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Jugendbücher Klebt an Schokolade Blut? Wie überlebt man in Südafrika?

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie bedeuteten den seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs radikalsten Bruch im Verhältnis des Einzelnen zur Gesellscha . Freiheit und Selbstbestimmung wurden mit den Menschen in den Lockdown geschickt. Selbstisolierung und Solidarität lauteten die Wörter der Stunde. Die Verbindung mit anderen erhielt eine unheilvolle Konnotation – Stichwort: Ansteckung –, und die derzeitige Imp ampagne stellt die Bedürfnisse des Kollektivs ein weiteres Mal über die Entscheidung des Einzelnen. Auch in Hinblick auf die Klimakrise scheint es notwendig, die Handlungsoptionen des Einzelnen im Namen des Überlebens der Menschheit zu beschränken. Neigt sich das Zeitalter des Individualismus seinem Ende zu? Diese Frage mag verfrüht sein. Aber sie kann als Anlass dazu dienen, die komplexe Beziehung des Ichs zur den anderen einer Überprüfung zu unterziehen.

Zwei neue Bücher tun das aus unterschiedlichen Blickwinkeln, ohne dabei auf Lösungen à la „Wie wir das Virus unter Kontrolle bringen“ oder „Wie wir den Planeten retten“ abzuzielen. Im Gegenteil, sie streifen – was der Lektüre zum Vorteil gereicht – diese alles dominierenden Themen nicht einmal.

Hier geht es zur Abwechslung einmal nicht um moralische Vorwürfe oder Maßnahmenvorschläge im Großen oder Kleinen, sondern schlicht um die Reflexion eines Themas, das die Kulturgeschichte von Anfang an begleitet. Der Autor hochgelobter Biografien Rüdiger Safranski tritt in „Einzeln sein“ eine Erkundungsreise durch die Geschichte der Philosophie an. Die Psychoanalytikerin und Philosophin Anne Dufourmantelle untersucht in „Verteidigung des Geheimnisses“ das Spannungsfeld zwischen Privatsphäre und öffentlicher Kontrolle. „Einzeln sein bedeutet, dass man zwar immer irgendwo dazugehört, doch auch imstande ist, für sich allein stehen zu können, ohne seine Identität nur in einer Gruppe zu suchen oder seine Probleme nur auf die Gesellscha abzuwälzen“, definiert Safranski seinen Untersuchungsgegenstand.

Ich und die anderen

Zwei neue Bücher erkunden das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellscha . Die Pandemie spielt dabei keine Rolle

KIRSTIN BREITENFELLNER

ILLUSTRATION: PM HOFFMANN

Anne Dufourmantelle: Verteidigung des Geheimnisses. Diaphanes, 167 S., € 20,60 Rüdiger Safranski: Einzeln sein. Eine philosophische Herausforderung. Hanser, 285 S., € 26,80

In der Moderne begnüge sich der Einzelne, der auf seiner Eigenheit bestehe, aber nicht mit dem bloßen Dazugehören, er wolle auch in dem anerkannt werden, was ihn von den anderen unterscheide. Ein Dilemma.

Der Autor von Monografien über große Einzelne von E.T.A. Hoffmann über Schopenhauer, Goethe und Schiller bis zu Nietzsche, Heidegger und zuletzt Hölderlin wagt sich in seinem neuen Buch an Grundsatzfragen. Dabei will er aber weder eine durchgehende Geschichte erzählen noch eine Theorie aufstellen. „Das wäre wohl auch paradox, denn wenn man den Einzelnen wirklich ernst nimmt, dann gibt es eben nur Einzelfälle, die jeweils zu denken geben.“

Sein Denkfu er bezieht Safranski im Folgenden von den großen Denkern der Individualität. Der Paradigmenwechsel, sich als unverwechselbarer Einzelner zu fühlen, wurde für ihn in der Renaissance mit Künstlern wie Da Vinci und Michelangelo vollzogen. Begonnen hatte diese Entwicklung aber schon mit dem spätmittelalterlichen Nominalismus und dessen Motto: „Was existiert, ist individuell.“ Martin Luther revolutionierte nicht nur die Beziehung des Einzelnen zu Gott, sondern stellte sich mit den Worten „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auch im Alleingang gegen die geballte Macht der katholischen Kirche und bewies damit, dass es nicht notwendigerweise die Mehrheit sein muss, die Recht hat. Mit dieser Selbstbehauptung erwarb er sich aber auch selbst Macht.

Zu Safranskis Lieblingsdenkern gehört Michel de Montaigne, der sich mit der Crux beschä igte, dass es einfacher ist, mit anderen übereinzustimmen, als sich vom „Herdentrieb in unserem Inneren“ abzukehren und selbst zu denken. Tugend, meinte Montaigne, sei o nur verkleidete Eitelkeit. Als Mittel zur Distanz von kollektiven Fanatismen propagierte Montaigne die Skepsis – und natürlich die Vernun . Rousseau, Diderot, Stendhal und Kierkegaard bieten Safranski beileibe nicht so viel Stoff. Interessant wird es wieder bei Stirner, der einen radikalen Individualismus verfocht. „Man sollte, so Stirner, keinem dienstbar sein,

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