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Ambitioniert, aber am Alltag scheiternd Die SchulrealitĂ€t und ihre Probleme werde durch die Pandemie nicht einfacher er Bildungsauftrag der österreichischen Schulen ist ambitioniert. SchĂŒler*innen sollen ihren Anlagen entsprechend in ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung gefördert und mit den fĂŒr das Leben und den kĂŒnftigen Beruf erforderlichen Kompetenzen ausgestattet werden, um als aufgeschlossene, selbststĂ€ndig urteilsfĂ€hige und sozial verstĂ€ndnisvolle Glieder der Gesellschaft an gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitwirken zu können. So sieht es § 2 des Schulorganisationsgesetzes vor. Die RealitĂ€t beschreibt der Bildungsexperte Stefan Hopmann anhand Âeines Beispiels so: âMenschen hatten noch nie so viel naturwissenschaftlichen Unterricht wie heute, und trotzdem folgen so viele wie noch nie abenteuerlichen Verschwörungstheorien.â Viel Geld fĂŒr Bildung und doch Ungerechtigkeit Ăsterreich lĂ€sst sich Bildung viel kosten. Von der Volks- bis zur Hochschule pro SchĂŒler*in/Studierendem*r 14.672 Dollar, weit ĂŒber dem OECD-Schnitt von 10.103 Dollar. Doch diese Mittel kommen nicht ĂŒberall gleich an: Ein ĂŒberproportional hohes AusmaĂ an Bildungsungleichheit prĂ€gt das österreichische Schulsystem. Das potenziert sich letztlich zu Bildungsungerechtigkeit: Die schulischen Leistungen österreichischer Kinder und Jugendlicher spiegeln das Bildungsniveau der Eltern wider. âIn allen StandardĂŒberprĂŒfungen zeigt sich unabhĂ€ngig vom Schulfach der gleiche Zusammenhang: Der Unterschied beim Erreichen der Bildungsstandards zwischen SchĂŒler*innen, deren Eltern maximal Pflicht chulabschluss haben, zu universitĂ€r ausgebildeten Eltern liegt zwischen 44 und 51 Prozentâ, steht im aktuellen âNationalen Bildungsbericht des Bundesinstituts fĂŒr Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesensâ (BIFIE). Eltern haben ein Interesse an differenzierten Schulen âBildungsungleichheitâ, sagt Stefan Hopmann, Professor fĂŒr Bildungswissenschaft an der UniversitĂ€t Wien, âgibt es ĂŒberall. Die Frage ist nur, in welcher Form. Ăsterreich und Deutschland sind reiche LĂ€nder mit relativ gutem Schulwesen, die der Bildung frĂŒh einen institutionalisierten Rahmen gegeben haben. Hier erfolgt die Differenzierung zum Teil ĂŒber die Gliederung des Schulwesens. In anderen westlichen LĂ€ndern, die die Bildung spĂ€ter institutionalisiert haben, wie GroĂbritannien oder die USA, erfolgt die Diffe enzierung ĂŒber Binnenstrukturen und den Status einer Bildungsinstitution. Auch in Skandinavien gibt es starke Diffe enzierungsmerkmale. Da kommt man etwa in bestimmte Schulen nur hiÂnein, wenn man mindestens zwei Sprachen spricht und Instrumente spielt.
TEXT: BRUNO JASCHKE
âĂsterreichs Schulsystem ist monolingual. Doch wird den Kindern in der ersten Klasse nicht Deutsch beigebrachtâ BARBARA ROTHMĂLLER, SOZIOLOGIN
Claudia Schreiner, UniversitÀt Innbruck
Stefan Hopmann, UniversitÀt Wien
Das stĂ€rkste Diffe enzierungsmerkmal ist freilich immer noch: öffentliche versus private Schulen.â Eltern hĂ€tten ein zwingendes Interesse, die Segregation aufrechtzuerhalten: âJeder Teil der Gesellschaft versucht, Vorteile weiterzugeben. Das Einzige, was man als Mittelstand vererben kann, ist Bildung. Es Ă€rgert mich, wenn auf Privatschuleltern eingehĂ€mmert wird. Es ist legitim, dass Eltern versuchen, das Beste fĂŒr ihre Kinder zu machen.â Widerstand seitens der Eltern ist nicht die einzige HĂŒrde fĂŒr ein egalitĂ€reres Bildungssystem. Seit den 1980er-Jahren habe sich, so Hopmann, vom angloamerikanischen Raum aus der Trend zur Ăberfrachtung von LehrplĂ€nen durchgesetzt. Tendenziell setze das sozial benachteiligten Kindern mehr zu als besser gestellten. âWir haben durch PISA ,gelerntâ, SchĂŒler*innen mit Stoff vollzustopfen. Das hat es ,geschafft , soziale Unterschiede zu vertiefen und auf Dauer zu stellen. Was es nicht geschafft hat, ist, die Leistung zu steigern. Die Leistung wird nicht mehr, aber die Gerechtigkeit nimmt ab. Das ist Klassenkampf von obenâ, befindet Hopmann, der Argumente von âbildungsfernen Milieusâ fĂŒr einen Vorwand hĂ€lt: âDas Versprechen der bĂŒrgerlichen Gesellschaft auf Chancengleichheit wird gebrochen. Der Bruch des Versprechens muss legitimiert werden. Das geschieht, indem man jene, die eine geforderte Leistung nicht erbringen, als faul, unfĂ€hig und bildungsunwillig denunziert.â Mittelschichtsorientierung des Lehrkörpers â ein Problem? TatsĂ€chlich sei das System Schule defekt, konstatiert Hopmann. Er steht mit diesem Befund nicht allein da. Vor allem bei Migranten, erklĂ€rt die Soziologin ÂBarbara ÂRothmĂŒller, fördere die Schulkultur Ungleichheit, indem sie bei Kindern FĂ€higkeiten und Leistungen voraussetzt, die sie nicht selbst vermittelt: âDas beginnt bei Deutsch als Unterrichtssprache. Das Schulsystem in Ăsterreich ist monolingual, doch den Kindern wird in der ersten Klasse nicht Deutsch beigebracht. Das gilt ebenso fĂŒr das Sozialverhalten und die Einstellung zu Bildung. Das sind Eigenschaften, die Kinder nur von zu Hause aus mitbringen, die in der Schule aber â wenigstens indirekt â auch bewertet werden.â Ein weiteres Problem des Systems Schule sieht sie in der Mittelschichtsorientierung des Lehrkörpers, die bei SchĂŒler*innen mit einem anderen âHabitusâ Widerstand auslösen kann: âDann werden die Kinder oft als nicht motiviert wahrgenommen â und schon beginnt eine Schulkarriere mit Reibungspunkten. WĂ€hrend Kinder aus der oberen Mittelschicht sich mit den Lehrpersonen leichter tun. Ihre Eltern sind bei ÂElternsprechtagen prĂ€sent und verstehen sich mit den Lehrenden gut.â
Weil Bildungsungleichheit in der Ausbildung nur marginal thematisiert werde, fehle es dem Lehrpersonal meist an SensibilitĂ€t dafĂŒr. Zu ĂŒberdenken sei fallweise auch der frontale Unterricht. âJe heterogener Klassen sind, desto schwieriger wird es in diesem Modus. Besser wĂ€ren hier AnsĂ€tze, die in Richtung eines projektorientierten Modus gehenâ, schlĂ€gt RothmĂŒller vor. FĂŒr eine gemeinsame Mittelstufe fehlen noch gute pĂ€dagogische Konzepte Weitgehende Einigkeit besteht darĂŒber, dass die Bildungswegentscheidung am Ende der Grundschule, wenn die Kinder um die zehn Jahre alt sind, die Bildungsungerechtigkeit verstĂ€rkt. âJe spĂ€ter diese Entscheidung getroffen wird, desto klarer werden spezifi che Interessen. Wir wissen aus der Forschung dazu, dass die Bedeutung der Eltern fĂŒr Entscheidungen mit steigendem Alter der Kinder abnimmtâ, sagt Claudia ÂSchreiner vom Institut fĂŒr Lehrer*innenbildung und Schulforschung der UniversitĂ€t Innsbruck. Man muss sich aber, relativiert Schreiner, bewusst sein, dass es mit der Aufhebung der Trennung von Mittelschule und Gymnasium allein nicht getan ist. âEs brĂ€uchte gute Konzepte, wie man eine gemeinsame Mittelstufe anlegen und pĂ€dagogisch sowie organisatorisch umsetzen kann. Aufzuzeigen, dass die frĂŒhe Trennung unerwĂŒnschte Effekte hat, ist einfacher als der Rest.â Ob das Modell Gesamtschule imstande ist, zum Abbau von Bildungsungerechtigkeit beizutragen, ist mangels eindeutiger Forschungsergebnisse umstritten. Fest steht, wie RothmĂŒller bemerkt, nur, dass eine Mehrheit von Menschen, die fĂŒr Bildungsgerechtigkeit eintreten, die Gesamtschule oder wenigstens die Ganztagsschule befĂŒrwortet. âEs hat sich allerdings gezeigtâ ergĂ€nzt Schreiner, âdass zumindest wahlweise Angebote ganztĂ€giger Schulen vor allem fĂŒr gut gebildete Eltern attraktiv sind. Sie erfĂŒllen eher die Aufgabe eines ganztĂ€gigen Betreuungsangebots. Eine kompensatorische Wirkung in Bezug auf Bildungsungleichheit konnte im Kontext deutschsprachiger Schulsysteme meines Wissens bis dato nicht gezeigt werden.â Recht klar stellen sich fĂŒr die Expert*innen dagegen die Folgen der Pandemie dar: Sie verstĂ€rkt die Bildungsungleichheit drastisch. âDas hat nicht nur mit elterlicher UnterstĂŒtzung oder technischer Ausstattung zu tunâ, erlĂ€utert Schreiner, âsondern teils auch mit den WohnverhĂ€ltnissen und insbesondere mit dem AusmaĂ an Lernmotivation und Leistungsniveau vor der Krise. So können wir zum Beispiel anhand einer regionalen Stichprobe zeigen, dass SchĂŒler*innen mit vergleichsweise höherer Lernmotivation und höheren Leistungen vor Ausbruch der Pandemie mit den selbstregulatorischen Anforderungen des Distanzunterrichts deutlich besser zurechtgekommen sind.â
FOTOS: TERESA WEY, PRIVAT, FOTO WILKE
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