5 minute read

Ambitioniert, aber am Alltag scheiternd Seite

Next Article
Kopf im Bild Seite

Kopf im Bild Seite

Ambitioniert, aber am Alltag scheiternd

Die Schulrealität und ihre Probleme werde durch die Pandemie nicht einfacher

Der Bildungsauftrag der österreichischen Schulen ist ambitioniert. Schüler*innen sollen ihren Anlagen entsprechend in ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung gefördert und mit den für das Leben und den künftigenBeruf erforderlichen Kompetenzen ausgestattet werden, um als aufgeschlossene, selbstständig urteilsfähige und sozial verständnisvolle Glieder der Gesellschaft an gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitwirken zu können. So sieht es § 2 des Schulorganisationsgesetzes vor.

Die Realität beschreibt der Bildungsexperte Stefan Hopmann anhand eines Beispiels so: „Menschen hatten noch nie so viel naturwissenschaftlichenUnterricht wie heute, und trotzdem folgen so viele wie noch nie abenteuerlichen Verschwörungstheorien.“

Viel Geld für Bildung und doch Ungerechtigkeit

Österreich lässt sich Bildung viel kosten. Von der Volks- bis zur Hochschule pro Schüler*in/Studierendem*r 14.672 Dollar, weit über dem OECD-Schnitt von 10.103 Dollar. Doch diese Mittel kommen nicht überall gleich an: Ein überproportional hohes Ausmaß an Bildungsungleichheit prägt das österreichische Schulsystem. Das potenziert sich letztlich zu Bildungsungerechtigkeit: Die schulischen Leistungen österreichischer Kinder und Jugendlicher spiegeln das Bildungsniveau der Eltern wider. „In allen Standardüberprüfungen zeigt sich unabhängig vom Schulfach der gleiche Zusammenhang: Der Unterschied beim Erreichen der Bildungsstandards zwischen Schüler*innen, deren Eltern maximal Pflichtchulabschluss haben, zu universitär ausgebildeten Eltern liegt zwischen 44 und 51 Prozent“, steht im aktuellen „Nationalen Bildungsbericht des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens“ (BIFIE).

Eltern haben ein Interesse an differenzierten Schulen

„Bildungsungleichheit“, sagt Stefan Hopmann, Professor für Bildungswissenschaft an der Universität Wien, „gibt es überall. Die Frage ist nur, in welcher Form. Österreich und Deutschland sind reiche Länder mit relativ gutem Schulwesen, die der Bildung früh einen institutionalisierten Rahmen gegeben haben. Hier erfolgt die Differenzierung zum Teil über die Gliederung des Schulwesens. In anderen westlichen Ländern, die die Bildung später institutionalisiert haben, wie Großbritannien oder die USA, erfolgt die Diffeenzierung über Binnenstrukturen und den Status einer Bildungsinstitution. Auch in Skandinavien gibt es starke Diffeenzierungsmerkmale. Da kommt man etwa in bestimmte Schulen nur hinein, wenn man mindestens zwei Sprachen spricht und Instrumente spielt.

TEXT: BRUNO JASCHKE

„Österreichs Schulsystem ist monolingual. Doch wird den Kindern in der ersten Klasse nicht Deutsch beigebracht“

BARBARA ROTHMÜLLER, SOZIOLOGIN

Claudia Schreiner, Universität Innbruck

Stefan Hopmann, Universität Wien

Das stärkste Diffeenzierungsmerkmal ist freilich immer noch: öffentlicheversus private Schulen.“

Eltern hätten ein zwingendes Interesse, die Segregation aufrechtzuerhalten: „Jeder Teil der Gesellschaftversucht, Vorteile weiterzugeben. Das Einzige, was man als Mittelstand vererben kann, ist Bildung. Es ärgert mich, wenn auf Privatschuleltern eingehämmert wird. Es ist legitim, dass Eltern versuchen, das Beste für ihre Kinder zu machen.“

Widerstand seitens der Eltern ist nicht die einzige Hürde für ein egalitäreres Bildungssystem. Seit den 1980er-Jahren habe sich, so Hopmann, vom angloamerikanischen Raum aus der Trend zur Überfrachtung von Lehrplänen durchgesetzt. Tendenziell setze das sozial benachteiligten Kindern mehr zu als besser gestellten. „Wir haben durch PISA ,gelernt‘, Schüler*innen mit Stoffvollzustopfen. Das hat es ,geschafft, soziale Unterschiede zu vertiefen und auf Dauer zu stellen. Was es nicht geschaffthat, ist, die Leistung zu steigern. Die Leistung wird nicht mehr, aber die Gerechtigkeit nimmt ab. Das ist Klassenkampf von oben“, befindetHopmann, der Argumente von „bildungsfernen Milieus“ für einen Vorwand hält: „Das Versprechen der bürgerlichen Gesellschaftauf Chancengleichheit wird gebrochen. Der Bruch des Versprechens muss legitimiert werden. Das geschieht, indem man jene, die eine geforderte Leistung nicht erbringen, als faul, unfähig und bildungsunwillig denunziert.“

Mittelschichtsorientierung des Lehrkörpers – ein Problem?

Tatsächlich sei das System Schule defekt, konstatiert Hopmann. Er steht mit diesem Befund nicht allein da. Vor allem bei Migranten, erklärt die Soziologin Barbara Rothmüller, fördere die Schulkultur Ungleichheit, indem sie bei Kindern Fähigkeiten und Leistungen voraussetzt, die sie nicht selbst vermittelt: „Das beginnt bei Deutsch als Unterrichtssprache. Das Schulsystem in Österreich ist monolingual, doch den Kindern wird in der ersten Klasse nicht Deutsch beigebracht. Das gilt ebenso für das Sozialverhalten und die Einstellung zu Bildung. Das sind Eigenschaften,die Kinder nur von zu Hause aus mitbringen, die in der Schule aber – wenigstens indirekt – auch bewertet werden.“

Ein weiteres Problem des Systems Schule sieht sie in der Mittelschichtsorientierung des Lehrkörpers, die bei Schüler*innen mit einem anderen „Habitus“ Widerstand auslösen kann: „Dann werden die Kinder oft als nicht motiviert wahrgenommen – und schon beginnt eine Schulkarriere mit Reibungspunkten. Während Kinder aus der oberen Mittelschicht sich mit den Lehrpersonen leichter tun. Ihre Eltern sind bei Elternsprechtagen präsent und verstehen sich mit den Lehrenden gut.“

Weil Bildungsungleichheit in der Ausbildung nur marginal thematisiert werde, fehle es dem Lehrpersonal meist an Sensibilität dafür. Zu überdenken sei fallweise auch der frontale Unterricht. „Je heterogener Klassen sind, desto schwieriger wird es in diesem Modus. Besser wären hier Ansätze, die in Richtung eines projektorientierten Modus gehen“, schlägt Rothmüller vor.

Für eine gemeinsame Mittelstufe fehlen noch gute pädagogische Konzepte

Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die Bildungswegentscheidung am Ende der Grundschule, wenn die Kinder um die zehn Jahre alt sind, die Bildungsungerechtigkeit verstärkt. „Je später diese Entscheidung getroffenwird, desto klarer werden spezifiche Interessen. Wir wissen aus der Forschung dazu, dass die Bedeutung der Eltern für Entscheidungen mit steigendem Alter der Kinder abnimmt“, sagt Claudia Schreiner vom Institut für Lehrer*innenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck. Man muss sich aber, relativiert Schreiner, bewusst sein, dass es mit der Aufhebung der Trennung von Mittelschule und Gymnasium allein nicht getan ist. „Es bräuchte gute Konzepte, wie man eine gemeinsame Mittelstufe anlegen und pädagogisch sowie organisatorisch umsetzen kann. Aufzuzeigen, dass die frühe Trennung unerwünschte Effektehat, ist einfacher als der Rest.“

Ob das Modell Gesamtschule imstande ist, zum Abbau von Bildungsungerechtigkeit beizutragen, ist mangels eindeutiger Forschungsergebnisse umstritten. Fest steht, wie Rothmüller bemerkt, nur, dass eine Mehrheit von Menschen, die für Bildungsgerechtigkeit eintreten, die Gesamtschule oder wenigstens die Ganztagsschule befürwortet. „Es hat sich allerdings gezeigt“ ergänzt Schreiner, „dass zumindest wahlweise Angebote ganztägiger Schulen vor allem für gut gebildete Eltern attraktiv sind. Sie erfüllen eher die Aufgabe eines ganztägigen Betreuungsangebots. Eine kompensatorische Wirkung in Bezug auf Bildungsungleichheit konnte im Kontext deutschsprachiger Schulsysteme meines Wissens bis dato nicht gezeigt werden.“

Recht klar stellen sich für die Expert*innen dagegen die Folgen der Pandemie dar: Sie verstärkt die Bildungsungleichheit drastisch. „Das hat nicht nur mit elterlicher Unterstützung oder technischer Ausstattung zu tun“, erläutert Schreiner, „sondern teils auch mit den Wohnverhältnissen und insbesondere mit dem Ausmaß an Lernmotivation und Leistungsniveau vor der Krise. So können wir zum Beispiel anhand einer regionalen Stichprobe zeigen, dass Schüler*innen mit vergleichsweise höherer Lernmotivation und höheren Leistungen vor Ausbruch der Pandemie mit den selbstregulatorischen Anforderungen des Distanzunterrichts deutlich besser zurechtgekommen sind.“

Elisa, 8 „Schule sollte sein wie Riesenrad oder Achterbahn. Aufregend und etwas, das Spaß macht und nicht so langweilig ist. In der perfekten Schule wären die Pausen länger als die Unterrichtsstunden, und es gäbe dort Einhörner zum Daraufreiten in der Pause. Denn wenn ich groß bin, wäre ich gern Reitlehrerin.“

This article is from: