
13 ALTE KOSTBARKEITEN
Von Sigmund Freud gewidmet Fundstück aus Freuds Bibliothek
14 ESSENZIELL
Italien in Frankfurt
Das Gastland auf der Buchmesse
18 BESTSELLER
Verkaufsschlager im August
Linn Ritsch
Chefredakteurin
20 SCHWERPUNKT
Bücherherbst
24 VERLAGSPORTRÄTS MANZ
… feiert 175 Jahre
Picus feiert 40 Jahre
Czernin feiert 25 Jahre
27 INTERNATIONAL
Entwaldungsverordnung der EU FAQs zur EUDR
28 SELBSTREDEND
Rüdiger Görner
Der Wissenschaftler und Autor legt ein Buch über Anton Bruckner vor
33 KLASSIKER
Julien Green
„Treibgut“ neu aufgelegt
34 GASTKOMMENTAR
Johanna Öttl
Eine der fünf BuchpreisJurorinnen
35 TERMINE
Veranstaltungen im Oktober
Buchhandelspanel August 2024
MIT EINEM PLUS
IN DEN HERBST
Umsatz und Absatz haben sich im Vergleich zu August 2023 erhöht
Der August brachte erfreuliche Zahlen – die allerdings in Anbetracht der immer noch hohen Inflation und stark gestiegenen Kosten nicht mehr ganz so positiv wirken. In den Buchhandlungen vor Ort ist der Umsatz um 5,3 Prozent gestiegen, auf dem Gesamtmarkt immerhin um 3,7 Prozent. Auch bei Betrachtung der Monate Jänner bis August schneidet 2024 besser ab als 2023: Die kumulierten Zahlen für den Gesamtmarkt ergeben ein Plus von 3,1 Prozent, im stationären Handel sind es 4,1 Prozent.
Der Anstieg ist nur zum Teil auf höhere Preise zurückzuführen. Im Buchhandel vor Ort beläuft sich die Preiserhöhung – im Vergleich zu August 2023 ebenso wie verglichen mit dem Zeitraum Jänner bis August – auf etwa 2 Prozent, im Gesamtmarkt ist es nur ca. 1 Prozent. Ein wichtigerer Faktor für das Umsatzplus ist also ein Absatzwachstum. Verglichen mit August 2023 wurden heuer in Buchhandlungen um 3,3 Prozent mehr Bücher verkauft. Rechnet man den Onlinehandel mit ein, ergibt sich ein Absatzplus von 2,4 Prozent.
Ein Blick auf die Warengruppen ergibt ein gewohntes Bild: Belletristik, Sachbuch und Kinderbuch schneiden gut ab und können beim Umsatz zulegen. Wissenschaftliche Themen entwickeln sich im Vergleich zum Vorjahr weiterhin negativ. Reisebücher verzeichnen ein Umsatzminus von 5 Prozent.
UMSATZVERÄNDERUNG
Stat. Buchhandel Gesamtmarkt
Veränderung zu August 2023 + 4,1 %
DURCHSCHNITTSPREIS
Stat. Buchhandel Gesamtmarkt
Marktdaten August 2024
kumuliert 01–08 2024 + 5,3 %
+ 3,7 %
Veränderung zu August 2023 + 3,1 %
kumuliert 01–08 2024
STATIONÄRER BUCH HANDEL Umsatzverteilung
Hörbuch/Audiobook und Karten/Globen
+ 1,9 %
Veränderung zu August 2023
+ 2,3 %
kumuliert
01–08 2024
GESAMTMARKT Umsatzverteilung
+ 1,3 %
Veränderung zu August 2023 + 1,1 %
kumuliert
01–08 2024
und Karten/Globen
+ 2,4 % + 3,3 % € 15,65
Absatzentwicklung Gesamtmarkt im Vergleich zu 08/2023
Absatzentwicklung stat. Buchmarkt im Vergleich zu 08/2023
Ø-Preis Gesamtmarkt August 2024
Im Auftrag des HVB ermittelt das Marktforschungsinstitut media control monatlich die Umsatzveränderungen im Vergleich zum Vorjahresmonat für die Absatzwege Sortimentsbuchhandel, E-Commerce, Bahnhofsbuchhandel sowie Elektro- und Drogeriemarkt. Mit dem MC-Buchhandelspanel werden 600 Verkaufsstellen und knapp 90 % aller Barverkäufe in Österreich abgedeckt.
Ö1 Buch des Monats
„Der Untergang der Wager“ ist das Ö1 Buch im September. Darin erzählt der US-amerikanische Autor David Grann eine „wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei“, wie es im Untertitel heißt. David Grann spinnt aus dem Archivmaterial eines historischen Kriminalfalls eine packende und atmosphärisch dichte Abenteuererzählung.
„Dieses Buch ist aber mehr als die Aufarbeitung historischer Ereignisse“, schreibt die Jury.
„Es ist die literarisch anspruchsvolle Nacherzählung scheinbar unglaublicher Ereignisse, die sich im Jahr 1740 zugetragen haben und die nicht nur etwas über die Verfasstheit des Menschen, vor allem in Extremsituationen, erzählt, sondern auch über den Imperialismus des englischen Empires und moralische Verwerfungen in frühkapitalistischen Zeiten.“
David Grann:
„Der Untergang der Wager. Eine wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei“, C. Bertelsmann Verlag. Aus dem Englischen von Rudolf Mast, 432 Seiten
Das Ö1 Buch des Monats ist eine Kooperation des HVB mit Ö1, die exklusiv in den Mitgliedsbuchhandlungen beworben werden kann.
Zuletzt erschienen: „Fine Dying“ (Folio) ISBN: 978-3-85256-887-4
In Rossmanns Krimis geht es oft um politisch polarisierende Themen
Eine Krone für die Königin des österreichischen Krimis
Eva Rossmann erhält den Österreichischen Krimipreis. Verliehen wird er auf dem Krimifest, das Autor Bernhard Aichner mit Verleger Markus Hatzer gegründet hat
Text: Linn Ritsch
Was für eine Auszeichnung angesichts so vieler großartiger Kolleginnen und Kollegen!“, schrieb Eva Rossmann, als sie erfuhr, dass sie den Österreichischen Krimipreis erhalten wird. „Wir alle versuchen etwas über ein Stückchen Welt zu erzählen – und die kann bisweilen wunderschön, aber auch mörderisch sein. Gute Geschichten sind immer ein wenig unberechenbar. Gute Geschichten verbinden unterschiedliche Leben.“
Rossmann, immer wieder als „Königin des österreichischen Krimis“ betitelt, lebt im Weinviertel und auf Sardinien. Sie ist freie Autorin, Verfassungsjuristin und politische Journalistin. Ihre gesellschaftspolitischen Krimis rund um die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre aus Bosnien stammende Putzfrau und Freundin Vesna Krajner wurden zu Bestsellern und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der Österreichische Krimipreis wird heuer zum siebten Mal verliehen und ist mit 4.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden Autor:innen, deren Romane inhaltlich und literarisch überzeugen und die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz des Genres unterstreichen sowie richtungsweisende neue Entwicklungen innerhalb des Genres anstoßen. Die Preisverleihung findet wieder im Rahmen des Krimifestes statt. Entstanden ist das Fest auf Initiative von Krimiautor Bernhard Aichner und Haymon-Verleger Markus Hatzer. Erstmals fand es 2017 in Tirol statt. Von Anfang
an sei klar gewesen, dass das Festival nicht nur in großen Städten, sondern eben auch in Tälern und Dörfern des Landes stattfinden soll“, erzählt Aichner. Ein erfolgreiches Format: „Das Fest hat sich einerseits in Tirol als fester Bestandteil des Literaturjahres etabliert und wird jedes Jahr sehnsüchtig erwartet, und hat andererseits eine Schwester in einem anderen Bundesland bekommen: das Krimifest Kärnten.“
Im deutschsprachigen Raum gibt es mehrere Krimifestivals, in Österreich ist das Angebot um einiges kleiner. Dass genug Interesse besteht, zeigt sich deutlich. Seit seiner Entstehung sei das Krimifest stark gewachsen, sagt Aichner. „Für die Autor:innen ist es eine schöne Möglichkeit, sich und ihre Bücher zu präsentieren und die Leser:innen besser kennenzulernen – und für Autor*innen aus dem Ausland ist es immer auch eine Gelegenheit, die Auftritte mit einem Kurzurlaub in Österreich zu verbinden.“
Nähere Informationen finden Sie unter: krimi-preis.at
Der Krimiautor Bernhard Aichner ist Initiator und Kurator des Krimifestes
Rennen um den Österreichischen Buchpreis
Das sind die zehn Longlist-Titel des Österreichischen Buchpreises. Auch die drei Titel der Shortlist für den Debütpreis wurden veröffentlicht
Die zehn Titel der Longlist für den Österreichischen Buchpreis stehen fest. 56 Verlage reichten 84 Titel ein, für den Debütpreis bewarben sich 21 Verlage mit 26 Erstlingstiteln. Insgesamt waren damit 110 Werke im Rennen, die zwischen 11. Oktober 2023 und 9. Oktober 2024 erschienen sind bzw. noch erscheinen werden.
Die Jury ist heuer rein weiblich besetzt. Sie besteht aus Zita Bereuter (Ressortleiterin Literatur, FM4), Anke Bosse (Literaturwissenschaftlerin, Universität Klagenfurt), Nicole List (Buchhändlerin, Buchhandlung List), Johanna Öttl (Literaturprogramm, Alte Schmiede), Judith von Sternburg (Literaturkritikerin und Redakteurin, Frankfurter Rundschau).
Der Preis wird vom BMKÖS, dem HVB und der Arbeiterkammer Wien ausgerichtet.
SHORTLIST UND PREISVERLEIHUNG:
Die fünf Titel für die Shortlist des Österreichischen Buchpreises werden am 9. Oktober veröffentlicht. Am Abend der Preisverleihung am 18. November erfahren die Autor:innen der Buchpreis-Shortlist und Debütpreis-Shortlist, wer gewonnen hat. Die Preisträgerin bzw. der Preisträger erhält 20.000 Euro, die vier anderen Finalist:innen bekommen jeweils 2.500 Euro. Der Debütpreis ist mit 10.000 Euro dotiert, die beiden anderen Debütpreis-Finalistinnen erhalten ebenfalls 2.500 Euro.
Longlist Österreichischer Buchpreis
Shortlist Österreichischer Buchpreis Debüt
Valerie Fritsch Zitronen (Suhrkamp)
Arno Geiger Reise nach Laredo (Hanser)
Elias Hirschl Content (Zsolnay)
Reinhard Kaiser-Mühlecker Brennende Felder (S. Fischer)
Michael Köhlmeier
Das Philosophenschiff (Hanser)
Eine Broschüre mit nominierten Titeln und ausführlichen Leseproben gibt es derzeit in österreichischen Buchhandlungen
Elke Laznia Fischgrätentage (Müry Salzmann)
Jessica Lind Kleine Monster (Hanser Berlin)
Stephan Roiss Lauter (Jung und Jung)
Katharina Winkler Siebenmeilenherz (Matthes & Seitz)
Barbara Zeman
Beteigeuze (dtv)
Verena Dolovai Dorf ohne Franz (Septime)
Julia Jost Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht (Suhrkamp)
Frieda Paris Nachwasser (Voland & Quist)
Am 23. Oktober lesen die drei Autorinnen der Shortlist Debüt in der Bibliothek der AK Wien. Anmeldungen unter https://veranstaltung. akwien.at/de/lesung-shortlist-debuet/
Von Wien in die Antarktis
Eine STADT. Ein BUCH: Die große Buch- und Leseförderungsaktion findet dieses Jahr zum 23. Mal statt. Heuer wird der ukrainische Autor Andrej Kurkow mit Diskussionen, Lesungen und Publikumsveranstaltungen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt: Sein Bestseller „Picknick auf dem Eis“ ist in Wien bald gratis erhältlich.
Das Buch schildert das Leben des Schriftstellers Viktor in Kiew, der nach einer gescheiterten Beziehung und einer wenig erfolgreichen Karriere Zuflucht in der Gesellschaft des Pinguins Mischa findet. Das Leben der beiden wird immer turbulenter, bis Viktor sich ein Ticket zur ukrainischen Forschungsstation in der Antarktis kauft. Er hofft, dort endlich Sicherheit zu finden.
„Picknick auf dem Eis“ wird in einer Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckt und in ganz Wien gratis verteilt. Ab 19. November kann man das Buch bekommen: Auch im Buchhandel kann man sich wieder ein Gratisexemplar holen. Der HVB sorgt auch dieses Jahr wieder für die Logistik bei seinen Mitgliedsbuchhandlungen.
Personalia
Meike Knops übernimmt zum 1. 11. die Leitung des Technologieund Informationsanbieters MVB. Sie folgt auf Ronald Schild. Nach einem betriebswirtschaftlichen Studium arbeitete Knops in der Unternehmensberatung, bevor sie als Referentin des Chief Finance Officers zu Holtzbrinck ging. 2020 übernahm sie interimistisch die kaufmännische Leitung des Kiwi Verlags. Seit 2021 ist sie für das Fischer Kinder- und Jugendbuch tätig.
Herausragende Autorinnen
Vierzehn Künstler:innen wurden heuer mit dem Outstanding Artist Award ausgezeichnet. Darunter sind drei Literatinnen: Regina Hofer wurde in der biennal vergebenen Sparte Karikatur und Comics ausgezeichnet, Raffaela Schöbitz ist die Gewinnerin im Bereich Kinder- und Jugendliteratur, und Laura Freudenthaler ist Preisträgerin in der Kategorie Literatur.
Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden Künstler:innen, die ein aussagekräftiges Œuvre vorweisen und deren Arbeiten von künstlerisch überregionaler Bedeutung sind. „Die Preisträger:innen zeigen uns, wie kraftvoll und wichtig Kunst für jeden Einzelnen von uns und für die Gesellschaft als Gesamtheit ist“, sagt Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer.
Herder bleibt!
Im Juli hat Tobias Mayer die Wiener Buchhandlung Herder übernommen. Der Theologe und Literaturwissenschaftler ist 2020 in den Buchhandel eingestiegen: „Die Leidenschaft für Literatur und für Bücher jetzt auch beruflich und mit unternehmerischer Verantwortung leben zu können, empfinde ich als große Chance.“ Seit 1987 war Gerhard Zach im Geschäft tätig und seit 2004 Geschäftsführer und Inhaber, gemeinsam mit seinem Bruder Franz Zach. Nach der Übernahme wird Gerhard Zach noch einige Zeit weiter im Geschäft präsent und beratend tätig sein.
Tobias Mayer leitet seit Juli die Buchhandlung Herder
Das Geschäft ist seit 1886 in der Wollzeile in Wien beheimatet. Aus dem Herder-Team heißt es zur Übernahme: „Herder wird bleiben, wenn es auch unruhige Zeiten sind – aber welche Zeit hat das nicht von sich gedacht! Wir wagen es, ganz unverzagt in die Zukunft des Buchs zu blicken.“
Eine Stimme für Toleranz und differenziertes Denken
David Grossman erhält den Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.
Er wird im Rahmen der Europäischen Literaturtage verliehen
Der israelische Schriftsteller David Grossman erhält die höchste Auszeichnung, die der österreichische Buchhandel zu vergeben hat: den Ehrenpreis für Toleranz in Denken und Handeln. Er wird an Personen vergeben, die sich in ihrem Werk und durch ihr Engagement für Toleranz in Bezug auf sprachliche sowie kulturelle Vielfalt in herausragender Art und Weise eingesetzt haben und somit einen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander in Europa geleistet haben. Er ist mit 10.000 Euro dotiert und wird vom HVB ausgerichtet.
Der Autor beweise, „dass durch Empathie, Zuhören und den Mut zur Reflexion Wege aus der Spirale von Konflikt und Feindseligkeit möglich sind“, so die Jury. Als Friedensaktivist tritt David Grossman seit Jahrzehnten für eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinenser:innen ein.
Grossman, 1954 in Jerusalem geboren, beschäftigt sich mit dem Trauma des Krieges und den Aussichten auf Frieden sowie mit Liebe, Eifersucht und Familienbeziehungen. Seine Bücher wurden in 45 Sprachen übersetzt. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der International Man Booker Prize und der Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres.
Grossman setzt sich auch für Verständigung zwischen Israel und Palästina ein
VERLEIHUNG BEI DEN EUROPÄISCHEN LITERATURTAGEN
Die Ehrung David Grossmans findet im Rahmen der Europäischen Literaturtage am 10. November im Klangraum Krems Minoritenkirche in Krems/Stein an der Donau statt.
Die Zügel des Humors
Die gebürtige Niederösterreicherin Vea Kaiser erhält den internationalen Jonathan-Swift-Preis für satirische und komische Literatur. Die Verleihung der mit 20.000 Schweizer Franken (21.240 Euro) dotierten Auszeichnung findet am 17. November in Zürich statt.
„Vea Kaiser versteht es, ihrer unbändigen Fantasie die Zügel des Humors anzulegen, und so entstehen Bücher, die sich auf sehr ernsthafte Weise selber nicht ganz ernst nehmen“, heißt es in der Begründung der Jury.
Die Autorin trat 2012 mit ihrem gefeierten Debütroman „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ (Kiwi) erstmals in Erscheinung. Kaiser gehörte 2021 und 2022 zur Jury beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. Sie wurde bisher unter anderem mit dem Hans-Weigel-Literaturstipendium, und dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet.
Der Jonathan-Swift-Preis wird seit 2015 verliehen und ging bisher u. a. an Eva Menasse, Wolf Haas, Joachim Meyerhoff und zuletzt an Pedro Lenz.
Vea Kaiser wurde bereits mehrfach ausgezeichnet
Seit über fünfzehn Jahren versammeln die Europäischen Literaturtage unter der künstlerischen Leitung von Walter Grond internationale Schriftsteller:innen, Philosoph:innen, Soziolog:innen und Literaturinteressierte, um deren Werke vorzustellen und über aktuelle Themen zu diskutieren.
Dieses Jahr stehen die Literaturtage unter dem Motto „Zerschnittene Welt. Stadt & Land“. Sie finden vom 7. bis 10. November statt. Der Konflikt zwischen Stadt und Land sei „mit Bildern von dynamischen, toleranten in der Stadt lebenden Kosmopolit:innen und zumeist alten, zurückbleibenden Landbewohner:innen verbunden“, sagt Grond. „Was sind die Hintergründe solcher Konfliktlinien? Geht es etwa letztendlich um die Gewinner:innen und Verlierer:innen der digitalen Wissensökonomie, hiermit um die Folgen des Übergangs der Industrie- zur Wissensgesellschaft?“
Um solche und andere Fragen geht es bei Gesprächen und Lesungen u. a. mit Christoph Peters, Lisz Hirn, Rowan Moore, Joanna Bator, Nikolaj Schultz, Laurent Mauvignier und Alina Herbing.
Programm der Europäischen Literaturtage: www.europaeischeliteraturtage.at
Personalia
Elisabeth Freiinger wird ab 16. September im Vertrieb von Jung und Jung beginnen, um ab Jänner 2025 Verkaufsleitung, Betreuung des klassischen Sortimentsbuchhandels, Key Account Management und Veranstaltungen zu verantworten. Die studierte Germanistin war in den letzten vier Jahren für die Styria Buchverlage unter anderem für den Bereich Digitalvertrieb verantwortlich. Außerdem ist sie Städtegruppenleiterin der jungen Verlags- und Medienmenschen Wien.
Mediakolleg-Seminar im HVB: Grenzenlos Vertrieb
Strategien für den Buchvertrieb im DACH-Raum
■ 5. 11., 10.00–17.00 Uhr
Anmeldeschluss: 22. 10.
Wie bringt man Bücher zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Form in den Handel und zu den Leser:innen? Darum geht es in diesem Seminar: Aus Sicht von Publikumsverlagen vermittelt es Grundlagen von Vertrieb und Marketing mit besonderem Augenmerk auf den DACHRaum. Mit einem Fokus auf den Vertrieb österreichischer Programme in
den deutschen Markt werden Vertriebswege beleuchtet, Preis und Auflagenfindung und die gesamte Vertriebsorganisation behandelt. Außerdem werden Kommunikationsstrukturen innerhalb des Verlags und nach außen dargestellt. Geleitet wird das Seminar von Ulrich Deurer, freiberuflicher Vertriebsdienstleister für unabhängige Literaturverlage.
Inhalte
• Marktteilnehmer:innen
• Abläufe im Verlag (Konferenzen, Vorschaukonzeption, Cover und Titelfindung)
• Marketingmix (Programmpolitik, Preispolitik, Distribution, Kommunikation)
• Werbung (Handelswerbung, Publikumswerbung, Direktwerbung)
Ziele
• Sie können einschätzen, wie der deutsche Buchmarkt funktioniert
Titelschutzmeldungen
• Sie kennen die allgemeine Vertriebsorganisation und die wichtigsten Vertriebstools (inkl. NetGalley oder MediaControl)
• Sie wissen, wie Lektorat, Presse und Vertrieb zusammenspielen
• Sie kennen Ihre Kund:innen und wissen, wie Marketingerfolge in Verkäufe umgewandelt werden
Kosten
270 € Kursgebühr für HVB oder BörsenvereinsMitglieder (zzgl. gesetzl. MwSt.)
300 € Kursgebühr für Nichtmitglieder (zzgl. gesetzl. MwSt.)
Weitere Informationen: www.mediacampusfrankfurt.de/de/programmekurse/grenzenlosvertrieb
Bezahlte Anzeigen. Der Verlag übernimmt keine Haftung dafür, dass die Titel bereits geschützt sind oder durch die Inserate Rechte Dritter verletzt werden.
Mit einer Titelschutzmeldung im anzeiger ist Ihr Buchtitel für sechs Monate bis zum Erscheinungsdatum geschützt. Ihre Titelschutzmeldung ist mit Ihrer Nennung nach kurzer Überprüfung über www.buecher.at abrufbar und erscheint in der darauffolgenden Ausgabe des anzeiger. Titel melden können Sie auf www.buecher.at/titelschutz oder per EMail an Christina Gstaltmaier unter gstaltmaier@hvb.at. Die gleichzeitige Schaltung von mehreren Titelschutzmeldungen ist besonders günstig: Bis zu drei Titel pro Ausgabe gibt es exklusiv für HVBMitglieder* um nur € 80,–/6 Titel € 110,– und bis zu 12 Titel um nur € 210,–. Christina Gstaltmaier berät Sie gern unter gstaltmaier@hvb.at, Tel. 01/512 15 3514. (*Nichtmitglieder zahlen das Doppelte, alle Preise zzgl. 5 % Werbeabgabe und 20 % MwSt.)
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: Sicha ned! Freiheit wird aus Mut gemacht in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. vierviertler Medien gmbH
Alte Hohenzeller Straße 2, 4910 Ried im Innkreis, Österreich
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir
Titelschutz in Anspruch für die drei Titel: Healing to go – Wie du dich von seelischen Verletzungen befreien kannst
Der alternde Narzisst
Was wäre, wenn alles genau so kommt, wie du es dir wünscht?
in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien.
Prof. Dr. Sabine Viktoria Schneider Haunspergstraße, 5020 Salzburg, Österreich
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir
Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: Flora bittet zu Tisch
Mit Blüten kochen und dekorieren in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien.
Cornelia Seirer Pfalzgasse, 1220 Wien, Österreich
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir Titelschutz in Anspruch für die drei Titel: Eine Erfolgsgeschichte ohne Happy End Frauenpolitik in Österreich Frauenpolitik und Gleichstellung in Österreich Zerbrechliche Siege
Die Lebensrealitäten von Frauen in Österreich Erfolg und Ernüchterung in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien.
Klaudia Frieben
Donaustadtstraße, 1220 Wien, Österreich
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir
Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel:
Hadn – Das Buchweizen Kochbuch in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/ oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien. KSL Tourismus Marketing GmbH Schulstraße 10 9122 St. Kanzian am Klopeiner See, Österreich
Unter Hinweis auf § 80 UrhG nehmen wir
Titelschutz in Anspruch für den Einzeltitel: Die Wahrheit über Dieter Broers Fakten und Hintergründe der Angriffe auf ihn, wer dahinter steckt und was sie bezwecken sollen.
in allen Schreibweisen, Darstellungsformen, Wortverbindungen und Kombinationen, als Reihen und/oder Einzeltitel und zur Verwendung in allen Medien.
Dieter Broers Verlag Gmbh Postfach 20, 1182 Wien, Österreich
Die Schwestern Maiken und Nina Greimel wollen mit „Write This Down“ Austausch fördern, gute Ideen weitergeben und die Branche stärken.
Warum macht ihr „Write This Down“? Maiken Greimel – Nina kommt aus dem Marketing, ich aus der SocialMedia-Arbeit. Wir haben beide schon lang mit der Buchbranche zu tun und sind begeisterte Leserinnen. Alle, die mit Büchern Geld verdienen wollen, befinden sich aber in einer herausfordernden Zeit. Wir wollen unterstützen und gute Ideen verbreiten.
Nina Greimel – Zu unserer Zielgruppe gehören auch alle, die Bücher und die Geschichten dahinter spannend finden. Im Idealfall sollen Hörer:innen bei jeder Folge einen Moment haben, in dem sie denken: Das ist super, das muss ich mir aufschreiben!
Wie sucht ihr eure Gesprächspartner:innen aus?
Nina – Derzeit sprechen wir vor allem mit Menschen, die in einem Bereich extrem erfolgreich sind – sei es finanziell, an verkauften Exemplaren oder persönlicher Entwicklung messbar. Aufgrund von Interesse und Angebot sind das primär Autor:innen, Influencer:innen und Leute aus der Verlagsbranche. Langfristig wollen wir Gespräche aus allen Berufen und Ecken der Branche abdecken.
Aussprechen und aufschreiben
Zwei Österreicherinnen sprechen im neuen Videocast „Write This Down“ mit Expert:innen über Trends in der Buchbranche
Interview: Linn Ritsch
Maiken – Auch Ausgewogenheit in Bezug auf Geschlecht, Alter und persönliche und soziale Hintergründe ist uns wichtig.
Bisher kommen die meisten Interviewpartner:innen aus Deutschland. Bleibt Österreich bewusst im Hintergrund?
Maiken – Nein! In Österreich wird auf unsere Anfragen vorsichtiger geantwortet, die deutsche Branche war schneller dabei. Wir setzen jetzt im Herbst aber einen Fokus auf Österreich. Wir möchten für den ganzen DACH-Raum relevant sein.
Nina (links) und Maiken Greimel erreichten bereits im ersten Monat über 50.000 Hörer:innen
Welches Feedback habt ihr bisher bekommen?
Nina – Gesprächspartner:innen sind meist überrascht, dass wir das Projekt so professionell aufziehen. Wir haben auch oft gehört, wie schön es ist, dass es dieses Format gibt. Im Vergleich zum angloamerikanischen Raum gibt es bei uns weniger Austausch und geteilte Erfahrungen. Aber das Bedürfnis danach gibt es.
Maiken – Es besteht ein großer Wunsch nach mehr Transparenz in der Buchbranche. Man spricht nicht über Gehälter, Vorschüsse oder andere „heikle“ Themen. Das macht es Neueinsteiger:innen schwer, Fuß zu fassen, und ist langfristig schlecht für die Branche. Wir glauben, es braucht mehr Mut, Dinge klar auszusprechen. Daran arbeiten wir.
Neues bei Morawa M
Auch Morawa bietet jetzt ein RückkaufService für gebrauchte Bücher an. Außerdem gibt es im Onlineshop jetzt KI-gestützte Buchempfehlungen
orawa führt BuchCycling ein: ein Service, das es Kund:innen ermöglicht, gebrauchte Bücher unkompliziert und schnell zu verkaufen. Neben Thalia und Tyrolia bietet Morawa als drittes Unternehmen in Österreich eine solche Möglichkeit. Bei Morawa können Leser:innen Bücher online registrieren, den Verkaufspreis automatisch ermitteln und die Bücher in eine teilnehmende Filiale bringen. Dafür erhalten sie einen Gutschein, der in Morawa-Filialen oder online einlösbar ist.
Die registrierten Bücher werden weiterverkauft, gespendet oder umweltfreundlich recycelt. Morawa arbeitet mit dem Partnerunernehmen Zeercle zusammen. Bücher seien ein wichtiges Kulturgut und zu wertvoll, um nicht eine zweite Chance zu
nutzen, sagt Klaus Magele, Geschäftsführer Morawa Buchhandel.
Empfehlungen aufgrund individuellen Leseverhaltens ermöglicht im Onlineshop ab sofort ein integrierter digitaler Chatbot: Geboten werden Buchempfehlung, Buchsuche und Buchvorschläge mittels Chat-Interaktion im Stil natürlicher Dialoge. Das Tool entstand aus der Kooperation zwischen der Entwicklergesellschaft bpm consult ag (Hägendorf, Schweiz) und dem Partner QualiFiction GmbH (Hamburg). „Die individuellen Buchempfehlungen des ChatBots setzen neue Maßstäbe im Buchhandel“, so Magele. Mehr zum Thema Rückkauf gebrauchter Büchern finden Sie im anzeiger 7+8/24. Zum Thema KI-generierte Buchempfehlungen berichten wir in der Ausgabe 10/24.
Zugänglich für alle
Bis 28. Juni 2025 muss der European Accessibility Act (EAA) umgesetzt werden. Es ist höchste Zeit, sich mit Barrierefreiheit zu befassen
Interview: Linn Ritsch
Der EAA betrifft die Buchbranche: E-Reader, E-Books und Websites müssen nach Inkrafttreten barrierefrei zugänglich sein. Was bedeutet das konkret? Ein Gespräch mit Andrea Jäger (Linde Verlag). Gemeinsam mit anderen Branchenvertreter:innen aus dem DACH-Raum ist sie Teil der Taskforce Barrierefreiheit.
Was sind die Aufgaben der Taskforce Barrierefreiheit?
Andrea Jäger – Die Taskforce wurde im Dezember 2020 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Kooperation mit dem Dzb Lesen (Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen) gegründet. Wir befassen uns mit den Details des EAA, informieren die Branche, erstellen Leitfäden und stellen Weiterbildungsangebote zur Verfügung. Eine wichtige Aufgabe ist, die Angst vor vermeintlich großen Hürden zu nehmen.
Was ist das Ziel des Accessibility Act?
Jäger – Der Zugang für Menschen mit Behinderung zu Produkten und Dienstleistungen soll verbessert und erleichtert werden. Es geht um digitale Teilhabe aller Menschen am sozialen und gesellschaftlichen Leben. Digitale Barrierefreiheit ist für die gesamte Gesellschaft von Vorteil, sie betrifft nicht nur Menschen mit Behinderung. Man denke nur an ältere Menschen.
Inwiefern ist die Buchbranche konkret betroffen?
Jäger – Die gesamte Wertschöpfungskette ist betroffen, vom Hersteller bis zu der Buchhandlung mit Webshop. Es geht konkret um E-Books, E-Reader und E-Commerce: Betroffen sind Bereiche, in denen Verbraucher:innen einen Vertrag schließen können. Es geht nur um den B2C-Bereich. Je nach Produkt oder Dienstleistung bestehen andere Erfordernisse. Nehmen wir das Beispiel E-Book: Die Bedienbarkeit ist das Wichtigste. Sie muss auch für Menschen mit Sehbehinderung gegeben sein, ein Screenreader muss den Text in logischer Reihenfolge wiedergeben und Bilder müssen beschrieben werden.
In Österreich sind Mikrounternehmen, die Dienstleistungen erbringen, aus dem Barrierefreiheitsgesetz ausgenommen. Das betrifft sehr viele in der Branche … Jäger – Es handelt sich um Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens zwei Millionen Euro beläuft. Ausgenommen sind auch Fälle, bei denen die Einhaltung eine unverhältnismäßige Belastung darstellt. Das Unternehmen muss das aber beweisen. Grundsätzlich ist es auch für Kleinstunter-
WEITERE INFORMATIONEN FINDEN SIE HIER:
Regierungsvorlage zum österreichischen Barrierefreiheitsgesetz
Webinare zur Barrierefreiheit
Infoseite des Börsenvereins
nehmen ratsam, sich mit Barrierefreiheit zu befassen. Sonst kann es passieren, dass Produkte von bestimmten Plattformen ausgeschlossen werden oder sich der Kundenkreis verkleinert.
Was sind jetzt die wichtigsten Schritte für Unternehmen?
Jäger – Für die Unternehmen, die an das neue Gesetz gebunden sind, ist das Wichtigste, nicht bis zum letzten Moment zu warten. Sich jetzt schon anzuschauen, inwieweit zum Beispiel die eigene Website bereits barrierefrei zugänglich ist, ist ratsam. Dafür gibt es nützliche Onlinetools. Bei allen Updates und Neuerungen sollte das Thema bereits jetzt mitbedacht werden. Sobald wie möglich sollten auch Mitarbeiter:innen sensibilisiert werden. Für die technische Umsetzung würde ich professionelle Firmen empfehlen, von denen es sehr viele gibt.
Andrea Jäger hat mehrjährige Erfahrung mit Barrierefreiheit
Dzb-Tipps zur barrierefreien E-Book-Gestaltung
Validierungstool für EPUB-Dateien
Mein teures Prinzeßchen
Aus Freuds Familienbliothek – ein Geschenk Sigmund Freuds an seine Verlobte
Widmungsexemplare des Begründers der Psychoanalyse trifft man nicht allzu häufig an. Noch seltener sind solche, die Sigmund Freud (1856–1939) seinen engsten Familienmitgliedern widmete und die später in der Familienbibliothek Platz fanden. Dies trifft auf das hier präsentierte Buch, im goldgeprägten Einband, zu: Ein Exemplar von Heinrich Heines „Buch der Lieder“, das Freud im Dezember 1884 mit den Worten „Zur Erfüllung eines alten Wunsches Dein Sigmund“ seiner Verlobten Martha Bernays (1861–1951) aus Hamburg widmet. Er hatte Martha 1882 in Wien kennengelernt. Während der viereinhalbjährigen Verlobungszeit, bis zum September 1886, wechselte das Paar zahlreiche Brautbriefe. Am 28. November 1883 schreibt Freud: „Mein teures Prinzeßchen: Verstehst Du, warum einem Menschen plötzlich Liedertexte einfallen, die ihn einen ganzen Tag nicht auslassen und ihn zwingen, sie beständig vor sich hin zu brummen? Weißt Du warum es gerade mir mit dem ‚Armen Peter‘ so geht? Ich habe einmal bei Breuer Frau Mathilde dieses Lied (vertont von Robert Schumann) … singen hören … Und jetzt ganz unvermittelt taucht es wieder auf, und ich murmele immer:
Der Hans und die Grete sind Bäut’gam und Braut Und tanzen im Hochzeitsgeschmeide, Der arme Peter die Nägel kaut Und ist so blaß wie Kreide.“
Die Wiedergabe der Strophe aus dem Gedicht „Der arme Peter“ im „Buch der Lieder“ entspricht nicht ganz dem gedruckten Text. Heine spielte im Leben der Brautleute eine besondere Rolle, zumal dessen Todesjahr in Freuds Geburtsjahr fiel. Den größten Anteil an Heines späterem Ruhm hatten zweifellos seine Gedichte, insbesondere die Sammlung „Buch der Lieder“. In der „Traumdeutung“ zitiert Freud aus Heines „Die Heimkehr“, ebenfalls aus dem „Buch der Lieder“:
Selten habt ihr mich verstanden
Selten auch verstand ich Euch, Nur wenn wir im Kot uns fanden, So verstanden wir uns gleich.
Bibliograph. Nachweise: Davies/Fichtner, Freuds Bibliothek, Nr. 1681: This is a Christmas gift, and dedication, from Freud to Martha Bernays, his fiancée and later wife Dec. 1884.
STECKBRIEF
Verfasser: Heinrich Heine (1797–1856)
Titel: Buch der Lieder
Erscheinungsdatum: 1884 (Erstausgabe: 1827)
Format: 17 x 12 cm. XII, 312 Seiten
ANZEIGER-SERIE
In der anzeiger-Serie „Alte Kostbarkeiten“ präsentieren wir zusammen mit dem Verband der Antiquare Österreichs immer wieder ausgewählte Druck- und Handschriften mit ihren Geschichten.
Freuds Werk „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ verdankt Heine zahlreiche Witze und Wortspiele. Sigmund Freud hat dieses Buch später Eva Rosenfeld (1892–1977) geschenkt, die 1927 in ihrem Garten in Wien Hietzing zusammen mit Anna Freud (1895–1982) und Dorothy Burlingham (1891–1979) die RosenfeldBurlinghamSchule begründet hat. Sie war sehr eng mit Anna Freud befreundet und der Familie Freud auch im Londoner Exil behilflich, wo sie selbst als Analytikerin gewirkt hat.
Nähere Informationen:
Georg Fritsch Antiquariat
Inh. Bernhard Steiner Schönlaterngasse 7, A1010 Wien Tel. +43/(0)1/512 62 94 selfritsch@aon.at www.austriadrei.at
– Essenziell –
Gastland Italien in Frankfurt
Goldene Vergangenheit,
vielfältige Zukunft
NACH 36 JAHREN IST ITALIEN ZUM ZWEITEN MAL EHRENGAST AUF DER FRANKFURTER BUCHMESSE. IM VORFELD DES GASTLAND-AUFTRITTS
HERRSCHEN AUFREGUNG, VORFREUDE UND HOFFNUNG
Das italienische Gastlandprojekt für die Frankfurter Buchmesse 2024 begann mit einem Rücktritt. Ricardo Franco Levi, ursprünglich Kurator des Ehrengastautritts, trat im Juni 2023 zurück. Er hatte den Buchmesse-Auftaktredner Carlo Rovelli, einen Physiker und Autor, zunächst wegen regierungskritischer Statements ausgeladen und dann, nach Kritik an seinem Vorgehen, wieder eingeladen. Levi wurde durch den Journalisten und Schriftsteller Mauro Mazza ersetzt. „Nicht zuletzt dadurch kam der Startschuss des GastlandProjekts recht spät“, sagt Ludwig Paulmichl, Verleger des in Österreich und Südtirol ansässigen Folio Verlags. Den offiziellen Beginn setzte die erste Gastland-Pressekonferenz am 28. Mai 2024. Zum Vergleich: „Österreich für den Leipzig-Schwerpunkt und Slowenien für den Gastlandauftritt in Frankfurt vergangenes Jahr haben beispielsweise sehr viel früher mit Veranstaltungen rund um den Auftritt begonnen.“
KRITIK AM DIALOG MIT
SICH SELBST
Noch mehr Aufregung gab es um den italienischen Bestseller-Autor Roberto Saviano. Ein Kritiker der Regierung von
Text: Linn Ritsch
Illustrationen: Georg Feierfeil
Giorgia Meloni, zählte er nicht zu den hundert Autor:innen der offiziellen italienischen Gastland-Delegation. Der Kurator brachte bürokratische Gründe vor und erklärte, Saviano sei von keinem seiner Verlage vorgeschlagen worden. Darauf folgte ein Aufschrei italienischer Schriftsteller:innen in Form eines offenen Briefes: „Die Antwort von Kommissar Mazza hat viele von uns empört, so sehr, dass einige der Eingeladenen beschlossen, nicht an der Delegation teilzunehmen“, heißt es in dem Schreiben von 41 Autor:innen. „Obwohl die Buchmesse prompt reagierte und Saviano einlud, war und ist der Schmerz bei vielen von uns tief.“ Man hätte sich gewünscht, mit Protagonist:innen des deutschen Verlagswesens und internationalen Kolleg:innen in Kontakt treten zu können, heißt es weiter. „Italien wird auf der Buchmesse mit einem Programm von Duetten zwischen italienischen Autoren vertreten sein, eine Anomalie, die in der Geschichte der Gastgeberländer ohne Beispiel ist.“
Der „Saviano-Vorfall auf der Buchmesse“ sei kein isoliertes Ereignis in Italien. Es zeige sich der „ausdrückliche Wunsch nach einer immer stärkeren Einmischung der Politik in die Räume der Kultur“ bis hin zur Zensur. Der Brief schließt mit der Bitte um „die Möglichkeit eines öffentlichen Treffens mit deutschen und internationalen Schriftstellern während der Buchmesse 2024“.
IN DER ZUKUNFT
VERWURZELT
Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. „Der Messedirektor und der italienische Verlegerverband AIE haben sehr positiv auf den Brief reagiert und Handlungen gesetzt“, erklärt Alessandra Ballesi-Hansen. Sie ist Verlegerin des unabhängigen nonsolo Verlags in Freiburg, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, nicht übersetzte Schriftsteller:innen aus Italien im deutschen Sprachraum zu etablieren. Dass einige Autor:innen, die nicht (mehr) Teil der offiziellen Delegation sind, von ihren Verlagen in Deutschland auf die Messe eingeladen werden, hält sie für erfreulich und für ein wichtiges Signal. „Auch wenn es für kleine Verlage oft sehr kostspielig ist, Reisen und Unterkünfte selbst zu bezahlen.“
» Auch Veranstaltungen rund um den italienischen Gastlandauftritt werden allmählich zahlreicher. Die Anlaufphase war lang, sagt Paulmichl. „Kulturinstitute hätten mehr involviert werden können.“ Kulturelle Organisationen und Literaturvermittler:innen werden jetzt stärker eingebunden, nachdem sie selbst aktiv geworden sind.
Für Verlage ist das Interesse von kulturellen Organisationen und Literaturvermittler: innen ebenso wie die mediale Aufmerksamkeit vor der Messe mindestens gleich wichtig wie die Präsenz in Frankfurt. „Medien schauen mittlerweile vermehrt wieder nach Italien, das hilft uns durchaus“, erzählt Paulmichl. Auch gibt es Interessenbekundungen und Einladungen von deutschen Kulturinstitutionen. Ballesi-Hansen berichtet außerdem von einem verstärkten Interesse des deutschen Buchhandels: „Das ist für uns natürlich großartig!“
Dennoch bezieht sich der größte Teil der Veranstaltungen und Projekte rund um das Gastland auf die Zeit während der Messe, also auf Veranstaltungen in Frankfurt und das Programm am Messegelände. Italien stellt sich unter dem Motto „Radici nel Futoro“ (Verwurzelt in der Zukunft) vor. Man präsentiert sich „stolz auf die Vergangenheit mit Blick in die Zukunft“.
Autor:innen
als DJs
Simone Bühler leitet das EhrengastProgramm bei der Frankfurter Buchmesse und erzählt von den Highlights in Frankfurt
Interview: Linn Ritsch
– Essenziell –
Gastland Italien in Frankfurt
Ein Fokus liegt auf Werken junger, we niger bekannter Schriftsteller:innen. Au ßerdem knüpft Italien an das Ehrengast programm 1988 an: Als erstes Gastland der Geschichte der Frankfurter Buchmesse zeig te sich das Land von seiner schillerndsten Seite. International bekannte Stars lösten Begeisterungsstürme aus, allen voran Um berto Eco, dessen „Der Name der Rose“ al lein in Deutschland fast drei Millionen Mal verkauft wurde.
91 STIMMEN UND
EIN
STARKER MARKT
Seit damals hat sich Italiens Buchmarkt positiv entwickelt. Das italienische Verlags wesen liegt mit jährlich 3.888 Millionen Euro beim Umsatz auf dem vierten Platz Europas: nach Deutschland, Großbritanni en und Frankreich. Außerdem wurde Itali en im Ausland zunehmend beliebter: 2010 verkaufte das Land Übersetzungsrechte für 4.217 Titel, 2022 waren es schon 7.889. Zwi schen 2010 und 2022 blieb die Zahl der in Italien veröffentlichten übersetzten Werke stabil, die Zahl der Übersetzungen von Büchern italienischer Autor:innen wuchs um 45 Prozent.
Delegation, inhaltlich wird ein breites Spektrum abgedeckt“
Der Messeauftritt soll die Präsenz auf dem internationalen Markt noch verstärken. Ursprünglich sollten hundert Autor:innen
Wie präsentiert sich Italien dieses Jahr in Frankfurt?
Simone Bühler – Im Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ treffen Tradition und Zeitgeist aufeinander, dies zeigt sich auch im Programm: Bekannte Erzähler:innen wie Dacia Maraini, Paolo Rumiz und Claudio Magris treffen auf neue literarische Stimmen. Darunter etwa Igiaba Scego, Claudia Durastanti, Vincenzo Latronico und Ginevra Lamberti. Donatella Di Pietrantonio, Preisträgerin des Premio Strega, sowie Kesten-Preisträger Fabio Stassi werden ebenfalls vor Ort sein. Insgesamt reisen über neunzig Autor:innen aus Italien an. Am italienischen Gemeinschaftsstand in Halle 5 organisiert der Verlegerverband ein Programm für das Fachpublikum.
Was ist über die Messe hinaus geplant? Bühler – Musikalische Highlights in Frankfurt. In der Alten Oper findet ein Puccini-Galakonzert statt. Die Sängerin
Alessandra Ballesi-Hansen, Verlegerin, nonsolo Verlag
LNDFK und das Trio Psyché bringen Neosoul-Klänge und Psychedelic Funk auf die Messe. Autor:innen wie Giulia Caminito, Francesca Melandri und Mario Desiati stehen in der Romanfabrik nicht nur auf der Bühne, sondern auch an den Turntables. Und die Band Il Volo spielt in der Festhalle.
Dieses Jahr gibt es erstmals das „Centre of Words“, einen Bereich mit Übersetzungsfokus samt eigener Bühne und Programm. Wird es dort auch einen Fokus auf italienische Literatur geben?
Bühler – Viele Verlage und Kulturinstitutionen nehmen den Gastlandauftritt zum Anlass, um weitere Veranstaltungen mit Autor:innen aus Italien zu organisieren. So auch heuer. Im Zentrum Wort und an anderen Orten auf der Messe ist ein anspruchsvolles Programm entstanden. Hier geht es u. a. um Themen wie die Sprache der Neuen Rechten oder dekoloniale Perspektiven.
sagen Paulmichl und Ballesi-Hansen.
„Es sind viele bemerkenswerte Schriftsteller:innen Teil der Delegation, inhaltlich wird ein breites Spektrum abgedeckt“, findet Ballesi-Hansen. Auch aus ihrem Verlag sind vier Autor:innen dabei: „Für einen kleinen, unabhängigen Verlag wie den unseren keine Selbstverständlichkeit!“
Es kommen unter anderen Alessandro Baricco, sein Roman „Seide“ war ein internationaler Bestseller, die weit über Italien hinaus gefeierte Dacia Maraini und Igiaba Scego, eine italienische Schriftstellerin mit somalischen Wurzeln. Zwei Autorinnen aus der Generation der Millenials, Ginevra Lamberti und Anna Giurickovic Dato, sprachen bei der Auftaktpressekonferenz im Mai stellvertretend für die vielen jungen Stimmen, die Italien bekannter machen möchte. Die Absicht, ein Bild der italienischen Landeskultur „jenseits von Stereotypen“ zu zeigen, ist offensichtlich ernst gemeint.
NOCH MEHR VIELFALT
FÜR DEN DACH-RAUM
Offenheit für alles Italienische dürfte gerade im DACH-Raum gegeben sein, hier zeigen sich viele Leser:innen als italophil. Deutlich wird das nicht zuletzt an deutschsprachigen Autor:innen, die unter italienischen Pseudonymen schreiben, vornehmlich Krimis mit Mittelmeer-Setting. „Viele dieser Romane erzeugen ein Italien-Bild, das für den Strandurlaub geschaffen wird“, erklärt Paulmichl. Der Tourismusfaktor mit idyllischen
– Essenziell –
Landschaften, bekannten Orten und einem Fokus auf Kulinarik gilt als Erfolgsgarant eines Buches. „Auch kunsthistorische Themen gehen gut“, fügt der Verleger hinzu. Ein diverseres, realeres Bild des Landes zu schaffen, wäre wichtig, ist aber keine ganz leichte Aufgabe.
Der Blick auf die Zahl der aktuellen Übersetzungen ins Deutsche lässt ein differenziertes Italien-Bild nach der Messe wahrscheinlich erscheinen. „Alles ist vorerst einmal abgegrast“, sagt Paulmichl. Er meint italienische Neuerscheinungen, die deutschsprachigen Verlagen zur Übersetzung angeboten werden. „Auch Verlage, die sonst keinen Italien-Fokus haben, bringen jetzt italienische Namen im Programm.“ Diese Entwicklung wurde im Vorfeld des Gastlandauftritts von der italienischen Regierung durch die Förderung literarischer Übersetzungen angekurbelt.
Jetzt gilt es für die Verlage, ihre Titel richtig zu platzieren. „Wir hören aus dem Buchhandel manchmal das Argument, ein bestimmtes Thema sei im deutschsprachigen Raum schon von dieser oder jener Autorin besetzt“, sagt Paulmichl. Mit zahlreichen anderen Verleger:innen teilt er die Hoffnung, dass der Gastlandauftritt in Frankfurt solchen Argumenten entgegenwirkt. Immerhin hat Folio einige vielversprechende Titel in der Tasche, darunter „Die Villa der Architektin“ der Strega-Preisträgerin Melania Mazzucco. Der Verleger ist zuversichtlich.
Bei nonsolo beschäftigt man sich mit Identität und Diversität in der italienischen Gegenwartsliteratur. Die Hoffnung des Verlags sei, so Ballesi-Hansen, in Italien erfolgreiche Autor:innen auch in Deutschland bekannt zu machen. Etwa Lorenzo Amurri mit „Bis ich wieder atmen konnte“, in dem er über seine Querschnittslähmung nach einem Skiunfall schreibt. Frankfurt diene als Sprungbrett in den DACH-Raum. Paulmichl glaubt an einen vorteilhaften Effekt für den heimischen Buchhandel: „Ich denke, dass österreichische Buchhandlungen wegen der Nähe zu Italien und dem Interesse der heimischen Leser:innen an dem Nachbarland viel Aufmerksamkeit erzeugen können.“ Besonders der Bereich Sachbuch und Reiseführer sei für den Handel wichtig, und hier könnten gerade österreichische Verlage viel bieten. „Ich bin überzeugt, dass Buchhandlungen sich die Buchmesse zunutze machen und die Italien-Begeisterung ihrer Kund:innen bis ins Weihnachtsgeschäft mitnehmen werden.“
Gastland Italien in Frankfurt »
Auf Frankfurt folgt Wien: Das wird die Buch Wien 24
Vom 20. bis 24. November lädt die Buch Wien zu fünf Tagen Literaturerlebnis, Wissensbildung und Meinungsaustausch
Daswichtigste Ereignis der österreichischen Buchbranche, die Buch Wien, wird im Herbst wieder zum impulsgebenden Großevent. Über 300 Verlage aus dem deutschsprachigen Raum stellen ihre Neuerscheinungen auf dem Messegelände vor. Besucher:innen dürfen sich auf einiges Neues freuen: So rückt die Buch Wien-Science Lounge, eine neue Area zur Wissenschaftsvermittlung, das Sachbuch in den Mittelpunkt.
Der Branchen-Shootingstar New Adult vergrößert seine Fläche auf der Buch Wien auf 190 Quadratmeter, deutlich mehr als im Vorjahr. Für Fans des Genres gibt es spezielle Themenbereiche, Signierstunden, Meet & Greets und vieles mehr. Neue, interaktive Workshopformate erlauben das Kennenlernen und den direkten Austausch mit BelletristikAutor:innen aus Österreich und dem Ausland.
Zusätzliche Medienaufmerksamkeit für die Buchbranche verspricht eine neue Zusammenarbeit mit der Tageszeitung Die Presse. Das österreichische Qualitätsmedium wird heuer erstmals umfassend über die Buch Wien berichten und beteiligt sich am vielfältigen Podcast-Programm sowie an Buchgesprächen und Podiumsdiskussionen.
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Die neue Short-Story-Sammlung der USKultautorin: Darin werden Gespräche belauscht und falsch verstanden. Ein Eilbrief wird mit einem Schmetterling verwechselt. an den Haaren werden Gründe herbeigezogen, weshalb die Erzählerin Anspruch auf Berühmtheitsgrad hat.
„Unsere Fremden“ –Lydia Davis. Droschl
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Netzwerk und Intrige Hanna hat einen der begehrten Praktikumsplätze in der Europäischen Außenzentrale ergattert. Die „Arbeitsgruppe Zukunft“ soll die friedliche Annäherung von zwei verfeindeten Nachbarstaaten am Rande Europas befördern. Doch Hanna verliert sich in der Grauzone zwischen Intrigen und Netzwerken.
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Was der „Volkskanzler“ sagt FPÖ-Chef Kickl spricht von ungezügelter Völkerwanderung, EU-Verrätern, linkem Gesinnungsterror und beschimpft politische Gegner. Doch was passiert, wenn man den selbsternannten „Volkskanzler“ beim Wort nimmt?
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„Der Zauberberg, die ganze Geschichte“ –Norman Ohler. Diogenes.
ISBN: 978-3-257-07318-8
Bestseller August 2024
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Belletristik E-Book
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Buchservice Schlieber Vorderwinkler
Tel.: 0664 220 69 20 · Fax: 01 370 76 83 buchservice-sv@gmx.at
Weil Wissen stark macht.
– Schwerpunkt: Editor’s Choice –Bücherherbst
Am Horizont locken Freiheit, Akzeptanz, Antworten … nur der Weg dorthin ist schwer. Auch für die hier vorgestellten Protagonist:innen
Zwischentöne
Jeder literarische Text lebt von dem, was er erzählt. Mindestens genauso sehr lebt er aber auch von allem, was nicht auserzählt wird: von dem, was wir zwischen den Zeilen lesen, was nur angedeutet und in der eigenen Fantasie weitergesponnen wird. Und von dem Versuch der Autor:innen und fiktiven Charaktere, etwas in Worte zu fassen, das sich kaum verstehen lässt.
In Mae Schwinghammers Debüt „Alles dazwischen, darüber hinaus“ (Haymon) geht es um dieses Gefühl. Schwinghammer schreibt die eigene Geschichte auf: Sie beginnt mit Michael, der noch im Kindergartenalter keine verständlichen Wörter sagen kann. Allein seine Mutter versteht ihn, sie dolmetscht zwischen dem Kind und seiner Umgebung.
Aus dem Kind mit der „Störung“ wird ein Junge, dann ein Teenager, der beginnt, sich selbst und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Sprache bleibt essenziell, doch sie wird von einer Trennwand zwischen dem Ich und der Außenwelt zu einem machtvollen Instrument: Wenn die Hauptperson die vom AMS geforderten Bewerbungen für den körperlich ausgebrannten Vater schreibt. Wenn sie Journalismus und dann Sprachkunst studiert.
Lücken, Andeutungen, Unfertiges:
Fragen und Unfertiges können eine Geschichte zu etwas Besonderem machen
Text: Linn Ritsch
Und wenn es um nicht binäre Ausdrucksweise geht. Als Michael fühlt sich die Hauptfigur im Jugendalter nicht mehr. Bis aus Michael schließlich Mae wird, vergeht aber viel Zeit. Es stellen sich Fragen: Wie erkundet ein Mensch Begehren jenseits von Gendernormen? Ist es möglich, Mann zu sein, aber auch Frau, und gleichzeitig keines von beidem? Wie verändert sich der Körper, wenn man Hormone nimmt? Die Hauptfigur ringt ums Verstehen, um Worte und Identifikation mit sich selbst: „Mein Körper entgeht mir, er geht aus mir. Wenn ich ihn
nicht festhalte, flieht er mir. Mein Körper ist ein Fluchtkörper, eine flüchtige organische Verbindung, ein Stoff, der keine Räume einnimmt, sondern sich in ihnen verliert, in ihnen verloren ist.“
Die Geschichte setzt sich aus einzelnen Episoden zusammen. So wird deutlich, dass Erinnerung niemals vollständig ist, sondern immer eine Auswahl, bewusst und unbewusst. Eine Hoffnung schwingt im Text mit: Dass durchs Aufschreiben alles klarer wird und für alles Worte gefunden werden können. „Schreiben ist das Weglassen von Stille. Oder auch: das Einfangen der Stille.“
Auch in Anna Maria Stadlers Roman „Halbnah“ (Jung und Jung) ist Stille wichtig. Es geht ums Alleinsein, mit dem eigenen Denken, der eigenen Geschichte und Heimat. Drei junge Frauen bewegen sich einen Tag lang durch dieselbe Stadt. In kurzen Episoden wird von ihren Wegen und Erlebnissen erzählt. Verbindungen zwischen ihnen beschränken sich auf Nachrichten, gemeinsame Erinnerungen und Bekanntschaften.
Es geschieht wenig Aufsehenerregendes. Vielmehr zeigt Stadler, dass ein gutes Buch keinen actionreichen Plot oder atemberaubende Cliffhanger haben muss. Genaues
Betrachten des Kleinen und Alltäglichen reicht aus. Aus der Art, in der Sarah, Kata und Mira ihre Umgebung wahrnehmen, den Orten, an denen sie sich früher aufgehalten haben, und denen, wo es sie heute hinzieht, entstehen Bilder der Figuren.
Mit „Maremma“ stand Stadler auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis Debüt. Die Jury lobte ihren Roman als Buch von „elegantem sprachlichem Understatement, das seine Geheimnisse nie gänzlich preisgibt, und das gerade dadurch vieles sehr deutlich zeigt“. In „Halbnah“ zeigt sich die Autorin von einer ähnlichen Seite. Es ist ein Buch der Zwischentöne. Die drei Protagonistinnen ebenso wie Freund:innen, Familie und zufällige Begegnungen entstehen aus einzelnen Schlaglichtern, die aufmerksame Leser:innen selbst miteinander verweben und für sich weiterspinnen.
Um die absoluteste Stille, die wir kennen, geht es in Christine Vescolis Debütroman „Mutternichts“ (Otto Müller). Die Stille, die aus dem Tod entsteht: Die Mutter der namenlosen IchErzählerin stirbt und hinterlässt Fragen. Mehr noch, sie hinterlässt Leere – eben ein Nichts. Das Nichts wird für die Erzählerin übergroß, auf der Suche nach Antworten wird sie zu einer Getriebenen.
Schon im Leben umgab sich die Mutter mit Schweigen. Über ihre Geschichte weiß die Tochter wenig. So macht sie sich auf Spurensuche – in Südtirol, um der Mutter durch die physische Präsenz an den Orten ihrer Jugend nahezukommen. „Ich muss sie genau und richtig sehen. Nichts darf mir entkommen. Sonst könnte es sein, dass sie mir wieder entschlüpft, meine Mutter, ohne etwas zu sagen.“ Was sie findet, ist viel Schweigen und viel Leid. „Die Welt, in die meine Mutter geboren wurde, war arm, klein und niedrig.“ Mit acht Jahren muss sie die Familie verlassen und auf einem fremden Hof arbeiten.
Die Erzählerin tastet sich vor, verliert sich in gedanklichen Exkursen, stößt auf viel Widerstand. Dass sie mit sich ringt, zweifelt und oft einfach keine Antworten findet, ist beim Lesen so deutlich, dass man den Schmerz der Erzählerin selbst zu fühlen glaubt. Eine einfache Lektüre ist „Mutternichts“ nicht. Aber eine eindringliche.
Kindersachbuch über Demokratie und Mitbestimmung
Wie leben wir miteinander?
Alles dazwischen, darüber hinaus (Haymon)
ISBN: 978-3-7099-8238-9
Halbnah (Jung und Jung)
ISBN: 978-3-99027-404-0
Mutternichts (Otto Müller)
ISBN: 978-3-7013-1314-3
PATRIZIA MENNEN, MARKUS HUMBACH Wieso? Weshalb? Warum? Bd. 44: Wie leben wir miteinander? Spiralbindung, 16 Seiten, ab 4 Jahren
ISBN 978-3-473-60064-9 • € 15,50
Wie können wir friedlich zusammenleben? Wieso werden Menschen ausgegrenzt? Wie entstehen Streit und Konflikte? Weshalb ist Mitbestimmung so wichtig? Warum müssen Menschen aus ihrer Heimat fliehen? Die Sachbuch-Reihe „Wieso? Weshalb? Warum?“ widmet sich in Band 44 „Wie leben wir miteinander?“ ausgehend von Situationen aus dem Kinderalltag Fragen rund um Demokratie, Friede, Konflikte, Krieg und Vertreibung. Entdecker-Klappen lösen Konfliktsituationen auf und machen Komplexes verständlich.
Medienkompetenz für Kinder
Fake News und Verschwörungstheorien erkennen
ELISE GRAVEL
Angriff der Killerunterhosen Gebundene Ausgabe, 104 Seiten, ab 8 Jahren ISBN 978-3-473-48074-6 • € 15,50
Elise Gravel sensibilisiert Kinder ohne erhobenen Zeigefinger und mit viel Situationswitz für Fake News und Verschwörungstheorien. Dabei setzt sie auf die kindliche Vorstellungskraft. Denn die visuelle Kraft des Buches macht es jungen Lesenden leicht, sich in die verrückte Welt der Killer-Unterhosen hineinzuversetzen – und dennoch den Irrsinn der Geschichte und aller Fake News zu durchschauen.
Bücherherbst
Ein buntes zweites Lesehalbjahr: Von kaltblütig bis
herzerwärmend
Lena Naschberger, Buch/Papier/Verlag Armütter
Die Stadt Rattenberg im Tiroler Bezirk Kufstein zählt mit knapp 500 Einwohnern zu den kleinsten Städten Österreichs. Doch nicht nur aufgrund der jährlich stattfindenden Schlossbergspiele ist sie ein kulturelles Zentrum der Region. In der mittelalterlichen Fußgängerzone der Altstadt befindet sich die 1799 gegründete Buchhandlung Armütter. Sie wird von Sonja Altenburger bereits in achter Generation geführt. Eine der Mitarbeitenden ist Lena Naschberger. Sie arbeitet seit sechs Jahren in der Buchhandlung im gotischen Gewölbe. Der anzeiger präsentiert ihre Buchtipps für den Herbst, beginnend mit ihrem persönlichen Lieblingsgenre.
Ein „Muss“ für Fans des Horror-Genres sei Mason Coiles „William“ (Heyne). Die Geschichte um einen Roboter, der Gefühle wie Hass oder Eifersucht empfindet, habe Naschberger „sofort gecatcht“. Das Buch sei ein „topaktueller Thriller über künstliche Intelligenz, der mit Stephen-King- und ,Black Mirror‘-Atmosphäre lockt“.
Eine weitere Horror-Neuerscheinung in diesem Bücherherbst erscheint bei penhaligon: Christina Henrys „Das flüsternde Haus“. Der Schauplatz: die Villa eines Filmregisseurs, in der eine Haushaltshilfe gruselige Entdeckungen macht. „Ich habe alle Bücher der Horror-Fantasy-Queen Henry gelesen und bin ein großer Fan. Der Stand-alone-Roman brilliert durch eine starke Protagonistin, die im Übrigen Horrorfilme genau so sehr liebt wie ich, und
„William“ (Heyne)
ISBN: 978-3-45327484-6
„Als riesengroßer Tim-Burton-Fan ist ‚Lang lebe die Kürbiskönigin‘ für mich ein Muss“
Lena Naschberger
eine authentisch-düstere Stimmung, die sich durch den gesamten Roman zieht.“
Ebenso düster ist die Atmosphäre in Emily Gunnis’ Roman „Die vergessenen Kinder“ (Heyne). Die Geschichte handelt von Holly Moore, die im Sussex der 1980erJahre ein trostloses Leben in einem Waisenhaus führt. Dreißig Jahre danach stößt Ermittlerin Jo Hamilton auf die Leiche eines jungen Mädchens. „Wie auch die anderen Bücher von Emily Gunnis handelt es sich bei diesem tragischen Cold Case um eine spannende Lektüre, bei der es mir schwerfiel, das Buch aus der Hand zu legen.“
Einem jüngeren Publikum und natürlich auch junggebliebenen Disney-Fans empfiehlt sie „Lang lebe die Kürbiskönigin“ (Carlsen) der New York Times-Bestsellerautorin Shea Earnshaw. Eine Geschichte nach Tim Burtons „A Nightmare Before Christmas“. „Als riesengroßer Tim-BurtonFan ist dieses Buch für mich natürlich ein Muss.“
Ebenfalls für Groß und Klein eignet sich Naschbergers letzte Empfehlung: „Warum nicht? Eine Geschichte über das Entdecken unserer hell funkelnden Möglichkeiten“ (Adrian Verlag) von Kobi Yamada. „Die Illustrationen von Gabriella Barouch sind wunderschön und verzaubern. Die Texte Yamadas sind außergewöhnlich und voller Optimismus und Lebensfreude.“ Das Buch, sagt Naschberger, zaubere ein Lächeln ins Gesicht und eigne sich daher hervorragend als Geschenk.
„Das flüsternde Haus“ (penhaligon)
ISBN: 978-3-76453319-9
„Die vergessenen Kinder“ (Heyne)
ISBN: 978-3-45327496-9
„Lang lebe die Kürbiskönigin“ (Carlsen)
ISBN: 978-3-55128124-1
„Warum nicht?“ (Adrian Verlag)
ISBN: 978-3-98585226-0
Bücherherbst
Bücherherbst auf der Buch Wien:
Leseempfehlungen von Günter Kaindlstorfer
Günter Kaindlstorfer, Kulturjournalist und Buch-Wien-Programmkoordinator
Text: Elisabeth Krenn-Stuppnig
Günter Kaindlstorfer, Kulturjournalist und Autor, ist bei der diesjährigen Buch Wien im Herbst wieder Programmkoordinator und Kurator für Literatur und Sachbuch. Über die Neuerscheinungen der Herbstsaison hat er einen guten Überblick und verrät uns in dieser Ausgabe seine persönlichen Buchempfehlungen für die kommende Lesezeit.
Der erste Tipp: Margaret Atwoods „Hier kommen wir nicht lebend raus“ (Storys, Berlin Verlag). „Seit Jahrzehnten ist Margaret Atwood eine meiner Favoritinnen bei erzählender Prosa“, begründet Kaindlstorfer seine Wahl. „Und weil ich zudem ein leidenschaftlicher Liebhaber von Short Storys bin, ist diese Neuerscheinung ein Pflichtbuch für mich.“
Der Band der kanadischen Erfolgsautorin präsentiert mehrere Kurzgeschichten, darunter zwei Sequenzen aus dem Leben eines Paares, die Geschichte um zwei Freundinnen, die über die gemeinsame Vergangenheit streiten, geliebte Katzen und eine verwirrte Schnecke.
Was Liebe mit uns macht, erzählt Elke Schmitter in: „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ (C. H. Beck). „Kann man der Liebe, dem wohl durchgekautesten Thema der Literatur, noch neue Aspekte abgewinnen? Elke Schmitter, eine ebenso feinfühlige wie versierte Autorin, kann es“, meint Kaindlstorfer und freut sich auf die Autorin, die auf die Buch Wien kommt.
„Hier kommen wir nicht lebend raus“ (Stories, Berlin Verlag)
ISBN: 978-3-8270-1474-0
„Seit Jahrzehnten ist Margaret Atwood eine meiner Favoritinnen bei erzählender Prosa“
Ein weiterer Gast der Messe ist Jörg Baberowski. Über ihn und seinen neuen Titel „Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich“ (C. H. Beck) sagt Kaindlstorfer: „Wer die Putin’sche Autokratie und ihre Mechanismen verstehen will, muss sich mit der russischen Geschichte auseinandersetzen. Jörg Baberowski, einer der glänzendsten Historiografen Osteuropas, tut das mit kritischer Könnerschaft.“
Die Buch Wien wird mit einem weiteren Autor aufwarten, dessen Titel Kaindlstorfer empfiehlt: Vedran Džihić’ „Ankommen – Vom Flüchtling zum anerkannten Wissenschaftler“ (Kremayr & Scheriau). Über das Buch sagt der Kulturjournalist: „Die Autobiografie des aus Bosnien stammenden Politikwissenschaftlers, der es vom Kriegsflüchtling zum renommierten Konfliktforscher an der Uni Wien gebracht hat, ist die Geschichte eines Menschen, der ins Gelingen verliebt ist, um mit Ernst Bloch zu sprechen, und nicht ins Scheitern.“
Ein letzter Tipp: „Die letzte Patientin“ (Suhrkamp) von Ulrike Edschmid. „Frankreich hat Annie Ernaux, Norwegen KarlOve Knausgård – und Deutschland hat die wunderbare Ulrike Edschmid. Die autofiktionalen Romane dieser Autorin, sprachlich komprimiert und inhaltlich unendlich vielschichtig, gehen einem ans Herz, auch weil sie allen Ausflügen ins Sentimentale großflächig ausweichen.“
„Der sterbliche Gott“ (C. H. Beck)
ISBN: 978-3-40671420-7
„Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ (C. H. Beck)
ISBN: 978-3-406-82228-5
„Ankommen“ (Kremayr & Scheriau)
ISBN: 978-3-21801442-7
„Die letzte Patientin“ (Suhrkamp) ISBN: 978-3-51843183-2
-Mitglieder im Porträt –
Manz wird 175
Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung
Wiefasst man 175 Jahre Unternehmensgeschichte zusammen? Eine kniffelige Frage, um die man als größter österreichischer Verlag für Rechtsinformation aber nicht herumkommt, wenn ein solcher Geburtstag ansteht. Leicht sei die Suche nicht gewesen, sagt Marketingleiterin Angelika Rütgen, aber mit dem finalen Jubiläumsmotto sei man sehr zufrieden: „Innovationen für Generationen“.
Fachliteratur aus der MANZ’schen Verlags und Universitätsbuchhandlung wird von Rechtsanwender:innen seit Generationen genutzt. „Unsere Bücher begleiten
Jurist:innen seit fast zwei Jahrhunderten durch ihre ganze Karriere“, so Rütgen. „Von der Ausbildung bis zur Pensionierung.“
Und die Innovation? Durch sie habe sich MANZ seit der Gründung 1849 hervorgetan, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin Susanne Stein. In den letzten Jahrzehnten waren das vor allem technologische Entwicklungen. „Zum Beispiel hat mein Vater den Druckbetrieb bereits in den frühen Achtzigerjahren von Blei- auf Computersatz umgestellt“, erzählt Stein. Innovativ war das Unternehmen auch abseits von Technologie. Zwei Beispiele von vielen: Seit 1946 erscheint die Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ im MANZ Verlag. 1986 wird die RDB als erste ihrer Art im deutschsprachigen Raum gegründet und zählt bis heute zu einer der wichtigsten Rechtsdatenbanken.
Auch heute orientiert sich MANZ an aktuellen Entwicklungen. Seit April 2024 kann man im Webshop mit dem Bookscreener Bücher besser durchsuchen als mit klassischen Suchfunktionen. Ein „absoluter Gamechanger“ sei auch ein Tool zur KIgestützten Recherche, an dem derzeit gearbeitet wird, sagt Chief Evangelist Wolfgang Pichler: „Statt Schlagwörter eingeben zu müssen, können Kund:innen einfach eine Frage stellen, die von einem KI-Chatbot beantwortet wird.“ Das funktioniert wie ein Austausch mit ChatGPT. „Allerdings basieren alle Antworten auf unseren seriös recherchierten und geprüften Inhalten“, so Pichler. Halluziniert wird hier nicht. Auch ökologisches Denken rückt immer mehr ins Zentrum. Derzeit wird an NIU gearbeitet: Das Nachhaltigkeitsportal ist ein Fachinformationsangebot, das sich vor allem an Nachhaltigkeitsmanager:innen richtet.
Nachhaltigkeit zieht sich durch die Unternehmensgeschichte. Nicht nur in ökologischer Hinsicht: „Wir orientieren uns nicht an Trends oder kurzfristigen Gewinnen, sondern denken in eine stabile Zukunft“, sagt Pichler. Die Bedeutung von Kontinuität zeigt sich nicht zuletzt am Firmensitz am Wiener Kohlmarkt. Dort ist Manz seit 1892 beheimatet. Wo über hundert Jahre lang die Buchhandlung MANZ zu finden war, gibt es seit Jänner 2024 eine Beletage, die für Meetings und Podcast-Aufnahmen genutzt wird.
Was sich außerdem durch die Geschichte zieht: Orientierung an der Kundschaft. Wichtig sei es, so Stein, genau zuzuhören und immer wieder selbstkritisch zu fragen: Was möchten Kund:innen, was brauchen sie gerade?
Obwohl der Markt angesichts hoher Produktionskosten und zahlreicher Regulierungs- und Berichtspflichten kein einfacher ist, schaut MANZ zuversichtlich in die Zukunft. Die Form verschiebt sich zunehmend vom gedruckten Buch ins Digitale, die Inhalte der MANZ-Produkte sind für Österreich aber genauso wichtig wie vor 175 Jahren. „Der Rechtsstaat braucht Rechtsinformation“, sagt die Geschäftsführerin. Weiteren 175 Jahren MANZ steht nichts im Wege.
– HVB -Mitglieder im Porträt –Picus wird 40
Text: Ruth Kronbichler
Vierzig Jahre Picus Verlag, vierzig Jahre in den schönen Räumen des Büros am Friedrich-Schmidt-Platz. Vor 42 Jahren spazierten Dorothea Löcker und Alexander Potyka über die Frankfurter Buchmesse und malten sich aus, wie ein Verlag sein sollte. Beide stammten aus dem Verlagswesen – Löcker arbeitete im Löcker Verlag, Potyka als freier Übersetzer. „Wir fanden schnell heraus, dass wir ähnliche Ideen hatten“, erzählt Potyka. „Ideen, die rückblickend ein wenig naiv waren.“ Trotz geringen kaufmännischen Wissens gründeten sie den Picus Verlag.
Der Name des Verlags stammt aus der römischen Mythologie: Ein König, der von der Göttin Circe in einen Specht verwandelt wurde, inspirierte die Gründer. Der Specht wurde zum Verlagslogo, das Löcker selbst entwarf.
Anfangs gab es kaum Manuskripte, deswegen entwickelten Potyka und Löcker kurzerhand ihr eigenes Programm: Bei drei der ersten vier Kinderbücher waren sie Autor bzw. Illustratorin, ein Architekturbuch verfasste Potykas Vater. „Wir haben uns gedacht, wenn es nicht funktioniert, hören wir einfach auf“, erzählt Potyka. Doch einen Stichtag für diese Entscheidung gab es nie, so wurde einfach weitergemacht. „VerlegerSein ist ein Suchtberuf.“
Picus Verlag
„Wir haben nur für den Verlag gelebt“, erinnert sich Löcker. „Es hat uns irrsinnigen Spaß gemacht.“ Der Verlag etablierte sich mit einem Zeitgeschichte-Schwerpunkt und veröffentlichte zahlreiche Biografien von Holocaust-Überlebenden. Der große Durchbruch gelang 1988 mit Ceija Stojka, deren Buch die Anerkennung der Roma und Sinti als Volksgruppe in Österreich förderte. „Es war beeindruckend zu sehen, wie wir etwas verändern konnten“, so Löcker. Parallel wurden immer Kinderbücher produziert. „Das Kinderbuch-Milieu war in Österreich voll besetzt und empfing uns anfangs nicht unbedingt freundlich“, so Potyka. Doch mit „Quaxi, der Fernsehfrosch“ erzielte der Verlag internationale Anerkennung. „,Quaxi‘, der in Österreich als trivial bezeichnet wurde, war in Italien Schullektüre zur Medienerziehung“, berichtet Potyka. Das erfolgreichste Kinderbuch von Picus, derzeit in der 11. Auflage erhältlich, ist
„Wien – Stadtführer für Kinder“, das auch auf Englisch und Japanisch vorliegt. 1987 gründete Potyka mit Erhard Löcker die „ARGE Österreichische Privatverlage“. „Unabhängige Verlage waren an den Rand gedrängt, auch weil Subventionen überwiegend an die Verlage im öffentlichen Eigentum gingen“, so Potyka. Die Arge setzte 1992 das System der Verlagsförderung durch. 1998 starteten die „Picus Lesereisen“. Die Reihe erfreute sich schnell großer Beliebtheit. „Wir starteten gleich mit fünf Titeln pro Saison, um dem Markt zu zeigen, dass wir es ernst meinen“, sagt Löcker. Es war nicht nur einfach. Auf den Österreich-Schwerpunkt in Frankfurt 1995 folgte eine Krise. Potyka: „1996 waren wir nahezu zahlungsunfähig, aber wir haben nicht aufgegeben und Unterstützung gefunden.“
19 Jahre ist Barbara Giller schon im Picus Verlag tätig. Heute koordiniert sie das Lektorat, kümmert sich um den Vertrieb und übersetzt Kinderbücher aus dem Skandinavischen. „Wir haben ein großes Verantwortungsgefühl unseren Autor:innen gegenüber“, betont sie. Deshalb wird jedes Manuskript von allen Mitarbeiter:innen gelesen. „Das haben wir immer schon so gemacht“, erzählt Potyka. „Wir sind wie eine gut geölte Maschine, jeder kennt seine Aufgaben und deshalb funktioniert es so gut.“
Czernin wird 25
Czernin Verlag
Text: Andrea Vanek
Vor 25 Jahren gründete Hubertus Czernin seinen eigenen Verlag. Als herausragender Journalist war er maßgeblich an der Aufdeckung der Affäre Waldheim, an den Enthüllungen um den Missbrauchsfall Groer in der katholischen Kirche oder an der Entlarvung Jörg Haiders als skrupelloser Rechtspopulist beteiligt. Seit 2004, als er den Verlag als geschäftsführender Gesellschafter übernommen hat, leitet Benedikt Föger den heute im achten Wiener Gemeindebezirk ansässigen Verlag. Dieser konnte in den vergangenen 20 Jahren sein programmatisches Profil deutlich erweitern. „Die aufklärerische, antifaschistische Orientierung mit dem Ziel, den demokratischen Diskurs zu fördern, prägt bis heute die jährlich rund 20 Neuerscheinungen“, so der Verleger. Seit der Verlagsgründung bestehende Reihen, wie die Bibliothek des Raubes zu Restitutionsthemen und die Bibliothek der Erinnerung zur Kultur- und Geistesgeschichte, werden weiterhin gepflegt und bestimmen mithilfe neuer Autor:innen und Schwerpunktsetzungen auch aktuelle gesellschaftspolitische Debatten.
Hinzugekommen ist die intensive Beschäftigung mit neuer österreichischer Literatur, die zum einen einer persönlichen Leidenschaft Fögers entspringt, zum anderen auch eine „psychohygienische“ Motivation birgt, um sich nicht nur mit schweren zeitgeschichtlichen oder politischen Themen befassen zu müssen. Dazu kam eine naturkundliche Buchreihe, die neben wissenschaftsgeschichtlichen Klassikern auch literarische Anthologien zum Nature Writing präsentiert. Als Beispiele nennt Föger, der ursprünglich Biologie studierte, „Aus dem Leben der Bienen“ von Karl Frisch, ein Buch von Paul Kammerer über Terrarienkunde oder eine Abhandlung von Charles Darwin über Regenwürmer, für die er auch das Nachwort beisteuerte.
Abgesehen vom Verleger, der für Programm und Geschäftsführung zuständig ist, besteht das Team aus drei weiteren Personen. Florian Huber, der bereits 2006 im Verlag war und seit Kurzem wieder hier tätig ist, verantwortet Lektorat und Programmentwicklung. Karl Bichler ist für Pressearbeit, Vertrieb und Veranstaltungen verantwortlich. Mirjam Riepl leitet die Herstellung und gestaltet das Layout und die Covers.
„Wenn man die Situation nüchtern betrachtet, stehen die deutschsprachigen Verlage vor großen inhaltlichen Herausforderungen“, so Föger. Die notwendige Reaktion darauf sei, sich weiterzuentwickeln und ein Stück weit neu zu erfinden, um dem Buch als diskursivem Leitmedium eine dauerhafte Zukunft und neue Leser:innen zu sichern. „Es geht darum, das Niveau des Diskurses zu heben, indem wir das historische Bewusstsein stärken und die negativen Konsequenzen eines rein profitorientierten und eigennützigen Handelns aufzuzeigen suchen.“
Dieser Anspruch spiegelt sich auch im Herstellungsprozess der bei Czernin verleg-
ten Bücher wider, der den Autor:innen und Mitarbeiter:innen viel Zeit beim Heranreifen ihrer Ideen zugesteht. „Vor diesem Hintergrund versteht sich die verlegerische Arbeit auch als notwendiges Korrektiv gegenüber den zunehmend von Schnelllebigkeit und Polarisierung geprägten Debatten im digitalen Raum“, ergänzt Florian Huber. Der Blick auf das Herbstprogramm des Verlags bestätigt diese Einschätzung. Es lädt zur Begegnung mit neuen Geschichten, Themen und Autor:innen ein und formuliert in inhaltlicher und gestalterischer Hinsicht auch ein starkes Plädoyer für die Relevanz des gedruckten Buchs.
Die Deforestation Regulation im Überblick
Im letzten anzeiger haben wir Einschätzungen zur Deforestation Regulation ( EUDR) präsentiert. Jetzt fassen wir harte Fakten zusammen: Einen Auszug aus den FAQs finden Sie hier, Ausführlicheres online auf buecher.at
WAS IST DIE EU DEFORESTATION REGULATION UND WARUM IST SIE FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE BUCHBRANCHE RELEVANT?
Ziel der EUDR ist das Verbot des Inverkehrbringens von Produkten, die nicht entwaldungsfrei sind. Dies schließt die holzbasierten Stoffe Pappe, Papier, Bücher, Bilddrucke und Zeitungen ein.
AB WANN GILT DIE VERORDNUNG?
Sie gilt ab dem 30. Dezember 2024 für große Unternehmen, für mittelständische, kleine und Kleinstunternehmen (KMU) ab dem 30. Juni 2025. Ab November 2024 ist die Registrierung im digitalen Informationssystem der EU-Kommission möglich, über das die verpflichtenden Sorgfaltserklärungen übermittelt werden müssen.
WELCHE UNTERNEHMEN
SIND VON DER EUDR BETROFFEN?
Das Ausmaß der Sorgfalts- und Dokumentationspflichten richtet sich danach, ob ein Unternehmen als „Marktteilnehmer“ oder als „Händler“ klassifiziert wird. Außerdem fallen je nach Unternehmensgröße unterschiedliche Maßnahmen an. „Marktteilnehmer“ sind Unternehmen, die Produkte auf dem EU-Markt zu gewerblichen Zwecken in Verkehr bringen, also erstmals auf dem Unionsmarkt bereitstellen.
Verlage gelten i. d. R. als „Marktteilnehmer“, Buchhandlungen als „Händler“. Das ist im Einzelfall zu prüfen. Für Marktteilnehmer gelten strengere Regelungen als für Händler, die KMU sind. Wichtiger ist aber die Unterscheidung nach Unternehmensgröße: Für KMU sind die Anforderungen weniger umfangreich als für große Unternehmen. Für Händler, die keine KMU sind, gelten strengere Pflichten.
FAQs: Mara Siegl
Das Ziel der EUDR ist die Bekämpfung illegaler Entwaldung
WELCHEN EINFLUSS HAT DIE EUDR AUF DEN INTERNATIONALEN HANDEL VON VERLAGEN?
Unternehmen müssen sicherstellen, dass auch die internationalen Lieferketten den EU-Anforderungen entsprechen.
• Eigenproduktion und Import: Wenn Verlage Papier oder Papierprodukte aus Drittländern importieren, gelten sie als Inverkehrbringer. Sie sind verantwortlich für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten.
• Erste Bereitstellung auf dem EU-Markt: Selbst wenn Verlage fertige Bücher aus einem Drittland importieren, gelten sie als Inverkehrbringer, da sie diese Produkte erstmals in die EU einführen.
• Einkauf innerhalb der EU: In diesem Fall handeln Verlage als Händler. Sie sind dafür verantwortlich, die erhaltenen Informationen über Sorgfaltspflichten und Konformität weiterzugeben.
Je nachdem, ob der Verlag das verwendete Papier selbst erwirbt oder ob der Einkauf über die Druckerei erfolgt, gelten unterschiedliche Regelungen.
WELCHE VERPFLICHTUNGEN KOMMEN AUF UNTERNEHMEN ZU, DIE BÜCHER AM MARKT BEREITSTELLEN ODER AUS DER EU EXPORTIEREN?
• Die verwendeten holzbasierten Stoffe stammen von Flächen, die nach dem 31. 12. 2020 nicht von Entwaldung oder Waldschädigung betroffen waren.
• Die Herstellung dieser Stoffe ist unter Einhaltung der im Produktionsland geltenden Regelungen erfolgt.
• Es liegt eine Sorgfaltserklärung für das Produkt, das in Verkehr gebracht wird, vor.
WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DIE EUDR AUF BUCHHANDLUNGEN? Buchhandlungen, die KMU sind, müssen dokumentieren und Informationen weitergeben. Sie müssen korrekte Informationen darüber einholen, dass ihre Produkte der EUDR entsprechen.
Große Unternehmen müssen die Sorgfaltserklärung ihrer Lieferanten prüfen und diese über das Informationssystem an die zuständige Behörde übermitteln. Alternativ muss eigenhändig eine vereinfachte Sorgfaltserklärung erstellt und an die Behörde übermittelt werden.
Ausführliche Informationen zu Verpflichtungen, Zertifizierungs- und Prüfverfahren sowie Konsequenzen bei Nichteinhaltung finden Sie hier:
Nach Büchern über Rilke, Trakl und Kokoschka vervollständigt jetzt Anton Bruckner das Künstler-Quartett von Rüdiger Görner
DerUnerhörte
Anton Bruckner über seine Musik nahekommen: Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Rüdiger Görner versucht es in einem Buch über den Komponisten und schwer fassbaren Menschen
Interview: Erich Klein
R üdiger Görner, 1957 in Rottweil, BadenWürttemberg, geboren, arbeitet als Literatur- und Kulturwissenschaftler und lebt in Bad Honnef am Rhein. Von 1999 bis 2004 war er Direktor des Instituts für „Germanic Studies“ der Universität London. 2002 gründete er dort das Ingeborg-BachmannZentrum für Österreichische Literatur. Als Gastprofessor lehrte er an den Universitäten Mainz, Hannover, Heidelberg, Wien und Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Wissenschaft und Musik in der deutschsprachigen Literatur, Dichtungstheorie der Jahrhundertwende und die Epoche der Romantik. Er schrieb etwa Bücher über Rainer Maria Rilke, Georg Trakl und Oskar Kokoschka. Anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten Anton Bruckner erschien
im Zsolnay Verlag sein Buch „Bruckner. Der Anarch in der Musik“.
Herr Görner, wie sind Sie als Literaturwissenschaftler zur Musik gekommen?
Rüdiger Görner – Zuerst durch meine Mutter, dann durch das Gymnasium. Mein Musiklehrer hätte an einer Universität unterrichten sollen, ihm habe ich immens viel zu verdanken. Das Unvermögen, mich durch ein Instrument oder Gesang zu profilieren, hat mich relativ früh dazu gebracht, mich mit Musik sprachlich auseinanderzusetzen. Besagter Musiklehrer stellte fest, dass das, was ich zur Musik zu sagen hatte, interessant war. Dabei blieb es dann auch im Beruf. Ich habe immer wieder versucht, den
Spannungsbereich zwischen Musik und Literatur, zwischen Wort und Ton, auszuhorchen. Es gibt ein berühmtes Zitat von
„Bruckner ist im bürgerlichen Salon gar nicht vorstellbar. Deshalb ist er für mich der klassische Anarch in seiner Kunst und seiner Zeit“
Rüdiger Görner
Adorno: Man müsse lernen, mit dem Gehör zu denken. Nietzsche sagte, man möge sich befleißigen, mit dem Ohr zu schreiben.
Wann haben Sie Anton Bruckner entdeckt?
Görner – Mit sechzig. Durch die vierte Symphonie, die „Romantische“, als ich an einem Buch über Romantik arbeitete. Sie hat mich sehr bewegt. Vor allem Bruckners rhythmische Bewusstheit und dessen Gebrochenheit. Das war auch einer der Gründe, warum ich Bruckner als Modernisten in seiner Zeit gehört habe. Er ist in seiner Zeit das Unerhörte.
Die Karriere des Sohnes eines Dorfschullehrers aus einem oberösterreichischen Dorf verblüfft einigermaßen …
Görner – Der Weg aus Ansfelden bis ins Kustodenstöckl im Wiener Belvedere, wo Bruckner seine letzten Jahre verbracht hat, ist frappierend. Der Kaiser gab ihm sozusagen einen Teil seines Wohnraums. Das ist eine Seite. Andererseits hatte er eine riesige Begabung und durch unendliches Lernen gelang es ihm, aus sich herauszuholen, was in ihm da war. Er vermochte sich selbst zu ergründen und seine Musikalität buchstäblich auszuspielen. Er galt damals als der größte Organist Europas, allerdings eben nur als Organist. In Paris wurde er gefeiert, dann war es damit auch schon wieder zu Ende, und er fuhr nach Hause. Kaum kam Bruckner aus London zurück, erhielt er einen Verweis von seinem Schuldirektor, dass er sich den Schülerinnen zu sehr genähert habe.
Ein Fall für MeToo?
Görner – Wir wissen, es war nichts dran. Bruckner ist das typische Beispiel eines Künstlers, der plötzlich ganz oben steht und dann zurück im sozialen und pädagogischen Kontext Wiens in den Graben stürzt. Der Londoner Impresario August Manz, der dem Organisten Bruckner Konzerte in der Royal Albert Hall und im Crystal Palace vermittelte, kam nicht auf die Idee, auch seine Symphonien aufzuführen. Die interessierten damals noch niemanden. Das bedrückte ihn natürlich. Er konnte seinen Erfolg als Organist nicht auskosten, weil er wusste, dass seine Begabung im symphonischen Schaffen lag, das damals keinerlei Resonanz fand. Eine Biografie Bruckners sollte auf etwas Besonderes hinweisen: Es handelt sich um die Entwicklung eines Künstlers zu seiner Selbstverrätselung. Bruckner als Künstler verrätselt sich. Er verrät sich nie. Deshalb haben wir prominente Misterioso-Teile in seiner Musik. Als Biograf muss man mit Urteilen vorsichtig sein. Wir haben erstaunlich viele Dokumente zu Bruckners Leben, aber nicht ansatzweise genug, um diesen Menschen wirklich auszuloten. Ein Biograf ist ein schlechter Biograf, wenn er so tut, als wisse er Bescheid. Er sucht, verhandelt, macht Deutungsangebote.
Sie bezeichnen Bruckner als Anarchen. Was bedeutet das?
Görner – Ein wichtiger Begriff. Bruckner ist natürlich kein Anarchist, es geht vielmehr um Anarchie in dem Sinn, dass er den bürgerlichen Musikgeschmack seiner Zeit unterläuft. Bruckner hat diesen Geschmack nicht bedient, Salonmusik ist kein Thema für ihn. Er will die große Sakralität der Messen, den großen Chor oder das große Orchester. Eines will er bestimmt nicht: Solisten und das Solistentum seiner Zeit. Wir befinden uns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da wird den Solisten gehuldigt. Derartiger Huldigung verweigert er sich mit seinen Kompositionen. Bruckner selbst ist nur dann Solist, wenn er als Organist auftritt. Während seines Orgelspiels sieht ihn keiner. Er sitzt mit dem Rücken zum Publikum, wird nicht wie Paganini oder Chopin gefeiert. Bruckner ist im bürgerlichen Salon gar nicht vorstellbar. Deshalb ist er für mich der klassische Anarch in seiner Kunst und seiner Zeit.
Ein Zeitgenosse von Johann Strauß, allerdings ein sehr konträrer … Görner – So ist es. Es gibt die berühmten Bilder von Johannes Brahms, der sich mit Johann Strauß gut versteht. Ein Foto von Strauß, der sich mit Bruckner
unterhält, ist nicht vorstellbar. Das macht auch ästhetisch Sinn. Diese Art von salopper musikalischer Unterhaltung hatte Bruckner nicht auf seinem Radar. Sein Thema ist ein ganz anderes: Wie ist es möglich, hochsakrale Musik, die er sich erarbeitet, aus dem kirchlichen Kontext herauszuholen, um sie in den Konzertsaal zu bringen?
Wie verhält es sich bei diesem „Musikanten Gottes“ mit der Religion?
Görner – Ich stelle Bruckner nicht als einen schlichten, einfach gläubigen Menschen dar. Wer solch sakrale Musik schreibt, hat auch ein sehr differenziertes Verhältnis zum Religiösen wie Göttlichen. Ich sehe bei ihm auch nicht die Vorstellung eines göttlich inspirierten Genies. Dafür hat er in seinen Kompositionen zu viel immer wieder korrigiert. Es ist keiner, der wie ein Evangelist dasitzt, um seine Inspiration in eine Komposition zu übertragen. Vielmehr sind es ungeheure Mühen, die ihm der liebe Gott, wenn er denn so lieb ist, abverlangt. Bruckner stellt sich diesen Mühen: der Herausforderung, das Göttliche in einem Akt der Kunst zu vermitteln, ja zu preisen. Und zugleich zu bekennen, dass dieses Göttliche, wenn es sich mit Kunst verbindet, für ihn der Lebensanker ist. Dass er seine Gebete zählt und vor dem Schlafengehen auf die Knie geht, sind letztlich Begleiterscheinungen. Wesentlicher scheint mir, dass er den religiösen Akt des Betens und den Kunstakt nicht gleichsetzte, sondern erkannte, dass man es, wenn man als irdisches Geschöpf an der Kunst arbeitet, einfach auch schwer hat. Zugleich fand er darin Sicherheit, nicht in materiellem Sinn, sondern im Sinn eines Arbeitens mit dem musikalischen Material. Er war davon überzeugt, dass sich das Göttliche in diesem Material verbirgt. Eine Analogie zur bildenden Kunst: Rainer Maria Rilke, eine Zeit lang Sekretär des Bildhauers Rodin, hat behauptet, Rodin habe die Gestalt in einem Stein durch die Art seines Behauens befreit. Bruckner hat immer wieder versucht, das Göttliche, das Sakrale aus dem Material der Musik zu befreien, bis es erklingen konnte.
Bruckners Musik erhebt nicht nur, sie überwältigt auch.
Görner – Manche versuchen, aus einem Bruckner-Konzert zu entschwinden, weil sie es nicht aushalten, die Überwältigung ist zu groß. Das ist eine Möglichkeit. Die andere ist, sich überwältigen zu lassen. Es ist eine Grundentscheidung, zu sagen: Alle Macht nicht dem Volke, sondern dem Orchester, alle Macht dem Chor. Etwas Ähnliches gibt es nur in Verdis Requiem. Diese prägnante
„Ein Anliegen meines Buches ist die Dekonstruktion der Vorstellung eines tumben Gesellen“
Rüdiger Görner
Geste der Komplettüberwältigung. Die Machtkonzentration auf den Einsatz des Chores ist in dieser Form singulär.
Sie sprechen auch von einem „politischen“ Bruckner …
Görner – Das Thema Macht ist bei Bruckner noch nicht ausgeschöpft. Ich sage das sehr bewusst. Wir dürfen nicht verkennen, dass sich Bruckner für Machtfragen interessierte. Etwa für das Schicksal Kaiser Maximilians in Mexiko oder für die Situation Österreichs im Jahre 1866. Er hat sich seiner Zeit gestellt. Ein Anliegen meines Buches ist die Dekonstruktion der Vorstellung eines tumben Gesellen. Bruckner war kein tumber Gesell, sondern ein Komponist mit höchster musikalischer Intelligenz, immer wieder bereit, sich infrage zu stellen. Für mich ist es ein Zeichen von Intelligenz, seine eigene Position immer wieder kritisch zu überprüfen. Ob die Überarbeitungen seiner Symphonien immer erfolgreich waren, ist eine andere Frage.
Wenn von musikalischer Überwältigung die Rede ist, liegt die Frage nach dem BrucknerBewunderer Hitler nahe. Über den schreiben Sie gleich am Anfang Ihres Buches … Görner – Man kann darauf so antworten: Bei aller Bruckner-Verehrung wollte Hitler eines nicht hören: die Brüche in Bruckners Musik, die Gebrochenheit überhaupt. Anders als Wagner war Bruckner nie antisemitisch, selbst wenn er, denkt man an die Angriffe vonseiten des Kritikers Eduard Hanslick, Anlass dazu gehabt hätte. Obwohl ihn diese Kritik schwer traf, ließ er daraus kein Vorurteil werden und stand über diesen Dingen. Freilich machte er etwas, das schon Hector Berlioz und dann auch Gustav Mahler taten. Bruckner mobilisierte Orchester und Chor. Das entsprach einer Levée en masse, einer „Massenaushebung“ in der Musik. Es hat jedoch nichts Diktatorisches, sondern mit dem Ernstnehmen der Vielfalt von Stimmen zu tun. Einzelne Stimmen oder Instrumentengruppen bekommen dabei das Wort. Das ist der Unterschied zwischen einer Musik, die nur von totaler Überwältigung ausgeht, und einer Musik, die zu differenzieren versteht. Sie ist das Gegenteil von reiner Überwältigung. Das ist zum Beispiel etwas, das Hitler mit Sicherheit überhören wollte. Natürlich hat er Bruckner in seiner Verehrung instrumentalisiert, sozusagen als Linzer gegen Wien.
Bruckner gehört neben Marx, Nietzsche und Wagner in die Reihe der Großen des 19. Jahrhunderts. Oder ist das zu pathetisch?
Görner – Nein, weil es mit dem Pathos zusammenhängt, das Bruckner selbst einsetzt. Er nimmt am Großen Maß, natürlich an Wagner, für ihn sozusagen die Orientierung überhaupt. Aber er schafft auch seine eigenen Maßstäbe für diese Größe und eine ganz spezifische musikalische Weltsicht. Anders als Wagner, Marx oder Darwin gesteht er sich selbst und seinen Werken innere Brüche zu. Man glaubt, jetzt sei ein Satz zu Ende, aber er ist nicht zu Ende, Bruckner setzt immer wieder neu an. Dieses Neuanfangen ist ein wichtiger Teil seines Werkes. Größe werden wir ihm im Bereich der Musik sicherlich zubilligen, allerdings nicht dem Intellektuellen Bruckner. Das ist nicht sein Feld. Es geht vielmehr um musikalische Intellektualität. Wir dürfen nicht vergessen, Bruckner ist ein Künstler, der immer wieder weiterlernen wollte, der sich Prüfungen noch zu einer Zeit unterzieht, als er selbst schon prüfen kann. Aus der Erfahrung des Weiterlernens und Prüfens bezieht er immer wieder neue Substanz. Ein Äquivalent zu Bruckners Symphonien findet man bei Adalbert Stifter, noch viel mehr in Grillparzers „Der arme Spielmann“. Das Paradigma scheint mir Johann Sebastian Bach zu sein. Alles, was geschieht, ist zum höheren Ruhme Gottes. Es kommt natürlich noch etwas ganz anderes hinzu: immense Autoritätsgläubigkeit, Unterwürfigkeit gegenüber Autorität.
Thomas Bernhard sprach von „perverser Gottesfurcht“, die Bruckner dazu brachte, sich Kaiser und Gott auszuliefern.
Görner – Bei Bernhard ist immer etwas Wahres an jeder Übertreibung. Es ist auch nicht nur Übertreibungslust, wenn er dieses Empfinden hat. Dieser Aspekt der BrucknerKritik hat schon zu seinen eigenen Zeiten Schule gemacht. Wir haben schon über Hitler gesprochen. Hier liegt der große Unterschied: Hitler unterwirft sich nicht, er unterwirft andere. Bruckner unterwirft sich immer, konterkariert das dann aber durch den Machtanspruch seiner Symphonien. Seine Briefe schreibt er im Stil des 18. Jahrhunderts. Wenn es um ein Gesuch geht, verwendet er mariatheresianisches Deutsch, das in seiner Zeit schon anachronistisch war. Auf der anderen Seite verwendet er – selten genug – einen experimentelleren Stil, wenn es um eigene Symphonien geht.
Er bezeichnet sich selbst gelegentlich auch als „Esel“.
Görner – Er verfügt über die Bereitschaft, das Unterwürfige und seinen Machtanspruch immer wieder gegeneinander auf-
zuwiegen. Neben Bescheidenheit gibt es ein manisches Bedürfnis, sich an sehr junge Frauen heranzumachen. Und da ist die Art, seine eigene gefährdete psychische Disposition geradezu auszukosten. Aber im letzten Moment verankert er sich eben wieder in der kompositorischen Arbeit. Das ist die Kur für ihn, nicht die Kaltwasserkuren in Bad Kreuznach. Es ist, glaube ich, ein Spannungsverhältnis in ihm, das ihn innerlich reich macht.
Wie kamen Sie dazu, nach Büchern über Rilke oder Trakl eine Bruckner-Biografie zu schreiben?
Görner – Ich habe sie als Literaturwissenschaftler, Kulturwissenschaftler und als Schriftsteller geschrieben. Das sind meine Bereiche. Es handelt sich um ein österreichisches Quartett, bestehend aus zwei Dichtern, einem bildenden Künstler, nämlich Kokoschka, und einem Komponisten. Der rote Faden zwischen diesen ganz verschiedenen Bereichen ist der Versuch, mit der eigenen Sprache an das, was sich der Sprache entzieht, heranzukommen. Ein Paradox, das mir wichtig ist. Auch in Trakls oder Rilkes Dichtungen haben wir Phänomene, von denen man als Kritiker sagen muss, das entzieht sich unserem Urteil. Dennoch versucht man, wenn man diese Künstler vermitteln möchte, mit seinen eigenen Sprachmitteln an sie heranzugehen. Die Entscheidung, eine Bruckner-Biografie zu schreiben, hatte damit zu tun, dass ich meine Arbeiten zum Verhältnis von Literatur und Musik an einem mir wichtigen Beispiel konzentrieren wollte. Ich habe versucht, an den entscheidenden Stellen zu erzählen. Für mich sind die Symphonien Bruckners ganz große musikalische Erzählungen. Mir kam es darauf an, mit meinen, zugegeben bedingten, sprachlichen Mitteln an diese Erzählung heranzukommen. Ich wollte sie nicht nacherzählen, sondern miterzählen. Es gibt in Bruckners Leben Stellen, die sich später im Werk abbilden. Genau diese Stellen versuche ich zu erzählen. Nietzsche hat 1888 „Ecce homo“ mit dem Satz begonnen: „Also erzählte ich mir mein Leben.“ Bei Bruckner bestand die Herausforderung darin, uns Hörern und Lesern dieses Leben im Sinne einer perspektivischen Öffnung zu erzählen. Dass man aus verschiedenen Blickrichtungen auf Bruckners Werk und Leben schaut, um zu zeigen, wie perspektivisch er komponiert hat. Das meine ich mit der Fähigkeit Bruckners, auf eine Art zu komponieren, die Aspekte seiner Persönlichkeit immer wieder neu realisiert. Der heute leider fast vergessene deutsche Schriftsteller Wolfgang Koeppen hat am Schluss seines Lebens einmal gesagt, »
Kontinent Kinderbuch
Juliane Zach
Unsere neue Kolumnistin Juliane Zach ist im Institut für Jugendliteratur für Literaturvermittlung verantwortlich und arbeitet für „1001 Buch“. www.jugendliteratur.at
Aller Anfang ist
schwer
Angeblich wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Gut, aber warum fühlt sich das Schreiben meiner ersten Kolumne dann so gar nicht zauberhaft an? Weil Anfänge eben auch so sein können: mühsam. Fragen Sie Schulanfänger:innen. Schreiben und Lesen lernen bedeutet für viele, einen langen und steinigen Weg zu überwinden – jeder Schritt zählt. Es reicht nicht, das ABC zu beherrschen. Manche Kinder müssen erst lernen, dass gesprochene Sprache in Schrift übersetzt werden kann und die Anordnung der Buchstaben nicht willkürlich ist. Es ist harte Arbeit, bis sie sinnerfassend lesen können, aber sie lohnt sich, denn es warten spannende Abenteuer und fantastische Bücher auf die jungen Lesenden. So wie die Herbstneuerscheinung von Ina Hattenhauer „Das ausgelassene ABC“ (Gerstenberg). In dem jeder Buchstabe zählt: Da drückt die Taube – ohne A – auf die Tube, und die Maus wird, ja, genau: zu Mus. Allen Schulanfänger:innen und ihren Begleiter:innen wünsche ich Durchhaltevermögen, viel Freude, und sie sollten wissen: Es wird leichter! Sag’ ich mir auch gerade vor …
»
dass er kein Leben gehabt, sondern nur geschrieben habe. Zu Beginn der Bruckner-Biografie hatte ich den Eindruck, dass ich über einen Künstler schreibe, der kein Leben hatte. Ich habe mich eines Besseren belehrt. Die Auseinandersetzung mit Bruckner zeigt, dass er ein Leben hatte, das facettenreich war, beschwerlich, für ihn oft hochproblematisch, aber in vielerlei Hinsicht auch künstlerisch immens reichhaltig. Meine Ambition war es, Bruckners Klangwelt mit seiner Lebenswelt erzählend zu fusionieren.
Was hat Sie so oft nach Österreich getrieben?
Görner – Ich habe zu Österreich immer ein sehr intensives Verhältnis gehabt. Das hat mit frühen Reisen und Urlauben mit meinen Eltern zu tun, aber auch mit Salzburg. Eines meiner frühen, prägenden Kulturerlebnisse war eine Führung im Mozarteum, die mir unvergesslich geblieben ist. Das hat sich auch in meinem Buch „Mozarts Wagnis“ niedergeschlagen. Offenbar hat mich diese Atmosphäre, die in Österreich trotz aller historischen Probleme immer wieder überraschende Heiterkeit, schon sehr früh angesprochen. Es ist kein Zufall, dass meine wichtigsten Verlage in Österreich sind, Zsolnay, Löcker und der Sonderzahl Verlag, bei dem im nächsten Jahr ein Essay-Band erscheint. Ich habe seit späteren gymnasialen Zeiten Österreich primär als einen Literaturraum wahrgenommen, der musikalisch geprägt ist. Diese Verbindung von Musikalität und Literatur sehe ich in Österreich geradezu symbolisch realisiert. «
„Die Symphonien Bruckners sind ganz große musikalische Erzählungen. Mir kam es darauf an, an diese Erzählung heranzukommen“
Rüdiger Görner
Anarch in der Musik
Bruckner, der schrullige Tollpatsch, der von seinen Kritikern verfolgte WagnerVerehrer, der zwänglerisch-fromme Musikant Gottes: Der Kulturwissenschaftler Rüdiger Görner eröffnet seine Biografie mit einer Parade traditioneller Bruckner-Bilder. Mit einem kleinen Paukenschlag verweist er auf Adolf Hitler, der 1937 in der Walhalla bei Regensburg die Gipsbüste seines Lieblingskomponisten enthüllte. Wer heute eine Biografie über ein Komponistengenie des 19. Jahrhunderts schreibt, kann die Barbarei des 20. Jahrhunderts nicht einfach überspringen. Werk und Wirkung sind eins, auch wenn es sich wie im Falle Anton Bruckners um einen tiefreligiösen Einzelgänger handelt, der sich keiner Schule oder Lehrmeinung anschließen wollte. Görner entfaltet ein minutiös rekonstruiertes und erzählerisch weitläufiges Panorama über Leben und Werk: vom Sohn eines Ansfeldener Lehrers und Sängerknaben in Sankt Florian bis zum international gefeierten Organisten und Professor in Wien, der als Komponist von zehn Symphonien und geistlichen Werken die Musikwelt revolutionierte. Das dichte Gewebe aus Chronologie, Anekdotischem und Analyse ist nicht nur lehrreich und gut lesbar, imposant gerät Görners erzählerische Aneignung und Interpretation einzelner Werke. Man erfährt von den Höhen und Untiefen dieser eigentümlichen Lebensgeschichte, den Schwierigkeiten der Zeitgenossen beim Hören von Bruckners Musik und deren großen Interpreten von Furtwängler bis Thielemann. Am Ende steht ein zu beherzigender ästhetischer, geradezu kategorischer Imperativ: „Es hängt alles im Leben von ihr ab, der seelischen Hörreife, im Bruckner-Jahr und überhaupt.“
Rüdiger Görner:
„Bruckner. Der Anarch in der Musik“ Zsolnay Verlag, Wien 2024 ISBN 9783552075368
Fleisch In Philipps
Text: Erich Klein
Illustration: Katharina Klein
JULIEN GREEN: TREIBGUT
Philipp Cléry spaziert abends an der Seine und verfolgt eine Zeitlang den Disput eines Paares. Plötzlich wendet sich die in Bedrängnis geratene Frau hilfesuchend an den einsamen Promeneur, von dem nicht ganz klar ist, was ihn umtreibt: „Monsieur!“ Er reagiert nicht. „Er blieb reglos; durch sein ganzes Wesen ging ein Zögern, das nicht länger dauerte als einen Herzschlag, ihm jedoch schien es endlos. Vielleicht hatte er sich vor dieser Minute noch nie mals erkannt.“
Der 1932 erschienene Roman „Treibgut“ des französischen Schriftstellers amerikanischer Herkunft Julien Green (1900–1998) schildert die bürgerliche Pariser Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen. Philipp kehrt verdattert nach Hause zurück, auf das soeben Erlebte wird er erst am Ende dieses protoexistentialistischen Roman noir (ohne Verbrechen) im Ge spräch mit seiner Schwägerin zu rückkommen.
Scheinbar aus heiterem Himmel kündigt Philipp seine Aufsichtsratsposten und sinniert, ob er nicht Schriftsteller oder Künstler werden soll, nur um beides schließlich zu lassen. Seine einzige Sorge: „Eliane, habe ich zugenommen?“ Dass ihn seine Frau Henriette mit einem Bankangestellten betrügt, der sich in ständiger Geldnot befindet, ignoriert Philipp, um keinen der Beteiligten der „Lächerlichkeit“ preiszugeben.
Missmut, Verachtung und zur Groteske gesteigerter Hass beherrschen allmählich die Szenerie, ohne jemals an die Oberfläche zu treten. Während Henriette die Armut ihres Liebhabers geradezu genießt (weil dessen kärgliche Unterkunft an die eigene Herkunft erinnert), fantasiert sich deren Schwester Eliane in immer neuen Anläufen in Philipps Fleisch. Schließlich verrät sie die Affäre der Schwester, ein Ausbruchsversuch endet mit Rückkehr ins Gewohnte.
War es Feigheit, die ihn das Weite hatte suchen lassen, und wie verhält es sich mit den sonstigen Lügen, aus dem sein Leben besteht?
Der einunddreißigjährige Philipp, Erbe eines florierenden Bergbauunternehmens, seine Ehefrau Henriette und deren Schwester Eliane stellen ein infernales Trio an Anständigkeit und Disziplin dar, hinter der bürgerlichen Fassade herrschen Langeweile und tödliche Einsamkeit. Das Ehepaar lebt seit der Hochzeit „keusch“, der bei einmaligem Sex gezeugte Sohn Robert wächst in einem Provinzinternat auf und taucht nur für gelegentliche Kinobesuche mit dem Vater auf.
Julien Green erzählt auf höchst beklemmende Weise eine rätselhafte Familienkonstellation, die nicht nur dem Untergang geweiht ist, das eigentliche Geheimnis des Romans – die Homosexualität des Protagonisten – wird erst im profunden Nachwort des Übersetzers gelüftet.
Der Herausgeber Wolfgang Matz weist darauf hin, dass dieses „erst nach dem Roman zu lesen“ sei – der Lektüre des Buches tut solches Vorwissen keinerlei Abbruch. Nicht zuletzt, weil „Treibgut“ ein fantastisches Porträt von Paris bietet, voller Melancholie und fiebernder Spannung: „Die Seine dort unter ihm schien ein schwarzer Abgrund, tief wie der Ozean.“
„In der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts ist ,Treibgut‘ ein Solitär. Es gibt wohl keinen anderen Roman, der so symbiotisch eintaucht in den Mythos von Paris und so tief getrieben ist von der Ahnung der bevorstehenden Umstürze in Europa.“
Wolfgang Matz, Übersetzer und Herausgeber
Julien Green: „Treibgut“. Herausgegeben und übersetzt von Wolfgang Matz. Carl Hanser Verlag, ISBN: 978-3-446-27951-3
– Gastkommentar –Österreichischer Buchpreis
Wider die
Vereinfachung
Statt einfache Antworten zu suchen, setzen sich viele Titel auf der Longlist für den Österreichischen Buchpreis mit Komplexität und Mehrdeutigkeit auseinander
Text: Johanna Öttl
Die Psychologin Else Frenkel-Brunswik beschrieb in den späten 1940er-Jahren Ambiguitätstoleranz als die Fähigkeit eines Menschen, Uneindeutigkeiten aushalten zu können. Frenkel-Brunswik arbeitete gemeinsam mit T. W. Adorno und anderen Kolleg:innen an einer Beschreibung des „autoritären Charakters“, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich Menschen Autoritarismus zuwenden. Die Reduktion von Ambiguität, also einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben, ist eine zentrale Strategie des Populismus solcher Parteien, die auch heute demokratiefeindliche Tendenzen verfolgen.
Literatur ist ein Medium, das Ambiguität reduzieren oder Ambiguität herstellen kann. Im besten Fall zeigt Literatur, dass das Mehrdeutige, Komplexe, Widersprüchliche nicht nur reizvoll, sondern auch unterhaltsam sein kann. Umso erfreulicher ist es, dass auf der Longlist für den diesjährigen Österreichischen Buchpreis einige literarische Stimmen stehen, die die Komplexität
der Welt abbilden möchten, aber keinesfalls „schwer lesbar“ sind.
Reinhard Kaiser-Mühleckers „Brennende Felder“ etwa erzählt von einer Frau, die immer weniger greifbar wird, je besser wir sie im Roman kennenlernen: Ist sie Opfer ihrer herzlosen Ex-Männer, oder provoziert ihr erratisches Verhalten deren Ablehnung? Ist sie eine empathisch-liebevolle Frau, die sich um das autistische Kind ihres Partners kümmert, oder latent gewalttätig? KaiserMühlecker spielt gekonnt mit Fremd- und Eigenzuschreibungen, und je weiter wir im Roman lesen, umso unklarer wird uns, was wir der Protagonistin glauben können und was nicht.
Für seinen Roman „Das Philosophenschiff“ hat Michael Köhlmeier einen anderen Zugang gewählt: In seinem Buch erzählt eine Zeitzeugin des staatlichen Terrors von der bolschewistischen Revolution und von den titelgebenden Schiffen, mit denen unter Lenin missliebige Intellektuelle deportiert wurden. Bei aller historischen Schwere wird
„Im besten Fall zeigt Literatur, dass das Mehrdeutige, Komplexe, Widersprüchliche reizvoll und
unterhaltsam sein kann“
immer auch gemutmaßt, rekonstruiert, geschwindelt, erfunden. So führt Köhlmeier die Tücken von Erinnern und Geschichteerzählen lustvoll vor Augen. Mit trügerischen Erinnerungen an die eigene Familiengeschichte, mit Misstrauen und Selbstbetrug im Familienverbund konfrontiert uns Jessica Linds Roman „Kleine Monster“. Ein lang zurückliegender tödlicher Unfall, ein sexueller Vorfall in einer Schule und das Misstrauen dem eigenen Kind gegenüber werfen die Frage auf, wie gut man sich selbst und die eigenen Kinder kennt. In „Zitronen“ erzählt Valerie Fritsch von einer Mutter, die sich am eigenen Kind schuldig macht: Zärtlichkeit und Fürsorge kann sie ihm nur entgegenbringen, wenn es gesundheitlich versehrt ist. Was liegt also näher, als das eigene Kind absichtlich krank zu machen? Fritsch entwirft sprachlich virtuos ein Szenario, das zeigt, wie man zu jemandem werden kann, die man lieber nicht wäre.
Die Bücher auf der Longlist des Buchpreises zeigen, wie vielseitig die Literatur Österreichs ist, wie kompliziert die Welt und wie anregend es sein kann, sich mit Unbequemem auseinanderzusetzen.
Johanna Öttl ist für das literarische Programm der Alten Schmiede in Wien verantwortlich und gehört heuer zur Jury des Österreichischen Buchpreises
Veranstaltungen Oktober 2024
DIENSTAG, 1. 10.
Arno Geiger: „Reise nach Laredo“ (Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz, 19:00)
Robert Lackner: „Wie ein junger Anwalt Tausende Juden rettete“ (Morawa Wollzeile, Wollzeile 11, 1010 Wien, 19:00)
MITTWOCH, 2. 10.
Roswitha Wieland: „TV-Tod“ (Thalia Buchhandlung 1030, Landstraßer Hauptstraße 2a, 1030 Wien, 19:00)
Doppel- SOLO -Lesung: Christian Schleifer: „Perchtoldsdorfer Totentanz“/René Laffite: „Die toten Engel vom Montmartre“ (Morawa Hartberg, Wienerstraße 2, 8230 Hartberg, 19:30)
DONNERSTAG, 3. 10.
Flores & Santana: „Tödliche Intrigen auf Teneriffa“ (Morawa Wollzeile, Wollzeile 11, 1010 Wien, 19:00)
Usama Al Shahmani: „Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt“ (Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, 19:30)
FREITAG, 4. 10.
Mundart trifft Poesie (LimO – Lesebühne im Ort, Bimbo Binder-Promenade 27, 3100 St. Pölten, 18:30)
Tonio Schachinger: „Echtzeitalter“ (Niederösterreichische Landesbibliothek, Landhausplatz 1, 3100 St. Pölten, 17:00)
SAMSTAG, 5. 10.
Norbert Trawöger: „Bruckner! Journal einer Leidenschaft“ (Stifter Haus Linz, Adalbert-Stifter-Platz 1, 4020 Linz, 19:30)
Laura Feller: „Mit Händen und Füßen“ (FRida&FreD, Kindermuseum, Friedrichgasse 34, 8010 Graz, 20:00)
MONTAG, 7. 10.
Wladimir Kaminer: „Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen“ (Rabenhof, Rabengasse 3, 1030 Wien, 20:00)
DIENSTAG, 8. 10.
Petra Hartlieb: „Freunderlwirtschaft“ (Buchhandlung Weinphilosoph Wels, Bahnhofstraße 10, 4600 Wels, 19:00)
Arno Geiger: „Reise nach Laredo" (Vorarlberger Landestheater, Seestraße 2, 6900 Bregenz, 19:30)
MITTWOCH, 9. 10.
Paul Lendvai: „Über die Heuchelei“ (Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz, 19:00)
Simona Baldelli: „Die geheimnisvolle Freundin“ (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 19:00)
DONNERSTAG, 10. 10.
Lange Nacht der Krimis (Wasserschloss Kottingbrunn, Schloß 1, 2542 Kottingbrunn, 18:00)
FREITAG, 11. 10.
Slam’md (Red Box – Haus der Jugend, Eisentorgasse 5, 2340 Mödling, 19:00)
Rocko Schamoni: „Pudels Kern“ (Rabenhof, Rabengasse 3, 1030 Wien, 20:00)
Petra Hartlieb präsentiert am 8. Oktober ihr Buch „Freunderlwirtschaft“
Toxische Pommes liest am 23. 10. aus „Ein schönes Ausländerkind“
Hier präsentieren wir eine Auswahl aktueller Buch-Events. Viele weitere finden Sie im HVB -Veranstaltungskalender! Er ist mit freundlicher Unterstützung des BMKÖS entstanden.
SAMSTAG, 12. 10.
Elias Hirschl im Gespräch mit Irene Halenka zu „Content“ (Stadtbücherei St. Pölten, Prandtauerstraße 7, 3100 St. Pölten, 19:00)
MONTAG, 14. 10.
Renate Welsh: „Leih mir dein Ohr“ (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 19:00)
Gaea Schoeters: „Trophäe“ (Remise Bludenz, Raiffeisenplatz 1, 6700 Bludenz, 20:00)
DIENSTAG, 15. 10.
Michael Hammerschmid: „Modellformen der ,herunterkommenen sprache‘ bei Ernst Jandl“ (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 19:00)
MITTWOCH, 16. 10.
Michael Köhlmeier, Hans Theessink: „HoochieCoochie Man“ (Rabenhof, Rabengasse 3, 1030 Wien, 20:00)
DONNERSTAG, 17. 10.
Dicht-Fest (Alte Schmiede – Literarisches Quartier, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien, 19:00)
FREITAG, 18. 10.
Jimmy Schlager: „Der Mann mit der Taube“ (Retzbachhof, Unterretzbach , 2074 Retzbach, 18:30)
SONNTAG, 20. 10.
Klaus Maria Brandauer liest Éric Vuillard (Brucknerhaus, Untere Donaulände 7, 4020 Linz, 18:00)
MONTAG, 21. 10.
Austrofred: „Gänsehaut“ (Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz, 19:00)
DIENSTAG, 22. 10.
Monika Helfer liest aus „Wie die Welt weiterging. Geschichten für jeden Tag“ (Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz, 19:00)
Barbara Zeman: „Beteigeuze“ (Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23, 5020 Salzburg, 19:30)
MITTWOCH, 23. 10.
Fanny Svoboda: „Marillenknödelmord“ (Morawa Feldbach/Stadtbibliothek, Pfarrgasse 6, 8330 Feldbach, 19:30)
Toxische Pommes: „Ein schönes Ausländerkind“ (Spielboden, Färbergasse 15, 6850 Dornbirn, 20:00)
DONNERSTAG, 24. 10.
Arnold Mettnitzer: „Die Veredelung der Zeit“ (Morawa Hartberg/Museum Hartberg, Herrengasse 6, 8230 Hartberg, 19:30)
FREITAG, 25. 10.
Nazis & Goldmund: „Please take over. oder: Die Zukunft der Vergangenheit des Widerstands“ (Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien, 19:00)
SONNTAG, 27. 10.
Martin Walker: „Im Château“ (Cinema Paradiso St. Pölten, Rathausplatz 14, 3100 St. Pölten, 20:00)
MONTAG, 28. 10.
Sabine Scholl & Natascha Gangl: Literatur zum Thema Klassismus (Alte Schmiede – Literarisches Quartier, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien, 19:00)
DIENSTAG, 29. 10.
Inge Glaser & Wolfgang Kauer: „Menschenbilder und Seelenreisen“ (Stadtgalerie Lehen, Inge-MorathPlatz 31, 5020 Salzburg, 18:00)
MITTWOCH, 30. 10.
William T. Vollmann: „Arme Leute“ (Alte Schmiede –Literarisches Quartier, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien, 19:00)
DONNERSTAG, 31. 10.
Fritz Ostermayer & Vienna Rest in Peace (Spielboden Dornbirn, Färbergasse 15, 6850 Dornbirn, 20:30)
Lesen wir uns an diesen Gedichten satt, so lange wir die Augen noch nicht vor dem blendend Hellen verschließen und ins Dunkel zu blicken glauben!
»Das ist ein Blatt mit starkem Rückgrat, das schwebt.« Elke Erb
Ulrich Koch
LETZTE HILFE KURS
Gedichte | 176 S. 978 3 99027 405 7 | € 24,–
Miserere offenbart erneut die Sprachwut und erzählerische Gestaltungskraft von Helena Adler und zeigt, welche Wege ihr Schreiben hätte nehmen können.
»Helena Adler hat sich mit ihrem schmalen Werk eingeschrieben in die österreichische Literaturgeschichte, daran besteht kein Zweifel.«
Katja Gasser / ORF
Halbnah lotet einen Raum aus, in dem sich Begegnung und Ausweichen, Fragilität und Widerständigkeit, Begehren und Verweigern verdichten. Es ist aufregend behutsam, zugleich tastend und sicher erzählt.
»Es ist eine Kunst, Distanz und Nähe so zu balancieren, dass anhaltende Spannung entsteht. Stadler beherrscht sie.« Linn Ritsch / Falter
Anna Maria Stadler
HALBNAH
Roman | 176 S. 978 3 99027 404 0 | € 22,–
Helena Adler
MISERERE
Drei Texte | 80 S. 978 3 99027 407 1 | € 16,–
Ein gefeierter Sänger nimmt ein Bad. Er steigt in die Wanne und bleibt über Tage, über Wochen einfach darin liegen. Was bringt ihn bloß dazu? Und vor allem: Was bringt ihn da jemals wieder raus?
Tine Melzer
DO RE MI FA SO
Die Geschichte von Tilda und Willem beginnt auf offenem Meer, Mitte der 1930er Jahre. Jahre später kommt Tochter Hannah zur Welt, ein wildes Kind, mit dem ihre Eltern nicht wirklich umgehen können. Heim erzählt vom langen Nachwirken der Vergangenheit und davon, wie sehr wir selbst Teil davon sind.
Saskia Hennig von Lange
HEIM
Roman | 256 S.
978 3 99027 403 3 | € 23,–
Roman | 192 S. 978 3 99027 406 4 | € 22,–