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RACE REPORT

DAMIAN CUDLIN


KRIMI AM Text  Damian Cudlin, übersetzt von Michael „Bundy“ Roth  Illustration  Moritz Blumentritt

SACHSENRING


RACE REPORT

DAMIAN CUDLIN

1992 gewann Mick Doohan den australischen 500er Grand Prix. Nach einer wilden Schlacht mit dem Amerikaner Wayne Rainey zog Doohan das Tempo gnadenlos an und fuhr bis zur karierten Flagge einen Vorsprung von sieben Sekunden heraus. Ich war unter den jubelnden Zuschauern, als er an jenem für mich so bedeutsamen Tag auf dem Hinterrad über die Ziellinie raste, und obwohl ich damals erst neun Jahre alt war, wollte ich seitdem ein Grand-Prix-Rennfahrer sein. In den 18 Jahren, die seit jenem Tag ins Land gezogen sind, war meine RacingKarriere gespickt von Hochs und Tiefs. Meistens war das Leben hart, manchmal aber auch erfolgreich. Während der Traum, eines Tages Grand-Prix-Rennen zu fahren, immer präsent war, holten mich die Realitäten des Lebens doch immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Eben ein Traum. Rechnungen, eine Hypothek, fehlende Sponsoren und der falsche Pass haben Aussies wie mich schon seit jeher von den großen Möglichkeiten fern gehalten, die in dieser modernen Ära unseres Sports auf einen warten (können). Während es immer noch wichtig ist, schnell zu sein, ist die traurige Wahrheit, dass es nicht immer die Hauptsache ist. Während dieser Zeit konnte ich glücklicher­ weise ein paar internationale Rennen fahren, mir die Bikes aus den diversen Weltmeister­ schaften anschauen, und manchmal durch meine Kontakte ein Fahrerlager-Ticket für den Heim-Grand-Prix abstauben. Das änderte sich alles, als ich einen Anruf von Sito Pons bekam ...

ES KOMMT NUR DARAUF AN, WEN DU KENNST

Im Jahr 2008, als ich in der Internationalen Deutschen Meisterschaft IDM unterwegs war, bekam ich von der deutschen Firma „KALEX“ einen Job. Ich sollte gemeinsam mit den Ingenieuren das AV1-Chassis entwickeln und wurde offizieller Testfahrer. Während dieser Zeit lernte ich viel über Fahrwerksentwicklung, verbesserte die Performance der AV1 dra­ matisch – und das Wichtigste, es entstand eine starke und freundschaftliche Verbindung mit KALEX. 2009 begann man damit, Fahrwerke für die Moto2-Weltmeisterschaft zu bauen, und im November kam die erste Bestellung vom „Tenerife Team 40“ des ehemaligen Weltmeisters Sito Pons. Die Firma KALEX war jetzt ein Teil des Grand-Prix-Geschäfts. Das Thema, das Moto2-Chassis als Testfahrer für KALEX zu entwickeln, kam im Laufe dieses

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Jahres auf den Tisch, aber wegen limitierter Finanzmittel war man auf das Feedback der beiden Fahrer angewiesen, die bei Sito Pons unter Vertrag standen – Sergio Gadea und Sitos Sohn Axel. Da beide Spanier waren und aus der 125er-Klasse kamen, war die Entwicklungs­ arbeit nicht einfach, und KALEX wollte mich unbedingt auf die eine oder andere Art auf das Motorrad setzen. Eine Wildcard für den deutschen WM-Lauf am Sachsenring kam ins Spiel, aber da das nötige Sponsorgeld immer schwieriger aufzutreiben war, ging die Wildcard an den deutschen Fahrer Sascha Hommel, der eine 50.000-€-Mitgift für dieses Privileg mitbrachte. Damit hatte es die Politik mal wieder (wie schon so oft) geschafft, mich von einem geilen Motorrad zu kippen. Die IDM würde mir zunächst genügen müssen ...

SIE HABEN EINE NEUE NACHRICHT

Ich kam nach dem IDM-Supersport-Rennen am Salzburgring zu meinem Wohnwagen zurück und sah auf dem Display meines Handys, dass ich drei Anrufe von Alex Baumgärtel, einem Miteigentümer von KALEX, verpasst hatte. Ich hatte außerdem eine SMS bekommen, in der stand: „Axel ist verletzt und wir würden Dich gerne mal das Moto2-Motorrad testen lassen. Hast Du morgen schon was vor?” Obwohl ich mir eigentlich ein paar Wiederholungen von Teila Tequila’s „A Shot of Love“ auf MTV reinziehen wollte, beschloss ich, ihn anzurufen und der Sache auf den Grund zu gehen. Am nächs­ten Morgen saß ich im Flugzeug nach Spanien. Axel hatte sich bei einem Crash in Assen beide Arme gebrochen und das Team war ver­ pflichtet, an den offiziellen IRTA-Tests in Aragon/Spanien teilzunehmen. Der Plan war folgender: Ich sollte statt Axel dort fahren und dem Team und KALEX so viel Feedback wie möglich geben, um ihr Chassis weiter ver­ bessern zu können. Ich hatte dabei absolut keinen Druck. Ich war dort als „Test-“fahrer, um meinen Job zu machen und diese Erfahrung zu genießen, und genau das hab ich auch getan. Ich habe verschiedene Offsets, Lenkkopf­

winkel, Schwingen, Lager und Anlenkungen probiert – einfach ALLES, was fahrwerks­ technisch gemacht werden kann. Am Ende des zweiten Tages baute das Team mein „erfah­ renes“ Setting bei Gadea ein, der damit dann seine mit Abstand schnellste Zeit hinlegte. Ich hatte meine Sache wohl gut gemacht. Sito bemerkte, dass dieser EntwicklungsTestfahrer aus Australien anscheinend doch ein bisschen mehr draufhat, und war sehr überrascht, mich auf Platz 17 der Zeitenliste zu sehen, nur 0,3 Sekunden hinter seinem einheimischen Stammfahrer Gadea. „Wir sollten in Kontakt bleiben, Damian. Vielleicht können wir eines Tages mal zusammen­ arbeiten“, sagte Sito, als er mich beim AirportHotel absetzte. „Das hoffe ich, Kumpel. Das würde mir sehr gefallen“, antwortete ich. Ich würde einfach abwarten und darauf vertrauen, dass Träume manchmal wahr werden ... Am folgenden Wochenende holten meine Frau Amy und ich unsere Freundin Abbey ab, die aus Australien rübergeflogen war und als Back­ packerin durch Europa ziehen wollte. Wir trafen uns in Wien und schlugen in einem austra­ lischen Pub im Zentrum auf. Ohne konkrete Pläne für die kommenden beiden Wochen tat ich, was ein echter Sportler in so einem Fall immer tut: ich hab mich total besoffen. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem Kopf auf, der dicker war als ein schwangeres Nashorn, während aus meinem iPhone die liebliche Titelmelodie von Benny Hill erklang. Ich schielte auf das Display und sah, wer mich da anrief. Ich zitterte und fiel fast aus dem Bett. Es war Sito Pons. „Hi Sito, wie geht’s Dir, Kumpel?“, stotterte ich nervös in den Hörer. „Mir geht’s gut, Damo. Ich hätte da mal ’ne kurze Frage an Dich. Würdest Du gern nächstes Wochenende beim deutschen Grand Prix auf dem Sachsenring für uns fahren?“, antwortete er mit seiner ruhigen, spanischen Stimme. „Klar, ich würd’ natürlich sehr gerne für Dich fahren, mein Freund!“ Ich


Ein 체berraschender Anruf am Morgen!

Die Zeit dr채ngt und der Sachsenring ist weit.

Nicht jeder freute sich 체ber Damian ...


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DAMIAN CUDLIN

Damian hat Schwierigkeiten.

war mir ziemlich sicher, dass ich mein kollabierendes Herzflimmern mit meiner besten Barry-White-Personifikation gut verborgen hatte. „Sehr gut“, sagte Sito, „dann werd ich jetzt noch ein paar Anrufe machen und mich dann nochmal bei Dir melden.“ Er legte auf. Ich saß wie ein Häufchen Elend mit einer Mischung aus Schock, Nervosität und Aufregung auf der Bettkante und schaute mich um. Ich sah ein nicht gerade sehr ordent­liches Hotelzimmer und zwei halb­nackte, verkaterte Frauen, von denen die eine Amy war. „Hey Mädels“, flüsterte ich, „ich glaube ich werd nächstes Wochenende den deutschen Grand Prix fahren. FUCK!“

START YOUR ENGINES!

Nachdem ich gefühlte Dekaden später die Bestätigung von Sito erhalten hatte, kamen die

Mädels mit Maßbändern vom Supermarkt zurück und machten sich an die Vermessung meines Astralkörpers. Der Schneider meiner maßgefertigten AlpinestarsLederkombi, die ich beim Grand Prix von Deutschland tragen sollte, brauchte schnellst­ möglich meine Maße. Dann folgte noch ein kurzer Trip zurück in unsere Homebase in Österreich, wo wir alles zusammenpackten, was wir für die 900-km-Reise nach Deutsch­

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land brauchten, und es in unseren geliehenen 1990er Mazda 626 schmissen. Noch ein schneller Öl- und Wasser-Check, eine Dose Red Bull in den Hals gekippt, und wir waren auf dem Weg zum Sachsenring. Ich hab auf der Fahrt eins festgestellt – es war brutal heiß! Dies wurde durch die Tatsache, dass unser Mazda keine Klimaanlage hatte, noch intensiviert. Obwohl wir die einzigen auf der Autobahn waren, die laut singend in Unter­wäsche im Auto saßen, kamen wir heil am Sachsenring an und schafften es sogar, ohne jegliche Eintrittskarten ins Fahrerlager zu kommen (dies könnte wiederum auch mit der spärlichen Bekleidung der Mädels zu tun gehabt haben ...). Wir trafen all die Leute aus dem Team wieder, mit denen ich schon in der vergangenen Woche zusammengearbeitet hatte, und alle schienen sich sehr zu freuen, mich zu sehen. Nun, alle außer Sergio Gadea. Vom Augenblick meiner Ankunft bis zu meiner Abreise schaute er mich kein einziges Mal auch nur von der Seite an, und er wechselte kein einziges Wort mit mir. Nichts. Das kam mir aber sehr gelegen, weil ich somit nicht in die Verlegenheit kam, ständig erklären zu müssen, wie ein Didgeridoo funktioniert, oder vorgeben zu müssen, dass ich ein totaler Fan von Stier­kämpfen bin. Ich wusste auch, dass das bedeutete, dass er Angst vor mir hatte. Gut. Ich ging ein paar technische Details mit dem Team durch und machte einen Plan für das morgige erste freie Training, dann noch ein bisschen Papierkram – und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich morgen in der Moto2 fahren würde. Schön. Wir zogen uns zeitig in unser

Hotelzimmer in Chemnitz zurück, aber als ich versuchte, einzuschlafen, mit all den endlosen Gedanken daran, was da vor mir lag, bemerkte ich etwas sehr Beunruhigendes. Draußen herrschten 34 °C und mein Zimmer hatte keine Klimaanlage. Ducati hatte jedes einzelne klimatisierte Zimmer des Hotels, ja wahr­ scheinlich der ganzen Stadt, reserviert, und das war das einzige, das noch zu kriegen war. Nach­dem über 220.000 Tickets für den Grand Prix verkauft worden waren, wunderte mich das kein bisschen. Am Morgen erwachte ich in einer Schweißlache und war durstiger als ein Taliban-Kamel. Ich nahm auf meinem Weg zur Strecke eine Flasche Powerade auf ex – in der Sauna, die sich Mazda nannte – und als ich ankam, sah ich ein bisschen aus wie ein HobbyRadfahrer nach der Bergankunft einer Tour-deFrance-Etappe. Gott sei Dank war der TeamTruck klimatisiert, und als ich in mein Leder schlüpfte, war der drohende Hitzschlag abgewendet. Ich war mir sicher, dass Valentino vor dem Training dieselben Herausforderungen zu meistern hatte. Im ersten freien Training ließ ich denselben Reifensatz bis zum Ende drauf und konzen­ trierte mich darauf, wieder eins zu werden mit dem Moto2-Bike und mich daran zu gewöhnen, wie es sich auf diesem Kurs verhielt. Ich wusste ziemlich schnell, dass mein Tempo nicht ganz schlecht war, und ich beendete das Training auf Position 13. Ich war mir sicher, dass ich nach ein paar kleineren Anpassungen noch schneller fahren könnte, und machte mich sofort daran, die Unmenge an Daten zu analysieren, die mir die Techniker lieferten. Eins war mir sofort klar: Mein Gewicht war ein


Verd...! Ich Idiot.

Handicap. Ich war mit 68 kg in diese Schlacht gezogen – so leicht war ich seit 20 Jahren nicht mehr gewesen – bemerkte aber einen mas­si­ven Mangel an Beschleunigung verglichen mit den Daten von Gadea, dessen hobbitartiges Gerippe genau 55 kg auf die Waage bringt. Ich war gezwungen, meine Übersetzung zu ändern, viel kürzer als seine, um die Be­schleu­ nigung zu verbessern, wodurch ich aber massig Topspeed opfern musste. Die Übersetzungs- und Fahrwerksänderungen stellten sich als goldrichtig heraus, ich gewann mehr Vertrauen zur Front des Motorrads und wurde trotz meines Gewichtsproblems immer schneller. Am Ende des zweiten freien Trai­­nings hatte ich mich auf die sechste Position vor­­gearbeitet, und, was noch viel wichtiger war, ich war vor Gadea. Als ich in die Box rollte, wartete die Presse schon auf mich, und nach einem kurzen Team-Briefing verbrachte ich die nächsten Stunden damit, Interviews zu geben. Erst als ich mich dann kurz in den Truck stehlen konnte, um die Kombi auszuziehen, konnte ich mir die Ergebnislisten in Ruhe anschauen und sah, welche Namen da unter meinem standen. Ich muss zugeben, dass ich danach wie Disco Stu von den Simpsons zum Auto zurückging. Das fühlte sich ziemlich gut an. Ich winkte sogar Toni Elias kurz zu, während ich ihm

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zusah, wie er in seinen Porsche Carrera stieg, der neben meinem rostigen, roten Mazda stand. „Wir sehen uns morgen, Toni”, rief ich ihm grinsend zu, als ich den monströsen Industrie-Ventilator in den Kofferraum hievte, den ich im Hotelzimmer auf­ stellen wollte. Er grinste und winkte zurück – mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der einen Furz in der Kirche zurückzuhalten versucht. Unbezahlbar. Nach einem leckeren Essen und einer Nacht vor dem Riesenventilator war ich bereit fürs Qualifying und hoffte, in der Liste noch weiter nach oben klettern zu können. Die einzige Kleinigkeit, die ich nicht bedacht hatte, waren die taktischen Spielchen, die die Moto2Piloten im Qualifying spielten. Mit nur einem neuen Reifen, um die Attacke zu lancieren, ist es eine Kunst für sich, genau im richtigen Moment den „freien“ Teil der Rennstrecke zu finden, und zwar eine Kunst, die die Top Jungs bis zur Perfektion verfeinert haben. Mit dem alten Reifen, den ich am Tag davor gefahren war, schaffte ich es, mich vorerst für die zweite Startreihe zu qualifizieren – Platz 8 mit noch 20 verbleibenden Minuten. Alles sah gut aus, ich fühlte mich stark und war bereit für meine finale Attacke. Dann begann der Wahnsinn. Als ich aus der Box fuhr, bemerkte ich einen Zug aus fünf Fahrern, die sich allesamt hinter mir einreihten, um sich in mein Schlepptau zu hängen. Ich fuhr langsamer, gab ihnen einen Aussie-Gruß mit auf den Weg, und suchte nach einem freien Teil der Rennstrecke. Als ich die Chance erkannte, begann ich meine fliegende Runde mit einem

„roten Helm“ (was eine neue schnellste Sektor-Zeit bedeutet) im ersten Sektor. Dann, Verkehr. Ich versuchte es eine Runde später erneut, und es passierte nochmal genau dasselbe. Roter Helm, dann Verkehr. Als nur noch drei Minuten auf der Uhr standen, wurde ich langsam leicht verzweifelt, machte einen Fehler in der langen BergabLinks und wäre fast gestürzt. Ich raste eine Minute vor dem Ende über die Linie und sah erneut Verkehr vor mir. Ich gab trotzdem nochmal alles, aber die Runde war versaut. Als ich in die Box zurückkam, sah ich das „P22“ auf der Boxentafel. Das war wirklich enttäuschend. Ich war frustriert wie noch nie. Ich wusste, dass ich den Speed hatte, mich ganz vorne zu qualifizieren, aber jetzt hatte ich eine unendlich schwere Aufgabe vor mir im Rennen. Ich würde bei meinem ersten Grand Prix von Startplatz 22 ins Rennen gehen.

ALLES AUF EINE KARTE!

Ich wachte am Sonntagmorgen erstaunlich relaxed auf. Ich ging einen Raben freilassen, wie jeden Morgen, nahm eine heiße Dusche und ging runter zum Frühstücken. Als ich Schinken und Rührei auf meinen Teller lud, sah ich kurz aus dem Fenster. Es regnete. Da ich die KALEX nie zuvor im Nassen gefahren hatte, wurde ich immer nervöser, während wir uns durch den Verkehr zur Rennstrecke


RACE REPORT

DAMIAN CUDLIN

Unser Gastautor: Damian Cudlin, 28 IDM-Supersport-Champion 2010

durchkämpften. Als ich in die Box kam, hatten die SHARK-Jungs schon meinen Helm prä­ pariert, und jemand von Alpinestars wartete am Truck mit einem neuen Regenanzug für mich. Ich fragte mich, welche Fahrwerks­ein­ stellung wohl im Nassen am besten funk­ tionieren würde. Ich fuhr raus zum Warm-up und versuchte, so schnell wie möglich mit den Bedingungen zurechtzukommen. Es fühlte sich nicht gut an. Die KALEX war schwierig zu fahren im Regen, und die spitze Leistungs­ charakteristik des 600er-Honda-Einheits­ motors machte das Fahren unvorhersehbar. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Schwein auf Stelzen, schaffte es aber, das Warm-up als 17. zu beenden. Etwas, das mir dann doch etwas Mut machte, war das Elend, in dem Gadea sich befand, nachdem er zum dritten Mal hin­ter­ einander hinter mir gelandet war. Während ich mit meinem Crew-Chief Santi Mulero zu­ sammensaß und mir die Daten ansah, hörte der Regen plötzlich auf und die Sonne brach durch die Wolken. Vielleicht bekamen wir doch noch ein trockenes Rennen. Ihr könnt mir glauben, nichts hoffte ich mehr ... Als ich zum Truck gehen wollte, warteten Fans vor der Box und baten um Autogramme und Fotos, was meinem Ego noch nie wehgetan hat. Die meisten Fahrer werden euch erzählen, dass es eine Last sei, ständig von Fans gejagt zu werden. Ich denke, die haben nicht mehr alle Latten am Zaun. Ich verbrachte eine halbe Stunde damit, alle möglichen Sachen und Körperteile für die Fans zu signieren – und ich hab jede Minute davon geliebt. Komm schon, Pedrosa, gib’s zu, du magst das auch, oder? Ja, das tut er ... Als ich dann im Truck war, begann ich mit den Vorbereitungen für das Rennen, das vor mir lag. Mein erster Grand Prix. Ich sah mir alleine das 125er-Rennen im Fernsehen an. Als der Start immer näher rückte, zog ich mich wieder an und ging die Strecke nochmal im Kopf durch. Sito kam rein, um mir Glück zu wünschen und

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mir einige Worte der Inspiration mit auf den Weg zu geben. „Weißt Du, Damo”, sagte er, „Du hast etwas, das normale Menschen nicht haben. Langsame Fahrer können das, was wir tun, nicht tun. Du musst Dich daran erinnern, weil Du heute da draußen viel Kraft brauchen wirst. Hab Spaß, Damo, und viel Glück!” Obwohl sie ein bisschen dramatisch klangen, be­gleiteten mich seine Worte auf dem Weg in die Startaufstellung. Alles, was ich wollte, war, das Bestmögliche aus der Chance zu machen, die ich hier be­ kommen hatte, und den Tank leer zu fahren. Ich gab Amy einen schnel­len Kuss, als die „1 Minute”-Sirene erklang und war startbereit. Das hier war es!

SHOWTIME

Als der Marshall die rote Flagge hob und die Strecke verließ, legte ich den ersten Gang ein und konzentrierte mich auf die Ampel. Wie ein Revolvermann, der sich auf seinen Schuss vorbereitet, hielt ich die Drehzahl konstant und wartete darauf, dass das Rotlicht ausging. Plötzlich fuhren wir ein Rennen, und mein Start war perfekt. Als wir alle nebeneinander auf die heimtückische erste Kurve zuflogen, wusste ich, dass dies der gefährlichste Teil des Rennens sein würde. Wenn ich in einem Stück aus der ersten Kurve kommen würde, hatte ich eine Chance. Glücklicherweise passierte der einzige Crash knapp hinter mir, und ich beendete die erste Runde unversehrt auf Platz 19. Wie es am Sachsenring oft der Fall ist, konnte sich in den ersten Runden keiner absetzen, und wie im Palaton bei der Tour de France folgte jeder seinem Frontmann im Zentimeterabstand. Das machte mir meinen Job einfacher, und ich arbeitete mich in jeder Runde weiter nach vorne, ohne die Jungs ganz vorne aus den Augen zu verlieren. So sahen meine Platzierungen nach den ersten neun Zieldurchfahrten aus: 19., 18., 17., 16., 14., 13., 12., 11., 9. Als ich mich auf den 9. Platz nach vorne schob, sah ich, wie meine spanischen Mechaniker an der Boxenmauer völlig aus­rasteten, aber vor mir hatte sich eine kleine Lücke aufgetan, und ich war zu dem Zeitpunkt zwölf Sekunden hinter dem Führungsduo Iannone und Talmacsi. Ich war eigentlich sehr zufrieden mit dieser Platzierung, und in Anbetracht der Tatsache, dass ich langsam die Hitze und die Luftfeuchtigkeit zu spüren bekam, wäre es ziemlich einfach und auch vernünftig gewesen, einen Gang zurück­ zuschalten und das Ding nach Hause zu fahren, aber ich war heiß, und ich wollte alles geben, bis zum Ende. Ich musste es tun. Bei Halbzeit des Rennens hatte ich den Sieger des Auftaktrennens, Shoya Tomizawa, vor mir. Ich heftete mich an seinen Auspuff und pushte, so hart ich konnte. Ich wusste das nicht, aber

ich fuhr ab der Hälfte des Rennens die schnellsten Zeiten des ganzen Feldes und konnte den Abstand zu den Führenden von zwölf auf sieben Sekunden reduzieren. Bald hatte ich mich zum Ende der Führungsgruppe durchgekämpft und mir wurde klar, dass ich heute in der Lage war, da noch größeren Schaden anzurichten. Ich hatte die Hitze vergessen, meine rutschenden Reifen waren mir egal, und plötzlich fühlte ich mich wie Troy Bayliss bei seinem 250er-Grand-Prix-Debut vor so vielen Jahren in Phillip Island. Ich arbeitete mich gnadenlos durch die Gruppe vor mir und lag sechs Runden vor Schluss auf dem vierten Platz. Eine Podiumsplatzierung lag direkt vor mir. Dann folgte der haarigste Moment des Rennens – ich verlor die Front, lag eigentlich schon am Boden – und drückte mich mit dem Knie wieder hoch. Ich hatte mich mit dem Zahnfleisch gerettet, und als ich versuchte, den verlorenen Boden wieder aufzuholen, passierte es noch einmal. Fonsi Nieto nutzte diese Chance, um mich praktisch von der Strecke zu schieben, und ich verlor dadurch drei Plätze auf der Zielgeraden. Ich war jetzt Siebter und bemerkte einen ernsthaften Mangel an Grip seitens des Vorderreifens. Ich realisierte, dass mein Angriff auf die Spitze damit zu Ende war. Als mir die letzte Runde angezeigt wurde, probierte ich einen letzten Vorstoß gegen Talmacsi in der letzten Ecke, aber während ich erneut gegen das weg­ schmierende Vorderrad kämpfte, überholte er mich am Kurvenausgang wieder und schnappte sich den sechsten Rang. Ich kam weniger als ein Zehntel nach ihm über die Linie. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Mechaniker, meine Frau, und sogar Sito, wie sie alle über der Boxenmauer hingen und wie verrückt winkten, als ich vorbeiflog. Es war vorbei. Als ich das Gas zudrehte und mein Visier öffnete, um wieder Luft zu bekommen, sah ich mich langsam um. Ich sah die 220.000 schreienden und jubelnden deutschen Fans. Ich war hin und weg von der unglaublichen Menschenmenge. Aber das, was ich sah, als ich aus Turn 4 kam, hätte mich beinah umgehauen, und es wird immer in meinem Herzen ein­ gebrannt bleiben: eine riesige australische Flagge mit der Aufschrift „DAMO #50“, aus­gebreitet über dem Hügel. Das war das Coolste, was ich jemals gesehen hatte. Ich winkte den Jungs dort lange zu und ließ mir auf der Auslaufrunde viel Zeit, um diese einzig­ artige Atmosphäre in mich aufzusaugen. Es hielt vielleicht nur für ein paar Minuten an, aber plötzlich hatten all die Jahre voll harter Arbeit, die Verletzungen und der ganze andere Bullshit einen Sinn. Für diesen einen Moment war ich ein Grand-Prix-Rennfahrer – und zwar ein ziemlich guter. Ich war keine Jungfrau mehr.


Du wirst gut sein, Damo!

Das war knapp!

Damit hat keiner gerechnet!

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