NER WIE
WUN
DER
MID-CENTURY VIENNA
Tom Koch | Stephan Doleschal
Auf den Spuren, die die 1950er und 1960er Jahre des Wirtschaftswunders in Architektur, Design und Interieurs hinterlassen haben.
240 Seiten, € 29,90
MASKERADE Fotoserie & Fotografin
Fragen, denen die Künstlerin Julia Fuchs, deren Fotos diese Ausgabe bebildern, nachspürt. In ihrer perfor mativen und fotografischen Arbeit beschäftigt sich die gebürtige Vorarlbergerin mit der Repräsentanz des weiblichen und des quee ren Körpers in einer heteronormativ dominierten Gesellschaft und deren Geschichte.
Die Umkehrung traditioneller Rollenklischees schafft Irritation und drängt Betrachtende dazu, die eigenen Sehgewohnheiten zu hinterfragen.
Julia Fuchs, Jahrgang 1978, war in der Schule für künstlerische Fotografie und studierte Kunst an der Akademie der bildenden Künste bei Ashley Hans Scheirl. Sie arbeitet als bildende Künstlerin und Performerin in Wien, unter anderem beim immer siven Theaterensemble Nesterval.
AUTOR*INNEN DIESER AUSGABE
Anna Goldenberg
Die Wiener Autorin, Kolum nistin und freie Journalistin schreibt regelmäßig im „Falter“ über Wissenschaft. Für diese Ausgabe hat sie Yuria Knoll getroffen, eine von wenigen Schauspieler*innen mit Behinderung im deutsch sprachigen Raum. Knoll wollte ursprünglich Ast ronautin werden. Warum sie letztendlich auf der Bühne, und nicht in fernen Galaxien gelandet ist, und von welcher Rolle Yuria Knoll träumt, erzählt Goldenberg in ihrem Porträt.
Saskia JungniklGossy
Die gebürtige Burgenländerin lebt in Wien, wo sie als freie Journalistin und Autorin arbeitet. Unter anderen hat Jungnikl-Gossy bei „Der Standard“, „Datum“ und im „Falter“ über Innenpolitik geschrieben. Dass sie für Best of Vienna den Bundes präsidentschaftswahl-Dritten Dominik Wlazny zu seiner Kunstfigur Marco Pogo befragt, war also aufgelegt; ihr Gespräch mit Österreichs einzigem Drei-Sterne-Koch Juan Amador hingegen fast schon eine kulinarische Lernstunde.
Verena Randolf
In Kärnten geboren ist die freie Journalistin geeicht, was eigenwillige Charaktere betrifft. Das stellt Randolf in dieser Ausgabe gleich in drei Geschichten unter Beweis: mit der „Bimbo Doll“ und In fluencerin Jessy Bunny trank sie, von gierigen Gaffern umgeben, im Schweizerhaus Bier, sie besuchte Porno-Re gisseurin Adrineh Simonian und stellte fest, dass die finsteren Gestalten der BlackMetal-Band „Misantrophic Might“ in Wirklichkeit eh ganz leiwande Typen sind.
Thomas Askan Vierich
Der in Hannover geborene Buchautor, Bandgründer, Podcaster und freie Journalist hat ein Faible für wilde Orte und schräge Leute. Weshalb ihm der Auftrag, für diese Ausgabe einen Privatdetektiv zu porträtieren, eingangs fast schon ein wenig zu zahm erschien. Doch letztlich liest sich das Zusammentreffen von Krimiautor Vierich und dem Privatdetektiv und ange henden Krimischreiber Peter Pokorny wie ein geglücktes Match.
MEINE BESTEN VIER
EDITOR’S CHOICE
29. Wiener Flücht lingsball
Rathaus Wien 1., Friedrich-Schmidt-Platz www.fluechtlingsball.at
Bälle sind die Königsklasse der Maskerade. Während der Wiener Ballsaison, die traditionell in der Faschings zeit zwischen 11. November und Faschingsdienstag begangen wird, hat die Ver kleidung dementsprechend Ausgang.
SMart Café
6., Köstlergasse 9 www.smartcafe.at
Wiens erstes SM und Fetisch Café ist bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten zentrale Begegnungsstätte für Freund*innen der härteren Gangart.
Im abgedunkelten Beisl bereich kann man sich von Pornos begleitet an Wiener Wirtshausgerichten mit expliziten Namen laben, auf dem Weg zum Klo Schmerz hungrige mit heißem Wachs verwöhnen oder bei süßer Bestrafung in den reich ausgestatteten Hinterzimmern alle Masken fallen lassen.
Alljährlicher Höhepunkt: der Wiener Flüchtlingsball. Der ist, was andere Bälle nie sein werden: kosmopolitisch, leger und trotzdem elegant; eine uneitle, lässige Party für die gute Sache – der Reinerlös geht nämllich an den Veranstalter, den Verein Integrationshaus, der seit 1995 Geflüchtete beherbergt, betreut und berät.
Heuer findet die Sause zum Off Season Extrawürschteltermin am 13. Mai 2023 zum 29. Mal statt. Under anderen spielen die Viennese Ladies, Turumtay ZarićDenk und Izethekeli Band.
FFP2-Maske
Zwar ist sie seit Pandemiebeginn nie aus Wien ver schwunden, nun im Herbst steht aber die erneute, saisonale Ausweitung der FFP2 Kampfzone an.
Je nach Witterung und Kontext oszilliert das maskierende Stück Vlies dabei zwischen peinigender Gesichtssauna und willkommenem Werkzeug zur Abgrenzung des fazialen Intimbereichs.
Fälscher
museum
3., Löwengasse 28 www.faelschermuseum.com
Schiele, Rembrandt, da Vinci und Chagall: die großen Kunstwerke großer Künstler in einem kleinen Landstraßer Privatmuseum? Mitnichten, alles nur Maskerade! Was hier an den Wänden hängt, sind die beeindruckenden Arbeiten berühmt berüchtig ter Kunstfälscher, in deren Lebens und spektakuläre Kriminalgeschichten die Ausstellung einen demaskierenden Einblick gibt.
Berühmte Werke im Wiener Fälschermuseum
Porträt PAULA GLANZGLÜCK LatexmodeDesignerin 7
Meine besten vier 9
Porträt PETER POKORNY Privatdetektiv 26
Meine besten vier 28
Interview JUAN AMADOR Sternekoch 40 #FOODPORN Seitan 44
Porträt ADRINEH SIMONIAN Pornoregisseurin 50
Interview BARAA BOLAT Influencerin & Unternehmerin 10
Porträt FEARLEADERS VIENNA Cheerleadertruppe 29
Meine besten vier 31
Porträt ASTRID LINDBERGH Amour Fou*Inhaberin 16
Meine besten vier 18
Porträt THEKLA KAISCHAURI Profi-Wrestlerin 32
Meine besten vier 35
Porträt MANUELA HAROMY Pepper &GinnyBetreiberin 46
Meine besten vier 48
Porträt YURIA KNOLL Schauspielerin 54
Meine besten vier 56
Interview MISANTHROPIC MIGHT Black-Metal-Band 58
Meine besten vier 61
Porträt JESSY BUNNY OnlyFans-Creator 20
Meine besten vier 22
Interview MARCO POGO Kunstfigur 36
Porträt HASUKI OMEGA YOSHI Pup-Player 24
Porträt KARIN CHENG Profi-Tänzerin 62
GIB GUMMI AUSSERHALB DEINER BUBBLE!
VON BIRGIT WITTSTOCKGummi
queen
Sandra Puppitz, 45, ist so etwas wie die Vivienne Westwood der Latexmode: Ihre selbst designten und handgefertigten Kautschukgewänder und -accessoires, die sie unter ihrem Label „Glanzglück“ vertreibt, sind mehr kinky Streetwear als konventionelle Fetischkleidung
Latexfashionlabel Glanzglück
Zuerst schmatzt es, dann quietscht es, dann macht es laut „Plopp“. Auf der Haut bleiben Rinnsale aus Schweiß und ein feiner Öl film zurück, der intensive Geruch von Gummi und das Gefühl, der Körper würde sich nach der Kompression besonders viel Raum nehmen.
„Am einfachsten ist es, wenn man sich unter der Dusche auszieht“, erklärt Sandra Puppitz, auch bekannt als Paula Glanzglück. Lächelnd beobachtet sie den ungeschickten Versuch, die Arme aus den engen Ärmeln zu ziehen, und greift helfend ein, indem sie kräftig anzieht. „Auf jeden Fall so, wie es einem die Mama immer verboten hat.“
Soll heißen, man stülpt die enge Latexhaut auf deren Kehrseite, wenn man sich aus ihr herausschält. „Latexkleidung ist wie Shapewear“, sagt Puppitz, die an diesem Tag selbst im lockeren schwarzen Baumwolloutfit steckt. Jedenfalls braucht das Anzie hen enger Gummihäute Übung. Nicht selten würden ihr Kund*innen Sachen zum Reparieren bringen, die sie in der Panik, nicht mehr herauszukom men, aufgerissen hätten, erzählt sie.
„Dabei mache ich keine Full-body Suits oder Bettsachen, in denen man mit High Heels hängen bleiben kann.“
Was die 45-jährige gebürtige Kärntnerin entwirft und im Alleingang herstellt, ist alltagstauglich, aufge spannt zwischen legerer Streetwear und sophisticated Elegance: Hoodies, College-Jacken, Bundfaltenhosen, Leggings, Bodys, Blusen mit Puff ärmeln, Pencilskirts, Baggy- und Hotpants, Mäntel und Blazer. Alles aus schwarzem oder farbigem Latex. Dem glänzenden, dehnbaren Stoff, für dessen Herstellung Kautschuk bäume zur Ader gelassen werden und aus dem die Fetischträume sind.
In der Homebase ihres Labels „Glanzglück“, eines etwa fünfzig Quadratmeter großen Ladens in einer eher stillen Ecke von Margareten, herrscht relaxte Wohnzimmeratmo sphäre. Die Fensterscheiben sind verklebt, lediglich die Aufschrift „G’schäft zum Spüln und Vahülln“ gibt einen sachdienlichen Hinweis auf das Sortiment. An der Tür ein Sticker: „Zutritt ab 18“. Der klebe da wegen der nahe gelegenen Piaristenschule, lässt Puppitz wissen, während sie
Keine Moderichtung spielt so sehr mit Maskerade, wie Fetischmode. Zu Besuch bei Sandra Puppitz‘Typisch für Glanzglück-Stücke, untypisch für Latexmode: Nicht alles liegt hauteng an Fotos: Privat, Birgit Wittstock
ihren Zigarettenstummel in einem lippenförmigen Aschenbecher auf dem Tischchen vor ihrem Fachgeschäft versenkt.
Die Designerin teilt sich das Geschäft mit einem Freund, der hier unter dem Label DARKtoyzzz auf einigen Regalmetern allerlei Sexspiel zeuge anbietet. „Eine gute Symbiose“, meint Puppitz grinsend. „Die meisten, die bei mir Gummi kaufen, kaufen auch ein Spielzeug.“
Zweimal in der Woche steht sie nachmittags hier, die restliche Zeit arbeitet sie entweder in ihrem Atelier in Niederösterreich oder tourt durch Österreich, Deutschland und Tschechien. Auf einschlägigen Messen und Fetischpartys präsentiert sie ihre handgemachten Modelle. Keine Anlaufstelle für „echte Fetis“, kaufen bei ihr vorwiegend Styler ein. „Wer richtige Latex Maskerade sucht, etwa Masken zur Feminisierung oder Ganzkörperanzüge, kommt nicht zu mir. Meine Kund*innen sind vor allem jene, die exklusives, ausgefallenes Zeug wollen. Sie haben oft Kästen voller Designerfetzen und suchen nach etwas, das in ihrer Bubble kei ner hat.“ Puppitz’ Modelle sind unver wechselbar: Sie ist eine Art Vivienne Westwood der Latexmode. Ihr Laden ist Treffpunkt, zur Anprobe schenkt sie gern auch mehrere Gläser Sekt aus, um dann hinter einem Paravent ihre nackten Kund*innen in eine zwei te Haut aus Latex zu schupfen und zu schütteln. „Bei uns darf man halt nicht schüchtern sein.“
Sandra Puppitz selbst ist der Gegenentwurf zur Schüchternheit: reichlich Hautkunst, Totenkopfringe galore, kurze roséfarbene Haare, gro ße Brille, Modell Galeristin, und von einer Aura fröhlicher Aufmüpfigkeit umhüllt. Nichts, was man sich unter
einer gelernten Bauingenieurin vor stellt. „Mit meinen bunten Dreadlocks und in einer argen Gothic Montur war ich zu schrill für die Bau Partie“, erinnert sie sich an eine Männerwelt Ende der 1990er Jahre, in der für Frauen lediglich die Rolle als Sekretä rin vorgesehen war. „Irgendwann hieß es: ‚Frau Puppitz, jetzt reicht’s!‘“
Über eine Freundin landete sie bei Simon O, einem der ersten Her steller von Latexkleidung im Land. Sechs Jahre lang schnitt sie bei ihm Latexbahnen zu und klebte sie mit Vulkanisierlösung zu Kleidungs stücken zusammen. „Es war wie in jedem Handwerk: learning by doing. Im Prinzip ist es nicht viel anders als Schneiderei.“
2015 gründete Puppitz ihr eigenes Label „Glanzglück“. „Ich habe einfach gemacht, was mir gefällt und was ich selbst gern trage.“ Mitt lerweile komme sie mit der Produkti on ihrer Latex Streetwear kaum noch nach. Rund eineinhalb Stunden sitzt sie an einem simplen Bleistiftrock, an einer Herrenhose einen halben Tag. In komplizierten Maßanfertigungen können mitunter einige Arbeitswochen stecken. „Es kommt immer auch ein bisschen auf die Beschaffenheit des Latex an“, erklärt sie. Kautschuk sei wie alle Naturmaterialien unberechen bar. Sie selbst ist keine Latexfetischis tin. „Ich lebe zwar vom Gummi, aber ich kann auch ohne Gummi leben.“
Plopp. Endlich hält Puppitz den engen Latexkapuzenbolero in Hän den. Schwarz glänzend und zitternd. Sieht aus, als hätte sie ihn einem Pinguin vom Leib gerissen.
Glanzglück 5., Ziegelofengasse 7 www.facebook.com/glanzglueck www.etsy.com/at/shop/Glanzglueck
ROPP
1
5., Margaretenstraße 60
www.ropp.at
In dem queeren Restaurant/ Bar „Republic of Pata Pata“ –kurz ROPP – in der Margare tenstraße im fünften Bezirk isst man fantastischen Flammku chen. Mittwochs gibt’s dazu Karaoke mit Drag Queen Candy Licious zur musikalischen Untermalung. Candy Licious kann man übrigens auch als Unterhalter*in für Kurse in der lokaleigenen FlammkuchenAkademie buchen.
Sub RosaDictum
2
subrosadictum.de 16., Ottakringer Pl. 1 www.ottakringerbrauerei.at
Die Fetisch- und BDSM-Partys „SubRosaDictum“ sind die perfekte Bühne für die schar fen Latexstücke von Paula Glanzglück. Der vorwiegend durch Deutschland tingelnde Erwachsenenspielplatz gas tiert auch immer wieder mal in Wien: Am 19. November wird unter dem Motto „Wiener Blut“ in der Ottakringer Brauerei eskaliert.
Schwarzer Reigen
3
www.schwarzer-reigen.at
Seit mehr als zwanzig Jah ren trifft sich die heimische Gothic-Szene nun schon zweimal jährlich in elaborier ter Maskerade zur düsteren Ballnacht „Schwarzer Reigen“. Aktuell wird in den histori schen Hallen des Schlosses Neugebäudes in Simmering gefeiert. Als Dresscode gilt: Je extravaganter das Gruftoutfit, desto willkommener.
Rattle Snake
4
7., Kirchengasse 3 www.rattlesnake.co.at
Seit 1989 kleidet der kleine Undergroundfashionladen Generationen von Misfits ein. 2004 zog das Fachgeschäft für Punk-, Hardcore- und Metal-Accessoires von der Skodagasse in die Neubauer Kirchengasse und ist immer noch analoge Zentrale für erwerbbares Weltanschau ungsmerchandise. Dass hier auch tätowiert und gepierct wird, ist Ehrensache.
Fotos: ROPP/Florian Novotny, Heinrich von Schimmer, Gerald Naber, RattlesnakeDIE HIJABI UND DER NONNENHABIT
VON BIRGIT WITTSTOCKAustria’s Next Topmodel 2019 wurde sie nicht. Aber Millionen sehen Baraa Bolat zu, wie sie kocht und Nicht-Musliminnen den Hijab aufsetzt
Hört man die Eckdaten – junge Muslimin, Hijab-Trägerin, Ex-„Aus tria’s Next Topmodel“-Kandidatin, In fluencerin –, öffnet sich im Kopf eine Schublade. Eine, in die Baraa Bolat nicht hineinpasst.
Die 27-Jährige kocht auf TikTok ihr ei genes Süppchen, und Millionen sehen ihr dabei zu. Als 14-Jährige rebellierte sie, trug gegen den Rat ihrer besorg ten Eltern heimlich Bling-Bling-Hijabs. Später setzte sie noch eins drauf und machte 2019 bei der Castingshow „Austria’s Next Topmodel“ mit. Die Konservativen zuckten aus, egal ob in der bierseligen oder der muslimischen Community.
Ursprünglich wollte die Frau aus der Brigittenau Medizin studieren, nun hat sie ihr eigenes Business und ist mit drei Millionen Social-Media-Followern eine der bekanntesten Influencer*in nen des Landes. Sie macht weiterhin, was sie will, jedem Shitstorm zum Trotz. Schließlich ist er die härteste (Be-)Währung auf TikTok und Co.
An einem schweißtreibenden Spätsommertag öffnet Bolat die Tür zu ihrem Unternehmenssitz „Baraa In nocence“. Es ist elf Uhr. Bolat hat be reits drei Stunden in ihrer Küche ein
Kochvideo gedreht, ihren Sohn in den Kindergarten gebracht und Bestel lungen versandfertig gemacht. Ihr Ehemann Abdul, gerade im Endspurt seines Jus-Studiums, serviert Kaffee. Im generationstypischen Pidgin aus Bundesdeutsch und Englisch erklärt Baraa Bolat, warum sie virtueller Hate längst nicht mehr kratzt und ihr gesell schaftliche Maskeraden wurscht sind. Als Wochen später im Iran die 22-jäh rige Kurdin Jina Mahsa Amini in Folge brutaler Polizeigewalt stirbt, weil sie ihren Hijab angeblich nicht wie vorge schrieben getragen hatte, setzen über all auf der Welt Frauen aus Solidarität das Kopftuch ab und schneiden sich die Haare. Baraa Bolat nicht. Jede Frau solle für sich selbst entscheiden können, sagt sie auf Nachfrage.
Im Iran protestieren seit Wochen Tausende Menschen gegen den Kopftuchzwang, auch in den sozia len Medien nehmen weltweit Frauen aus Solidarität den Hijab ab. Warum du nicht auch?
BARAA BOLAT: Die Ereignisse um die Ermordung des kurdischen Mäd chens durch die iranische Polizei sind sehr tragisch und der Schrei nach gesellschaftlicher Veränderung war schon lange überfällig. Die Bewegung, die dadurch losgetreten wurde, bringt
Shitstormsurferin
Baraa Bolat, 27, ist eine der erfolgreichsten Influencer*in nen Österreichs. Die Tochter tunesischer Eltern betreibt ne ben diversen Kanälen auf So cial-Media-Plattformen auch ihr eigenes Unternehmen „Baraa Innocence“. In ihren Clips kocht sie und kleidet für ihre Hijab-Transformati on-Videos Nicht-Musliminnen mit Kopftuch ein. Rund drei Millionen gefällt das. Die Proteste im Iran gegen den Kopftuchzwang unterstütze sie, sagt Bolat. Auch wenn sie selbst den Hijab dafür nicht abnimmt
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INTERVIEW
Im März 2021 kam Bolat die Idee, sich mit einer eigenen Marke selbstständig zu machen. Drei Monate später brachte sie ihre ersten Hijabs auf den Markt. Das Logo für ihr Label Baraa Innocence – ihr arabischer Vorname bedeutet Unschuld –hat ihr Mann Abdul entworfen. Vor einigen Monaten haben die beiden ihr gemeinsames Büro in Rudolfsheim-Fünfhaus bezogen
hoffentlich die langersehnte Freiheit für die Frauen im Iran, selbst bestimmen zu können, was sie anziehen oder nicht. Ich bin absolut dagegen, dass sich Poli tiker*innen oder staatliche Institutionen in private Bereiche des Lebens einmi schen und vorschreiben, wie man sich zu kleiden hat. Was hier passiert, ist pa radox: Der Islam lehrt, es dürfe keinen Zwang in der Religion geben, jegliche Art von Zwang gilt als Unterdrückung. Gleichzeitig berufen sich jene politi schen Führer aber auf angebliche isla mische Gebote. Ich hoffe, dass diese weltweiten Proteste allen unterdrück ten Frauen ihre Freiheit wiedergeben. Trotz allem finde ich es aber auch trau rig, dass das Tragen des Hijabs generell dämonisiert wird. Dieses stereotype, populistische Denken, dass jede Frau mit Hijab automatisch unterdrückt wird, ist absolut lächerlich und auch nichts Neues. Es wird im Zuge dieser Proteste wieder salonfähig gemacht. Frauen sol len selbst entscheiden, ob sie den Hijab tragen möchten oder eben nicht.
Du hast auf TikTok mit PLO-Schal auf dem Kopf palästinensisches Maklouba gekocht, nachdem ein israe lischer Angriff auf den Gazastreifen Tote gekostet hat. Ein politisches Statement oder Maskerade? BOLAT: Palästina ist ein kontroverses Thema, und als Content Creator muss man auch ein bisschen provozieren. Ich wollte mit dem Kochvideo auf den Anschlag in Gaza aufmerksam machen. Das ist meine Art, wie ich auf politische Themen hinweise, ohne sie direkt anzu sprechen. Nach dem Tod von George Floyd vor zwei Jahren und den Protes ten der „Black Lives Matter“-Bewegung wollte ich auf diese Thematik aufmerk sam machen. Ich habe ein Motiv von einem Foto übernommen, auf dem sich ein deutscher Komiker mit Klebeband über dem Mund zeigt. Auf meinem Kle beband stand „Black Lives Matter“. Der Instagram-Post ging viral, aber nach hinten los. Es hieß, als Weiße hätte ich kein Recht, mich zu diesem Thema zu äußern, weil ich nicht wüsste, wie sich People of Color fühlen. Aber als
„Postet man nichts, heißt es, Influencer*innen wären ignorant, postet man, ist man Op portunist* in und macht es nur für Likes“
INTERVIEW
muslimische Frau mit tunesischen Wur zeln in Österreich habe ich schon eine Ahnung davon, wie sich Diskriminierung und Rassismus anfühlen. Vonseiten der muslimischen Community wurde mir Selbstinszenierung vorgeworfen. Pos tet man nichts, heißt es, Influencer*in nen wären ignorant, postet man, ist man Opportunist*in und macht es nur für Likes. Als Frau hält man am besten sowieso die Klappe: Der Comedian hat im Gegensatz zu mir keinen Shitstorm ausgefasst. Ich möchte mich weder in die politische noch in die religiöse Ecke drängen lassen – wenn mir danach ist, bin ich dabei, Awareness zu spreaden, aber ich bin keine Aktivistin. Ich möch te, dass meine Kanäle Spaß machen.
Du bist eine geeichte ShitstormVeteranin, auch deine Teilnahme bei Austria’s Next Topmodel hat polarisiert …
BOLAT: „ANTM“ habe ich safe ma nifestiert. Ich wollte mich schon 2017 als erste Frau mit Kopftuch bewerben. Mein Mann meinte, sie würden mich sicher nicht nehmen, allein schon we gen der Nackt- und Männershootings. Auch meine Freundinnen meinten, was sollte eine Kopftuchfrau dort? Zwei Jahre später bekam ich ein E-Mail von den Produzenten. Sie hatten mich auf Instagram und in der „Wienerin“ gese hen und wollten mich dabeihaben. Ich habe im Vorfeld vertraglich festlegen lassen: Ich bin Hijabi, das heißt weder
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Männer- noch Nacktshootings. Meine Konkurrentinnen fanden das gemein, aber ich hatte alle Karten in den Hän den, die Sendungsmacher*innen woll ten mich als Quotenbringerin unbedingt haben. So hat man das Thema dann in der Sendung benutzt, um Konflikte zu generieren. In solchen Shows wird ei nem eine Rolle zugewiesen: die Diva, das Opfer – ich sollte die Kopftuchfrau sein. Das war mir von Anfang an klar, ich habe mich verteidigt und war selbst bewusst. Ich wollte authentisch bleiben.
Und wie war es, als du rauskamst?
BOLAT: Nach der Ausstrahlung brach das Feedback von der muslimischen wie der nicht muslimischen Commu nity förmlich über mich herein – viel mehr Negatives als Positives. Inner halb der Muslime gab es eine große Gruppe, die mich unterstützte, so auf: „Go girl, du schaffst das, wir sind stolz auf dich.“ Eine kleinere Gruppe mein te jedoch, eine muslimische Frau habe nichts im Fernsehen zu suchen. Der meiste Hate kam von der nicht mus limischen Community. So auf: „Was hat ein Kopftuchweib in einer österrei chischen Fernsehsendung zu suchen? Die soll sich integrieren und gefälligst das Kopftuch ausziehen, wenn sie in der Show mitmacht.“ Das war meine erste Erfahrung mit viel Hate. Es hat mich ganz schnell abgehärtet.
Für deine „Hijab-Transformation“Videos fragst du nicht muslimi sche Frauen auf der Straße, ob du ihnen einen Hijab aufsetzen darfst. Warum?
BOLAT: Für die Zuseher*innen ist interessant, wie Frauen mit und ohne Kopftuch aussehen. That’s it. Mein erstes Hijab-Video habe ich vergangenen Dezember auf der Ma riahilfer Straße gedreht. Als ich auf das erste Mädchen zugegangen bin, war ich sehr aufgeregt. Man sieht es in den Clips nicht, aber ich bin immer nervös. Es ist schwierig, Leute zu finden, die mitmachen. Und man weiß nie, wie sie reagieren. Doch am Ende waren bisher alle positiv über rascht. Die Frauen, die mitmachen, finden sich schön, weil der Hijab den Fokus aufs Gesicht lenkt. Ich schenke ihnen dann das Kopftuch zur Erinnerung – mit dem Nachsatz, dass das natürlich nicht heißt, dass sie es tragen müssen. Sie können es zum Turban binden oder als Handtuch verwenden. So positiv die Reaktionen real sind, so gemischt sind sie in den sozialen Netzwerken. Da gibt es Kommentare wie: „Als ob die Frauen in Afghanistan freiwillig Kopftuch tragen würden.“ Aber da missversteht man mich. Ich zwinge die Frauen zu nichts und versuche sie auch nicht vom Hijab zu überzeugen. Ich bin ja nicht die Zeugin Jehovas des Islam. Was ich mache, soll unterhalten. Aber die Leute interpretieren viel hinein. Einmal wurde ich gefragt, ob ich einen Nonnenhabit anziehen würde. Ja, safe! Warum nicht? Einfach nur, um zu sehen, wie es sich anfühlt, würde ich das auf jeden Fall tun. Was ist verkehrt daran?
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DEMASKIERENDE DESSOUS
VON BIRGIT WITTSTOCKfür den male gaze tragen Frauen heute scharfe Unterwäsche für sich selbst. Die passenden Stücke findet man in Astrid Lindberghs Laden „Amour Fou*“
Aus dem Elf-Quadratmeter-Zwerg ist ein ganz großer, längst nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp geworden: „Amour Fou“ ist quasi Generalausstatter für die heimische Sex-Positive-Party-Crowd
Klein-Paris misst elf Quadrat meter. Es befindet sich gleich neben der Barnabitenkirche in Mariahilf. Auf diesem Bruchteil der Fläche von Frankreichs Hauptstadt verströmt ein Laden maximalen Stadt-der-LiebeVibe. Sein Name „Amour Fou“ steht für eine obsessive Liebesbeziehung – zu Dessous. Und seine 43-jährige Gründerin Astrid Lindbergh sieht mit ihren langen dunklen Haaren, roten Lippen, in Rüschenhemdchen, Blei stiftrock und Riemchenpumps genau so aus, wie man sich eine Pariserin vorstellt. Mehr als 400 Oberteile aus Spitze, Tüll, Baumwolle und anderen feinen Stoffen, seidige Lingerie-Stü cke, aber auch raffinierte Bikinis und Badeanzüge schmücken hier dicht an dicht Wände wie Kunstwerke. Hun derte Höschen in allen erdenklichen Formen und Farben stapeln sich in Schubladen, bereit, sich an Hintern und Vulven zu schmiegen. Und immer öfter auch an Penisse.
Lindberghs Laden zieht all jene an, die ein Stück Stoff suchen, um etwas zum Schwingen zu bringen. Sie ist mittlerweile zur Generalausstatterin für die Crowd von Sex-Positive-Partys
aufgestiegen. Steht in Wien ein Event mit dem Dresscode „Minimalschale“ bevor, herrscht bei Amour Fou Hoch betrieb. Nirgendwo sonst in der Stadt findet man eine so sorgfältig kura tierte Auswahl stylischer Dessous. Bei den Partygeher*innen besonders beliebt: die Modelle der Pariser Desi gnerin Yasmine Eslami. Durchsichtig, clean und mit einem Stoffstreifen als Nippelblende versehen. „Alarmsicher für Instagram“, erklärt Lindbergh den Bestseller.
Zur verrückten Liebe kommen aber nicht nur junge Frauen. „Es sind moderne, feministische und unabhän gige Frauen jedes Alters. Sie kaufen die schicke Wäsche in erster Linie für sich selbst.“
Wäre Lindbergh Gynäkologin, sie hätte in den neun Jahren, die seit der Eröffnung von Amour Fou vergangen sind, wohl kaum mehr nackte Brüste gesehen. Ein kurzer Blick hinter den wallenden hellblauen Vorhang der Umkleidekabine genügt ihr, um die passende Größe und das Modell zu bestimmen. „Anfangs war es schon sehr aufregend, all diesen
Körpervermesserin
Astrid Lindbergh, 43, hat eine nahezu magische Fähigkeit: Ihr genügt ein kurzer Blick auf nackte Brüste, und schon greift sie nach dem perfekt passenden BH. Und das, obwohl sie selbst bis in ihre Dreißiger nur ganz selten einen trug. Möglicherweise weiß Lind bergh gerade deshalb um den Wert gut sitzender, schöner und von Frauen für Frauen gefertigter Unterwäsche. Die verkauft sie nämlich seit 2013 in ihrem Dessous-Geschäft Amour Fou*
Statt
Frauen so nahezukommen“, erzählt Lindbergh. „Und so schön: Ich mache sie instant glücklich. Selbst wenn niemand ihre Unterwäsche zu sehen bekommt, bewirkt sie etwas. Die richtigen Dessous verändern die Körperhaltung einer Frau.“
Astrid Lindbergh, Wäscheexpertin. Sie hätte es früher für einen Scherz gehalten. Als Studentin der Theaterwissenschaften ging sie in den späten 1990er Jahre oben ohne Unterwäscheteil. „Wenn es sein musste, trug ich einen Sport BH, egal wie das aussah.“ Jahre später, Mitte dreißig und wohnhaft in Berlin, nahm sie eine Freundin mit ins „Blush“, zum Ausverkauf in das damals an gesagteste Dessous Geschäft der Stadt. Erfolgreich. Lindbergh erstand das erste Wäscheset ihres Lebens: schokoladenbraun, sexy und bequem zugleich. „Kein Widerspruch, ein Aha Erlebnis für mich“, beschreibt sie ihre Dessous Erweckung.
Eineinhalb Jahre später fand sie sich zurück in Wien und damit in einer Wäschewüste wieder: Hier kleideten große Textilketten voller G Strings und Push ups die Frauen ein. Der Wonderbra als Korsett der weiblichen Normsilhouette, eine „Uniform“ mit gepolstertem Brustpanzer. Astrid Lindbergh wurde klar: Ein eigener Laden musste her. Einer, in dem sie
selbst gern einkaufen würde. Ein Dreivierteljahr und einen Mikrokredit später bezog sie jenen kleinen Raum mit goldener Kuppeldecke, einst Teil des Barnabiten Klosters. Er sollte ihre Dessous Kapelle werden. Das Credo: sündhaft schöne Wäsche von kleinen, frauengeführten Labels, nachhaltig und unter fairen Bedingun gen in Europa hergestellt. „Ein biss chen wahnsinnig, das mit zwei kleinen Kindern zu wagen“, findet sie heute.
Anfangs klebte sie noch selbstgedruckte Plakate in der Stadt auf. Doch bald schon gingen BHs und Slips wie von selbst über die – aus alten Türflügeln handgezimmerte – Verkaufstheke. „Erst kamen die Töchter. Sie nahmen die Schwestern und Freundinnen mit. Dann kamen die Mütter und irgendwann auch die Männer und die Freunde.“ Immer öfter auch, um für sich selbst Des sous zu kaufen. „Die Leute werden wagemutiger“, meint die Amour Fou Chefin.
„Auch sind Ganzkörperpanzer out. Nach zwei Jahrzehnten Panzer regiment ist so ein Hauch von Softbra eine ganz schöne Entblößung. Das kommt einer Demaskierung gleich.“
Amour Fou* Dessous 6., Barnabitengasse 14 amour-fou.at
Um die 400 verschiedene Oberteile schmücken die Wände von Amour Fou. Von Spitze über Seide bis zur Baumwolle ist alles dabei. Hart bis zart, schick bis leger, passend für Frauen- und Männerkörper. Nur wer wattierte Push-up-Brustpanzer sucht, ist hier an der falschen Adresse
MEINE BESTEN VIER
KLEINPARIS
Parémi
1., Bäckerstraße 10 paremi.at
Gott lebt und isst ja bekannt lich am liebsten in Frankreich.
Friedhof Sankt Marx
3., Leberstraße 6
Geht man nach Promi-Dichte und Fläche, ist der Zentral friedhof das Wiener Pendant von Paris’ berühmtesten Friedhof, dem Cimetière du Père-Lachaise. Den morbid-romantischen Vibe des Pariser Totenackers findet man hingegen in Wien-Landstraße, auf dem St. Marxer Friedhof. Bis zu seiner Schließung 1874 einer der bedeutendsten Friedhöfe der Welt, liegt hier neben den Celebrities jener Zeit (Popstar Wolfgang Amadeus Mozart!) auch die Möchtegernprominenz: etwa die „Sonn- und Regenschirm fabrikantengattin“, die „bür gerliche Schiffmeisterswitwe“ und der „wirklich geheime Rath und Vice Kanzler der k. u. k. vereinigten Hofkanzlei etc. etc. etc.“
Wer es ihm gleichtun will, kann sich auch in Wien jeden Morgen vor der Boulangerie um frisches Baguette anstel len. Nämlich vor der liebrei zenden Pâtisserie/Boulangerie Parémi, die die beiden ehema ligen frankophilen Lycée-Schü ler*innen Rémi Soulier und Patricia Petschenig in der Innenstadt betreiben.
Boutique Sylvie T.
7., Zollergasse 28 www.sylvie-t.at
Kein Paris-Feeling ohne die passende Schale. Um die eher praktisch angelegten Wiener*innen die Leichtigkeit französischer Mode zu lehren, hat die in Paris geborene Designerin Sylvie Trenous in Neubau eine Boutique très élégante eingerichtet. Hier gibt es zeitlose handgenähte Mode à la Paris.
Schwimmende Gärten
1., Franz-Josefs-Kai
Petit Paris gibt es auch am Donaukanal, in Form der schwimmenden Gärten von Wien. Zwar nimmt sich das Wiener Projekt im Vergleich zum Pariser Vorbild „Les jardins flottants des berges de Seine“ etwas spartanisch aus, denn während man dort zwischen üppigem Grünzeug und Bäumen auf vier riesigen Pontons chillen kann, ist der hiesige Wassergarten mehr Holzverbau mit Blumenkisteln. Trotzdem lässt sich auf der insgesamt 1.500 Quadratme ter großen Überplattung zur Kaiserbadschleuse unweit der Augartenbrücke fein knotzen.
MASKERADE
VON JULIA FUCHSGANZ SCHÖN AUFGEBLASEN
VON VERENA RANDOLFIm Schweizerhaus hängen gierige Blicke an Stelzen und Bier, bis „Bimbo Doll“ Jessy Bunny den Garten betritt
Klischeespielerin
Bimbofication heißt der Trend, sich zur hypersexualisierten menschlichen Barbie umformen zu lassen. Der Begriff leitet sich vom englischen Slangausdruck „Bimbo“ ab, was so viel bedeutet wie Tussi. Für die 21-jährige Kunstfigur Jessy Bunny keine Abwertung, sondern emanzipatorischer Akt, frei nach dem feministischen Slogan: „My body, my choice“
Kurz kennt sie sich nicht aus. Die junge Frau im Schweizerhausgarten dreht sich um die eigene Achse. Ihre blonden Haare fliegen. Kaum 1,55 Meter groß, Blickfang. Sie entdeckt den richtigen Tisch. Ein Blitzen in den Augen, ein Ansatz von Lächeln. Sie wurstelt sich zwischen den Tischen durch, of fene Münder hinter sich. Jessy Bunny.
Seit zwei Jahren verdient die ge bürtige Deutsche ihr Geld als SocialMedia-Phänomen und Erotikmodell. Dazu waren einige Umbauarbeiten notwendig: Die Brüste hat sie sich auf ein Format aufpumpen lassen, das der Größe eines EM-Balls entspricht. Im Hintern stecken Eigenfett und Im plantate. Jetzt ist er prall, liegt gut in der Hand und fühlt sich wie Styropor an – ich bilde mir sogar ein, er würde unter meiner Hand knirschen.
Das, was Jessy Bunny vorführt, ist ein Trend mit dem Namen „Bimbofication“, die Wandlung zur „Bimbo Doll“, einer Art hypersexualisierter menschlicher Barbie. Jessy Bunny hat ihre unauffällige Schale, mit der sie zur Welt gekommen ist, abgewor fen, um nun so auszusehen, wie sie es sich insgeheim immer gewünscht hat, und um als Kunstfigur groß raus zukommen.
Das Aussehen der 21-Jährigen ist so üppig, dass sie überall auf fällt. Ihre Maske, die sie sich durch Schönheitsoperationen gezimmert hat, sitzt fest unter der Haut und lässt sich zu keiner Tages- und Nachtzeit mehr abnehmen. Busen und Hintern sind dabei noch lange nicht alles. Ihr auffälligstes Merkmal trägt die junge Frau im Gesicht: ihre Lippen. Sie sehen aus, als wären sie einem Cartoon-Fisch abgenommen und ihr ins Gesicht gepflanzt worden. Die Oberlippe berührt fast die Stupsnase. Weil ihr Mund so prall ist, lässt er sich nicht ganz schließen. Deswegen sieht Jessy Bunny ständig naiv-ver wundert aus. Auch tut sie sich beim Cola-Trinken schwer.
Um knapp 14 Dollar pro Mo nat kann man Jessy Bunnys Profil auf der Erotikplattform „OnlyFans“ abonnieren. Hier bedient sie über 36.000 Fans mit pornografischen Posts. Die Kommentare dazu sind zwiespältig: Die einen finden sie heiß, die anderen hässlich. Offensichtlich hat Jessy Bunny mit dem Erwerb der 2.000 Zentiliter Silikon im Busen die Deutungshoheit über ihren Körper verloren: Ungefragt wird gestarrt und bewertet, ungeniert, und nicht nur online.
Auch im Schweizerhaus. Erwachsene Männer stoßen einander die Ellbogen in die Rippen und rufen viel zu laut: „Schau dir die an!“ Womöglich übersehen sie der großen Brüste wegen die Ohren der Frau. Lässt man den Zirkus um Bunny auf sich wirken, drängt sich die Frage auf: Wer ist hier eigentlich verrückt? Wer sich Lippen zu Gummireifen aufspritzen lässt, oder jene, die für einen Blick darauf bezahlen?
Dieser wird nun nach Mallorca geroutet. Jessy Bunny, in einem kleinen Ort in Bayern geboren und die vergan genen zwei Jahre in Wien, zieht dort in eine Finca mit Meerblick. Hier räkelt sie sich für ihre Follower am Strand.
„Sei, wer du bist; werd, was du willst“, sagten einst ihre liberalen El tern zu ihr. Also jemand, der sich die Achselhaare nicht rasiert und BWL studiert zum Beispiel. Jessy nahm ihre Eltern beim Wort: Sie verfilzte sich das Haar zu Dreads, pfiff auf Push-ups und Lippenstift, rasierte sich den Kopf. Ein kleiner Skandal im bayerischen Dorf, aber die Revolte kommt nicht in Gang, wenn es zuhau se nie Schelte gibt. Außerdem wollte Jessy irgendwie immer schon so aussehen wie jetzt. Womöglich noch ein bisschen fülliger – ganz fertig mit sich ist Jessy Bunny noch nicht.
„Wer bestimmt, wann es genug ist? Das Selbstbestimmungsrecht ist keine Einbahnstraße“, sagt sie. Jeder darf aussehen, wie er will – nur so bitte nicht? Wieso darf man sich für Achselhaare, aber nicht für Silikonimplantate entscheiden? Jessy Bunny
versteht ihr Aussehen als emanzipato rischen Akt und gibt so dem feministi schen „mein Körper, meine Entschei dung“ ihren eigenen Dreh. Das ist die Freiheit, die sie sich nimmt – und wirft dabei die Frage auf: Wie liberal ist die Gesellschaft wirklich? Seit knapp einem Jahr hat Jessy Bunny den Kontakt zu ihrer Familie verloren. Ein Kind, das rechts wählt, hätten die Eltern vielleicht verkraftet. Doch eines, das sich zum Sexpüppchen operieren lässt und Geld als Erotik modell verdient, war zu viel.
Weil es ohnehin kein Verstecken für sie gibt, kokettiert Jessy Bunny mit den Blicken. Sie lächelt die Män ner und Frauen, die sie anstarren, an und signalisiert, dass sie sehr wohl wahrnimmt, wie rund um sie reagiert wird. So holt sie sich ihre Würde zurück. Doch an Tagen, an denen sie nicht gut gelaunt ist, macht sie das Angestarrtwerden mürbe. Ein Nebeneffekt und so lästig wie, dass sie nicht mehr auf dem Bauch schlafen kann.
Das Geschäft mit ihrem Körper ist lukrativ, aber hart erarbeitet – und bis zu einem gewissen Grad Schmer zensgeld. Laut eigener Aussage macht die gelernte Friseurin rund 20.000 Euro im Monat. Was aber, wenn ihr das Aufgeblasensein irgendwann zu viel wird? Jessy Bunny zuckt die Schultern. „Dann lass ich alles rück gängig machen.“ Nüchtern betrachtet, sind ihre Brüste eine Option, mit der sich richtig gut Geld verdienen lässt. www.instagram.com/jessy.bunny. exclusive
Fotos: Verena Randolf, Clemens Leuschner Selbstbestimmungsrecht darf keine Frage des Geschmacks sein, findet Jessy Bunny. Mit ihrem künstlichen, sexualisierten Look testet sie die Grenzen der liberalen Gesellschaft aus – und verdient damit einen ganzen Haufen KohleMEINE BESTEN VIER
BIMBOCORE
TIPPS: BIRGIT WITTSTOCK
Hair dreams Couture
nu.nails
1., Hegelgasse 21 nu-nails.mytreatwell.at
Lange hafteten künstlichen Krallen die Attribute billig und white trash, wie Dreck unter den Fingernägeln, an. Inzwischen sind kunstvoll gepimpte Acrylnägel auch bei Feminist*innen angesagt. Bei Bimbo Dolls wie Jessy Bunny gehören sie quasi zu den Basics unter den identitäts stiftenden Merkmalen. Im Na gelstudio Nu Nails bekommt man das volle Programm: von auffallend über klassisch bis zu gepflegt natürlich.
Die Schön heitspflegerei
www.schoenheitspflegerei.at
Kein Bimbo Doll-Auftritt ohne lange, dichte Klimperwimpern. Und die kann man sich zum Beispiel im Studio von Mela nie Pfleger verpassen lassen (auch in Pride-Farben).
Die Make-up-Artistin ist au ßerdem darin geschult, wilde Augenbrauen zu zähmen.
3., Landstraßer Hauptstr. 18 www.hairdreamscouture.at
Frauenhaar ist immer schon patriarchalische Kampfzone und Interpretationsspielraum: Kurzhaarfrisuren gelten als Gesellschaftskritik, Wallehaar als Synonym für Weiblichkeit und Gradmesser sexueller Zugänglichkeit. Für Bimbo Dolls ist Letzteres ein Musthave. Denn die ReallifeBarbie-Abziehbilder, zu denen sich gerade viele junge Frauen auch per chirurgischer Bimbo fication ummodeln lassen, brauchen natürlich auch die Haare schön.
Bimbo Couture
www.bimbo-couture.com
Weil Bimbocore in Wien noch ein Nischenphänomen ist, sind würdige textile Ausstatter für den artifiziellen Barbie-BlingBling-Look schwer zu finden.
Virtuell lässt sich das pinke Universum der Künstlichkeit aber natürlich vielerorts betreten.
MASKERADE
VON JULIA FUCHSEIN LEBEN ALS HUND
VON BIRGIT WITTSTOCKDer 22-Jährige Angelo aka Hasuki Omega Yoshi trägt am liebsten Hundemaske und spielt Welpe. Warum? Eine Aufklärungsrunde im Park mit Mr. Puppy Austria 2020
„Müssen wir in die Hundezone?“
Hundefreund
Österreich ist das Land der Titel. Doch nur einer ist „Mr. Puppy Austria 2020“: Ange lo, 22, gebürtiger Kärntner und von Brotberuf Koch. Setzt er seine Hundemaske auf, verwandelt sich der eher zurückhaltende Angelo in den sassy Hasuki Omega Yoshi formerly known as Husky Pup Yoshi. Der ist außerdem auch Halter seines Hundefreunds Flip (links)
Angelo und Max blicken einander kurz an: Fangfrage? Nein, Hundezone müsse nicht sein, sagt Angelo mit der geduldigen Nachsicht, mit der man sonst nervige No-na-Fragen kleiner Kinder beantwortet. So was bringt ihn längst nicht mehr aus seinem Zen. Wer in Wien mit Hundemaske, Hals band, Leine und anderen Accessoires als menschlicher Canis auftritt, braucht ein dickes Fell.
Angelo, 22, hat den Stadtpark als Treffpunkt nicht wegen seiner gediegenen Hundeauslaufzone ge wählt. Er peilt dort eines der meist fotografierten Denkmäler der Stadt an: die goldene Johann-Strauß-Sta tue. Der Walzerkönig habe nämlich etwas mit ihm gemeinsam. Unter den neugierigen Blicken einiger Touris zieht sich Angelo eine eigens für ihn angefertigte 800-Euro-Ledermaske über sein Bubengesicht. Jetzt steht „Hasuki Omega Yoshi“ neben dem Strauß Schani. Sein schelmisches Grinsen ist hinter steifen Lederlefzen verschwunden. Aus der Hundefassade blitzen Angelos blau-graue Augen.
„Der Strauß war ja auch ein
Fetischist“, sagt der Welpe und legt seinem Begleiter Max ein breites Lederhalsband an, auf dessen Hunde marke „Flip“ eingraviert ist. „Strauß stand auf Füße“, erklärt er und assistiert Max beim Überziehen der Maske. „Die sind der Klassiker unter den Fetischen.“
Wird die Welpen-Maskerade von Yoshi und Flip eines Tages so Old School sein wie heute der Fußfetischismus von Johann Strauß? Gegenwärtig gilt Pup-Play jedenfalls als angesagte Spielart in der schwulen Fetischszene. Und nicht nur dort. Die österreichische Pet-Play-Community hat sich in den vergangenen drei Jahren auf rund hundert Mitglieder verdreifacht und ist extrem divers: Bei ihren Stammtischen tref fen einander Hundewelpen, Füchse, Katzen, Pferde, Ochsen und Pinguine – maskierte Männer, Frauen, Diverse aller Schattierungen des LGBTQ+Spektrums und Cis-Heteros. „Egal ob du alt oder jung, dick oder dünn, aufgepumpt bist oder im Rollstuhl sitzt, beim Pup-Play akzeptiert man dich, wie du bist“, sagt Yoshi. „Weil die Maske dein Gesicht verdeckt, schauen dir alle direkt in die Augen
Pup-Play ist kein niedliches Verkleidenspielen sondern ein sexueller Fetisch, der gerne auch mal BDSM-Elemente inkludiert
Ironischerweise boomt das Spiel mit der strengen Tiermaskerade auch auf den Selbstdarstellungsplattformen der sozialen Medien. Teenies gehen auf Instagram und TikTok immer öfter in Puppy-Kostümen viral. Die Hunde masken sind längst massentauglich. Selbst Walmart, die größte Super marktkette der USA, führt sie im Sortiment. „Viele checken nicht, dass es sich bei den Neopren- und Leder masken um Fetischausstattung aus dem BDSM-Bereich handelt“, erklärt Yoshi. „Wenn Teenies meine Erklär videos auf Insta sehen, bleiben oft nur Schlagworte wie ,verkleiden‘ und ,verspielt‘ hängen. Sie finden die Kostüme cool, verstehen aber den Hintergrund nicht. Wir wollen ja keine Cosplay-Trendsetter sein. Pup-Play ist ein Kink für über 18-Jährige.“
Im November 2019 hat Yoshi die Wahl zum Alphawelpen des Landes gewonnen; damals noch unter dem Namen „Husky Pup Yoshi“. Seither trägt er den Titel „Mr. Puppy Austria 2020“ und versteht sich als eine Art Außenminister der Puppy-Community. Sein Job? Die Message der Puppies zu verkünden und das Rudel nach außen zu repräsentieren.
Doch wie ist Yoshi eigentlich zur Maske von Angelo geworden? Begon nen habe alles mit „Natascha Gorbat schow Blanca“, erzählt Angelo, Yoshis zusammengefaltetes Welpengesicht neben ihm auf der Parkbank liegend. Schon als 16-Jähriger habe er begon nen sich zu schminken. Irgendwann ist daraus die Drag-Kunstfigur „Natascha“ entstanden. „Ich nannte sie die ‚Prater
hure von nebenan‘.“ Wenn Angelo aus seinem Leben erzählt, wird schnell klar: Für den schwulen Jungen, der als Kind mit der Mutter aus Kärnten nach Wien zog, war es immer eng. „Konser vative Normfamilie“ nennt er es.
Tagsüber lernte Angelo Koch, erst in einem vornehmen Ringstraßenhotel, danach arbeitete er im wohl schwulsten Traditionskaffeehaus der Stadt, dem Café Savoy; abends fand er in der Drag- und Fetischszene Frei heit und einen Safe Space. „Wie viele andere glaubt meine Mutter, Fetisch sei etwas Schmutziges und Gewalt tätiges.“ Yoshi aber eröffnete Angelo ein sexuelles Wonderland aus Domi nanz und Unterwerfung und einen freien Headspace: „Wenn ich ge stresst oder depressiv bin, hilft mir Yoshi. Sobald ich die Maske aufhabe, vergesse ich mich selbst, bin nicht Angelo, sondern meine zweite Per sönlichkeit.“ Denn Hasuki Omega Yoshi, der sibirische Husky, ist im Gegensatz zum schüchternen Angelo ein hyperaktiver Draufgänger. Mittler weile auch nicht mehr nur wilder Welpe, sondern „Handler“, also ein Puppy-Halter: Max aka Flip hatte ihn darum gebeten. Devot in seiner Rolle und mit Kinderpiepsstimme. Die strenge Gegenfrage von Yoshi: „Bist du sicher, dass du jemanden gehören willst?“ Hasuki Omega Yoshi nämlich schätzt seine Freiheit als wichtigstes Gut. Sie, das Spielen, Ohrenkraulen und Leckerlis.
www.instagram.com/hasuki_omega_yoshi
PETER POKORNY, PRÄSIDENT DER DETEKTIVE
VON THOMAS ASKAN VIERICHIst Privatdetektiv Peter Pokorny ein Meister der Maskerade? Und was kann er, was die Polizei nicht kann?
Wie Philip Marlowe, die durch Humphrey Bogart verkörperte Romanfigur von Raymond Chandler, sieht er nicht aus. Eher wie Josef Matula aus der ZDF-Krimiserie „Ein Fall für zwei“. Peter Pokorny, staatlich geprüfter Detektiv, empfängt in seinem Büro in der Wallnerstraße, der „Detektei Helios“. 1889 gegrün det, ist sie die älteste Österreichs, womöglich sogar Europas. Kronleuch ter an der Decke, alte Landschafts malereien an den Wänden. So hätte es bei Philip Marlowe nicht ausgesehen. Bei Matula auch nicht.
Unser Gespräch beginnt mit Kriminalromanen, Pokorny hat einen geschrieben. Ist noch nicht erschienen, aber bald. Schon im Umlauf ist ein Buch von ihm über die letzte Wiener Unterweltgröße Richard Steiner.
„Ist der Krimi realistisch?“ –„Natürlich“, sagt Pokorny. „Die Hauptfigur ist ein Berufsdetektiv. Es geht darin um Dinge, die mir tatsächlich passiert sind. Natürlich muss man hier und da etwas dazu dichten.“
Er vermeide Klischees wie den einsamen Schnüffler, der bei der Polizei rausgeflogen ist und gelegent lich einen über den Durst trinkt. Auch komme es nur selten zu körperlichen Auseinandersetzungen.
In seinem Detektivalltag arbeite er eng mit dem Landeskriminalamt zusammen. Ihm stehen nämlich Möglichkeiten offen, die der Kriminalpolizei verwehrt sind, etwa bei Zivilprozessen, Betriebskriminalität, Krankenstandbetrug, Unterschlagun gen, Scheidungsfällen, Unterhaltszahlungen, Gutachtenprüfungen und der Personenauffindung, vor allem von vermissten Minderjährigen. Bei ihm gehe es oft um zivilrechtliche Angelegenheiten. Dafür ist die Polizei in den meisten Fällen nicht zuständig.
Sein Vorgehen sei anders als das der Polizei, etwa bei Vermissten fällen: „Die Polizei schreibt zuerst eine Fahndung aus. Wir versuchen zuerst, die Motivlage zu klären: Drogenmissbrauch, Anzeichen für Suizidgefahr? Dazu dringen wir ins Drogenmilieu ein oder klappern die bekannten Plätze für Selbstmörder ab.“ Pokorny war nicht bei der Bun despolizei, sondern bei der „Militär streife“, der heutigen „Militärpolizei“. Seine Waffe trägt er nicht ohne Stolz.
Ausbildung ist wichtig. Etwa an der Europäischen Detektivakademie in Wien, wo auch Pokorny unterrichtet. Oder man hat eine Polizeiausbildung. „Observationen durchführen kann bald einer, doch einen Akt zu ver fassen ist schon etwas anderes.
AntiSchnüffler
Die üblichen Detektivkli schees vom einsamen, rau beinigen Schnüffler mit Fahne und in Maskerade kosten Peter Pokorny, Jahrgang 1967, nur ein mildes Lächeln. Der Wiener Berufsdetektiv ist Inhaber der ältesten Detektei des Landes, Helios, und geht bei seiner Arbeit – anders als im Krimi – sachlich und „justizorientiert“ vor. Eine üppig bestückte Asserva tenkammer für die perfekte Maskerade hat er trotzdem
Richtig schnüffeln will gelernt sein. Etwa an der Europäischen Detektivakademie, an der auch Pokorny unterrichtet
Unser Job ist ja, beweiskräftiges Material sicherzustellen, das auch vor Gericht standhält. Wir arbeiten justizorientiert. Es geht also nicht um die Befriedigung von Neugier. Das könn te sich kaum einer leisten.“ Denn ein Auftrag für seine Detektei kann schnell mehrere Tausend Euro kosten.
Nach seiner Militärzeit wurde er Detektiv, weil er mitansehen musste, wie die Scheidung seiner Eltern ver lief und beide sehr viel Geld verloren.
Anders als die Polizei kann er Deals aushandeln, damit es erst gar nicht zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Damit beeindruckt er auch Bösewichte. Außerdem ermittelt er unter falscher Identität und verdeckt. Dafür hat er eine Asservatenkammer voller Kleidungsstücke und zeigt mir „gefälschte“ Ausweise verschiedener Handwerker. Mit diesen verschafft er sich Zutritt. Das darf die Polizei nicht. Legal? Pokorny zuckt mit den Achseln.
In der Detektei von heute ersetzt der schmusige Bürohund die dralle Sekretärin, die es ohnehin nur im Film gab
„Das feuerte mein Gefühl für Gerech tigkeit an!“ Sein Jurastudium hat er abgebrochen, heute studiert er neben bei Soziologie. „Ich wollte nie im Ge richtssaal sitzen, sondern draußen auf der Straße arbeiten.“ Heute sitzt er mehr und mehr vor dem Computer, weil dies auch die Verbrecher tun. Kollege Marlowe wäre wohl bestürzt. Andererseits hockte der stundenlang im Auto, um zu beobachten. Auch Pokorny bleibt dies nicht erspart. „Man kann keine Detektei mit drei Mitarbeitern nur vom Büro aus leiten.“ Blonde Sekretärin? „Niemand hat heute noch eine Sekretärin. Damit war es nach den 1970er Jahren vorbei. Briefe und Akten schreiben wir selbst. Das geht auch schneller.“
Freude im Job? „Wenn wir einen Täter überführen oder eine außerge richtliche Lösung mit entsprechender Wiedergutmachung aushandeln können.“ Das ist seine Spezialität.
Was nervt ihn? „Klugscheißende Rechtsanwälte“ und Klient*innen, die sich zu sehr einmischen, ständig an rufen. „Da kann es schon passieren, dass ich einen Auftrag aufkündige.“
Wenn sich sein Job bis ins Aus land erstreckt, arbeitet er mit Kollegen dort vor Ort zusammen. Dafür gibt es die „Interdet“, eine Art „Interpol“ für Privatdetektiv*innen. Ihr Präsident heißt momentan Peter Pokorny.
„Emotionen haben in meinem Gewerbe nichts verloren“, sagt er. Er blendet sie aus, versucht es zumindest. Ihm tue weder ein Täter oder eine Täterin leid, noch empfinde er Gefühle für seine Auftraggeber*in nen. „Natürlich gibt es auch nachvoll ziehbare Motive für eine Tat, aber das geht uns nichts an. Wir sammeln nur Beweise. Recht spricht das Gericht.“
www.detektei-helios.at
MEINE BESTEN VIER
Euroshooters Schützenverein
14., Hauptstraße 110 www.euroshooters.at
„Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert“, sagte der rus sische Schriftsteller Anton Tschechow einst. Und weil die Waffe von Privatdetektiv Peter Pokorny keine Theaterrequi site ist, muss er regelmäßig für den Ernstfall üben. Sein Tipp: der Schütz*innenverein Euroshooters.
Kostümverleih Faschingsprinz
2., Taborstraße 11B faschingsprinz.at
Jetzt heißt es stark sein: Detektiv*innen verstecken sich nämlich nicht hinter großen Gumminasen und überdi mensionierten Brillen. Das Tarnen und Täuschen mittels Maskerade findet in dieser Branche mittlerweile eher in der digitalen Welt statt. Die oberste Verkleidungsinstanz der Stadt, der Faschingsprinz, ist Peter Pokorny dennoch ein lieb gewonnener Ort. Hier findet man von Perücken über Gewänder, Tierkostüme und Halloween-Klumpert auch alles, was man sonst noch für eine gelungene Maskerade brauchen könnte.
Dritte Mann Tour
Krypt Bar
9., Wasagasse 17 krypt.bar
1., Karlsplatz/Girardipark www.drittemanntour.at
Ein nostalgischer Klassiker –nicht nur für Detektiv*innen: der 1948 in Wien gedrehte Agentenfilm „Der dritte Mann“, auf dessen Spuren man sich in sieben Metern Tiefe im Wiener Kanalsystem machen kann. Üblicherweise gehen hier vor allem Touris mit Helm und Stirnlampe auf Erkun dungstour durch den Wiener Untergrund. Schadet aber auch nicht, sich mal die eigene Stadt von unten anzusehen –allerdings erst wieder ab 2023 möglich.
Es muss ja nicht immer die ranzige Tiefgarage sein. Für ein stilvolles Geheimtreffen begebe man sich in eine der schönsten Kellerbars der Stadt – vorausgesetzt, man findet sie. Und das gelingt meist nur, wenn man weiß, wo man suchen muss. Denn auf die Krypt Bar verweist kein Schild, keine laute Musik oder sonstige Hints. Um in den, in acht Meter Tiefe gelegenen, Raum zu gelangen, muss man klingeln. Dort erwartet einen dann ein Backsteingewölbe, illuminiert von glitzernden Lustern, wo man im Agent*in nenstyle in schicken Designer möbeln gepflegte Drinks zu sich nehmen kann.
MIT POMPONS GEGEN DAS PATRIARCHAT
Furchtlose
Öffentlich in knappen Out fits herumzuhampeln, holt Männer weit aus ihrer Kom fortzone. Das konsequente Hinterfragen ihrer Privilegien noch viel mehr. Für jene 16 Männer, die sich als harter Kern der Fearleaders Vienna beidem regelmäßig stellen, gehört der emanzipatorische Akt, eingefahrene Rollenbilder in Frage zu stellen, auch zur persönlichen Psychohygiene. Spaß macht es ihnen oben drein
Unter tosendem Applaus betre ten die drei queeren Care Bears von Queereeoké aus Hamburg im grünen, pinken und lila Plüschkostüm und mit nackten Ärschen die Bühne. Sie führen an diesem verregneten Juliabend durch die Show. „Tanzen, Gespräche, Musik, am Klo anstehen, voll abgehen, gemeinsam sein.“ So versprach es die Einladung zur „hei ßesten Party des Jahres“, zur traditio nellen Saisonabschlusssause der Fearleaders Vienna. Als Begleitung zum Auftritt der 16 Männer in knap pen türkisen Hotpants wummern Bonnie Tyler und Sia im Medley aus der digitalen Konserve in der knallvollen Halle des WUK. Dazu tanzt die Truppe synchron in hautengen orange farbenen Trikots und wedelt dabei mit Pompons, angetrieben von enthusias tischem Beifall. Das betont diverse Publikum ist begeistert von den Män nern, die mit Verve und Ironie in einer ebenso belächelten wie klischeebeladenen Frauendomäne reüssieren.
2012 hatte alles mit einer schrä ge Ideen begonnen: eine reine CisMänner Cheerleader Truppe, die ein Frauenteam beim Roller Derby anfeu ern sollte. Es lief so gut, dass der Sidekick zum Hauptact geworden ist. Die becheerten „Vienna Roller Derby“
– aktuell Nummer 35 der Europaliga – sind eine Community Größe, die Fearleaders hingegen schon weit über die Roller Derby Fangemeinde hinaus international bekannt. So wurde der Hype um sie Teil jenes Problems, das die Männer mit dem Projekt „Fearlea ders“ aufzeigen wollen: Geschlechterstereotype, Machtgefälle und systema tischen Sexismus. „Bestes Beispiel“, erzählt Fearleader Andreas „Pandy“ Fleck, 37: Im Vorjahr habe ein Lokal medium über das angeblich zehnjäh rige Bestehen der schillernden Mann schaft berichtet – dabei waren es die „Vienna Roller Derby“ Spieler*innen, die ihr Jubiläum feierten.
Die Fearleaders waren nicht da rauf gefasst, auf Umwegen zu Profi teuren jener patriarchalen Mechanis men zu werden, gegen die sie ange treten waren. „Anders als unsere Kolleg*innen vom Roller Derby muss ten wir nie beweisen, ob wir wirklich cheerleaden können“, sagt Fleck. „Wir galten von Anfang an als mutiges, lustiges und kreatives Projekt.
DieFearleaders kontern mit radikaler Softness Fotos: Julia Fuchs, Sarah Tasha Hauber, Zoe Opratko
Mit Hebefiguren, Tanzwedel und Gehüpfe in engen Hotpants macht die Männertruppe „Fearleaders Vienna“ Cheerleading zum politischen Akt
VON BIRGIT WITTSTOCK
„Army of Softness“ lautete der Titel des aktuellen Fearelli-Kalenders, der mit Stereotypen über maskuline Weichheit und Verletzlichkeit spielt
„Wir galten von Anfang an als mutiges, lustiges und kreatives Projekt“
Es wurde nie hinterfragt, im Unter schied zu den Sportler*innen, die wir anfeuern, an deren Image immer wieder gekratzt wird.“
Doch zurück an den Start, ins Jahr 2011: Die patriarchale Weltord nung gibt den Takt präzise wie ein Metronom vor, das Binnen-I gilt als Spinnerei politisch Überkorrekter, Identitätspolitik- und Transgenderdebatten werden in wissenschaft lichen Elfenbeintürmen geführt. Der weil verfolgt die breite Masse ge spannt, wie in der ersten Staffel von „Game of Thrones“ Zwangsheirat und Vergewaltigung in romantische Liebe münden. In Italien feiert Ministerpräsi dent Silvio Berlusconi, also die legiti mierte Macht im Staat, Bunga-Bun ga-Partys mit minderjährigen Frauen zum Gaudium eines mediengeilen Pub likums. #MeToo ist Lichtjahre entfernt.
In Wien formiert sich damals mit Vienna Roller Derby das erstes RollerDerby-Team Österreichs. Der harte Vollkontaktsport auf Rollschuhen stammt aus den USA der 1930er-Jahre. In den 1970er-Jahren verschwand der Sport von der Bildfläche. Um die Jahrtausend wende kehrte er mit den Riot Grrrls als subkulturell-feministische Bewe gung zurück und schwappte mit ein paar Jahren Verspätung nach Europa. Am letzten Roller Derby World Cup 2018 in Manchester nahmen Teams aus 38 Ländern teil.
Während in Wien 2011 also die ersten Frauen Protektoren und Helme anlegten, überlegten ihre Freunde, wie man sie unterstützen könnte. Im Jahr darauf sei dann eben die Idee mit der Cheerleader-Truppe aus Männern entstanden, erzählt ein Gründer der Fearleaders, Andreas „Candy“ Mayer, 42: „Die ersten Outfits habe ich im Internet zusam mengekauft. Die Mission war:
80er-Aerobic-Style in den Farben der Vienna Roller Derby – und Haupt sache, knapp.“ Die winzigen Höschen hätten einige der Cheerleaders erst einmal ordentlich in fear versetzt. „Wenn man das Zeug aber anhat, schafft die Maskerade eine Bühnen persona. Da legt sich ein Schalter um“, meint Romed „Romo erotique“ Felderer, 36, der 2017 zu den Fear leaders stieß.
Was als subversive Persiflage auf etwas begonnen hatte, wofür Frauen in die Dummchen-Lade ge steckt werden, wurde zum gefeierten Act. Die Männer erhielten Einladun gen zu Kunstveranstaltungen, Bache lorpartys, Hochzeiten und Firmen feiern. Seit 2014 erscheint ihr Fearelli-Kalender und sorgt für noch mehr G’riss: Anfangs war er eine ironisierte Version des Pin-up-Kalen ders des italienischen Reifenher stellers Pirelli, der seit Jahrzehnten Bilder schöner Frauen für den Louvre des kleinen Mannes liefert.
Mittlerweile ist der Fearelli Kalender ein Fotowerk mit Message: „Wir wollen uns nicht mehr nur über eingefahrene Männerrollenbilder lustig machen, sondern versuchen, Männlichkeit neu zu definieren und Alternativen zu entwickeln“, sagt Andreas Fleck. „Der Begriff Männ lichkeit ist ja eine riesige Baustelle. Die dazugehörigen Rollenbilder sind gerade stark im Umbruch. Auch wir sind auf der Suche nach neuen Modellen.“ Work in progress eben.
Nach zwei Jahren seuchenbe dingter Pause gibt nun endlich wieder Körperarbeit für die Fearleaders: Bei den internationalen Spielen des „Vien na Roller Derby“-Teams schwingen sie wieder ihre Pompons gegen das Patri archat. www.fearleadersvienna.at
Vienna Roller Derby
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www.viennarollerderby.org
Im ältesten und erfolgreichs ten Roller-Derby-Team des Landes wird Haltung generell und die LGTBQ+-freundliche im Besonderen ganz großge schrieben; selbstverständlich sind bei dem feministischen Vollkontaktsport auf Roll schuhen auch Trans-Personen willkommen. Bei den Spielen schwingt Cheerleadermann schaft Fearleaders Vienna den Skater*innen die Pompons.
Resis.danse
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www.resisdanse.at
Der FrauenTanzClub Resis. danse wurde in den 1980ern gegründet. Seither werden hier gleichgeschlechtliche Paare unterrichtet, um eine heiße Sohle in Standard tänzen aufs Parkett zu legen. Außerdem bietet der Verein Tanzworkshops, unter an derem für Gehörlose und Rollstuhltanzen.
Vienna’s Queer Melange
3 www. viennasqueermelange.at Wiens ältester und größter Volleyballverein für Lesben und Freund*innen wurde 1990 als „Marantana“ gegründet und 2009 unbenannt. Aktuell treffen sich rund 30 Spie ler*innen zwischen 20 und 60 je einmal in der Woche, um Hallenvolleyball (mitt wochs) und Beachvolleyball (montags) zu spielen.
Kraulquappen
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www.kraulquappen.at
Österreichs einziger LGB TIQ+-Schwimmverein für Erwachsene im Schwimm sport springt mehrmals die Woche ins Becken, nimmt an internationalen Wettkämpfen teil und ist Mitveranstalter von Vienna Valentine (Viva), einer dreitägigen Sportparty für Queers und ihre Freund* innen. Nach zweijähriger Corona-Pause soll Viva im kommenden Februar übrigens zum neunten Mal steigen.
Fotos: Renate Schwarzmüller, Resis.danse, Matthias Euler-Rolle, Wolfgang Zelezny
TOXIC SPIDER ROCKT DEN URSPRUNG DER SONNE
VON BIRGIT WITTSTOCKViele glauben, Wrestling sei Maskenball im Ring. Die Wienerin Thekla Kaischauri fightet an der Spitze von Japans Frauen-Liga und weiß, wie hart der Sport ist
Wer den Osore-zan im Norden der Präfektur Aomori in Japan besteigt, macht üblicherweise keinen vergnügli chen Sonntagsausflug. Der „Berg des Schreckens“, eine der drei heiligsten Stätten des Landes, gilt als Eingang zur buddhistischen Unterwelt.
Japaner*innen besuchen den rund 900 Meter hohen, Schwefelschwaden ausstoßenden Haufen Vulkangestein, um ihrer Verstorbenen zu gedenken. Hier, so besagt die Legende, würden sich die Seelen ungeborener und früh verstorbener Kinder sammeln, um mit Hilfe von Jiz, einer der größten Num mern unter Japans Gottheiten, den Fluss ins Jenseits zu überqueren. Ein Mini-Mordor und ein spiritueller Ort am der Arsch der Welt. Perfekt, wenn man Ruhe und Einsamkeit sucht.
Der Shinkansen donnert mit 500 Stundenkilometern von Tokio aus gute sieben Stunden hierher. Mit ihm ist die Wienerin Thekla Kaischauri zum Berg gekommen und hat ihr Lager in einem historischen Tempel aufge schlagen. Frühmorgens gibt sie sich, begleitet von Mönchsgesängen, die Mondlandschaft bei Sonnenaufgang. Stille. Friede. Kontemplation. „Ent schuldigung, dass ich störe, aber Sie
sind doch Pro-Wrestlerin, oder? Frau Thekla?“ Ein Fan. Sogar hier. Erkennt sie trotz Schlabberoutfit, Maske im Gesicht und Cavewoman-Frisur. Wiens berühmtester Wrestling-Export hat sich mit einem spinnenartigen Signature-Move 2020 an die Spitze von Japans größter Wrestling-Liga gekämpft.
Die bislang absolvierten Kapitel der Biografie der 29-Jährigen können bereits jetzt mit den Memoiren in die Jahre gekommener Rock ’n’ Roller*in nen mithalten: Thekla Kaischauri surft zwischen den Extremen, braucht das große Gefühlskino und ist, ihren 1,55 Metern zum Trotz, „ein bissl
Spinnerin
Die 29-jährige Wienerin Thekla Kaischauri ist ein Gesamtkunstwerk: Angewandte-Absolventin, lauter Teil der Punkformation Death Row Groupies und Wrestling-Superstar in Japan. Ihr Stagename „Toxic Spider“ war eingedenk ihres Vor namens aufgelegt. Ihr Signa turemove, das Laufen in der umgekehrten Brücke, sieht nicht nur creepy aus, er hat sie auch berühmt gemacht
Thekla Kaischauri surft zwischen den Extremen, braucht das große Gefühlskino und ist, ihren 1,55 Metern zum Trotz, „ein bissl larger than life“, wie sie es formuliert
larger than life“, wie sie es formuliert. Die Eltern – die Mutter georgische Ärztin und Künstlerin, der Vater am Theater – hätten auf beste Erziehung bestanden, erzählt Thekla Kaischauri per Videocall vom Sofa ihres Tokioter Apartments aus, das am ruhigen Rand der 37-Millionen-EinwohnerMetropole liegt.
zeichnet viel. Irgendwann um 2012 bleibt sie in der Arena vor einem schrillen Plakat hängen: „Rock ’n’ Roll Wrest ling Bash“. „Rock ’n’ Roll, sehr cool, dachte ich mir“, erzählt sie. „Zu Wrest ling hatte ich damals noch keinen Kontakt. Aber das Poster sah gut aus, also gingen wir hin.“
Geige, Ballett, akademisches Gymnasium im ersten Bezirk, fünf sprachig. Doch Thekla war auch immer rebellisch, auf das Ballett folgte der Kampfsport Wing Chun. In der Schule sei sie sehr gut gewesen. „Aber im Betragen immer etwas auffällig.“
Nach der Matura studiert Kaischauri „Transmediale Kunst“ bei Brigitte Kowanz an der Universität für angewandte Kunst: „Mein Schwerpunkt: nicht das tun, was alle anderen machen.“ Mit ihrer Punkband Death Row Groupies, in der Kaischauri singt und Gitarre spielt, tourt sie durch Euro pa. Macht nebenbei Performances und
Die heutige Profi-Wrestlerin erinnert sich: „Es war einfach irre!“ Auf der Bühne der großen Halle gab zwischen den Kämpfen eine Punk band Gas. „Alles sehr dark. Charakte re wie ,Boris, the Butcher‘. Er hatte ein totes Hendl als Waffe dabei. Als er damit seine Gegner abwatschte, flogen Teile des zerfledderten Huhns ins Publikum.“ Ein Fleischbatzen landete – batsch! – mitten im Gesicht ihrer besten Freundin. Theklas, vor Begeisterung strahlend, war voller Blutspritzer. „Es war wie eine Punkshow: total high und voll geil. Ganz anders als das amerikanische Wrest ling mit seinem geölten Körperkult und den schlecht gescripteten Auf tritten. Eine Mischung aus trashiger Seifenoper und echtem Sport.“
Mehr davon gab’s im Gürtellokal „Weberknecht“. Das UndergoundWrestling im Keller wurde zum
„Alles war sehr dark. Charaktere wie ,Boris, the Butcher‘. Er hatte ein totes Hendl als Waffe dabei“
„Prost, wir werden Wrestler. Fix!“
Fixtermin. „Wir haben uns damals oft spielerisch auf der Straße geprügelt und einander aufgestachelt, zu einem Training von Humungus, dem Chef der Wrestling School Austria, zu gehen. Alle so auf ,Prost, wir werden Wrestler. Fix!‘“ Bloß tags darauf habe keiner mehr etwas davon wissen wollen. Außer Kaischauri. Sie ging zum Probetraining.
Laufen, Cardio, Sit-ups, Knie beugen, unterschiedliche Arten von Liegestütz und Crunches. Kopfstand. Alles in 50er-Sets. Einige hätten vor Anstrengung gekotzt. „Ich hatte die letzten Jahre mit Kunststudium, Punk band, Wildlife und null Prozent Sport verbracht. Abgesehen vom Schwitzen auf der Bühne. Aber offenbar hat sich mein Körper daran erinnert, dass ich einmal Kampfsport gemacht habe.“
Die meisten werfen das Hand tuch, Kaischauri leckt Blut. 2017 gibt
sie ihr Debüt im Ring. Nur vier Matches später, am 1. Jänner 2018, tritt sie während eines Urlaubs erstmals in Japan auf. Es ist ein Tag-Team-Match, also zwei gegen zwei: Thekla Kaischauri und drei Typen. Zwei Japaner, ein Inder. „Die haben mich g’scheit abgewatscht. Megacool und eine super Erfahrung“, sagt sie heute.
Fast forward ins Jahr 2022: Thekla Kaischauri ist nicht nur die einzige Ausländerin bei Stardom, der weltweit führenden Frauenwrestling liga. In ihrer Wahlheimat Japan ist Toxic Spider, die junge Frau, die in Wien Landstraße aufgewachsen ist und den Exzess und den Wurstel prater liebt, mit ihren spinnenartigen Moves und den Cowboyböcken längst ein Idol. Und all das ist keine Mas kerade, sagt sie. „Das bin ich, in aufgetunter Version: Yeah, Rockstar!“
www.instagram.com/toxic_thekla
SEHNSUCHTSORT WIEN
Große Geisterbahn
2., Prater 143A
Monobrother
www.facebook.com/ monobrother
Wenn Thekla Kaischauri in Tokio Wien-Sehnsucht über fällt, dann hilft das Kauder welsch aus Wienerisch und Mostviertlerisch des – O-Ton Thekla – „besten Rappers im Land“, des Stuwerboys „Monobrother“.
Nicht nur seine Tracks, auch seine Musikvideos sind top (inklusive Thekla-Cameo). Live zu überprüfen am 28. 10. im Gasometer als Support von Kreiml & Samurai.
Ja, die heißt wirklich so und wirbt dementsprechend auch damit, die größte, höchste und längste Geisterbahn Europas zu sein: Auf den 215 Metern Retro-Gruselstrecke stehen um die 30 zerlumpte, finstere Gestalten, deren mechani sches Quietschen einen das Fürchten lehrt. Für Toxic Spider Thekla „eine ewige Quelle der Freude“.
Papas am Nasch markt
6., Naschmarkt 509 papas-am-naschmarkt. eatbu.com
Im einstigen Austragungsort des Prosciutto Klubs hockt nicht nur Thekla Kaischauri gerne, wenn sie mal in Wien ist (weil: „beste Küche und herzlichste Bedienung“).
Das Naschmarktlokal ist generell eine beim Wiener Partyvolk beliebte Tankstelle.
Gürtellokale Einbaumöbel und Venster99
9., Stadtbahnbögen 97 und 99–100 1bm.at, www.venster99.at
Weil Thekla Kaischauri nicht nur Profi-Wrestlerin, sondern auch Gitarre spielender und singender Teil der Wiener Punkband „Death Row Groupies“ ist, sind ihre Lieb lingsgürtellokale Venster99 und Einbaumöbel selbsterklä rend: Hier, in den pochenden Herzen der Wiener Punk- und Underground-Szene, gibt’s subkulturelle Action in räudiger Atmosphäre.
WENN POLITIK POGO TANZT
Musiker, Unternehmer, Politiker, Arzt, 35 und Wiener: Das ist Dominik Wlazny. Und natürlich Marco Pogo, der King aus Simmering
Dominik Wlazny wechselt zwischen Gigs auf der Bühne und dem Antreten für politische Ämter fließend die Rolle, etwa bei der Bundespräsidentschafts wahl 2022. Die von ihm gegründete Bierpartei hat seit 2020 elf Man date in Wiener Bezirksvertretungen (Wlazny in Simmering) – und nimmt sie ernst. Wie geht sich das mit der Kunstfigur aus? Wie viel Freiheit kann er sich dank Maskerade nehmen? Und will Wlazny sein Alter Ego Pogo auch einmal zu Grabe tragen?
Dominik Wlazny, wie entstand die Kunstfigur Marco Pogo?
DOMINIK WLAZNY: Wir wollten mit „Turbobier“ eine satirische Punk band machen. Ich dachte, es wäre ein knackiger Name für den Frontmann einer Punkband, die sich vorrangig dem Thema Bier widmet. Er klingt gut, ist angelehnt an Marco Polo und Pogo, den Tanz der Punks. Mittler weile haben sich für ihn eine Menge anderer Betätigungsfelder aufgetan, etwa die Politik. Außerdem ist er ein wunderbarer Schutzschild. Für meine Freunde bin ich nie Marco Pogo, aber auf der Bühne und wenn mich Fans treffen immer.
Ermöglicht die Maskerade Freiheit?
WLAZNY: Sehr. Eine Kunstfigur darf viel mehr machen und sagen, auch
Dinge, die eine Privatperson so nicht aussprechen würde. Es ist spannend, einen solchen künstlerischen Freiraum zu haben. Am Anfang habe ich mich weit aus dem Fenster lehnen und an ecken können – und wollte das auch. Manches hätte ich ohne die Deckung durch Pogo nie so sagen können. Das weicht sich jetzt auf. Man will den Menschen hinter der Kunstfigur sehen.
PunkBeamter
Der 35 jährige studierte Mediziner Dominik Wlazny ist ein wahrer Tausendsassa: Bei der Bundespräsidentschafts wahl belegte er landesweit den dritten Platz, in Wien sogar den Zweiten. Und steckt er in den Schuhen seiner Kunstfigur Marco Pogo geht noch mehr. Denn der kann sich als Frontmann der Punkband Turbobier so ziemlich alles erlauben
Eine Kunstfigur, die findet, alle Macht gehe vom Bier aus, und Realpolitik – wie passt das zusammen?
WLAZNY: Zu Beginn war die Bierpartei ein rein satirisches Projekt. Österreich gibt da ja viel her. Zur sa tirischen Aufbereitung von FPÖ Wahl
„Als wir die Mandate bekamen, wurde mir klar, dass wir von reiner Satire weg und anfangen wollen, gute Ideen in die Politik zu bringen“
VON SASKIA JUNGNIKL-GOSSY
plakaten muss man nicht viel machen. Nur hatte ich damals noch keinen Wähler*innenauftrag so wie jetzt. Als wir die Mandate bekamen, wurde mir klar, dass wir von reiner Satire weg und anfangen wollen, gute Ideen in die Politik zu bringen. So haben wir quer über die Bezirke über 340 Anträge ge stellt – nur zwei davon waren satirisch. Selbst bei denen, nämlich der Verban nung von Biermischgetränken aus dem öffentlichen Raum und der Errichtung eines Bierbrunnens, kann man darüber streiten, wie satirisch sie wirklich sind! Eine Studie der Arbeiterkammer be handelt die Gefährlichkeit von „Radler“. Der Bierbrunnen wurde abgelehnt, also habe ich meinen eigenen zum Mitneh men für Veranstaltungen gebaut. Die übrigen Anträge waren ernste Ideen. Andere Parteien bringen Anträge ein, die deutlich primitiver sind, und oft nur, um einer anderen Fraktion eins reinzu würgen. Da finde ich meine zwei satiri schen wenigstens unterhaltsam. Warst du schon mal bei einer Bezirksvertre tersitzung?
Nein.
WLAZNY: Nach vier Stunden wünscht du dir …
… ein Bier?
WLAZNY: Mindestens. Das brauchst du dann. Es geht vier Stunden lang um alte Sachen, die die Parteien einander an den Kopf werfen.
War der Einstieg in die Realpolitik schockierend?
WLAZNY: Das war er wirklich. So diskutieren wir etwa viele Verkehrsbe
lange. Ich frage mich, warum das eine politische Aufgabe sein soll. Da dis kutieren die Grünen mit den Blauen stundenlang, ob irgendwo ein Motor radständer oder ein Fahrradständer hinkommen soll. Pro Sitzung bringt die FPÖ drei Anträge für Motorradständer ein. Das ist für mein Empfinden keine politische Frage, sondern – und jetzt wird’s fast philosophisch – eine Frage für Expert*innen. Sie sollen analysie ren, wie viele Fahrzeuge wo zugelassen sind und wie viele Stellplätze es dafür braucht. Es sollte keine ideologische Frage sein, sondern eine pragmatische.
Ist Maskerade in der Politik wichtig?
WLAZNY: Leider viel zu wichtig. Ich habe zwar einen Künstlernamen, den ich übrigens aus meinen politischen Tätigkeiten heraushalte, bin jedoch oft der am wenigsten Maskierte. Wir haben ein großes Authentizitätspro blem in der Politik. Das spiegelt sich darin wider, dass die Menschen den Politiker*innen nichts mehr glauben.
Was kann man Marco Pogo glauben?
WLAZNY: Dass er aufrichtig ist.
Wie aufrichtig kann eine Kunstfigur mit Spaßpartei sein?
„I tat die ganze Welt verklopfen für a bissl Malz und Hopfen“Die Bier trinkende Kunstfigur Marco Pogo war anfangs ein reines Satireprojekt. Mittlerweile hat sie Dominik Wlazny um den meinungsbildenden Aspekt erweitert
INTERVIEW
WLAZNY: Ich find’ es nicht spaßig. Ich stelle vernünftige politische An träge. Wenn ein politischer Fehltritt passiert, arbeite ich das satirisch auf. Das finde ich aufrichtig.
Die Aufmerksamkeit und die Be deutung, die man dir zuschreibt, werden mehr. Nimmt man sich da auch selbst immer ernster?
WLAZNY: Sich selbst zu ernst zu neh men, sollte man bleiben lassen. Auch als Mensch sollte man immer eine ge wisse Lockerheit behalten und den Hu mor nicht verlieren. Das Leben ist kurz. Sobald man sich verkrampft, verliert man den Drive. Meine Lebensprämisse lautet: Lieber etwas Neues ausprobie ren und schauen, was kommt. Z’ Tod g’fircht is a g’storb’n.
Passiert dabei nicht auch viel, das einem später peinlich sein kann?
WLAZNY: Ich will’s gar nicht wissen. Natürlich wird man älter und sieht die Dinge anders. Aber „allem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – da kann man tun, was man will.
Zur Not war’s halt die Kunstfigur?
WLAZNY: Das ist prinzipiell spannend, denn Ansichten ändern sich ja laufend. Die Menschen werden in Bezug darauf, was Künstler*innen machen dürfen und
sollen, sensibler. Manches, was die EAV früher gesungen haben, würde heute nicht mehr gehen. Ich habe den Alkohol verherrlicht – satirisch. Wir ha ben das auf die Spitze getrieben, denn als Punkband musst du über Bier sin gen. Außerdem trinke ich wirklich gern Bier. Ich liebe es. Aber man muss ein Augenmaß dafür haben. Mir als einem Künstler, der Bier satirisch behandelt, eine Mitschuld daran zu geben, dass in Österreich gesoffen wird, finde ich absurd. Wegen der Textzeile „I tat die ganze Welt verklopfen für a bissl Malz und Hopfen“ fängt keiner an zu saufen. Ich mache auch genug, um Menschen mit Suchtproblemen zu helfen.
Erfüllt der Marco Pogo von heute andere Bedürfnisse als der von früher?
WLAZNY: Ja. Er hat sich von einer rein satirischen Figur zu einer meinungsbildenden gewandelt. Das macht mir Spaß, weil es dem Ganzen eine sinn volle Komponente gibt.
Wird die Kunstfigur bleiben?
WLAZNY: Momentan mag ich ihn sehr und habe eine Freude mit ihm. Manchmal ist es schwierig, aber da taucht er durch.
„Z’ Tod g’fircht is a g’storb’n“
MASKERADE
VON JULIA FUCHSKOCHEN ALS HOCHLEISTUNGSSPORT
VON SASKIA JUNGNIKLGOSSYJuan Amador, Österreichs einziger Drei-Michelin-Sterne-Koch, stellt in seinem Lokal in Döbling Klassiker ohne Firlefanz auf den Tisch: Handwerk mit Hingabe
Juan Amador pfeift auf Chichi. Der in Deutschland geborene Sohn spani scher Gastarbeiter ist mit drei MichelinSternen Österreichs höchstdekorierter Koch. Im „Amador“ in Döbling setzt er auf Überraschung und das Wesent liche statt auf spektakuläres GourmetTheater. Ein Gespräch über den Unsinn kulinarischer Maskerade.
Juan Amador, Essen muss schme cken – aber muss es auch gut aus schauen?
aber zum Gesamterlebnis gehört, ist es wichtig. Essen verläuft in einem Spannungsbogen, da zählen Service, Ambiente und das Überraschende. Wir Köche haben die Verantwortung dafür, dass jeder Gast unser Freund ist, wenn er uns verlässt. So lautet die Maxime. Trotzdem koche ich nicht individuell für jeden Gast, wie er das gerade möchte.
Höchstleister
Im März 2019 bedachte der „Guide Michelin“ erstmals in der Geschichte ein österreichi sches Restaurant mit drei Sternen. Jenes des Deutschen Juan Amador. Wiens Fine-Di ning-Szene kochte über, Amador unbeirrt weiter
JUAN AMADOR: Das Erste, was man von einem Gericht am Tisch wahrnimmt, ist der visuelle Eindruck. Dies macht die Optik wichtig. Es heißt aber nicht zwingend, dass der Teller so aufgebaut oder das Gericht so kre iert wird, dass es nur schön aussieht. Es geht um eine Einheit: Das Essen soll gut schmecken und ebenso aussehen.
Wie viel Maskerade braucht ein Sternegericht?
AMADOR: Wenn 37 Kräuter, Stängel und Blüten auf einem Teller drapiert werden, ist das für mich Maskera de und unnötig. Weil das Optische
Extrawürstel zerstören das Gericht?
AMADOR: Ja, sie zerstören den ganzen Ablauf, die Performance. Man kann uns vertrauen. Wir wissen ja, was wir tun.
Foodporn ist allgegenwärtig, die perfekte Inszenierung der Speisen erscheint wichtiger als ihr Geschmack. Verlieren wir dadurch den Bezug zur kulinarischen Realität?
AMADOR: Soziale Medien sind wich tig. Doch wenn man sich zu lange in
„Willst du gelten, mach dich selten“Von zu viel Klimbim auf den Tellern hält der Koch, der Anfang der 2000er mit Molekularküche Aufsehen erregte, nichts. Es gehe vielmehr um das De und Rekonstruieren von Zutaten
INTERVIEW
der virtuellen Welt aufhält, verküm mern außer dem Gesichtssinn alle anderen Sinne. Geschmack muss sich entwickeln: Es gibt eine Geschmacks datenbank im Kopf, die man von klein auf trainieren kann. Je abwechslungs reicher man isst, desto mehr Neugier de entsteht auch auf Essen, das man noch nicht kennt.
Kochen Sie nach der Geschmacks datenbank in Ihrem Kopf?
AMADOR: Ja, so entstehen 99 Pro zent eines Gerichts. Erst wenn der Kopf es absegnet, geht es um Kompetenz, Repräsentation und geschmackliche Details wie etwa die Basis der Sauce. Die Optik steht erst ganz am Schluss.
Instagram, TV Kochshows, Netflix: Wie viel Maskerade ist für einen Koch zur Selbstvermarktung nötig?
AMADOR: Ich folge dem alten Sprichwort: Willst du gelten, mach dich selten. Ich habe schon einiges an Shows mitgemacht, aber ich mer ke, wenn ich zu lange unterwegs bin, verliere ich den Bezug zu meinem Re staurant. Das tut nicht gut. Anderer seits ist es prima, dass der Beruf des Kochs mittlerweile hohe Anerkennung erfährt. Als ich meinen Eltern gesagt habe, dass ich Koch werde, hat mein Vater noch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Kochsendungen sind wohl auch so beliebt, weil sie zeigen, dass Kochen Kunst sein kann
AMADOR: Wir sind keine Künstler! Wir sind Hochleistungssportler. Für die Entstehung von Gerichten ist Kreativi tät gefragt, gut, da gibt es den künst lerischen Aspekt. Doch ab dann ist es copy and paste. Es hört sich unroman tisch an, aber es ist eine Höchstleis tung, Essen mit perfektem Timing auf den Tisch zu bringen.
Kann man aus jedem Nahrungs mittel etwas Essbares machen, oder gibt es Dinge, die Sie nicht anfassen?
AMADOR: Ich koche nichts mit Insek ten. Am wichtigsten ist mir, dass ich mein Produkt kenne: Wer ist der Produ zent? Wer ist der Fischer, der Züchter? Wer ist der Bauer? Abgesehen davon ist mir vollkommen wurscht, woher
„Man hat ein Talent. Das kann man nicht studieren. Es steckt in einem, aber man muss es kanalisieren“
2016 hat Amador seine heiligen Hallen in Heiligenstadt aufgeschlagen. Ursprünglich sollte es ein Wirtshaus werden, letztendlich wurde es eine Bühne für Amadors Gourmet-Theater
ein Lebensmittel kommt. Ich weiß, uns erwartet ein Theater in Sachen CO2-Fußabdruck und so weiter, aber unsere Gäste wollen Topleistungen.
Gibt es geschmacklich Unberühr bares? Wie: Kartoffeln gehen im mer, aber Brokkoli, nein danke?
AMADOR: Ich mochte Brokkoli lange nicht und hatte ihn nicht auf der Karte. Daran muss man anders herangehen: ein bisschen Mandelbutter darüber, ein bisschen damit spielen.
Also ein bisschen Maskerade?
AMADOR: Was wir machen, ist, alles zu dekonstruieren und neu zu rekons truieren. Wir reduzieren das Gericht auf den Geschmack und setzen diesen in neuen Texturen zusammen. Das er zeugt Spannung.
Was macht Sie zum Spitzenkoch?
Dafür kommen die Fische nicht aus einer Zucht in der Nähe, womöglich mit Medikamenten gedopt, sondern aus der Bretagne, wo sie einzeln ge angelt werden und 24 Stunden später bei uns sind. Damit fängt es an: Egal, in welcher Liga wir spielen oder in wel cher Preisklasse wir uns bewegen, die Produkte müssen einfach top sein.
AMADOR: Man hat ein Talent. Das kann man nicht studieren. Es steckt in einem, aber man muss es kanalisieren. Außerdem muss man kreativ sein, har te Arbeit reinstecken und auch an sich selbst arbeiten. Das Handwerk, das es braucht, kann man lernen. www.restaurant-amador.com
„Außerdem muss man kreativ sein, harte Arbeit reinstecken und auch an sich selbst arbeiten“
Der Klassiker unter den Lokalführern ist auch dieses Jahr wieder prallvoll mit neuen, arrivierten, exotischen und traditionellen Beisln, Restaurants, Bars und Cafés. Über 4000 Lokale für jeden Anlass, jede Brieftasche, jede Uhrzeit, jede Laune, jeden Geschmack, für den kleinen wie den großen Hunger finden sich in der komplett überarbeiteten und aktualisierten Neuauflage des Wiener Lokalführers. „Wien wie es isst“ ist kein Sterneverteiler und Haubenaufsetzer. Es ist ein Speise Plan der Stadt.
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GENUSSPARADIES IM ERSTEN Feine Weine und Spirituosen seit 1976
Die Vinothek St. Stephan bietet ein umfassendes Weinsortiment mit Fokus auf österreichischen und internationalen Weinen sowie einer Vielfalt an Spirituosen wie Single Malts und Rum.
Bekannt ist die Vinothek für ihre exklusiven Einzelfassabfüllungen.
Im Programm finden sich laufend neue Abfüllungen aus Schottland (aktuell aus der Region Speyside und von der Insel Islay) und der Karibik (aktuell aus Jamaika und Trinidad). Das Team legt höchsten Wert auf persönliche und individuelle Beratung.
SUNDAY BRUNCH AT ITS BEST Including: Vibrant Views over Vienna!
Nach dem Motto „Sharing is caring“ ist beim Sunday Brunch im Das LOFT der Tisch immer voll. Alles kann nach Belieben mit Freunden und Familie geteilt werden. In drei Runden kann man sich gemütlich durch alles probieren. Natürlich sind auch die Gläser immer gut gefüllt. Wein des Hauses und Bier sind im Preis inbegriffen. Aus dem 18. Stock des SO/Vienna hat man außerdem einen unvergleichlichen Ausblick über die Stadt – den Stephansdom zum Greifen nahe.
SUNDAY BRUNCH: Jeden Sonntag im Das LOFT Restaurant 13–16 Uhr € 99,–
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Das LOFT Restaurant & Bar SO/Vienna Hotel 2., Praterstraße 1 Tel. 01/906 16 81 10
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#FOODPORN – NEUES AUS DER VIRTUELLEN KÜCHE
VON BIRGIT WITTSTOCKFolge 2: Der Krisen-Seitan, selfmade
DEEP POV. Die Kosten für die Miete seit Juli um 15 Prozent gestiegen, für Warmwasser und Heizen haben sie sich verdoppelt. Am Klo bleibt das Licht jetzt aus – vorauseilendes Sparen und drauf schauen, dass man’s hat, wenn man’s braucht. Außerdem hat Kacken im Dunkeln etwas Archaisches – gegen tiefsitzen de Säbelzahntigerängste lohnt es, einen Schnitzelklopfer mitzunehmen! Geduscht wird ausschließlich kalt und nur, wenn unumgänglich. Waschlap pen und Schaffel tun es schließlich auch. Die fünfzig Hoodies im Kasten machen sich nun endlich bezahlt.
IM SUPERMARKT. Ein bitte res Lachen über die verkehrte westliche Welt: Während in vielen Ecken des globalen Südens tierisches Pro tein kaum erschwingliches Luxusgut ist, ist hierzulande der Verzicht darauf vor allem Distinktionsmerkmal, das Kämpfer*innen für eine bessere Welt vom Spaltenbodenschweine essenden Proletariat abgrenzt. Immerhin: Vega nismus muss man sich leisten können, wenn man nicht nur von Sättigungs beilagen und Trash leben möchte.
IM REGAL. In österreichischer Bioqualität sind 200 Gramm des beliebten Fleischersatzes Seitan ab 3,99 Euro zu haben. Zum selben Preis gibt es die fünffache Menge Schweinsstelze. Verkehrte Welt. Um für ausgewogenere Verhältnisse zu sorgen, schreiten wir zur Tat und machen unseren Seitan selbst. Erklärt
wird das in ungezählten TikToks. Denn Seitan – die Fraktion glutenfrei blättert jetzt bitte sofort weiter – ist nichts anders als Weizeneiweiß. Also Gluten. In Reinform. Und wird durch eine Marinade zu einem schmackhaf ten veganen Proteinlieferanten. Denn Gluten enthält viel Protein. Verdammt viel: etwa 75 auf 100 Gramm.
DAS BESTE. Man braucht für Seitan lediglich Weizenmehl (kostet rund einen Euro), kaltes Wasser und ein paar Gewürze (Kosten vernach lässigbar) und kräftige Hände (kosten Trainingsdisziplin). Warum sind nicht schon längst alle Veganer*innen auf heimische Massenproduktion umge stiegen? Könnte an der großen Schnittmenge aus Veganer*innen und Glutenfreigläubigen liegen.
GLUTEN. Weltweit leidet schätzungsweise ein Prozent aller Menschen unter Zöliakie, der Glu tenunverträglichkeit. In Österreich sind rund 8.000 Personen damit diagnostiziert, die Dunkelziffer dürfte bei etwa 76.000 Betroffenen liegen. Der Griff ins Glutenfrei Supermarktregal ist also zumeist eine Lifestyleentscheidung. Wer Gluten nicht für ganz böse hält, dem sei nun folgendes Rezept angetragen.
DISCLAIMER. Das Rezept ist das Ergebnis aus kulinarischem Trial and Error. Beim Selbstversuch stellte sich heraus, dass manche Mengenan gaben keine situationselastischen
Langes Rasten im Kühlschrank ist schon mal die halbe Miete, das Wichtigste aber ist die Marinade. Sonst schmeckt Seitan wie alter Kaugummi
Richtwerte sind, sondern tatsächlich darüber entscheiden, ob am Ende Kleister oder Seitan entsteht.
ERNST NEHMEN. Für 250 g Seitan mische man 500 g Mehl mit 300 ml Wasser. Vollkornmehl ist in diesem Fall sinnlos, da es das erklär te Ziel ist, alle Bestandteile wie Stär ke und Kleie, abgesehen vom Weizeneiweiß, auszuwaschen. Auf die Wichtigkeit des richtigen Mischver hältnisses wird ausdrücklich noch einmal hingewiesen. Allen, die es nicht auf die harte Tour erfahren wollen, sei verraten: Wasser und Mehl ergeben einen ziemlich potenten Kleber. Kindergartenkinder wissen das.
MIXER. Aus den Fängen des Leims befreit, lässt sich die Sache retten, indem man nach und nach Mehl einarbeitet. Empfohlen sei dazu ein Mixer mit Knethaken bestückt. Teigkneten von Hand macht bestimmt viel Spaß – wenn man seinen Lebens unterhalt als Freeclimber*in verdient. Alle anderen sind mit einem Mixer besser bedient. Denn das Verkneten zu einem festen, geschmeidigen Teig ist eine zache und langwierige Partie.
KINDERSPIEL. Hat der Teig ein paar Stunden oder besser die Nacht über im Kühlschrank geruht, geht’s ans Auswaschen. Dazu legt man den Klumpen am besten in ein Sieb, das man dann in einer Schüssel kalten Wassers versenkt. In diesem Wasserbad massiert man ihn sanft,
aber stetig. Hat sich das Badewasser so weiß verfärbt, dass man nur noch spürt, wie sich der Mehlteigklumpen in den Händen zu Gummi verwandelt, ist es an der Zeit, das Wasser auszu tauschen. Und den Vorgang zu wie derholen. So lange, bis das Wasser klar bleibt. Voilà, hier ist es, das Kryptonit der Glutenverächter*innen!
MARINADE. Der Batzen erin nert an einen alten Kaugummi – be reit für die Marinade. Für die gilt, wie so oft im Leben, mehr ist mehr. Als sehr schmackhaft hat sich folgende Kombi aus noch genießbaren Küchen schrankfundstücken herausgestellt: Ordentlich Tamari (fermentierte Würzsauce aus Sojabohnen), HarissaPaste (aus dem Maghreb stammende scharfe Gewürzpaste), geräuchertes Paprikapulver, Knoblauchpulver, Pfeffer und CharapitaChilis. Wie bei jeder Marinade gilt: Je länger das Bad, desto besser schmeckt das marinierte Endprodukt. Eine Über nachtung im Kühlschrank ist das Mindeste und Pflicht.
AUFTISCHEN. Tags darauf verarbeiten, wie beliebt. Etwa, in Scheiben geschnitten, in der Pfanne braten.
RESÜMEE. Billiger veganer DiY Proteinlieferant, den man nach eigenem Geschmack pimpen kann. Faule verwenden Glutenpulver oder „Seitan Fix“, um sich die Mehlwascherei zu ersparen. Spart dann aber kaum Kohle.
DES HERBIVOREN SCHLARAFFENLAND
VON BIRGIT WITTSTOCKLachs aus Karotten, Käse aus Cashewnüssen, Faux Gras aus Hefe: Die Verkaufsschlager von Manuela Haromys veganem Feinkostladen „Pepper & Ginny“ imitieren tierische Klassiker
Alles bloß Maskerade?
Am Anfang war die Auster. Diese schlitzige Delikatesse brachte Manuela Haromy, Werbeagenturbetreiberin und Hobby-Foodie, direkt aus einer Innen stadtbar in die Notaufnahme. Salmo nellenvergiftung. Austern, so ließ man Haromy im Spital wissen, seien ein kulinarisches Roulettespiel. Die Freundin, mit der sie sich die Austern platte geteilt hatte, aß weiter. Haromy hingegen verlor einige Kilos. „Ich war froh, als ich endlich wieder Erdäpfel püree bei mir behalten konnte.“ Ihr war der Appetit auf alles Tierische nachhaltig vergangen.
Gute fünf Jahre später hat die 37-Jährige aus dem molluskischen Anschlag auf Leib und Leben ein schnurrendes Geschäft gemacht: den Fein kostladen Pepper & Ginny auf rund fünfzig Quadratmetern in einem der ältesten Winkel der Wiener Innen stadt, in der Ballgasse. Hier gibt es ausschließlich vegane Produkte, einige davon selbst gemacht. Etwa den Carrot Lox, einen veganen Lachs ersatz aus fein gehobelten, mit Liquid Smoke und Nori-Algen aromatisierten Karotten. In der kleinen Kühltheke stapeln sich Käsespezialitäten aus Cashewnüssen oder Fake-Gänseleber pastete aus Hefe. Die Regale sind voll
mit Rohschokoladen, gelatinefreien Marshmellows, Knabberzeug ohne Molke, eierfreien Teigwaren, allerlei Chutneys und Saucen, veganen Wei nen und Biersorten. Ein Schlaraffen land für Herbivoren.
Die Produkte sollten anders als in veganen Supermarktlaufmetern ohne eine lange Latte an Es, Palmöl und künstliche Zusätze auskommen. Deshalb googelte Haromy nächtelang und tourte dann quer durch Europa. Sie besuchte Messen oder stand bei kleinen Herstellern auf der Matte. „Im veganen Bereich kommt das meiste ja aus kleinen Manufakturen. Sie freuen sich dort, wenn man vorbeikommt und Interesse zeigt.“
Sie kostete sich durch, bis sie Waren fand, die ihrer persönlichen Qualitätsvorstellung entsprachen: dem Geschmack ihrer Kindheit. Haromy ist nämlich ein schon von klein auf durch Spezialitäten gehookter Gour met. „Ich war früher mit meinen Groß eltern oft beim Delikatessenhändler Böhle in der Wollzeile. Dort durfte ich mir immer etwas aussuchen.“ Sie überspielt einen pawlowschen Schluck reflex, indem sie ihre langen Haare hochklammert.
Con naiss euse
Was für andere Kinder Jelly Shops waren, in denen sie bunte, klebrige Fruchtgummis in Plastiksackerl schaufelten, war für Manuela Haromy der Traditionsdelikatessenladen Böhle, den sie regelmäßig mit ihren Großeltern besuchte. Später liebte sie Barfood –bis eine faule Auster sie ins Krankenhaus schickte. Heute betreibt die 37-Jährige ihren eigenen Feinkostladen. Und der ist ausschließlich vegan, was immer wieder für Erklärungsbedarf sorgt
„Als ich nach dem Austern-Fiasko von überwiegend vegetarisch auf strikt vegan umgestiegen bin, stellte ich fest: Da gibt es nichts Gutes! Mir fehlten die Käseplatten und Weine so sehr, all das köstliche Barfood … Also dachte ich mir, da muss was her!“ Eben ihr eigener Laden.
Unlängst habe ihr eine Frau erklärt, sie könne ein Tier nicht essen, dessen Namen sie kenne
Seit Oktober 2019 serviert sie vor ihrer Tür auf ein paar Stehpulten und im Schanigarten auf dem schmalen kopf steingepflasterten Gässchen Kleinig keiten und Brunch. Sie stellt eigene Produkte her und richtet Caterings an. Mittlerweile ist Pepper & Ginny zu einer Art Kompetenzzentrum in Sachen veganer Delikatessen herangewachsen: Köche kommen zu Haromy, um zu gustieren, Stammkunden decken sich hier ein, Eltern lassen sich beraten, wie sie ihre veganen Kinder bekochen können. „Man merkt, dass die Men schen offener werden. Sie wollen ihren Fleischkonsum reduzieren.“
Vor allem die Netflix-Doku „Sea spiracy“ aus dem Vorjahr, die Aus wirkungen des industriellen Fisch fangs auf das Ökosystem der Meere zeigt, habe bei vielen eingeschlagen. Tägliche Diskussionen gebe es trotz dem. „Es ist schräg, dass sich viele Fleischesser*innen von veganen
Produkten, die tierische Klassiker imitieren, persönlich angegriffen fühlen“, sagt Haromy. „Warum müs sen die Produkte so aussehen oder heißen, werde ich oft gefragt.“ Ihre Antwort: „Warum nicht?“ Es gebe eine Reihe von Gründen, vegan zu leben. Meist sind ethische Motive entscheidend, nicht die Frage des Geschmacks. Vielen Veganer*innen geht es wie Manuela Haromy: Sie vermissen gewohnte Lieblingsspeisen und substituieren sie durch veganen Ersatz.
Häufig kommt es zu wirren Unter haltungen mit Kund*innen. „Fast alle sagen, sie würden ohnehin nur beim Biobauern des Vertrauens kaufen. Und viele haben das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.“ Unlängst habe ihr eine Frau erklärt, sie können ein Tier nicht essen, dessen Namen sie kenne. „Sonst bin ich nicht schmähstad“, lacht Haromy. „Aber da war ich echt baff.“
Beef kommt im veganen Feinkost laden von Manuela Haromy nicht in die Tüte. Sie ist keine Missionarin, aber Beraterin mit Begeisterung. Camem bert oder doch lieber Trüffelpecorino? Die Karotten für den Räucherlox mit dem Gemüseschäler oder der Maschi ne hobeln? Besser Rauchsalz oder Liquid Smoke in die Marinade? 24 oder 48 Stunden ziehen lassen?
Fragen über Fragen – Manuela Ha romy hat auf jede eine Antwort. Und sollten jemals vegane Austern auf den Markt kommen, ist sie bestimmt die Erste, die davon weiß. pepperandginny.at
MEINE BESTEN
VIER
TIERFREUNDLICHER GENUSS
Fleischloserei
Ludiana
9., Spitalgasse 13 ludiana.at
Mit veganen Nahrungsmitteln lassen sich inzwischen schon ganze Fast-Food-Ketten und Supermärkte füllen.
In anderen Lebensbereichen ist das plant-based Sortiment zwar noch überschaubarer, trotzdem ist die Bandbreite im veganen Conceptstore Ludiana am Alsergrund beachtlich: Handverlesenes von Kosmetika über Düfte, Feinkost bis zu Dingen, die ohnehin meistens vegan sind – etwa Yoga-Merch und Taschen.
Safety first: Hier können Veganer*innen nicht danebengreifen
Green Ground
9., Porzellangasse 14–16 www.greenground.at
Vegane Mode ist ein schwie riges Thema. Meist oszilliert sie zwischen Aktivist*innenuniform und schnarchigem Öko-Biedermeier.
Besser bei Green Ground. Hier gibt es nachhaltige Mode ausgewählter Fair-Labels, die ohne Pelz, Leder, Horn, Perlmutt, Bienenwachs oder Lanolin (Schafswollfett) auskommt und trotzdem nicht schon von weitem „Öko-Fundi“ schreit.
8., Josefstädter Str. 47–49 fleischloserei.at
Die erste vegane Fleischerei des Landes hat die Maskera de von Lebensmitteln perfek tioniert: Ihre Seitan-Kräuter seitling-Steaks sind so saftig, dass selbst Fleischesser*innen schwören würden, sie triefen nur so vor Rinderblut. Kommt aber natürlich gar nicht in die Vitrine! Dafür so ziemlich alles andere, wonach es Veganer*innen gelegentlich gelüstet.
Ausnahmsweise
6., Hofmühlgasse 18/5 www.ausnahmsweise.at
Süßes in Form von Fein gebäck ist eine gefürchtete Schwachstelle im veganen Lifestyle. Dabei schmeckt auch vegane Pâtisserie, wenn man weiß, was man tut. Und die Leute vom Mariahilfer Café Ausnahmsweise wissen das glücklicherweise sehr genau. In dem kleinen Lokal gibt es nicht nur vegane und glutenfreie Snacks und fantastisches Backwerk, die Eingeweihten geben ihr fundiertes Wissen auch in Backkursen weiter.
MASKERADE
FRAU MIT EISERNER MASKE
VON VERENA RANDOLFSie ist gewohnt, Masken zu tragen. Es gehört zu ihrer Routine. Bei unserem Gespräch setzt sie diese auf: eloquente, reflektierte und smarte Business-Frau. Bei den ausschweifen den Abendessen, die sie für ihre Freun d*innen gibt, spielt sie die exaltierte Gastgeberin. An der Seite ihres Man nes, eines weltberühmten Opern sängers, mimt sie die strahlende Be gleiterin. Und am Pornoset? Da ist sie einfühlsam. Adrineh Simonian wechselt ihre Masken scheinbar mühelos.
Adrineh schon routinierten Umgang mit Masken: Nach einem sexuellen Missbrauch im Kindergarten legte sie sich eine undurchdringliche Schale zu. Im neuen Wohnort Wien wurde diese dann noch härter. Wegen ihrer dunklen Augen und dem dichten, schwarzen Haar von anderen Kindern gehänselt, half ihr eine Art eiserne Maske, die sie auch später noch immer wieder aufsetzen würde.
Lustver mit tlerin
Lange wurden Adrineh Simonian, 49, Rollen zuge wiesen: als Kind aus dem Iran emigrierter armenischer Eltern in Wien, als Frau, am Konservatorium, später als Mezzosopranistin an der Volksoper. Mit 42 hatte sie genug davon und machte sich als Produzentin und Regis seurin feministischer Pornos selbstständig. Seither insze niert sie die weibliche Lust als Hauptrolle auf ihrer Bühne
Das hat sie gelernt, könnte man sagen. 1973 als Kind armenischer Eltern in Teheran geboren, wollte ihr Vater, ein erfolgreicher Geschäfts mann, für seine Kinder eine bessere Zukunft. So zog die Familie 1977 nach Wien. Als Vierjährige hatte
In Österreich ist nur eine Hand voll Menschen auf der Opernbühne berühmt geworden. Adrineh Simonian nicht. Nach einem Klavierstudium an der Hochschule für Musik und dar stellende Kunst machte die heute 49-Jährige eine Gesangsausbildung am Konservatorium der Stadt Wien. Die Zeit an der Hochschule sei hart für sie gewesen, erzählt sie. Als 16-Jährige habe sie sich psychisch am Rand des Gesunden bewegt, total in sich zurückgezogen und ein weit gehend isoliertes Leben geführt.
Ein Jahr lang habe sie mit nie mandem gesprochen, schließlich fing sie wieder an, Menschen zu grüßen und Small Talk zu führen. Ihre eiserne Maske nahm sie nun immer öfter ab. Als Mezzosopranistin debütierte sie 2000 an der Kammeroper, ab 2001 war sie festes Ensemblemitglied an
Adrineh Simonian nutzt Masken seit ihrer Kindheit in Teheran. Die Maske der Opernsängerin hat sie mit 42 abgelegt, um Pornoregisseurin zu werden
„Sex und Singen sind sehr körperbetont. Um richtig gut zu sein, ist es da wie dort unerlässlich, seinen Körper sehr gut zu kennen“
STAGE ME TONIGHT November-Highlights im brut
Das Monat läutet Malika Fankha mit der Premiere Technicolor Dreamz ein, in der sie einen Gegenentwurf zum gängigen Science-Fiction-Narrativ schafft. Daniela Georgieva und Hugo Le Brigand lassen sich für ihr poetisch-minimalistisches Duett 270206 von der Bewegungssprache des Judson Dance Theater inspirieren, und Justitia! Identity Cases von Gin Müller, Sandra Selimovi, Mariama Diallo und Edwarda Gurrola manifestiert Identitätsprozesse im Gerichts-Setting. Zudem lädt Roland Rauschmeier zu Studiobesuchen ein, und ein Jubiläum steht auch an: 15 Jahre brut werden mit einer Roller-Disco gefeiert!
MIT UND
OHNE WORTE
Mitmachausstellung für Kinder von 6 bis 12
EIN MUSS FÜR ALLE DESIGNLIEBHABER*INNEN
Der MAK Design Shop ist die Adresse für exklusives Design sowie auserlesene Geschenke. Wohn-, Mode- und LifestyleAccessoires von Designer*innen aus Österreich und der ganzen Welt finden sich hier ebenso wie Designklassiker und eigens zu MAK-Ausstellungen entworfene Produkte.
Sprache, Schrift, Zeichen, Gebärde, Mimik, Gesang, Musik, Malerei, Tanz, das alles und noch viel mehr ist Kommunikation.
In unserer Mitmachausstellung entdecken die Kinder viele Möglichkeiten, um sich mitzuteilen und andere zu verstehen.
An unterschiedlichen Stationen können sie ihre Kommuni kationsfähigkeiten erweitern und mit Pantomime, BrailleSchrift oder Gebärdensprache experimentieren. Ist, wenn der Code geknackt ist, die Information auch tatsäch lich zu kapieren? Schnell wird klar, dass ohne Achtsamkeit und Respekt Verständigung unmöglich ist.
ZOOM Kindermuseum 7., Museumsplatz 1 Fixe Beginnzeiten! Tickets unter: Tel. 01/524 79 08 www.kindermuseum.at ©
brut 20., Nordwestbahnstraße 8–10 Mo–Do 10–16 Uhr, Fr 10–14 Uhr Tel. 01/587 87 74 info@brut-wien.at www.brut-wien.at
Staatsoberhäupter entschuldigen sich. Beginnend mit Willi Brandt, der 1970 vor dem Denkmal des Warschauer Ghet toaufstandes auf die Knie fiel, bekunden in der Videoarbeit Apologies des taiwanesisch-amerikanischen Filmkünstlers James T. Hong in einem Zusammenschnitt Staatsoberhäupter der ganzen Welt ihr Bedauern. Sie entschuldigen sich in einem symbolischen Akt der Reue für staatlich angeordnete oder sanktionierte Verbrechen. Die Literaturwissenschaftlerin und Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger stellte fest: „Man sagt ‚Nie wieder‘ und dann schauen Sie sich mal all die Massaker an, die inzwischen passiert sind. Es ist absurd zu sagen, es soll nicht wieder passieren.“
Jüdisches Museum Wien 1., Dorotheergasse 11 So–Fr 10–18 Uhr, Sa geschlossen www.jmw.at
MAK Design Shop Ausgewähltes Design 1., Stubenring 5 Di 10–21, Mi–So 10–18 Uhr Tel. 01/711 36-228 service@MAKdesignshop.at www.MAKdesignshop.at
der Volksoper. Sie sang unter anderem die Titelrolle in „Carmen“. In ihre Rollen schlüpfte sie „mit Haut und Haar“, erarbeitete in mühevoller Vorbereitung eine Körpersprache und Gedankenwelt für ihre Figuren – auch bei zahlreichen internationalen Gastengagements.
Doch seit 2014 habe sie nicht mehr gesungen, erzählt Adrineh bei koffeinfreiem Cappuccino im Delias in der Wiener Innenstadt. Sie trägt eine schwarze Schildkappe und dunkle Schlabberklamotten. „Keinen einzigen Ton, nicht einmal zu Hause.“ Nach einem Gespräch in der Opernkantine, in dem das Wort „Porno“ viel zu laut gefallen war und alle Anwesenden in kurzer Verlegenheit erstarren ließ, begann sie sich intensiv mit Porno grafie zu beschäftigen. Zwei Dinge fielen ihr dabei auf: Zum einen wird der Sexfilm immer noch tabuisiert, obwohl die Kulturgeschichte der Pornografie bis in die Steinzeit zu rückreicht – bereits in Höhlen malereien 30.000 Jahre vor Chris tus wurden vergrößerte Genitalien dargestellt. Zweitens gab es keine Pornografie, die ihr gefiel. Die Lust der Frau spielt in herkömmlichen Sexfilmen keine Rolle. Sie sah darin eine Marktlücke, die sie zuerst frustrierte und dann zu eigenem Handeln brachte: Mit 42 streifte Simonian die Rolle als Opernsängerin ab und kündigte ihr Engagement, um sich als feministische Pornoregisseurin und produzentin selbstständig zu machen. Ganz schön krass. „Gar nicht so“, sagt Simonian. Sie hatte
sich emanzipiert. Die Rolle der Ange passten war zu Ende. Sie tat, was sie wollte, ohne auf gesellschaftliche Konventionen oder die Erwartungen ihrer Familie Rücksicht zu nehmen.
Sex und Singen sind sehr körper betont. Um richtig gut zu sein, ist es da wie dort unerlässlich, seinen Kör per sehr gut zu kennen. „Ich persön lich empfinde den Sprung von der Opernbühne auf ein Pornoset über haupt nicht groß. Für mich war es als Sängerin immer wichtig, die Emotio nen meiner Figur so authentisch wie möglich darzustellen. Um genau diese Authentizität geht es mir jetzt auch.“ Für ihre Opernrollen hatte sie jeweils ein Psychogramm erstellt, und so gehe sie nun auch in ihren Filmen vor. „Mich interessieren mehr die Psycho logie der Sexualität und der authenti sche Selbstausdruck beim Sex. Die Authentizität ist mir irre wichtig. Die Körperlichkeit und die Körpersprache.“
Was hat sich geändert, seit sie ihr Geld mit Pornografie verdient? „Es ist eine Schizophrenie der Gesell schaft“, wie sie meint. „Adrineh, die Opernsängerin“ galt als erhaben, „Adrineh, der Pornoregisseurin“ hafte plötzlich etwas Schmuddeliges an. „Das erstaunt mich, schließlich bin ich derselbe Mensch!“
Adrineh Simonian betreibt die Pornoplattform Arthouse Vienna, die für einen neuen, feministischen, ästhetischen Zugang zur Pornografie steht: arthousevienna.com
MASKERADE
VON JULIA FUCHSRollenspielerin
Die Welt, und vor allem jene des Films, Fernsehens und der Bühne, ist alles andere als niederschwellig. Schau spielerin Yuria Knoll, 26, nimmt erfolgreich jede Hürde. Nur die in den Köpfen ande rer Leute sind mitunter hartnäckig
YURIA ALS JULIA
VON ANNA GOLDENBERGSchauspielerei ist auch Maskerade. Und ein Rollstuhl am Theater ein Requisit. Was aber, wenn man ihn wie Yuria Knoll nach der Aufführung nicht loswird?
Als Kind wollte Yuria Knoll Astro nautin werden: „Der erste Schritt ist, sich vorzustellen, dass es möglich ist!“ Und der zweite? Genau hinschauen, ob es wirklich so attraktiv ist. Ihre Recherche ergab: Astronaut *innen haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken, weil sie im Weltall gefährlicher Strahlung ausgesetzt sind. Das braucht Yuria Knoll nicht auch noch. Die 26 Jährige wurde mit einer Behinderung geboren, langwie rige medizinische Behandlungen waren die Folge. So wählte sie einen anderen Beruf, bei dem man sich über Raum und Zeit hinwegsetzen kann: die Schauspielerei.
2015 war Knoll erstmals Teil des Ensembles „Junges Volkstheater“. Seither tritt sie auf österreichischen Bühnen auf. Im September eröffnete der „Dschungel Wien“ seine Saison mit dem Stück „Hexen“. Knoll spielt
eine von vier, die mit ihren magischen Kräften eine Welt gestalten wollen, „in der niemand zurückbleibt“, wie der Ankündigungstext verspricht. Wie es sich anfühlt, wenn es einem droht, zurückgelassen zu werden, weiß Knoll genau: Sie tritt im Rollstuhl auf und bleibt auch danach in ihm sitzen. Seit nunmehr sechs Jahren.
Trotzdem ist Yuria Knoll „Avant garde“. 2019 legte sie als Einzige im Rollstuhl vor einer Kommission aus Vertreter*innen von Bühnengewerk schaft und Theaterunternehmerver bänden den ersten Teil der dreiglied rigen Bühnenreifeprüfung in Wien ab.
In Österreich leben rund 1,3 Millionen Menschen mit zumin dest einer Behinderung, 40.000 verwenden dauerhaft einen Rollstuhl. Dennoch scheint die Gesellschaft für Menschen wie Knoll nicht bereit zu
Sie tritt im Rollstuhl auf und bleibt auch danach in ihm sitzen. Seit nunmehr sechs Jahren
sein, die Welt von Film und Fernse hen schon gar nicht. Das beginnt bei unüberwindbaren Hindernissen in nicht barrierefreien Schauspielschulen und setzt sich in Inszenierungen fort, in denen Behinderungen nur eine Art Special Effect sind. Selbst dann gehen die Rollen hauptsächlich an Schauspieler*innen ohne Behinde rung. So bleibt am Theater oder im Film eine Behinderung nur Maskerade, und nicht einmal an dieser dürfen behinderte Menschen teilnehmen.
„Ich wünsche mir zwar manchmal weniger Hürden“, sagt Knoll. „Aber ich wünsch’ mir nie, dass mein Körper anders ist.“ Sie tritt selbstbewusst auf und redet viel über die Arbeit in der freien Szene, der sie sich zugehörig fühlt, und ihren Einstieg ins Berufsleben. Bis zum Juli dieses Jahres bezog sie Mindestsicherung, nun ist sie als selbstständig gemeldet. Die CoronaPandemie bremste auch ihre Karriere, wegen des Gesundheitsrisikos musste sie isoliert bleiben. „Ich war superneidisch auf alle, die mit Coronatest an Festivals teilnehmen konnten.“
Knoll gibt die Rahmenbedingun gen für ihre Auftritte in der Öffentlich keit vor: Die medizinische Diagnose, Details zu ihrer Familie und Informati onen über den Treffpunkt, ein Café in Wien, in dessen Nähe sie wohnt, gingen niemanden etwas an. Behin derten Menschen werde oft genug die Privatsphäre abgesprochen. Yuria Knoll hat sich für das Rampenlicht entschieden und will dabei selbst bestimmen, was der Scheinwerfer anstrahlt.
Ein wenig Privates erzählt sie aber doch: Als Tochter eines Öster reichers und einer Brasilianerin in Japan geboren, wo der Vater damals arbeitete, wuchs sie in Salzburg auf. Mit 15 Jahren kam sie nach Wien und an die Handelsschule im Schulzentrum
Ungargasse, das auf körperbehinderte Schüler*innen ausgerichtet ist. Wegen medizinischer Probleme fehlte Knoll oft, schloss letztendlich ohne Matura ab. Aber da wollte sie ohnehin schon auf die Bühne und nicht ins Büro.
An der einzigen barrierefreien Wiener Schauspielschule studierte sie ein halbes Jahr lang, bis eine Lehrerin den Kommentar fallen ließ: Nicht nur im Rollstuhl, sondern auch noch übergewichtig sei aus ihrer Sicht ein doppeltes Handicap. Knoll ging ab. Was sollte sie von einer Lehrerin lernen, die sichtlich nicht daran glaubte, dass sie das Zeug zur Schauspielerin hat?
Wer weiß, sinniert Knoll heute, welche diskriminierenden Kommenta re sie an anderen Universitäten gehört hätte. Sie wollte „so frei von Diskriminierung wie möglich“ leben und nahm Privatstunden, lernte in Workshops und Produktionen, teils in der freien Szene.
Seit die Pandemie vorbei ist, läuft es gut. Bis Jahresende ist Yuria Knoll mit Aufträgen eingedeckt. „Ich mag es, etwas zu erkunden, das weit weg von meiner eigenen Realität ist.“ So frei ist allerdings auch die Welt des Schauspiels nicht: In der Branche ist es üblich, für Rollen gewisse „Typen“ zu casten. Das gilt auch für Knoll: „Ich bekomme viele tragische Rollen angeboten.“
Im Gegensatz zu anderen Schauspielkolleg*innen in ihrem Alter dreht sich ihre Storyline selten um Liebe oder Sexualität. Stattdessen wird ihre Behinderung oft zum Teil der Handlung gemacht. „Mir ist eh klar, dass ich keine Marathonläuferin spielen werde“, sagt Knoll. „Aber warum nicht die Julia?“ Der erste Schritt ist, sich vorzustellen, dass es möglich ist.
Was sollte sie von einer Lehrerin lernen, die sichtlich nicht daran glaubte, dass sie das Zeug zur Schauspielerin hat?Eine Behinderung bleibt in vielen Inszenierungen
ein Special Effect, der Rollstuhl wird dann zur eigentlichen Hauptrolle gemachtYuria Knoll und ihre Mitperformer*innen Die Schauspielerin hat sich fürs Rampenlicht entschieden –und für Selbstbestimmtheit
MEINE BESTEN VIER
BARRIEREFREI UNTERWEGS
MuseumsQuartier Hallen E + G
7., Museumsplatz 1 www.halleneg.at
Man kennt es: Man ist un terwegs und muss aufs Klo. Doch Toiletten sind ein rares Gut im Wiener öffentlichen Raum, von kostenfreiem Zugang ganz zu schweigen. Besonders schwierig ist das Unterfangen für Menschen mit Behinderung. Schauspie lerin Yuria Knoll lobt deshalb die Ausstattung der Hallen E + G im MQ. Die verfügen über Behinderten-WCs mit barrierefreiem Zugang, sechs kostenlosen Parkplätzen, die für Menschen mit Behinde rung reserviert sind, sowie über induktive Höranlagen in den Veranstaltungshallen und stufenlose Eingangs- und breite Lifttüren. Blindenhunde sind willkommen.
Stadt hallenbad
ra’mien
6., Gumpendorfer Str. 9 www.ramien.at
Yuria Knolls Lokaltipp: das Restaurant ra’mien in der Gumpendorfer Straße, weil es ebenerdig zugänglich ist und man im Rollstuhl gut draußen sitzen kann. Allerdings will der Besuch generalstabsmäßig geplant sein, vor allem was den Konsum von Flüssigkeiten aka Alkohol angeht: Das ra’mi en verfügt leider über keine barrierefreie Toilette.
15., Hütteldorfer Str. 2H www.stadthalle.com
Im architektonischen Denk mal Roland Rainers und der größten Veranstaltungsarena Österreichs befindet sich auch das größte Hallenbad der Stadt plus Wellnessetage. Und die können auch Men schen mit Behinderung gut nutzen, denn es gibt einen Lift, der den Zugang zur barriere freien Umkleide mit Duschen und Toilette ermöglicht, sowie einen mobilen Lifter, der bei Bedarf ins Schwimmbecken hilft. Außerdem führen Blin denleitsysteme vom Gehsteig bis zum Stadthallenbad und im gesamten Gebäude.
virtuelle Stadtplan für einen barrierefreien Alltag
Wheelmap
wheelmap.org
Wir tun ja gerne so, als würde der öffentliche Raum allen gleichermaßen gehören.
Tatsächlich ist seine Nutzung für Menschen mit Behinde rung ein Spießrutenlauf, der von einer Barriere zur nächs ten führt. Doch der digitale Stadtplan des Berliner Vereins Sozialhelden kann helfen.
Wheelmap findet und markiert rollstuhlgerechte Orte ver schiedener Kategorien mittels einfachen Ampelsystems nach Zugänglichkeit.
UNSEEN PLACES. GREGOR SAILER Architekturfotografie bis 19. Februar
Fotografieren bei minus 50 Grad in der Arktis? Unter teils extremen Bedingungen reist der Tiroler Fotograf zu entlegenen Orten weltweit, um unzugängliche Landschaften, abgeriegelte Territorien oder militärische Sperrgebiete mit der Kamera einzufangen.
In seinen beeindruckenden Bildkompositionen zeigt er unbekannte Gegenden in Russland, der kalifornischen MojaveWüste oder in Katar. Sailers Fotos sind menschenleer –Gebäude wirken wie Skulpturen. Ob Klimawandel, politische Konflikte oder ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis: Seine Bilder offenbaren die Dynamiken, die zur Existenz solcher Orte führen.
SOHO STUDIOS im Ottakringer Sandleitenhof …
… sind ein offener Ort für Kunst, Kultur und sozialen Austausch und bieten die nötige Infrastruktur für viele neue Ideen. Wir bespielen, kooperieren & vermieten!
3., Untere Weißgerberstraße 13 Täglich 10–18 Uhr Tel. 01/712 04 91 www.kunsthauswien.com
SOHO STUDIOS
16, Liebknechtgasse 32 Tel. 0664/397 52 89 info@sohostudios.at vermietung@sohostudios.at aktuelles Programm: sohostudios.at
LOOK Heidi Horten Collection
Die Ausstellung LOOK ist eine Hommage an die Museums gründerin Heidi Goëss-Horten, an ihren Stil und ihre Vorlieben. Sie verbindet einen Schwerpunkt der Sammlung – das Bild der Frau und der Blick auf Frauen – mit dem Thema Mode. So ist diese erste Themenausstellung im neu eröffneten Museum auch eine sehr persönliche Präsentation, bei der Gemälde, Skulpturen und Objekte – von Bacon, Dubuffet, Matisse und Warhol bis zu zeitgenössischen Positionen von Silvie Fleury oder Birgit Jürgenssen – zueinander in Beziehung gesetzt werden. In acht Kapiteln, die auf unterschiedliche Aspekte von Weiblichkeit eingehen, ergänzen sich Kunst und Mode zu einem Gesamtbild, heben die Besonderheit ihres Gegenübers hervor oder bilden einen starken Kontrast.
Heidi Horten Collection 1., Hanuschgasse 3 Tel. 01/512 50 20 (werktags 9–12 Uhr) info@hortencollection.com www.hortencollection.com
Öffnungszeiten:
Täglich außer Dienstag 11–19 Uhr Donnerstag 11–21 Uhr, mit freiem Eintritt von 18–21 Uhr
WIR FRESSEN KEINE KATZEN!
VON VERENA RANDOLFBlack-/Death-Metal-Musikern
Früher kümmerten sich Misanthropic Might vor ihren Auftritten um die Mas ke. In meist engen Backstage-Garde roben drängten sich die vier Musiker mit Kajalstiften in den Händen vor dem Spiegel, malten sich Streifen ins Gesicht und wedelten nach der Show mit Abschminktüchern. Entwürdigend. So hat sich Christoph, der Drummer der Band, etwas einfallen lassen. Das Maskenproblem wurde gelöst. Aber wie?
Misanthropic Might wurden 2000 von Christoph (Drums) und Markus (Bass & Lead Gesang) gegründet, Fredl (Gitarre & Gesang) und Otto (Gitarre) komplettierten die Band ein paar Jahre später. Die aus Wien und Niederösterreich stammenden Musi ker sind Anfang der 1990er-Jahre über Punk und Hardcore bei Death und Black Metal gelandet. Christoph ist im Brotberuf Fahrlehrer, Fredl arbei tet als Geschäftsführer eines Sanitär fachhandels. Ihre Musik betreiben die vier als Hobby, ihre Band ist eine feste Größe in der heimischen Metal-Szene. Ein strahlend sonniger Sonntagnachmit
tag in einem Lokal am Wiener Gürtel. Christoph und Fredl tragen Schwarz, trinken Bier und zupfen Chili vom überbackenen Brot. Zu scharf. Zwei leiwande Typen, die sich dem Men schenhass verschrieben haben. 100erNägel spielen in ihrer Geschichte eine Rolle und die gut inszenierte Maskera de sowieso. Wir sprechen Black/ Death Metal.
Kellerlacher
Sieht man die Wiener Schwarz metaller von Misanthropic Might, Otto, Christoph, Markus und Fredl, auf der Bühne, möchte man meinen, sie würden zum Lachen in den Keller gehen. Dabei ist ihr finsteres Auftreten künstlerisch inszenierte Gesellschaftskritik. Abseits der Bühne stehen die vier beruflich wie sozial mitten im Leben
Man konnte euch aus der Ferne lachen sehen!
FREDL: Verrat uns bloß nicht!
CHRISTOPH: Manchmal lachen Black / Death Metaler. Heimlich.
Gruselige Kriegsbemalung als Maske des Menschenhasses. Den
„Misanthropic Might“ ist es todernst. Sie erklären, weshalb
„Wenn man in einer normalen Disco eine unserer Nummern spielt, glauben die Leute, die Box sei kaputt“Liabe, leiwande Leut’: Die Misanthropen (v. l.) Markus, Otto, Fredl und Christoph abseits der Bühne
Tragt ihr bei euren Konzerten Mas ke, damit niemand sieht, wie fröh lich ihr beim Spielen seid?
CHRISTOPH: Manchmal kommt uns tatsächlich ein Lacher aus. Aber Black und Black/Death Metal sind die bru talste Art der Rebellion. Sie ist von der Attitude her so ernst, dass es da nichts zu lachen gibt. Wenn du auf der Bühne stehst, ist das ein erhabener Moment, kein lustiger.
Woher kommt die Tradition der Maske in diesen Musikrichtungen?
CHRISTOPH: Es geht ums Ent menschlichen. Du hast automatisch eine bedrohlichere Ausstrahlung. Ur sprünglich kommt die Idee von der Kriegsbemalung heidnischer Völker. Im Black Metal kommt die Idee des Corpse Paint dazu, also die der Lei chenbemalung. Die Musik wirkt ein fach böser, wenn du eine Maske trägst. Sie unterstreicht die Botschaft. Das Konzept unserer Musik ist tiefer Men schenhass. Die Maske unterstützt die Dramaturgie, wie bei einem Clown, der ja auch deswegen eine Maske trägt.
FREDL: Zum einen tragen wir die Maske für die Show, für den Effekt im Publikum. Auf der anderen Seite aber auch für uns selbst. Du schlüpfst leich ter in die Rolle, das Feeling auf der Bühne ist anders.
Wie habt ihr die richtige Maske für euch gefunden? Sitzt man da vor dem Spiegel, malt sich an und pro biert einfach aus?
FREDL: Es sucht jeder sein Ding. Mein
erstes Totenkopfdesign war aus einem Film. Das probiert man dann zuhause.
CHRISTOPH: Die Schminkerei war aber echt mühsam. Wer hat die Farbe mit? Wo sind die Abschminktücher? Das alles in den engen Backstage-Räumen und unter Zeitdruck – nicht leiwand.
Auch ein bisschen grindig: Es ist heiß, du schwitzt, der ganze Batz klebt und rinnt dir irgendwann wieder aus dem Gesicht …
CHRISTOPH: Da ist die Schminke allein ja noch harmlos. Ich habe einmal in einer Band gespielt, geschminkt, und dann haben wir uns auch noch Schwei neblut über den Kopf gegossen. Am Anfang geht’s noch, aber nach zwei Stunden fängt das in den Haaren richtig zum Miachteln an. Da müsstest du nachher fast duschen (lacht).
Ihr leidet also schon auch ein bisschen, wenn ihr auf der Bühne steht?
CHRISTOPH: Das ist definitiv über trieben. Auf der Bühne zu stehen ist das Beste überhaupt. Ich persönlich sehe das ganze Leben als Kampf, den ich ge winnen oder verlieren kann. Das münze ich auf die Musik. Außerdem halte ich Menschen für von Grund auf böse. Die Musik ist ein gutes Ventil, um diesen Menschenhass zu kanalisieren.
Wie habt ihr das Masken-SchminkDilemma für euch gelöst?
FREDL: Mittlerweile tragen wir selbst angefertigte Masken – nach einer Idee von Christoph. Der hat irgendwann an gefangen, Sturmmasken, die man unter
den Motorradhelm zieht, mit Acrylfarbe zu bemalen. Er hat mit einem 100erNagel darauf gezeichnet, und das sieht gut aus. Jetzt müssen wir nur noch die Augenpartien mit schwarzer Schuhpaste bemalen. Maximaler Effekt, wenig Aufwand.
CHRISTOPH: Die Masken kann man sogar waschen. Aber besser im Wasch becken als in der Waschmaschine.
Im Metal trägt ja auch das Publi kum eine Art Uniform: Schwarze Klamotten, lange Haare und die Shirts einschlägiger Bands. Wieso ist das wichtig?
FREDL: So streng ist das heute nicht mehr. Man darf auch mit kurzen Haa ren zu Metal-Konzerten kommen. Aber grundsätzlich stimmt das: Es gibt bestimmte Erkennungsmerkmale, die dich als Teil dieser Szene ausmachen. Unser Publikum ist eine homogene Menge an Leuten, die alle so ziemlich auf einer Wellenlänge sind.
CHRISTOPH: Unsere Musik ist halt auch sehr speziell. Wenn man in einer normalen Disco eine unserer Nummern spielt, glauben die Leute, die Box sei kaputt. Das ist genau der erwünschte Effekt: Menschen, die nicht aus der Sze ne sind, werden abgeschreckt. Für viele klingt die Musik wie Lärm. Man muss erst ein Gehör dafür entwickeln, weil sie sehr schnell und brutal ist, und dann versuchen, den roten Faden zu finden.
FREDL: Da in unserem Publikum aber fast nur Leute stehen, die diese Art von Musik schätzen, gibt es bei uns viel we niger Rangeleien als bei anderen Kon
zerten, wo alle möglichen Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, zusammengewürfelt werden.
In eurer Musik geht es um Mord, Vergewaltigung und Totschlag. Eure Outfits erinnern an Leichen bemalung. Aber ihr seid an sich umgängliche Typen. Ist dieses harte, böse Auftreten eure Maske? FREDL: Es ist halt ein Spiegel der Gesellschaft! Wir sind natürlich keine kinderfressenden Mörder und stehen alle beruflich sowie sozial mitten im Leben. Die Musik und das Auftreten sollen abschrecken, aber wir sind ei gentlich liabe, leiwande Leut‘. Die Menschen sind halt im Umgang mit einander unehrlich. Im Schlager singen sie ständig „Schenk mir dein Herz!“ Eine Farce und völlig verlogen!
CHRISTOPH: Natürlich ist es auch eine Maske! Aber es ist ebenso das Ausleben extremer Gefühle, ein Aus druck von Rebellion, der verdammte Mittelfinger im Gesicht der Gesell schaft. Trotzdem ist der Großteil der Leute in der Szene umgänglich und recht intelligent … Viele Katzenbesitzer, mich eingeschlossen (lacht).
FREDL: Ich habe ein verkehrtes Pen tagramm eintätowiert. Das heißt aber nicht, dass ich Tiere schlachte. Auch ich habe zwei Katzen.
Die zuletzt erschienenen Alben: „Menschenhasser“ (2014) und „Feindt“ (2018). Infos zu Auftritten: www.facebook.com/misanthro picmight und slavetrader@gmx.at
Totem Records
7., Zollergasse 18–20 www.facebook.com/ totem.records
Von den späten 80ern bis in die frühen Nuller Jahre tourte Alex Wank als Schlagzeuger von Pungent Stench, Öster reichs einstmals berühmtester DeathMetal Band, durch die Lande. Weil nur Rockstar sein halt auch fad ist, betreibt Wank seit 1998 mit Totem Records ein Schlaraffenland für Todmetaller: Hier gibt’s eine große Auswahl an Black und Death Metal CDs und Platten, diverse Fanzines, Bücher und düsteres Merchandise.
Viper Room
3., Landstraßer Hauptstr. 38 www.viper-room.at
Der Viper Room, bescheiden nach Johnny Depps ehemaligem berüchtigten Club in West Hollywood benannt, versucht einen Hauch von L. A. Feeling nach Wien zu importieren. Die Gemeinsamkeiten des Wiener Szenekellerbeisls mit dem Original: In beiden ist es dunkel, es wird exzessiv gefeiert und es gibt LiveAuftritte.
Escape Metal Corner
7., Neustiftgasse 116/118 www.escape-metalcorner.at
Das Escape ist eines der Stammlokale der Misanth ropen, die dort auch immer wieder mal im Keller auf der Bühne stehen, und es ist auch das letzte verbliebene Wohn zimmer aller Wiener Metal heads. „Hier triffst immer wen zum An der Bar Sitzen und Plaudern“, sagt Misan thropic Might Schlagzeuger Christoph. Kleine, aber umso geballtere Auftritte:
Schlössl-Türsteher: der wohl bekannteste Marmor-Jesus
Concordia Schlössl
Wiens
11., Simmeringer Hauptstraße 283 www.concordia-schloessl.at
TANZ DIE SELBSTERMÄCHTIGUNG!
VON BIRGIT WITTSTOCKAus-derReiheTänzerin
Die in Wien lebende Salz burgerin Karin Cheng, 32, ist professionelle Tänzerin und hat im Voguing nicht nur ihr eigenes Zuhause gefun den, sie ist auch Mutter des Kiki house of dive
Voguing heißt ein Tanz und Lebensstil. Profi-Tänzerin Karin Cheng findet darin Selbstermächtigung und unterstützt als Mother des Voguing-House „Kiki house of dive“ auch andere
„Americano? Cappuccino? Oder lieber eine Melange?“, erkundigt sich der Kellner. „And for you?“, wendet er sich an Karin Cheng. Alltagsrassis mus: 10/10. Nur wenige Minuten zuvor hatte die in Salzburg geborene Tochter chinesischer Migranten ge sagt, sie wolle eigentlich nicht über ihre Diskriminierungserfahrungen sprechen. Das werde ihr oft als sensationalisierend ausgelegt. „Auf Englisch angesprochen zu werden, erinnert mich immer wieder daran, anders zu sein. Meine Herkunft ist keine Maske, die ich ablegen kann.“ Schon stecken wir mitten im Thema, das Karin Cheng ständig begleitet.
Ausgrenzung, der Wunsch, dazu zugehören, das Erfüllen von Rollenbil dern, Rassismus und Diskriminierung – Erfahrungen, die die professionelle Tänzerin Karin Cheng seit der Kind heit prägen. Und die sie als Teenager in ihren ersten Hip-Hop-Tanzkurs führten. Der Groove der Musik zog sie an wie ein Magnet. Aber nicht nur der: Die damals 17-Jährige verstand selbst mit ihrem Schulenglisch, dass sie so manche Erfahrungen von Black America teilte, die in Hip-Hop-Num mern besungen wurden. „Ich habe die Essenz der Musik gespürt, schließlich herrschen auch in Österreich rassisti
dabei
sche Strukturen.“ Ihre alljährlichen Sommerferien in China verstärkten das Gefühl der Fremdheit. „Ich lebte in einer Parallelwelt, gehörte weder in der österreichischen noch in der chinesischen Welt so richtig dazu.“
Karin Cheng fand ihre Heimat im Tanz. Vor allem im Voguing. Ein Stil und ein „Zuhause“ für die von der weißen, heteronormativen Mehrheitsge sellschaft ausgestoßenen Underdogs: „Beim Voguen darf ich mich in den Mittelpunkt stellen und Raum ein nehmen. Das ist empowernd und das Gegenteil von dem, wie man in Öster reich sozialisiert wird. Der Tanz ist Maskerade und völlige Demaskierung zugleich. Man kann dabei Seiten zeigen, die sonst nirgendwo Platz haben.“
Der Tanzstil spielt mit überzeich neten Catwalkposen. Er entstand in den 1970er-Jahren in der BallroomSzene in Harlem, New York. Hier matchten sich die Black-Gay- und Trans-Communities in Voguing-Tanz battles. Die Tänzer*innen, häufig von ihren Geburtsfamilien verstoßen und prekär lebend, formten neue Wahlfa milien, die „Houses“. Dort lebten sie gemeinsam, unterstützten einander und tanzten. Madonna bediente sich bereits 1990 für ihren Hit „Vogue“ bei
Strike a pose: Voguing ist ein Spiel mit exaltierten Modelund Laufstegposen, ein Tanz, mit dem sich Outcasts Raum zurückeroberten
der Community, doch richtig mas sentauglich wurde Voguing erst durch die Serien „Pose“ und „Legendary“. Seither üben sich auch junge weiße Cis-Frauen in schicken Tanzstudios in subversiven Posen – und werden dafür wegen kultureller Aneignung kritisiert.
ausschließen will. Schließlich bin ich ja auch nur Gast in dieser Kultur form.“ Die Debatte ums Voguing schwanke zwischen den binären Polen gut/schlecht, kulturelle Wert schätzung/kulturelle Aneignung oder Ausbeutung – typisch für den euro zentristischen Scheuklappenblick. „Erweitert man die Diskussion um den Begriff der kulturellen Teilnahme, macht alles gleich viel mehr Sinn. Das ist ja schließlich auch, worum es beim Tanz geht: um Teilnahme.“
Auch Karin Cheng stellt sich immer wieder die Frage: „Soll ich das?“ Denn sie voguet nicht nur, sondern unter richtet den Tanzstil auch. So leitete sie letzten Sommer beim ImPulsTanz-Fes tival gemeinsam mit Anna Gaberscik einen Workshop. Außerdem ist sie Hausmutter des Voguing-House „Kiki house of dive“. „Ich habe auf die Frage keine endgültige Antwort“, sagt die 32-jährige Tanzkünstlerin. „Ich kann nur wiedergeben, was jene sagen, die Voguing leben: Es ist für jede Person, aber nicht für jeden Lebensstil.“
Wer ihre Kurse besucht, bloß weil sie oder er die Moves cool fin det, würde bald wieder gehen, sagt Cheng. Sie fordert im Unterricht Tiefgang und persönliche Partizipati on, das wirke wie ein Filter. „Aber ich bin die letzte Person, die jemanden
Cheng reist seit Jahren immer wieder „in das Mekka der Kultur, die mich so fasziniert“, also nach New York, um mit denen, die Voguing leben, auf Partys und Sessions zu tanzen und das, was sie so liebt, in Aktion und im Alltag zu sehen. Dabei fallen ihr auch Tanztourist*innen auf, die alles aufsaugen, mitnehmen und daraus Profit machen. „Für die Men schen in den Communities ist Voguing kulturelle Praxis, Notwendigkeit und Spaß am Ballroom. Die wenigsten hätten sich je gedacht, dass ihr Tanz stil in Tanzschulen auf der ganzen Welt unterrichtet werden würde.“
Ihre eigene rund zehnköpfige Tanz-Familie von „Kiki house of dive“ führt Cheng in der sozialen und künstleri schen Tradition der New Yorker Houses: als Safer Space, in dem man aufein ander schaut, füreinander da ist und miteinander im Ballroom battlet. „Das Tanzen ist schließlich, was die Leute zusammenbringt und zusammenhält.“
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Anders als in vielen europäischen Tänzen, in denen konservative Rollenverteilungen und Schritte vorgegeben sind, geht es beim Voguing um kreativen Ausdruck und darum, gesehen zu werden
„Ich bin die letzte Person, die jemanden ausschließen will. Schließlich bin ich ja auch nur Gast in dieser Kultur form“
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