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Der Country-Noir „Herren der Lage“ von Castle Freeman
Ein Hinterwäldler mit Sheri stern
Mit „Herren der Lage“ setzt Castle Freeman die Country-Noir-Serie um Sheriff Wing auf souveräne Weise fort
Das Genre nennt sich „Country Noir“. Aber ist das nicht nur ein weiteres Werbelabel für amerikanische Regionalkrimis? Ein bisschen mehr ist es schon. Die Wurzeln dieses Subgenres reichen zurück bis zur „Southern Gothic“ eines William Faulkner, gefolgt vom frühen Cormac McCarthy. Jim Thompsons zynisch-nihilistischer „Pop. 1280“ zählt ebenso dazu wie die Louisiana-Romane eines James Lee Burke oder Joe Lansdales Burlesken aus den texanischen Badlands. Auch in Europa bekannt ist Daniel Woodrell: Die Verfilmung seines „Winter’s Bone“ machte Jennifer Lawrence zum Star.
Mit unseren o unaushaltbar „lieben“ Regionalkrimis haben diese Bücher nichts zu tun, schon mehr mit den Mörderballaden eines Johnny Cash oder Nick Cave. Ihre Schauplätze sind die verarmten Counties des „American Heartland“. In diesem vom Neoliberalismus ökonomisch abgehängten Hinterhof der USA ist der amerikanische Traum für den „White Trash“ in idyllischer Landscha längst vorbei.
Als Protagonisten dieser Bücher erleben wir misstrauische, verbitterte und o böse Verlierer, deren Leben von Arbeitslosigkeit, Armut und Kleinkriminalität geprägt ist. Sie schmuggeln, stehlen, konsumieren und verkaufen ihr Metamphetamin oder schwarz gebrannten Schnaps. Einig sind sie sich im Hass und in der Verachtung gegenüber den reichen Städtern in ihren schicken Wochenendhäusern.
Die Grenze zwischen Gut und Böse bleibt in diesen Romanen meist so unscharf wie im klassischen Film Noir. Die Leitdifferenz lautet „us vs. them“. Zwar wissen die „Eingeborenen“, dass sie im offenen Kampf gegen die großkopferten Reichen aus der Stadt keine Chance haben, aber sie erweisen sich als Meister des passiven Widerstandes: „In der Stadt sind sie große Nummern und sie denken, das heißt, dass sie hier oben auch etwas zu bestimmen haben.
Castle Freeman: Herren der Lage. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, 192 S., € 20,95
[…] Wir können sie nicht wegschicken, und wir können sie nicht ändern. Aber wir können sie warten lassen.“
In der ländlichen Community kennt jeder die ebenso ungeschriebenen wie unveränderlichen Regeln. Das erste Gebot lautet: Wir lassen uns von denen gar nichts sagen! Es ist die Grundhaltung einer resignierten, passiv-aggressiven Parallelgesellscha , die jeder als Fortschritt gepriesenen Veränderung misstrauisch gegenübersteht. So auch in Vermont, wo der Autor Castle Freeman seit 50 Jahren lebt: Der Bundesstaat ist bekannt für Ahornsirup, idyllische Waldlandscha en und den Langzeitsenator Bernie Sanders.
In einem grünen Tal Vermonts spielen Freemans Romane mit seinen Alkis, MethHeads, kaputten Veteranen und schrulligen Alten. Sein Held Lucian Wing ist ein „Hinterwäldler mit Sheriffstern“. Dessen „Sheriffing“ ist eine Mischung von Deeskalation, Beobachtung und gelassener NichtIntervention: „Some people do nothing, others do nothing too, but in the right way …“ Freeman selbst beschrieb seinen Helden als „Proponenten des weichen Pfades“, aber auch als xenophoben Reaktionär.
Die eingeschworene Gemeinscha , die so genau weiß, wie sie funktioniert, muss sich gegen neue Eindringlinge wehren. Eine Luxuslimousine mit Chauffeur bringt einen Neuankömmling ins Tal. Ein schmieriger Rechtsanwalt stellt sich als Beau ragter des Milliardärs Rex Lord vor, der in großer Sorge ist, weil seine Stie ochter gemeinsam mit einem jungen Mann aus diesem Tal in Vermont aus ihrer Privatschule verschwunden sei. Sie müsse unbedingt schnell gefunden werden! Mr.Lord werde sich erkenntlich zeigen …
Der Sheriff reagiert misstrauisch: erstens prinzipiell (Auswärtige!) und zweitens, weil ihn der Kerl so herablassend behandelt. Er findet das junge Paar mühelos, aber er denkt gar nicht daran, sie Mr. Lords Männern auszuliefern – weil das Mädchen das nicht will. Die Häscher des Milliardärs aber begeben sich ebenfalls auf die Suche und sie schießen sofort. Dem Sheriff und seinen Kumpanen bleibt nichts anderes übrig, als Romeo und Julia von einem Versteck zum anderen und vor ihren Verfolgern in Schutz zu bringen.
Das gibt Gelegenheit für Kurzau ri e der lokalen Originale. Der Schwiegervater des Sheriffs kennt als reicher, versoffener Anwalt auch die Welt draußen, und Wings uralter Amtsvorgänger balanciert zwischen Demenz und Altersweisheit.
Des Weiteren treten auf: eine pensionierte Lehrerin, ein cooler Deputy und ein riesiger wilder Eber, der wie eine Naturgewalt durch die Szenerie tobt. Aber der Sheriff und seine Helfer hätten keine Chance, das junge Paar vor den Killern zu bewahren, wenn nicht im skurrilen Showdown … Aber lesen Sie selbst!
Wie sein Protagonist beherrscht auch der Autor den Tempowechsel meisterha . Aus dem ländlich-entspannten Idyll beschleunigt er plötzlich innerhalb weniger Sätze bis zur Gewaltexplosion. Die Sprache ist trocken, die Sätze sind meist kurz. Die ruhige Melancholie der Erzählung wird gemildert durch schrägen Humor. „Herren der Lage“ ist Freemans dritter Wing-Roman. Die beiden Vorgänger wurden im Feuilleton vom Guardian über die deutsche Zeit und FAZ als präzise Sozialstudien abgefeiert. Zu Recht wird das Buch vom Verlag nicht als Krimi beworben. Die Übersetzung von Dirk Van Gunsteren kann den Sound des lakonischen Originals weitgehend erhalten. Und im Unterschied zu vielen überlangen pseudo-epischen Krimis braucht Freeman keine 200 Seiten. Dann kann sich sein Sheriff wieder entspannt zurücklehnen, wir können weiterfantasieren vom ruhigen Tal in Vermont. Verfilmung bitte unbedingt von den Coen-Brüdern mit Josef Hader in der Hauptrolle.
RAINER GROSS
Foto: © Leonhard Hilzensauer/Zsolnay Ich liebe meinen Kanzler!
»Das Buch zerlegt eine Szene, in der Politik als Lifestyle- und Narzissmus-Accessoire funktioniert. Höchstes Niveau!«
Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung