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Kopf im Bild Seite

: KOPF IM BILD

Wasserflöhe

Für schlüssige Prognosen zum globalen Wandel und zur Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen braucht man mehr Wissen über das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die das Ökosystem stressen. Dazu möchte Markus Möst vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck beitragen. Mit den Mitteln des START-Preises, mit dem ihn der Wissenschaftsfonds FWF im Juni auszeichnete, untersucht er öko-evolutionäre Dynamiken anhand von Wasserflöhen. „Diese Organismen sind ein zentrales Element des Nahrungsnetzes. Darum lassen ihre Reaktion auf Stressoren Rückschlüsse auf den Zustand aquatischer Ökosysteme zu“, sagt der Osttiroler. Entgegen ihrem Namen sind die Winzlinge Krebstiere. Wegen überdüngter Gewässer haben sich in der Vergangenheit unterschiedliche Arten gekreuzt, was zu genetischen Veränderungen führte. Nun sind sie Hitzewellen ausgesetzt. „Mich interessiert, wie diese ökologischen und evolutionären Prozesse einander im Lauf der Zeit beeinflussen.“

TEXT: USCHI SORZ FOTO: ANDREAS FRIEDLE

: JUNGFORSCHER*INNEN

USCHI SORZ

Am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Wien erforschen diese drei Doktorand*innen psychosoziale Risikofaktoren im Kindes- und Jugendalter

Jessica Schirl, 30

Wie hängen Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-/ yperaktivitätsstörung (ADHS) und familiäre Konfliktezusammen? „ADHS gehört zu den häufigten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter“, sagt die Oberösterreicherin. „Die damit einhergehende Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität wirken sich nicht nur auf das betroffeneKind, sondern die ganze Familie aus.“ In Hinblick auf die Entstehung und den Verlauf von ADHS lege die Forschung den Fokus auf genetische und neurobiologische Faktoren, während der Einflus der Familie weniger Beachtung finde.„Ich möchte untersuchen, inwiefern familiäre Konfliktein Interaktion mit genetischer Veranlagung eine Rolle spielen.“ Die gewonnenen Erkenntnisse könnten familiäre Präventions- und Interventionsmaßnahmen ergänzen und Betroffeneunterstützen.

Achilleas TsarpalisFragkoulidis, 27

Der gebürtige Athener wusste schon mit 13, dass er Psychologie studieren wollte. „Es ist spannend, wie viele Faktoren unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten beeinflusen“, sagt er. „Die Forschung ermöglicht es, sie systematisch zu analysieren und so anderen zu helfen, ihre Probleme in den Griffzu bekommen.“ Nach dem Bachelor und Master an der Universität Wien beschäftigter sich in der Dissertation mit sozialer Angst in der Adoleszenz. Sein Interesse an der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde bei Praktika in einer psychiatrischen Abteilung und im klinisch-psychologischen Bereich geweckt. „Ob Kritik oder Komplimente, sozial ängstliche Personen fürchten sich vor Bewertung. Ich möchte besser verstehen, wie die Ängste entstehen und den Umgang mit Gefühlen prägen.“

Rahel Lea van Eickels, 28

„Meine Forschung dreht sich um die Entwicklung übermäßigen Schamgefühls bei Jugendlichen“, erklärt die aus Deutschland stammende Doktorandin. „Ein wenig beachtetes Thema, das aber in der klinischen Praxis wichtig ist.“ Besonders interessiert sie, welche Aspekte der Familienbeziehungen zu Scham führen, wie diese soziales Denken beeinflust und zu psychischen Problemen beiträgt. „In geringem Maß ist Scham ja nützlich, quasi als Rückmeldung über unser Verhalten in einem sozialen Gefüge aus Normen und Regeln“, unterstreicht sie. „Empfinde man sie aber übertrieben oft,leidet das Selbstbild schwer darunter.“ Für ihr Fach entschied sie sich, weil sie verstehen wollte, was Menschen bewegt. „Warum denken wir, wie wir denken? Warum handeln wir manchmal irrational? Und warum entsteht psychisches Leid?“

CHRISTOPH PONAK

: KLIMATECHNOLOGIE

MARTIN HAIDINGER

: HORT DER WISSENSCHAFT

Windbeutel Was zu lernen ist

Würden Sie den Kommentar lesen, wenn er mit „Der Weltklimarat veröffentlichte…“ begonnen hätte? Zu vertraut klingt dieser Start einer Kolumne, auf paradoxe Weise akut und repetitiv zugleich.

Das Problem ist bekannt, das Tempo, mit dem es auf uns zukommt, die Schwere, Häufigkei und teils auch die Natur der bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Folgen werden laufend angepasst. Entscheidungsträger*innen sind flexibel:Jedes Mal, wenn wir fünf Jahre später dran sind, um entschieden gegen den Klimawandel vorzugehen, werden auch unsere Ambitionen um den entsprechenden Betrag ambitionierter.

Unter anderem in Österreich stellt man sich zu einem großen Teil hinter einen Aspekt der Technik, der allen Österreicher*innen Absolution verspricht, was ihren eigenen Lebensstil betrifft:erneuerbare Energieformen.

Das Erneuerbaren-AusbauGesetz sieht vor, dass 27 TWh/a zusätzlich erneuerbar bereitgestellt werden – und das bis 2030. 10 TWh/a davon sollen aus Windkraftstammen. Das entspricht bei ca. 2.000 Volllaststunden einer Leistung von etwa 5.000 MW und damit knapp 1.700 Windrädern – mehr als der heutige Bestand in Österreich. Und nur unter der Annahme, dass die durchschnittliche Leistung der neu gebauten Anlagen bei drei MW liegt. Bei der momentanen Ausbaurate (74 Anlagen sind 2021 geplant, sieben Anlagen wurden 2020 gebaut) würde man dafür 23 Jahre benötigen, mit dem Ausbautempo von 2020 240 Jahre.

Die Zahlen weisen eine enorme Divergenz zur Realität auf. Es ist nicht absehbar, dass die Ambitionen Wirklichkeit werden, wenn die Ernsthaftigkeit,mit der ihre Umsetzung erfolgt, nicht massiv ausgebaut wird. In einem größeren Kontext geht es jedoch darum, dass 27 TWh Erneuerbare ein netter Beitrag wären, jedoch weder der Größenordnung des Problems noch den Möglichkeiten Österreichs entsprechen. Wir können es uns nicht leisten, selbst sehr niedrig gesteckte Ziele zu verfehlen.

Technik und Innovation werden ihren Beitrag liefern müssen, darunter auch Erneuerbare. Wir sind jedoch so tief in der Krise, dass es Disruptionen technischer Lösungen und einen begleitenden Systemwandel braucht. Gefährlich ist, wenn wir uns auf einzelne Lösungen als „silver bullets“ konzentrieren und das Problem des fortschreitenden Klimawandels schon als durch sie gelöst betrachten. „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“, skandierten einst die DDR-Kommunisten, um ihrem großen Vorbild Stalin nachzueifern. Und sie haben gesiegt – auf einer sehr komplexen Ebene. Denn mag auch die Luftburgdes realen Sozialismus in Europa eingestürzt sein, so leben seine Ideen seit dem Zivilisationsbruch von 1917 ff. munter fort und tun das in verschiedenen Aberrationen wohl auch noch in der Zukunft „Meine letzte Hoffnungist China“, hörte ich anno 2017 in einem intimen Kreis einen hochbetagten österreichischen Wirtschaft experten einem ebensolchen Sozialwissenschaftlerzuraunen, der als Antwort eifrig nickte. Auf ihre alten Tage blieb den zwei antiken Marxisten nichts anderes mehr als die Sehnsucht nach einem perfide totalitären System, dem kapitalistisch getarnten Mao-Aufguss, nur um die verhasste freie Marktwirtschaftfallen zu sehen.

Solche Reflexewerden unseren Schülern und Studenten jederlei Geschlechts weiter antrainiert, und die Pandemie begünstigt es noch, da in der digital gestützten Vereinzelung der Jugend die Begehrlichkeit nach radikalen Kulturrevolutionen umso leichter genährt werden kann. Dabei wird die Erinnerung an systemimmanente Verbrechen des Kommunismus von seinen Adepten bewusst ausgeblendet – unter Diskreditierung jener, die noch wissen, wovon sie reden.

Aber was muss man schon wissen, was erinnern? Was ist zu lernen, gerade in Krisen? Eine solche herrschte sicherlich schon irgendwann in Urzeiten unter den hungrigen Hominiden, bis ein Schlaukopf draufkam,dass man die Kanten des Faustkeils scharf statt rund anlegen muss – Krise vorbei! Die alten Griechen gaben während der Perserkriege über Generationen das Wissen weiter, dass Freiheit (Eleutheria) darin besteht, ungestört nach den Sitten der Alten leben zu dürfen, und sie richteten sich danach. Den Enzyklopädisten um Diderot und D’Alembert war klar, dass ihr Nachschlagewerk neben Gesellschaftskritikim Absolutismus auch die Anleitung zum Knüpfen von Schiffsknotenenthalten muss, die Allgemeinbildung war geboren – Wachstumspotenzial unbegrenzt! So merkte der österreichische Computerpionier und Schöpfer des „Mailüfterls, Heinz Zemanek, einmal so trefflic an, dass wir eigentlich nichts wissen, sondern uns nur daran gewöhnt haben.

Das Lernen in und nach der Corona-Pandemie wird genauso spektakulär glücken und misslingen wie alle Krisenprogramme. Wär’ halt fein, wenn es in humanistischen Bahnen und frei von verqueren Ideologien ablaufen würde.

: FINKENSCHLAG

HANDGREIFLICHES VON TONE FINK TONEFINK.AT

ZEICHNUNG (AUSSCHNITT) FLORIAN FREISTETTER

: FREIBRIEF

Wahrscheinlich

Wenn ich im Kaffeehaus erwähne, dass es wahrscheinlich sonnig wird, ist das nicht sonderlich interessant, aber zumindest keine schwer zu verstehende Aussage. Wenn aber der Weltklimarat in seinem aktuellen Sachstandsbericht schreibt, dass jedes der Jahre zwischen 2015 und 2020 wahrscheinlich wärmer war als irgendein anderes Jahr seit Beginn der Messungen, ist das nicht nur eine sehr relevante Aussage, sondern auch eine, die man analysieren muss. Das „wahrscheinlich“ (im Original „likely“) hat in den Sachstandsberichten des Weltklimarates nämlich eine sehr viel spezifichere Bedeutung als in unserer Alltagssprache.

Wird dort das Wort „likely“ verwendet, haben zuvor Hunderte Forscher*innen die entsprechenden Daten untersucht, statistisch evaluiert und sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass die Aussage mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 bis hundert Prozent korrekt ist. Hätte die Bewertung eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 95 Prozent ergeben, würde „extremely likely“ im Text stehen, bei weniger als 33 Prozent hätte man „unlikely“ verwendet. Es gibt insgesamt zehn entsprechende Begriffe,um Wahrscheinlichkeiten auszudrücken, und dazu noch fünf weitere, die das ebenfalls evaluierte Vertrauen in die den Aussagen zugrundeliegenden Daten beschreiben.

Diese kalibrierte Sprache macht die Berichte des Weltklimarates bedeutend. Dort steht nichts einfach nur so. Jede Aussage basiert auf einem langen Bewertungsprozess und ist das Resultat eines Konsens der gesamten Klimaforschung. Die Wissenschaft spricht hier mit einer Stimme.

Wenn diese Stimme aber auch außerhalb der Forschung gehört werden will, darf sie nicht darauf vertrauen, dass die Öffentlichkei ihre Sprache ohne Weiteres versteht. Im Alltag stellen wir keine Berechnungen an, wenn wir sagen, dass etwas „wahrscheinlich“ ist.

So wertvoll das Wissen über den Zustand unseres Klimas, das der Weltklimarat auf den Tausenden Seiten seines Berichts veröffen licht hat, auch ist: Wenn man keine Strategie entwickelt, es den Menschen auch verständlich zu machen, wird es nicht helfen. Die Notwendigkeit einer umfassenden Klimabildung der Bevölkerung muss man nicht erst in Zahlen fassen.

MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS.DE/ ASTRODICTICUM-SIMPLEX

NACHRICHTEN AUS FOR SCHUNG UN D WI SSENSCHAFT

Seiten 6 bis 9

Wie Wissenschaft in unsere alltäglichen Lebensumstände eingreift und sie verändert

: STAATSPREIS

Ausgezeichnete Lehrende

Die Preisträger*innen des Staatspreises Ars docendi 2021

JOHANNES MÖRTH

Um exzellente Hochschullehrende für ihre Leistungen zu würdigen, wurde 2013 der Preis Ars docendi eingerichtet. An seiner Ausrichtung sind neben dem Wissenschaftsminiterium die Universitätenkonferenz, die Fachhochschul-Konferenz, die Privatuniversitäten-Konferenz, die Rektorinnen- und Rektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen und die Hochschüler*innenschaftbeteiligt. Jährlich werden in fünf thematischen Kategorien Lehrkonzepte ausgeschrieben. Das Preisgeld beträgt pro Kategorie 7.000 Euro. 2021 haben gewonnen: Kategorie „Lernergebnisorientierte Lehr- und Prüfungskultur“: Denis Weger, Universität Wien. Kategorie „Digitale Transformation in der Lehre“: Michaela Nettekoven, Maria Krakovsky und Lukas Kowarsch, WU Wien. Kategorie: „Methoden des Distance Learning und deren nachhaltiger Einsatz“: Bernhard Spangl, Universität für Bodenkultur Wien. Kategorie „Kooperative Lehrund Arbeitsformen“: Johannes Nikolaus Rauer, Corinna Engelhardt-Nowitzki, Maria Cecilia Perroni, Horst Orsolits, FH Technikum Wien. Kategorie „Qualitätsverbesserung von Lehre und Studierbarkeit“: Paul Baumgartner, Sophie Steger, Dominik Mayrhofer, Christian Manfred Riener, Clemens Hagenbuchner, Daniela Hell, Ema Saletovic, Michael Christoph Kolm, Julia Christina Maier, Alexander Matteo Palmisano, Wendelin Angermann, Markus Embacher, Christoph Griesbacher, Maximilian Huber, Benedikt Joachim Kantz, Sophie Lennkh, Johannes Niederwieser, Reinhard Pichler, Anna Masiero, TU Graz.

: GENETIK

Wenn Mäusemänner mitten in der Schlafenszeit plötzlich Futter kriegen …

Der Klimawandel lässt die Wälder der Welt brennen

… und sich dann mit Partnerinnen paaren, sieht es für den Tagesrhythmus der Söhne schlecht aus

JOCHEN STADLER

Die Samenflüssigkeit lässt nicht nur die männlichen Spermien zur weiblichen Eizelle strömen, sondern beeinflust sogar das Verhalten der Nachkommen, fand der österreichische Biologe Maximilian Lassi bei Mäusen heraus. Ist die „innere Uhr“ bei den Vätern verstellt, haben nämlich auch ihre Jungen einen gestörten Tagesrhythmus, und das liegt nicht an den Samenzellen, berichtet er mit Kollegen im Fachjournal „Science Advances“. Lassi brachte bei Mäusemännern die innere Uhr durcheinander, indem er ihnen einen Monat lang mitten in der Schlafenszeit Futter gab. Dann ließ er sie mit Mausdamen paaren und untersuchte den Tagesrhythmus der Nachkommen.

Vor allem bei den Söhnen war die innere Uhr verstellt. „Sie aßen oft in der Zeit, in der sie normalerweise schlafen, also genau um die gleiche Zeit, als ihre Väter immer gegessen hatten“, erklärte Lassi, der am Institut für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum in München forscht. Je nach Uhrzeit unterschiedlich stark abgelesene Gene waren bei ihnen mit einer Zeitverschiebung von ungefähr sechs Stunden aktiv. Dadurch hatten sie einen veränderten

Maximilian Lassi, Helmholtz Zentrum München

Tagesrhythmus. „Bei künstlich befruchteten Söhnen, wo wir die Samenflüsigkeit entfernt hatten und nur die Spermienzellen verwendeten, konnten wir diese Ergebnisse nicht bestätigen“, so Lassi. Das bedeutet, dass nicht die Spermien, sondern Substanzen in der Samenflüsigkeit den Jetlag verursachten.

: FORSTWISSENSCHAFT

Laut Modellberechnungen steigt die Waldbrandgefahr weltweit in den kommenden Jahrzehnten stark an

JOCHEN STADLER

Der heurige Sommer brannte sich in viele Erinnerungen ein. Unkontrollierbare Feuer fraßen sich durch Baumlandschaften in Italien, Griechenland, Spanien, der Türkei, Sibirien und Kalifornien und wüten dort teils immer noch. Der Klimawandel wird die Brände in Zukunft weiter eskalieren lassen, sagt der Forstsystemexperte Florian Kraxner. Laut Modellberechnungen steigt die Waldbrandgefahr weltweit in den kommenden Jahrzehnten stark an. Zusätzlich werden die Feuer immer intensiver ausfallen. Vermindern könnte man solche Desaster nur, wenn man die Klimaziele von Paris endlich ernst nimmt und erfüllt.

Kraxner hat mit Kolleg*innen am Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien ein Computermodell namens FLAM entwickelt. Die Wissenschaftler*innenberechnen damit bei verschiedensten Klimaszenarien und Bewirtschaftungsformendie Wahrscheinlichkeit für Waldbrände in den jeweiligen Regionen weltweit und schätzen ihre mögliche Ausdehnung, Intensität und Emissionen ab. Auch in Österreich steigt die Gefahr: „Laut unseren Berechnungen

Florian Kraxner, IIASA, Laxenburg

nehmen die Wahrscheinlichkeiten, dass Feuer ausbrechen, als auch deren Brandflächekontinuierlich zu“, berichtet Kraxner. In der alpinen Landschaftsind sie oftschwer zu bekämpfen. Reduzieren könne man die Gefahr durch Klimaschutz und angepasste Waldbewirtschaftung,unterstützt durch verbesserte Aufklärung

: MATHEMATIK

Die Analyse kleiner Studien

Aus wenigen Daten holt Georg Zimmermann viel Information

USCHI SORZ

„Bei der Suche nach innovativen Behandlungen für seltene Erkrankungen gibt es Hürden zu überwinden“, sagt Georg Zimmermann. „Und natürlich gehört zu diesem interdisziplinären Unterfangen mehr als Statistik.“ Aber sie ist ein wesentlicher

Georg Zimmermann, Paracelsus Universität Salzburg

Teil im medizinischen Forschungsund Entwicklungsprozess. „Zahlen sind letztlich die Basis dafür, dass die Fachwelt die Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Therapien beurteilen kann.“ Der 31-Jährige ist Biostatistiker und leitet ein Team am Intelligent Data Analytics (IDA) Lab Salzburg an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, einem Kompetenzzentrum für die Bereiche Data Science, maschinelles Lernen, Artificial Intelligence und Statistik. Sein Fokus liegt auf der Verbesserung statistischer Analysemethoden.

Bei den seltenen Erkrankungen etwa besteht die Herausforderung darin, aus sehr wenigen Daten möglichst viel nutzbare Information zu gewinnen. „An Studien zu bestimmten Epilepsieformen oder zum Gendefekt Epidermolysis bullosa, an dem die Schmetterlingskinder leiden, nehmen oftnur zehn bis 15 Personen teil. Zur Auswertung derart geringer Datenmengen sind klassische statistische Methoden aber nicht gut geeignet.“ Zimmermann und seine Arbeitsgruppe entwickeln sie darum weiter oder schlagen in Fällen, wo die verfügbaren Verfahren unzureichend sind, neue Ansätze vor. „So wollen wir die Studienergebnisse belastbarer machen.“

Schon während des Mathematikstudiums war der Bad Ischler, der übrigens auch einen Bachelorabschluss in Altertumswissenschaften besitzt, wissenschaftlicherMitarbeiter für Statistik an der Universitätsklinik für Neurologie in Salzburg. „Die langjährige Kooperation mit Medizinern und anderen angewandten Wissenschaftlernhat mir die praktische Relevanz der Statistik vor Augen geführt. Mich als Grundlagenforscher fasziniert diese starke Interaktion zwischen Theorie und Praxis.“

: TECHNOLOGIE UND KLIMAWANDEL

Erfolgreiche Technologie braucht Verbote

Technologie soll uns im Klimawandel retten – aber sie verlangt eben auch einen Systemwandel, Einschränkungen und Verzicht

JOHANNES SCHMIDL

Der neue Bericht des Weltklimarates IPCC stellt klar: Um die Erde nicht einer Erhitzung von über 1,5 °C auszuliefern, müssen die globalen CO2 Emissionen – gemessen an denen von 2010 – bis 2030 um 45 Prozent sinken und 2050 bei null landen. Dazu muss ein seit 200 Jahren etabliertes System der Nutzung fossiler Energie durch ein anderes ersetzt werden, das auf Sonne, Wind und Wasser, Bioenergie und Geothermie basiert.

Die Utopie vom guten Leben durch Technologie

Der Begriff„Utopie“ bezieht seinen Namen vom kommunistischen Verzichts- und Gleichheitspamphlet „Utopia“ des Thomas Morus aus 1516. Es gibt aber noch einen zweiten Strang utopischen Denkens, der auf Francis Bacons Schrift„Nova Atlantis“ von 1627 zurückgeht. Deren Prinzip lautet: Wissen ist Macht, die Nutzung der Naturwissenschaftendurch Technik wird uns allen materiellen Überflus bescheren.

Diese Idee war historisch wirkmächtiger als jene von Morus. Sie hat sich seit der industriellen Revolution durch technologische Entwicklungen erfüllt und den Menschen in den industrialisierten Ländern Wohlstand beschert. Ihre wichtigste Basis sind Technologien zur Nutzung fossiler Energieträger.

Angesichts ihres historischen Erfolges ist es nicht verwunderlich, dass man auch die Lösungen für die Klimakrise von neuen Technologien erwartet. Politiker*innen werden nicht müde, deren entscheidende Rolle zu betonen. Im politischen Diskurs wird fallweise ein Scheinwiderspruch zwischen technischen Erfindungenund den Rahmenbedingungen konstruiert, die diese für die Marktentwicklung benötigen. Man wolle keine Einschränkungen und Verbote, keine verordnete Askese, sondern Innovation und Technologie, heißt es dann gern.

Diese Aussage beruht auf einem grundsätzlichen Missverständnis. Denn Technologien bestehen nicht nur aus technischen Entwicklungen

Johannes Schmidl, „Energie und Utopie“, zweite, aktualisierte Auflage, Sonderzahl. https://sonderzahl.at/product/ energie-undutopie-2

und Innovationen, sondern wesentlich auch aus einer ermöglichenden Infrastruktur, aus Gesetzen, Regulierungen und, ja, Verboten.

Um das Auto zu einem dominierenden Verkehrsmittel zu machen reichte die Erfindungdes Diesel- oder Ottomotors nicht. Es brauchte mehr: Man baute Straßen, schuf das Verkehrsrecht, verbot das Fahren unter zu viel Alkoholeinflus und mit zu hoher Geschwindigkeit, baute Straßenbahnnetze zurück und scheute für den Straßenbau nicht einmal Enteignungen. Verbote und Zwangsmaßnahmen für das Auto und seine Infrastruktur schränkten die Freiheit der Menschen ein, ermöglichten zugleich aber vielen auch ein Gefühl von Freiheit.

Erfolg der Fotovoltaik auch durch Zwangsmaßnahmen

Die Fotovoltaik, um zu einer Technologie des Klimaschutzes zurückzukehren, die man seit dem 19. Jahrhundert als physikalisches Phänomen kennt, wurde ab den 1950er-Jahren auf Satelliten eingesetzt. Dort war es egal, wie viel sie kostete: ein schachbrettgroßes Element viele Millionen Dollar. Dann folgten Taschenrechner und Armbanduhren, Spielzeug und netzferne Standorte auf Almhütten – alles ohne energiewirtschaftlicheRelevanz.

Erst die „deutsche Energiewende“ ließ ab der Jahrtausendwende viele Akteure einen stabilen Markt erwarten. Nun stiegen Industrie und Gewerbe weltweit in die Herstellung und die Installation der Module ein. Dazu kam ein gesetzlicher Rahmen, der Monopole aufbrach,Wirtschaftlichkeit durch verordnete Einspeisetarife ermöglichte usw. Ohne diese „Zwangsmaßnahmen“ würden heute nicht weltweit Solarkrafterke gebaut, die man vom Weltall aus sehen kann.

Strom aus fotovoltaischen Großkrafterken ist wie der aus Windkrafterken heute günstiger als der aus Kohlekrafterken – lauter „alte“ Technologien. Ihnen ist auch gemein, dass ihnen erst maßgeschneiderte Rahmenbedingungen einen Markt für ihr Wachstum schufen. Technologien brauchen sichere Rahmenbedingungen, die den Akteuren in der Wirtschafteinen Markt versprechen. Bei der Verbreitung innovativer Technologien einen Gegensatz zwischen technischer Innovation und Regelungen und Verboten zu konstruieren, verkennt die Komplexität von Technologiediffusionen

Die Hoffnung,innovative Technik würde unsere Probleme ohne begleitende Verhaltensänderungen und Rahmenbedingungen lösen, erfüllt sich nur in Utopien. Utopisten aller Zeiten haben ideale Welten beschrieben, dabei aber wenig Aufwand betrieben, um zu zeigen, wie man dorthin gelangt: Die utopische Welt ist immer schon fertig. Ignoriert man Begleitmaßnahmen und Rahmenbedingungen für den Übergang in die bessere Welt, kommt man dort nie an, sondern bleibt in der Utopiefalle stecken.

Dem australischen Coal Institute gelang es 2006, mit einem utopischen Technologieversprechen die Regierung von Regulierungen abzuhalten: Bis 2020, hieß es, würde etwa ein Viertel der CO2-Emissionen aus Kohlekrafterken durch Carbon-DioxidRemoval-Technologien gesammelt und sicher in der Erdkruste gelagert werden. Kohle würde irgendwann klimaneutral, wenn man von Zwangsmaßnahmen gegen die Kohleindustrie absehe. Es waren dann 2020 statt dem versprochenen Viertel symbolische 0,2Prozent: Politik in der Utopiefalle der Kohleindustrie.

Keine Zeit mehr, auf das Rettende zu warten

Wir müssen bekannten und vielfach bewährten Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energie und der Energieeffizien so schnell wie möglich den Weg in den Markt eröffnen.Dafür braucht es entsprechende Gesetze und Verordnungen, Finanzierungs- und Unterstützungsregime, begleitende Ausbildungs- und Beschäftgungsprogramme – und Verbote.

Natürlich wird es neue technische Entwicklungen geben, die CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen (Carbon Dioxid Removal) und im Laufe des 21. Jahrhunderts das 1,5°C-Szenario unterstützen. Doch für die Ziele, die wir bis 2030 erreichen müssen, kommen sie zu spät. Noch stammen 79 Prozent der weltweit verbrauchten Energie aus Kohle, Öl und Erdgas, die fossilen Energieträger erzeugen 87 Prozent der CO2-Emissionen. Wir haben keine Zeit mehr, auf rettende Innovationen zu warten. Daher ist ein Systemwandel notwendig.

Wissenschaft als Partner und Begleiter

Um sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, braucht es nicht nur Technologien, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen – soziale Innovationen. Das Team von POLICIES – Institut für Wirtschafts- und Innovationsforschung begleitet und evaluiert soziale Innovationen und unterzieht sie einem »Reality Check«. Das ist gerade für Programme, die Bildung und Forschung betreffen, enorm wichtig.

Kontakt: juergen.streicher@joanneum.at | sybille.reidl@joanneum.at

www.joanneum.at/policies

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