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Down and out an der Universität Seite
Down and out an der Uni
Viele Studierende haben ihre Universität oder FH noch nie von innen gesehen
Du loggst dich auf Moodle ein und gehst in deine Vorlesung über Zoom, dann sind da 600 andere Leute, von denen du nichts mitbekommst, und das war’s“, sagt Helena Guschlbauer über die Anfänge ihres Studiums. Die mittlerweile 21-Jährige hat im Wintersemester 2019/20 ihr Bachelorstudium Publizistik- und Kommunikationswissenschaftan der Universität Wien begonnen. Das Studierendenleben hat sie sich aber anders vorgestellt. „Was man sich typischerweise vom Studium erwartet, alle kennenlernen und sich austauschen, hat man plötzlich nur mehr über WhatsApp-Gruppen. Aber das ist nicht das Wahre.“ Nach einem Monat hieß es dann im Herbst 2020: Alles auf Distance Learning. Wie unzählige andere Studierende hat auch Helena sich über Gruppenchats organisiert und sich mit anderen vernetzt. Bei bis zu 600 Erstsemestrigen, die dann im virtuellen Raum aufeinandertreffen,hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Das Gemeinschaftsgeühl war nicht wirklich berauschend. In großen Gruppen hat man gemerkt, dass es vielen einfach keinen Spaß gemacht hat.“
Zu viel Technik, aber zu wenig Pädagogik?
Damit junge Menschen einer doch sehr komplexen Welt nicht nur ausgeliefert sind, sondern sie mitgestalten können, braucht es viel. Zum einen natürlich Wissen, um Strukturen und Zusammenhänge zu verstehen. Zum anderen aber auch Mut, um die eigene Zukunftmitzubestimmen. Daher stellt sich die Frage: Bereiten Schulen und Hochschulen die nächste Generation ausreichend auf eine Zukunftvor, die nicht allzu rosig aussieht? Denn spätestens seit der Fridays-for-Future-Bewegung ist klar, dass junge Menschen ahnen, was sie erwartet und dass sie das nicht einfach hinnehmen möchten.
Corona hat rasches Handeln verlangt. „Weder die Schulen noch die Hochschulen waren auf Fernunterricht vorbereitet“, sagt Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie und Evaluation an der Universität Wien. „Zum einen in Hinsicht auf die digitale Ausstattung, und zum anderen die didaktisch-pädagogischen Kompetenzen der Lehrpersonen. Die derzeit getroffenenMaßnahmen insbesondere in Schulen fokussieren auf die technische Ausstattung und zu wenig auf den didaktisch-pädagogisch sinnvollen Einsatz.“
Laborübungen, Musikunterricht an Kunstuniversitäten, Gesprächsführung sowie Präsentations- und Moderationstechniken haben während des vergangenen Winter- und Sommersemesters nur vereinzelt in Präsenz und hauptsächlich online stattgefunden. Obwohl genau diese Seminare digital wenig Sinn machen. „Es ist nicht für alle easy. In Gruppenarbeiten hat man gemerkt, dass alle einfach keine Lust mehr
TEXT: MONA SAIDI
JULIA HOLZER, UNIVERSITÄT WIEN
Christiane Spiel, Universität Wien
Helena Guschlbauer studiert Publizistik an der Universität Wien
auf Corona haben. Das zieht die Stimmung runter“, sagt Helena. Sie ist mittlerweile im dritten Semester und hat seit genau einem Jahr keine Vorlesung in einem Hörsaal der Universität Wien erlebt.
Die Jungen brauchen mehr psychologische Unterstützung
Befragungen an Universitäten zeigen, dass sich Schüler*innen und Studierende seit Corona vermehrt psychologische Unterstützung wünschen. Sie nennen depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen oder den Verlust von Interessen und Freude als Folge der Isolation und Fernlehre.
Nicht nur die Studierenden hatten Schwierigkeiten mit der bestehenden Distance-Learning-Situation, auch Lehrende waren überfordert. Neben passiven Vortragenden, die teilweise nur Skripten zum Selbststudium hochgeladen haben, fanden andere wiederum kreative Wege, um ihre Studierenden auch online zu begeistern. „Die Studierenden müssen miteinander sprechen und sich als Gruppe erleben. Statt nur eine Interaktion mit mir als Lehrende zu haben, geben sie einander Feedback und lernen miteinander. Es ist wichtig, dass sie miteinander einen fachlichen Diskurs führen“ sagt Julia Holzer, Lehrende an der Fakultät für Psychologie. In ihren Vorlesungen teilt sie die Studierenden in kleinere Gruppen ein, die während der Dauer des Semesters zusammenarbeiten.
Mit der Präsenzlehre gehen auch die Diskurse verloren. Diese versucht Holzer im virtuellen Raum zu fördern und mit Kompetenzentwicklung zu verknüpfen: „Die Studierenden sollen ihre Gedanken zu den Inhalten äußern dürfen und nicht das Gefühl haben, dass sie dabei in einer Prüfungssituation stecken. Denn neues Wissen wird verarbeitet und neue Ideen entstehen, wenn man frei miteinander sprechen kann.“
Gemeinsam mit Professor*innen und anderen Projektmitarbeiter*innen des Arbeitsbereichs Bildungspsychologie forscht sie zu „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“. Befragungen haben gezeigt, wie wichtig die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenzerleben, Autonomie und sozialer Eingebundenheit für Schüler*innen, Lehrende und Studierende ist.
An starren Frontalunterricht über Zoom glaubt die Bildungsforscherin nicht. Sie gibt gestaffelteFeedbackschleifen und nimmt ihre Inputeinheiten als Videostreams auf. Angst, dass die Studierenden später gar nicht mehr zum Präsenzunterricht kommen, hat sie keine. „Den meisten fehlt die Universität als sozialer Ort. Aber es ist auch wichtig, dass wir digitale Alternativen weiterhin ermöglichen. Es wird auch nach Corona Menschen geben, die auf hybride Lehre angewiesen sind, sei es aus örtlichen, zeitlichen oder beruflichenGründen“, sagt Holzer aus eigener Erfahrung.
Wer will mich? Was bringt ein Studium nun?
Erstsemestrige ziehen fürs Studium manchmal aus einem anderen Bundesland oder dem Ausland in eine neue Stadt. „Viele sind im Lockdown auch einfach wieder nach Hause gezogen. Es war für sie nicht möglich, Anschluss zu finden,wenn sie keine Mitbewohner oder Partner in Wien haben. Einige sind gar nicht erst hergezogen, weil alles, selbst die Prüfungen, online stattgefunden hat“, beschreibt Helena die Situation von Studienkolleg*innen.
Ganz selbstverständlich sind neben dem Studium erste Praktika und Jobs. Auf vielen Fachhochschulen ist Praxiserfahrung ein Hauptbestandteil der Lehre und für den Abschluss erforderlich. Obwohl Helena in ihrem Studium kein Pflichtpraktiku absolvieren muss, weiß sie, „dass man nur mit dem Bachelortitel schwer einen Job bekommt. Meine Studienkollegen haben Probleme gehabt, Praktika zu finden,die auch passen. Seitens der Universität gab es wenig Unterstützung, da es ja nicht verpflic tend ist. Aber in der Arbeitswelt braucht man Praxiserfahrung. Und Corona hat die Situation verschlechtert.“ „Unsere Studien vor Covid haben schon gezeigt, dass Studierende zwar mehr Lernstrategien kennen als Schüler*innen, aber nur wenige sie auch anwenden. Das bedeutet, dass nur wenige in der Lage sind, ein Faktenwissen in ein Handlungswissen umzusetzen“, sagt Bildungsforscherin Spiel. Im Elementarbereich stand während der Pandemie primär die Betreuung der Kinder im Mittelpunkt und nicht ihre Bildung. Welche Schwierigkeiten diese Kinder haben werden, sich Lerninhalte selbstständig anzueignen, werden die kommenden Jahre zeigen.
Bereits im Nationalen Bildungsbericht 2018 steht, dass es Veränderungen im Bereich neue (digitale) Technologien geben muss. Ganz besonders sind die Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen und ihre Möglichkeiten zur Gestaltung oder Auslagerung von Lehr-Lern-Arrangements zu ändern. „In den Schulen liegt der Fokus nun jetzt vor allem darauf, dass jedes Kind ein Tablet besitzt. Das ist natürlich wichtig, um am digitalen Unterricht teilzunehmen, doch werden die Kinder auch dabei unterstützt, mit den Technologien selbstständig und verantwortungsvoll umzugehen?“, fragt Spiel.
Junge Menschen, die in die Welt hinauswollen, sollten nicht nur einen Titel haben, sondern auch die notwendigen Skills, um etwas umzusetzen. Das klappt, wenn auf die Person eingegangen wird. „Es kommt selten vor, dass auch wir etwas fordern dürfen“, sagt Helena zum Corona-Diskurs der letzten Monate, der Studierende beinahe ausgeblendet hat. Dabei muss genau diese Generation nicht nur die Schulden, die durch die Pandemie entstanden sind, begleichen, sondern auch die Gesellschaftund ihre Gewohnheiten verändern.