FALTER Stadtplanung

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FALTER

Nr. 20a/15

Stadtplanung Eine kritische Handreichung

Wien wird Zweimillionenstadt. Hier erfahren Sie, wo, wann, wie und warum Wien w채chst. Und wer 체berhaupt St채dte denkt, plant und macht

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2499/2015

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Coverillustr ation: Oliver Hofmann

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Editorial

Inhalt

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Wesen Weltstadt

ien wächst. Die neue geostrategische Position Wiens bringt es mit sich: Wien wächst in den nächsten Jahrzehnten um die Größe von Graz. Den meisten Wienerinnen und Wienern scheint das nicht besonders klar zu sein. Für die städtebauliche Entwicklung Wiens aber hat das selbstverständlich Folgen. Wir liefern hier – wie in allen unseren Themenbeilagen – die Informationen, wo, wie und vor allem warum dieses Wachstum stattfindet. Vor allem aber liefern wir Denkanstöße. Die Beilage wurde finanziert vom Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien im Auftrag der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung), und das Agreement lautetet wie immer: redaktionelle Unabhängigkeit des Falter, viele und gute Informationen vom Auftraggeber. Maik Novotny und ich haben das Heft konzipiert und dabei Wert auf Hintergrundinformationen gelegt, die vielleicht nicht allen Betroffenen, vielleicht nicht einmal allen an der Debatte Beteiligten gleichermaßen präsent sind. Wer oder was prägt die Stadt, nicht nur in Wien, auch weltweit? Warum entscheidet die Weltstadt das Schicksal der Welt? Wer waren die großen Urbanistinnen und Urbanisten? Wie verliefen die Linien der Stadtentwicklung in Wien? Wir freuen uns, dass so viele kompetente Menschen unserer Bitte gefolgt sind, Antworten auf diese Fragen zu finden. Die ebenfalls um Urbanismus bemühte Grafik des Hefts stammt von Raphael Moser und Oliver Hofmann. Das Grundsätzliche zum Thema Stadt wird ergänzt durch exemplarische Porträts. Und durch einen ausführlichen Teil, der – über die bekannten Orte wie Hauptbahnhof und Seestadt Aspern hinaus – die Hotspots der Planung beschreibt. Das Wort von der „zweiten Gründerzeit“ wollten wir vermeiden; das Wort „Wien 2.0“ gefällt uns besser. Nicht wegen des digitalen Untertons, sondern weil die Stadt die Zweimillionengrenze überschreiten wird. Die zentralen Konflikte der Welt entscheiden sich in den Städten. Wien hat dabei eine singuläre Position zu verteidigen. Wir hoffen, zum Verständnis dieser Vorgänge beizutragen.

Ar min Thurnher

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Was die Stadt bedeutet  Ein Essay von Maik Novotny über den Möglichkeitsraum Weltstadt.

Dazu neun wichtige Trends des Urbanismus, von Smart City bis Privatisierung ����������������������������������������������������������

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Wer die Stadt macht  Eine Typologie der Stadt-Macher. Was tun eigentlich Architekt, Stadtplaner,

Investor, eine grüne Fee, Utopist, Verwalter und Bürgermeisterinnen? �������������������������������������������������������������������� 10 Wer die Stadt denkt  Die wichtigsten Köpfe der Stadplanung und des Urbanismus: Camillo Sitte,

Le Corbusier, Rem Koolhaas, Saskia Sassen, Richard Sennett, Jane Jacobs, David Harvey und andere ��������������������� 12

Wie Wien wurde

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Die Gründerzeit  Gottfried Pirhofer beschreibt die Triebkräfte der Gründerzeit, die Interessen

des Kapitals, des Militärs, der Verwaltung. Dennoch gelang der Stadtplanung damals Unwiederholbares ������������ 22 Von Roland Rainer zu Wilhelm Kainrath  Manfred Schenekl führt uns von der Nachkriegszeit

und deren Flucht an den Stadtrand bis in die 1980er-Jahre und deren wiedererwachtes Sozialbewusstein ���������� 24 Das ungebaute Wien  Maik Novotny erforscht Architekturutopien. Aus vielen wurde

erfreulicherweise nichts. Bei anderen muss man das bedauern ���������������������������������������������������������������������������������� 26 Stadtplanung oder Städtebau?  Wer weiß schon, dass hier zwei Schulen miteinander streiten?

In Wien siegte die Planung, sagt Az-W-Chef Dietmar Steiner. Er plädiert für den Städtebau ���������������������������������� 28

Wohin mit Wien

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Das große Streitgespräch zur Zukunft der Stadt  Architektin Gabu Heindl, Architektin und

Stadtplanerin Silja Tillner, der Wiener Planungsdirektor Thomas Madreiter, Architekturprofesser Christian Kühn und Publizist Reinhard Seiß diskutieren mit Maik Novotny ���������������������������������������������������������������� 30

Wie Wiener wohnen

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Fünf untypisch-typische Porträts  Wir haben Wienerinnen und Wiener zu Hause besucht:

im Einfamilienhaus, in der Seestadt Aspern, im Meidlinger Gemeindebau, im ersten Bezirk, in Alt-Erlaa �������������� 42

Wo Wien wächst

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Der Plan  zeigt sämtliche Hotspots auf einen Blick:

Hier wird sich Wien in den nächsten Jahren am stärksten verändern ��������������������������������������������������������������������������48 Die Projekte  Jeder einzelne dieser Hotspots wird beschrieben, der Stand der Planung,

Probleme, Chancen und Widerstände werden referiert. Der komplette Blick ins Wien von morgen ������������������������ 50

Bücher   Pflichtlektüre für Urbanisten  Standardwerke der Stadtliteratur ������������������������������������������������������������������60

Impressum Falter 20a/15 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H., Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, F: 01/536 60-912, E: wienzeit@falter.at, www.falter.at Redaktion: Maik Novotny, Armin Thurnher Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.; Layout: Raphael Moser, Oliver Hofmann; Lektorat: Helmut Gutbrunner, Daniel Jokesch; Geschäftsführung: Siegmar Schlager Druck: Niederösterreichisches Pressehaus DVR: 047 69 86. Diese Beilage ist eine entgeltliche Einschaltung und erscheint in Zusammenarbeit mit dem Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien im Auftrag der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung). Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar

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Elke Rauth Die Chefredakteurin der Stadtzeitung dérive und Mitinitiatorin des Wiener urbanize!-Festivals porträtierte ihre Heroin Jane Jacobs

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Andreas Rumpfhuber Der Architekt und Architekturtheoretiker sezierte den urbanistischen Output des Kollegen Rem Koolhaas

Maik Novotny studierte Architektur und Stadtplanung, arbeitet als Journalist und konzipierte gemeinsam mit Armin Thurnher dieses Heft

Wojciech Czaja Der Architekturjournalist stellt die zehn wichtigsten Charaktere, die im Spiel um die Stadt seit jeher mitmischen, in Kurzporträts vor

Manfred Russo ist Kultursoziologe, lehrt an der Uni Wien und der Bauhaus-Uni Weimar und porträtierte Baron Haussmann, den Vater der Pariser Boulevards

Dietmar Steiner Der Direktor des Architekturzentrum Wien (Az W) mit einer Polemik über das Wiener Verhältnis zur Stadtplanung

Manfred Schenekl ist Historiker und Stadttheoretiker und schrieb für uns einen historischen Rückblick über das NachkriegsWien von Roland Rainer

Sabine Pollak Die Architektin und Professorin für Urbanistik an der Kunstuni Linz mit einem Porträt über Le Corbusiers Visionen und dem, was daraus folgte

Unsere Autorinnen und Autoren

Armin Thurnher ist Herausgeber und Chefredakteur des Falter, den er 1977 mit anderen gründete. Mit Maik Novotny konzipierte er dieses Heft

Sebastian Kiefer lebt als Wissenschaftler und literarischer Essayist in Berlin und verfasste eine ausführliche Buchrezension zu einer Bibel der Stadtgeschichte

Alle Informationen über jene Menschen, die an diesem Magazin mitgearbeitet haben

Raphael Moser Der Produktionschef des Falter Verlags gestaltete alle wesentlichen Geschichten dieser Beilage und sorgte für Abgabedisziplin

Oliver Hofmann Der Grafiker sorgte für die Titelgrafik, die Grafiken auf den Umschlagseiten und Symbolen in einzelnen Geschichten

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Gottfried Pirhofer Der Stadtplaner, Stadtforscher und Schriftsteller wirft einen Rückblick auf das Wien von Otto Wagner, Gründerzeit und Ringstraße

Matthias Dusini Der Feuilleton-Chef des Falter widmete sich in einem ausführlichen Porträt dem Wesen und Wirken des Stadtbaukünstlers Camillo Sitte

Lektorat Daniel Jokesch (Foto) und seine Kollegen Helmut Gutbrunner und Patrick Sabbagh sorgten für möglichst fehlerfreie Texte

Hannah Schifko Die Autorin und Journalistin recherchierte die Wiener Stadtentwicklungsprojekte und besuchte fünf Wiener und Wienerinnen

Elisabeth Postl arbeitet als freie Journalistin, u.a. für Die Presse. Für uns sah sie sich unter anderem an, wo man in Wien bald im Kreisverkehr leben kann

Christian Wind Der Fotograf reiste nach Alt-Erlaa, Aspern, Meidling und zum Waldrand und brachte von dort die Porträts von Wiener Stadtbewohnern mit

Marianne Schreck Die Falter-Chefin vom Dienst kümmerte sich um viele kleine Details wie Marginalspaltenbilder und Bilder von Wiener Baustellen

Hans Hochstöger fotografierte für uns das Streitgespräch zur Wiener Stadtentwicklung im Mobilen Stadtlabor mitten auf dem Karlsplatz

F o to s: Fa lt e r A rc h i v, J o h a n n e s H l o c h , f r a n z i k r e i s , S c h m ö l z e r , m a x s t ro h m e i e r , G e o rg S p i t z e r , L a r ry W i l l i a m s , H e r i b e r t Co r n , P r i vat

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Was ist das, eine Weltstadt? Warum die Welt immer urbaner wird und sich in der Stadt unsere Zukunft entscheidet. Ein Essay

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Camillo Sitte, Le Corbusier und Rem Koolhaas – diesen drei wirkmächtigen Stadtplanern widmen wir große Porträts

eltstadt 18

Baron Eugène Haussmann war ein Macher. Wir porträtieren ihn und zahlreiche andere, die unser Denken über die Stadt prägten

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Sie steht nicht still. Die Stadt a C

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Seit jeher ist die Stadt Motor der Kultur und Zivilisation. Sie ist Konfrontation mit dem Fremden, politischer Ort und Freiraum. All dies muss sie immer wieder von neuem verteidigen. Über den Zustand der Stadt heute Citoyen: M a i k No v o t n y

Foto: Corbis

h-ch-ch-ch-changes“, sang David Bowie 1971 zu Beginn seiner steilen Karriere, eine Hymne an die Selbstermächtigung. Schon damals verkörperte er die stetige Veränderung wie kaum ein anderer, wie jeder synonymaffine Journalist („das smarte PopChamäleon“) seit langem weiß. Er ist darin ein durch und durch urbanes Phänomen. Der schmächtige David Jones aus dem öden Bromley war wenige Jahre zuvor nach London gezogen und hatte sich in der Metropole in die Figur „David Bowie“ verwandelt. Auch bei seinen späteren Metamorphosen suchte er sich Großstädte als Nährboden aus: New York, L.A., Berlin. Es waren unruhige Städte, die nicht wirklich schön waren, aber in denen sich etwas tat. Eine „Salzburg Trilogy“ wäre wohl kaum ein kreativer Meilenstein geworden. Veränderungen und Chancen sind die Essenz und die ewige Verlockung der Stadt, sie ist Sehnsuchtsort und Magnet. Heute sind es Städte wie Jakarta, Lagos, Istanbul, Teheran oder Shenzhen, die mit ihren Möglichkeiten die jungen Suchenden vom Land mit (nicht immer eingelösten) Versprechen locken. Zuwanderer bewegen die Stadt und halten sie am Leben, und ein junger Syrer, der mit Eigeninitiative ein kleines Restaurant eröffnet, trägt möglicherweise mehr zu ihrem Gemeinwesen bei als ein 51-jähriger einheimischer Frühpensionist, der sich auf weitere fünf Jahrzehnte im subventionierten Schrebergarten freut. Die Stadt ist ein Möglichkeitsraum. Sie ist, wie es der britische Urbanist Peter Hall 1998 in seinem Monumentalwerk „Cities in Civilization“ nachwies, der Ort, an dem Kunst und Technologie zusammenkommen. Die gepflasterten Straßen und das Kanalsystem der Induskultur vor 3000 Jahren, die Zelluloid-Traumfabrik Los Angeles oder das emsige Innovationslabor Tokio geben davon Zeugnis. Wenn die Stadt, wie Karl Scheffler 1910 über Berlin schrieb, „verurteilt dazu ist, immer zu werden und niemals zu sein“, dann hat sie ihre Bestimmung erfüllt. Einerseits. Denn auf der anderen Seite akkumulieren Städte kulturelles Kapital und kulturelles Gedächtnis, sind sowohl Motor als auch Schatzkammer der Zivilisation und der Intelligenz. Diese Schatzkammer ist zu bewahren, und das kann im zivilisatorischen Fast-Overload von Florenz oder Venedig enden, der Städte schließlich unter dem Schutz von Unesco-Weltkulturerbe-Käseglocken ihren Zyklus vorerst beenden lässt. Dieser Konflikt zwischen Erneuerung und Bewahrung ist so alt wie die Stadt selbst. Die ungebremste, fortschrittsfrohe Lust an der Veränderung birgt die Gefahr, immer wieder dieselben Fehler zu machen und die kulturelle und ökologische Substanz zu zerstören. Die komplette Verweigerung von Veränderung führt zu Versteinerung und Friedhof – nicht selten, um dann wieder von vorn zu beginnen. Nicht wenige Städte haben im Laufe der Geschichte mehrmals beide Phasen durch-

Wo von Friedhof keine Rede sein kann: Aber auch in Mumbai droht das hässliche Gespenst der Gentrifizierung

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t als Möglichkeitsraum

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laufen. Boomende Gründerzeiten wie Wien und New York um 1900, kulturelle Glanzzeiten wie Athen im fünften Jahrhundert vor Christus, das Florenz der Renaissance und das Berlin der Roaring Twenties, Stagnation und Bedeutungsverlust wie Venedig im 17. Jahrhundert, Niedergang wie das antike Rom oder das heutige Detroit, brutale Zerstörung wie das aztekische Tenochtitlan oder das heutige Aleppo. Die Sprengung von Weltkulturbauten durch den IS in Syrien und im Irak ist auch als Krieg gegen die Stadt und ihre inhärenten Widersprüche zu verstehen. Stadt ist Konflikt und Verhandlung, Stadt ist Konfrontation mit dem Fremden und Unbekannten. Stadt ist Zivilisation. Das muss man aushalten.

Wien heute in der Mitte (Goldenes Quartier, links) und morgen am Rand (Seestadt Aspern, rechts)

Gespenst Gentrifizierung

Die Europäische Stadt – Erfolgsmodell oder Museum? Wie geht es also der Stadt heute? Die europäischen Stadtbilder von Paris oder Amsterdam sind als weltweit, von Las Vegas bis China, tausendfach reproduziertes Produkt zur sofort erkennbaren Marke geworden. Eine Erfolgsgeschichte, die stets die Gefahr der Musealisierung birgt. In den jährlichen Rankings sind es Städte wie Zürich, Melbourne und Vancouver, die als weltweit lebenswerteste gelten. Wien hält in der bekannten MercerStudie zurzeit den ersten Platz – dank Sicherheit, Rundumversorgung, Kultur und reichlich Grünflächen zur Erholung. Nicht ohne Ironie, wie der Wiener Schriftsteller Günter Hack vor kurzem treffend anmerkte: „Ein gutes Jahrhundert sozialdemokratischer Politik ist nötig, damit es eine Stadt in neoliberalen City-Rankings an die Spitze schafft.“ Auch die von Jahrzehnten des Wohlfahrtsstaats geprägten skandinavischen Städte rangieren in puncto Lebensqualität heute ganz oben, während diese in den Metropolen des freien Marktes weniger stabil ist. Ein Spitzenplatz, der seinen Preis hat. Denn die europäischen Stadtzentren, noch vor zwei Generationen vernachlässigt, zerfallen und kriegszerstört, sind längst zu Top-Locations mutiert. London ist eine Oase für Offshore-Kapital. Waren 1980 gerade mal acht Prozent der Londoner City in den Händen ausländischer Investoren, sind es heute schon 52 Prozent. Renzo Pianos 310 Meter hoher Wolkenkratzer „The Shard“ an der Themse gehört dem Staat Katar, die von Architekt Richard Rogers entworfene Wohnresidenz One Hyde Park gilt mit ihrem zweistöckigen Penthouse, das 2010 für 162 Millionen Euro verkauft wurde, als eine der teuersten Adresse der Welt – die jedoch vor allem als Geldanlage dient,

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denn gewohnt wird dort nur selten. Dies mag zunächst nur für Investoren interessant sein, doch London wird inzwischen selbst für den Mittelstand unerschwinglich und unbewohnbar, die „housing spiral“, verstärkt durch Olympia 2012, hat die Preise so explodieren lassen, dass die ersten Londoner schon nicht mehr in die Suburbs, sondern gleich nach Birmingham ziehen.

„Nicht nur Arme und Working Poor sind global von Vertreibung aus den Städten bedroht. Bedroht ist längst auch die Mittelklasse“

Auf dem Kontinent geht es zwar weniger schnell voran, doch auch hier erheben die Gespenster der Gentrifizierung und Verdrängung ihr böses Haupt. Wie der USÖkonom Richard Florida in „The Rise of the Creative Class“ schreibt, sind es just die David Bowies, die mit ihrem kulturellen Input Städte attraktiv machen – so attraktiv, dass sich die Changes auch in Quadratmeterpreisen manifestieren. Der Luxuswohnturm The Seven im einst szenigen Münchner Glockenbachviertel gilt heute als die teuerste Wohnlage einer deutschen Großstadt, Concierge-Service und privater Wellnessbereich inklusive. Selbst in Berlin, bislang eine Oase billigen Wohnens und freien Lebensentwürfe, werden die Verteilungskämpfe heftiger: Einerseits hatte die Stadt, anders als Wien, in den 1990er-Jahren den sozialen Wohnbau fahrlässig auslaufen lassen, da man glaubte, eh genug Wohnraum zu haben, was man heute, reichlich spät, zu korrigieren versucht. Noch dazu nehmen die Ferienwohnungen, die an die zahllosen durchs coole Berlin rollkoffernden Touristen vermietet werden, den dringend benötigten Wohnraum weg. Das heißt: Der Nährboden für die David Bowies von morgen wird knapper. Wird die Stadt also zum Reservat, in dem die Zuwanderer (und oft auch die Bewohner selbst) keinen Platz mehr haben, in dem Veränderungen nicht mehr gewünscht sind, weil „die Märkte“ den stabilen Status quo wollen? Dies betrifft nicht nur die Armen und Working Poor, auch die Mittelklasse ist zunehmend in Gefahr, den Anschluss zu verlieren, wie die enorme Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zeigt. Es sind Vertreibungen auf globaler Ebene, wie es die Stadtsoziologin Saskia Sassen 2014 in ihrem Buch „Expulsions“ diagnostizierte: „Es gibt heute mehr Ungleichheit, mehr Armut, mehr Flüchtlinge, mehr Gefängnisinsassen, mehr Überwachung, mehr Leute, die aus ihren Häusern geworfen werden, weil sie die Hypotheken nicht mehr zahlen können.“

Smart und grün Dabei geben sich die Städte solche Mühe, den hohen Standard aufrechtzuerhalten:

„Smart City“ lautet das aktuelle Motto, unter dem die Errichtung von Grünflächen, energieeffizientes Bauen, Reduzierung des CO2-Ausstoßes, intelligente Mobilität subsumiert (und subventioniert) werden. Auch Wien ist seit 2011 mit dem Programm „Smart City Wien“ dabei. Weltweit werden smarte und intelligente Initiativen gefördert, mit technologischen Lösungen, wie sie etwa am Smart Cities Lab des MIT in Boston entwickelt werden. Konzerne wie CISCO, IBM und Microsoft liefern die Hard- und Software dazu – denn Smart-City-Initiativen sind keine ehrenamtlichen Blumenzwiebel-Pflanz-Aktionen, sondern ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig mit grün-ökologischer Unique Selling Proposition. Manche sehen den Begriff genau deshalb kritisch: „Smart City“ als global verkaufbares, vage formuliertes Label, dominiert von Technik- und IT-Konzernen im Verbund mit der EU. Manche dieser Initiativen lassen sich schon heute an ihren Taten messen. Auch bislang autoaffine Länder und Städte sind grün geworden. Janette Sadik-Khan, New Yorks Verkehrsstadträtin von 2007 bis 2013, hatte nach ihrem Amtsantritt über 400 Kilometer Radwege durch die Stadt legen lassen. Kreuz und quer durch Manhattan wurden grüne Streifen auf den Asphalt gemalt, das 2013 gestartete Bike-SharingSystem wurde zum Riesenerfolg. Seit 2000 hat sich die Anzahl der Radfahrer mehr als verdoppelt. Die Radoffensive ist Teil des ambitionierten PlaNYC-Programms von Bürgermeister Michael Bloomberg, mit dem unter anderem die CO2-Emissionen New Yorks um 30 Prozent gesenkt werden sollen. Die Radler schwärmen von besserer Luft und einer völlig neuen Stadterfahrung, die Gegner verfallen in zum Teil absurde Nostalgie und sehnen sich zurück nach ihrer Großstadtkindheit zwischen Spritzen, Ruß und Abgasen, als noch nicht alles so grün, so sicher und so langweilig war. In Wien haben das ebenso heftig bekämpfte Parkpickerl und die 365-EuroJahreskarte den innerstädtischen Verkehr beruhigt, und auch die heiß diskutierte verkehrsberuhigte Mahü ist seltsamerweise nicht zu jener Komplettapokalypse geworden, die einige Kritiker prophezeit hatten.

Wutbürger und Privilegien Kritiker sind, das weiß man schon von den lustvoll gestikulierenden Bürgern auf der Agora des antiken Athen, in Städten keine Seltenheit, und das ist auch gut so. Schon die Römer unterschieden zwischen der urbs,

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S t a d t p l a n u n g    der gebauten, physischen Stadt, und der civitas, der Stadt als Zusammenschluss von Bürgern. Die Stadt ist ein politischer Ort. Doch haben die Kritiker gerade dort, wo es den Leuten am besten geht, in den letzten Jahren ihren Ton verschärft. Die Bürgerini­tiativen, geboren aus dem Geist von 1968, der immer das große Ganze im Blick hatte, fokussieren ihre Proteste immer öfter auf Einzelprojekte – Beispiel Stuttgart 21, die Proteste gegen den Bahnhofsbau –, an denen es einiges zu kritisieren gibt, dennoch verwundert die teilweise monothematische Aggression der Wutbürger, die sich fast immer aus gebildeten Schichten rekrutieren, sodass der Verdacht naheliegt, es gehe vor allem um die Verteidigung eigener Privilegien und um die Angst, den historisch einmaligen Wohlstand der letz-

ten Jahrzehnte in der westlichen Welt wieder zu verlieren. Da wird schon der „Monsterbetonklotz“, der den eigene Garten zu verschatten droht, zur existenziellen Bedrohung. Wenn die Berliner darüber abstimmen, ob Freiraum für Joggerinnen und Jongleure wichtiger ist als die Schaffung von Wohnraum, der den Joggern und Jongleuren das Leben in Berlin letztendlich ermöglicht, stellt sich auch die Frage nach Egoismus und Solidarität. Die Angst vor dem Verlust des Bestehenden wiegt schwer. Sicherheitsdebatten werden die Städte in Zukunft noch deutlicher prägen, wenn der öffentliche Raum zum videokameraüberwachten Kontrollbereich wird, wenn ganze Innenstädte wegen politischer Events tagelang zu No-go-Zonen werden, wenn mühsam errungene ur-

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bane Freiheiten außer Kraft gesetzt werden, mit der Begründung, es sei zu unser aller Sicherheit. Die Bürger von St. Louis und Ferguson rieben sich im Herbst 2014 die tränengasvernebelten Augen und fragten sich, wer hier wen beschützt und wer gegen wen Krieg führt, als sie sahen, wie Polizeitruppen, martialisch ausgerüstet wie zu einer Invasion, ihre Straßen stürmten. Keine Frage: Spätestens seit den medial in alle Welt transportierten Protesten im Zuccotti Park in New York, im Gezi-Park in Istanbul, auf dem Maidan in Kiew und dem Tahrir-Platz in Kairo werden Städte heute wieder als politische Orte wahrgenommen. Und der nächste David Bowie kommt möglicherweise per Boot über das Mittelmeer. Die Veränderung geht weiter. F

Zwischen Smart City und Gentrifizierung – neun Aspekte der Stadt heute Smart City  Niemand weiß genau,

was sie ist, aber alle wollen sie: Die Smart City ist das urbane Buzzword Nummer eins. Umwelttechnologie, Verkehrslösungen, Bürger­engagement, öffentliches Gratis-WLAN, intelligente Mobilität, energiesparendes Bauen, Photovoltaik auf dem Dach, bessere Lebensqualität, all dies wird weltweit unter das Label gepackt, das den ausgemolkenen Begriff „Nachhaltigkeit“ ersetzt. Man kann es schlicht als „Städte besser machen“ zusammenfassen. Wien ist beim EU-geförderten Smart-City-Programm vorne dabei, etwa mit dem Projekt „Smart Cities Demo Aspern“. 2014 beschloss Wien die Smart-City-Rahmenstrategie 2050, Motto: „Beste Lebensqualität für alle Wiener bei größtmöglicher Ressourcenschonung“. F

Schrumpfende Städte  Auch das

gibt es gar nicht so selten: Auch wenn immer mehr Menschen in Städte ziehen, werden diese ED S nicht alle in gleichem Maße gröO L C ßer. Dort, wo es wirtschaftlich bergab geht, ist auch in Städten nicht mehr so viel zu holen. Paradebeispiel: die ostdeutschen ­Städte, die nach der Wende fast ausnahmslos Einwohner verloren, oft bis zu einem Viertel der Bevölkerung. Mit der Folge, dass Städte, bei denen finanziell ohnehin schon die Alarmglocken läuten, plötzlich auch auf teurer, überdimensionierter Infrastruktur sitzen. International ist wohl das postindustrielle Detroit das bekannteste Beispiel. In Österreich sind eher ländliche Regionen betroffen, hier sucht seit einigen Jahren die „Leerstandskonferenz“ nach möglichen Lösungen. F

Grüne Stadt  Die Verwandte der

Smart City und viel älter als diese. Schon die britischen garden cities und die deutschen Gartenstädte der Reformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts können als grüne Städte gelten. In den 1990er-Jahren waren es neue Stadtviertel wie die Solar City in Linz und das Quartier Vauban in Freiburg, die durch alternative Energien das Grün in die Stadt brachten: Niedrigenergie, Passivhäuser und Carsharing wurden in diesen Pioniersiedlungen ausgetestet, heute Standardzubehör des ökologischen Siedlungsbaus. Heutige Green Citys sind ungleich riesiger und ambitionierter, sie heißen Masdar (Emirate), Tianjin (China) und Songdo Business District (Korea). In der Alten Welt betreibt man derweil Urban Gardening. F

ersten Mal in der Menschheitsgeschichte leben heute mehr Menschen in Städten als auf dem Land. In manchen Städten ist das geradezu physisch spürbar, sie haben ihre Einwohnerzahl sprunghaft erhöht. Als Megacitys gelten Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern, zurzeit gibt es weltweit 36 davon. An der Spitze steht die Stadtregion Tokio mit 37 Millionen, gefolgt von Delhi, Seoul, Shanghai, Mumbai, Karachi, Mexiko-Stadt, Peking, São Paulo und Lagos, die alle mehr als 20 Millionen Einwohner aufweisen. Vor allem die afrikanischen Großstädte werden in den nächsten Jahren enorm wachsen, hier ist der Altersdurchschnitt am niedrigsten und die Anziehungskraft der Großstadt ungebrochen. F

Mobilität  Kein urbaner Bereich

Stadt und Frauen  Wie man im

ist heute so innovationsfreudig wie der Verkehr. Im Schnelldurchlauf: Curitiba in Brasilien und Bogotà in Kolumbien bekämpften das Autochaos radikal-erfolgreich durch neue Schnellbuslinien. Smog-geplagte Städte in China und Indien tun dasselbe. In Seoul riss man eine Stadtautobahn ab und stellte einen Flusslauf mit Promenade wieder her. In London plant man „Bicycle Super Highways“ auf Stelzen, in Korea gibt es sie schon. Bikesharing ist von New York bis Manila auf dem Siegeszug. Intelligente datenbasierte Verkehrssysteme werden überall entwickelt – wie das elektronische Parksystem in San Francisco, das Autofahrer auf freie Plätze hinweist und Parkgebühren in Echtzeit nach Nachfrage regelt. F

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Globale Megacitys  Zum

historischen Teil dieses Hefts erkennt: Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden Städte von Männern geplant. Heute haben Theoretikerinnen wie Beatriz Colomina und Saskia Sassen Deutungshoheit erobert, auch in der Praxis planen Frauen Städte und städtische Räume. Auf der anderen Seite sind Frauen auch als Stadtbenutzerinnen im Fokus der Planung: gendersensible Verkehrsplanung, Beleuchtung öffentlicher Räume zur Vermeidung dunkler Angsträume, für Frauen reservierte U-Bahn-Waggons, wie in Japan oder dem Iran üblich. Auch die Stadt Wien hat ein Programm für Gender-Mainstreaming – es kümmert sich anderem um Mobilität, Schutz vor Gewalt und Gehsteiggestaltung. F

Angst und Sicherheit  Wo kommen

plötzlich die ganzen Überwachungskameras her? Wer sieht, was sie sehen, und was passiert mit den Daten? Wo kommt das ganze Security-Personal her, und welche Rechte hat es? Ging das früher nicht ohne? Wer profitiert von all dem? Leben wir in einem Zustand ständiger Bedrohung? Die städtische Sicherheitsdebatte ist eine der drängendsten der letzten Jahre. 2014 widmete sich das Wiener urbanize!-Festival dem Thema „Safe City“ und stellte einerseits Fragen nach Macht und Überwachung, andererseits zur sozialen Sicherheit in unseren von Verdrängung geprägten Städten. Hier sind selbstorganisierte, kollektive und informelle Bewegungen von Quito bis Berlin entstanden, die sich der Selbstversorgung widmen. F Gentrifizierung  Eines der Schlag-

worte der letzten Jahre und längst aus der Fachwelt in den allgemeinen Sprachgebrauch gerutscht. Problemzone Bobo: Künstlerinnen und Designer siedeln sich in coolen Vierteln mit billigem Wohnraum an, machen Cafés mit lustigen Namen auf, Cafés werden beliebt, noch mehr Cafés folgen, die Künstlerinnen werden reicher, ihre Wohnungen größer, Banker Schorschi will auch cool wohnen und zieht ins Viertel, der Investor kauft das Haus mit dem Café, diejenigen, die schon vor den Künstlern da waren, können sich das Wohnen nicht mehr leisten, und am Schluss, wenn alle gemeinsam alt werden, ist auch die Coolness futsch. Bekannte Beispiele sind Prenzlauer Berg in Berlin und Williamsburg in New York. F Privatisierung des öffentlichen Raums  Immer öfter werden öf-

fentliche Projekte durch Publicprivate-Partnerships finanziert. An sich keine schlechte Sache. Doch meistens profitiert der private Partner dabei ungleich mehr. Geht es dabei um den öffentlichen Raum der Straßen und Plätze, führt das zu neuen juristischen Grenzziehungen. Was ist öffentlich, was privat? Darf man vom Vorplatz eines Bankgebäudes vertrieben werden, wenn man für ein paar Sekunden zu dritt zusammensteht? Wie viel Werbung und Kommerzialisierung verträgt der öffentliche Raum? Darf die Supermarktkette Selfridges in Manchester mit „anti-homeless spikes“ auf dem Boden den Aufenthalt von Obdachlosen verhindern? Und wem gehört die Stadt überhaupt? F NO ENTRY

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Stadtplanung

Wer baut die Welt der Stadt? Die Quellen für das Geplante und Gebaute in den Städten dieses Planeten sind so unterschiedlich wie deren Resultate. Hier ein Überblick über die wichtigsten globalen Charaktertypen und ihre Projekte und Utopien, die sie hervorgebracht haben Text: W o j c i e ch C z a j a I l l ustr a t i o n : Oliver Hofmann

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Der Stadtplaner

Der Architekt

Visionen dulden keine Menschlichkeit

Wenn einem die Stadtplanung spanisch vorkommt

Keine andere Hauptstadt der Welt hat mehr Lob und mehr Kritik geerntet als die von Oscar ­Niemeyer und Lúcio Costa geplante Retortenmetropole ­Brasília. Die Bauarbeiten begannen im Februar 1957. Schon am 21. April 1960 fand die feierliche Eröffnung statt. Der Plan wirkt bis heute exotisch: Während die öffentlichen Bauwerke entlang einer Monumentalachse aufgefädelt sind, wurden die Wohnhäuser in „Superquadras“, rund 400 mal 400 Meter großen und von mehrspurigen Schnellstraßen gerahmten Gevierten, untergebracht. Die Blocks wurden durchnummeriert und durchalphabetisiert. Der Fokus galt weniger dem Menschen als vielmehr der neuen Freiheit in Form von Autos. 1987 wurde die Stadt zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Der Schweizer Architekt und ­Stadtplaner Le Corbusier hingegen nutzte die Gelegenheit, auf indischem Boden eine Stadt aus dem Nichts zu erschaffen. Der Grundstein für Chandigarh wurde 1952 gelegt. Die Utopie der Moderne lässt sich anhand der Gebäude und des Straßenrasters ablesen. Le Corbusier unterteilte die Stadt nach dem Prinzip des Schachbretts in zunächst 47, später dann mehr als 100 Supersektoren. F

Es kommt nicht oft vor, dass man Architekten die Möglichkeit einräumt, ein ganzes Stadtviertel aus dem Erdboden zu stampfen. Erstaunlicherweise ist die Wahrscheinlichkeit, so einen architektonischen Lotto-Sechser zu erhaschen, in Spanien am größten. Santiago Calatrava, der Meister der überdimensional aufgeblasenen Tierskelette, plante in Valencia die 35 Hektar große Ciudad de las Artes y las Ciencias. Die 1998 eröffnete Stadt der Künste und Wissenschaften mit ihren Palästen und Museen, die Valencia fast in den Ruin zog, gleicht heute einem OpenAir-Friedhof der Ideen, gesäumt von Monumenten eines narzisstischen, marketingtechnisch überaus klugen Egomanen. In Santiago de Compostela wiederum (Endstation des Jakobswegs) entsteht im langen Stop-andGo-Verfahren die Cidade da Culture de Galicia, ein steinernes Architekturgebirge mit Kunstzentrum, Opernhaus, Theater, Museum, Bibliothek und Büros. Nicht nur die Gestaltung von Peter Eisenman, auch die Kostenexplosion auf mehr als das Doppelte ist beeindruckend. Die Fertigstellung ist für kommendes Jahr geplant. F

Der Utopist

Der Investor

Kann man denn den Träumen widerstehen?

Der Ausverkauf der Stadt

Alles ist möglich. Man braucht nur die nötigen Ideen, die richtige Portion Selbstsicherheit und Unverfrorenheit. „China ist ein Land der Visionen, mit Möglichkeiten, die es bei uns nicht gibt“, sagt der deutsche Architekt Meinhard von Gerkan. „Nennen Sie mir einen Architekten, der diesen Reizen nicht verfällt!“ Zum Beispiel jenem, eine Stadt für 800.000 Menschen zu errichten. Rund 70 Kilometer südlich von Shanghai baut von Gerkan eine kreisrunde Polis namens Lingang. Die Stadt hat alles, was man braucht, nur eines nicht – öffentliches Leben. „Ich höre oft den Vorwurf, dass ich dort wie ein Schöpfer agiere“, so von Gerkan. „Aber ich mache nur meine Arbeit.“ So wie auch andere: Bjarke Ingels macht Masterpläne für ganze Städte in Aserbaidschan. Und Carlo Ratti, Direktor des Senseable City Lab am MIT in Boston, plant begehbare „Clouds“. Alles sehr vage. Na und? „Eine der wichtigsten Quellen des menschlichen Fortschritts ist das intellektuelle Denken über den Tellerrand hinaus“, so Ratti. „Wenn man zu dieser Entwicklung etwas beitragen will, dann muss man immer mit einem Traum anfangen.“ F

Aus dem ehemaligen Industrieviertel Savamala in der serbischen Hauptstadt soll „Waterfront Belgrade“ werden. Nicht von ungefähr erinnern die hochtrabenden Pläne an ein zweites Dubai: Als Starthelfer fungieren Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie investieren drei Milliarden Euro in das Projekt. Was wenige wissen: Hinter den Absichten, hier Luxuswohnungen, Büros, Shoppingcenter und einen 200 Meter hohen Wolkenkratzer zu errichten, verbirgt sich die Privatisierung des letzten größeren Uferstücks an der Save. Stadtplaner und NGOs üben massiv Kritik. Auch in Katar wird massiv an der Privatisierung der Hauptstadt Doha gearbeitet. Der Immobilienentwickler Msheireb errichtet eine 31-Hektar-Downtown mit Wohnungen, Büros und Straßenbahn. Öffentlich ist hier nur der rundum vorgegaukelte Schein. Doch man muss nicht erst in die Ferne reisen, um des Ausverkaufs der Städte gewahr zu werden. Auch in Wien ist ein solcher Prozess zu beobachten. Bestes Beispiel dafür ist das Goldene Quartier, das dank René Benko und Signa Holding zu einem globalen, austauschbaren Versatzstück im Herzen der Wiener Innenstadt wurde. F

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Der verhinderte Architekt

Der Bürgermeister

Der Verwalter

Stadtplanung mit Harmonie im Herzen

Die Häupls der anderen gehen lieber zu Fuß

Drama vor den Toren Hollywoods

Erst im Dezember letzten Jahres legte Prince Charles, der sich seit jeher in die Belange von Architekten und Stadtplanern einzumischen weiß, eine 10-­Punkte-Fibel für eine „etwas reifere Betrachtung“ von Stadtplanung vor. Wer meint, darin Ratschläge und empirische Daten vorzufinden, irrt. Nein, dem Prince of Wales und Anhänger einer konservativen Denkweise geht es vielmehr um zehn „wichtige Prinzipien der Geometrie“ und um den „richtigen Mix aus dem besten Alten mit dem besten Neuen“, der sich „am menschlichen Maßstab und am Herzen des Prozesses“ orientiert. Charles gibt Tipps zum richtigen Umgang mit Materialien, ­äußert ­Bedenken zu den vielen Kabeln, Ampeln und Verkehrsschildern und gemahnt die Planer zu mehr Harmonie und zur besseren Kenntnis der Grammatik der Stadt. Was das alles mit der von ihm ebenfalls zitierten „Flexibilität“ (Punkt 10) zu tun hat, bleibt fraglich. Macht nichts. In Poundbury, einer Art britischem Crossover aus Wisteria Lane und ­Stepford, kann man sich ein Bild davon machen, wie diese Visionen manifest werden. In der 1993 eröffneten Stadt leben heute rund 2500 Menschen. A bit spooky, ­indeed. F

Selbst in den größten Metropolen gibt es noch Hoffnung auf Veränderung. Als der ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg 2009 verkündete, er wolle den Times Square verkehrsberuhigen und die Autos vom wahrscheinlich bestbeleuchteten Platz der Welt für immer verbannen, spaltete er die Stadt: Die New Yorker liebten oder hassten die Idee. Heute stehen am mittlerweile rot gestrichenen Asphalt Parkbänke, Tische, Stühle und Sonnenschirme herum, und die einzige bereifte Mobilität, die hier noch vorzufinden ist, sind Skater und Radfahrer. Die Verfußgängerzonierung Manhattans geht weiter. Nach und nach soll New York zu einer grünen Stadt werden. Bestes Beispiel dafür ist die ebenfalls unter Bloomberg initiierte Revitalisierung der Highline. Viel Revolution auch in Südamerika: In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotà entrümpelte der damalige Bürgermeister vor zehn Jahren die Innenstadt von Autos, schuf Fahrspuren für knallrote Expressbusse und legte hunderte Kilometer von Highways an – für Radfahrer wohlgemerkt. Das Projekt zählt zu den radikalsten und nachhaltigsten der Welt. F

Los Angeles trägt das Stigma der Highway-Hölle. Völlig zu Recht. Doch nun soll der Straßenmoloch auf eine sogenannte „road diet“ gesetzt werden. Auf dem Plan stehen weniger Fahrstreifen für Autos, stattdessen mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, die Errichtung von parklets, also von Schanigärten im öffentlichen Freiraum, sowie der Ausbau der Subway- und Lightrail-Linien in Downtown, West Los Angeles, Hollywood, Long Beach, Santa Monica und Culver City. 30 Milliarden US-Dollar (27 Milliarden Euro) nimmt die Stadtverwaltung für diese MegaRenaissance in die Hand. Der Mann hinter diesen Visionen ist Stadtplanungsdirektor Michael J. LoGrande. „Der Planning and Zoning Code (Stadtentwicklungsplan, Anm.) stammt aus dem Jahr 1946. Das ist ein Dinosaurier“, sagt LoGrande. „Seit damals hat sich viel verändert, nicht nur im Bauen, sondern auch im Denken. Im neuen ­Zoning Code, dem sogenannten Recode L.A., wollen wir die Bauund Entwicklungsvorschriften überarbeiten und Los Angeles auf diese Weise eine neue DNA einverleiben.“ Das Ausufern der Stadt soll damit langfristig eingedämmt werden. Dank sei dem Beamten. F

Die grüne Fee

Der König und Diktator

Der Aktivist und die Crowd

Mit Blumen gegen den Backofen-Effekt

Stadtplanung ohne Widerrede

Partizipation mit Bomben und Marie

Der Wiener Architekt Harry Glück, Vater der Wohnhausanlage Alt-Erlaa, wendet in seinen Wohnbauten die sogenannten „Grundsätze der Reichen“ an. Diese sind: Licht, Luft, Sonne, Nähe zu Natur, Nähe zu Wasser, Mobilität und Möglichkeiten zur Kommunikation. Mit seinen Balkonen und Blumenkästen ist Glück zwar einer der wenigen, aber bei weitem nicht der einzige Verfechter der grünen Stadt. Auch der Pariser Botanikkünstler Patrick Blanc setzt sich für mehr Großstadt-Grün ein. Sein Markenzeichen: der „Mur végétal“, der vertikale Garten, den er bereits in Dutzenden Projekten umgesetzt hat, unter anderem im Hotel Sofitel in Wien. „Im unmittelbaren Bereich eines Gartens jedoch gibt es natürlich ein viel besseres Mikroklima. Die Luft wird gefiltert, Schimmelpilze und Bakterien werden bekämpft, und die Luft riecht und schmeckt deutlich frischer.“ Das bestätigt auf die Amsterdamer Stadtplanerin Helga Fassbinder: „In der Stadt herrscht im Sommer der sogenannte Backofen-Effekt. Studien haben ergeben, dass man mit zehn Prozent mehr Grün die sommerliche Temperatur in den Städten um drei Grad Celsius senken kann.“ Wenn das keine Argumente sind! F

Almaty ist eine grüne, schön gewachsene Stadt am Fuße des Tian-Shan-Gebirges, mit einem verhältnismäßig angenehmen Kontinentalklima. Aber das war Staatschef Nursultan Nasarbajew zu wenig. Und so beschloss er 1997, die kasachische Hauptstadt zu verlassen und seinen Regierungssitz in die Retorte Astana, 1000 Kilometer nördlich, zu verlegen. Da ist das Klima zwar rauer und unerträglicher, doch umso besser gedeihen hier, inmitten der Steppe, die größenwahnsinnigen Architekturund Stadtplanungsambitionen des de facto diktatorischen Herrschers. Im 105 Meter hohen Bajterek-Turm, einem nicht ganz so geglückten Werk von Sir Norman Foster, verewigte sich Nasarbajew mit dem vergoldeten Abdruck seiner rechten Hand. Gänsehaut. Allein, der Reiz des Unerklärlichen liegt nicht nur in der Ferne. Es reicht ein Blick nach Sotschi, ins sommerliche Urlaubsparadies der Russen, um sich über das möglich gemachte Unmögliche zu wundern. Mit der nötigen Macht mutiert sogar die Copa Cabana Russlands, die heißeste Meile im Putinland, zum Austragungsort der Olympischen Winterspiele. F

Man muss nicht erst auf die Expertise und Direktive von oben warten. Immer öfter nimmt die Bevölkerung die Stadtplanung selbst in die Hand, steigt auf die Barrikaden, protestiert gegen Stuttgart 21 und marschiert mit Seed-Bombs gegen die Machenschaften der Politiker und Immobilienhaie. Guerilla-Gardening und Urban Farming sind nur zwei der möglichen Ausformulierungen. In Südamerika greift die Bevölkerung immer öfter in den Farbbottich und verschönert das Unverschönbare. So geschehen in Rio de Janeiro unter der Initiative und Regie der niederländischen Künstler Haas & Hahn. Das Low-BudgetProjekt „Favela Painting“ ist legendär. Ein Platz in den Annalen der Stadtplanung ist auch der Londoner „Garden Bridge“ sicher. Der Fußgängersteg über die Themse ist längst überfällig. Nachdem die Stadt das Budget nicht aufbringen kann, wird der 367 Meter lange Park nun von der Stiftung Garden Bridge Trust sowie über Crowdfunding finanziert. Die Brücke, die im Frühjahr 2018 eröffnet werden soll, beweist: Der Bürger ist nicht nur mündig geworden, sondern tritt auch als potenter Geldgeber und Mitgestalter auf. Partizipation 5.0 sozusagen. F

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Camillo Sitte: Nieder mit der Rasterstadt!

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an kann davon ausgehen, dass Camillo Sitte heute zu jener Spezies von Musikliebhabern zählen würde, die Vinyl einer Compact Disc vorziehen. Denn der Direktor der Wiener Staatsgewerbeschule, begeisterter Freizeitcellist und Richard-Wagner-Anhänger, liebte die Nebengeräusche, die entstehen, wenn die Idee eines Kunstwerks die Bühne des Lebens betritt. Als ein früher Theoretiker des Atmosphärischen flanierte er entlang der neuen Prachtbauten zwischen Rathaus und Hofoper und vermisste auf seinen Spaziergängen durch das Wien der Ringstraßenzeit jene Unregelmäßigkeiten, die eine glatte Oberfläche sinnlich machen: Staub, Wind, Bodenbelag und Bepflanzung waren ihm ebenso wichtig wie Fassadengestaltung und historisch korrektes Baustilzitat. „Zur Erweckung eines Heimatgefühls“ möge die Gestaltung dessen dienen, was heute öffentlicher Raum heißt. Sitte graute vor dem „Blockrastrum“, dem in einzelne Blöcke zerschnittenen Stadtraum, und vor dem geometrischen Funktionalismus der aufkeimenden modernen Stadtplanung. Gegenüber schnurgeraden Straßenzügen bevorzugte Camillo Sitte Krümmungen, unregelmäßige Fassadenverläufe gegenüber geraden Blockzeilen. Frei stehende Gebäude wie das Rathaus oder die Votivkirche würden ihre monumentale Wirkung durch misslungene Proportionen zwischen gebautem und umbautem Raum verfehlen. Der ehemalige Schüler des Piaristengymnasiums liebte den an drei Seiten geschlossenen Piaristenplatz (heute JodokFink-Platz), über den der kritische Urbanist schrieb: „Er ist bloss 47 Meter breit, also um volle zehn Meter schmäler als die Wiener Ringstrasse, während man nach dem Augenmasse meinen möchte, dass umgekehrt die Ringstrasse schmäler wäre. Das kommt lediglich davon her, weil dieser Platz gut componiert ist. Wie mächtig wirkt daher die hier so vortheilhaft situirte Kirchenfassade, welche deshalb gleichfalls grösser erscheint, als sie wirklich ist.“

Der Wiener Architekt Camillo Sitte (1843–1903) wollte die Stadtplanung vom Diktat der Geraden befreien und wurde als „Kleinstadt­ idylliker“ miss­ver­ standen PORTRÄT: M AT T H I A S D U S I N I I l l ustration : P . M . H o f f mann

Das 1889 erschienene Buch „Der Städtebau Zur Person

nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ gehört zu den Merkwürdigkeiten der Architekturgeschichte. Da legt ein bis dahin der Öffentlichkeit lediglich als Verfasser von Kunst- und Architekturkritiken bekannter Schulleiter ein nicht sonderlich umfangreiches Buch vor, das so erfolgreich ist, dass schon nach zwei Monaten eine zweite Auflage erscheint; rasch wird das Buch in andere Sprachen übersetzt. Die Umsetzung seiner an englische Gartenstadtmuster angelehnten Ideen folgte den Exportwegen der Publikation. Karl Henrici berief sich bei der Stadterweiterung Münchens auf Sittes Grundsätze, finnische Architekten planten Wohn-

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Camillo Sitte, 1843–1903, arbeitet zuerst im Wiener Büro seines Vaters als Architekt. Später lehrte er an der Salzburger, danach an der Wiener Staatsgewerbeschule, deren Direktor er 1899 wurde. Stadtplanungen für slowenische und böhmische Städte, Juror, Publizist und Autor von über 150 Publikationen

viertel nach Sittes Vorgabe mit krummen Straßen und privaten Gärten, und selbst amerikanische Stadtgründungen gehen auf die Verbreitung seiner Ideen zurück. Nur in seiner Heimatstadt blieb Sitte ein Au-

ßenseiter, auch wenn er ein weitverbreitetes Unbehagen an dem großen städtebaulichen Projekt des 19. Jahrhunderts artikulierte. Die vor 150 Jahren umgesetzte Stadterweiterung auf der Ringstraße war für viele Wiener ein zweifelhafter Triumph ökonomischer Vernunft über die Bedürfnisse der Bewohner. Die Rasterbebauung, wie sie auch bei der Planung der Ringstraße angewandt wurde, war für Sitte ein Symbol für eine von privaten Interessen vorangetriebene Stadtplanung. Warum Sitte heute nicht als großer Gegenspieler von Otto Wagner, dem Vertreter des modernen Rationalismus, dasteht, sondern als etwas verschrobener Kleinstadt­ idylliker verkannt wird, liegt auch daran, dass er in Wien nie Fuß fassen konnte. Seine Projekte als Stadtplaner beschränkten sich auf kleine Städte wie Olmütz oder Marienberg in Schlesien. In den ideologischen Kämpfen zwischen Fortschritt und Reaktion wurde Sitte allzu schnell dem konservativen Lager zugeordnet. Einige Anhänger deuteten dessen Schriften zu Unrecht in einem völkisch-rassistischen Sinn, etwa Henrici in München, der beim „Kampf um das deutsche Wesen“ die Stadt von allem fremden Rechtwinkeligen reinigen wollte. Aus heutiger Sicht entwickelte Sitte Anleitungen für die Benutzbarkeit von Städten. Er kritisierte die neuen Plätze aus der Sicht eines Flaneurs, die gespenstische Leere mancher Stadterweiterungsgebiete vorwegnehmend. In seinem Buch konstatiert er eine sich ausbreitende nervöse Krankheit namens „Platzscheu“. Unter Platzscheu würden Menschen leiden, die ein Unbehagen empfinden, wenn sie über einen großen leeren Platz gehen. Seine Vorschläge zu einem „organischen Verwachsen von Bauwerken mit der Umgebung“ lesen sich wie Therapievorschläge gegen Platzscheu, als Ratschläge für eine humane Stadtplanung. Sitte über das Missverständnis bei der Definition eines Platzes: „Heute wird freilich auch der blosse leere Raum so benannt, welche entsteht, wenn eine von vier Strassen umsäumte Baustelle einfach unverbaut bleiben soll. (…) In künstlerischer Beziehung ist ein blos unverbauter Fleck noch kein Stadtplatz.“ In Wien, einer Stadt voller Flecken, hat der Befund bis heute Geltung. Sittes Buch zum Städtebau ist mit leichter

Hand geschrieben und liest sich wie der Kommentar eines weitgereisten Stadtbe-

nutzers – mit einer Vorliebe für italienische Piazzas – zu den Veränderungen in seiner Heimatstadt. Sitte akkumulierte unglaubliche Wissensmengen in fast allen Fachdisziplinen seiner Zeit. Camillo Sitte stand an der Schwelle jener Epoche, in der die Naturwissenschaft begann, den Führungsanspruch in Sachen Wahrheit zu übernehmen, und blickte in den Abgrund der eigenen Vielwissenheit, die durch kein philosophisches System mehr zusammengehalten wurde. Das von ihm geplante achtbändige Werk zur Menschheitsgeschichte kam selbstredend nicht zustande. Die modernistische Stadtplanung von Otto Wagner bis Le Corbusier, deren Leitbild die Tabula rasa war, legte den Theoretiker des Genius Loci als sentimentalen Romantiker zu den Akten des 19. Jahrhunderts – zu früh. Denn vieles von dem, was Sitte an den „modernen Stadt-Anlagen“ (so eine Kapitelüberschrift) bemängelte, wurde im postfordistischen Konzept einer Stadt als Event kompensiert; das von Sitte – als Gegenpol zum pragmatischen Rationalismus – beschworene Malerische dient dem umworbenen Konsumenten als Bühnenbild. Den leeren Rathausplatz wollte Sitte mit Konzertpavillons auffüllen. Von Sitte führte ein direkter Weg zu den Shop-

ping-Mall-Projekten von Viktor Gruen in der amerikanischen Nachkriegszeit und weiter zu den Projekten des New Urbanism mit seiner Idee eines autofreien Zentrums mit hübschen Häuschen und einem zentralen Platz, wo nach dem Einkauf noch ein Pläuschchen gehalten wird. Wenn heute in Wien über die Errichtung von Begegnungszonen diskutiert wird, lässt sich diese Debatte bis zu Sittes Überlegungen zu einer menschenfreundlichen Stadt zurückverfolgen. Die Verfechter ökonomischer Rationalität hatten einen frühen Kritiker gefunden – und vermochten dessen Einwände bis heute nicht zu widerlegen. Le Corbusier hatte Sittes krumme Gassen verächtlich als „Eselsweg“ bezeichnet. Heute gelten dessen Schlafstädte und Innenstadtautobahnen als planerische Eseleien. Natürlich entging dem Generalisten Sitte auch die Bedeutung der Akustik bei der Raumplanung nicht. Am Vorabend der Uraufführung des „Parsifal“ erhielt der vom Konkurs bedrohte Komponist Richard Wagner eine mehrseitige Expertise, die ihm den Angstschweiß aus den Poren trieb. Ein anonymer Autor listete darin die raumakustischen Mängel des Konzertsaals auf und bot Wagner an, die Probleme persönlich darzulegen. Erst eine sofortige Krachprobe konnte den aufgeregten Komponisten beruhigen. Den Termin bei Wagner bekam Sitte nicht. F

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Städtebau ist Krieg. Le Corbusier und die Folgen

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onsieur war verschnupft. Man hatte seine Visionen verschmäht, die Zeichnungen belächelt und seine Reisekosten als zu hoch eingestuft. Drei Jahre lang hatte Charles-Édouard Jeanneret, in der französischen Schweiz geborener, sich selbst Le Corbusier nennender Architekt, ungefragt an einem Plan für ein neues Algier gezeichnet. Nun, 1934, verließ der 44-Jährige die nordafrikanische Stadt mit einem verärgerten Adieu. Ein unrühmlicher Abgang, der ihn dennoch nicht abhielt, in seinem Pariser Atelier an dem Plan weiterzuzeichnen. 1942 holte er sich Unterstützung beim Vichy-Regime und fuhr erneut nach Algier, wieder umsonst. Dort hatte man wohl gerade andere Probleme zu lösen. Die Affäre rund um den von Le Corbusier als Plan Obus (ein Plan wie ein Bombardement) bezeichneten Stadtentwurf steht prototypisch für die Haltung des Architekten und für Städtebau an sich. Was es braucht, um eine neue Stadt zu planen? Man sollte männlich und ein Macho sein, Freunde in Parteien haben und keine Scheu vor Zerstörung. Die besten, weil radikalsten Entwürfe für Städte entstanden unter solchen Voraussetzungen. Ganze Stadtteile werden ersetzt, Landstriche als Testareale genutzt, hohe Türme werden strategisch platziert und kühne Scheiben aneinandergereiht, ohne viel Rücksicht zu nehmen. Städtebau ist Beharren auf Neuem, auch wenn es nicht immer für alle zum Besten ist. Städtebau ist Krieg. Voilà!

Der Schweizer Architekt Le Corbusier (1887-1965) hatte kühne, ja wahnwitzige Ideen. Trotzdem tut man ihm unrecht, wenn man ihm alle Übel des modernen Städtebaus anlastet Porträt: S a b i n e P olla k I llust r atio n : P . M . H o f f ma n n

Le Corbusiers Projekte werden landläufig mit

Maschinenarchitektur assoziiert. Bevor er in den 1920er-Jahren zu bauen begann, veröffentlichte er seine Aufsätze und Zeichnungen, kaum ahnend, wie ernst man das Buch „Vers une architecture“ (Ausblick auf eine Architektur) nehmen würde. In typischer Le-Corbusier-Manier schreibt er über alles Mögliche (den englischen Anzug, Flugzeuge, Autos, Ozeandampfer) und scheut sich nicht, römische Paläste neben eigene Entwürfe zu stellen. Die Sprache ist nicht rational, eher emotional. Gerne benützt er die dritte Person, um über sich selbst zu sprechen, und unterfüttert Bilder mit Ausrufen, die uns Botschaften förmlich entgegenschreien. Das ist die Maschine, die uns erregt!, brüllt es als Erklärung zum Parthenon-Tempel. Aha. Der Polemik früher Texte folgten ernsthafte Bücher über Städtebau an sich und Netzwerkarbeit im von ihm mitbegründeten CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne). Ab 1928 versammelte der Kongress jährlich mit großem Engagement und Aufwand Architekten (der Club war eher männlich) aus möglichst vielen Ländern und diskutierte die Zukunft des Städtebaus. Daraus resultierten höchst öffentlichkeitswirksame Proklamationen, deren Popularität nur schwer nach-

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Zur Person Le Corbusier (1887–1965), richtiger Name Charles-Édouard Jeanneret-Gris, war Schweizer und einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Er lebte vor allem in Paris, arbeitet mit dem VichyRegime zusammen, aber ab 1944 auch wieder als Vorsitzender des französischen Architektenverbands. Formulierte einflussreiche architekturtheoretische Werke. Er baute auf fast allen Kontinenten, 14 seiner Bauten wurden zum Weltkulturerbe erklärt

vollziehbar ist, denn niemand würde heute einer Gruppe Architekten Beachtung schenken. Vielleicht hätte eine Fahrt mit einem Schiff von Marseille nach Athen, wie sie der Kongress 1933 unternahm, um eine Charta zu formulieren, neue Brisanz. Über die Zukunft der Stadt entscheiden aber andere Instanzen. Die Umsetzung der von CIAM formulierten The-

sen erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als Wohnungsbau im großen Maßstab notwendig war. Es ist nachvollziehbar, dass man nicht die alte Stadt imitierte, sondern sich auf die Charta von Athen und deren Grundthese stützte, auf die rigorose Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Erholung. Es wurden großflächige Stadterweiterungen realisiert wie etwa das neue Toulouse als Pendant zum alten Toulouse oder die Stadterweiterungen von Paris, so problematisch diese heute zum Teil sind. Bis auf wenige Einzelobjekte wie die Scheibenhäuser in der Vorgartenstraße von Carl Auböck fehlt in Wien eine ähnlich radikale und diskussionswürdige Nachkriegsmoderne. Vielleicht ist unser Städtebau heute deshalb so zaghaft, weil uns jegliche Reibungspunkte fehlen. Hier assoziiert man meist mit dem CIAM auch nicht die gute Moderne, sondern die problematischen Stadtplanungen, also triste Schlafstädte, durch Verkehr vom Zentrum getrennt. Und man assoziiert sie mit Le Corbusier. Er ist schuld, dass die neu geplante Stadt nicht funktioniert! Da tut man Monsieur unrecht. Auch sollte man das ewige Missverständnis der mit ihm verbundenen Maschinenarchitektur ausräumen. Le Corbusiers Architekturhaltung ist weder rational noch maschinell, eher leidenschaftlich und objektfixiert, mit einer großen Liebe zu rauem Beton. Seinen oft diktatorischen Ansätzen im theoretischen Städtebau stehen beim konkreten Haus zärtlich behandelte Oberflächen, offene Raumkonzepte und surreale Einbauten wie Organe gegenüber. Seine Stadtvisionen freilich sprechen eine andere Sprache: strenge Symmetrie, diagonale Achsen und Türme im Rastermaß. Le Corbusiers Stadtplan für die „Ville contemporaine“ (Stadt für drei Millionen Einwohner) der 1920er-Jahre erinnert nicht nur in ihrer Gigantomanie an barocke Schlossanlagen. Der Plan Obus war Le Corbusiers erstes

konkretes Stadtprojekt. Ein naheliegendes Ziel: Algier gehörte schließlich zu Frankreich und war städtebaulich noch unbearbeitet. 1931 feierte man dort zudem 100 Jahre französische Kolonie. Le Corbusier ließ sich zu einer Vortragsreise einladen, ein Jahr später präsentierte er den großen Plan. Aus rein formalästhetischer Sicht ist mit dem Plan Obus ein großer Wurf geglückt. Die neue Stadt beginnt mit einem giganti-

schen Hochhaus am Hafen, einem sichtbaren Zeichen für Schiffe (hier beginnt Frankreich!). Vom Hafen zieht ein Verkehrsband eine strenge Gerade in Richtung Hügel zu den Villenviertel der Geschäftsleute, eine amorph gebogene Struktur. Eine zweite Linie führt als kühner Schwung entlang der Küstenlinie. Nie zuvor hat Le Corbusier solche Kurven geplant, so inspiriert ist er von Landschaft und Meer. Und, wie jüngere Forschungen erkannten, von den Frauen in Algier. Davon zeugen Zeichnungen, Postkarten und Tagebucheintragungen. Der große Architekt ist angekommen, eignet sich das Land an und die Körper der Frauen gleich dazu. Der Eleganz der Kurven liegt also eine zutiefst kolonialistische Einstellung zugrunde. Die im Plan zart geschwungene Küstenlinie ist zudem eigentlich eine aufgeständerte Stadtautobahn, unterfüttert mit gestapelten Wohnungen für jene Familien, die zuvor in der Kasbah gewohnt hatten. Denn die würde es nun leider nicht mehr geben, pardon, aber die musste einem neuen Viertel weichen. Nach dem Scheitern in der Kolonie wurde Le

Corbusier in Frankreich tätig. Man bittet ihn von Regierungsseite, eine wirklich große Wohneinheit zu entwerfen, für mindestens 1000 Personen. Die Unité d’Habitation wurde zwischen 1952 und 1967 insgesamt fünf Mal gebaut, vier Mal in Frankreich und ein Mal 1958 in Berlin. Häuser wie Ozeandampfer, strukturiert wie Flaschenregale und gefüllt mit Wohnungen, so schmal und lang, dass es wohl Überzeugungskraft benötigte, um sie zu vermieten. Aber in Frankreich war man Experimente gewohnt, und einige Unités, wie jene in Marseille, funktio­ nieren bis heute bestens. Auch wenn sehr viele Leute darin wohnen, die Innengänge schlecht belichtet und die Kinderzimmer gerade einmal zwei Meter breit sind. Aber das grandiose Dach, die vielen Gemeinschaftsräume, die zweigeschoßigen Loggien, das Hotel in der Mitte des Baus, die klug eingebauten Möblierungen und der kolossal leere Raum zwischen den Pilotis. Was man daraus lernt? Städtebau ist Krieg, ein wenig zumindest immer, denn ohne Le Corbusiers wahnwitzige Ideen wären die liebenswerten Betonungetüme nicht entstanden. Was wir in Wien daraus lernen? Dass der Wohnpark Alt-Erlaa den Unités nicht unähnlich und auch besser ist als vieles, was danach kam. Die kühn gebogenen Fassaden der immerhin 26 Stockwerke hohen Scheiben im Süden von Wien benötigen keine Gestaltung, sondern leben durch die bewachsene Struktur. Der Wohnpark Alt-Erlaa könnte die Grundlage bilden für einen radikaleren Ansatz im Städtebau in Wien. Ein paar AltErlaas und man hätte sich die Seestadt Aspern gespart. So hätte Monsieur gedacht. Chapeau! F

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Das unheimlich normale Programm der Stadt

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s sind die Nachkriegsjahre und Rem Koolhaas vor allem die späten 1960er-Jahre und dann die 1970er-Jahre, die (* 1944) die westlichen Industriegesellschaften radikal veränderten. Triebfedern dieser ist kein Veränderung waren die Auslagerung der schmutzigen Industrie in den Osten, die zu- lupenreiner nehmende Automation der Produktion und Architekt. Administration durch Rechenautomaten sowie das populäre Versprechen einer kom- Er begann als menden Freizeitgesellschaft. Es bedeutete wieder einmal die Krise der europäischen Journalist und (und auch der amerikanischen) Städte. Es bedeutete aber auch die notwendige interessiert Neuerfindung dieser Städte durch neue arsich eher für chitektonische und urbane Typologien. Und es bedeutete auch die Veränderung der Ar- Probleme als chitekturpraxis. Oder zumindest bedeutete es den Streit einer Architektengeneration für Lösungen darüber, wie die Stadt, der öffentliche und der private Raum der Spätmoderne denn am Ende des 20. Jahrhunderts verfasst sein P o r t r ä t : könnte und welche Rolle und Funktion Ar- A ndrea s chitektur in diesem erneuerten kapitalisti- R u m p f h u b er schen Spiel einnehmen kann und soll. Es ist eine Generation von Architekten, die mit einer sich radikal verändern- I ll u s t ra t i o n : den Logik des Kapitalismus konfrontiert P . M . H o f f m ann waren. Eine Generation, die auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen mit Architektur- und Raumvorstellungen reagierte, teilweise mit enormem Erfolg, aber natürlich auch scheiterte. Architekten, die heute im globalen Zirkus der Aufmerksamkeitsökonomie und des hysterischen Finanzkapitalismus wichtige Partner im Wettkampf der Städte sind. Postmoderne und Dekonstruktivismus sind die akademischen Schlagwörter dieser Zeit, die mit Hans Hollein oder Coop Himmelb(l)au und anderen auch in Österreich ihre arrivierten Protagonisten hat- Zur Person te und hat. Rem Koolhaas Der niederländische Architekt Rem Koolhaas (geboren 1944) nimmt mit seinem Schreiben und seinen wuchs teilweise in Projekten eine außergewöhnliche Position Indonesien auf. In in dieser Nachkriegsgeneration ein. Kool- den späten 1960erhaas ist kein astreiner Architekt. Seine Kar- Jahren arbeitete er im riere begann er als Journalist für das libera- niederländischen Den le Blatt Haagse Post. Und genau das Schrei- Haag als Journalist, ben und der Journalismus waren lange Zeit erst dann studierte er Teil seiner analytischen Arbeitsmethode als in London Architektur. Architekt. Diese Arbeitsweise wird erstmals Zusammen mit in seinem 1978 erscheinenden und wohl Madelon Vriesendorp, besten Buch „Delirious New York. Ein re- Elia Zenghelis und troaktives Manifest für Manhattan“ sicht- Zoe Zenghelis bar. Das Buch setzt den Maßstab für sein gründete er 1975 theoretisches Denken über die zeitgenös- das Architekturbüro sische Stadt. Office for Metropolitan Das Buch ist eine assoziative Biografie Architecture (OMA). New Yorks. Als das Buch entsteht, steckt Er ist Professor in New York in einer tiefen Krise, ein herunter- Harvard und kuratierte gekommener urbaner Dschungel, bekannt 2014 die Architekturaus Filmen wie „Taxi Driver“. Koolhaas in- Biennale. 2000 erhielt teressiert sich aber nicht für die Gentrifi- er den renommierten zierungs- und Imagepolitik, die doch nur Pritzker-Preis. Baute in um die positive Selbstinszenierung des „Big allen Erdteilen

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Apple“ bemüht ist. Koolhaas versteht sich als Ghostwriter von New York. Er will das Implizite und Unbewusste der Entstehung Manhattans explizieren. Der „viel zu egozentrische“ und „viel zu rastlose“ Filmstar New York habe ohnehin keine Zeit für eine derartig strukturelle Arbeit. So widmet sich Koolhaas den Träumen und Albträumen der Stadtgeschichte und ihrer Protagonisten, arbeitet Prinzipien der Architektur heraus, die er dann in seinen eigenen Projekten anwendet. Die Geschichte von „Delirious New York“ be-

ginnt mit dem Vergnügungspark auf Coney Island. Coney Island ist das Modell der turbokapitalistischen Architektur, wie sie sich innerhalb der Blöcke New Yorks realisierte. Der Badestrand unter der künstlichen Sonne, der Liebesinkubator, die Kanäle von Venedig oder auch die simulierte Feuersbrunst von Coney Island zeigen allesamt das Ziel New Yorks, sich von der unkontrollierbaren Natur möglichst weit zu entfernen. Und die kontrollierbare Technologie des Fantastischen, wie sie auf Coney Island eingesetzt wird, steht prototypisch für die Technologie des Wolkenkratzers, den die Europäer der klassischen Moderne, wie zum Beispiel Le Corbusier, aber auch Antoni Gaudí nie verstanden haben. Die Wolkenkratzer sind keine architektonisch formalen Meisterleistungen. Es sind eigentlich ganz banale Gebäude. Die Wolkenkratzer reproduzieren die Welt, sie vervielfältigen die Erdoberfläche in ihren endlosen Stockwerken und nutzen dabei maximal das Grundstück, den Block aus. Sie gehorchen einzig dem kapitalistischen Druck und sind im Inneren einzig durch das Programm determiniert. Koolhaas assoziiert die Wolkenkratzer mit der Idee des Hauses als sozialer Kondensator und zieht damit Parallelen zur russischen Avantgarde der 1920er. Dabei realisiert die Architektur in New York die konstruktivistische Idee, an der die Avantgarde gescheitert ist. Für ihn geht es in der Architektur darum, wie das Soziale in all seinen Formen organisiert wird. Beispielhaft ist die Geschichte des Downtown Athletic Club, eines Hochhauses für Jungesellen: laut Koolhaas eine Maschine, die alle möglichen erträumten Formen von Sexualverkehr generiert und intensiviert. Das Buch endet mit einem Appendix, der als fiktive Schlussfolgerung tituliert ist. Er zeigt Projekte für New York, die Rem Koolhaas zusammen mit Elia und Zoe Zenghelis sowie Madelon Vriesendorp entworfen und illustriert hatte und mit denen er sein Büro Office for Metropolitan Architecture (OMA) 1975 ursprünglich gegründet hatte. Koolhaas wird im Laufe seiner Karriere immer wieder auf die Grundprämissen von „Delirious New York“ zurückgreifen:

die Retroaktivität (die assoziative Analyse der Struktur und den Prinzipien einer Situation), die Lobotomie (die Trennung von äußerer und innerer Architektur), die Kultur der Verdichtung (die Architektur als Maschine zur Intensivierung und Maximierung von Erlebnissen) werden immer wieder aufs Neue angewandt und in ganz unterschiedlichen Situationen und für ganz verschiedene Aufgaben variiert. Die Konzepte finden sich im Wettbewerbsbeitrag für das Den Haager Rathaus 1986, die Studie für die Renovierung des panoptischen Gefängnisses in Arnhem 1979–81, der Kunsthal in Rotterdam 1992 oder auch der Villa Dall’Ava, um nur einige wenige Projekte zu nennen. Die Konzepte werden aber auch in der theoretischen Auseinandersetzung mit Stadt weitergedacht und finden Eingang in Bücher wie „S, M, L, XL“ (1995) oder den Ausstellungskatalog „Content“ (2004) sowie in sein wichtiges Forschungsprojekt zu Lagos, in dem er die afrikanische Stadt als Zukunft der europäischen Stadt denkt. Das Buch „S, M, L, XL“ kann fast als umgekehrtes „Delirious New York“ gelesen werden. Das was im Buch über New York im Anhang war, findet sich jetzt als Hauptteil wieder. Die Projekte von Koolhaas und seinem Büro werden ihrer Größe nach katalogisiert. Der Abschluss wird hier mit einem für die Architektur- und Stadttheorie grundlegenden Text gesetzt, den Koolhaas 1994 verfasst hatte. „The Generic City“ – auf Deutsch „Die Stadt ohne Eigenschaften“ – aktualisiert und verallgemeinert den in New York entwickelten Blick auf die turbokapitalistische Stadt im ausgehenden 20. Jahrhundert. Es ist ein für viele unerhörtes Bild der zeitgenössischen Stadt, das Koolhaas in diesem Text als Chance für die Architektur begreifen mag. Die generische Stadt wird mit dem Nicht-Ort par excellence, dem Flughafen, gleichgesetzt. Die Stadt ist mittlerweile ohne Zentrum und vor allem ohne Identität – das gelte es als Chance zu begreifen. Es ist eben dieses unheimliche normale Programm, das die zeitgenössische Stadt ausmacht und das es zu verstehen und mit Architektur zu programmieren gilt. Die vielen Kritiker von Rem Koolhaas liegen falsch, wenn sie mit moralisch erhobenem Zeigefinger meinen, dass der smarte Niederländer den Neoliberalismus für die Architektur salonfähig gemacht hat. Sie übersehen dabei, dass Koolhaas tatsächlich die Architektur von einem essenzialistischen Verständnis von Stadt und Urbanisierung befreit hat. Koolhaas präsentiert keine Ideale, die im Städtebau doch immer nur als Fragmente übrig bleiben, sondern denkt die Stadt als Fragmente und in Assoziationen. Es sind die Probleme, die ihn interessieren, und nicht die Lösungen. F

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Baron Eugène Haussmann

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aron George Eugène Haussmann (1809–1891) stammt aus einer Familie mit starken protestantischen und teilweise auch deutschen Wurzeln, die im Offiziers- und Beamtenmilieu verhaftet war und hohe Ämter innehatte. Er studiert Jura, tritt danach in die Verwaltung ein, durchläuft mehrere Präfekturen, zuletzt in Yonne und Bordeaux, und erwirbt schnell den Ruf eines hervorragenden Organisators von Sanierungen städtischer Anlagen. Seine historische Karriere beginnt mit der Ernennung zum Präfekten von Paris durch Louis Napoleon. Louis Napoleon war 1848, nach der Februarrevolution, zum ersten Präsidenten von Frankreich frei gewählt worden, hatte sich aber bald danach in einem Staatsstreich zum Kaiser von Frankreich ausrufen lassen. Dieser Napoleon III. war der Initiator des Plans einer vollständigen Modernisierung von Paris und fand in Baron Haussmann den perfekten Partner für diese Aufgabe. Er stattete ihn mit allen notwendigen Vollmachten aus, um Widerstände gegen das Projekt möglichst zu minimieren.

Der Demolierungs k

Er war der erste Generalplaner: Baron Eugène Haussmann hatte die Macht, Paris autoritär neu zu gestalten Porträt: Manfred Russ o

Die Situation in Paris war wie in anderen eu-

ropäischen Großstädten jener Zeit von zahlreichen Problemen geprägt: Industrialisierung, Bevölkerungsexplosion, chaotische Ausdehnung, Verkehrsprobleme, die neuen Bahnhöfe mussten funktional ins Gesamtgetriebe eingepasst werden. Beruhte das Wachstum der Städte bisher auf kulturellen Traditionen und hatte organischen Charakter, wurde nun erstmals ein General-

David Harvey: Die Rückeroberung der Stadt Porträt: A r m i n Thu r n h e r

avid Harvey ist Marxist und Geograf. D Die Kombination machte ihn zu einem Urbanisten. Der heute in Baltimore lehren-

de, 1935 geborene Engländer Harvey findet in der Stadt den Schlüssel, die Welt zu verstehen und, sonst wäre er kein Marxist, sie zu verändern. Harveys Analysen sind faktengesättigt und theoretisch fundiert. In seiner „Kurzen Geschichte des Neoliberalismus“ erzählt er, wie die Stadt New York neoliberalisiert wurde. Eine Bewegung, die den weltweiten Vorgängen entsprach: Entmachtung der öffentlichen Verwaltung und der Gemeindearbeiterorganisationen, Herbeiführung des Bankrotts. Die anschließende Rettung durch private Investoren und den Staat erfolgte konzertiert, die Macht der öffentlichen Bediensteten war gebrochen. Geograf zu sein bedeutet auch, sich an historischen Traditionen zu orientieren. Harveys Marxismus ist anarchistisch gefärbt. Ein Urvater der Anarchisten, Pjotr­

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„Mir gefällt das historische Bild der Pariser Kommune: Die an der Peripherie lebenden Menschen kehren ins Zentrum zurück, um die Stadt, aus der sie ausgeschlossen wurden, zurückzuerobern“ David Harvey

Kropotkin, war Geograf. Vom historischen Gegensatz zwischen Karl Marx und den Anarchisten lässt sich Harvey nicht beeindrucken. Seine Analysen des „Kapitals“ kann man bei Youtube auf ihre Tauglichkeit überprüfen; vor allem den von der Royal School of Arts illustrierten Zeichentrickfilm „Crises of Capitalism“ sollte man gesehen ha-

ben. Ironie, Witz und Intellekt ergeben eine überzeugende Mischung. Marx selbst war bekanntlich kein Marxist. Nach all den dogmatischen Verblendungen, welche die Post-68er-Linke ungenießbar gemacht haben, ist mit Harvey einer aufgetaucht, der das kritische Potenzial der Marx’schen Kapitalanalyse mit einer politischen Theorie verbindet. Denn der Ort des Proletariats ist ihm zufolge nicht mehr die Fabrik, sondern die Stadt. All die heutigen Dienstleister und Transporteure produzieren ebenso Wert wie das Industrieproletariat, sagt Harvey. Und die Stadt ist umgekehrt jener Ort, an dem das Kapital versucht, durch kreditfinanzierte Investitionen seinen Krisen zu entkommen. So werden die Städte immer wertvoller, und jene Leute, die diesen Wert schaffen, werden aus ihnen vertrieben, an den Rand oder gleich in andere Städte. Akkumulation durch Enteignung nennt das Harvey. Die Rückeroberung der Stadt ist somit das politische Projekt des 21. Jahrhunderts, und David Harvey ist sein angenehm undogmatischer Prophet. F

Fotos: Wikipedia (2)

Der anglo-amerikanische Gelehrte David Harvey ist der meistzitierte Geograf der Gegenwart. Und er ist Marxist

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gs künstler Er prägte das Bild des Stadtplaners als das eines „robusten, unbeugsamen, kühnen und fähigen Athleten“ Graf Victor de Persigny, 1852–1855 Innenminister unter Napoleon III.

Bezeichnete sich selbst ironisch als „Demolierungskünstler“: Baron Eugène Haussmann

bebauungsplan entwickelt, der eine allgemeine technische Umgestaltung der Stadt nach funktionalen Kriterien planmäßig koordinierte. Der gesamte Stadtkörper wurde nach dem Willen eines autoritären Planers umgestaltet. Haussmann verkörperte die für einen solchen Planer notwendigen Eigenschaften auf geradezu idealtypische Weise. Zeitzeugen waren von seiner charakterlichen Mischung aus Schlauheit, Energie und Kühnheit beeindruckt, die ihn zum erfolgreichen Umgang auch mit den skrupellosesten Partnern befähigte. Damit prägte er auch das Bild des Stadtplaners bis in die Gegenwart als das eines „robusten, unbeugsamen, kühnen und fähigen Athleten“, wie ihm Innenminister Graf Persigny bescheinigte. Haussmann, der sich selbstironisch auch als „artiste démolisseur“, Demolierungskünstler, bezeichnete, prägte das Gesicht von Paris nachhaltig. Ganze neue Stadtviertel wurden errichtet, es erfolgten der Durchbruch neuer Straßen in den alten Vierteln und der Wiederaufbau der Gebäude entlang der neuen Straßenzüge. Der mittelalterliche Kern der Stadt wurde in jeder Richtung angeschnitten, viele alte Viertel wurden abgerissen, vor allem betroffen waren jene im Osten, die Ausgangspunkt von Aufständen waren und wo die Erinnerung an die Barrikaden der Revolution noch frisch war. Diesen Maßnahmen verdankt er auch den Ruf, einer der ersten Gentrifizierer zu sein. Der alte Stadtkörper wurde mit einem Netz von breiten und geraden Straßen überzogen, den berühmten Boulevards, die ein zusammenhängendes Verbindungssystem für den Stadt- und Durchgangsverkehr schufen. Die in der Straßenanordnung verwendeten

morphologischen Modelle (Stern, Straßenfächer und Kreuz) verweisen auf eine klare Präferenz für die barocken Achsen, wie sie erstmals in Rom von Sixtus V. angelegt wurden, jeweils mit dem Blickziel einer Kir-

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che, das die Pilger auf ihrem Weg motivieren sollte. So vermied Haussmann die Zerstörung alter Monumente und formatierte sie neu zu Fluchtpunkten der Perspektive. Dieser culte de l’axe berief sich auf die klassischen französischen, von Barock und Cartesianismus geprägten Traditionen und wurde durch neue Bestimmungen über einheitliche Bauhöhe, Traufhöhe und Fassaden ergänzt und genau geregelt. Neben den Arbeiten zur Wasserversorgung und dem Kanalnetz wurden auch öffentliche Parkanlagen errichtet. Der Bois de Boulogne zum Beispiel wurde aufgrund seiner Nähe zu den Champs-Élysées bald Schauplatz des eleganten Lebens. Eine andere von Haussmann errichtete Parkanlage, die Buttes-Chaumont, wird später zum Ausgangspunkt für die ersten nächtlichen Exkursionen zur Erkundung des Alltagslebens surrealistischer Prägung, wie etwa im „Paysan de Paris“ von Louis Aragon. Die Boulevards erzeugten auch einen neuen

Typus des öffentlichen Raumes, der mit einer Umwandlung in eine riesige Bühne für eine egalitäre städtische Szene einherging, die das alte theatrum mundi ablöste. Die zahlreichen Cafés, in denen – wie in Baudelaires Gedicht „Die Augen der Armen“ beschrieben – sich die Liebespaare öffentlich zeigten, wurden zum Zeichen eines neuen öffentlichen Eros, der bald in aller Welt für la vie parisienne stand. Überstrahlt von diesem Glanz war eine weitere Funktion der Boulevards, nämlich die, als Aufmarschbasis der Militärs im Fall eines Bürgerkriegs zu dienen. Walter Benjamin schrieb in „Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“, dass die Straßen durch ihre Breite die Errichtung von Barrikaden verhindern und die kürzesten Verbindung zwischen den Kasernen und den Arbeitervierteln bereitstellen sollten. Er charakterisiert diese Dialektik von Stadterneuerung und Kontrolle nach dem Urteil der Zeitgenossen als „embellissement stratégique“, als „strategische Verschönerung“. F

„Eine rote Linie durch die Stadt ziehen“ Die US-amerikanische Soziologin Saskia Sassen hat konkrete Pläne gegen den Ausverkauf des öffentlichen Raums Porträt: W o j c i ec h C z a j a

Foto: hans Hochstöger

rau Sassen, würden Sie jemals an die F Peripherie ziehen? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Nein, nie-

mals! Ich würde eher höhere Wohnkosten und eine schlechtere Wohnraumqualität in Kauf nehmen, solange ich nicht irgendwo da draußen in den Suburbs leben muss.“ Der Mythos des suburbanen Lebens, den Amerika in den 1950er- und 1960erJahren kreiert habe, so Sassen, die mit ihrem Mann Richard Sennett in London und Manhattan lebt, sei heute tot. „Die Suburbs haben die höchste Dichte an Selbstmorden unter frisch verheirateten Frauen in den USA. Sagt das nicht schon alles? Wann wachen die Stadtplaner und Politiker endlich auf!“ Saskia Sassen, 1949 in Den Haag geboren, ist Autorin zahlreicher Bücher wie etwa „The Global City“ (1991), „Cities in a World Economy“ (Neuauflage 2012) und „Expulsions: Brutality and Complexity in the Global Economy“ (2014). Sie ist Sozio-

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Sie würde niemals an die Peripherie ziehen: Saskia Sassen, Professorin an der Columbia University in New York sowie an der London School of Economics

login. Und sie ist unbequem. Nicht nur mit Politikern und Stadtplanern, vor allem auch mit Immobilienentwicklern und spekulativen Investoren geht sie hart ins Gericht: „Ich beobachte seit Jahren ein Phänomen, das ich als ‚buy-out of urban land‘ bezeichne, als den Ausverkauf städtischen Raums. Immer mehr Stadt ist in privater Hand. In

immer mehr Städten wie etwa London oder Hongkong gibt es ganze Häuserzeilen, die von Ausländern zur Wertsteigerung besessen, aber von niemandem bewohnt werden. Die Folge: Die Häuser verfallen, das städtische Leben geht Stück für Stück verloren, und übrig bleibt nur noch eine tote Hülle namens Hausgemenge.“ Am liebsten würde sie in den gefährdeten, immer teurer werdenden Stadtvierteln „eine rote Linie einführen, innerhalb derer ein weiterer Ausverkauf an Spekulanten und ausländische Investoren unterbunden wird“. Ganz so abwegig ist diese Idee nicht. In einigen Ländern wie etwa in den USA oder auf den Philippinen gibt es ein Modell namens „eminent domain“. Darunter versteht man die Macht der öffentlichen Hand, die es ihr ermöglicht, Privatbesitz im Falle von öffentlichem Interesse oder im Falle der nationalen Sicherheit zu enteignen. Sassen: „Ich finde, ‚eminent domain‘ könnte man im Falle von Wohnungsnot und galoppierenden Preisen auch bei allzu offensichtlicher Bodenspekulation anwenden. Für diese Idee wird man mich allerdings lynchen.“ F

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Jane Jacobs: Städte fürs Leben Die amerikanische Journalistin Jane Jacobs kämpfte für eine menschengerechte Stadtplanung P or t r ä t : E lke R au t h

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ieses Buch ist ein Angriff auf die landläufige Stadtplanung und den landläufigen Umbau der Städte …“, schrieb die Journalistin Jane Jacobs als Ouvertüre zu ihrem 1961 erschienenen Bestseller „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“. Damit war klar, wohin die Reise geht: Jacobs war eine glühende Verfechterin einer Stadtentwicklung von unten, die sich an der Lebensrealität der Bewohner orientiert und die Vielfalt urbaner Lebensentwürfe respektiert. Bis heute gilt ihr Erstlingswerk, das in zahlreiche Sprachen übersetzt worden ist, als Pflichtlektüre für angehende Planer und wichtige Inspirationsquelle für Stadtaktivisten und Bürgerinitiativen. „The Death and Life of Great American Cities“ erschien in der Hochblüte des funktionalistischen Städtebaus, mit seiner räumlichen Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. In New York diktierte Robert Moses, der ebenso legendäre wie autoritäre Stadtplaner, die vom automobilen Zeitgeist geprägte, fordistische Stadtentwicklung. Zahlreiche Monsterprojekte verfolgten den Abriss ganzer Stadtviertel, um den Weg frei zu machen für eine weiße Mittelschicht, die es immer stärker in die überschaubaren, homogenen Vorstädte zog, während die historischen Stadtzentren zusehends von Verfall und sozialer Segregation geprägt waren. Jacobs lebte zum Zeitpunkt der Veröffentli-

chung seit knapp 30 Jahren in New York und hatte sich im Laufe ihrer Journalistenkarriere zu einer interessierten und genauen Beobachterin des Stadtlebens und der Stadtplanung entwickelt. Mit Robert Moses, einem der damals einflussreichs-

Ihre Ideen bestimmen bis heute das Denken über lebenswerte Städte: Jane Jacobs

Jane’s Walk Vienna 2015 Informationen: www.janeswalk.at Aktueller Buchtipp Dirk Schubert Jane Jacobs und die Zukunft der Stadt Franz Steiner Verlag, 2014, 355 S., € 67,90

ten Männer New Yorks, war die streitbare Kämpferin für lebendige, öffentliche Räume mit einem mächtigen Gegner konfrontiert. Denn Jacobs trat nicht nur als Autorin, sondern auch als Stadtaktivistin gegen die von Moses geplanten großmaßstäblichen Wohnbauten und Stadtautobahnen in Erscheinung, was ihr auch mehrere Verhaftungen einbrachte. Das Duell der beiden Verfechter denkbar unterschiedlicher Vorstellungen einer urbanen Gesellschaft lebt Jahre nach beider Tod (Jacobs starb 2006, Moses 1981) in Büchern, Ausstellungen und sogar in einer Oper weiter. Ende der 1950er Jahre war Jane Jacobs mit ihrer Familie ins Greenwich Village gezogen, dessen Leben sie in den darauf folgenden Jahren ebenso intensiv erspürte wie beob-

achtete. Für das Haus in der Hudson Street bezahlte die Familie damals übrigens 8000 US-Dollar, 2010 wurde es von späteren Eigentümern für 3,5 Millionen US-Dollar veräußert. So viel zu den aktuellen ökonomischen Verhältnissen in der kapitalistischen Stadt. Die alltägliche Feldforschung im Village wurde zu einer großen Inspirationsquelle für Jane Jacobs’ Denken und Schreiben über die Stadt. Als „Ballet der Straße“ bezeichnete die Stadtforscherin das bunte, nur scheinbar chaotische Treiben in ihrem Viertel, das sie in immer neuen Details liebevoll beschrieb. Die monofunktionale Nutzung der Straße als Verkehrsfläche für den motorisierten Verkehr war ihr dementsprechend ein Dorn im Auge. Ihre Vorstellungen einer lebenswerten Stadt sind, obwohl vor über 50 Jahren formuliert, aktueller denn je. Jacobs’ Forderungen nach nutzungsoffenen Räumen, Stärkung des öffentlichen Verkehrs, Einbindung der Bevölkerung in Planungsentscheidungen sowie nach kleinteiliger Planung und kompakten, dichten Stadtstrukturen statt Suburbanisierung gehören zum Einmaleins jeder zukunftsgerichteten Stadtplanung. Jane Jacobs hat neben zahlreichen Artikeln insgesamt sieben Bücher geschrieben. Keines erlangte jedoch auch nur annähernd die Aufmerksamkeit ihres Erstlings. Die Pionierin einer bewohnerzentrierten Stadtplanung starb 2006 knapp vor ihrem 90. Geburtstag in Toronto. In Erinnerung an die große Stadtforscherin finden einmal jährlich in vielen Städten weltweit, auch in Wien, sogenannte Jane’s Walks statt – von Bewohnern initiierte Grätzelspaziergänge. Der Grande Dame der Stadtforschung hätte das bestimmt gefallen. F

Die gerechte Stadt als gefährdete Spezies Der US-amerikanische Soziologe und Städteforscher Richard Sennett sieht den urbanen Kosmos als Ort sozialer Gerechtigkeit ie kommen wir alle miteinander aus? W Und welche Skills benötigen wir, um uns gegenseitig nicht umzubringen? Nicht

nur, aber auch diesen Fragen widmet sich der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett. In seinen Vorträgen und Büchern (u.a. „The Fall of Public Man“ und „The Architecture of Obsession“) verwendet der 1943 in Chicago geborene Pfeifenraucher immer wieder den Begriff „Civility“. Unter Zivilität versteht Sennett jedoch weniger das gute Benehmen oder die Höflichkeit, wie dies von Duden, Pons und Langenscheidt interpretiert wird, als vielmehr die Fähigkeit unterschiedlicher Gruppen, im Kollektiv miteinander auszukommen. Es sind vor allem die Soft Skills, die Sennett am Herzen liegen – und ja, das kann man so sagen, denn tatsächlich ist das pochende Organ des Menschen ein wichtiger Faktor in der Gestaltung unserer Umwelt. „Zwar gibt es die gerechte Stadt, aller-

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Richard Sennett: „In ganz London gibt es für zehn Millionen Einwohner gerade zwei Krankenhäuser, die Knochenerkrankungen behandeln. Das ist nicht fair“

dings ist sie vom Aussterben bedroht“, sagt er – und nennt als Beispiel: „In ganz London mit seinen zehn Millionen Einwohnern gibt es exakt zwei Krankenhäuser, die in der Lage sind, Knochenerkrankungen zu behandeln. Alte und gebrechliche Personen müssen regelmäßig ein bis zwei Stunden im Bus sitzen, um ins Spital zu fahren. Das ist nicht fair. Eine Architektur der Gerechtigkeit sieht anders aus.“ Der wichtigste Schritt in Richtung Fairness lautet Dezentralisierung und Mobilität. Vor allem in extrem schnell wachsenden Ballungsräumen sei die öffentliche Stadt dringend aufgefordert, das infrastrukturelle Angebot zu erhöhen und die Wegdistanzen auf diese Weise zu reduzieren. „Mexiko-Stadt, um nur ein Beispiel zu nennen, beginnt gerade umzudenken. Die Stadtregierung hat die strukturellen Probleme rechtzeitig erkannt und setzt die öffentlichen Geldmittel nun zielbringend ein.“

Andere Städte hingegen, wie etwa Peking, seien ein einziges Stadtplanungsdesaster. „Die wichtigsten Einrichtungen“, so Sennett, „sind irgendwo am Stadtrand. Peking ist ein hoffnungsloser Fall, ein Paradebeispiel der gebauten Ungerechtigkeit.“ Eines sei jedoch klar, meint Sennett: „Die südamerikanische, afrikanische oder südostasiatische Boomtown wird nie so hübsch aussehen wie Wien mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern und seiner prachtvollen Ringstraße. Von diesem Bild müssen wir uns verabschieden. Neue urbane Modelle müssen her.“ Wie diese Modelle aussehen könnten, diskutiert Sennett, der übrigens mit der Soziologin Saskia Sassen verheiratet ist, regelmäßig im Rahmen des Projekts „Urban Age“ sowie im sogenannten „Theatrum Mundi“. Das ist eine geschlossene Konferenzreihe, an der Stadtplaner, Architekten, Städteforscher und Bürgermeister aus aller Welt teilnehmen. Peking ist nicht dabei. F

Fotos: Wikipedia, Privat

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Manfred Schenekl zeichnet die Entwicklung der Nachkriegsstadtplanung von Roland Rainer (Bild) bis Wilhelm Kainrath nach

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Otto Wagner steht f체r die Gr체nderzeit. Gottfried Pirhofer zeichnet ein Panorama des Beginns der Wiener Moderne

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Maik Novotny besucht nie realisierte Wiener Bauutopien. Und Dietmar Steiner fordert eine Renaissance des St채dtebaus

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Andeutungen zur Stadtplanung der Gründerzeit Die Ära Otto Wagners schuf trotz rasterförmiger Idealvorstellungen eine spezifisch wienerische Stadt

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as erste große Leitprojekt der Entwicklung Wiens zur modernen Großstadt war der zentralistisch geplante Eisenbahnbau, die infrastrukturelle Vorleistung der Industrialisierung. Die in die Länder ausgreifenden Radialen, die Wiens Zentralität erhöhten und die Stadt in ungeahnter Geschwindigkeit erreichbar machten, der schnelle Transport von Massengütern, Zuwanderern und fluktuierenden Arbeitskräften trieb das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum an. Die Nordbahn, die älteste Eisenbahnlinie Österreichs, brachte den Hauptstrom der Zuwanderer aus Böhmen, Mähren und Schlesien und bildete den industriellen Brückenkopf von Floridsdorf mit. Die Situierung der Kopfbahnhöfe an der Grenz-

linie des Zentrums bewirkte die Aufwertung dieser Zonen und ließ „­Bahnhofsviertel“ entstehen, die die alten Grenzsetzungen veränderten. Bahnhöfe waren staatlich verordnete Bauaufgaben, an denen der Historismus sich in der Behandlung der Großform schulte, in der funktionsgetriebenen Herausbildung eines Typus, gekleidet in eine Zeichenhaftigkeit, die in Summe und Vielfalt das Bild der „Kathedralen des Reisens“ ergab. Die Kasernen, die die ­Bahnlinien und Bahnhöfe flankierten, waren die neue Zwillingsbauaufgabe im gründerzeitlichen Format. An den Entwürfen zum Arsenal, das den Süd- und Ostbahnhof flankierte, beteiligten sich die späteren Ringstraßenarchitekten Ludwig Förster, Theophil Hansen, Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg.

„Der Historismus war jene ästhetische Praxis, die sämtliche Bauaufgaben mit einer elaborierten Formensprache überzog, Widersprüche verdeckte und ein durchgängiges Bild der Großstadt schuf“

Die wenig später einsetzende Ringstraßenplanung zeigt das Doppelgesicht der gründerzeitlichen Stadt als Maschine und Monument noch deutlicher. Das Glacis, der Abstandhalter des alten, geschützten Monuments, machte die gründerzeitliche Planung zum Träger der Verkehrsmaschine (berittene Kohorten und zivile Kutschen, später Straßenbahnen, am Ende auch Automobile), entlang einer Straße mit einem Querschnitt, der die älteren Straßen wie Gassen erscheinen ließ. Die Repräsentation erfolgte nicht in der vom Barock bekannten axialen Inszenierung mit Sternstraßen und Blickpunkten in die Ferne, sondern in einer auf sich selbst zentrierten Panoramastraße der neuen, großbürgerlichen Finanzund Wirtschaftselite: in der Doppelführung der Repräsentativstraße und der am Vorstadtrand errichteten Lastenstraße. Funktion und Repräsentation bildeten die Einheit der Raumfigur. Das Zentrum der Bebauung ist die Straße, die

aber kein Zentrum hat. Ihre Plätze, Gärten, Parks liegen seitlich, ihre Knicke und Ansichten der Gebäude entlang der Knicke bilden die Überraschungen des Panoramas. Das Konzept der Bebauung und der Auftrag an die Architektur enthielten, weit über das Spezifikum der Raumfigur hinaus, ein Programm zur Neugründung der Stadt. Raumbild und Bauten der Ringstraße sind monumental, aber gleichzeitig ist sie eine Verkehrsmaschine, die mit dem alten Konzept der „Stadt als Monument“ nichts mehr gemein hat. Der Historismus war jene ästhetische Praxis, die sämtliche Bauaufgaben, Kirche und Oper, Museum und Schu-

le, Bahnhof und Kaserne, Wohnbau, Warenhäuser und Pissoirs mit einer elaborierten Formensprache überzog, Widersprüche verdeckte und die Durchgängigkeit des Bildes der Großstadt schuf. Die Ringstraßenplanung brachte eine weltweit einzigartige Raumfigur hervor, die nicht nur das Signet einer Epoche wurde, sondern, wie in einem Lehrpfad der Geschichte, als Stadtraum sämtliche relevanten Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft (Parlament und Rathaus, Justizpalast, große Museen, die Elite der Ausbildungsstätten, die Börse, dann die Postsparkasse, zuletzt die Urania) ästhetisch hoch elaboriert versammelte. Eine Unzahl von „Monumenten“ entlang der „Maschine“. Im äußeren Kreis die noch genuinen bürgerlichen Stätten, die Räume der Vereine (Musikverein, Künstlerhaus, Eislaufverein). Die Ringstraßenplanung verordnete – mit wenigen Ausnahmen – einheitliche Gebäudehöhen, die – ausgerechnet in Zeiten der heftigen Kapitaldynamik – Ruhe gegenüber Rendite bewahrten. Es gelang ihr mittels „Fachcomites“, militärische Interessen zurückzudrängen und, in der Feinmodellierung, Alphatiere des Bauens (Stararchitekten im Konnex mit Investoren) zu bauplatzübergreifenden, stadtraumbildenden Ensembles zusammenzubringen. Sie schaffte in den prominentesten Lagen der Stadt Grünflächen, Gärten, Parks. Sie schuf, in einer ästhetischen Durchgängigkeit der Straße, Prototypen für die Benutzung des öffentlichen Raums. In Folge wurde die Straßenregulierung zum Leitbild für den Stadtumbau. Mit dem Effekt, dass sich die Stadt innerhalb weniger

Fotos: Wikimedia, Archiv (3)

Panorama: Gottfried Pirhofer

Von Ferstel bis Wagner: Die Planer, Erbauer und Macher in der Ära von Ringstraße und Gr 1855 1858 1861 Heinrich von Ferstel (1828–1883) entwirft die Votivkirche als den ersten Großbau an der Ringstraße und kommt so zu frühem Reichtum. Wenige Jahre später folgt das nach ihm benannte Palais an der Herrengasse und 1883, kurz vor seinem Tod, das Hauptgebäude der Uni Wien, gleich neben seinem Erstlingswerk

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Der Architekt und Gründer der Allgemeinen Bauzeitung, Ludwig Förster (1797–1863), gewinnt gemeinsam mit Schwiegersohn Theophil Hansen den Wettbewerb zur Planung der Ringstraße – ex aequo mit zwei anderen Teams. 1859 werden die drei modifizierten Entwürfe zum „Grundplan“ vereinigt

Eduard van der Nüll (1812–1868) entwirft mit seinem Partner August Sicard von Sicardsburg die Wiener Staatsoper. Der Neorenaissancebau wird in der Wiener Society als „versunkene Kiste“ und „Königgrätz der Baukunst“ verspottet. Noch vor der Fertigstellung des Hauses nimmt sich van der Nüll das Leben

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Jahrzehnte in eine, wenn auch aufgrund des Beharrungsvermögens alter Parzellen, Stra­ ßen und Gassen weiterhin als „Altstadt“ er­ scheinende, de facto weitgehend umgebau­ te Manifestation des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verwandelte.

„Kathedralen des Reisens“ – Nord­ bahnhof (links)

Fotos: Wikimedia (2), Wikipedia, Archiv (2)

„Ruhe gegenüber der Rendite“ – Ringstraßen­ Die Ringstraßenplanung hatte das Raster­ planung (Baustelle schema eingeführt. Das Schachbrettgitter der Oper, Mitte)

bildete die rationale Fläche zur ­Nutzung einer profitorientierten Ökonomie. Dies war das Leitbild des Stadtbauamtes, das in der Rückschau nicht müde wurde, über das Stückwerk der Regulierung zu kla­ gen, dem nur wenige idealtypische Pla­ nungen entgegenstanden und dem kein ­„Generalregulierungsplan“ Gestalt gab. Durch das den Parzellen und Eigentumsver­ hältnissen anhaftende ­Beharrungsvermögen ergaben sich „Rücksprünge“, die ­zusammen mit den Höhensprüngen, die der von der Bauordnung gedeckelten Kapitalentwick­ lung folgten, und ­zusammen mit den feinen ­Differenzen der historistischen Gestaltung der Fassaden ­jenes für Wien so charakteris­ tische Raumbild (gleichsam die „aufgehobe­ nen“ Reste „Alt-Wiens“) ausmachen. Zu den – aus der Sicht des Stadtbauam­ tes – lobenswerten Ausnahmen zählten der 1874 durch die Abtrennung vom vierten Be­ zirk geschaffene zehnte Bezirk (Favoriten), der „im großen und ganzen nach einem ein­ heitlichen Plan“ (der Ringstraßenarchitek­ ten Sicardsburg und van der Nüll) entwi­ ckelt wurde; die Brigittenau, die „durch L. Förster im Sinne der Pariser Regulierung mit verhältnismäßig breiten, geradlinigen Straßen, aber mit wenig öffentlichen Plät­ zen angelegt“ wurde; schließlich das, 1872

„Geist der Großstadt“ – Stadtbahnstation von Otto Wagner (rechts)

nach den Plänen von Heinrich Ferstel (er­ neut ein Ringstraßenarchitekt) errichtete Währinger Cottage. Eine Generation nach der Ringstraßen­ planung wurde die Beseitigung der äuße­ ren Barriere, des Linienwalls zur Top-Re­ gulierungsagenda, deren Prozedere vom Ministerium des Inneren bzw. der Nieder­ österreichischen Statthalterei im Einverneh­ men mit der Stadt Wien und den beteilig­ ten Vorortegemeinden 1883 festgelegt wur­ de. „Eine kaiserliche Entschließung hatte angeordnet, dass die im früheren Fortifi­ kationsrayon des Linienwalles gelegenen Grundflächen vornehmlich zur Herstellung einer breiten Straße, welche die Bezeich­ nung Gürtel oder Gürtelstraße führen soll­ te, verwendet werden.“ Es ist ein Glücksfall der Planungsgeschichte, dass Otto Wagner die Gelegenheit erhielt, „mit der Kombina­ tion von Gebäuden und riesigen Stahlbrü­ cken“, mit der „Organisation von Bauwer­ ken, die ganz verschiedene Geschwindigkei­ ten, räumliche und zeitliche Ebenen mitei­ nander verknüpfen“, sich zu beschäftigen. Die von Otto Wagner entworfene Brücke über das Wiental ist das einzige spektaku­ läre Wiener Stadttor, auch wenn es längst innerhalb der Stadt liegt. Für den Großstadtverkehr von Bedeutung war

auch die Regulierung der vielen Bäche und Flüsse, von denen kaum mehr Sichtbares geblieben ist; nicht zu vergessen die Kana­ lisierung, die den Dreck in die Donau ost­ wärts schwemmte. Längst war die Donau eine komplett andere geworden, sichtbar am Donaukanal, den Friedrich Achleitner die kleine Donau nennt. Und doch war die

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Donau, parallel zur Weltausstellung 1868 und als Anschauungsobjekt dieser ingeni­ eursmäßig reguliert, noch immer das Sym­ bol des Anderen, Material der Mythologie der Stadt des Sigmund Freud. In der – für die Stadtentwicklung kurzen – „langen Linie“ ist das berühmte „Wien um 1900“ nicht einmal der Mythos, der es ist; es existiert nicht. Otto Wagner, je­ ner Grenzgänger der Jahrhunderte, schuf vor der Jahrhundertwende das Nußdorfer Wehr und Stadtbahnstationen und -kreu­ ze, die den Geist der Großstadt nach Wien brachten, und nach der Jahrhundertwende den Plan der „unbegrenzten Großstadt“. Wien träumte sich um 1910 als 4-Millio­ nen-Metropole (was ohne den Ersten Welt­ krieg realistisch war) und Otto Wagners Idealplan der „unbegrenzten Großstadt“ war das räumliche Layout des Szenarios. Es ist das Verdienst der Stadtregulierung der

Gründerzeit, dass sie bei Wachstum der Bevölkerung, des Kapitals, der Mobilität, der Bedürfnisse trotz anders gearteter, ras­ terförmiger Idealvorstellungen entlang der alten Stadtstraßen die spezifisch „wieneri­ sche“ Großstadt formte: mit durchgängi­ gen Qualitäten und feinen Unterschieden, die zu produzieren heute nicht mehr gelingt. Aber: Liest man die Reminiszenz des Stadt­ bauamts, 100 Jahre nach dessen Gründung, dann erstaunt das Bedauern, nur wenige ide­ altypische Planungen geschafft und die Stadt nicht modern genug reguliert zu haben. Wie­ der fast 100 Jahre später treibt die Stadtpla­ nung die Sorge, dass Wien noch immer nicht modern genug sei. Das ist das unaufgeklär­ te Erbe der Gründerzeit. F

nd Gründerzeit schufen Qualitäten, die zu produzieren heute nicht mehr gelingt 1868 1883 1901 Nur zwei Monate nach dem Suizid seines Partners van der Nüll stirbt auch Opern-Architekt August Sicard von Sicardsburg (1813–1868). Opernkritiker Kaiser Franz Josef reagiert auf die Doppeltragödie so schockiert, dass er von da an jegliche Architekturkritik auf unverbindliches Lob beschränkte

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Das bekannteste Werk des gebürtigen Dänen Theophil Hansen (1813–1891), eines der bekanntesten Ringstraßenarchitekten, wird eröffnet: das Reichsratsgebäude, das heutige Parlament. Auch die Börse, die Kunstakademie und das Palais Epstein sowie das Gebäude des Musikvereins gehören zu Hansens Werken an der Ringstraße

Der Bau der Wiener Stadtbahn ist abgeschlossen. Das gigantische Infrastrukturprojekt inklusive Wienflussregulierung ist das Werk von Otto Wagner (1841–1918), der auch architektonisch mit der Postsparkasse und zahlreichen Wohnbauten wie kein anderer das Bild des spätmonarchistischen Wiens prägte

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„Verändert die Stadt!“– Roland R

Rainer kritisierte den Monozentrismus Wiens

und schlug stattdessen eine polyzentrische Gliederung vor. Die Bezirkszentren sollten gestärkt werden und neue Stadtteile mit Schulen, Kindergärten, Sport- und Spielflächen, Ladenzeilen und Kultur- und Bildungszentren entstehen. Mit dem Gründerzeit-Prinzip der geschlossenen Innenhöfe wurde gebrochen. In den aufgelockerten neuen Stadtteilen wurden die Gebäude in den Grünraum gestellt, der zur Straße hin offen war und die Funktion der Verbindung und des öffentlichen Raum übernehmen sollte. Die Hauszeilen orientierten sich nach der Sonne. Für diese neuen Stadtteile wurden rund 10.000 Wohnungen pro Jahr gebaut. In einer Stadt mit stagnierender Bevölkerungszahl war dies für Rainer keine Stadterwei-

wandten sich Wien und zehntausende Wiener unter dem Motto ,Licht, Luft, Sonne‘ dem Stadtrand zu“

terung, sondern eine dringend notwendige Sanierung. Durch Schaffung moderner Stadtviertel sollten nicht nur die wohnkulturellen Verhältnisse deutlich verbessert, sondern gleichzeitig in den inneren Bezirken Platz geschaffen werden für die Sanierung der schlechten Wohnverhältnisse in den Gründerzeitvierteln. Der Wohnbau wurde zum urbanen Substrat der Stadt. Immer allgemeiner gültig kristallisieren sich, schrieb Rainer 1963, „die ruhigen Fußgängerbereiche im Inneren der Wohngebiete mit ihren verschiedenen Kinderspielplätzen und weiträumigen Spielflächen für Jugendliche einerseits und die Bereiche des Verkehrs mit ihren Parkplätzen und Gewerbeeinrichtungen andererseits am Rande heraus.“ Einer der modernsten Stadtteile der Rainer-Ära mit rund 3500 Wohnungen, Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen und Einkaufszentrum wurde ab 1962 in Kagran gebaut, mit dem Bundesländerhof und der Wohnanlage an der Siebenbürgerstraße. Die neun- bzw. viergeschoßigen Wohnhäuser wurden in der neuen Montagebauweise errichtet und von den Architekten Oskar und Peter Payer geplant. Arbeitete sich Rainer im Planungskonzept

vom Großraum Wien bis zur den konkreten Bebauungsvorschlägen durch, entwickelten Oskar und Peter Payer Gebäude und Wohnungsgrundriss gewissermaßen vom gegenüberliegenden Ende aus, entlang einer penibler Durcharbeitung der Funktionen des Wohnens, der Haushaltsführung und der Möblierung. „Nachdem auch die Möbel, insbesondere die Betten, Kleiderschränke, Sitzmöbel und dergleichen, nach dem Maßen des Menschen bestimmt sind, ist es notwendig, die Passfähigkeit der Möbelmaße in den Baumodul aufzunehmen“, notierte Oskar Payer bereits 1949. Während die Orientierung der Wohnungen den Überlegungen des Planungskonzepts entsprachen, fügten sich die Baukörper problemlos in die Bebauungsvorschläge Rainers ein. Die städtebauliche Bilanz der 1950erund 60er-Jahre ist beeindruckend. Es entstanden rund 200.000 neue Wohnungen, mehr als die Hälfte davon im Rahmen des kommunalen Wohnbauprogramms der Gemeinde Wien. Erstmals standen damit in großer Zahl größere und modern ausgestattete Wohnungen mit leistbaren Mieten zur Verfügung. Die durchschnittliche Wohnungsgröße stieg von 45 Quadratmeter 1950 auf 70 Quadratmeter Anfang der

1970er. Im gleichen Zeitraum zogen etwa 150.000 Wienerinnen und Wiener aus den inneren Bezirken der Stadt in die Entwicklungsgebiete der Bezirke 10 bis 12 und 20 bis 23. Während vor allem jüngere leistungsstärkere Haushalte mit Kindern in die neuen Stadtteile zogen, blieben in den dichtbebauten Stadtvierteln vor allem die älteren und einkommensschwächeren Bevölkerungsteile zurück. Trotz der hohen Wohnzufriedenheit in den neuen Wohnanlagen regte sich in der Öffentlichkeit schon bald Kritik. Die neuen Stadteile seien monofunktionale Schlafstädte, zu wenig urban, die Bebauungsformen der großen Zahl verpflichtet und die Zeilenbebauung einfallslos. Mit den großflächigen Stadtrandsiedlungen sei eine gewisse Entstädterung erfolgt. In der Ausstellung „Neue städtische Wohnformen“ (1967) urgierte der Architekt Viktor Hufnagl die Schaffung öffentlicher Freiräume nach dem Vorbild des Angers, des Marktplatzes oder als Hof einer Wohnanlage. Nicht die Entmischung der Lebensfunktionen sei notwendig, sondern ihre Mischung. Anfang der 1970er-Jahre machte sich auch in der Stadtplanung ein deutlicher Wandel erkennbar. Nach dem Vorrang der Stadterweiterung der vorangegangenen Jahrzehnte sah man nun in der Sanierung der dichtbebauten Gebiete der Gründerzeit die wichtigste Zukunftsaufgabe. Die Stadterweiterung sollte künftig entlang von Entwicklungsachsen oder in besonderen Schwerpunktgebieten und, aus ökonomischen Gründen, dichter und konzentrierter erfolgen als es Rainer noch vorsah. Eine davon war die Achse Meidling–Siebenhirten mit der geplanten U6 und den Entwicklungsgebieten Am Schöpfwerk, Wohnpark Alt-Erlaa und Wiener Flur mit immerhin rund 12.000 Wohnungen. Unter Federführung Viktor Hufnagls entstand die als Wohnhof in der Tradition des Roten Wien geplante Wohnanlage Am Schöpfwerk. Mit dem Wohnpark AltErlaa konnte der Architekt Harry Glück seine Vorstellungen vom sozialen Wohnbau am Stadtrand im buchstäblichen Sinne auf die Spitze treiben. Auch Glück hatte heftige Kritik am Wohnbau der vergangenen Jahrzehnte geübt. Sein Lösungsvorschlag war das gestapelte Einfamilienhaus als Terrassenhaus mit zahlreichen Nutzungsangeboten, von der Tiefgarage über Hobbywerkstätten bis zum Schwimmbad

F o to s: Ö n b/O s k a r Pay e r , A rc h i v, A rc h i v K ü n s t l e r h au s

N

ach dem Zweiten Weltkrieg war der Stadtplanung Glanz der Gründerzeit endgültig vorbei, ihre Bauten lichtlos und über- als füllt. Unter der Ägide von Stadtplaner Roland Rainer wandten sich Wien und zehn- Verbesserung tausende Wiener unter dem ­Motto „Licht, von LebensLuft und Sonne“ dem Stadtrand zu. Erst in den 1980ern erlebten die Gründerzeitviertel bedingungen, dank Sanierung wieder ihr Comeback. Als der Architekt und Stadtplaner Ro- von Roland land Rainer am 21. Juni 1961 in elf Grundsätzen sein Planungskonzept für Wien prä- Rainer bis sentierte, waren etwas mehr als 15 Jahre Wilhelm vergangen, seit die Enquete über den Wiederaufbau Wiens ihre Beratungen abschlie- Kainrath ßen konnte. In 14 Punkten hatte die Enquete den Rahmen für eine Neuordnung Wiens skizziert. Die Stadt muss aufgelo- Z e i t r e i s e : ckert werden, hieß es, die „unnatürliche M a n f r e d chaotische Zusammenballung großer Men- S c h e n e k l schenmassen auf engem Großstadtraum in den letzten hundert Jahren ist eine der Ursachen der sozialen Spannungen und der sanitären Missstände“. Denn in der Bilanz der Enquete ­zählten nicht nur die Zerstörungen des ­Zweiten Weltkrieges. Ebenso schwer wog das Erbe, das das rasante Stadtwachstum der Gründerzeit hinterlassen hatte. Zwei Drittel der Wohnungen waren Klein- oder Kleinstwohnungen, schlecht ausgeleuchtet und belüftet. Mehr als 90 Prozent der Wohnungen hatten WC und Wasser am Gang. Die Enquete lieferte das Vokabular für eine Reform der Stadt, der 1958 zum Stadtplaner „Unter der Ägide von Wien berufene Architekt ­Rainer präsen- von Stadtplaner tierte mit dem Planungskonzept 1961 das Roland Rainer räumliche Entwicklungsmodell dafür.

Vom Zentrum an den Stadtrand und zurück. Wie Wien nach dem Zweiten Weltkrieg die Ak 1947 1955 1958 Otto Payer (1903–1973) ist am Wiener „Sofortwohnprogramm“ beteiligt. Auch danach widmet er sich dem sozialen Wohnbau: In den 1960er-Jahren plant er mit seinem Sohn Peter mehrere tausend Wohnungen in Gemeindebauten wie dem Bundesländerhof – in rationaler Montagebauweise und mit klugen Grundrissen

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Der Ringturm am Donaukanal wird eröffnet, ein vertikales Zeichen der neuen Zweiten Republik. Sein Architekt Erich Boltenstern (1896-1991) prägt die Wiener Nachkriegszeit mit zahlreichen Bauten einer ruhigen, gemäßigten Moderne, wie etwa das Hotel am Kahlenberg..

Roland Rainer (1910–2004) wird Wiener Chefstadtplaner. 1962 entsteht sein Planungskonzept für Wien, von dem einiges verwirklicht wird. 1963 tritt er im Streit zurück. Er gilt als Erfinder des „verdichteten Flachbaus“ und hinterließ Wien unter anderem die Stadthalle (1962) und das ORF-Zentrum am Küniglberg (1974)

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d Rainers Wien

F o t o s : I m a g n o , W i k i m e d i a , B ü r o H a r r y G l ü c k , H e r ib e r t C o r n , W r . S t a d t - u n d L a n d a r c hi v , F r i e d l K u b e l k a

Das „Signaturbauwerk“ des Anti-Signatur-Architekten Rainer: die Wiener Stadthalle (links). Von Architekten gehasst, von den Bewohnern geliebt: Harry Glücks sozialer Wohnbau am Stadtrand, Alt-Erlaa (unten) In der Tradition des Roten Wien von Viktor Hufnagl geplant: Siedlung am Schöpfwerk (oben)

auf dem Dach. Der Wohnpark sollte illustrieren, wie sich im sozialen Wohnbau hohe Dichte in Stadterweiterungsgebieten realisieren lässt. Während an der neuen Entwicklungsachse die Pilotprojekte neue Formen der Stadterweiterung erprobten, die bald nach ihrer Fertigstellung ebenso heftig kritisiert wurden wie ihre Vorgänger, arbeitete der Architekt und Stadtplaner Wilhelm Kainrath im Rahmen des Planquadrats 4, der Sanierung eines Häuserblocks an der Mühlgasse im vierten Bezirk, an den Grundsätzen der sanften Stadterneuerung, da die Stadterweiterung in der öffentlichen Meinung gründlich diskreditiert war und aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen nicht mehr notwendig erschien. Für Kainrath bestand die Aufgabe der Stadt-

erneuerung darin, die Lebensbedingungen der städtischen Bevölkerung zu verbessern. Vor allem in den Vierteln der Arbeiterinnen und Arbeiter in den alten Gründerzeitge-

bieten waren die Wohnungen immer noch zu klein. Kainrath wollte sich nicht jenen anschließen, die meinten, dass nur eine dicht bebaute Stadt eine urbane Atmosphäre entwickeln kann. „Warum“, fragte er, „sollte die Zusammenballung von Menschen und Kapital, verursacht durch spekulative Bodennutzung, von uns zum Ideal städtischen Lebens erklärt werden?“ Stadterneuerungspolitik könne nur dann qualitätsvolle Ergebnisse erbringen, wenn sie vom Zwang befreit ist, quantitativ erfolgreich zu sein. Daher war selbst bei abnehmender Bevölkerung eine gewisses Maß an Stadterweiterung notwendig. Und dieses sollte weder monozentrisch in Kreisringen erfolgen noch mittels ausgedehnter Stadtrandsiedlungen, sondern nach dem Modell der Bandstadt entlang von Entwicklungsachsen. Ein Entwicklungsmodell, das Kainrath in den Stadtentwicklungsplan 1984 einbringen konnte. In Fortsetzung von Rainers Planungskonzept sollten die Bezirks-

zentren aufgewertet und zum Ausgangspunkt von Entwicklungsachsen werden, die das Wachstum der Stadt bündeln. Die vom Wachstumsdruck befreiten dicht verbauten Teile der Stadt sollten aufgelockert werden, während sich zwischen den Entwicklungsachsen großzügige Grünkeile bis tief ins Innere der Stadt erstrecken. Für Kainrath, marxistisch geschult und ausge-

stattet mit einem feinen Sensorium für Ungerechtigkeiten, waren Stadtentwicklung und -erneuerung immer eine Auseinandersetzung zwischen Politik und marktwirtschaftlichen Interessen. Er sah sehr klar, wie eng der Gestaltungsspielraum der Stadtplanung war, wenn nicht auch Veränderungen in den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen damit einhergingen. Daher auch sein Eintreten für eine Demokratisierung der Planung. Denn Stadtplanung war für ihn kein System von Sachzwängen, zu dem es keine Alternativen gibt, sondern das Feld politischer Auseinandersetzungen ... F

die Akzente seiner Stadtplanung wechselte und solidarische Prinzipien wiederentdeckte 1959 1973 1984 Georg Lippert (1908–1992) erbaut den Opernringhof an der Stelle des zerstörten Heinrichshofs. Später wird er selbst als Zerstörer bekannt. „Palaisverwerter“ Lippert baute mehrere Hochhäuser, etwa für die Wirtschaftskammer, die AUA und Semperit, nicht selten wurden dafür alte Palais abgerissen

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Im Süden Wiens beginnt der Bau des Wohnparks Alt-Erlaa. Die Wohnhochhäuser von Architekt Harry Glück (*1925) sind lange umstritten, aber bei den Bewohnern beliebt. Bis heute hat Harry Glück rund 18.000 Wohnungen gebaut – die meisten in Terrassenbauweise und manche mit Pool auf dem Dach

Der Wiener Stadtentwicklungsplan (STEP 1984) wird veröffentlicht. Vorangestellt werden ihm die „Grundsätze der Wiener Stadtentwicklungspolitik“: soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Mitwirkung und Selbstbestimmung. Maßgeblich daran beteiligt ist der Planungsbeamte Wilhelm Kainrath (1939–1986)

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Wiener Paralleluniversen Türme, Hallen und Kaiserforen, Autobahnen und Aufmarschachsen, und der Karlsplatz als Grab der Träume: Die Geschichte kennt eine ganze Stadt nie realisierter Planungen. Eine Übersicht über das ungebaute Wien

maik novotny

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a, mach nur einen Plan!“, höhnte es schon in der „Dreigroschenoper“. Man vergisst ja so oft, dass Planung eben nur das ist: Planung. Eine Garantie zur Realisierung gibt es nie. Papier ist geduldig, Geldflüsse können erstaunlich schnell versiegen, politische Mehrheiten sind wechselhaft, die Technologie lässt sich Zeit mit der dringend benötigten Heureka-Erfindung, erträumte Utopien bleiben für immer utopisch, projektierte Hochhäuser erweisen sich als kurzlebiges Ventil phallischer Sehnsüchte, und manchmal war der Plan schon von Beginn an einfach nicht besonders gut. Jede Stadt hat ihre ungebauten Zwillinge, Paralleluniversen mit dem ewigen Reiz des „Was wäre, wenn …?“. New York hat Scharen von nie gebauten Wolkenkratzern sich in Luft auflösen sehen, Buckminster Fullers riesige geodätische Kuppel über Manhattan blieb ein Gedankenexperiment, wenn auch mit Nachahmern in weitaus kleinerem Maßstab. Auch Wien hat sein Ungebautes und Unvollendetes. Der Stumpf gebliebene Nordturm des Stephansdoms ist darunter das bekannteste, wenn auch harmloseste Beispiel. Die in der Ausstellung „Das ungebaute Wien 1800–2000“ im Historischen Museum der Stadt Wien im Jahr 1999 versammelten unrealisierten Visionen ergäben alleine eine veritable Stadt. Schon die historische Collage des HofburgKomplexes ist eine Sammlung von Rudimenten hochfliegender Planungen. Ihr gegenüber zeugen Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum als verwaiste Rümpfe des gigantischen Kaiserforums von größeren Visionen. Dieses Forum hätte nach Gottfried Sempers und Karl von Hasenauers Plänen von 1869 die Hofburg mit zwei Flanken über die Ringstraße bis zum heutigen Museumsquartier ausgedehnt. Das kaiserliche Dekret zum Abbruch der Stadtmauern und der Errichtung der Ringstraße bot den Planern die ersehnte Tabula rasa für klassizistische Stadtblöcke, Festplätze und überdimensionierte Kulturbauten. Im Rausch des plötzlich verfügbaren Raumes verloren sie oft jeglichen Maßstab. Manche, wie Alfred Riehl mit seiner „Avenue Tegethoff “ 1895, schlugen sogar brei-

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tet, nun als knirschend ins Stadtgefüge eingepasstes Monument. Immer wieder geriet der Karlsplatz in den Fokus der Planer. Nach dem Beschluss zur Errichtung eines Städtischen Museums neben der Karlskirche 1900 begann ein Hin und Her mit polemischen Debatten zwischen dem traditionalistischen und dem progressiven Lager der Wiener Society. Otto Wagner als Verfechter der modernen Lösung galt schon als sicherer Favorit, bevor er im Folgewettbewerb wieder den Kürzeren gegenüber Friedrich Schachner zog. Es folgten weitere Varianten und Debatten, bis der Ausbruch des Weltkriegs den Plänen ein Ende bereitete. Nicht die einzige Niederlage Otto Wagners, der zweifellos der Rekordhalter unter den Planern des ungebauten Wiens ist. Wenn im Juni 2015 die ersten Wettbewerbsentwürfe für den Ausbau des Wien Museums vorliegen, wird die Karlsplatz-Debatte zwischen Bewahrern und Erneuerern zweifellos in alter Frische wieder aufleben. Ein alternatives Wien in weit rücksichtslo-

Vorschlag der Porfessoren an den „Führer“ zur Neugestaltung Wiens

te Achsen mitten durch den ersten Bezirk vor, mit dem Stephansdom im Fluchtpunkt Haussmann’scher Boulevards. Der Anlage der Ringstraße, wie wir sie heute kennen, gingen zahllose Varianten voraus, wie auf dem Schachbrett wurden Rathaus, Burgtheater und Oper herumgeschoben, bis sie ihren endgültigen Platz fanden. Schon Ende des 19.Jahrhunderts erwies sich vor allem ein Wiener Ort als wahres Grab der Träume: der Karlsplatz. Eine Rolle, die er bis heute nicht abgelegt hat. Eine schwer in den Griff zu bekommende, unscharfe Gegend, zwischen den Rückfronten der Ringstraßenblocks und den Rändern der Vorstadt, durchströmt vom Wienfluss. Dazu die Karlskirche, einst als Solitär im Grünen mit Fernwirkung Richtung Hofburg errich-

serem Maßstab entstand nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 auf den Zeichenbrettern. Als „Perle des Reiches“ sollte Wien seinem neuen Führer devot zu Füßen liegen, eifrige Architekten wie Siegfried Theiss und Hanns Dustmann planten kilometerlange Aufmarschachsen quer durch die jüdisch geprägte Leopoldstadt, mit überkuppelten „Gauhallen“ an der Donau, neuen Siedlungen für Hunderttausende in Transdanubien und einem neuen stadtviertelgroßen Zentralbahnhof, wahlweise anstelle des Südbahnhofs oder in Erdberg. Der „Führer“ selbst war an diesen Plänen wenig interessiert, ihm war sein geliebtes Linz wichtiger. Nach dem Krieg blieben als einzige bauliche Relikte des Dritten Reiches die drei Flakturm-Paare übrig. In der Nachkriegszeit war bauliche Gigantomanie zunächst passé, die Großplanungen beschränkten sich auf den Wohnbau am Stadtrand. Visionäres fand sein Ventil vor allem in Verkehrsprojekten. Finanzreferent Felix Slavik propagierte 1958 die Idee einer „Alwegbahn“, die auf Stelzen über Gürtel und Donau schweben sollte. Zehnmal bil-

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So hätte nach der „Führervorlage“ die Leopoldstadt, der Wohnort der meisten Juden in Wien, ausgesehen: Eine Aufmarschachse hätte über die Praterstraße und Prater bis zu einer riesigen „Gauhalle“ jenseits der Donau geführt

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liger als eine U-Bahn sei das neuartige Verkehrsmittel, warb die Arbeiter-Zeitung am 15. Februar 1958. Auch Städte wie Frankfurt und Köln waren zu jener Zeit von der futuristischen Idee fasziniert, sie erwies sich aber als technisch unausgereift und zu sperrig für die engen europäischen Stadtstrukturen. Gebaut wurde sie letztendlich nur in Freizeitparks wie dem Disneyland. Der Verkehr auf Stelzen war damit nicht begraben, statt Nahverkehr war es jedoch der Autoverkehr, der nun die Träume hochfliegen ließ. Die Wiener Gürtelautobahn geisterte eine Weile durch die Planschränke des Magistrats, erste Brückenköpfe wie in der Brigittenau wurden tatsächlich gebaut. Doch die Stadtautobahn um den gesamten Gürtel bis zur heutigen Südosttangente verblieb für immer in einem von der „freien Fahrt für freie Bürger“ besessenen Paralleluniversum. Diesen Platz teilt sie sich mit der Naschmarkt-Autobahn, die noch in den 70er-Jahren knapp vor der Realisierung stand. Die 1959 von Chefstadtplaner Roland Rainer

Der Karlsplatz, wie ihn Otto Wagner plante (1908)

konzipierte „Wiental-Expressstraße“ sollte ungehindert von der Westeinfahrt zum Karlsplatz durchrauschen, der dann im Weg stehende Naschmarkt selbst ein Stück stadtauswärts rücken und dort auf dem Seitenstreifen sein Dasein fristen. Dazu kam es nicht, auch wenn noch 1974 in Studien

der MA 21 die Verlegung des Marktes auf eine Plattform über der Straße untersucht wurde. Schwer vorstellbar, dass der Naschmarkt in dieser luftigen Höhe jene touristisch-gastronomische Goldgrube geworden wäre, die er heute ist. Die bislang letzte unausgeträumte Wiener Stadtvision schließlich war 1990 Sepp Franks Wettbewerbsentwurf für das Gelände der Expo 95 neben der Uno-City, mit „Donauwellen-Dach“ über der Ausstellungshalle und einem Stadtviertel mit dem Motto „Wien an die Donau!“ Ein Jahr später wurde die Expo per Volksabstimmung begraben und die Donauplatte ging fortan ihren eigenen Weg als Sammelsurium eitler und unzusammenhängender Masterpläne. Doch es gibt Hoffnung für die Verschmähten. Nicht alle Visionen müssen für immer im entmaterialisierten Paralleluniversum verbleiben. Schließlich schaffte es die Wiener U-Bahn-Linie 5, jahrzehntelang geradezu ein Paradebeispiel des ewig Ungebauten, 2014 tatsächlich auf die Schiene der Realisierung. Glauben werden wir es aber erst, wenn tatsächlich der erste Türkis-Linien-Zug fährt. F

Stadtplanung? Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung des Städtebaus

In den letzten Jahrzehnten herrschte in Wien die Stadtplanung über den Städtebau. Sie ist ein allgegenwärtiges Thema, eine akademische Disziplin, eine Behörde – und wird irgendwie für alles verantwortlich gemacht, was in einer Stadt geschieht. Der Begriff „Stadtplanung“ suggeriert, dass es irgendwo im Nirgendwo einen Weisenrat gibt, der die Entwicklung der Stadt orchestriert. Für den von der Stadtplanung betroffenen Wutbürger ist dies heute eine dunkle, korrupte Macht, die verantwortlich dafür ist, dass seine gewohnte Umgebung bedroht und verändert wird. Stadtplanung ist deshalb für die Bewohner der „lebenswertesten Stadt“ dieses Planeten das Feindbild schlechthin. Sie will die Stadt entwickeln, umgestalten. Viele Bewohner hingegen wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie wollen jedes Neue verhindern, das ihre gewohnte Umgebung verändert. Das ist verständlich in einer Welt, in der sich ständig alles wandelt. Wie sich da eine Mitsprache der Bevölkerung, die gegen jede Entwicklung ist, gestalten könnte, ist heute schon die Frage jeder wachsenden Stadt. Denn diese benötigt Neubau und Umbau, das heißt Veränderung gewohnter

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Umgebungen. Dafür gibt es Instrumente der Planung. Pragmatisch gesprochen erfolgt dies heute über das Instrument des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans. Dieser wird jeweils vom Gemeinderat beschlossen. Er legt fest, welche Nutzung ein Grundstück haben darf und wie viel davon und in welcher Höhe bebaut werden kann. Über das Aussehen und die Gestalt der künftigen Bebauung äußert er sich nicht. Ein ziemlich abstraktes Regulativ, dass sich wahrlich nicht dafür eignet, ein Bild, eine Vision der jeweils konkreten Stadtentwicklung zu vermitteln. Jene Behörden, die dieses Regulativ der Stadtentwicklung exekutieren, wollen auch gar kein Bild, keine Vorstellung der Gestalt der künftigen Stadt haben. Sie folgen Grundstück für Grundstück einem politischem Willen, der ebenso nicht weiß, wie sich die künftige Gestaltung dieses dann behördlich vorgegebenen Rahmens als Stadt räumlich darstellen wird. Dieser politische Wille resultiert wiederum aus den konkreten ökonomischen Bedrängnissen, die sich auf jedem Grundstück der Stadtentwicklung niederschlagen. Daraus sind in allen europäischen Stadtrandgebieten jene unsäglichen Müllhalden der unvereinbaren Bedarfsdeckung entstanden, die niemals Stadt werden können, aber behaupten, diese zu sein: Shopping-Malls und Einfamilienhäuser, Fachmarktzentren und Reihenhäuser, Supermärkte und Wohnblocks. Dazwischen Schnellstraßen mit Lärmschutzwänden vor Kleingartengebieten. Das ist die Stadt, die wir in den letzten Jahr-

zehnten gebaut haben. In Skopje genauso wie in Bordeaux, in Stockholm oder Paris, Berlin und Wien. Das wahre Desaster ist die überall gleiche Stadtentwicklung, die keine Vorstellung von Stadt hat – ob korrupt entstanden oder politisch geplant, macht da keinen Unterschied. Sie geschieht einfach und niemand kümmert’s. Demgegenüber steht überall die Sehnsucht nach der intakten „alten Stadt“, weltkulturgeerbt oder nicht, in der jede Veränderung oder Erneuerung verhindert werden soll. Hier lebt der Traum eines unveränder-

ten, meist 300 Jahre alten Bildes, das es niemals gegeben hat, aber eben deshalb neu wiederhergestellt werden müsste. In diesem Dilemma zwischen einer gestaltlosen, wildwuchernden Peripherie und einem sankrosankt historistischen Bild des Zentrums entwickelt sich das Dilemma der heutigen gestaltlosen „Stadtplanung“. Es gibt dafür nur einen Ausweg: Alle bisherigen Instrumente der „Planung“ der Stadt der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts müssen grundsätzlich hinterfragt werden. Wir müssen die abstrakte heterogene Stadtplanung wieder durch Ideen und Konzepte des Städtebaus ersetzen, mit denen ein Quartier entwickelt werden kann. Damit wäre auch das größte Problem der Stadt-

entwicklung zu lösen: Die einander widersprechenden Interessen der einzelnen Abteilungen und Zuständigkeiten einer Stadtverwaltung. Es ist derzeit so pragmatisch wie banal, aber die städtebauliche Struktur von Stadtentwicklungsgebieten wird heute von den Komfortansprüchen der städtischen Müllabfuhr und der Feuerwehr bestimmt. Doch deren surrealistische Angstregulative der Normen, Vorschriften und die UVP-Konsulenten-Geldvernichtungen haben mit der aufgeklärten Vernunft und der Rücksicht auf Gefahren und Umwelt schon längst nichts mehr zu tun. Könnten wir uns wieder auf die bewährten und tradierten Typologien und Formen eines urbanen Städtebaus verständigen, könnten wir uns von den unverbindlichen Strategien einer Planung als Prozess verabschieden, die nichts aussagen über die „Gestalt“ der Stadt, könnten wir mit Investoren vernünftige städtebauliche Verträge abschließen, die deren Gewinn auch für die Allgemeinheit fruchtbar machen – dann könnten wir an einer Stadt bauen, die nicht mehr durch eine Trennung zwischen dem sankrosankten Zentrum und einer wildwuchernden Peripherie geteilt ist, sondern die gesamte Stadt als einen ebenso artifiziellen wie ökologischen Körper erkennbar zukunftsfähig macht. Dazu bedarf es aber eines politischen Willens. Dietmar Steiner

Fotos: Wien Museum, Apa/A z w/Fidler

über die Nazi-Planungen für Wien im Az W ist eine grundsätzliche Geschichte verborgen, die bis heute andauert: die Auseinandersetzung zwischen „Städtebau“ und „Raumplanung“. Man sieht, wie Wien vom Standpunkt der Raumforschung und -planung aus gesehen wird, die Expansion nach Südosteuropa. Und man sieht die zynischen städtebaulichen Raumfiguren, die Wien judenfrei machen und dem Führer huldigen sollten. Im Nachkriegswien bekämpfte der „Städtebauer“ Roland Rainer vehement die Etablierung der Studienrichtung „Raumplanung“ von Rudolf Wurzer an der TU Wien. Und letztes Jahr flammte der Konflikt in der akademischen Debatte in Deutschland neuer- Dietmar Steiner lich auf. Eine „Kölner Erklärung“ fordert die leitet das ArchitekWiedereinführung einer „Städtebau“-Aus- turzentrum Wien bildung, entgegnet von einer „Aachener Polemik“, die mit ihrem prozessualen Denken der Stadtplanung widerspricht. ::  In der Ausstellung

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Die große Gesprächsrunde. Zwei Expertinnen (im Bild Architektin Silja Tillner) und drei Experten diskutieren Wiens Zukunft

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Die Runde: Mit Maik Novotny diskutierten Gabu Heindl, Silja Tillner, Christian Kühn, Reinhard Seiß und Thomas Madreiter

ien Es ging unter anderem um Sicherheit für Investoren, Bürgerbeteiligung, Medienmacht und Hochhäuser. Im Bild: Publizist Reinhard Seiß

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„Wien ist in seiner Geschichte i L

ebenswerteste Stadt der Welt, Vorreiterin des sozialen Wohnbaus, Smart City. Wien geht so gut, dass die Stadt nach Jahrzehnten gemütlicher Stagnation kräftig wächst. Das gefällt nicht jedem. Gelingt es Wien, sein Gesicht zu verändern und doch seine Qualitäten zu bewahren? Profitiert die Öffentlichkeit vom Wachstum, oder schöpfen Investoren den großen Gewinn ab, während die Behörden zaghaft zuschauen? Wie funktioniert die Wiener Stadtplanung überhaupt? Diese und andere Fragen diskutierten im Mobilen Stadtlabor der TU Wien, mitten auf dem Karlsplatz, die Architektinnen Gabu Heindl und Silja Tillner, Raumplaner Reinhard Seiß, Architekturkritiker Christian Kühn und der Wiener Planungsdirektor Thomas Madreiter. Falter: Wien wächst um 200.000

Einwohner bis 2030 – manche freut das, andere spüren Wachstumsschmerzen. Herr Madreiter, will Wien wachsen oder muss Wien wachsen? Thomas Madreiter: Weder noch! Weder ist es ein erklärtes Ziel, dass Wien wächst, noch haben wir eine derartige Haltung der Mutlosigkeit, dass wir das als reine Pflichterfüllung betrachten würden. Das Wachstum ist das Resultat einer globalen, besonders europäischen Bewegungsfreiheit, in der sich gewisse Attraktivitätsmuster und Interessenlagen widerspiegeln. Aus Sicht der Wiener Stadtplanung ist das Wachstum der Stadt eher ein Normalzustand. Städte mit gleichbleibender, stabiler Größe gibt es wenige, und schrumpfende Städte schaffen viele Probleme. Das Wachstum ist aber kein Selbstzweck. Ich persönlich verwehre mich auch gegen vergleichende Städterankings nach dem Motto „Wir haben Hamburg hinter uns gelassen!“, das finde ich eher lächerlich. Ist Wien in dieser Hinsicht dennoch ein Sonderfall, weil es sich in der Nachkriegszeit an die Nichtveränderung gewöhnt hat? Madreiter: Das ist vermutlich richtig, aber die 40 Jahre zwischen Zweitem Weltkrieg und dem Fall des Eisernen Vorhangs waren ein Ausnahmezustand. Sonst ist Wien in seiner gesamten Geschichte immer gewachsen. Wir sind daher jetzt in einen Zustand der Normalität zurückgekehrt. So intensiv wie derzeit müsste das Wachstum zwar nicht sein. Auch aus Sicht der Bevölkerung ist man natürlich etwas anderes gewohnt. Insofern ist das, was wir in Wien über 45 Jahre erlebt haben, eine für Städte atypisch stabile Situation, und genau deshalb kommt es zu den oft zitierten Wachstumsschmerzen. Ich halte das aber für völlig normal. Das gehört für uns zum Geschäft der Stadtentwicklung. Der Dialog ist zu führen, da gilt es zuzuhören und die richtigen Antworten zu geben. In neoliberaler geprägten Städten wie London wird der Wohnraum für Normalbürger inzwischen unleistbar. Besteht Fortsetzung nächste Seite

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Wie soll sich die Stadt Wien entwickeln? Wer macht die Planung und wer profitiert davon? Ein Streitgespräch Moderation: Maik Novotny Fotos: H a n s H o c hst ö g e r

Christian Kühn, Maik Novotny, Gabu Heindl, Silja Tillner, Thomas Madreiter, Reinhard Seiß im Mobilen Stadt­ labor Karlsplatz

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e immer gewachsen“

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diese Gefahr in Wien auch, oder ist man hier dank Jahrzehnten sozialen Wohnbaus auf der sicheren Seite? Gabu Heindl, wie sehen Sie das Wiener Stadtwachstum? Gabu Heindl: Ich glaube, Wachstum ist nicht nur ein Migrationsthema, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Thema. Wenn Städte wachsen, geht es um die Nähe zu Ressourcen und Mobilität. In Mexico City verlassen die Leute die Stadtränder, weil sie sich das Pendeln nicht leisten können. Es wird für eine gerechte Ressourcenverteilung notwendig sein, möglichst viele Menschen in der Stadt wohnen lassen zu können. Insofern ist das Wachstum nur richtig. Das bedeutet für mich auch neue, verdichtete Stadtkonzepte. Im Gegenzug muss ich dafür sorgen, dass offene und „nichtdichte“ Räume vorhanden sind. Also eine Balance zwischen bebautem Stadtraum und frei benutzbarem Naherholungs-Freiraum. Stadtplanung sollte geprägt sein vom Denken in Szenarien. Ich muss den Worst Case kennen, damit ich dafür sorgen kann, dass er nicht eintritt. Dafür gibt es in Wien einerseits eine gute Basis, andererseits auch ein profundes Interesse mancher Gruppen, eine größere Marktorientierung zu forcieren. Da würde ich sehr achtsam sein und gegensteuern, als Planer, als Kritiker und von politischer Seite. Reinhard Seiß, Ihr Buch „Wer baut Wien?“ zeichnete 2007 ein düsteres Bild von den Mechanismen der Wiener Stadtplanung. Seitdem hat sich Wien gerade in der Stadtentwicklung mehr Transparenz verordnet. Sind die Verhältnisse besser geworden? Reinhard Seiß: An den grundsätzlichen Dingen kann sich in kurzer Zeit nicht viel ändern, aber ich denke schon, dass wir seit 2010 eine andere Diskussionskultur haben. Auch dass jemand wie Thomas Madreiter Planungsdirektor geworden ist, ist ein Zeichen dafür. Im Bereich der Verkehrspolitik haben mich einige Dinge positiv überrascht, sei es die Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung, sei es die Umgestaltung der Mariahilfer Straße. Im Bereich der Stadtentwicklungspolitik sehe ich weniger Veränderung. Da würde ich mir schon mehr Aktion als oft nur Reaktion auf bauliche Interessen wünschen. Silja Tillner, Sie haben weltweit als Stadtplanerin gearbeitet. Wie steht Wien im internationalen Vergleich da? Silja Tillner: Was die Verkehrspolitik angeht, hat sich in der Tat schon einiges getan. Allerdings würde ich das nicht revolutionär nennen, weil Wien nur nachholt, was andere Städte längst vollzogen haben: Selbst in New York ist der Broadway zur Fußgängerzone geworden. Die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße ist eigentlich selbstverständlich. Ich sehe da auch in Wien eine große Lücke zwischen Jungen und Älteren: Viele Jüngere aus meinem Bekanntenkreis haben kein Auto oder machen sogar nicht einmal mehr den Führerschein. Sie hätten also gar kein Problem mit Fußgängerzonen und Stellplatzverlusten. Aber die Diskussion wird eben von älteren Herrschaften dominiert. Was mir generell wichtig ist, ist die vorausschauende Planung. Es liegt vielleicht auch am Druck der wachsenden Stadt, aber es könnte meiner Meinung nach mehr proaktive Stadtplanung zeitlich vor dem Entstehen konkreter Projektentwicklungsideen geben. Wir feiern jetzt 150 Jahre Ringstraße, das war die größte städtebauliche Planung Europas Mitte des 19. Jahrhunderts.

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Zur Person Reinhard Seiß ist Raumplaner, Filmemacher und Autor. Sein Buch „Wer baut Wien?“, das die Fehlplanungen und Mechanismen der Wiener Stadtplanung aufdeckte, sorgte 2007 für Furore. Zuletzt erschien sein Film „Häuser für Menschen“ (2013) und eine Monografie über die Wohnbauten des Architekten Harry Glück (2014)

„Pläne selbst versagen nicht. Es liegt an den Akteuren, die damit seriös umgehen oder nicht“

Es könnten auch heute mehr städtebauliche Leitbilder für Areale mit Entwicklungsdruck entstehen. Madreiter: Dass Wien im Bereich des Verkehrs hinter New York nachhinken soll, ist objektiv nicht nachvollziehbar. Der Anteil etwa der Autobenutzung der Jungen am Arbeitsweg hat sich laut einer aktuellen Studie von SORA im Auftrag der AK bei uns in zehn Jahren von 20 auf elf Prozent praktisch halbiert. Die Frage des Verkehrs lässt sich nicht an einer Mariahilfer Straße alleine festmachen, da geht es um langfristige strukturelle Entwicklungen. Wirkungen von Stadtplanung kann man aus verschiedenen Richtungen betrachten. Beispielsweise haben wir derzeit 40.000 Wohnungen in Widmung, eine unglaublich hohe Zahl, die die Basis für die Verkehrsentwicklung von morgen legt. Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich Stadtplanung integral betrachten, da kann ich eben die Verkehrsplanung nicht vom Bebauungssystem loslösen. Wir müssen, da stimme ich Gabu Heindl zu, verdichten und auflockern zugleich. Erst wenn diese Mischung funktioniert, hat man die Chance, dass es in die richtige Richtung geht. Christian Kühn: Es war die langjährige Erfahrung der Wiener, dass die Stadt nicht wächst. Das betraf aber genauso die Erfahrung der Stadtplaner selbst! Das hatte den fatalen Nebenaspekt, dass man viele Fehler machen konnte, die leicht zu kompensieren waren, weil die Dimensionssprünge nicht so groß waren. Erst den letzten zehn Jahren hat die Stadt begonnen, diesen Entwicklungen, die sich schon seit 1990 angekündigt haben, ernst zu nehmen und proaktiv darauf zu reagieren. Sollte die Stadt bei der Planung noch offensiver agieren, wie manche fordern? Oder sind die Zeiten der „Planung von oben“ vorbei? Kühn: Ob die Stadtplanung zu defensiv oder

offensiv agiert – da traue ich mir noch kein Urteil zu. Ich sehe die Stadt sehr heterogen in ihren Botschaften, weil die Stadt durch die Anzahl der Ressorts im Magistrat und deren Interessen gehemmt wird und es schwer hat, an einem Strang zu ziehen. Der Status der Stadtplanung ist immer noch nicht auf dem Niveau, den es eigentlich bräuchte. Man wird als Stadtplaner relativ leicht „umgeblasen“ von ökonomischen oder parteipolitischen Interessen und es fällt den Akteuren gar nicht auf, was sie mit Einzelaktionen alles beschädigen. Da gilt es auch parteiinterne Kämpfe zu überwinden, die vieles hemmen. Welche Rolle spielen die Planerinnen und Architektinnen in diesen Prozessen? Was können sie beitragen? Tillner: Sehr viel! Unsere Ausbildung hat leider die Tradition, dass Stadtplanung und Architektur getrennt sind. Aber die Architektinnen haben den Vorteil, kreative und dreidimensionale Beiträge leisten können. Ein Beispiel: Es gibt immer weniger Grundstücke für leistbares Wohnen. Es gilt also, Grundstücke zu entdecken, in denen man bisher gar kein Potenzial erkannt hat. Das Grundstück und das Nutzungskonzept für das Projekt Skyline Spittelau, haben wir entdeckt bzw. erdacht, das hatte vorher niemand auf dem Radar. Architekten gehen mit anderen Augen durch die Stadt, das tat schon Frank Lloyd Wright. Architekten sollten mehr in die Visionen eingebunden werden. Heindl: Was in dieser Stadt fehlt, ist der Zwischenmaßstab. Durch ihre Ausbildung haben Architektinnen die Fähigkeit, sich auf diesen Zwischenebenen Szenarien zu überlegen, die nicht rein objektorientiert sind. Ich würde mir wünschen, dass wir Planerinnen offensiv gefordert werden, diesen Zwischenmaßstab anzugehen. Madreiter: Für mich ist Stadtplanung nur zum geringen Anteil „Männer im weißen Kittel gehen in sich, kommen dann wieder raus und setzen das durch“. Es hat mehr mit Erklären, Zuhören, Nachjustieren und mit Dialog zu tun. Der STEP ist ein gutes Beispiel: Früher war das ein buntbemalter Plan, in dem man nachschauen konnte, was wo passiert. Heute ist das viel prozessorientierter. 2005 haben wir die Prozesse in den Zielgebieten gestartet, mit dort direkt ansprechbaren verantwortlichen Personen. Die methodische Antwort kann man sich anschauen an Beispielen wie Liesing, wo wir in einem intensiven Prozess mit allen Fachbereichen und Bürgern die von Gabu Heindl geforderte städtische Zwischenebene strategisch befüllen. Seiß: Methodische Innovationen versetzen mich noch nicht in Euphorie. Neue Instrumente wurden vor zehn, 15 Jahren schon bejubelt, grundsätzlich verändert hat sich aber nichts. Auch den STEP 2025 sehe ich als nicht viel mehr als eine atmosphärische Absichtserklärung. Er ist ein sehr weiches Planungsinstrument, für dessen Umsetzung ich die konkreten Maßnahmen nicht ausreichend erkennen kann. Können Sie ein Beispiel dafür nennen? Seiß: Eines der ältesten Wiener Zielgebiete ist das Erdberger Mais. Wenn ich da heute durchgehe, bemerke ich nichts von einer besonderen Planung, es würde dort ohne Planung wahrscheinlich nicht viel anders aussehen. Wobei: Pläne selbst „versagen“ nicht. Es liegt an den Akteuren, die damit seriös umgehen oder eben nicht. Instru-

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S t a d t p l a n u n g    mente, die sich in der Umsetzung durch die Akteure als nicht praktikabel erwiesen haben, durch neue zu ersetzen, bringt mitunter nicht viel, wenn die Akteure dieselben sind. Es gibt kaum mehr Flächen für leistbaren Wohnbau – das stimmt. Aber da sind nicht Architektur oder Stadtplanung gefragt, sondern Bodenpolitik. Architektur und Stadtplanung können viele Probleme der Stadtentwicklung nur vermeintlich lösen, da deren Ursachen ganz woanders liegen – etwa im Rechtlichen oder Steuerlichen. Es ist komplett wurscht, wie ein Einkaufszentrum im Gewerbegebiet aussieht. Es steht am falschen Ort, und dieses Problem löst kein Architekt. Da braucht es einfach ein Gesetz, das Einzelhandel im Gewerbegebiet verbietet. Dazu braucht es keine Kreativität und keine Ästhetik. Beim Einzelhandel hat man sich in der Seestadt Aspern mit einem dezentralen Konzept vorgewagt. Lässt sich das Experiment Aspern heute schon beurteilen? Tillner: Aspern ist wirklich sehr positiv. Das erste Mal, dass es eine gemeinsame Planung aller Ergeschoßzonen gibt und eine Überlegung, wer wo welche Nutzungen in welchen Erdgeschoßen bekommt. Und das funktioniert auch! Madreiter: Beurteilen kann man die Seestadt Aspern in zehn bis 15 Jahren, ich hoffe, es wird dann funktionieren, auch was das Einzelhandelsmanagement betrifft. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir bald eine Bestimmung bekommen, die das Flächenlimit für Handel in Gewerbegebieten herabsetzt. Trotzdem: Das größte Problem für die Entwicklung des Handels droht aktuell vom Internethandel: Die Handelslandschaft wird sich gravierend umbrechen – eine Studie von Prof. Schnedlitz von der WU hat das Kaufverhalten untersucht mit dem Ergebnis: Die Leute wollen zwar das kleine Geschäft, aber gehen selbst schnurstracks ins

Zur Person Silja Tillner führt als Architektin und Stadtplanerin nach Berufserfahrung in Los Angeles heute ein gemeinsames Büro mit Alfred Willinger in Wien. Zu ihren Projekten zählen die „Skyline Spittelau“, der Urban-Loritz-Platz und die Revitalisierung der Gürtelbögen. Zurzeit entstehen zwischen dem fünften und dem sechsten Bezirk die von ihrem Büro entworfenen Wientalterrassen

„Der schwammige Begriff des öffentlichen Mehrwerts bei Hochhäusern muss präzisiert werden“

„Stadtplanung hat heute vor allem mit Erklären, Zuhören und Dialog zu tun“

Zur Person Thomas Madreiter ist seit Jänner 2013 Planungsdirektor der Stadt Wien. Der studierte Raumplaner ist seit 1995 beim Magistrat tätig, von 2005 bis 2013 leitete er die Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung

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nächste Einkaufszentrum, an fünf kleinen Geschäften vorbei. Was die Zielvorstellungen betrifft, haben wir bald Konsens. Aber die Nachfrage und das Konsumverhalten laufen dem entgegen. Als Raumplaner habe ich vor allem folgende Forderung an die Architektur und deren Ausbildung: Wir müssen rasch die Fehler der Moderne überwinden mit ihrer Trennung der Funktionen. Ob wir das „Stadthaus“, „hybrides Gebäude“ oder „Gründerzeithaus des 21.Jahrhunderts“ nennen, ist mir wurscht. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu erzählen, was und warum das nicht geht – etwa, dass es einem Bewohner nicht zumutbar wäre, fremde Menschen im Stiegenhaus anzutreffen. So ein Blödsinn! In einem Gründerzeithaus sehe ich natürlich Menschen, die ich nicht kenne, wenn dort eine Arztpraxis drin ist. Da werden Menschenrechte kultiviert, die keine sind. Ich habe schon erlebt, dass mir als junger Planer in einer Jury von versammelten Architektenschaft und Investor erklärt wurde, dass ein gemeinsames Stiegenhaus von Wohnen und Büros überhaupt nicht ginge. Da sind wir gefordert, strukturell innovativ zu sein. So gut das in Aspern funktioniert – die Erdgeschoße sind erst der Anfang. Tillner: Das stimmt, aber das fordern auch alle Architekten! Jeder will nutzungsgemischte Gebäude. Es scheitert an den Investoren, die die Finanzierung nicht bekommen, und daher werden vertikal durchmischte Häuser (abgesehen von den Erdgeschoßen) von den Auftraggebern zumeist abgelehnt, da man ein Haus mit verschiedenen Nutzungen übereinander nicht teilen und schwer weiterverkaufen kann. Heindl: Architekten täte mehr Planercourage gut. Monofunktionale Strukturen machen keinen Sinn. Aber sie müssen unterstützt werden von der Politik, was die Bauordnung oder das Eigentumsrecht betrifft. Wenn ich Häuser nur nach ihrer Verwertbarkeit beurteile, haben wir ein Problem.

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Wenn es ein reines Investitionsobjekt ist, sind wir auf dem falschen Trip, müssen zurück zum Start und uns fragen: Wie viel Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit ist mit dem Eigentum verbunden? Auch das ist keine architektonische Frage, aber eine, die wir uns als Planer stellen müssen. Seiß: Es ist eine Frage der politischen Verantwortung: Investoren werden in einer wirtschaftlich attraktiven Stadt wie Wien gleich viel investieren, wenn man ihre Bautätigkeit lenkt und kanalisiert. Sie wollen Geschäfte machen – und sind dabei so anpassungsfähig wie Insekten. Nur die Heuschrecken würden weiterziehen. Wien ist ja nicht das Ruhrgebiet, hier muss man sich dem Investor nicht selbst preisgeben. Trotzdem lässt die Politik hier seit Jahrzehnten die notwendige Courage vermissen. Ich kenne kaum eine deutschsprachige Stadt, in der die Politik so souverän agieren könnte, aber doch so willfährig ist. Dass man dem Intercont-Investor Michael Tojner geradezu dankbar ist für sein Engagement, entbehrt jeder Realität. Es gäbe 15 Investoren, die die Stadt an diesem Standort für weniger Entgegenkommen beglücken würden. Aber da ist die Planung in Österreich nur eines von vielen Politikfeldern, auf denen wir im westeuropäischen Vergleich eine beschämende Rolle spielen. Madreiter: Man hat sich in Zeiten des schrumpfenden Wien Verhaltensweisen gegenüber Investorenprojekten angeeignet. Wenn man jetzt auf Augenhöhe mit einem Investor verhandelt, ist das auch ein Kulturwandel. Da braucht es auch die entsprechenden Leute dazu. An Projekten wie dem Intercont-Neubau beim Eislaufverein haben sich heftige Debatten über den Umgang mit Investoren und der Frage nach dem Mehrwert für die Öffentlichkeit entzündet. Christian Kühn, Sie haben sich auch gegen das Projekt geäußert. Was genau ist Ihre Kritik? Kühn: Man muss dem Investor zugutehalten, dass er die Voraussetzungen für ein gutes Projekt an diesem Ort geschaffen hat, indem er beide Teile des Areals – also Intercont und Eislaufverein – in eine Hand gebracht hat. Dass Wien sich an diesem extrem hochwertigen Standort einen Eislaufplatz leistet, ist ja an sich etwas verrückt, aber es hat seine Logik: Der kulturelle Raum des Konzerthauses, der quasi sportliche Erholungsraum des Eislaufvereins, wo im Sommer früher die Freistilringer aktiv waren, und dann der Erholungsraum des Stadtparks. Wenn man das akzeptiert, muss man das Projekt um diese Nutzung herum konzipieren. Das ist mein erster Kritikpunkt: Beim jetzigen Projekt hat man das Gefühl, dass da zufällig noch ein paar Leute eislaufen, der Eislaufplatz steht quer und ist zum Teil in den öffentlichen Raum hinausgedrängt. Städtebaulich kritisiere ich weniger das große Volumen als die vertikale Geste, die an diesem Ort unangemessen ist. Hier gibt es keine Gelenksituation wie etwa beim Ringturm. Und schließlich richtet sich meine Kritik gegen die miserable architektonische Qualität des Projekts. Es gibt ja Alternativen zu dem sehr primitiven Typus von Hochhaus, der jetzt geplant ist. In der Diskussion um das Projekt wurde auch immer wieder die Gefährdung des Unesco-Weltkulturerbes Wiener InnenFortsetzung nächste Seite

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stadt angeführt. Wie real ist diese Gefahr? Madreiter: Was die Wiener Innenstadt auszeichnet, ist, dass sie über Jahrhunderte hinweg qualitativ wertvolle Veränderungen durchgemacht hat. Klar kann man diskutieren, ob das Intercont eine qualitative Verbesserung darstellt oder nicht. Aber die per se von der ICOMOS getroffene Interpretation, dass diese Qualität nur durch ein „Kein Zentimeter mehr!“ erhalten werden kann, wird von vielen Fachleuten nicht geteilt. Das gilt es in den nächsten Monaten zu diskutieren. Das ist auch ein gesellschaftspolitischer Prozess, der uns bevorsteht. Kühn: Wien hat sich dazu entschlossen, das Stadtzentrum als Weltkulturerbe zu deklarieren. Ich hätte die Gemeindebauten des Roten Wien für eine bessere Wahl gehalten, aber man muss mit dieser Entscheidung leben, die wesentlich damit begründet wurde, dass sich die Innere Stadt von der Gotik über das Barock bis zur frühen Moderne auf höchstem Niveau weiterentwickelt hat. Das Weltkulturerbe soll diese Entwicklung nicht stoppen, aber das Niveau muss passen. Ich lasse mich gerne als CanalettoBlick-Bewahrer denunzieren, aber wenn ich am Belvedere stehe und auf dieses Hochhaus blicke, ist das die Beschädigung einer Stadtansicht, die für Wien eine bedeutende Rolle spielt. Es gibt in der Stadt durchaus Architekten, die sagen, das ist ein anständiges Projekt, aber ich habe noch keinen getroffen, der sagen würde: Das ist eine Bereicherung der Stadtsilhouette. Es kann dort durchaus ein Projekt geben, es kann auch ein großes Projekt sein, aber eben keine vertikale Geste und von einer Qualität, die dem Welterbestatus entspricht. Hat der Canaletto-Blick für Wien heute überhaupt noch eine Bedeutung? Kühn: Es ist ein Name für eine bestimmte Situation in der Stadt. Klar, es ist vieles passiert, über das man nicht froh sein kann, aber das ist kein Argument, etwas noch Schlimmeres zu realisieren. Heindl: Die Frage ist auch: Braucht Wien, oder wer braucht in Wien, ein Luxuswohnhaus? Wenn Diversität bedeutet, dass man nun auch um jeden Preis Luxuswohnungen baut, dann ist das absurd. Es wird so argumentiert, als bräuchten Luxuswohnungen so etwas wie Minderheitenschutz. Dabei geht es hier um Gentrifizierung auf hohem Niveau auf Basis eines rhetorisch induzierten Wertverlusts. Das heißt, eine Gegend so lange schlechtzureden und zu vernachlässigen, um sie dann – wie selbst im Masterplan Glacis schon benannt – als „Stadtreparaturfläche“ auszuweisen, die dann in wei-

Zur Person Christian Kühn studierte Architektur in Wien, schreibt als Kritiker seit 1992 für Die Presse sowie für Fachjournale. Er ist Professor für Gebäudelehre an der TU Wien und seit 2008 Studiendekan der Studienrichtung Architektur an der TU Wien. 2014 fungierte er als Kommissär des Österreich-Pavillons auf der Architekturbiennale Venedig

„Das Hochrüsten der öffentlichen Kommunikation kann man schon als Propaganda bezeichnen“

terer Folge der Investor „rettend“ saniert. Das ist ein Muster. Seiß: In Wien-Mitte ist exakt dasselbe passiert! Heindl: Genau. Und dieses Muster ist dasselbe wie bei der Gentrifizierung: Wenn der Unterschied zwischen dem, worin ich investiere, und dem, was dabei herauskommt, möglich groß sein soll, muss ich im großen Stil zuerst schauen, dass ich die Fläche möglichst im Wert runterbringe und eine gute Verhandlungsmasse habe – dann genügt ein kleines bisschen öffentlicher Mehrwert schon, um die Stadt zu bewegen, große Ausnahmen zuzulassen. Das finde ich ein Problem. Da sollte sich die Stadt sehr genau überlegen, ob sie dem zustimmt, weil solche Verwertungschancen genau von denen, die mit Stadtwachstum viel Geschäft machen wollen, sehr schnell entdeckt werden. Eine Wegeverbindung durch den Eislaufverein und eine Verbesserung des Eislaufvereins lässt sich sicher auch ohne das große Investment umsetzten. Es ist eigent-

lich oft ein Armutszeugnis für eine so reiche Stadt wie Wien, mit wie wenig öffentlichem Mehrwert sie sich oft offiziell zufriedengibt. Wenn ich jetzt schon zum zweiten Mal höre, dass ein Stück des Donaukanalufers von einem Investor überbaut werden soll, weil er im Gegenzug verspricht, vier WCs öffentlich zugänglich zu machen, dann muss ich sagen: ein paar WCs gegen eine zentral gelegene grüne Wiese am Wasser, von denen es kaum mehr welche gibt, da sollte man sich überlegen, ob das so ein guter Tausch ist und ob gewisse Infrastruktur nicht von der Stadt geleistet werden kann. Seiß: Wenn Fachleute beim Intercont argumentieren, das Projekt stehe städtebaulich gut da, ist das doch kein stadtplanerisches Vokabular! Natürlich gibt es schöne und schiache Bauten, aber das ist eine andere Ebene. Hierzulande begründen Fachjurys städtebauliche Entscheidungen mit Argumenten wie „das Gebäude stellt eine Landmark dar“, „tritt in Spannung zu“ oder „nimmt den Dialog auf mit“. Da wird einem übel! Und dann meint der aus Deutschland hinzugezogene Juror Wilfried Kuehn auch noch, enge städtebauliche Vorgaben mittels Masterplan wären passé und nur Freiheit für die Architektur ermögliche die Entwicklung eines spezifischen Städtebaus. Damit zäumen wir das Pferd doch von hinten auf! Demnach könnte guter Städtebau nur über ganz tolle Architektur entstehen. Wer aber definiert gute Architektur in städtebaulicher Hinsicht? Wo in Wien steht das großmaßstäbige Gebäude der letzten 30 Jahre, das eine Aufwertung für sein gesamtes Umfeld geschaffen hat? Und wie frei sind Architekten im Auftrag eines Immobilientycoons? Ich war neulich in Hamburg, und es ist unglaublich, wie zurückhaltend und trotzdem modern und progressiv dort im historischen Kontext Architektur implantiert wird. Das ist eine andere Kultur. Madreiter: Ich werde nicht versuchen, diese gesamte Philippika zu widerlegen, und versuchen, alle vom Intercont zu überzeugen. So sehr ich Reinhard Seiß’ sachliche Kritik schätze, in einem Punkt gebe ich ihm fundamental nicht recht: Dass es woanders immer viel besser sein soll als hier. Insbesondere, was Architektur betrifft, halte ich das, drastisch formuliert, für einen aufgelegten Blödsinn. Was das Intercont betrifft, zwei Dinge: Zum einen kann sich eine Stadtplanung den Liegenschaftseigentümer nicht aussuchen. Ein intelligenter Investor kann sich Handlungsspielräume freischaufeln, das kann die Stadtplanung freuen oder nicht. Aber klar formuliert braucht es zur prosperierenden Stadt auch dynamische

Investorenprojekte und Hochhauspläne, „Monsterbauten“ und Weltkulturerbe: die debattierte Projekte, die die Wiener Öffentlichkeit in den letzten Jahren erhitzt haben. Die heftigsten Wortgefechte finden zweifellos beim Wiener Eislaufverein statt, wo die Hochhauspläne zur Erweiterung des Intercont-Hotels von Bürgern wie Fachleuten bekämpft werden. Problematisch schon der Anfang: Der dem Innenministerium unterstehende Wiener Stadterweiterungsfonds verkaufte das Grundstück 2008 um 4,2 Millionen Euro, obwohl Anbote von bis zu neun Millionen Euro vorgelegen hatten, wie der Rechnungshof kritisierte. 2012 wurden die Neubaupläne der Wertinvest für ::  Es sind wenige, aber umso heftiger

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das gealterte Sixties-Hotel konkret. Dafür startete die Stadt eines der ersten kooperativen Verfahren, eine Art Workshop aus Planern, Fachleuten und Magistrat. Was damals auf die Konsens-Schiene gesetzt wurde, entgleiste spätestens beim darauf folgenden Architekturwettbewerb. Zwar waren darin Umbau oder Neubau freigestellt, doch als mit dem Entwurf des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld ein schlichtes Hochhaus gekürt wurde, befeuerte dies die Kritik. Unesco-Weltkulturerbe in Gefahr, Hochhaus im sensiblen Glacis-Bereich, eine „banale Kiste“ noch dazu! Vom Widmungsgewinn des Investors Mi-

chael Tojner ganz zu schweigen. Die Architektenschaft ist mehrheitlich dagegen, der Wiener Eislaufverein distanzierte sich vom Projekt. Zurzeit wird zwischen Stadt, Wert­ invest und Unesco verhandelt – ergebnisoffen, wie es heißt. Kontrovers und vertikal geht es auch an der Reichsbrücke zu: Dort plant die Soravia Group ein 150-Meter-Hochhaus mit rund 500 Wohnungen. Als die Pläne 2012 bekannt wurden, formierte sich die Initiative Kaisermühlen; nicht nur wegen der gefährdeten Aussicht aus dem Harry-Seidler-Tower, vor allem stieß den Kritikern die Tatsache auf, dass keiner der vielen Master-

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S t a d t p l a n u n g    Entwickler. Es hat umfangreichste städtebauliche Verfahren gegeben, deren Ergebnisse ich natürlich nicht gut finden muss. Ich kann, wie Christian Kühn, die seiner Ansicht nach schlechte Qualität des Ergebnisses kritisieren. Aber so zu tun, als ob die Stadt einem Investor das zugeworfen hätte, was er haben möchte, ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Wo steht das Intercont-Projekt heute? Ist es auf dem Weg zur Realisierung? Madreiter: Die Stadt macht es sich nicht leicht. Bevor wir nach Bauordnung den ersten Planentwurf machen, werden alle städtischen Fachstellen befragt. Es ist also keineswegs alles gegessen. Wenn wir das aber zu Papier bringen, bringen wir damit zum Ausdruck, dass wir es grundsätzlich für realisierungsfähig halten. Auch die formale Einbindung der Bevölkerung in diesem Prozess beginnt erst noch. Selbstverständlich wird hier ein städtebaulicher Vertrag abzuschließen sein, dessen Inhalte kann man aber auch erst kritisieren, wenn er vorliegt. Das 2014 beschlossene Wiener Hochhauskonzept versucht, den Mehrwert, den ein Hochhaus für die Allgemeinheit liefern muss, zu benennen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung? Kühn: Das Problem des Hochhauskonzepts ist, dass in seiner Prämisse steht, es muss der Mehrwert für die Stadt stimmen, damit das Projekt genehmigt werden kann. Dabei fehlt der Nebensatz: Es muss ein Mehrwert sein, „der anders nicht hergestellt werden kann“. Es ist ja sehr leicht darzustellen, dass ich ein paar Toiletten oder eine Eishalle hinstellen kann, da findet sich immer irgendein „Mehrwert“, aber man muss überlegen, ob man dasselbe nicht auch anders erreichen kann. Wo es nicht anders geht, kann man mit dem Investor richtig umgehen und etwas entwickeln, ansonsten ist es eine Sache von Planungsmehrwertpolitik. Dieser Mehrwert gehört routinemäßig abgeschöpft, damit nicht in jedem einzelnen Fall erneut eine Verhandlung ausbricht um die Frage: Was ist ein Mehrwert für die Stadt? Seiß: Was ich als Teil unserer städtebaulichen und architektonischen Krise sehe, ist der chronische Missbrauch unserer Sprache samt einer Flut schwammiger Worthülsen. Allein was heute alles als „urban“ verkauft wird! Es kann nicht sein, dass jemand einen nicht quantifizierbaren „sozialen Mehrwert“ für sein Projekt reklamiert und dafür doppelt so hoch bauen darf wie alle anderen. Das ist keine koschere Lösung. Zur Begriff-

Zur Person Gabu Heindl studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien, in Tokio und in Princeton. Zu ihren Werken zählen die Umbauten des Künstlerhauses und des Filmmuseums, des BRG in Wiener Neustadt und die programmatischen Leitlinien für den Donaukanal. Seit 2009 ist sie Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA)

„Es ist ein Armutszeugnis, mit wie wenig Mehrwert sich eine reiche Stadt wie Wien zufriedengibt“

lichkeit des Mehrwerts: Silja Tillner hat vor 15 Jahren eine hervorragende Studie über die Hochhausstrategien in anderen Städten vorgelegt. In New York und Chicago ist das ganz klar: Jeder Quadratmeter Nutzfläche mehr, als im Zoning Plan vorgesehen, kostet so und so viele Dollar an Abgaben an die Öffentlichkeit. Das ist keine Frage von Stadtgestaltung. Das ist eine Frage der Fairness! Jeder Grundeigentümer hat dieselben Rechte, und wenn jemand höher baut, hat er das der Stadt oder auch den Anrainern abzugelten. Das geht nur über Quadratmeter und Geld, da gibt’s keine anderen Parameter. Erst dann kann man über Stadtgestaltung reden. Tillner: Konkret: Das Hochhauskonzept finde ich einen Schritt in die richtige Richtung. Was mir abgeht, und das habe ich auch in der Echogruppe gesagt, ist genau das, was Reinhard Seiß angesprochen hat: Eine Präzisierung des schwammigen Begriffs Mehrwert. Es wird angeführt: gemischte Nutzung, höhere Geschoßhöhen, Schaffung so-

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zialer Infrastruktur, Schaffung von Grünräumen etc. Ich kenne aber weltweit kein Beispiel, das diese Maßnahmen nicht genau quantifiziert. Basel etwa hat ein Hochhauskonzept, und die Beamten dort haben mir bestätigt, dass sie es in den Verhandlungen schwer hätten, wenn nicht ganz genaue Regeln für die Umrechnung von gegenüber der Widmung mehr erzielbaren Quadratmetern in Schweizer Franken existierten. Investoren gehen ja mit mehr Mannschaft, mehr Vorbereitung und mehr Kapital in solche Gespräche. Eine Konkretisierung ist ja immer noch möglich, man kann ja auf Basis des Hochhauskonzeptes noch in die Tiefe gehen. Ich finde die Mischnutzung eine Forderung, die man unbedingt erheben sollte, es sollten nur noch gemischt genutzte Hochhäuser entstehen! Man könnte das, Herr Madreiter, auch hier noch einfordern. Es gibt in San Francisco und London die Regel, dass man einen gewissen Prozentsatz an Sozialwohnungen in einem Hochhaus bereitstellt. Ich glaube nicht, dass sich das Projekt sonst nicht rechnen würde. Diese Forderungen weiterzudenken, fände ich spannender, als immer wieder dieses eine Projekt zu kritisieren, denn das hat nun mal einen geordneten Prozess durchlaufen. Ich denke eher konstruktiv: Man sollte davon lernen, um es in Zukunft besser zu machen, Das heißt, Modelle mit konkreten finanziellen Mehrwertabgaben wie in Basel oder München wären anzustreben? Tillner: Es heißt immer, das ginge in Österreich gesetzlich nicht. Salzburg und Innsbruck haben trotzdem konkretere Regelungen für Abgaben. Dem müsste einmal ein Jurist genau nachgehen. Madreiter: Es ist eine Haltung, die manchem sympathisch sein mag: Der Stadtplaner als Robin Hood, der den Reichen nimmt und den Armen gibt. Aber wenn man sich die Rechtssituation in Wien ansieht, für die wir lange gekämpft haben, haben wir erstmals die Möglichkeit, städtebauliche Verträge zu schließen, nicht im Sinne einer Abschöpfung von Mehrwerten, sondern in Form von Verträgen mit einem Investor, der uns unterstützt, die Voraussetzungen für ein Projekt zu schaffen. Das mag einem gefallen oder nicht, ist aber die Rechtsbasis. Seiß: Noch einmal zum internationalen Vergleich. Wir haben in Wien keine saubere Trennung. In anderen Städten wäre es ausgeschlossen, dass Mitglieder eines städtischen Beratungsgremiums mit der Stadt Fortsetzung nächste Seite

be: die Stadtentwicklungs-Kontroversen der letzten Jahre pläne für die Donauplatte hier je ein Hochhaus vorgesehen hatte. Ende 2014 wurde die Flächenwidmungsplan-Änderung öffentlich, eine Stellungnahme der Architektenkammer ließ kaum ein gutes Haar daran. Kritisiert wird weniger der Hochhausstandort an sich als die Intransparenz und der Planwertgewinn des Investors. Die Aufzonung wird zurzeit geprüft. Ein bisschen beruhigt haben sich die Gemüter in Sachen Steinhof: Hier gibt es eine lange Historie des Streits. Schon 1981 gab es Planungen für ein riesiges Wohngebiet hinter dem Otto-Wagner-Spital, diese wurden nach Bürgerprotesten ad acta ge-

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legt. Seit 2006 besteht hier eine Schutzzone. 2008 beschloss der Gemeinderat den Verkauf des Ostteils an die Gesiba, die dort die Errichtung von bis zu 620 Wohnungen plante. Auch hier protestierten Anrainer und Fachleute gegen die Bebauung. Der 2013 fertiggestellte, wuchtige Bau der Rehaklinik VAMED wurde von allen als äußerst unglücklich angesehen. 2012 begann ein Mediationsverfahren mit Beteiligung der Bürgerinitiative, eine Expertenkommission ließ Alternativen untersuchen, als Kompromiss werden nun nur 160 Wohnungen errichtet – keine „Luxuswohnungen“, wie betont wird. Der Kaufvertrag wur-

de 2014 zurückgenommen, das Areal bleibt im Besitz der Stadt. Anders als im Prater: Dort wurde, wie der Falter berichtete, ein Areal neben der Rennbahn Krieau 2011 (noch vor RotGrün) trotz Warnungen von Rathausbeamten zum äußerst günstigen Preis von 60 Millionen Euro an die private IC Projektentwicklung verkauft, der bereits (über eine Zweitfirma) 2004 ein Vorkaufsrecht gestattet worden war. Hier werden in den nächsten Jahren Wohnbauten entstehen. Die Frage, ob städtische Grundstücke verkauft werden sollen, ist bis heute immer wieder zwischen Rot und Grün umstritten. MN

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wirtschaftlich verflochten sind. In Wien ist das die Regel. Wir haben die Tradition, dass der Autor eines städtebaulichen Masterplans von vornherein auch als bauender Architekt im Planungsgebiet feststeht. Man sollte das entflechten. Und was die „guten Begründungen“ betrifft: Herr Madreiter, nennen Sie mir ein Projekt, das groß und schlecht geworden ist, für das es aber nicht dennoch gute Argumente gab. Wir haben schon so haarsträubende Begründungen für Bauten gehört, dass bei mir die Alarmglocken läuten, wenn ich im Hochhauskonzept lese: Ein Hochhaus muss gut argumentierbar sein. Madreiter: Herr Seiß, Sie werden sich davon verabschieden müssen, dass Hochhäuser naturwissenschaftlich begründbar sind! Man braucht sie per se nicht, man muss sie wollen. Das neue Hochhauskonzept liefert einen sehr präzisen diskursiven Ansatz, um dieses Wollen auch im Sinne der Allgemeinheit zu abzuklopfen. Aber auf ein schlechtes Ergebnis auf Basis eines transparenten Prozess kann ich auch verzichten. Wo ich aber zu mehr Klarheit im Denken auffordere, ist bei der Frage: Bin ich diskursiv oder normativ verfasst. Ich orte bei ganz vielen Kritikern eine sehr starke normative Verfasstheit, im Sinne von: „Wenn die Stadt es den Bauwerbern nur präzise genug anschafft“ – geschenkt! Aber der, der es anschafft, muss sich auch seine Meinung auf Basis eines Verfahrens gebildet haben. Ich verlagere also das Problem von einer Ebene auf die andere. Natürlich muss ein Projekt gut begründet sei. Aber wir wissen, dass jede noch so gute Begründung eines Hochhauses am Ende falsifizierbar sein wird. Seiß: Man muss aber auch sagen, dass jedes Instrument immer abhängt davon, wo ich es anwende. In Amsterdam, in Basel, in Wien oder in Bukarest. Die Planungskultur ist von der Kultiviertheit der Akteure abhängig. Wenn ich mit Schweizer Planern diskutiere, merke ich immer wieder deren Verwunderung darüber, wie politisiert bei uns die Planung ist. In der Schweiz nehmen Politiker fachliche Argumente um vieles ernster. In Österreich dagegen gibt es eine traditionelle Sachlichkeitsferne politischer Entscheidungen. Madreiter: Auch die Vergleiche mit der Schweiz in Ehren: Die beiden Systeme sind dermaßen unterschiedlich, dass sie sich schwer vergleichen lassen. Pointiert gefragt: Was war nochmal die 2-MillionenStadt in der Schweiz? Gabu Heindl, Sie haben die frische Erfahrung gemacht, dass die von Ihnen entwickelten Leitlinien zum Donaukanal kaum beschlossen und schon gefährdet sind durch kommerzielle Interessen. Ist das ein Einzelfall, oder ist in Wien ein mangelnder Respekt vor Planung zu beklagen? Heindl: Für mich ist es jetzt ein Einzelfall, aber ich fürchte, es ist ein Muster. Ich glaube, wir sollten über die Qualität des Plans als Kommunikationsmittel sprechen. Wenn wir Dinge aufzeichnen, bringt es eine Klarheit auf den Tisch, die debattierbar ist. Wie das Leitbild am Donaukanal: Da ging es uns darum, unter anderem einen Nichtbebauungsplan zu zeichnen. Alle haben dadurch gesehen, wie wenig Platz dort eigentlich ist. Madreiter: Ich finde wir haben da ein ausgezeichnetes Instrument bei der Hand. Was den mangelnden Respekt für Planung betrifft: Wenn man es anders will, muss man in autoritäre Staaten gehen, da liegt der

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„Herr Seiß, Sie werden sich davon verabschieden müssen, dass Hochhäuser naturwissenschaftlich begründbar sind!“ Thomas Madreiter

Plan auf dem Tisch und alle nicken ihn ab. In demokratischen Ländern ist das anders. Ich muss mir die Akzeptanz erkämpfen. Dass Pläne diskutierbar sind, daran wird man sich gewöhnen müssen. Heindl: Wir haben beim intensiven Prozess möglichst alle im Zielgebiet Donaukanal beteiligten Leute im Magistrat eingebunden, es gibt also schon ein Bekenntnis zum Plan. Bei der umstrittenen Wiese neben dem Otto-Wagner-Pavillon wird man aber jetzt sehen: Was ist die Planung der Politik wert – immerhin hat sie ja auch etwas bezahlt dafür. Aber vor allem: Was ist der öffentliche Raum der Stadt wert? Es geht ja inzwischen – nicht nur am Donaukanal – schon um jede noch freie Wiese im innerstädtischen Bereich.

Madreiter: Gabu Heindl hat in allem recht,

was sie gesagt hat! (Alle lachen.) Natürlich muss ich das austarieren. Ich bin mindestens zweimal die Woche am Donaukanal laufen, ich kenne das aus eigener Anschauung. Aber ich kenne auch den Beginn der Geschichte: Vor 15, 16 Jahren wurde Klaus Steiner zum Donaukanal-Koordinator ernannt, mit der Aufgabe, irgendwas aus dieser toten Gegend zu machen, weil dort überhaupt nichts los war. Heute leben 250.000 Leute mehr in der Stadt, es geht nicht darum, den Donaukanal zu befüllen, sondern er pulsiert, und das müssen wir in sinnvolle Bahnen lenken. Dass es jetzt eines feinfühligen Justierens bedarf, ist klar. Was ich kritisch sehe, sind zum Beispiel die Durchgangsbreiten.

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Wenn in Wien in der Öffentlichkeit über Planung geredet wird, spielen Bürgerinitiativen heute eine große Rolle – mit Berechtigung, aber oft auch sehr aggressiv. Wie geht man als Planer damit um? Ist die Diskussionskultur in der Stadtentwicklung verbesserungswürdig? Tillner: Bürgerinitiativen leisten einen wichtigen Beitrag, weil sie ihre Nachbarschaft sehr gut kennen. Ich bin prinzipiell der Einbeziehung von Bürgerinnen gegenüber sehr positiv eingestellt. In einer frühen Phase geht das auch sehr gut. Je später Bürgerinnen dazustoßen und je konkreter Projekte sind, desto kontroversieller wird es. Wenn die Bürger erst von einem Projekt erfahren, wenn die Flächenwidmung schon vorliegt, sind die Fronten schon verhärtet. Deshalb

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mein Vorschlag eines aktiven Einbeziehens von Anfang an. Ich habe in Los Angeles mit den Bürgerinnen den Plan erarbeitet, einen Freeway in einen Boulevard umzuwandeln, und die Bürger haben das dann vom Bürgermeister gefordert. Ein Teil davon wurde sogar umgesetzt, was ohne die politische Macht der Bürger nie möglich gewesen wäre. Hätte man das geplant und ihnen dann präsentiert, wären sie vermutlich dagegen gewesen – schon aus Prinzip! Ich könnte mir für Wien themenbezogene Workshops vorstellen, auch um die Leute weiterzubilden, denn die Diskussionen laufen hier immer sehr projektlastig ab, etwa. wenn in Transdanubien in gut erschlossener Lage nur Bauklasse 1 gewidmet wird, und Bürgerinnen sich trotzdem gegen ein

Argumente in WerkstattAtmosphäre: Fragen nach der Stadtentwicklung im Stadtlabor

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angebliches „Monsterprojekt“ wehren ... Madreiter: Da sind wir zu Gelassenheit aufgefordert. Wir müssen professionalisieren, rechtzeitig informieren, den Leuten erklären, warum wir wann was machen wollen. Man muss sich als Planer fragen: Wenn ich dort wohnen würde, welche Art von Information zu welchem Zeitpunkt würde ich als angemessen empfinden? Dass Bürger in der Vergangenheit ihre Interessen artikulierten und das oft Partikularinteressen sind, ist ja völlig normal. Wenn ich mir in den 90erJahren ein Haus in Liesing gekauft habe und dann will mir jemand den Blick auf den Anninger verstellen, weil es für die Gesamtstadt notwendig ist, würde ich auch sagen: Fortsetzung nächste Seite

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Bitte nicht vor meinem Haus! Da braucht es einfach einen zivilisierten Umgang und eine Verwaltung, die im Sinne der Gesamtinteressen der Stadt agiert. Etwas anderes ist es, wenn strategische Weichenstellungen für Gebiete getroffen werden. Da gehören Bürger in den Entwicklungsprozess einbezogen. In Liesing ist das sehr gut gelungen. Ich kenne keinen Fall, wo sich das nicht bewährt hätte. Solche Verfahren sind allerdings sehr ressourcenfressend, für die Bürger und für die Verwaltung. Wir können das also nicht bei jedem Projekt mit voller Kraft fahren. Aber wir müssen immer rechtzeitig informieren. Seiß: Wichtig ist eine langfristige verbindliche Vorausplanung, also ein Zustand, den man den Leuten für zehn, 15 Jahre versprechen kann. Planungssicherheit wird immer mit Investoren verbunden, aber nie mit Häuslbauern, Wohnungskäufern und Bürgern. Madreiter: Wenn man in drei Jahren den Herrn Tojner befragt, wie es um die Planungssicherheit der Stadt Wien bestellt ist, könnte die Antwort lauten, dass er sich die Position eines Kleingärtners wünschen würde! Auch ein Investor hat nicht immer Planungssicherheit. Seiß: Ganz wichtig, was die Information der Bevölkerung betrifft, ist die Entflechtung von Information und PR. Wien hat eine jahrzehntelange Tradition der Rathaus-Propaganda. Die Medien werden zugeschwemmt damit. Madreiter: Aber sicher nicht von der Planungswerkstatt der Stadt Wien! Kühn: Das Hochrüsten der öffentlichen Kommunikation kann man, wenn man alle Medien der Stadt gesammelt betrachtet, schon als Propaganda betrachten. Es ist auch eine Reaktion auf die Medienlandschaft in Österreich und speziell in dieser Stadt, die extrem dominiert ist von zwei Medien aus demselben Haus, nämlich der Kronen Zeitung und Heute, über die Bürgerbeteiligung sehr gut angefacht werden kann. Wenn ich mir das Otto-Wagner-Spital anschaue, wäre diese Bürgerinitiative vermutlich unhörbar, wenn es die Kronen Zeitung nicht gäbe. Wenn diese Art von Bürgerbeteiligung dazu führen kann, dass ein Politiker nicht gewählt wird, ist das ein enormer politischer Hebel. Ich glaube, dass das nur einen kleinen Sektor der Bürgerbeteiligungen betrifft, woanders läuft das ganz unspektakulär, und Liesing ist ein tolles Beispiel. Es werden aber die spektakulären Themen herausgenommen und damit

Politik gemacht. Auch beim Intercont, aber unter umgekehrten Vorzeichen: Während beim Otto-Wagner-Spital schon das Abreißen einer Mauer aus dem 19. Jahrhundert auf die Titelseite kommt, wird das Eislaufverein-Projekt in den Himmel gelobt, und das auch aus personellen Verflechtungen der Akteure. Da müsste medienpolitisch etwas passieren. Gabu Heindl hat gefordert, die Leute kompetenter zu machen. Das kann eigentlich nur über vernünftige Medien funktionieren, in denen Debatten dargestellt werden, in denen man Argumente kennenlernen und sich für die eine oder andere Seite entscheiden kann. Und eben nicht ausschließlich aus reiner Emotion, so wie es im Boulevard gespielt wird. Tillner: Es gab vor langer Zeit einmal die Titelseite einer Tageszeitung mit städtebaulichen Diagrammen von Roland Rainer. Das würde sich heute niemand trauen! Heute wird alles fotorealistisch visualisiert, den Leuten wird überhaupt nichts zugetraut. In der Schweiz muss über alle größeren Projekte basisdemokratisch abgestimmt und die Bürger sehr professionell informiert werden – mit Broschüren, die aussehen wie eine Architekturzeitschrift! Ich würde mir hier auch eine solche Weiterbildung wünschen, und zwar schon ab der Volksschule. Ist Stadtplanung also so abstrakt, dass sie dem Laien nur mit Bildern von Architektur nahegebracht werden kann? Tillner: Ja. Wenn man ein paar Stangen aufstellen würde, die anzeigen, wie hoch ein angeblicher „Monsterbau“ wirklich ist, wäre das Meinungsbild sicher ganz anders. Heindl: Der Theoretiker Klaus Selle hat den schönen Begriff „Partizitainment“ geprägt. Wenn Partizipation nur Beschäftigungstherapie oder Entertainment ist, gibt es irgendwann einen Überdruss. Man sollte Partizipation sorgsam und sparsamer einsetzen. Beim Donaukanal war unsere Haltung: Wir planen einen Raum, in dem im besten Fall zwei Millionen Wünsche möglich sind. Dazu muss ich nicht jeden einzeln fragen, sondern Freiraum dafür sichern. Wien ist geprägt von Gründerzeit, Ringstraße, Weltkulturerbe, und die großen „Aufregerdebatten“ kreisen um den historischen Bereich. Währenddessen findet das Wiener Wachstum mit seinen großen Veränderungen vor allem am Stadtrand statt. Wie schafft man es, ein Bild von amorphen

„Für Straßenbau ist Enteignung in diesem Land möglich, warum nicht auch im Wohnbau?“ Gabu Heindl

unscharfen Gebieten wie Transdanubien und Liesing zu entwickeln? Welche Identität sollen diese Stadtteile haben? Madreiter: In meinem Büro sind ein aktuelles Luftbild und ein großes Luftbild von 1938 gegenübergestellt. Das Erschütternde daran ist: Im Weichbild der Stadt war die Zersiedelung schon damals komplett angelegt. Diese Siedlungen waren wie Kristallisationskerne. Insofern eine sehr berechtigte Frage: Wie lösen wir hier das Weiterbauen von Stadt im Jahr 2015? Das ist vor allem ein sozialer Prozess, erst in zweiter Linie ein gestalterischer. Die Kernfrage ist: Wie organisiere ich den Prozess des Weiterbauens so, dass er für die Leute, die dort irgendwann hingezogen sind, akzeptabel ist, aber trotzdem in Richtung einer notwendigen Kompaktheit führt. In meinen Augen wird der Dreh- und Angelpunkt hier der öffentliche Raum sein. Wenn es uns gelingt, dort auch großzügige Gesten zu setzen, sind wir auf der richtigen Bahn. Wir haben etwa in der Stadtentwicklungskommission beschlossen, nördlich der Seestadt eine „Hirschstettner Allee“ zu entwickeln. Eine Art Praterhauptallee als zusammenhaltendes Element. Zweites Beispiel: Man könnte langmächtig über die Seestadt und ihre Satellitenhaftigkeit diskutieren. Ob das stadtstrukturell funktionieren wird, hängt aber ganz stark davon ab, inwieweit es uns gelingen wird, das Gebiet mit dem Umfeld zu verweben, und zwar nicht bloß im Autoverkehr, sondern für Fußgänger und Radfahrer. Das ist auch ein Diskurs, den wir in der Stadt führen. Es gibt durchaus Siedlungen mit sehr geringer Dichte, die nicht geeignet sind, nachverdichtet zu werden. Aber in Summe werden wir mit der Dichte raufgehen müssen. Kühn: Ich glaube auch, dass es auf die Qualität des öffentlichen Raumes ankommen wird, aber auch, dass Verdichtung nicht ohne Masse funktionieren wird. Es wird dort etwas hinkommen müssen. In diesem Kontext finde ich das Hochhauskonzept nicht uninteressant, das in der transdanubischen Ausdehnung den Vorschlag macht, Punkthochhäuser zu verteilen – nicht weil man das lustig findet, sondern weil die Alternative wäre, die bestehenden Gemeindebauten der 60er-Jahre nach dem Muster des 19. Jahrhunderts nachzuverdichten. Das wäre ein Fehler, denn das sind spezifische städtische Räume, die man pflegen und in ihrer Eigenart entwickeln muss. Die Verdichtung kann eher in der Vertikalen passieren.

Glossar Planer-Speak: Wenn Stadtplaner reden, klingt das für Laien oft juristisch tro Basler Modell  Auch Mehrwertabgabe ge-

nannt, existiert seit 1979 und regelt einen „angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen entstehen“. Das heißt: Wird ein Grundstück im Bebauungsplan aufgezont, zahlt der Investor jeden möglichen Quadratmeter Geschoßfläche in harten Schweizer Franken. Das Geld wird vor allem für öffentliche Grünanlagen verwendet. Bodenbeschaffungsgesetz  Dieses Gesetz stammt aus der Kreisky-Zeit und wird seitdem regelmäßig wiederentdeckt – zuletzt in Wien als Mittel gegen Bodenspekulation. Das Gesetz ermöglicht ein Vorkaufsrecht der Stadt auf Grundstücke

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und sieht in „Notfällen“ auch eine Enteignung vor. Flächenwidmungs- und Bebauungsplan  Tra-

ditionell die wichtigsten und vor allem rechtsverbindlichen Planungsinstrumente von Städten und Gemeinden. Vereinfacht gesagt: Im Flächenwidmungsplan wird vor allem die Widmung (also zulässige Nutzung) von Grundstücken festgeschrieben, im Bebauungsplan das zulässige Bauvolumen. Hochhauskonzept  Im Dezember 2014 be-

schloss der Wiener Gemeinderat das „Fachkonzept Hochhäuser“, eine Aktualisierung der – recht vage formulierten – Hochhaus-

richtlinien aus dem Jahr 2002, deren Vorgänger wiederum aus den Jahren 1971 und 1992 stammten. Ab jetzt gilt: Hochhäuser dürfen nur errichtet werden, wenn ein nachweisbarer Mehrwert für die Öffentlichkeit entsteht. Welcher Mehrwert das ist, ist Verhandlungssache. Festgeschrieben ist aber, dass und wie die Bevölkerung frühzeitig von Hochhausplänen informiert werden muss. Rechtsverbindlich ist das Hochhauskonzept nicht. Kooperatives Verfahren  Die kooperativen Verfahren sind ein noch junges Planungsinstrument. Sie sollen anstelle von (oder zusätzlich zu) Architekturwettbewerben alle Beteiligten gemeinsam an einen Tisch

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Tillner: Die Seestadt ist ein gutes Beispiel.

Dort entsteht ein Zentrum, es gibt ein Nachbarschaftsmanagement, Theatergruppen, Chorgruppen. Das kann nicht überleben, wenn sich nur die Seestädter alleine beteiligen, da werden die Anrainer mit einbezogen werden. Es wäre spannend, diese Verbindungen und Vernetzungen zu schaffen, damit diese Siedlungen nicht einzelne Satelliten bleiben. Der öffentliche Raum ist ein großes Zukunftsthema in Transdanubien. Man fragt sich ja, wie diese für Fußgänger unwirtlichen Straßenräume entstehen konnten, auf denen man nur Auto fahren kann. Wien wächst nicht nur auf der grünen Wiese, auch bestehende Gebiete geraten in den Fokus für eine Nachverdichtung, zum Beispiel bei Gemeindebauten der Nachkriegszeit. Wie groß ist hier das Potenzial? Madreiter: Wir werden nicht gedankenlos die Gemeindebauten aus den 50er-Jahren „auffüllen“, sondern gemeinsam mit den Bewohnern schauen, wie man das optimieren kann. Die Frage ist, wie ich Monostrukturen aufbrechen kann, was ich ergänzen kann. Das muss man sich im Einzelfall an-

Die Planerinnen Gabu Heindl und Silja Tillner betonen die Wichtigkeit des öffentlichen Freiraums in einer sich füllenden Stadt

schauen. Ich verweise auf das erfolgreiche Modell der sanften Stadterneuerung. Seiß: Ohne die Gründerzeit seligsprechen zu wollen, aber: Durch deren einheitliches städtebauliches Konzept ist unabhängig von der momentanen Verfügbarkeit einzelner Grundstücke ein robuster Stadtkörper, eine stimmige Stadtstruktur entstanden, woran immer wieder weitergebaut werden konnte. Heute wird aus jedem Grundstück, das man bekommen kann, das jeweils Optimale oder Maximale herausgeholt. Das ist aber nicht unbedingt das Beste für die Gesamtstruktur. Man schafft so nur Inseln, insbesondere in den Stadterweiterungsgebieten. Stichwort Bodenpolitik: Die Grundstücke werden knapp und die Bodenpreise steigen, was leistbaren Wohnraum schwieriger macht. Es gibt dazu Vorschläge wie die Anwendung des Bodenbeschaffungsgesetzes aus der Kreisky-Zeit, was das Grundeigentum angeht. Wäre das ein sinnvolles Instrumentarium? Heindl: Ja, es ist darin auch die Maßnahme der möglichen Enteignung eingeschrieben, man traut es sich in diesem Land nur nicht zu sagen. Für Straßenbau ist es aber hierzulande immer wieder möglich, warum

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für Wohnbau nicht? Das muss man politisch thematisieren. Eine Enteignung wird ja auch entschädigt Tillner: Es müsste nicht einmal Enteignung sein, man kann auch mit befristeten Pachtverträgen operieren. Es heißt oft, die ehemaligen Gärtner sind die neuen Millionäre – die Frage ist, wie man das reguliert. Madreiter: Man schaue sich die höchstgerichtlichen Urteile an: Von juristischer Seite ist in Österreich eben ein besonderer Schutz privater Eigentümerinteressen gegeben, was den Grundstücksbesitz betrifft. Heindl: Es ist ein Problem, dass Grundbesitz am Land etwas ganz anderes bedeutet als in der Stadt. Madreiter: Wenn sich in einer Kleingemeinde der Bürgermeister mit dem Liegenschaftseigentümer etwas ausmacht, läuft das zuweilen nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Wenn ich in einer Zweimillionenstadt städtebauliche Verträge strukturiert einsetze, muss ich davon ausgehen, dass das von Höchstgerichten geprüft werden wird. Das muss dann standhalten. Wir müssen rechtssicher agieren. Seiß: Dann ist Wien als eines der mächtigsFortsetzung nächste Seite

ch trocken. Daher ein kleines Lexikon des Streitgespräch-Vokabulars von B bis Z bringen, wenn Planungsgebiete entwickelt werden sollen. Beispiele sind das IntercontProjekt beim Eislaufverein oder Stadtentwicklungsgebiete wie die Muthgasse. Masterplan Glacis  Auch er wurde im De-

zember 2014 vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Er vereinigt diverse neue und alte Überlegungen zu den Flächen um Ringstraße und Zweierlinie: von kleinen „Restflächen“ über die Nachnutzung der Rossauerkaserne, Überlegungen zum Jonasreindl bis hin zu möglichen Standorten für Hochhäuser. Welche davon umgesetzt werden könnten, wird in den drei abgestuften und bildhaft benannten Szenarien adagio, vivace und pressante benannt.

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SoBoN oder Münchner Modell   Seit 1994

gibt es im Hochpreisreservat München die sogenannte „Sozialgerechte Bodennutzung“ (SoBoN), die dem Basler Modell ähnelt: Wer von Planung profitiert, muss sich an den Kosten beteiligen. Dies gilt seit 20 Jahren für alle Bebauungspläne der Stadt. Seit 1994 wurden so durch Abgaben von Investoren insgesamt rund 550 Millionen Euro lukriert – das meiste davon wurde für neue öffentliche Freiflächen verwendet. STEP   Der Stadtentwicklungsplan beinhal-

tet alle langfristigen Planungen der Stadt Wien, er wird im Abstand von etwa zehn Jahren aktualisiert. Der aktuelle Plan – der

STEP 2025 – wurde im Juni 2014 beschlossen. Er umfasst Ziele für die Siedlungsentwicklung und Grünräume genauso wie für Verkehr, Mobilität, Wirtschaft und den Wissensstandort Wien. Der STEP ist rechtlich nicht verbindlich – er hat „vorwiegend strategischen Charakter“. Er kann gratis heruntergeladen werden. Zoning Law for New York  Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Von wegen! Das Zoning Law in New York ist eine der strengsten Bebauungsregeln überhaupt. Dank dieses Gesetzes müssen Hochhäuser seit 1916 (!) nach einer exakten Formel nach oben hin abgestuft werden. MN

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Fortsetzung von Seite 39

ten Bundesländer aufgerufen, beim Bund Druck zu machen, die rechtliche Basis zu schaffen. Und es soll hier auch nicht in Vergessenheit geraten, dass die Stadt Wien ihre strategischen Stadterweiterungsflächen, die als Kleingärten genutzt waren, seit 1992 privatisiert, filetiert und für immer jeder vernünftigen Stadtentwicklung entzogen hat. Einerseits wird auf der grünen Wiese in hohem Maß verdichtet, andererseits werden Einfamilienhaussiedlungen mit U-Bahn-Anschluss gefördert! Heindl: Da kann ich nur zustimmen. Man könnte sagen: Es gab eine Zeit, in der Wien weniger gewachsen ist, jetzt ist es aber dringend an der Zeit, gewisse Dinge, etwa solche Privatisierungen, zu stoppen und planerisch zu reversieren oder nachzujustieren. Madreiter: Aber ich verweise auch darauf: Wir haben es geschafft, in den letzten 15 Jahren die 250.000 Einwohner plus so unterzubringen, dass laut Befragung der Uni Wien die Lebensqualität laut Selbsteinschätzung der Wiener gestiegen ist. Tillner: Was in Wien wirklich einzigartig ist, ist die Qualität des geförderten sozialen Wohnbaus mit leistbaren Mieten. Das gibt es auf der ganzen Welt sonst nirgends. Das hat sehr viel Positives beigetragen Heindl: Und ich hoffe, dass Wien das beibehält! Tillner: Aber auch in der Innovationskraft, wie sie immer existiert hat. Im Moment geraten Qualität und Innovation aufgrund des Wachstums unter Druck. Man muss trotz Kostendrucks die Latte hochhalten. Blicken wir zum Schluss in die Zukunft; Wir haben 2050, Wien hat über zwei Millionen Einwohner. Wie sieht Ihr Wunsch-Wien im Jahr 2050 aus, und was muss passieren, damit es Wirklichkeit wird? Heindl: Wien kann, wie auch keine andere Stadt, sich nicht um das Thema der Migrationsgesellschaft drücken, und generell um die Frage, inwiefern Europas Städte Flüchtlingen die Chance bieten, ein neues Leben zu starten. Dafür braucht es auch ein Bewusstsein, dass man durch ein balanciertes Angebot an nichtkonsumorientierten

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Räumen alle Lebensstile möglich macht, und zwar so zentral wie dezentral. Das wird die große Herausforderung sein. Auch ich plädiere für die Weiterführung des sozialen Wohnbaus, aber in Form eines sozialen Stadtbaus. Das Rote Wien hat etwas vorexerziert, in Zukunft wird es darum gehen, nachzujustieren und zu verdichten, deshalb plädiere ich für Funktionsmischung. Und der öffentliche Raum wird am wichtigsten sein, weil dort die gesellschaftlichen Probleme ausverhandelt werden. Dafür muss genügend Raum vorhanden sein. Madreiter: Meine Vision für Wien 2050 ist eine über die Grenzen blickende soziale Vision. Ich bin selbstbewusst überzeugt, dass wir die architektonischen und städtebaulichen Aufgaben sehr gut bewältigen. Was für mich aber das Entscheidende ist: Wir leben in einer globalisierten, vernetzten Welt, in der die Schere der Chancen stark auseinandergeht. Globale Megaprobleme wie etwa der Klimawandel sind am Ende immer soziale Fragen, denen sich auch Wien nicht verschließen kann. Wenn an einem Wochenende 1000 Menschen im Mittelmeer ertrinken und wir mehr oder weniger mit den Achseln zucken, hat das in einer globalisierten und vor allem urbanisierten Welt eventuell auch mit der Organisationsfähigkeit von Stadt zu tun. Meine Vision: dass Wien bis dahin tatsächlich weiterhin eine Modellstadt für sozial sensible Ressourcenschonung ist und dass wir Lösungen, wie wir sie in der Smart City entwickeln, intensiv und erfolgreich als internationalen Wiener Beitrag zur Lösung dieses Problems anbieten. So sehr wir – da stimme ich Gabu Heindl zu – offen sein müssen für Zuwanderer und Schutzsuchende, ist es notwendig, auf eine globale Balance hinzuarbeiten, die Menschen gar nicht in die Notwendigkeit bringt, flüchten zu müssen. Kühn: Ganz egoistisch hoffe ich 2050 auf eine sehr gute Altenbetreuung! Die Utopie von Gabu Heindl gefällt mir sehr gut, aber ich habe den Eindruck, dass die globalen Rahmenbedingungen, was Wirtschaft und Politik betrifft, in den nächsten 20 Jahren von einer Stadt eine große Widerstandsfä-

Ausblicke in die Zukunft: Wie soll die Zweimillionenstadt Wien 2050 aussehen?

„Die Qualität des sozialen Wohnbaus in Wien gibt es auf der ganzen Welt sonst nirgends“ Silja Tillner

higkeit verlangen. Das muss nicht heißen, dass sich die Stadt zum Negativen verändert, aber es braucht weniger Naivität und ein Bekenntnis zur Veränderung. Wien hat sich in den letzten Jahren schon in diese Richtung entwickelt, aber wenn man das Jahr 2050 als optimistischer Wiener erleben möchte, müsste die Bereitschaft zur Veränderung noch radikaler werden. Seiß: Ich kann mich dem nur anschließen. Die soziale und ökologische Nachhaltigkeit sind die Herausforderung für Wien. An globalen Verhältnissen kann die Stadt kaum etwas ändern, im Bereich der Pflichtschulen beispielsweise aber könnte Wien alles ändern. Da diagnostiziere ich, ganz unstadtplanerisch, ein jahrzehntelanges bildungsund integrationspolitisches Versagen. In der Stadtentwicklung hat Wien es geschafft, dass es trotz hoher Zuwanderung keine dramatische Segregation gibt. Bei Volks- und Hauptschulen dagegen steuert Wien sehenden Auges genau darauf zu. Ökologisch gesehen, hoffe auch ich, dass Wien 2050 eine vom Auto unabhängige Stadt sein wird. Das wird aber nicht von alleine passieren, weil auch heute noch in den Stadtentwicklungsgebieten autofixierte Strukturen festzementiert werden. Diese Art von Stadterweiterung müsste man sofort stoppen. Überreden wir den Bund, die Mittel für den Lobautunnel für eine Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs in der gesamten Stadtregion zu verwenden! Tillner: Die Stadt wächst, das stellt eine Herausforderung dar. Wenn ich attraktive Freiräume biete, wird die Nachverdichtung wesentlich verträglicher, nur dass ich im dichtverbauten Gebiet diese Freiräume nicht so einfach erzeugen kann, ohne den bestehenden Straßenraum umzubauen. Daher mein Plädoyer, dass wir viele Straßen, unter der Annahme, dass es 2050 viel weniger Autos geben wird, zurückgewinnen. Entlang der Verkehrsachsen wurde in den 50er- und 60er-Jahren viel Platz verschwendet, da gibt es noch Flächenreserven. Auch die Architektur muss sich weiterentwickeln, die Häuser müssen auch selbst integrierte Naherholungsräume bieten. F

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F端nf exemplarische Hausbesuche. In Alt-Erlaa, der Seestadt Aspern, im Gemeindebau, im Einfamilienhaus und in der Innenstadt

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„U-Bahn und Autobahn vor der Tür, Schönbrunn wenige Minuten entfernt. Die Nachbarn sind rücksichtsvoll, die Hausverwaltung ist bemüht“

Fo t o s : Christian Wind

„Eine Kretzn gibt’s immer“ Martin Weindl wohnt in Alt-Erlaa. Er kann sich keinen besseren Ort vorstellen. Außer einer anderen Wohnung in Alt-Erlaa

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er Süden von Wien sollte es sein – so viel wusste Martin Weindl. Alt-Erlaa ist ihm dann quasi passiert. Eines Morgens meldete sich die Wohnbaugenossenschaft Gesiba bei Weindl, 42, und bot ihm eine Wohnung an: 90 Quadratmeter, 26. Stock, in der 10.000 Einwohner starken Wohnpark-Welt. Der werdende Vater zögerte nicht, fuhr nach Liesing und betrat Block B4 der riesigen, über 3000 Wohnungen umfassenden Siedlung. Eine Liftfahrt später war es dann um ihn geschehen: „Als ich auf den Balkon raus bin, wusste ich: Die Wohnung muss ich haben“, erinnert sich Weindl, der als Betriebsleiter in einer Firma in der Laxenburger Straße arbeitet. Das war vor eineinhalb Jahren. Seither kann Weindl täglich beobachten, wie Wien erwacht und wieder müde wird. An klaren Tagen sieht er bis zum Stephansdom. Wenn er im Winter Semmeln holt, schlüpft er bloß in das erstbeste Paar Flipflops – er

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B a l k o n be s u c h : Ha n n a h Schifko

Alt-Erlaa Die Wohnanlage im Süden Wiens, geplant von Architekt Harry Glück, wurde von 1973 bis 1985 errichtet. Lange Zeit als „monströs“ angefeindet, wird sie von den Bewohnern dank des Angebots an Grünraum, Swimmingpools und Gemeinschaftsräumen bis heute geschätzt

geht dann durch die Tiefgarage in den siedlungseigenen „Kaufpark“, der die Bewohner Alt-Erlaas mit allem Notwendigen versorgt. Zum Schwimmen steigt er aufs Dach – dort findet sich einer der sieben Außenpools des Parks. Dazwischen gibt es Bastelclubs, eine Rundturnhalle, Schulen, Indoor-Spielplätze, Saunen und Arztpraxen. Als der Stahlbetongigant in Erlaa vor 30 Jahren bezogen wurde, war schnell klar, dass er wegweisend für den Wohnbau sein würde. Die Funktionalität einer Hochhaussiedlung verband sich hier mit den Qualitäten einer ländlichen Kleinstadt. Ästheten kritisieren die Architektur des Bauherrn Harry Glück – einer Studie zufolge wohnen in den mit Terrassen ausgestatteten Türmen jedoch die zufriedensten ­Menschen Wiens. „Weil hier alles passt“, sagt Weindl im hellen, aber noch etwas leeren Wohn-EssBereich seiner Wohnung. Sohn Elias ist erst

14 Monate alt – da bleibt kaum Zeit zum Einrichten. Klug geplant seien die Wohnungen, sagt der Vater. Mit Lüftung, offener Küche, beidseitigen Fensterfronten. 20 Zentimeter dicke Wände sorgen für Ruhe. „Eine Kretzn gibt es aber immer“, meint er. Seiner Frau mache hie und da der Wind zu schaffen, der nächtens um die Fenster heult. Und manchmal sauge der Müllschlucker nicht richtig ab. Aber das seien Kleinigkeiten. Für Weindl gibt es in Wien nämlich in puncto Infrastruktur kaum etwas Besseres. Vor allem als Familie. U-Bahn und Autobahn vor der Tür; Tierpark Schönbrunn wenige U-Bahn-Minuten entfernt. Die Nachbarn sind rücksichtsvoll und die Verwaltung stetig bemüht, das Leben der Anrainer zu verbessern. Martin Weindl kann sich keine idealere Wohnung vorstellen. Außer vielleicht eine in Block A; dann hätte er freie Sicht auf die Stadt. F

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„Wenn das Wetter schön ist, bleiben die Fenster offen, da kann ich gleich mit vorbeigehenden Nachbarinnen schwatzen“

Beim zehnten Anlauf Sofija Hindler genießt die Ruhe im Gemeindebau in der Malfattigasse. Hier fühlt sich die geborene Serbin endlich zu Hause

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m liebsten, sagt sie, putze sie zunächst die ganze Wohnung, schalte alle Lampen aus, zünde eine Kerze an, nehme sich eine Zigarette und setze sich mit ihre drei Hunden auf die Couch. ­Sofija Hindler, 47, sagt, sie genieße die Ruhe. Jahrelang sei es in ihrer Wohnung drunter und drüber gegangen, „manchmal spielten meine drei Söhne in der Wohnung Fußball mit einem Flummi, und das Fenster benutzten sie als Tor“. Zwei ihre drei Söhne leben nun in eigenen Wohnungen, Sofija und ihr Mann haben somit mehr Platz für sich – das erste eigene Zimmer in 18 Jahren Ehe. Hindler sitzt in ihrem Wohnzimmer, an den Wänden hängen das „Letzte Abendmahl“ und über dem Elektrokamin ein Flatscreen. Um die Beine der zwei Couchtische sind Bänder mit Strasssteinchen gewickelt, auf dem Esstisch steht ein Lilienarrangement.

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Visite: nina brnada

Meidling Das Zentrum des Arbeiterbezirks im Südwesten, bekannt durch das „Meidlinger L“, hat sich in den letzten Jahren weniger verändert als andere. Neue Viertel wie das Kabelwerk Meidling künden schon von der Stadtentwicklung

Die Vorliebe für Schnörkel sei ihr von ihrem alten Beruf geblieben, sagt sie. Die gebürtige Serbin ist gelernte Kristallschleiferin, hier in Österreich aber verdingte sie sich meist als Putzfrau. Im Jahr 1992 war ­Hindler nach Österreich gekommen. Ihr Stiefvater arbeitete beim jugoslawischen Zoll, er habe ihr geraten, so schnell wie möglich fortzugehen, in ihrem Land herrschte bereits Krieg. Hindlers erste Wiener Wohnung hatte WC am Gang. Das sei beklemmend gewesen, sagt sie, „ich konnte es nicht ertragen, dass alle Nachbarn wissen, wann ich aufs Klo gehe.“ In den ersten 13 Jahren in Österreich lebte sie in neun verschiedenen Wohnungen: in der Leopoldstadt, in Margareten, in Rudolfsheim-Fünfhaus. Mal wollten die Vermieter doch keine Ausländer, dann kam das erste, das zweite Kind. Seit zehn Jahren bewohnt sie nun die aktuelle Wohnung, 80 Quadratmeter, drei

Zimmer. Vom Hof des Meidlinger Gemeindebaus in der Malfattigasse dringt der Duft frisch gemähten Grases in Hindlers Parterrewohnung. Wenn das Wetter schön ist, bleiben die Fenster offen, da könne man auch gleich mit vorbeigehenden Nachbarinnen ein wenig schwatzen. Mit deren Hilfe habe sie auch schwierigere Zeiten überwunden, sagt sie. „Sie kamen zum Kaffeetrinken und redeten mir gut zu.“ Zum Beispiel, als sie an einem Nervenleiden erkrankt sei. „Ich rannte gegen Türrahmen und ließ Gläser neben dem Tisch fallen, die ich eigentlich auf der Tischplatte abstellen wollte.“ Ihren Job als Putzfrau auf der Onkologie im Wilhelminenspital musste sie aufgeben. Die Ärzte schickten sie mit 35 in die Invaliditätspension. Dass sie so jung schon in Pension musste, war ihr peinlich. „Ich sagte meinen Kindern, sie sollten sagen, dass ich Hausfrau bin, falls wer fragt, was ihre Mutter beruflich macht.“ F

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„Es ist mir wichtig, Hannah Arendts Satz ,Niemand hat das Recht zu gehorchen‘ vor der Schule zu lesen“

Fotos: Ch r i s t i a n Wind

Die Stadt der Widerstände Pionier in der Seestadt Aspern zu sein bedeutet für Kurt Hofstetter eine andere Art des Wohnens. Eine engagiertere

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tadtplaner Kurt Hofstetter, 52, wollte ursprünglich nicht in die Seestadt ziehen. Seine Lebensgefährtin und er wohnten im fünften Bezirk in einer schönen Altbauwohnung. Sie wünschten sich ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn. Das war allerdings kaum möglich, weil die Bewohner ständig wechselten. Im Jahr 2003 begann Hofstetter für die Planung der Seestadt zu arbeiten und setzte sich unter anderem dafür ein, dass Baugruppen gegründet werden. Das bedeutet, dass sich Menschen zusammenschließen und ein Haus nach ihren Vorstellungen entwickeln. Bei einem Vortrag lernte er eine der Architektinnen kennen und war begeistert von ihren Ideen: Die betrafen nicht nur die Energieeffizienz der Häuser, sondern auch den Aufbau einer guten Nachbarschaft. Hofstetter und seine Lebensgefährtin entschlossen sich, in die Donaustadt zu ziehen. Sie wa-

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E x pe d i t i o n : stefanie pa n z e n b ö c k

Seestadt Aspern Die 240 Hektar große Stadtneugründung ist das größte Entwicklungsgebiet Wiens. Rund 20.000 Menschen sollen einmal auf dem Areal des ehemaligen Flugfelds wohnen (siehe Seite 51)

ren unter den ersten der 6000 Einwohner, die die Seestadt momentan zählt. „Der Wunsch nach angenehmer Nachbarschaft hat sich absolut erfüllt“, erzählt Hofstetter. „Alle kennen sich, weil wir drei Jahre gemeinsam das Haus geplant haben. Vor allem sieht man sich auf der Dachterrasse, weil jeder dort ein eigenes Beet hat und am Abend zum Gießen kommt.“ Die Wohnung konnte jeder selbst ­gestalten: Es war in jedem einzelnen Fall möglich zu entscheiden, wie groß sie sein, wo die Fenster eingebaut, wie die Räume aufgeteilt werden sollten. Hofstetters 106-Quadratmeter-Wohnung ist hell und großzügig angelegt. Küchenzeile, Essbereich und Wohnzimmer befinden sich in einem Raum, können aber durch eine Schiebetür vom Wohnzimmer abgetrennt werden. Die Wände sind zum Teil bunt gestrichen, ein langer Balkon schlängelt sich an der Front entlang.

Die Seestadt sei nicht das Schlafzimmer Wiens, darauf legt Hofstetter großen Wert. Hier soll viel mehr eine eigene kleine Stadt entstehen, in der man lebt, arbeitet, einkauft, ausgeht. „Es ziehen hier in erster Linie Leute her, die etwas unbequem sind, die selbst gestalten wollen“, sagt Hofstetter. Eben wird ein erster Kulturverein gegründet und nach und nach eröffnen Geschäfte und Lokale. Fast alle Straßen in der Seestadt tragen Namen berühmter Frauen. Janis Joplin wurde ebenso verewigt wie die Kaffeehauslegende Leopoldine Hawelka, die Sozialdemokratin Maria Tusch und die Gründern des ersten Wiener Yoga-Instituts, Susanne Schmida. Der Philosophin Hannah Arendt ist ein Park vor der Schule gewidmet. Auf den Bänken wird sie mit „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ zitiert. „Es war mir wichtig“, sagt Hofstetter, „dass dieser Satz vor der Schule zu lesen ist.“ F

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„Auf dem Land war das soziale Netzwerk stärker, aber hier habe ich sieben Bäcker, den Billa, meinen Bridge-Klub und die U-Bahn“

Zimmer, Küche, Kinderzeichnung An der Innenstadt schätzt Margarete Oppitz die Infrastruktur und die kurzen Wege. Hier hat sie alles in Reichweite

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ltweiberwohnung“. So nennt Margarete Opitz, 89, ihr 3-Zimmer-Domizil. Die 80 Quadratmeter große Wohnung ist voller Erinnerungsstücke. An den Wänden kleine und große Familienfotos, Kinderzeichnungen, ein Setzkasten; auf dem Esstisch ein Osterstrauch über einer Tischdecke mit Blumenmuster. In einer aus dunklem Holz gefertigten Wohnwand glänzen Pokale, daneben stehen Bücher und Kristallgläser. Der Boden ist mit Spannteppich ausgelegt, die Wände sind beige tapeziert. „Irgendwann können sie einen Container aufstellen und alles wegschmeißen“, sagt die Dame und lacht. Mit „sie“ meint Opitz ihre fünf Kinder und den dazugehörigen Nachwuchs. Ihre Familie ist groß – auf mehrere Bundesländer verteilt. Doch noch immer ist ihre bescheidene Wohnung im siebten Stock eines schmucklosen 1960er-Jahre-Baus im ersten Bezirk Anziehungspunkt der ge-

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a u f war t u n g : ha n n ah s c hi f k o

Innere Stadt Der Erste Wiener Gemeindebezirk steht im Spannungsfeld zwischen Tourismus, Eventkultur, UNESCOWeltkulturerbe und dem Drang zu Luxuslagen wie dem „Goldenen Quartier“. Fast vergessen wird dabei, dass hier auch noch gewohnt wird

samten Verwandtschaft. Selbst Besuch aus Innsbruck oder Graz übernachtet hier. Denn Opitz wohnt nicht irgendwo. Täglich blickt sie durch ihre Schallschutzfenster auf einen von Fast-Food-Hütten, Bäckereien und Bänken gesäumten Verkehrsknotenpunkt: den Wiener Schwedenplatz. Als sie mit Mann und Kindern von Oberösterreich in das nach dem Krieg wiedererrichtete Haus übersiedelte, waren dort, wo heute Gleise sind, hauptsächlich Parkplätze. Polizisten statt Ampeln regelten den Verkehr, Pappeln säumten den Kanal und keine überdimensionierte Reklame am Dach des News-Towers tauchte die kleine Küche der Familie in grellrotes Licht. Die meisten Nachbarn von damals leben heute nicht mehr. Aber die Zeiten ändern sich nicht unbedingt nur zum Schlechteren, findet die Pensionistin. „Der erste Bezirk ist viel belebter als früher“, sagt Opitz. Und die Stimmung

im Stiegenhaus fast freundlicher als zur Zeit ihren Einzugs. „An das goldene Wiener Herz habe ich mich gewöhnt“, sagt sie. An ihre Fernsicht sowieso. Niemals würde Opitz ihren Ausblick gegen eine graue Wand tauschen wollen. Und auch nicht gegen das niederösterreichische Maria Lanzendorf, wohin sie einst mit ihrer Familie vorübergehend zog, als die Eigentumswohnung mit fünf Kindern aus allen Nähten zu platzen drohte. „Dort war das ländliche Netzwerk zwar stärker“, erinnert sich Opitz, „aber hier habe ich sieben Bäcker, den Billa, meinen Bridge-Klub und die UBahn in der Nähe.“ Die Infrastruktur macht sie unabhängig. Ob die sich vor ihrer Nase auftürmenden Hochhäuser am anderen Donaukanalufer nicht störten? „Gar nicht“, sagt Margarete Opitz. Den Blick auf den Kahlenberg, den könne ihr auch ein noch so hoher Bau nicht nehmen. F

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„Hier ist es nicht so wie im 18., wo du schief angeschaut wirst, wenn du nicht mit dem Porsche vorfährst. Hier ist es noch sozial“

Foto: C h r isti a n W in d

Im hohen Norden Wiens Kaum wo in Wien ist es so grün und hügelig wie um Jon Prix’ Einfamilienhaus in Hernals. Trotzdem zieht er demnächst weg

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it dem Äußeren bin ich nicht sehr zufrieden. Aber wir wohnen ja drinnen“, sagt der Architekt Jon Prix, 45, über sein Einfamilienhaus am Heuberg im 17. Bezirk, während er sonntagabends ein Steak aus der Gefriertruhe holt. Mit seiner aktuellen Lebensgefährtin und deren Kindern wohnt er im Haus seines Onkels am nordwestlichen Rand der Stadt. Man sagt „Ion“, nicht „Tschonn“. Jon Prix ist gebürtiger Norweger, geboren ganz oben, am Polarkreis, als Enkel von Walfängern und Schafzüchtern. Seinem Haus sieht man das an. Ein Walknochen hängt an der Wand, norwegische DVDs stehen im Regal und im Eck eine kleine mobile Küchenzeile, die er fürs Campen in der Wildnis erfunden hat. Kaum wo in Wien ist es so ruhig, so grün und so hügelig wie hier am Heuberg, sagt Prix. Mit einer Zigarette im Mund steht er auf der Terrasse vor seinem wildwuchern-

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polarfahrt: LUKAS MATZINGER

Hernals Baulich und demo­ grafisch ist der 17. Bezirk praktisch Wien im Kleinformat: Hier finden sich Gürtel, Gemeindebauten, graue Vorstadt, prachtvolle Arbeiter­ bäder, der Sportklub und grüne Luxuslagen an den Hängen des Wienerwalds

den Garten und hört die Amseln singen. Er ist gerade erst heimgekommen, nachdem er das Wochenende bei seinem Sohn in Krems verbracht hat. Jon Prix mag die Gegend hier. „Hier ist es nicht so wie im 18., wo du schief anschaut wirst, wenn du nicht mit dem Porsche vorfährst. Hier ist es noch sozial“, sagt er. Zwischen 3000-Euro-Mietshäusern stehen hier auch Gemeindebauten. Dahinter wird Wein gepflanzt, 500 Meter weiter beginnt Niederösterreich. Vor fast fünf Jahren ist Jon nach einer gescheiterten Beziehung auf den Heuberg gezogen und hat als Erstes die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer durchgebrochen. Jetzt kann er beim Kochen auf den offenen Wohnraum, den Flachbildfernseher, ins große Arbeitszimmer und durch die Terrassentüren bis zur grünen Grundstücksgrenze sehen. Sonst liegen hier Teppiche aus einem marokkanischen Bergdorf neben

einem schrulligen orangen Ikea-Sessel und einem teuren Designerregal. Prix kann zu jedem Teil seiner Einrichtung eine kleine Geschichte erzählen. In die Stadt braucht er von hier aus 40 Minuten. Mit der Straßenbahnlinie 43 kommt er langsam und mit nur einmal Umsteigen in sein Architekturbüro beim Naschmarkt. Sonst hilft der 300-PS-BMW in der Garage. Seiner Freundin ist die Lage aber zu abseitig. Im Juni wird Prix wieder in die Stadt ziehen – ihr zuliebe. Die Schule der Kinder ist dann viel näher und ein Billa nur drei Häuser weiter. Wenn ihm das Leben später zu urban werden sollte, kann er immer noch raus ins niederösterreichische Gaweinstal – dort lebt sein Vater in einer alten Mühle. „Ich schätze zweimal im Monat, vielleicht dreimal“ wird er dorthin fahren, um der Stadt zu entkommen. Der nächste Norwegen-Urlaub ist auch schon geplant. F

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Die ultimative Übersicht über alle Hotspots der Stadtentwicklung. Wo Wien demnächst ganz anders wird

ächst

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Stadtplanung

Wien 2.0 Wien, Zweimillionenstadt. Diese Karte liefert Ihnen den großen Überblick über die Hotspots der Stadtentwicklung. Hier entstehen neue Projekte, mit denen die Stadtplanung auf Wiens rasantes und unvermutetes Wachstum reagiert. Jedes dieser Projekte wird auf den folgenden Seiten im Detail vorgestellt und erläutert

Otto-Wagner-Spital S. 52

XIX.

XVIII.

Auhof S. 53

XVII.

IX

XVI.

Texte:

Mariahilfer Straße S. 59

H a n n a h S c hi f k o , E l is a b e th P o st l , M a ik N o v o t n y

VIII.

XIV.

VII.

V Meidlinger Hauptstraße S. 58

XV.

V.

Emil-Behring-Weg S. 58 XIII. XII.

XXIII.

Atzgersdorf S. 56

G r a f ik : Oliver Hofmann

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In den Wiesen S. 56

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Ödenburger Straße S. 54

Gaswerk Leopoldau S. 55

Muthgasse S. 58

XXI. Donaukanal S. 59 Nordbahnhof S. 52

Donaufeld S. 54

XIX. Ringstraße S. 55 XX.

Seestadt Aspern S. 51

XXII. IX.

VIII.

II.

Wientalterrassen S. 58

I. Südtiroler Platz S. 58

VII. VI. IV. III. V.

XI.

Franzosengraben S. 57

X.

Albatros S. 57

Hauptbahnhof S. 50 Verteilerkreis Favoriten S. 53

Freytaggründe S. 57 Die Hotspots von Wiens Wachstum befinden sich nicht nur an der Peripherie

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Stadtplanung

Hauptbahnhof & Sonnwendviertel Gründerzeit mit Bahnanschluss

is vor wenigen Jahren blickten die B Bewohner der Sonnwendgasse noch auf graue Plakatwände, hinter denen die

Wagenhallen des Frachtenbahnhofs lagen. Heute streckt Favoriten, von der Reststadt durch Bahndamm und Gürtel abgeschnitten, hier seine Finger in Richtung seiner Nachbarn aus. Wenn das 34 Hektar große Sonnwendviertel hinter dem neuen Hauptbahnhof fertig bebaut ist, werden rund 13.000 Menschen hier wohnen. Alleine in der ersten Bauphase entstehen auf 3,9 Hektar Fläche 1160 neue Wohnungen. Die ersten Wohnungen wurden Ende 2013 bezogen. Das Sonnwendviertel ist trotz seines Namens kein in sich abgeschlossenes Neubauquartier. Hier setzen sich einfach die Straßenzüge und Baublocks der Umgebung fort. Das Schachbrett Favoriten bekommt ein paar neue Spielfelder. Genau dies war

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Vorne Wohnblocks mit hoher Dichte, mittendrin ein Park, hinten türmt sich Renditeglück am Hauptbahnhof

das Ziel des Masterplans, der im Dezember 2004 für den Hauptbahnhof und sein Umfeld beschlossen wurde. Entlang der breiten Sonnwendgasse stehen einander heute die gelb-rosa-grauen bisherigen Außenposten des zehnten Bezirks auf der einen und die weiß-grau-braunen Fassaden der neuen Wohnbauten in selbstverständlicher Symmetrie gegenüber. Die Angst, dass der zehnte Bezirk nun auch von Gentrifizierung befallen würde, scheint bisher unbegründet. Viele der neuen Bewohner stammen selbst aus Favoriten. Noch dazu stellte die Stadt das neue Quartier unter das Motto „Soziale Nachhaltigkeit“, mit einer Mischung aus Mehrgenerationenwohnen, barrierefreiem Wohnen, temporärem Wohnen, kleinen Büros und Baugruppen wie sovieso („Sonnwendviertel solidarisch“) mit 111 Wohnungen. Dazwischen grüne Innenhöfe, die sich, wenn alle Baufelder fertig sind, zu einem „gemeinsamen Wohnzimmer“ verbinden sollen. Zu den Querstraßen hin wirkt es bisweilen weniger wohnlich: Manche Raumplaner kritisierten nach der Fertigstellung die vor allem als Abstellräume genutzten Erdgeschoßzonen als zu leblos.

Flankiert werden die Wohnblocks in Richtung Hauptbahnhof mit Bürobauten wie dem Hochhaus der ÖBB-Zentrale und Hotels, am anderen Ende steht das Lernlabyrinth des Bildungscampus Sonnwendviertel, der im Herbst 2014 bezogen wurde. Mittendrin wird sich der sieben Hektar große Helmut-Zilk-Park bald vom Hauptbahnhof bis zur Gudrunstraße ziehen und Favoriten zu Freiraum verhelfen. Der erste Teil des Parks soll 2015 fertig werden, der Rest folgt 2017. Die letzten Spielfelder bekommt das Schachbrett dann ab 2016. Unter dem Motto „Wohnen am Helmut-Zilk-Park“ werden rund 1500 Wohnungen sowie Büros mit rund 2200 Arbeitsplätzen den Favoritner Rand bilden. Der Masterplan hierfür wurde 2013 überarbeitet. Eine kleinteilige Parzellierung der Grundstücke soll zu einer Vielfalt an Nutzungen und der Architektur beitragen. In Anlehnung an gründerzeitliche Gebäude sind flexible Bauten geplant. Die Widmung soll auch Häuser mit großzügigeren Raumhöhen ermöglichen, um eine belebte Erdgeschoßzone zu fördern. An stadtplanerisch wichtigen Punkten werden Grundstücke an Baugruppen vergeben. m n

Foto: stadt wien

Die großen Entwicklungsgebiete

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Städtebau XL im Sonnwendviertel und in Aspern

Seestadt Aspern Das Wagnis am Stadtrand

Foto: schreiner & kastler

ie ist nicht nur eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Wiens S seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch

eines der größten in Europa. Auf dem 240 Hektar großen Areal des ehemaligen Flugfeldes Aspern entsteht nicht einfach eine Siedlung, sondern ein ganzer Stadtteil, eigentlich eine Stadt für sich. Eine funktionierende Stadt aus dem Nichts, ein Wagnis am transdanubischen Stadtrand. Erste experimentelle Planungen stellte Architekt Rüdiger Lainer in den 1990erJahren an, der endgültige, 2007 beschlossene Masterplan kommt vom Norweger Johannes Tovatt, der auch die Idee zum namensgebenden See hatte. Um diesen gruppieren sich Baublöcke, die wiederum um kleine Quartiersplätze orientiert sind. Zusammengehalten wird die Seestadt von einer Ringstraße. Klingt bekannt? Das kann schon sein, denn in Aspern will man, ohne sie zu kopieren, die Qualitäten der Gründerzeitstadt ins 21. Jahrhundert übersetzen.

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Dazu zählt auch die Mischung der Nutzungen: Die Erdgeschoßzonen, in anderen Stadtentwicklungsgebieten oft tote Zonen, sollen für Geschäfte, Büros und öffentliche Nutzungen reserviert sein, gewohnt wird in den Obergeschoßen. Beim Einzelhandel wurden riesige Supermärkte vermieden, stattdessen werden die Läden in den Vierteln verteilt, wenn auch zentral gemanagt. Die Autos werden großteils in Sammelgaragen verbannt. Insgesamt rund 20.000 Einwohner soll die Seestadt haben, wenn sie fertig ist, ebenso viele sollen dort arbeiten. Ganz genau weiß es niemand, denn das wird noch eine ganze Weile dauern. Die ersten Pioniere sind Ende 2014 eingezogen, sie wohnen in einer der fünf Baugruppen, für die ein eigener Block reserviert wurde. Ein Großteil des ersten Segments im Südwesten des Seestadt-Areals wurde in diesem Frühjahr bezogen, die ersten Läden eröffnen nach und nach, und auch der See ist schon befüllt. Zwischen U-Bahn und den ersten Wohnblocks herrscht noch Brachfläche, hier residiert seit Anfang des Projekts das Infozentrum der Seestadt. Entwickelt wird Wiens größte Stadtbaustelle von der

Das neue Herz von Aspern: der See mit U-BahnAnschluss, rundherum Wohnen und Büros

2004 eigens gegründeten Wien 3420 AG, die auch den Grund und Boden zur Verfügung stellt und einem Fonds der Stadt Wien sowie der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) gehört. Besonderes Augenmerk gilt dem öffentlichen Raum: Dieser soll so groß wie möglich sein und so schnell wie möglich belebt werden. Dazu entwickelte das Büro Gehl Architects eine „Partitur“ mit einzelnen Saiten, die an bestimmten Orten schon von den Aspern-Pionieren angeschlagen werden können. An diesen Stellen sollen die Räume genau definiert werden, während sie woanders erst später langsam mit Funktionen und Leben befüllt werden. Spektakuläres ist bei den Büros geplant: Ab 2016 soll hier direkt neben der Station der U2 das mit 84 Metern höchste Holzhochhaus der Welt entstehen, Architekt des „HoHo“ ist Aspern-Veteran Rüdiger Lainer. Wann die gesamte Seestadt fertig wird, und ob das Experiment der Stadtneugründung auf der grünen Wiese geglückt ist, wird man, da sind sich Befürworter und Kritiker einig, erst in ein paar Jahren wirklich wissen. m n Fortsetzung nächste Seite

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Stadtplanung

Fortsetzung von Seite 51

Otto-Wagner-Spital Residenz mit Respektsabstand

Otto-Wagner-Spital. Darüber diskutieren Stadt, Experten und Bürger seit Jahren. Im Zuge der Wiener Spitalsreform 2030 muss das Krankenhaus in Penzing nach und nach abwandern. Ursprünglich wollte die Wohnbaugenossenschaft Gesiba auf dem 70 Hektar großen Gelände Neubauten mit 600 Wohnungen errichten. Der Wiener Bürgermeister setzte diesem Vorhaben auf Druck wütender Anrainer und Boulevardmedien ein Ende. Nach einer Mediation sollte ein Expertengremium ermitteln, ob, und wenn ja, auf welche Weise das Areal zusätzliche Bebauung verträgt. Das Ergebnis: Nur der ehemalige Wirtschaftsteil im Osten der Anlage darf unter der Prämisse der Nutzungsoffenheit bebaut werden. Voraussicht- Otto Wagners neue lich 2016 wird es nun endlich so weit sein. Nachbarn: Wohnen Am Rand der „weißen Stadt“ werden zehn am Ex-Spital vierstöckige Backsteinhäuser errichtet. Bürger kämpfen in diesem Zusammenhang um die Erhaltung des wertvollen Baumbestandes der Brachen. Laut Christoph Luchsinger, Architekt und Mitglied des Expertengremiums, wurde an genügend Nachpflanzungen gedacht. Auch werden die Gebäude so aussehen, als wären sie schon immer da gewesen. Was darin außer Wohnen noch denkbar wäre? „Ich könnte das Institut problemlos dorthin transferieren“, scherzt der Professor für Städtebau und Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität Wien. Geförderte Wohnungen mit Büropotenzial also. Die Zukunft wird es zeigen. Ein wenig konkreter klingt da das Vorhaben der Gesiba, in manche der 140 Wohnungen soziale Schwerpunkte zu integrieren – so will man etwa die Realisierung von AlFreie Mitte mit ten-WGs ermöglichen. Danach sollen Stück Wildwuchs, für Stück weitere 60 Appartements in besteurbaner Rand mit hende Bauten integriert werden. Zwei der Hochhaus neuen Pavillons entstehen unweit der alFettung optional mit Zeichenformat core vulla feugue modolum zzriliquam, quametumsan ulla etue comtum d

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ten Pathologie, in denen vor kurzem noch Gehirne toter Spiegelgrundkinder lagerten. Luchsinger sieht darin kein Problem. Der Respektabstand wurde definitiv gewahrt. Der Professor fragt sich vielmehr, was mit dem Jugendstilrelikt in Zukunft passieren soll. Zusätzlich möchte sich auch die seit 2014 am Gelände ansässige Rehaklinik Vamed um eine neurologische Abteilung erweitern. Ein Flickwerk an Begehrlichkeiten. Erst Ende nächsten Jahres soll ein von der Wiener Standortentwicklung (WSE) – eine Tochter der Wien Holding – in Zusammenarbeit mit Bürgern erarbeitetes Gesamtkonzept vorliegen, an dem derzeit gearbeitet wird. hs

Nordbahnhof Stadtwachstum mit Urwald

ien wächst – nicht nur in TransdaW nubien. Auch im innerstädtischen Bereich, in der Leopoldstadt, wird seit längerer Zeit mit dem neuen Stadtteil Nord-

bahnhof nachverdichtet. Flächenmäßig etwa die Hälfte der Seestadt Aspern, beherbergt die Neubauwelt am Gelände des ehemaligen Frachtenbahnhofs Wien-Nord bereits 10.000 Menschen. Noch einmal so viele arbeiten in der Gegend zwischen Lassalle- und Taborstraße. Das momentane Zentrum des Grätzels bildet der Rudolf-Bednar-Park mitsamt Bildungscampus für Null- bis Zehnjährige. An warmen Tagen brummt die von Spielplätzen und Fußgängerzonen gesäumte Grünfläche – Gastronomie und Kultur gibt es hier hingegen wenig. Vor kurzem wurde mit der nächsten Etappe – dem Bau der zukünftigen Konzernzentrale der Bank Austria durch Bauträger SIGNA – begonnen. Der Rest des 85 Hektar großen Areals ist derzeit noch Brachland. Bis 2025 ist allerdings angedacht, die noch unbebaute Wildnis in eine flexibel nutzbare Gegend für Wohnen, Arbeit und Freizeit umzuwandeln. Unter dem Motto „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ schaffen die Architekten von studiovlay hier etwa Wohnungen für 12.000 Menschen. Die Wildnis soll aber keineswegs ganz verschwinden. Im Zentrum verbleibt als Erholungs­oase für den zweiten und 20. Bezirk ein zeitgemäßer Urwald, um den die hybriden Gebäude entstehen werden. Immerhin gibt es in dieser Gegend Schützenswertes wie den Lebensraum diverser Kröten und Echsen. Die Weichen für dieses aktuell vielleicht spannendste ­Stadtentwicklungsprojekt Wiens wurden 2011 gestellt – da entschlossen sich Rathaus und ÖBB für die Aktualisierung des veralteten städtebaulichen Leitbilds. Seit 2014 steht das Konzept – es wurde vom Rathaus unter Einbindung der Anrainer erstellt. Zusätzlich sind etwa ein zweiter ­Bildungscampus sowie ein städtischer Boulevard, benannt nach Wiens Altbürgermeister Bruno Marek, am benachbarten Gelände geplant. In der breiten Straße soll mit ­hohen Raumhöhen im Erdgeschoß Leben in Form von Lokalen oder Geschäften ins ­Viertel einkehren. Und auch für bessere Anbindung wurde gesorgt. Ab 2018 fährt die OLinie bis zum historischen Nordbahnhof. hs

Fotos: Schreiner K astler (2)

ie geht man sinnvoll mit einem JuW gendstilensemble um? Noch dazu, wenn es so historisch belastet ist wie das

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Stadtentwicklung an ungewöhnlichen Orten Klassisches Bauland wird knapp, also muss man nach neuen Flächen suchen schon verkehrs-, lärm- und staubgeplagten Anrainer ist die Idee einer Ministadt am Verteilerkreis hingegen ein Albtraum. Seit Monaten fordert eine Bürgerinitiative ein ausgearbeitetes Verkehrskonzept – bis dato ohne Erfolg. Die Anwohner zweifeln vor allem an der ständigen Erreichbarkeit des Geländes, das von Straßen umkreist ist: Denn der Verteilerkreis ist bekannt für Staus und zähen Verkehr. ep

Auhof Oben wohnen, unten shoppen

ine Stadt auf der Stadt: In Zukunft E müssen wohl immer mehr bereits bestehende Gebäude erweitert werden, um

Verteilerkreis Es lebe der Kreisverkehr!

Altes Landgut wird neue Stadt: Bürotürme über der Tangente

en Verteilerkreis, der AutobahnzuD bringer am südlichen Ende der Favoritenstraße kennt man bislang als von

Win-win für alle: Oben wird gewohnt, unten rollen die Einkaufswagerln

Fotos: Schreiner Kastler, Querkraft

Autos umkreiste Betonwüste. Bis 2020 aber sollen die vier grauen Hektar zu einem neuen Zentrum des zehnten Bezirks werden – zumindest, wenn es nach der Autobahnbetreiberin Asfinag geht. Die Asfinag ist Eigentümerin des Verteilerkreisareals – und will dort ihre neue Zentrale in die Höhe ziehen. Zusätzlich sind Büros, Lokale, Einkaufsmöglichkeiten, ein Studentenwohnheim und eine Park-and-Ride-Anlage ge-

plant. Der Verteilerkreis also als Hauptplatz eines modernen Viertels? Immerhin liegt das südliche Favoriten mit der FH Campus Wien, dem Wohnungsprojekt „Viola Park“ am Laaer Berg und der U1-Verlängerung vom Reumannplatz nach Oberlaa im Fokus der Stadtentwicklung. Die städtebauliche Ausschreibung für das Projekt Verteilerkreis gewann vergangenes Jahr das Büro Froetscher Lichtenwagner. In den kommenden Monaten sollen die Architekturwettbewerbe für die einzelnen Gebäude stattfinden. Für die Asfinag hat der Verteilerkreis auf jeden Fall das Potenzial zum „urbanen Knoten“, wie es in der Projektbeschreibung heißt: Er soll die Autobahn durch die neue U1-Haltestelle Altes Landgut mit der Wiener Innenstadt verbinden. Für die ohnehin

die wachsende Wiener Bevölkerung zu beheimaten. In Hütteldorf, gleich neben der Westautobahn, entsteht im Moment eine Wohnanlage auf dem Dach des AuhofShoppingcenters – 71 geförderte Wohnungen werden auf das Einkaufzentrum gebaut, die ersten Mieter können schon Ende Juni dieses Jahres einziehen. Damit die Nähe zur Westausfahrt und dem Parkplatz des Shoppingcenters nicht allzu sehr auffällt, ordnete das für den Bau zuständige Büro querkraft Architekten die Wohnungen in einer Vierkanthofform an – ein grüner Innenhof als Zentrum der Siedlung, wenn auch in untypischer Höhe. Die erste Etage der Wohnungen liegt nämlich elf Meter über dem Straßenniveau. Drei Millionen Euro ließ sich die Stadt Wien die Förderung des Hybridprojekts kosten. Mit dem Hintergedanken, dass das Modell in Zukunft öfter zum Tragen kommt. Das Konzept soll Bauflächen sparen und Siedlungen kompakt halten – für die Stadt ein Vorzeigeprojekt. Eine weitere Einzelhandels-Aufstockung ist bereits in Planung: In der Donaustädter Zschokkegasse soll das Dach eines Lidl-Supermarkts besiedelt werden. Der Baubeginn für das Projekt des Architekturbüros Dietrich | Untertrifaller ist für frühestens Herbst 2015 anvisiert. 60 Wohnungen sind auf dem Lidl-Dach geplant. ep

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Stadtplanung

Stadtentwicklung im Fokus: Transdanubien Nirgendwo verändert sich Wien so schnell wie in Floridsdorf und Donaustadt

Pocket-Parks statt Industrie

Stadt bauen in Floridsdorf: Modellfall für Blocks und Parks

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Verhandlungsraum im Ereignisband

as Donaufeld: 60 Hektar, direkt an D der Alten Donau. Eine traumhafte Lage – und im wahrsten Sinne freies Feld

ange Zeit hieß es: Tote Hose in der L Ödenburger Straße. Einst ein Industriestandort, war die Lage in Floridsdorf für

das produzierende Gewerbe plötzlich nicht mehr attraktiv. Betriebe verließen das Gelände, Nachfolger ließen sich keine finden: Die Verkehrsanbindung war andernorts besser; außerdem hatte sich die Gegend zwischen Brünner Straße im Osten und Prager Straße im Westen schon längst zum Wohngebiet gewandelt. 2012 erwarben schließlich die gemeinnützigen Bauvereinigungen BWSG, Gewog, Migra und WienSüd das Gelände der ehemaligen RoigkMaschinenfabrik an der Ödenburger Straße, im selben Jahr wurde ein kooperatives Planungsverfahren gestartet – mit dem deklarierten Ziel, das Viertel weiter Richtung Siedlung zu wandeln. 800 bis 1500 Wohnungen sollen im neuen Quartier geschaffen werden. Kindergarten und Schule, Busund S-Bahn-Station liegen bereits vor der Haustür. Hinzu kommt eine Menge Grün: Mit städtischen Kleinstgärten – „Pocket Parks“, also Hosentaschenparks genannt – und einem zentralen Park und Quartiersplatz soll das Viertel zusammenwachsen. Und dabei beinahe autofrei bleiben: Vorgesehen ist, den Verkehr über die Kolonieund Winkeläckerstraße quasi von hinten an die Anlage zu führen. Bei der zuständigen Magistratsabteilung 21 für Stadtteilplanung rechnet man mit einem Baubeginn frühestens im kommenden Jahr; die Flächenumwidmungs- und Planungsverfahren wurden schon 2013 abgeschlossen. ep

Donaufeld

für die Stadtentwicklung in Transdanu­bien. Bis zu 6000 Wohnungen könnten an die Gründe am Wasser kommen, wenn es nach dem städtebaulichen Konzept der Stadt Wien geht. Das Donaufeld soll dabei das Bindeglied zwischen den Zentren von Floridsdorf und Kagran werden, ein sogenanntes „Ereignisband“, auf dem neben Wohnungen auch ein Schulcampus und Flächen für Büros und Dienstleistungen eingeplant

Hinter der Alten Donau werden Felder zu Baufeldern: Unter dem DC-Tower wird Stadt entwickelt

sind. Die Öffi-Anbindung in dem Gebiet soll sukzessive erweitert werden, unter anderem wird eine neue Straßenbahnlinie angedacht. Die Größe des Geländes stellt jedenfalls Herausforderungen in der Umsetzung dar: 20 Jahre wird die städtebauliche Erschließung des Donaufelds dauern. Die Realisierung erfolgt daher in Phasen – und die Bevölkerung soll sich stark einbringen. „Unser Donaufeld“ heißt der Bürgerbeteiligungsprozess, bei dem Anrainer genauso wie potenzielle Bewohner des Donaufeldes ihre Ansichten zum Projekt kundtun können: Oft genannte Wünsche für das zukünftige Viertel sind gut ausgebaute Gehund Radwege, kurze Wege zu Geschäften und Lokalen, autofreie Zonen zum Spielen und Spazierengehen und Infrastruktur wie

Fotos: clemens pürstinger, daniel dutkowski

Ödenburger Straße

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Fokus: Zentrum Sakrosankt gibt’s nicht: Auch am Ring wird geplant praktische Ärzte oder Jugendzentren – sowie das Erhalten des vielen Grüns im Donaufeld. Rund 14 Hektar, also knapp ein Viertel des Geländes, sollen Natur bleiben. ep

Gaswerk Leopoldau Das Handwerk kommt an den Stadtrand

Bahn frei für mehr Platz: Die neuen Ideen für die alte Ringstraße wollen das Durcheinander der Wege bereinigen

eit einigen Jahren schläft ein GroßS teil des Gaswerks Leopoldau. Auf der rund 16 Fußballfelder großen Liegen-

Fotos: e va k ele t y, Gehl Archit ec t s

schaft in Floridsdorf wechseln sich denkmalgeschützte Villen und historische Anlagen mit wucherndem Stadtdschungel ab. Im nächsten Jahr soll sich das ändern – dann will die Stadt den Industriestandort mit 1400 Wohnungen, diversen Gewerbeflächen, Garagen, Sportplätzen und Parks wieder zum Leben erwecken. Einst im Besitz der Stadt Wien, ist die von Industrie geprägte Gegend in der Siemensstraße mittlerweile an die Neue Leopoldau Entwicklungsgesellschaft (einer Tochter der Wiener Standortentwicklung und Wiener Netze) ausgelagert. Davor durften Anrainer, Experten und Entscheidungsträger ihre Visionen für den neuen Stadtteil im Zuge eines kooperativen Planungsverfahrens deponieren. So entstand ein Masterplan, der das Gebiet nicht nur für Wohnen und Konsum verwenden möchte; auch kulturelle und soziale Einrichtungen sind geplant. In die 17 denkmalgeschützten Gebäude könnten kleine Handwerksbetriebe einziehen und auch die Wildnis soll teilweise öffentlich zugänglich sein. Im Süden des Gaswerks wird die von alten Bäumen gesäumte Marischkapromenade in einen neuen Park münden. Und zwei neue Buslinien der Wiener Linien werden das Areal besser mit der restlichen Welt verbinden. Die einst geplante Zwischennutzung durch Kunst und Kultur entfällt. Denn noch fehlt jegliche Infrastruktur wie Strom oder Wasser auf diesem Stadterweiterungsgebiet, dessen Flächen bereits umgewidmet wurden. hs

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Ringstraße Raum für den Ring: Prachtmeile 2.0

chlummernde Stadtecken zu revitaS lisieren – das ist der eine Plan im Rathaus. Aber auch das Zentrum Wiens

Die Industrie verschwindet, die Idylle bleibt: Die Marischkapromenade bekommt eine Verlängerung

will man dort weiter umgestalten. Oder zumindest darüber diskutieren. „Flaniermeile“ und das mittlerweile böse B-Wort „Begegnungszone“ stehen ja schon länger auf der Tagesordnung von Stadträtin Maria Vassilakou (Grüne). Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Wiener Ringstraße präsentierte sie kürzlich Möglichkeiten zur Veränderung des einstigen Boulevards, der heute vor allem eines ist: mehrspurige Autobahn durch die Innenstadt. Um nicht sofort in Mahü-Hysterie beim Stichwort Verkehrsberuhigung auszubrechen, wagte Vassilakou bei der Prachtstraße ganz bewusst den „Blick von außen“. Statt lokaler Experten machten sich die international renommierten Planungsbüros Gehl Architects (Dänemark) und Barcelona Regional (Spanien) über die von Monumenten umfasste Rollbahn Gedanken. Heraus kam ein relativ einheitlicher, gleichermaßen vernichtender Befund: die Ringstraße sei eine laute Verkehrsachse, voller Schilder, Bodenmarkierungen, Haltestellen und Parkplätzen, kurz: eine den Kulturdenkmälern völlig unwürdige, geteerte Piste. „Ich fände es traurig, wenn ich in dreißig Jahren wiederkomme, und noch immer auf Asphalt spaziere“, sagt Henriette Vamberg von Gehl Architects. Für die Stadtplanerin hat die Ringstraße definitiv besseres Pflaster verdient. „Von Weltklasse-Gebäuden zu einer Weltklasse-Straße“ nennt sich daher Vambergs Konzept, das den Verkehr in der Mitte belassen, aber den Rest der 60 Meter breiten Straße, ganze zwei Drittel, umfunktionieren möchte. Die vielen Zufahrtswege und Parkplätze rund um Anziehungspunkte wie etwa Universität, Burgtheater oder Oper müssten nach Vamberg dringend gepflasterten Plätzen weichen. So sollen großflächige Foyers vor den Prachtbauten entstehen, in denen sich Lieferverkehr, Radfahrer und Fußgänger auf Augenhöhe begeg-

nen können. Besonders Letztere sind der Planerin ein Anliegen. „Die Stadt muss ihre Passanten willkommen heißen, ihnen den roten Teppich ausrollen“, sagt Vamberg. Noch einen Schritt weiter geht Marc Montilleó von Barcelona Regional. In seiner Vorstellung ist die Ringstraße autofreier Tummelplatz für die ganze Stadt. Eine veritable Komfortzone, mit Korridoren für Radler und Straßenbahngleisen im Zentrum. Dazwischen Fußgänger, ein Gemüsemarkt, Spielplätze, Schachfelder, Straßencafés, Bäume und zahlreiche Sitzgelegenheiten. Ein Ort für alle Generationen. Ganz ohne Pkws geht es in Montilleós Vision aber auch nicht – schließlich gibt es eine beträchtliche Anzahl an Hotels am Ring. Doch die Autos spielen eine untergeordnete Rolle, dürfen nur zu- und abfahren. Viel eher sollen die Monumente stärker eingebunden werden und Aktivitäten der Institutionen ihren Weg auf die Straße finden. Nach und nach (die erste Etappe wäre das Stück Uni bis Oper) könnte sich der Ring so zur neuen Visitenkarte der Stadt wandeln. „Die Autos von hier zu verbannen, ist noch das geringste Problem“, weiß der Raumplaner. Viel schwieriger sei es erfahrungsgemäß, die Wiener von ihrer neuen – alten – Flaniermeile zu überzeugen. Das Rathaus erhofft sich von den vorgelegten Anregungen den Beginn einer „breiten, kontroversen Debatte“ zur Zukunft der Ringstraße. Die Autofrage wurde diesbezüglich noch nicht besprochen, der Stadträtin ist es aber wichtig zu betonen, dass sie Pkws durchaus als Teil des städtischen Lebens begreift, dass es aber augenscheinlich in Richtung Verkehrsberuhigung und klarere Strukturen gehen sollte. Konkrete Pläne gibt es jedoch noch keine. Doch bereits in den nächsten fünf Jahren, sofern RotGrün dann noch existiert, könnte der Asphalt zwischen Uni und Oper neuen Pflastersteinen weichen. Das Projekt Ringstraße will Vassilakou langsam, Stück für Stück, angehen. Henriette Vamberg schlägt eine Testphase vor. „Wie bei Events bereits geschehen, würde ich für ein paar Wochen eine Zone sperren, Sessel und Pflanzen rausräumen und einfach schauen, was passiert.“ hs

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Stadtplanung

Stadtentwicklung im Fokus: Liesing Wiens wilder Süden wird smart und grün lungen. Was Entscheidungsträger umsetzen werden, bleibt abzuwarten. Die nächste Etappe – „In den Wiesen Ost“ – wird voraussichtlich ab 2017 gebaut. hs

Carrée Atzgersdorf Große Pläne für die Gstätten

arrée Atzgersdorf “ – klingt nach C schicker Gegend. Doch da, wo das Carrée liegt, ist von „schick“ keine Rede.

Urban Gardening im Großformat

Schrebergarten des 21. Jahrhunderts: In Wiens Süden wird es horizontal und vertikal grün

omentan herrscht hier noch eine Mix aus Industrie, Gstätten und M Siedlungen. In den nächsten zehn Jahren

dürfte auch der fünftgrößte, aber teilweise noch dünn besiedelte 23. Bezirk stark wachsen. Dementsprechend viele Herausforderungen – Anbindung, Schulen, Kultur – sind daher zu meistern. In einem „Strategieplan“ wurden die wichtigsten Punkte von Stadt, TU und Bürgern festgehalten – so soll der Blick fürs große Ganze im Gebiet beibehalten werden. Hauptsächlich wird östlich und westlich der S- und U-Bahn besiedelt. Während sich das Areal Atzgersdorf noch in Planung befindet, steht der südliche Teil des zweiten Hauptentwicklungsgebiets „In den Wiesen“ vor dem Baubeginn. 27.000 Menschen könnten beide Flächen gemeinsam einmal fassen. Insgesamt sollen sich hier zukünftig 6000 Wohnungen um ganz viele urbane Gärten reihen. So sind zwei 60 Meter hohe begrünte Hochhäuser als Blickfang zwischen den U-Bahn-Stationen „Erlaaer Straße“ und „Am Schöpfwerk“ geplant. Ziel der zuständigen MA 21 war es – im Sinne von Smart City – gefördertes Wohnen mit Gemeinschaftsgärten zu verknüpfen. So soll an Dichte gewonnen werden, ohne dass auf die grünen Qualitäten des 23. Bezirks verzichten werden muss – die Stadt spricht gar vom größten Urban-Gardening-Wohnprojekt der Welt. Angekündigt werden die vielen Beete schon dieses Jahr mit einem

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Atzgersdorfs Rückseite: heute noch Brachland, bald schon Zuhause für Tausende

kleineren Vorhaben namens „Erntelaa“ in der Meischlgasse. Bereits in den Loggien der Wohnhäuser werden hier – ganz in der Tradition des nahen Wohnparks Alt-Erlaa – Wasseranschlüsse und Pflanzentröge bereitstehen; zusätzlich kann in Glashäusern auf Dachterrassen angepflanzt werden. Anrainer machen gegen diesen Leuchtturm des neuen grünen Stadtteils mobil: sie fürchten Bauklötze. Damit künftige Bewohner gerne in das neue Viertel in Liesing ziehen, sieht das Strategiepapier die Schaffung von Kindergärten, zahlreichen Volksschulen und den Ausbau des Verkehrsnetzes vor. Auch eine S-Bahn-Station „Rosenhügel“ zwischen Hetzendorf und Atzgersdorf steht zur Diskussion. Doch das sind vorerst nur Empfeh-

Fotos: schreiner & k astler (2)

Perspektive Liesing In den Wiesen

Der Fleck Liesing, der von der Atzgersdorfer Straße im Norden, der Ziedlergasse im Osten, dem Mopurgopark im Süden und der Bahntrasse im Westen begrenzt wird, ist wenig ansehnlich. Verlassene Betriebsareale, Industrie – ein tristes Bild bietet sich auf dem Gelände, oder eher: bietet sich noch. Denn die Magistratsabteilung 21 für Stadtteilplanung hat große Pläne mit dem Gebiet. 1500 Wohnungen sollen auf die freie Fläche kommen, in Atzgersdorf einen Übergang vom suburbanen zum urbanen Lebensraum schaffen und das Zentrum des Viertels erweitern. Verschieden große Freiräume, Wege und Grünflächen sollen das Carrée strukturieren. Die Umsetzung des Projekts zieht sich allerdings hin. Bei der MA 21 rechnet man mit damit, dass die nächsten Schritte erst weit nach der Wien-Wahl getan werden können – und die Flächenwidmung erst mit Jahresbeginn 2017 abgeschlossen sein wird. Nördlich davon, zwischen dem Atzgersdorfer Zentrum und der Liesinger Bezirksgrenze, ist man da schon ein bisschen weiter: Auf dem Areal der abgesiedelten UnileverFabrik baut die Stadt Wien gemeinsam mit der Buwog und der Arwag rund 750 Wohnungen. Im Moment ist das Projekt noch in der Detailplanung, einreichen will man im Frühling dieses Jahres. Baubeginn soll in der zweiten Jahreshälfte 2016 sein. Neben den Wohnhäusern ziehen auch ein Interspar sowie ein Obi-Baumarkt auf das Gelände – ein eigenwilliger Zug, kennt man Baumärkte doch meist nur vom äußersten Stadtrand. Beste Voraussetzungen für ein Heimwerkerparadies – von der Stadt Wien, im Hinblick auf die Neubauten im Viertel, wohl bewusst gesetzt. ep

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Simmering & Gasometer Früher rau und industriell, wird Wiens Osten langsam salonfähig Hier wird’s hoch: Am Erdberger Mais beim Gasometer werden Wohn­ türme entstehen

Franzosengraben/ Erdberger Mais

Simmeringer Zukunftsmusik: Die Hauptstraße bekommt neue Bewohner

Mut zur Urbanität

och parken auf dem Platz in der Leopold-Böhm-Straße Autos. Ab N 2018 können auf der 14,6 Hektar umfas-

Albatros, Ameise, Adler: Das Terrain für tierisch benannte Bürobauten liegt bereit

Albatros/ Gasometer Hybride Energiespritze für Erdberg

ahles, brachliegendes Land, kaum K fünf Minuten Fußweg nördlich der Gasometer gelegen: Ursprünglich hätte hier

ein weiteres Bürogebäude des dritten Bezirks erbaut werden sollen. Dieser Plan wurde allerdings vor einigen Jahren verworfen; die Nachfrage aus der Gewerbebranche dürfte zu gering gewesen sein. An der Stelle soll jetzt ein durchmischtes, urbanes Quartier entstehen: Wohnhäuser verschiedenen Charakters, gruppiert um einen Garten, mit 450 Wohnungen – und einem „hybriden Sockel“ als Erdgeschoß. Er soll in zwischen 5,5 und 7,5 Metern hohen, anpassbar großen Räumen Ateliers, Werkstätten und Kleinbüros von Ein-Personen-Un-

ternehmen beherbergen und so Kreative anziehen – durch die Möglichkeit einer offenen Nutzung. Das sind zumindest die Ideen für das Grundstück: Besonders viel mehr weiß man nämlich noch nicht über das Projekt, das sich „Albatros“ nennt, um mit den Nachbarbürohäusern „Ameise“ und „Adler“ ein schönes tierisches Namensensemble zu bilden. Für die architektonische Ausführung sind Werner Neuwirth und die Büros Soyka/ Silber/Soyka und Fink Thurnher zuständig; Bauträger sind Migra, Arwag, das Österreichische Siedlungswerk und „6B47 Real Estate Investors“. Aktuell läuft das Flächenumwidmungsverfahren. ep

Freytaggründe Wohnen statt Werkstatt

in verwahrlostes, leerstehendes, verE wildertes Betriebsgelände: Die Freytag-Gründe sind eine der vielen aufgelas-

senen Gewerbeflächen Wiens, die auf ihre Weiternutzung warten. Nach der Schließung des Freytag-Autohauses im elften Bezirk kümmert sich nun die MA 21 gemeinsam mit „Kallco Development“, „Boden-Invest“ und Baumeister Alfred Lattenmayer um die Weiterentwicklung der Fläche an der Simmeringer Hauptstraße. Was auf dem knapp zehn Spazierminuten von der U3-Endstation Simmering gelegenen, rund zwei Hektar großen Grundstück genau entstehen wird, ist noch nicht fixiert; das kooperative Stadtplanungsverfahren wurde allerdings schon im vergangenen Herbst abgeschlossen. Es sieht die Freytag-Gründe als „Impuls“ für das Viertel – als ersten Baustein für die Entwicklung einer Gegend, in dem neue, große Wohnblöcke auf der einen Seite, Gartensiedlungen und Kleingewerbe auf der anderen Seite nebeneinander existieren. Mit dem neu gestalteten FreytagAreal sollen sie zusammenwachsen – schön langsam zumindest, wenn es nach den Ergebnissen des kooperativen Verfahrens geht. Für die Freytag-Gründe werden zunächst 240 neue Wohnungen mit Tiefgarage angepeilt. Außerdem sollen eine Kita und Geschäfte dort aufsperren. Ein Datum für die Realisierung gibt es jedoch noch nicht. e p

Fotos: s t udiov l ay, k allco de v elopmen t g mbh/zoomv p

senden Fläche vor Ariel Muzicants Modegroßhandelscenter zwischen Gasometer und Südosttangente die ersten Wiener in neue Wohntürme einziehen – auch so geht Stadtverdichtung. Zwischen 78 und 110 Meter hoch sollen die drei Bauten werden und so Platz für 1030 Mietwohnungen schaffen; zu einem großen Teil preislich gede-

ckelt. Die von den Architektenbüros studiovlay.streeruwitz, Rudiger Lainer + Partner und BEHF designten Gebäude gruppieren sich um einen für alle drei Türme zentralen Platz: den Festplatz. Um ihn herum wird in der Folge ein kleines Stadtviertel, das nach dem Bauträger benannte „MGC Plaza“, entstehen. Mit Gastronomie, Swimmingpools und Verkaufslokalen im Sockel und Treffpunkten auf begrünten Terrassen des Trios (dem „grünen Deck“) soll der Bevölkerung der Mehrwert eines Hochhaus-Wohnhauses schmackhaft gemacht werden. Das Projekt wird im Rahmen der Wohnbauinitiative umgesetzt und entsprechend gefördert – wohl auch, um die Wiener Skyline um markante Erkennungszeichen zu bereichern. Jedes der drei vertikalen Objekte sieht anders aus. Studiovlay schmückt seinen Turm mit Wintergärten; BEHF schützt die Bewohner mit Glaselementen gegen etwaige Windböen. In der nahen Umgebung werden außerdem Schulen, Kindergärten und weitere 500 Wohnungen errichtet. Öffentliche Verkehrsmittel sind bei der nahegelegen U-Bahn-Station Gasometer erreichbar. Aktuell läuft das Widmungsverfahren. hs

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Stadtplanung

Fokus: Meidling, Döbling

Plätze, Straße n

Großes in Heiligenstadt, Grünes im Süden

Wien wächst – das heißt, der Freira um Neue Nachbarschaft: In der Gartenstadt soll man grün und zaunlos nebeneinander wohnen

Meidlinger Hauptstraße Frischzellenkur für die Lebensader

ange Zeit vernachlässigt, war die L Meidlinger Hauptstraße als Mittelpunkt des zwölften Bezirks in den letzten

Muthgasse

Miteinander in Meidling

Hotspot Heiligenstadt

on der Seuchenanstalt zur Gartenin „potenzieller Hochhausstandort“: V stadt: am Emil-Behring-Weg im E Das ist das Grätzel um die Muthzwölften Wiener Bezirk liegen knapp elf gasse in Döbling für die Stadtplaner des

Hektar Grundstücksfläche brach. Wo früher Haus- und Nutztiere auf Viruserkrankungen untersucht wurden, sollen Ende 2017 großflächig Wohnbauten errichtet werden – unweit diverser Kleingärten und angrenzender Einfamilienhäuser beim Südfriedhof Meidling. „Die Gartenstadt 2.0“ ist das aus dem EUROPAN-10-Wettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt des Büros „arenas.basabe.palacios“ um den spanischen Architekten Luis Basabe – es wird in Etappen bis 2021 von dem von der Stadt Wien beauftragten Bauträger Austrian Real Estate GmbH (Tochter der BIG) verwirklicht. Der Name der Wohnstadt ist Programm: vielfältige Gebäudetypen – vom hohen Geschoßbau bis zum niedrigen Einfamilienhaus – werden sich mit zaunlosen Vorgärten mischen. Statt nachbarschaftlicher Barrieren will das 1000 Wohnungen starke Projekt als Alternative zur Anonymität der Großstadt soziales Miteinander durch niedrige Hecken, Fußgängerzonen, Gemeinschaftsgärten und viele Sitzgelegenheiten schaffen. Nachbarn aus Hetzendorf und den angrenzenden Schrebergärten freut das nur bedingt. Die Gartenstadt regt auf. Bald könnten an die 3000 Menschen in das derzeit öffentlich noch wenig erschlossene Eck in Meidling ziehen. Schon im Vorjahr machten daher Bürgerinitiativen auf die fehlende Anbindung, zunehmenden Individualverkehr, Lärmbelastung und unzureichende Infrastruktur im Viertel aufmerksam. Außerdem befürchten sie zu hohe Gebäude – diese dürften stellenweise maximal 26 Meter hoch werden. Der Emil-BehringWeg ist Teil der Entwicklungszone „Perspektive Liesing“. Ein Strategiepapier legte kürzlich Empfehlungen für eine bessere Erschließung, Erhaltung der Grünräume und Schaffung von Infrastruktur des Areals im Südwesten Wiens vor. Momentan läuft beim Projekt „Gartenstadt 2.0“ das Widmungsverfahren. hs

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Wiener Magistrats. Bislang bekannt für die Tower der Dichand-Zeitungen Krone und Heute, könnten in Zukunft mehr Türme am Ufer des Donaukanals in die Höhe ragen. Auch die Aussicht auf ein kleines Universitätsviertel gibt es: Immerhin sollen die „Modul“-Tourismusschule und -Privatuniversität vom Kahlenberg in die Muthgasse übersiedeln. Aktuell werden in einem kooperativen Planungsverfahren die Möglichkeiten für die Ecke im 19. Bezirk durchgespielt. Fix ist jedenfalls: Auf den 6,4 Hektar Freifläche zwischen Bahngleisen im Norden entlang der Muthgasse und Gunoldstraße bis zum ORF-Medienhaus im Süden soll ein durchmischtes Betriebs- und Wohnviertel entstehen, das sich um die U4-Endstation und S-Bahnhof Heiligenstadt gruppiert. Der Rest ist noch vage. Im südlichen Teil des Quartiers etwa, an der Gunoldstraße, könnten rund 450 Wohnungen entstehen. Gleichzeitig will die Stadt das Gewerbe am Standort fördern. Einen Zeithorizont für das Projekt eines lebendigen Viertels Muthgasse gibt es noch nicht; die Ergebnisse des kooperativen Planungsverfahrens werden Ende Mai veröffentlicht. ep

Wientalterrassen Balkone für Margareten

ines der ersten größeren Projekte E nach der Mahü-Möblierung werden die Wientalterrassen sein: Die Architekten

Silja Tillner und Alfred Willinger entwarfen dafür vier Terrassen, die die U4 an der Rechten Wienzeile zwischen Margaretengürtel und Pilgramgasse überbrücken. Die gefalteten Holzdecks zum Sitzen und Liegen, begrünt mit Gräsern und Schilf, sollen nicht nur die Engstelle des stark befahrenen Fuß- und Radwegs aufweiten, sondern auch den dicht bebauten Bezirken Margareten und Mariahilf dringend benötigte Erholungs- und Freiflächen geboten werden. Die Terrassen verfügen über freies WLAN und werden, so der Wille von Planern und Stadt, konsumfrei bleiben. Hinzu kommt ein Fußgängersteg, der den Wienfluss zwischen den Wienzeilen überbrückt. Seit November 2014 wird an der ersten, rund 1000 Quadratmeter großen, Terrasse gebaut. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 4,3 Millionen Euro. mn

Südtiroler Platz Grünes Stadttor am Hauptbahnhof

Neue Räume: Zwischen KarlMarx-Hof und Donaukanal sind enorme Flächen zu besiedeln.

in weiterer lange vernachlässigter Stadtraum wird demnächst seine E Draußensitzmöglichkeit bekommen: Der Südtiroler Platz gegenüber dem Hauptbahnhof, bisher eine heruntergekommene Restfläche, wird von den Büros zwoPK und Michael Sailsdorfer umgestaltet. Schließlich ist der Platz nach Fertigstellung des neuen

F o t o s : s c h r e i n e r & k a s t l e r , b i n g . c o m / r a u m & KO m m u n i k a t i o n

Gartenstadt 2.0

Jahren kein schöner Anblick. 2010 wurde ein Wettbewerb zur Neugestaltung ausgeschrieben. Eine Sozialraumanalyse und eine Studie zur Geschäftsnutzung waren dem Wettbewerb vorausgegangen. Sieger des Wettbewerbs war das Hamburger Büro WES Landschaftsarchitekten. Das Ziel des Entwurfes: ein durchgehendes Erscheinungsbild, konsumfreie Aufenthaltsflächen, eine einheitliche Bodenoberfläche mit einem „Belagsteppich“ aus hellem Granit und ein Schanigartenkonzept. Der bisher unscharfe Raum soll in Straßen- und „Platzl“-Bereiche besser gegliedert werden. Eine „Platanen-Terrasse“ und ein „Linden-Teppich“ begrünen die Meidlinger Meile. Seit Ende 2014 wurde der untere Abschnitt zwischen Schönbrunner Straße und Reschgasse fertiggestellt, hier gruppieren sich neue Sitzbänke um neue Wasserflächen und Brunnen. Der obere Teil soll in den nächsten Jahren folgen. mn

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ße n und Möbel: Der öffentliche Raum

reira um dazwischen wird umso wichtiger Hauptbahnhofes ein wichtiges Eingangstor und Aushängeschild der Stadt. Hier entstehen vier grüne Inseln mit Lichtskulpturen, Trinkbrunnen, gesessen und gelegen wird auf Bänken und schiefen Ebenen in der Inselmitte. Auch eine – kleine – Begegnungszone ist Teil der Umgestaltung, sie soll zwischen Schelleingasse und Graf-Starhemberg-Gasse entstehen. Nach den Wünschen des Bezirkes könnte es noch mehr sein, man überlegt, den Taxistandplatz zu verlegen. Zurzeit läuft die Detailplanung, die Umsetzung könnte schon diesen Sommer beginnen. mn

beteiligten Bürgern die Schaffung konsumfreier „Inseln“. Die Stadtmöbel, die nach dem Entwurf der Landschaftsplaner Bureau B+B aus den begegnungszonenerfahrenen Niederlanden und den Wiener Büro orso.pitro verteilt wurden, zeigen, wie das gehen kann: So einfach wie robust, mit granitener Basis und Lattenrosten aus Tropenholz, in verschiedenen Kombinationen als Sitzbank, Liegefläche, quasi-chaiselonguesker Lehnfläche (man darf sie auch „Lounges“ nennen), Wasserbecken und erhöhten Pflanztrögen. Genau genommen sind es vier Wassertische, fünf Lounges, 24 sogenannte Baumgärten, 82 Sitzgelegenheiten und 111

neue Lampen, die die neue Fuzo-Bezo mit Freiluftkomfort ausstatten. Die erste Mahü-Phase wurde bereits im Mai 2014 fertiggestellt, die zweite, von Kirchengasse bis Getreidemarkt, ist zurzeit in Bau und wird noch dieses Jahr fertig sein. Die Gesamtkosten betragen rund 25 Millionen Euro. Das granitsolide Insistieren auf die Konsumfreiheit ist keine hohle Phrase. Denn auch wenn in den Wortgefechten pro und contra Mahü immer wieder das Buzzword „flanieren“ ins Spiel gebracht wurde: Zwischen MQ und Westbahnhof geht es in erster Linie ums Shoppen. Das ändert sich auch nach der Umgestaltung nicht. mn

Donaukanal Wie man Nichtbebauung plant

or lauter Debatten wird leicht übersehen, dass im Schatten der Mahü V noch andere Freiraumprojekte entstehen.

Denn wenn Wien wächst, wächst auch der Druck auf den verfügbaren öffentlichen Raum. 2010 wurde der Masterplan für den Donaukanal beschlossen, darauf aufbauend wurden von den Architektinnen Gabu Heindl und Susann Kraupp Leitlinien für die Nutzung der beliebten Uferzone entwickelt. Besonderheit dieser „Donaukanalpartitur“ ist ein Nichtbebauungsplan: Hier geht es darum, Freiräume ohne kommerzielle Nutzung vorzuhalten. Breite Wege, Zugang zum Wasser sollen freigehalten, exklusive Raumnutzungen vermieden, konsumfreie Zonen erhalten werden. Nach rund zwei Jahren Arbeit sind die Leitlinien seit 2014 in Kraft. Die ersten Verteidigungskämpfe gegen Begehrlichkeiten werden bereits geschlagen: Auf der Wiese neben dem Otto-Wagner-Schützenhaus soll ein Lokal entstehen. Denn der Donaukanal, früher vernachlässigtes Stiefkind im Stadtraum, ist längst eine gastronomische Goldgrube. Der Betreiber argumentiert, er würde immerhin öffentliche WCs zur Verfügung stellen. Die Debatten um die Wiesen am Wasser laufen noch. mn

Mariahilfer Straße

F o t o s : T i l l n e r & W i l l i n g e r , X xx , S t a d t W i e n / b + b o r s o . p i t r o

Fuzo und Bezo im großen Stil

rünes Leitprojekt und KristallisaG tionspunkt teils hysterischer medialer Aufregung ist die inzwischen erfolgreich auf die Zielgerade gesetzte Verwandlung der Mariahilfer Straße in Fuzo und Bezo eindeutig das bekannteste, aber nicht das einzige Projekt der Stadt Wien, das sich dem öffentlichen Raum widmet. Und doch ist es exemplarisch: Transparente Planung, Reduzierung des Autoverkehrs, konsumfreier öffentlicher Raum – das waren die Ziele, die sich am Beispiel Mahü erstmals einem Reality Check unterzogen. Die Bevölkerung darf inzwischen als rundum informiert gelten. Kaum ein Begriff hat wohl seinen Bekanntheitsgrad in Wien in den letzten Jahren so vervielfacht wie „Begegnungszone“. Unter den vielen Anforderungen, die an den Entwurf zur Mahü beim Wettbewerb 2013 gestellt wurden, war neben der Berücksichtigung des Dialogverfahrens mit knapp 1000

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Brückenschlag am Wienfluss: Margareten und Mariahilf bekommen eine Terrasse über der U4

Heute noch grindige Restfläche, morgen schon Sitzkomfort mit Bahnhofsblick am Südtiroler Platz

Hier wird schon flaniert: Die neue Mahü ist seit 2014 im Reality-Check, Teil 2 folgt dieses Jahr nach

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Galerie der Denkbilder und kapitales Panorama

Die Stadt als biografischer Hintergrund

Romantisch, wertkonservativ, provokativ: Vittorio Magnano Lampugnanis überbordende Enzyklopädie zur Stadt des 20. Jahrhunderts

Rezension:

Rezension: S ebas t i a n K i e f er

B

erlin war nach der Wiedervereinigung nicht nur die größte Baustelle der Welt; zu fragen, wie diese Stadt gestaltet werden sollte, hieß hier immer auch zu fragen, was die deutsche Nation sein wollte. Und das taten die Deutschen fieberhaft. Nur deshalb konnte ein einziges, kurzes, 1993 im Spiegel platziertes Pamphlet zur Zukunft des Bauens die Öffentlichkeit über Monate erhitzen. Und das, obwohl der Beitrag inkonsistent, terminologisch unsauber und ideologisch zweifelhaft war. Der von Vittorio Magnago Lampugnani, seinerzeit Direktor des Deutschen Architekturmuseums, erhobene Vorwurf, die Postmoderne habe Urbanität zugunsten kurzlebiger, sensationeller Pointen geopfert, war schon damals alt. Noch älter war die Verdammung des klassischen Funktionalismus als urbanitätsfeindliche Tabula-rasaIdeologie, die gewachsene Innenstädte zugunsten toter Trabantenstädte und infernalischen Verkehrs vernichtet hat. Einfachheit, Ordnung, Klarheit, Dauer, Ruhe

– Lampugnani gab den wertkonservativen Provokateur, wie er damals schick zu werden begann. Dennoch war die von ihm ausgelöste, mehr als zehn Jahre dauernde publizistische Schlacht ein Modellfall für das Fragen nach der Rolle von Architektur in Moral und Geschichte. Ihre Rhetorik verbarg handfeste Interessen und sehr deutsche ideologische Traditionen. Immerhin trafen hier grundlegende Weisen, Urbanität zu deuten und zu legitimieren, geballt aufeinander. Die vielfach geäußerte Kritik am Pamphletisten Lampugnani darf allerdings niemals den viel begabteren der beiden öffentlich in Erscheinung tretenden Lampugnanis vergessen machen: den Historiker der modernen Stadt mit enzyklopädischem Blick und Wissen. Dieser hat seinem Verleger Klaus Wagenbach zum 80. Geburtstag eine grandiose Bilanz seines Forscherlebens geschenkt, eine Augenweide in Satz und Illustration mit einer Fülle seltener Originalpläne. Lampugnani stellt keine Entwicklung der tatsächlichen Urbanisierung dar, sondern errichtet erzählend eine Galerie einzelner Typen des Denkens und Entwerfens der „Stadt im 20. Jahrhundert“. Diese Jahrhundertbilanz kann gar kein Lehr-

gebäude sein, denn die großen Patent- und Gesamtlösungen sind allesamt gescheitert. Zurück bleibt eine Galerie der Denkbilder. Le Corbusier irrlichtert erwartungsgemäß wie der Geist des Bösen durch das Buch. Die Abrechnung mit seinem Größenwahn, die Menschheit neu zu zivilisieren, indem man das Gewachsene auslöscht und an seine Stelle eine neue, hygienische, seriell machbare und effektive Stadtwelt setzt, ist unerbittlich, aber begründet. Doch Le Corbusier, der „Meister“, wie ihn Lampugnani herablassend nennt, war bisweilen inkonsequent genug, schöpferische Abweichungen

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vom Marshallplan der „Charta von Athen“ zuzulassen und so einige Perlen des Bauens zu schaffen. Den Anfang des Bands macht die Gartenstadt, die Idee von einem Ausgleich zwischen Stadt und Land, vielleicht der grundlegendste Wohntraum des 20. Jahrhunderts. Doch die Gartenstadt war nur eine Variante der Arbeiter- und Angestelltensiedlungen, und diese wurden nicht von Revolutionären gebaut, sondern von paternalistischen (englischen) Fabriksbesitzern. Ein wertkonservativer Ironiker im Hintergrund scheint hier sagen zu wollen: Der grundlegendste Bautraum des 20. Jahrhunderts ist dem paternalistischen Fabrikantenethos entsprungen. Natürlich provoziert Lampugnani wieder freudig den piefig moralisierenden Common Sense und besteht darauf, dass die Dis­tanz des Enzyklopädisten nicht vor dem Architekturdenken der totalitären Regime haltmachen darf: Autobahnbrücken können, auch wenn der Bauherr der nationalsozialistische Staat ist, ihre Meister finden und dann sogar, ja, „schön“ sein. Regelrechte Triumphe feiert der Erzähler Lampugnani, wenn er dem sicherlich angemessen empörten deutschen Leser vorführt, wie Mussolini die klassische Moderne beinahe zur Staatsdoktrin erhoben hat – und es ihm gelingt, auch diese als Denktypus von möglicherweise eigenem Recht vorzuführen.

ma i k n o v o t n y

tädte in Glanzzeiten sind seit jeher ein S beliebter Topos, ob in Romanen, Filmen oder Analysen. Ist das Wesen des Urba-

Vittorio Magnago Lampugnani: Die Stadt im 20. Jahrhundert. Wagenbach, 2011, 960 S., € 131,60

Das geht peinlich schief bei der monströsen

Dass es sich bei den Protaganisten um hoch-

Città Universitaria Roms, und die kuriose Arena Flegrea Neapels „wunderbar“ zu nennen, ist kleinliche Provokationslust, doch Lampugnani kann mit Giuseppe Terragnis Casa del Fascio in Como aufwarten. Ihr Urheber wollte sie als archetypischen Ausdruck des Faschismus verstanden haben, doch sie ist ein Werk, das minimalistische Klassizität meisterhaft mit funktionalistischer Askese und Serialität versöhnt. Dieses Denkbild lehrt, ohne dass es ausgesprochen würde: Gebäude entwickeln ab einer gewissen Kunsthöhe ein Eigenleben gegenüber den Weltanschauungen ihrer Zeit und Urheber. Nichts anderes aber hatte Aldo Rossi, Lampugnanis wohl wichtigster Lehrmeister, behauptet. Er bestand deshalb auf „Permanenz“ als höchstes architektonisches Ziel, auf Solidität und auf ein Denken in elementaren „Typen“ der Raumgestaltung und Materialbehandlung. Lampugnani gibt seinem Lehrmeister nicht ideologisch Recht, sondern indem er erzählend dem verblüfften Leser dieses Autonomwerden vorführt. Man muss Lampugnanis kapitales Panorama

des Stadtdenkens also wohl selbst als romantisches Gesamtkunstwerk lesen: voller Subtexte, raffinierter Leitmotive, kunstgläubiger Empathie, grandios enzyklopädisch, aber auch knickrig und provokationslüstern. Vor allem aber insgeheim ironisch: im Umgang mit Heroen, mit der eigenen Rolle des distanzierten Universalisten und auch – manchmal – mit den eigenen Ressentiments. F

nen die Begegnung mit dem Unbekannten, sind Städte in ihrer Blütezeit von verstärkter Interaktion und Konfrontation geprägt. Gerade anhand der historischen Figuren, den „Einzelwesen in der Polis“, wie Rainer Metzger sie in seinem 2014 erschienenen Buch „Die Stadt“ nennt, spannt sich die Stadt zwischen physisch-sinnlich erlebtem Raum und dem System bürgerlichen Zusammenlebens auf: ein Dualismus, den die Griechen asty und polis, die Römer urbs und civitas nannten. Metzger beschreibt die Stadt als Hintergrund der Biografien historischer Persönlichkeiten – Sokrates in Athen, Horaz in Rom, Mozart in Wien. Oft sind es Protagonisten, die ihrer Zeit weit voraus waren. Sie geben die besten Zeitzeugen für Städte in Glanzzeiten und im Wandel ab. Es sind Beobachter und Flaneure, von Mäzenen aus der Oberschicht gefördert wie Horaz von seinem Förderer Gaius Maecenas vor 2000 Jahren oder der Künstler Bodys Isek Kingelez aus Kinshasa von der Fondation Cartier heute. So werden die Städte nicht nur in ihrer baulichen und sozialen Beschaffenheit, sondern auch als Künstlerbiotope porträtiert. Die spielerisch distanzierte Haltung des Flaneurs zeigt sich nicht nur an den Protagonisten, auch das Buch selbst ist durch und durch urban – wissend, leichtfüßig, vernetzend und kritisch.

Rainer Metzger: Die Stadt – vom antiken Athen bis zu den Megacitys. Eine Weltgeschichte in Geschichten. Brandstätter, 272 S., € 24,90

sensible Charaktere handelt, lässt durchaus auch komische Aspekte zutage treten. Denn diesen feinsinnigen Naturen liegen Wehleidigkeit und Schrulligkeit nicht fern. Etwa wenn Albrecht Dürer in seinen Briefen genauso über die miese Auftragslage jammert wie Mozart drei Jahrhunderte später in den seinen. Das ausführliche Tagebuch des Londoners Samuel Pepys, Zeitzeuge der doppelten Stadtkatastrophen Pest und Brand von 1665/1666, berichtet ebenso vom urbanen Leben in Zeiten von Zerstörung und Umbruch wie von der egoistischen Angst um den eigenen Besitz und den mittels unbeholfener französischer Ausdrücke äußerst unzureichend vor der Gattin getarnten Frauengeschichten. Dem gegenüber stehen ernstere Kapitel wie die Erforschung der Armenviertel von New York um 1900 durch den gebürtigen Dänen Jacob Riis, der sich auf seinen Wegen durch die Immigranten-Slums von Manhattan die damals noch junge Erfindung der Fotografie zunutze macht, zwischen Sozialkritik, Anteilnahme und Bloßstellung oszillierend. Dabei waren es gerade diese von Armut und Elend gezeichneten Städte, die gesamtwirtschaftlich boomten wie nie zuvor. „Die Stadt“ liefert die Erkenntnis, dass uns im Wandel der Städte der urbane Geist stets erhalten bleibt. So lässig, wie Sokrates einst durch Athen flanierte und Horaz das spatiare praktizierte, bewegen sich heute die in Designerkleidung aus dem Secondhandshop gewandteten Sapeurs durch Kinshasa. Der Flaneur stirbt niemals aus. F

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B ü c h e r   S t a d t p l a n u n g

F A L T ER

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Macht, Millionen, Motorways

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ORD TO CITY: DROP DEAD!“ titelte in gigantischen Lettern die USZeitung Daily News am 30. Oktober 1975. Die heute legendäre Schlagzeile kündete vom Niedergang einer Stadt: New York stand kurz vor dem Bankrott, Kriminalität und Ruinen herrschten in Manhattan und der Bronx, die Brücken von Stadtautobahnen bröselten und fielen zusammen. Der inkriminierte Präsident Gerald Ford war jedoch weit weniger schuld an der Misere als jener Mann, der wie kein anderer im 20. Jahrhundert die Geschicke einer Stadt kontrollierte: Robert Moses (1888–1981). Von den 1920er- bis 1960er-Jahren war er, obwohl nie demokratisch in ein Amt gewählt, mit enormer Macht in der New Yorker Stadtplanung ausgestattet, die er stets auszubauen wusste. Zeitgenossen nannten ihn den „Master Builder“.

Robert Moses prägte New York 50 Jahre lang wie kaum je ein Planer eine Stadt. Eine Biografie wie ein Krimi

Planerteam konzipierte Highways brachten die großstadtgestressten New Yorker an die zuvor unerschlossenen Strände von Long Island – mitten durch die Landsitze einflussreicher Ostküstendynastien, gegen die Moses jeden Enteignungs-Machtkampf gewann. Dabei war er keineswegs ein Fürsprecher der unteren Schichten. Bis heute hält sich das Gerücht, er habe die Brücken über seine Autobahnen absichtlich so niedrig planen lassen, dass keine Linienbusse darunterpassten.

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Berüchtigt dafür, in Nebensätzen umfang-

m a i k novotny

Dabei begann die Karriere des aus einer wohl-

habenden jüdischen Familie stammenden, ebenso sportlichen wie hochintelligenten Moses eher langsam: Bis zu seinem 30. Lebensjahr arbeitete er rund um die Uhr in der Verwaltung, verdiente aber fast nichts. Doch bald begannen die Netzwerke, die er mit einflussreichen Politikern und Mäzeninnen der New Yorker Politmaschinerie geknüpft hatte, sich auszuzahlen. Und mit dem Siegeszug des Autos in den fordistischen 1920er-Jahren begann auch sein Triumph, und das, obwohl er selbst nie am Steuer saß. Zahllose von ihm und seinem ergebenen

Robert Caro The Power Broker: Robert Moses and the Fall of New York. Vintage Books, 1974 (bisher nicht auf Deutsch erschienen)

reicher Gesetze, die sich niemand genau durchlas, unverfängliche Formulierungen einzubauen, die ihm genau das ermöglichten, was er wollte, verlieh sich Moses seine Macht selbst. Er baute die „Public Authorities“, denen Straßen und Brücken unterstanden, zu Monopolen auf, deren MautMillionen Moses ein ideales Erpressungsmittel gegen störrische Beamte und Bürgermeister in die Hand gaben. Wenn ihm ein solcher seinen Willen verwehrte, drohte der zum Jähzorn neigende Moses regelmäßig mit seinem sofortigen Rücktritt. Eine ganze Reihe von Bürgermeistern hielt er so in Schach. Er war ein Staat in der Stadt, mit der Machtzentrale in einem schmucklosen Bürogebäude auf einer Insel an der Triborough Bridge. Er war weit über 70, als er sich schließlich durch massiv unpopuläre Projekte wie Radikalbereinigung der Armenviertel, den Mid-Manhattan Expressway quer durchs

Herz der Stadt und die desaströse Planung für die Weltausstellung 1964 ins Abseits manövrierte. Die Millionen versiegten, und bald konnte sich die Stadt den Unterhalt der Moses-Autobahnen nicht mehr leisten. Dennoch war es erst Robert Caros 1974 er-

schienene monumentale Biografie „The Power Broker“, die den bis dahin ebenso gefürchteten wie bewunderten Macher Moses vom Sockel stieß. Das über 1300 Seiten lange, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Buch, eine Tour de Force akribischer Recherche, liest sich als atemberaubendes Amalgam aus Zeitgeschichte, Psychogramm und Politkrimi und gibt Einblick in die Mechanismen der Stadtplanung. Gleichzeitig ist es eine Biografie der Stadt New York zwischen Aufstieg, Wirtschaftskrise, Nachkriegseuphorie und Niedergang. Dabei ist Caro bei aller scharfen Kritik durchaus fair gegenüber den Errungenschaften des mächtigen Stadtplaners. Moses selbst hatte dennoch jedes Gespräch mit Caro verweigert. Heute wird Moses’ Lebensleistung von vielen wieder in positiverem Licht gesehen – immerhin hatte der permanent arbeitende Planer, der wenig Zeit für persönlichen Wohlstand hatte, seinen Willen zur Macht in den Dienst der Sache gestellt, wenn diese auch oft fragwürdig und stadtzerstörerisch war. Eine Verfilmung von Moses’ Lebensgeschichte durch Oliver Stone wird seit mehreren Jahren ­angekündigt – episch genug ist diese allemal. F

Dicht bebaut ist die Stadt erst lebenswert

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s besteht wohl kein Zweifel darüber, dass die Mehrzahl der Menschen lieber in einer Großstadt wohnt als auf dem Land. Erwerb, gesellschaftliche Stellung, Komfort, Luxus, Zeitvertreib im guten wie im schlechten Sinne und schließlich die Kunst sind Motive dieser Erscheinung.” Der Mann, der sich hier für großstädtische Urbanität in die Bresche wirft, heißt Otto Wagner und hat als Architekt und Stadtbaudirektor in Wien wie kein anderer alles dafür getan, die genannten Vorteile des Metropolenlebens zu vermehren. Von der Genialität, mit der Wagner den Ingenieursgeist enormer Infrastrukturprojekte wie Stadtbahn und Wienflussregulierung mit der repräsentativen StadtbürgerEleganz seiner Architektur verband, profitiert Wien jetzt noch. Heute wird in den Wiener Stadterweiterungsgebieten wieder auf Stadtblocks mit hoher Dichte gesetzt. Nicht nur weil man die Tausenden Zuzügler pro Jahr ja irgendwo unterbringen muss, sondern weil es ein bewährtes Modell ist. Dichte Städte haben kürzere Wege, die man ohne Auto zurücklegen kann, verschwenden weniger Platz, haben die bessere Kultur und die besseren Shops, weil auf engem Raum mehr Leute wohnen, die sich für diese Dinge interessieren. Dabei war das nicht immer so. Kaum waren die Städte zu Zeiten der Industrialisierung explosionsartig gewachsen, begannen die Debatten zwischen denen, die vom Urbanen fasziniert und denen, die da-

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Wolfgang Sonne charakterisiert die Dichte als Essenz erfolgreicher Urbanität und Lebensqualität R ezens i on : M a i k N ovotny

von abgestoßen waren. Auf diese Gründerzeitdebatten folgte der moderne Städtebau, der Arbeits- und Wohnstadt säuberlich voneinander trennte, und den Zwischenraum mit Parks und Schnellstraßen füllte. Heute gilt Verdichtung längst wieder als Grundzutat der Urbanität. Beziehungsweise, wie es das massive Werk “Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts” von Wolfgang Sonne postuliert, tat sie das schon immer. In seinem 2014 erschienenen Werk zeichnet Sonne die Geschichte der Urbanität seit dem Ende des 19.Jahrhunderts nach. Darin setzt er dem lange Zeit gültigen, von sau-

Wolfgang Sonne: Urbanität und Dichte in der Stadt des 20. Jahrhunderts. DOM Publishers, 2014, 360 S., € 100,80

beren Schnitten geteilten 3-Phasen-Modell (Gründerzeit gut, Moderne böse, Postmoderne gut) ein Kontinuum entgegen. Sonnes These: Die dicht bebaute, komplexe Stadt hatte zu jeder Zeit ebenso ihre Befürworter wie die aufgelockerte moderne, und die Faszination für Straße, Gasse, Platz und Hinterhof ist seit jeher ungebrochen. Der Streit darüber, was “Urbanismus” genau bedeutet und ob und wann er etwas Gutes ist, ist inzwischen gut 120 Jahre alt, und die Kritik an den Heilsversprechen der Moderne ist so alt wie diese selbst. Fazit: Die dicht bebaute, komplexe Stadt hatte zu jeder Zeit ebenso ihre Gegner und Befürworter wie die aufgelockerte moderne, und die Faszination für Gasse, Platz und Hinterhof ist seit jeher ungebrochen. Der Streit darüber, was “Urbanismus” genau bedeutet und ob und wann er etwas Gutes ist,

ist inzwischen gut 120 Jahre alt, und die Kritik an den Heilsversprechen der Moderne ist so alt wie diese selbst. In London, Mailand, Paris, Amsterdam und Skandinavien baute man in der heraufdämmernden Moderne der 1920er Jahre ungerührt mit den bewährten Bausteinen Straße, Platz und Block an der Stadt weiter. Sogar ein sorgfältig platziertes Hochhaus durfte dabei sein. Ein ganzes Kapitel ist diesem gewidmet: der mit maximalem Wow-Effekt in die Straßen Manhattans hineingesetzten dünnen Scheibe des Rockefeller Center oder den “urbanisierten Wolkenkratzern” in Stockholm, Düsseldorf und Moskau. Die Gemeindebauten des Roten Wien, die in Sonnes Buch ausführlich beschrieben werden, sind wiederum ganz eigene Paradebeispiele für die langlebige Erfolgsgeschichte urbaner Dichte. Auch als nach dem Zweiten Weltkrieg der Massenwohnungsbau richtig durchstartete, gab es Gegenstimmen wie Gegenmodelle. Wenige Jahre später begannen die ernsthaften Stadtreparaturen in den dicht bebauten und heute von Bürgern wie Developern geliebten dicht bebauten Innenstädten. Heute assoziiert man mit dem Wort “urban” keine chaotischen Dystopien mehr, es ist als Wohlfühlwort sowohl in Stadtentwicklungsplänen als auch in Marketingbroschüren der Immobilienbranche zu Hause. Als fundiertes und prachtvoll illustriertes Kompendium von über einem Jahrhundert Stadtfaszination ist “Urbanität und Dichte” für Stadtplaner ebenso lesenswert wie für Laien. F

06.05.2015 9:57:39 Uhr


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F A L T E R

S t a d t p l a n u n g   B ü c h er

Von Beton bis Bobo, Spaß miteingeschlossen

Die literarische Essenz des Urbanen

Eine Lesetour durch die Stadt des 20. Jahrhunderts: Die Standards der Städtebauliteratur im subjektiven Schnelldurchlauf

R e z e n sio n :

R e z e n sio n : M ai k No v o t n y

W

er sich umfangreiches Wissen über die Geschichte des Städtebaus aneignen will, dem sei ein entsprechendes mehrjähriges Studium empfohlen. Wem dazu die Zeit fehlt, der kann zumindest aus dieser Kurzauswahl von Literatur zur Stadt des 20. Jahrhunderts etwas Nützliches für den nächsten Städteurlaub finden. Eines der ersten Standardwerke erschien fast pünktlich zur letzten Jahrhundertwende: Ebenezer Howards „Garden Cities of Tomorrow“ (1902). Der von sozialreformatorischen Gedanken geprägte, pazifistische Esperanto-Fan Howard propagiert darin die Gartenstadt als Hybrid zwischen Stadt und Land als das Beste beider Welten und schuf in seinen schematischen Layouts ringförmig angelegter Städte die Grundlage für britische Gartenstädte wie Letchworth und Welwyn und die Gartenstadt Hellerau bei Dresden. Echos seiner Ideen finden sich im ganzen Jahrhundert, von der Ökound Friedensbewegung bis zu den Stadtneugründungen der Nachkriegszeit. Als Antipode zur grünen Idylle kann Bauhaus-

Professor Ludwig Hilberseimer gelten, der in „Großstadtarchitektur“ 1927 die Forderung nach der Identität von Konstruktion und Form stellte und Stahl, Glas und Beton als ideale Baustoffe für die Großstadt pries, fern von „unarchitektonischen dekorativen Phantastereien“. Dennoch war Hilberseimer keineswegs ein stahlharter Technokrat, ihm ging es um die Sensibilität für das richtige Mittel zum richtigen Zweck. Seine von horizontalen Linien geprägten Idealstadtbilder wurden später dennoch zur Ikone der gesichtslosen modernen Stadt. Genau diese bekämpfte eine Generation später der Publizist Wolf Jobst Siedler. Sein Buch „Die gemordete Stadt“ war 1964 eines der ersten, das die Zerstörung der Gründerzeitviertel beklagte, deren Altbau-Ornamente nach dem Krieg als hässlich und nutzlos galten und deren nach der Stadtbaukunst des 19.Jahrhunderts angelegte Plätze und Alleen den freien, oft überdimensionierten Räumen der Moderne geopfert wurden. Einerseits trug Siedlers polemische Nostalgie ihm den Ruf eines Vorläufers der Grünen ein, andererseits bekam er Beifall von altpreußisch-konservativer Seite, die heute im steinernen Nachwende-Berlin mit dem Frankenstein-Monstrum des rekonstruierten Stadtschlosses wieder Oberwasser hat. Ein Jahr später schlug der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in eine ähnliche Kerbe, doch aus entgegengesetzter Richtung, nämlich von links. In seinem 1965 erschienenen kurzen Pamphlet „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ kritisierte er die moderne Stadt der Nachkriegsjahre als gesichtslos und gleichförmig, ohne Möglichkeit, dem Großstädter Heimat und Identifikation zu bieten. Profitgier und Konkurrenzgesellschaft verhinderten zudem engere soziale Kontakte – die Wurzel allen Übels sah Mitscherlich, im Unterschied zu

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Wolf Jobst Siedler, im Privateigentum. Kein Wunder, dass sein Buch vor allem von den 68ern in höchsten Tönen gelobt wurde. Ganz anders, nämlich absolut euphorisiert und fasziniert, näherte sich der niederländische Architekt Rem Koolhaas der Stadt. Sein 1978 erschienenes Werk „Delirious New York“ (siehe auch sein Porträt auf Seite 16) versuchte den Regeln des in den 100 Jahren zuvor nach eigenen Gesetzen gewachsenen New York auf die Spur zu kommen. „Manhattan“, schreibt Koolhaas, „ist der Stein von Rosette des 20. Jahrhunderts, voller architektonischer Mutationen, utopischer Fragmente und irrationaler Phänomene.“ Koolhaas, der seine Laufbahn als Journalist begann, vermischt Geschichtsforschung, Erzählung und architektonische Analysen, sein Buch ist bis heute enorm einflussreich und legte den Grundstein für die steile Karriere des Autors zum globalen Stararchitekten. Eines der prägendsten Bücher zumindest im deutschsprachigen Stadtdiskurs der 1990er-Jahre ist zweifellos Thomas Sieverts‘ 1997 erschienenes „Zwischenstadt“. Darin widmet er sich einem bis dahin weitgehend ignorierten Phänomen: dem Urban Sprawl, also der Ausuferung der Städte ins Land, in deren Schnittmenge ein amorphes „Weder-noch“ entsteht, ein planloses Meer an Suburbs, und das nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Ballungsräumen wie Frankfurt am Main.

M ai k No v o t n y

Ebenezer Howard Garden Cities of Tomorrow (1902) Ludwig Hilberseimer Großstadt­ architektur (1927) Wolf Jobst Siedler Die gemordete Stadt (1964) Alexander Mitscherlich Die Unwirtlichkeit unserer Städte: Anstiftung zum Unfrieden (1965) Thomas Sieverts Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land (1997) Richard Florida The Rise of the Creative Class (2002) Rachael Antony, Joel Henry (Hg.) The Lonely Planet Guide to Experi­ mental Travel (2005)

Wenn es ein urbanistisches Werk gibt, das die

Nullerjahre am besten widerspiegelt, dann ist es zweifellos Richard Floridas 2002 erschienene Bobo-Bibel „The Rise of the Creative Class“, mit der vielfach reproduzierten und von Stadtoberen gierig aufgesaugten Rezeptformel, wonach Städte, in denen kreative und innovative Jobs entstehen und sich Künstlerinnen, Designer und Wissenschaftler ansiedeln, ökonomisch im Vorteil seien, da die kreative Klasse einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren sei. Kritiker seiner Theorie monierten verkehrt aufgezäumte Kausalketten, ungenaue Statistiken und vage Definitionen (so zählt der Autor etwa auch Finanzmakler zu den Kreativen), doch das Buch wurde zur Bestseller-Blaupause der Bohemiens von Williamsburg bis ­Mariahilf und trug wesentlich zur bis heute andauernden Gentrifizierungsdebatte bei. Ist der Kopf nun schwer vom theoretischurbanistischen Überbau, dann hier zum Schluss etwas Spaß aus der urbanen Praxis: „The Lonely Planet Guide to Experimental Travel“ (erschienen 2005) ist auf jede beliebige Stadt anwendbar. Inspiriert von den aufs Spontan-Unbewusste zielenden Strategien der Situationisten der 1960er-Jahre um Guy Debord schlägt der liebevoll illustrierte Reiseführer 40 Experimente für ungewohnte urbane Erfahrungen vor: sich einen Hund leihen und von ihm durch die Stadt ziehen lassen, 24 Stunden am Flughafen verbringen, ohne wegzufliegen, sich als Backpacker-Tourist durch den Heimatort bewegen, getrennt vom Partner in ­dieselbe Stadt reisen und sich dort zu treffen versuchen oder schlicht und einfach: würfeln. F

Italo Calvino: Die unsichtbaren Städte. Fischer, 172 S., € 10,30 (im Original 1972 erschienen)

Jonathan Raban: Soft City. Picador, 256 S. (zuerst erschienen 1974, wiederver­ öffentlicht 1998, bislang nicht ins Deutsche übersetzt)

ohl eines der schönsten Bücher, das W je über Städte geschrieben wurde, ist eine eigenartige Hybride: „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino, 1972 erschienen, trägt zwar den Titel Roman, ist aber eher eine Reihe kostbarer, dicht aneinandergefügter Miniaturen. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der der Reisende Marco Polo dem Herrscher Kublai Khan insgesamt 55 kurze Geschichten von fiktiven Städten erzählt, werden diese zu kristallinen Gleichnissen, Annäherungen an das Wesen der Stadt selbst. Oft nur wenige Sätze lang, beschreiben die Porträts Städte wie Despina, Anastasia und Eufemia und lassen immer die Frage mitschwingen, ob und wie sich Städte überhaupt beschreiben lassen. Jede Stadt ist ein Archetyp, eine steht auf Stelzen, eine andere wächst konzentrisch, wieder eine andere korrespondiert mit Planetenbahnen. Nicht weniger archetypisch und sonderbar sind die Bewohner dieser Städte. Für Kublai Khan, den Herrscher, der sich bewusst ist, dass sein Reich eines Tages zerfallen wird, sind Marco Polos Schilderungen von Städten als ewige Konstanten Unterhaltung und Trost zugleich. Eine narrative Zwischenwelt, die in ihrer fast surrealen, scharf gestochenen Unschärfe an Werke von Jorge Luis Borges erinnert, und eine Hommage an die Stadt als unsterbliches Wesen. Fast gleichzeitig erschienen und doch in einer völlig anderen, viel realeren Welt beheimatet, ist Jonathan Rabans Buch „Soft City“ dennoch ebenso eine Hybride. Raban erzählt die urbane Realität Londons in den frühen 1970er-Jahren, zwischen Hippie-Kultur und viktorianischen Resten des Weltreiches. Empirisch und analytisch, ironisch und mitfühlend, beschreibt der Autor die Veränderungen seiner Stadt mit Blick fürs Detail und ordnet sie in das Gesamtbild ein.

Weder Roman noch Sachbuch, ist „Soft City“ aus heutiger Sicht oft geradezu prophetisch: Jahrzehnte bevor alle Welt von Gentrifizierung redet, beobachtet Raban, wie sich Slums wie Kentish Town dank hipper urbaner Jugend zu begehrten Vierteln wandeln. Stadtbewohner wie Angela, Liz und Michael treten auf, und die Frage, wo sie herkommen und in welcher Gegend sie wohnen, erzählt mehr über die Stadt als trockene Statistiken zur Demografie es vermögen. Klassen vermischen sich, werden durchlässig, Exotisches wird zum neuen Statussymbol, und plötzlich hängt über jedem WohngemeinschaftsFlokati ein marokkanischer Vogelkäfig. Aus einem Nährboden aus Popkultur, Underground und Esoterik entsteht eine neue soziale Schicht, eine junge Elite, die noch nichts von ihrem Elitismus weiß und die Jahre später, nach dem Erscheinen des Buches, nicht nur in London das Establishment dominieren wird. Eine heute noch mit Gewinn lesbare, souverän erzählte und erstaunlich hellsichtige Momentaufnahme einer Stadt im Wandel, eine genaue Großstadtbeobachtung ohne Fachvokabular und literarische Überfrachtung. Jemand sollte dringend ein zeitgenössisches Remake davon schreiben. F

06.05.2015 9:57:40 Uhr


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06.05.2015 9:08:24 Uhr


„Stadtplanung hat mit Erklären, Zuhören, Nachjustieren und mit Dialog zu tun“ T H O M A S M A D R EI T ER , P L A N U N G S D I R EK TO R D ER S TA D T W I EN , S EI T E 32

64_Stadtplanung 64

06.05.2015 9:58:12 Uhr


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