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Unterschiedliche Erwartungen können zu Spannungen führen» - Astrid Marty über ihre Dissertation

«Unterschiedliche Erwartungen können zu Spannungen führen»

Astrid Marty, Dozentin für Erziehungswissenschaften an der PH FHNW, hat in ihrer Dissertation die Zusammenarbeit von Regellehrpersonen und Sonderpädagog*innen erforscht.

Aufgezeichnet von Virginia Nolan

«Bereits in meiner früheren Tätigkeit als Kindergärtnerin stellte ich fest, dass eine gelungene Zusammenarbeit im Team von ganz unterschiedlichen und oft sehr persönlichen Faktoren abhängt. Welches Potenzial die Kooperation unter Lehrpersonen hat, speziell für den integrativen Unterricht, wurde mir während der Arbeit an meiner Dissertation bewusst. Mein Forschungsprojekt untersucht subjektive Theorien – stark vereinfacht gesagt: das Mindset – von 14 Regellehrpersonen und Sonderpädagog*innen über ihre gemeinsame Zusammenarbeit. Im Zentrum steht die Frage, welche persönlichen Überzeugungen und Vorstellungen, Ziele und Motive die Befragten im Hinblick auf ihre Kooperation entwickelt haben, wie sie diese wahrnehmen und welche Faktoren aus ihrer Sicht eine gelungene Zusammenarbeit fördern oder hemmen. Oft wird Kooperation lediglich unter dem Aspekt ihres zeitlichen Aufwands oder ihrer inhaltlichen Komplexität gemessen. Demgegenüber werden die Relevanz von individuellen Denkmustern und Motiven der Beteiligten sowie von teamspezifischen Aspekten, die sich daraus ergeben, zu wenig berücksichtigt. Aber: Die Forschung zeigt, dass Lehrpersonen ihr berufliches Handeln meist mit subjektiven Theorien begründen, aus denen sie ihre Herangehensweisen ableiten.

Meine Untersuchung legt nahe, dass Regellehrpersonen und Sonderpädagog*innen differenzierte Vorstellungen von ihrer Kooperation haben. Ich greife an dieser Stelle einen Aspekt heraus, zu dem sich bis auf zwei Personen alle Befragten geäussert haben: den Nutzen ihrer Kooperation. Viele gaben an, ihre Zusammenarbeit als sinnstiftend zu erleben, ein Faktor, der, wie wir wissen, eine Burnout-Prophylaxe darstellen kann. Das dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn Kooperation als Entlastung wahrgenommen wird. In meiner Studie trifft dies insbesondere auf Regellehrpersonen zu, während sich bei den Sonderpädagog*innen nur wenige Hinweise dafür finden. Regellehrpersonen äusserten im Vergleich zu den Sonderpädagog*innen klarere Erwartungen an die Arbeit des anderen. So erwarten sie von Sonderpädagog*innen zusätzliche Fachinformationen, die sie ihnen entweder durch den gemeinsamen Unterricht oder im Gespräch vermitteln sollen. Aus ihrer Sicht ist es das Ziel, dass Sonderpädagog*innen sie anleiten, mit herausfordernden Situationen besser umgehen zu können. Viele Sonderpädagog*innen hingegen halten sich explizit zurück mit Beratungen und erwarten, dass die Regellehrperson sich bei Bedarf meldet. Sie sehen sich in der unterstützenden Rolle und möchten nicht als belehrend wahrgenommen werden. Solche unterschiedlichen Erwartungen können zu Spannungen führen – vor allem, wenn sie nicht explizit adressiert werden.

Meine Befunde weisen darauf hin, dass in den meisten pädagogischen Teams die Aufgaben klar aufgeteilt sind. Sonderpädagog*innen fühlen sich für ‹ihre› Kinder zuständig, trotzdem übernehmen sie regelmässig Aufgaben innerhalb der ganzen Klasse. Sie möchten sich aber nicht aufdrängen, während Regellehrpersonen demgegenüber verunsichert sind, wie stark sie ‹ihre› Sonderpädagogin oder ‹ihren› Sonderpädagogen beanspruchen dürfen. Die Regelung der gemeinsamen Klassenverantwortung würde ich als diffus bezeichnen. Was mich überraschte: Die Auffassung, dass Kinder mit besonderen Bildungsbedürfnissen in den dafür eigenplanten Wochenstunden am besten separat gefördert werden, also nicht im Klassenverband, war in beiden Berufsgruppen stark vertreten. Da liegt die Crux wohl auch in der Ausbildung: Sonderpädagog*innen werden nach wie vor darin geschult, das Besondere zu sehen und orientieren sich an integrativen oder inklusiven Modellen, während Regellehrpersonen zwar über einzelne Herausforderungen und Störungsbilder unterrichtet werden, sich aber mehrheitlich an allgemeinen didaktischen Prinzipien orientieren. Dies stützt das Bild von Regellehrpersonen, die den Wald, und Sonderpädagogen, die den einzelnen Baum im Blick haben.»

Astrid Marty. Foto: zVg.

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